[99] Hinrik, mein Sohn.
Es war einmal eine Bäuerin, der starb der Mann; da hatte sie nur eine einzige Stütze, das war Hinrik, ihr Sohn. Er mußte pflügen und eggen, füttern und düngen und, was der Arbeiten auf dem Lande noch mehr sind; aber er war und blieb trotz alledem entsetzlich dumm.
Die große Wiese, welche zu dem Hofe gehörte, lag weit ab, und Hinrik mußte durch die Stadt fahren, wenn er das Heu in die Scheune schaffen wollte.
»Hinrik, mein Sohn,« sprach die Mutter, als er wieder ins Heu fuhr, »bring mir doch aus der Stadt von dem Kaufmann Nadeln mit, ich brauche sie nötig.«
»Gern, liebe Mutter,« antwortete Hinrik und fuhr auf die Wiese; und nachdem er das Fuder Heu aufgeladen hatte und wieder in der Stadt angelangt war, hielt er bei dem Kaufmann und ließ sich für einen Groschen Nadeln geben. Der Kaufmann wickelte die Nadeln fein säuberlich in Papier, damit Hinrik sie nicht verliere. Dem war aber die Sache nicht sicher genug; und als er draußen vor dem Laden war, wickelte er das Päckchen auf und steckte eine Nadel nach der andern in das Heu.
[100] »Da sitzen sie weich und verlieren sich nicht,« sprach er bei sich und fuhr auf den Hof zurück.
»Hinrik, mein Sohn, hast du die Nadeln auch nicht vergessen?« fragte die Mutter.
»Was mir gesagt wird, behalte ich auch,« antwortete Hinrik, »und damit sie schön weich sitzen und sich nicht verlieren, habe ich sie allesamt ins Heu gesteckt.«
»Ach, Hinrik, mein Sohn,« rief die Bäuerin, »wenn du etwas mitbringst aus der Stadt, mußt du es in den Busen stecken! Nun frißt das Vieh das Heu und die Stecknadeln mit und erstickt uns wohl gar.«
»Ich werd's mir merken,« sprach Hinrik; und er merkte sich's auch.
Ein paar Tage darauf sagte die Mutter:
»Hinrik, mein Sohn, das Pflugeisen ist stumpf geworden, du mußt in die Stadt und es schärfen lassen.«
Da machte sich Hinrik mit dem Pflugeisen auf den Weg zum Schmied und gab es ihm, daß er es scharf mache. Der that es auch; und als er mit der Arbeit fertig war, legte er es beiseite, damit es sich abkühle; denn es war im Feuer gewesen.
»Zum Warten hab' ich nicht Zeit,« sprach Hinrik, bezahlte dem Schmied, was er schuldig war, steckte das heiße Eisen in den Busen und kehrte nach Hause zurück. Das brannte ihm auf der Brust, wie das höllische Feuer.
»Schadet nichts,« sprach er bei sich, »Mutter hat's so gesagt,« und er hielt aus, bis er auf dem Hofe war.
»Hinrik, mein Sohn, was hast du gemacht?« rief die Bäuerin ängstlich; denn es roch ihr so seugerig, als er das Eisen aus dem Busen zog.
[101] »Ich habe gethan, wie du mir gesagt hast,« antwortete Hinrik, »es ist dir schon recht, daß meine Brust jetzt ganz mit Blasen bedeckt ist.«
»Hinrik, mein Sohn,« sprach die Alte, »das hättest du nicht thun müssen, du hättest dir aus Weiden eine Weede (Strick) drehen müssen. Daran mußtest du das Eisen hängen und auf einem Stock über dem Buckel nach Hause tragen.«
»Ich werd's mir merken,« sprach Hinrik und strich sich Brandsalbe auf die Brust, daß sie wieder heil würde.
Nachdem er gesund geworden war, sprach die Mutter:
»Hinrik, mein Sohn, des Großbauern bunte Kuh hat ein Kuhkalb geworfen, und er hat mir versprochen, es nicht dem Schlächter zu geben, sondern an mich zu verkaufen, damit ich von der Art Kühen auch eine hätte. Hier hast du zwanzig Groschen (dazumal waren die Kälber nicht teurer); geh hin und bring mir das Kalb!«
Als Hinrik den Hof hinter sich hatte, schnitt er am Teich ein paar Weidenruten ab, flocht daraus eine Weede und machte sodann, daß er zum Großbauer kam. Der händigte ihm für die zwanzig Groschen das Kalb aus und kümmerte sich nicht weiter darum; Hinrik aber legte ihm die Weede um den Hals, nahm es auf seinen breiten Buckel und schleppte es auf den Hof.
»Hinrik, mein Sohn,« rief die Mutter, »was hast du gemacht? Du hast ja das Kalb erwürgt, was soll nun damit werden!«
»Mutter«, sagte Hinrik und war fuchsteufelswild, »was willst du immer von mir? Ich habe gethan, wie du mir das letzte Mal geheißen hast!«
[102] Da dachte die Mutter: »Es ist besser, du giebst ihm keine Ratschläge mehr.«
Die zwanzig Groschen für das Kalb und der Groschen für die Nadeln waren fort, das hatte das bare Geld knapp gemacht in der Kiste; aber die Räucherkammer hing voller Würste und Speckseiten.
Sprach die Bäuerin: »Hinrik, mein Sohn, von Weihnachten her hängen noch zwei Speckseiten im Rauche. Wir brauchen sie doch nicht mehr; so geh damit in die Stadt und bring sie dort an den Mann. Wir haben ihrer auch dann noch überflüssig.«
Hinrik war ein gehorsamer Sohn; er nahm unter jeden Arm eine Speckseite und ging damit zur Thüre hinaus. Er liebte aber nicht die langen Wege; darum ging er über den Wuurt, daß er den Richtsteig durch die Felder einschlüge.
Als er nun bei den Backöfen vorbei kam, die gemeiniglich an des Dorfes Ende liegen, traf er des Schulzen großen Packan, wie er mit zwei andern Hunden aus dem Dorfe Kurzweil trieb. Die Hunde fingen an zu bellen und zu blaffen, als sie Hinrik mit den beiden Speckseiten erblickten.
»Wollt ihr mir den Speck abkaufen?« fragte Hinrik.
»Jau! Jau! Jau! Jau!« riefen die Hunde und sprangen an ihm in die Höhe.
»Das Pfund kommt euch aber auf zwei Groschen!« sagte Hinrik.
»Jau! Jau! Jau! Jau!« bellten die Hunde.
»Wer's kauft, ist mir recht,« sprach Hinrik, »aber[103] Sonntag muß ich das Geld haben, und an dich halte ich mich, Packan!«
»Jau! Jau! Jau! Jau!« antworteten die Hunde; und Hinrik dachte, sie wären mit allem einverstanden, was er gesagt hatte, warf ihnen die beiden Speckseiten zu und freute sich über den guten Handel. Dann kehrte er wieder nach Hause zurück.
»Hinrik, mein Sohn, das ist aber schnell gegangen!« rief die Bäuerin verwundert.
»Und dabei habe ich fürs Pfund zwei Groschen bekommen,« antwortete Hinrik.
»Hinrik, mein Sohn, wer hat's denn gekauft, und wo hast du das Geld?« fragte die Alte.
»Wer soll's gekauft haben!« sprach Hinrik. »Des Schulzen Packan hat's gekauft, und Sonntag hole ich mir das Geld!«
»Hinrik, mein Sohn,« rief die Mutter und fiel vor Schreck fast auf den Rücken, »das hast du schlecht gemacht; ein Hund hat kein Geld. Nun sind die Speckseiten fort, und Bargeld haben wir auch nicht bekommen! Was soll daraus werden?«
»Laß nur, Mutter,« erwiderte Hinrik, »Packan hat's mir versprochen, und die andern Hunde sind Zeugen.«
Aber die Bäuerin behielt doch recht. Als Hinrik am Sonntag zum Schulzen kam und das Geld für die beiden Speckseiten verlangte, glaubte er, Hinrik habe ihn zum Narren, und warf ihn zum Hause hinaus.
Eines Morgens sprach die Mutter:
»Hinrik, mein Sohn, in acht Tagen machst du[104] Hochzeit. Die Braut habe ich besorgt, und aufgeboten seid ihr auch schon. Heute wird gebacken und gebraut.«
Da freute sich Hinrik, daß er eine Frau bekommen sollte, und half seiner Mutter bei der Arbeit.
»Hinrik, mein Sohn,« sagte sie, »ich muß nach dem Teig schauen, ob er gut aufgeht und nicht anbrennt; gieb du derweile auf das Bier in dem Kessel acht und thu etwas Hoppen (Hopfen) hinein.«
»Das werde ich besorgen,« antwortete Hinrik. Weil sie nun einen Hund hatten, der Hoppe hieß, so dachte er, den habe seine Mutter gemeint; und er warf das arme Tier in den Kessel, daß es in dem heißen Bier elendiglich verbrühte.
»Hinrik, mein Sohn, hast du auch etwas Hoppen in den Kessel gethan?« fragte die Mutter, als sie von dem Backofen zurückkehrte.
»Etwas ging nicht,« antwortete Hinrik, »da habe ich ihn ganz und gar hineingeworfen. Er wollte zwar nicht, aber ich hielt ihn fest; da mußte er daran glauben.«
»Hinrik, mein Sohn, du hast doch nicht den ganzen Sack in den Kessel geschüttet?«
»Ach, Mutter, was redest du von Sack? Ein Hund ist doch kein Sack!« rief Hinrik ärgerlich.
Da sah die Mutter auch schon den Hund in dem Biere schwimmen, faltete die Hände und sprach:
»Hinrik, mein Sohn, das hast du schlecht gemacht. Ich meinte das Kraut Hoppen! Wer thut denn einen Hund an das Bier?«
»Das hättest du mir eher sagen müssen,« erwiderte Hinrik; und seine Mutter mußte aus der Stadt für teures [105] Geld Bier vom Brauer kommen lassen, daß die Gäste bei der Hochzeit nicht Durst litten.
Mittlerweile war der Hochzeitstag gekommen. Ehe die jungen Leute zur Trau fuhren, nahm die Mutter jedoch ihren Sohn in's Gebet und sprach zu ihm:
»Hinrik, mein Sohn, du kannst unbeschreiblich viel essen. Wenn das deine Braut merkt, so läuft sie dir auf und davon.« Damit du ein Maß weißt, werde ich dich, wenn es genug ist, auf den Fuß treten.
Da wurde Hinrik sehr bange zu Mut, und er sagte:
»Mutter, sprich weiter, ich will alles thun, was du mir sagst.«
»Hinrik, mein Sohn, zuerst kommen Erbsen auf den Tisch,« fuhr die Alte fort, »davon nimmst du auf einmal nicht mehr und nicht weniger, als fünf, auf den Löffel und steckst sie in den Mund. Darnach giebt es Eier; du nimmst dir eins aus der Schüssel, pellst es ab und teilst es in acht Teile und nimmst ein Achtel nach dem andern auf den Löffel und steckst es in den Mund. Das sieht fein bescheiden und geschickt aus, und deine Braut gewinnt dich lieb.«
Hinrik war zwar sehr behullig; aber das fürchtete er denn doch zu vergessen, das war ihm zu lang. Er sprach darum, während sie zur Trau fuhren und während die Schulkinder sangen und der Pastor die schöne Predigt hielt und während der Rückfahrt, immer vor sich hin:
»Erst fünf auf einmal, dann abpellen und acht Teile, und wenn Mutter auf den Fuß tritt, aufhören.«
Der jungen Frau wurde angst und bange dabei; aber sie dachte: »Das macht die Freude, daß er dich[106] gekriegt hat!« und setzte sich mit ihm zu Tisch, wo die andern Gäste schon ihrer warteten.
Nun wollte aber das Unglück, daß die Mutter der Reihenfolge vergaß und die Eier vor den Erbsen auf den Tisch trug. Da langte Hinrik mit seinem großen Löffel in die Schüssel, nahm fünf Eier auf einmal und steckte sie mitsamt den Schalen in den Mund, kaute darauf und schluckte sie herunter. Alle Gäste guckten einander an; aber Hinrik ließ sich nicht stören, sondern nahm zum zweiten und zum dritten Male fünf Eier auf den Löffel und fuhr damit fort, bis die Schüssel leer war und seine Mutter mit den Erbsen und dem Schweinefleisch aus der Küche kam.
»Meines Lebens,« dachte die junge Frau, »der ißt mehr, als der ganze Hof einbringt!« und es graute ihr vor dem Manne.
Indem fuhr Hinrik mit dem großen Löffel in die Schüssel und langte eine Erbse heraus, pellte die Schale ab und zerschnitt sie mit dem Messer in acht Teile. Davon nahm er ein Achtel nach dem andern auf den Löffel und steckte es in den Mund.
Als er damit fertig war, griff er in die Fleischschüssel und nahm einen guten Bissen. Nachdem er das Fleisch gegessen hatte, warf er den Knochen, wie das auf dem Lande Sitte ist, unter den Tisch. Da kam ein Hund gesprungen, um den Knochen zu erwischen, und trat dabei Hinrik auf den Fuß. Hinrik jedoch dachte, es sei seine Mutter, die ihn getreten habe, legte den großen Löffel beiseite [107] und schaute trübselig vor sich hin und aß und trank nicht mehr, obwohl er noch großen Hunger hatte.
Der jungen Frau aber wurde himmelangst zu Mute, und sie sprach bei sich:
»Eine Schüssel voll Eier, eine Erbse und ein Stück Schweinefleisch! Ich kann ihm doch nicht nur Eier kochen, da richte ich mich bald zu Grunde. Das beste ist, ich laufe aus dem Hause hinaus.«
Und so that sie auch. Als das Mahl zu Ende war und sie ordentlich, wie sich's für eine Bauernhochzeit ziemt, getanzt und gesprungen hatten, kam auch die Zeit, daß sich das junge Paar schlafen legen sollte. Wie sie nun in der Kammer waren, sprach die junge Frau:
»Hinrik, ich habe großen Durst, ich will zum Brunnen und Wasser trinken.«
»Nein,« antwortete Hinrik, »das erlaub' ich dir nicht, sonst läufst du mir auf und davon.«
»Hinrik,« sagte die junge Frau zum andern Male, »ich muß zum Brunnen und Wasser trinken, sonst verdurste ich und sterbe eines elenden Todes.«
Das wollte Hinrik nun auch nicht gerne, und er band seiner Frau die Pflugleine um den Fuß, auf daß sie ihm nicht fortliefe und damit er sie wieder zurückziehen könne, wenn sie zu lange bliebe.
Das machte der jungen Frau jedoch wenig Kummer; sie ging durch die Kammerthüre über den Flur in den Viehstall, wo Pferde und Rinder, Ziegen, Schafe und Schweine einträchtig neben einander stehen, löste den alten Ziegenbock von der Krippe und band ihm die Pflugleine um [108] die Hörner; dann machte sie sich auf und davon und lief aus dem Dorfe heraus in eine ganz andere Gegend.
Hinrik wartete eine Zeit lang, bis er glaubte, jetzt müsse seine Frau satt getrunken haben; als sie aber immer noch nicht wiederkommen wollte, zog er die Pflugleine zurück und ruhte nicht eher, als bis der Ziegenbock dicht neben seinem Bette stand.
Das Tier hatte den Tag über gut gefressen und knirschte mit den Zähnen, wie die Ziegen zu thun pflegen.
»Kaust du Nüsse? Kaust du Nüsse?« fragte Hinrik neugierig; aber der Ziegenbock antwortete ihm nicht. Da wollte Hinrik seiner Frau in den Mund fassen, um zu sehen, was es wäre. Indem erwischte er des Ziegenbocks langen Bart und rief:
»Mutter, meine Frau hat einen Bart!«
Die alte Frau, welche in derselben Stube schlief, antwortete:
»Hinrik, mein Sohn, dann ist sie von guter Art!«
Da freute sich Hinrik über seine junge Frau; aber auf die Dauer konnte er das Gnitschen mit den Zähnen nicht ertragen. Er war neidisch, daß er nicht auch Nüsse essen könne, sprang aus dem Bette und lief auf den Flur, stellte die Leiter an die Wand und stieg zum Boden hinauf. Er hatte sich aber in der Dunkelheit versehen und die Leiter nicht an die Bodenluke, sondern an das Hühnerreich gestellt. So trat er von der Leiter in die leere Luft hinein und fiel auf die Diele herab.
»Mutter«, schrie er ängstlich, »ich bin herunter gefallen, steck ein Licht an und hilf mir!«
[109] »Hinrik, mein Sohn, steig nur wieder hinein!« antwortete die Alte; denn sie glaubte, er wäre aus dem Bette gefallen, weil er das Ehemannsleben noch nicht gewöhnt war.
Aber Hinrik gab sich damit nicht zufrieden; sondern weinte und schrie nur um so mehr, bis die Mutter Licht anzündete. Da sah sie den Ziegenbock, mit der Pflugleine um die Hörner, am Bette stehen und Hinrik unter dem Hühnerreich liegen; aber die junge Frau war verschwunden.
Nun war die Not groß, und sie liefen mit Licht in den Garten und suchten bis zum hellen Morgen und den ganzen andern Tag, und die Bauern im Dorfe halfen ihnen; aber die junge Frau war längst über alle Berge, und sie fanden sie nicht.
So mußte Hinrik, wie vordem, ohne Frau auskommen und mußte mit seiner Mutter haushalten und ledig leben bis an sein seliges Ende; und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.