[95] Schreckbild

Noch gestern klang ein Wort von Mund zu Mund –
Menschheit – beseeltes Bündnis aller Zonen!
Im Fluge kreisend um das Erdenrund,
Umfing die hingegebne Brust Millionen.
Menschheit! Du Urmacht gleich der Ewigkeit,
Von der von jeher Tausende entbrannten,
Zu frommem Dienst und Opfertod bereit,
Für die verbluteten die Gottgesandten –
Zernagte dir ein Dämon das Gebein,
Bis aufgerissen deine Weichen klafften,
Frass in dein Lebensmark ein Frost sich ein,
Dass du zerfällst in wirre Völkerschaften?
Oder verfluchtest du den eignen Schoss
Und lässest deine Brut elend verkümmern,
Gibst ihr mit eigner Hand den Todesstoss,
Dass sie verende unter Schutt und Trümmern?
Aus grauer Vorzeit schwelt es in den Tag
Von Moderdunst und blutgefärbten Nebeln;
Die Bruderstämme holen aus zum Schlag,
Einander zu vernichten und zu knebeln.
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Die Welt einäschernd, wie wenn Berge spein,
Wogt Untergang in allen Himmelsstrichen,
Und wie versteinert starrst du – Menschheit – drein,
Gleich einer Larve, draus der Geist entwichen.

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TextGrid Repository (2012). Lachmann, Hedwig. Gedichte. Gesammelte Gedichte. Schreckbild. Schreckbild. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-D8C3-0