[23] [25]3. Die Scene im Schulzimmer

[25][27]
Aber während dies im Rathhaus geschah,
Da sah
In einem Zimmer der Gäßchen, wirr und kraus,
Im Erdgeschoß zum Hof hinaus
Es wunderlich aus.
An den Wänden hingen da
Instrumente der Musika
Und Tafeln standen auf Gestell'n,
Im Zimmer aber waren zwei Gesell'n,
Die trieben mit halloh und holla
Allerlei Allotria.
Sie sangen unverfroren
Einander Spottliedlein in die Ohren.
Dabei übte der eine die Fußgelenke
Und sprang beim Sang über Schemel und Bänke.
Es war ein hübscher zierlicher,
Gewandter und manierlicher.
Der andre, gar hager, doch markig und sehnig,
Saß auf einer Bank, lärmt auch nicht wenig,
Hat eine Mönchskapuze angethan
Und Narrenschellen darangethan,
Die ließ er klingen mit Jauchzen und Johlen
Und schnitt dazu närrische Kapriolen.
[27]
Der erste nahm von der Wand eine Laute,
Der er allerhand Singsang anvertraute;
Dann rief er zum zweiten: Halt einmal Ruh,
Laßt mich jetzt singen und du hör' zu,
Nachher wollen wir die Rollen tauschen,
Und du sollst singen und ich will lauschen;
Wer aber den andern besiegt im Gesang,
Der soll Kaiser sein eine Stunde lang.
Der zweite sprach: Ich bin's zufrieden,
Fange du an, deinen Leim zu sieden.
Gut, sagte der erste,
Ein Ohrspiel zum Vorspiel,
Und zum Nachspiel ein Sprachspiel.
Dann stimmt' er die Saiten, spielte und sang
Mit lust'gem Klang,
Und der zweite mit droll'gem Humor
Machte den Chor.

Der Kaiserwein

Der deutsche Kaiser Wenzeshals
Und Kurfürst Ruprecht von der Pfalz,
Die saßen eines Tags am Rhein
Wohl vor dem Aßmannshäuserwein,
Beim Königsstuhl zu Rhense
Und tranken ganz immense.

Chor:

Beim Königsstuhl zu Rhense
Und tranken ganz immense.
[28]
Der Kaiser hub sein Glas und sprach:
Herr Kurfürst, Fama sagt euch nach,
Ihr trachtet baß nach meinem Thron
Und säht mich ohne Reicheskron'
Und los der Kaisersorgen
So lieber heut als morgen.
Chor:

Und los der Kaisersorgen
So lieber heut als morgen.
Wohlan, dies ist ein Kaiserwort:
Schafft ihr jetzunder mir sofort
Von unsers deutschen Rheins Revier
Den Wein, der besser mundet mir
Als dieser Aßmannshäuser,
So mach' ich euch zum Kaiser.
Chor:

Als dieser Aßmannshäuser,
So mach' ich euch zum Kaiser.
Da rief der Kurfürst: Topp! es gilt.
Sogleich sei die Beding erfüllt.
Er gab den Knappen einen Wink,
Die sprangen fort und brachten flink
Dahergerollt ein Tönnlein,
So schmuck als wie ein Nönnlein.
Chor:

Dahergerollt ein Tönnlein,
So schmuck als wie ein Nönnlein.
[29]
Herr Kaiser mein, der Kurfürst sprach,
Dies ist ein Wein aus Bacharach,
Der ist die Krone werth der Welt.
Wenn's Ihro Majestät gefällt,
So sei er jetzt probiret
Und der Beweis geführet.
Chor:

So sei er jetzt probiret
Und der Beweis geführet.
Und wie der Wein war eingeschenkt,
Der Kaiser ihn im Glase schwenkt,
Probirte lang' und probte tief,
Dann schnalzt' er mit der Zung' und rief:
Bei meiner armen Seele,
Der Wein ist ohne Fehle!
Chor:

Bei meiner armen Seele,
Der Wein ist ohne Fehle!
Sie haben drauf die ganze Nacht
Beim Bacharacher zugebracht.
Der Kaiser, der den Wein erprobt,
Hat ihn noch immer mehr gelobt;
Da ward der Kurfürst fröhlich
Und alle beide selig.
Chor:

Da ward der Kurfürst fröhlich
Und alle beide selig.
[30]
In jener Nacht sie wurden eins:
Vier Fuder Bacharacher Weins
Der Ruprecht seinem Kaiser gab,
Dafür die Krone trat ihm ab
Der Wenzel als ein Weiser. –
So ward der Kurfürst Kaiser.
Chor:

Der Wenzel als ein Weiser. –
So ward der Kurfürst Kaiser.
Und der zweite sprach: In seinem Rausch
Thät Wenzel da den besten Tausch. –
Jetzt aber gieb her die Mandoline,
Daß ich dir mit einem Liedlein diene.
Drauf nahm er die Laute, begleitete sich
Ein Lied, das sang er gar wunderlich,
Und immer, wenn ein Vers war um,
Fuhr er wie wild auf den Saiten herum,
Daß es wiederhallte mit tiefem Brumbrum.
Dann schüttelt er mit dem Kopf darein,
Das gab ein Geklingel gar lieblich und fein.
Und bei dem Klingklang
Er wie ein Fink sang:

[31] Der Königsnarr

Es war einmal ein Königsnarr,
Der manches Jahr Hofnarre war
Bei einem König wohlgemuth
Und reich an Land und fromm und gut.
Der König war dem Narren hold,
Hielt ihn in Ehr' und gutem Sold,
Dafür der Narr ihm dankbar war
Und zugethan just wie ein Narr.
Nun traf sich's über kurz und lang,
Der König wurde fieberkrank,
Und rings umher in weiter Rund'
Kein Arzt dem Kranken helfen kunnt.
Da ging bei Hof ein Trauern an,
Es weinten Zof' und Edelmann.
Der Narr war kaum bei Sinnen mehr,
Er härmte sich ohnmaßen schwer.
Und saß und grübelt Tag und Nacht,
Bis er ein Mittel auserdacht,
Das ihm nach seinem Narrensinn
Für seinen Herren heilsam schien.
Im Garten bei des Königs Schloß
Da war ein Teich, darinnen floß
[32]
Zum Wehre niederwärts ein Bach,
Dort war der Kranke jeden Tag.
Der Narre blaß, der König bleich,
Sie standen an dem Gartenteich,
Ein Stoß da von des Narren Hand,
Der König taumelt über'n Rand.
Es fiel der König in das Wehr,
Plump! – sprang der Narre hinterher.
Der König fiel, der Narre sprang,
Von Beiden keiner untersank.
Sie kamen glücklich wieder baß
Und waren alle Beide – naß;
Doch durch den Schreck der König war
Von Stund gesund. Es jauchzt der Narr.
Da kam der Narr, der arme Wicht,
Ob Hochverraths vors Hofgericht,
Und billig ward ihm zuerkannt
Der Tod durchs Schwert von Henkershand.
Der Spruch geschah, das Urtheil blieb,
Der gute König unterschrieb.
Zum Henker sendet er darnach,
Der Henker kam, der König sprach:
[33]
Ich will dem Narren gnädig sein.
Du sollst dein Amt nur thun zum Schein;
Jedoch der Narre bis zum Schluß
Soll glauben, daß er sterben muß.
Drum hüte dich, daß Niemand weiß,
Was du sollst thun auf mein Geheiß,
Sonst trifft das Urtheil dich und ihn.
Der Henker ging. Der Tag erschien.
Ringsum ein groß Gefolge saß.
Der König freut sich auf den Spaß.
Der Narr wird auf's Schaffot geführt,
Sein starrer Blick zum König stiert.
Der Henker ihm die Augen band
Und – statt des Schwerts aus dem Gewand
Er eine Weidenruthe zog,
Der Henker hält die Ruthe hoch.
Wie die des Narren Körper strich,
Der zuckt zusammen fürchterlich.
Als man ihm nun die Gnade bot,
Der dumme Königsnarr – war todt.
Der erste sprach: Wahrlich, das war
Treu bis zum Tod – ein Königsnarr!
Doch wer soll nun als Richter entscheiden,
Wer das bessere Lied sang von uns beiden?
[34]
Da rief der zweite: alle guten Geister!
Dort kommt von den Schülern der Meister.
Das ist ein Richter, ein kleiner, doch feiner.
Sieh dich um, da kommt einer,
Dem der Himmel einen Blick verlieh
Voll fröhlicher Melancholie.
Es trat aber ein dritter Gesell in das Zimmer,
Deß Antlitz strahlt in bleichem Schimmer.
Und also der erste zum zweiten spricht:
Nein, das verstehst du nicht.
Sieh doch nur sein Gesicht an,
Siehst du es ihm denn nicht an?
Er ist ganz verzückt
Und uns entrückt
Und schaut in die Seligkeiten alle.
Noch aber sah ich keinen, der blickt ins Sonnenlicht
Und machte dazu ein gescheutes Gesicht.
Und lachend erwidert der zweite: Fürwahr,
Du machst deine Sache wunderbar.
Wo du streichelst, packst du zu,
Wo du schmeichelst, beißest du.
Darnach
Zum dritten gewendet Jener sprach:
Hab' ich dich gebissen, o Freund, gewiß
So war es nur ein kleiner Biß,
[35]
Und über ein bischen wirst du schmollen?
Bewahre der Himmel, das darfst du nicht wollen.
Du bist ja ein Genie,
Und so etwas thut ein Genie
Nie.
Nun will ich dir aber ein Liedlein singen,
Das wird deinen Ohren besser klingen;
Denn ich glaub', du klagst noch über Wunden,
Die ich schon längst hab' überwunden.
Horch:
Und ob dir auch bei jedem Schritt
Die Kleinheit der Menschen entgegentritt,
Und die abgestumpften Philisterseelen
Dein schönheitfrohes Gemüth zerquälen,
O lach' sie aus,
Mit blutendem Herzen lach' sie aus.
Glaub' mir, sie sind es nimmer werth,
Daß Gram darob dein Herz beschwert.
Blick auf die Herde nur im Gefild,
Da findest du ganz ihr Ebenbild;
Denn die Philister, die sind wie
Auf der Weide das Rindvieh.
Grasen
Ruhig weiter ab den Rasen,
Treffen sie eine Blume dann,
Glotzen sie sie verwundert an,
Brummen,
Daß man sie nicht fressen kann.
[36]
Und der dritte darauf begann
Mit einer Stimme, deren Klang
Seltsam den Hörern zu Herzen drang:
Wer in der Kindheit glücklich war,
Der ist gesegnet für immerdar.
Er kann und wird nicht sterben an Wunden,
Er will und wird immer wieder gesunden,
Er ist gewappnet und bleibet so
In allem Elend wunderfroh.
Ein schönes Recept, der zweite sprach,
Nur Schad' ist und wird es ewig bleiben,
Kein Erwachsener kann es sich mehr verschreiben. –
Du sollst aber nun einen Preis zustellen
Und über zwei Lieder ein Urtheil fällen.
Da rief der erste: Vor allen Dingen
Sollst du selber ein Lied erst singen,
Denn du siehst vor dir zwei Poëten,
Wenn sie auch lieber pfeifen als flöten.
Wer über Dichter will ein Richter sein,
Der muß selber zuerst ein Dichter sein.
Drum sprich zuvor und bekenn' es frei,
Wie hältst du's mit der Poëterei?
Hast du sie schon an den Nagel gehängt,
Sei dir auch dein Kritiker-Amt geschenkt.
[37]
Und darauf der dritte sprach:
Die Poësie,
Was wär' die Welt und das Leben ohne sie!
Sie ist ein Kleinod in großer Noth,
Gegen alle Krankheit, die uns bedroht,
Ein Zaubermittel selbst gegen den Tod.
Wie ein Spiegel ist beglückt,
Vor dem sich ein liebliches Mädchen schmückt,
Wie unter Thränen eine Blume lacht,
Wenn sie ein Sonnenstrahl thaufunkelnd macht,
So hat dem Sänger ein Gott voll Mitleidsbeben
Für allen Jammer in seinem Leben
Dies Eine gegeben,
Daß er am Schönen satt sich sauge,
Und alles, was köstlich ist, siehet sein Auge,
Davon sein Lied auch wiederklang.
So ihr höret den Sang,
Es bewegt euch die Seele tief und bang'
Mit Wonn' und Weh, mit Lust und Leid,
Und euer Herz wird weich wie zu der Zeit,
Da der Frühling thauet,
Und der Himmel blauet
Und ihr die ersten Veilchen schauet.
Ihr wollt ein Lied, wohlan, es sei,
Ich hab' nur eins, ich sing' es frei,
Wird mir zu Sinn' nicht wohl dabei.

[38] Halleluja!

Ich ward von Groll und Gram verzehrt,
Die Welt schien mir verachtungswerth,
Ein Frauenbild hat mich bekehrt.
Da sie zuerst mein Auge sah,
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Aus tiefstem Herzen rief ich da
Halleluja!
Seitdem dünkt mir an Glück so reich
Die Welt, getröstet auch zugleich,
Und alles Harte mild und weich.
Ich seh' den Jammer und den Schmerz,
Ich seh' das Elend allerwärts,
Ich wein' und dennoch ruft mein Herz
Halleluja!
Mit solchem Zaubertalisman,
Der Wunder hat an mir gethan,
Blick' ich im Leben himmelan.
Mir ist so worden hell und licht,
Wenn jetzt im Tod mein Auge bricht,
Ich rufe doch und fürcht' mich nicht:
Halleluja!
Hier hielt der Märchenerzähler inne. –
Und der Versammlung war ganz seltsam zu Sinne.
[39]
Wie ein Windhauch im Schilf geht von Rohr zu Rohr,
So ging ein Geflüster von Ohr zu Ohr,
Und von allen Lippen klang es da
Unbewußt: Halleluja!
Der Erzähler fuhr fort:
Eine Weile war's still nach diesem Lied,
Dann rief der erste, von Spott durchglüht:
Wie kommst du mir vor?
Hat dich Amor am Ohr?
College du,
O sieh doch zu,
O hilf ihm doch, o große Noth!
Der ärmste liebt und härmt sich todt.
Der zweite macht ein Grimassengesicht
Und spricht:
Was ich ihm sagen kann, ist nicht viel.
Es ist die Lieb' ein Trauerspiel,
Mit Narrheit wundersam gepaart,
Eine Komödie von solcher Art,
Wie der Marder den Mörder im Taubenhaus spielt,
Wie die Katze den Liebhaber einer Maus spielt.
Da rief der erste gut gelaunt
Und ganz erstaunt:
Hopsa, mein Held! bist du auch in Schwermuth?
Deine Worte sind ja der wahre Wermuth.
Wie kann man so pudelnärrisch sein?
[40]
Ich sage nein!
Liebe ist lieblicher denn Wein.
Die sind es eben, die Weisheit üben,
Nur die leben, die da lieben.
Mit dem Spruch bin ich heiter geblieben bislang,
Und so will ich weiter lieben mein Leben lang.
Darauf vom zweiten die Antwort klang:
Bist doch noch ein kindischer Ritter,
Kennst nicht den Spruch: Das Weib ist bitter!
Den sprach eine Weisheitszunge.
Geh' in die Schule, lieber Junge,
Lerne da,
Vielleicht singst du auch Halleluja.
Gott segne deine Studia!
Dabei legt er die Händ' ihm auf den Kopf;
Der aber, nicht faul, faßte jenen am Schopf,
Und so schnell Einer zieht ein Schwert aus der Scheide, –
Prügelten sich beide.
In diesem Augenblick fuhr von der Thür' heran
Ein Mann,
Ergriff die Laute von der Bank und mit klingendem Getos
Schlug er auf die sich Prügelnden los
Mit ritsch und ratsch,
Und klitsch und klatsch,
Daß die beiden auseinanderstoben im Hui und im Nu,
Und der dritte sah ganz erschrocken zu. –
[41]
Das war der Lehrer,
Der Prügelbescherer,
Der seit den letzten Worten in der Thür thät stehn
Von den dreien im Zimmer ungesehn.
Der wischte sich jetzt, vom Schlagen noch heiß,
Mit dem Aermel aus der Stirn den Schweiß,
Dann
Holt er tief Athem und begann:
O ich armer, geschlagener Mann!
Kaum kann man drehen von hier den Rücken,
So muß man sehen neue Tücken.
Ihr Buben!
Ihr Beelzebuben!
Was war's denn nun? was fuhr euch wieder
In die Glieder,
Daß ihr euch hier die Hälse brecht?
Thut auf das Maul, redet, sprecht!
Da fingen sie beide zu gleicher Zeit
An, zu erzählen von ihrem Streit.
Aber der Lehrer rief ganz empört:
Unerhört!
Wie, über die Liebe fragt ihr euch,
Und darüber schlagt ihr euch?
O ich armer, geschlagener Mann!
Mit solchen Buben, was fängt man an?
[42]
Ob ihr's nun gleich verdienet habt,
Daß ihr heut mit nichts Anderem werdet begabt,
Als daß man euch mit Prügel labt,
So will ich doch sagen jetzt: Freuet euch.
Und abermals sag' ich: Freuet euch.
Höret zu, was euch soll frommen.
Ihr habt gewißlich schon vernommen,
Daß demnächst in die Stadt wird kommen
Vom Süden her ein fürstliches Brautpaar.
Nicht? so thu ich's euch jetzt verlautbar.
Sie sollen von der Stadt mit Festlichkeit
Empfangen werden in Köstlichkeit,
Dazu ihr drei ausersehen seid
Beizutragen; so macht euch bereit
Zu guter Zeit.
Es wird aber ein Vetter der Braut mit ziehen ein,
Ein Bischof, der erfüllet den Spruch gar fein:
Ihre Heiligen sollen fröhlich sein.
Es ist einer, der da liebt Scherz und Tand
Und dabei giebt mit Herz und Hand.
Vor dem sollt ihr beide zuerst, ihr Rangen,
In einem lustigen Wettkampf prangen,
Mit einem Narrengespräch
Von echtem Gepräg',
Mit einem komischen Turnier,
Davon ich ein Mehres euch sage hier:
Als Aufrichter und Niedermacher,
[43]
Als Fürsprecher und Widersacher,
Mit Rede und Gegenrede,
Mit Fehde und Gegenfehde
Sollt ihr mir fest im Kampf stehn beede.
Von diesen Kampfregeln aber haltet mir jede:
Um die Wahrheit sollt ihr mir nicht herumgehn
Und mit Schmeichelworten sollt ihr nicht umgehn;
Aber immer sei eure Rede, die scharfe,
Ein Saitenklang von einer Harfe. –
Pflüget ein Neues
Und säet nicht unter die Hecken
Und laßt euch vom richtigen Wege nicht schrecken.
Löschet nicht, was schon erloschen
Und dreschet nicht, was schon abgedroschen.
Nicht auf Gräber sollt euren Sitz ihr setzen,
Am Lebendigen sollt euren Witz ihr wetzen,
Allen Verständigen zum Ergötzen.
Jach und gelinde,
Gemach und geschwinde
Sollt ihr segeln bei gutem und schlechtem Winde.
Seid nicht zu plump und gradheraus;
Nur ein Tölpel fällt mit der Thür ins Haus,
Und schüttet alles auf einmal aus.
Dies Gleichniß merkt euch für den Witz:
Was ist schneller als der Blitz,
Und doch durchläuft er seine Pfade
Im Zickzack und nicht gerade.
[44]
Ging' er gradewegs so eilig,
Würd' er langweilig.
Von seltenen Sprüchen werd' euer Schatz nie leer:
Denn der Weise theilt aus und hat immer mehr,
Der Thor aber karget und wird immer ärmer.
Thut kund vor aller Welt euer Thorheitsbekenntniß
Und eures Narrenthums Eingeständniß,
Und doch muß euer Narrenduett unisono
Uebereinstimmen an Weisheit so,
Als ob da spräche frei und froh
Die Königin Saba mit Salomo.
Es entbehre der kostbaren Früchte nimmer;
Von diesen aber gebet, weil doch immer
Für die einen ist verloren, was die andern haben gern,
Die Schaalen für die Thoren, für die Klugen den Kern.
Den Närrischen muß es bloß Klingklang bedeuten,
In Wahrheit aber ein Glockenläuten,
Das zum Gebet die Gedanken ruft der Gescheuten. –
An Fülle des Klanges sei euer Werk
Ein blitzendes, flimmerndes Feuerwerk,
Wo die Reime wie strahlende Sterne sich zeigen
Und die Witze auf als Raketen steigen,
Daß alle Umstehenden euer Lob posaunen,
Und alle es Sehenden stehen und staunen.
Aber habt mir wohl Acht, daß euer jeder Witz,
So scharf wie spitz,
[45]
Sei zu etwas nütz;
Und so das Ganze sei vielhaltig,
Vielgestaltig
Und mannigfaltig,
Im Aeußern bunt,
Im Innern gesund,
An Gedanken blühend
Und Funken sprühend
Und beredt und behende
Von Anfang bis Ende.
Nun lasset mich euch noch ein Wörtlein sagen,
Das sollt ihr tief im Herzen tragen:
Ich hab' aufgeschlossen euch klar und hell
Der deutschen Sprachkunst Wunderquell,
Daß ihr nun daraus schöpfet mit vollen Krügen
Und trinket daraus in vollen Zügen.
Aber ihr sollt mir davon keinen Mißbrauch machen,
Sondern nur einen Nießbrauch machen,
Um die bittere Wahrheit süß zu machen
Und den Hörern zur Freude, zum Jubel und Lachen.
Ich kann zu euch sagen was ein Sprüchlein spricht:
Gold und Silber hab' ich nicht,
Was ich aber habe, das gab ich euch.
Bewahret es wohl, so seid ihr reich,
So habet ihr einen Hochgenuß,
Den der höchste im Land' euch neiden muß. –
Drauf wendet er sich dem dritten zu:
[46]
Aber du,
Der sich selbst hält für auserlesen,
Dessen Lehrer ich nicht gewesen,
Du Träumer!
Du Säumer!
Was sinnst du?
Was spinnst du?
Und was beginnst du?
Ueber welch Rätsel denkst du nach?
Liegst du brach,
So will ich Aussaat stecken in deinen Acker,
Schläfst du, so will ich dich wecken wacker.
Der sah ihn an. –
Der Lehrer wandte die Augen ab
Und fuhr fort.
Hör' dies Wort:
Willst du in der Dichtkunst sein ein Prinz,
Und nicht wie die andern ein Kunz und Hinz,
Deinen Voraus-Anspruch verbanne ihn,
Hier ist der Bogen, spanne ihn.
Wirst du treffen, so wollen wir glauben
Und werden dir deinen Ruhm nicht rauben.
Horch aber auf,
Es steht dir ein hoher Preis zu Kauf.
Wenn da wird zu schaun sein und zu sehn
Welches ist herrlich, köstlich, lieblich und schön,
Wenn das Volk einem Erwählten wird entgegengehn
[47]
Mit Pauken, mit Freuden und mit Geigen,
Dann sollst du dich zeigen
Mit einem Lied, das loben soll des Spruches Wahl:
Wie ein Rubin in seinem Golde leuchtet,
Also ziert ein Gesang das Mahl.
Für die Ausführung geb' ich dir dies Vermächtniß,
Präg' es tief in dein Gedächtniß:
Was dein Gemüth erfüllt, das klage!
Was aus dem Herzen quillt das sage! –
Echt und gewichtig,
Recht und richtig
Muß dein Sang sein und nicht nichtig.
Das Weltall muß darinnen wehn,
Und jede Zeile zum Ganzen stehn
Wie im Weizenfeld ein gefüllter Halm,
Wie im Psalter ein Psalm.
Und das Ganze muß sein ein Vorwärtsstoß,
Eine neue Welt bergend in seinem Schooß,
In Form, in Inhalt tadellos
Und an Adel groß,
Trostreich tief, klar und klingend,
Wahr und gleich ins Herze dringend,
So wird nachhaltig
Seine Wirkung sein und gewaltig.
Und was du so willst wagen,
Ernst froh willst sagen,
Es ist dir schon vorgesagt von der Natur,
Find' es nur! –
[48]
Dann faltet er die Hände und betet andächtig,
Seufzend aus tiefstem Innern und mächtig:
O du himmlischer Vater, und all ihr Heiligen!
O wollet euch gnädig an dem Werke betheiligen
Und lasset doch die verdammten Rangen
Einmal zu etwas Gutem gelangen,
Davon auch für uns was her sich schreib'
Und übrig bleib',
Auf daß man die Sorgen von sich treib'
Und stärken könne seinen sündigen Leib.
Vor allen Dingen aber bitt' ich dich, Herr, befrei' uns
Von dem phrasensprühenden Gottseibeiuns,
Der da ist hungrig bei uns gestern wie heute,
Der da frißt Vieh und Volk und Land und Leute
Mit Disteln und mit Dörnern,
Mit Haut und Haar und Hörnern.
Wollest du bald doch, o Herr, mit seinem ganzen
Pack von Modenamen und Schranzen
Einen gedeihlichen Kehraus tanzen,
Oder uns in Gnaden das Amt gewähren,
Mit gutem Besen sie auszukehren,
Daß sie schreien Zeter und Mordio,
Drob werden sein die Engel im Himmel froh.
Sie hängen ja zusammen mit ihren Weihrauchketten
Wie die Kletten.
Wie lange noch sollen wir uns gedulden,
Ihnen heimzuzahlen ihre Schulden?
[49]
Sieht man die Verblendung, die sie führen herbei,
Es frißt einem schier das Herz entzwei,
Und der trotzigste Mann muß schluchzen und weinen,
Als wie man ein Erz schmilzt aus Steinen.
So sprach er und ging,
Und seine Bewegung war nicht gering,
Und Thränen rannen ihm, wie er sprach,
Und alle drei sahen ihm verwundert nach.
Der Erzähler schwieg. –
Da erhob sich im Saal ein Gesumm und Gesause,
Ein Gebrumm und Gebrause
Wie bei den Schulkindern in der Pause.
Ein Jeder zischelt dem Nachbar leis
Sein Urtheil zu, so Tadel wie Preis.
Der Schah auf dem Throne sinnend saß
Und schier weiter zu rauchen vergaß.
Und es war Dämmerung geworden innen.
Eine Schaar von Dienern und Dienerinnen
Eilten geschäftig und zündeten dann
Die krystallenen Kronleuchter an.
Wie nun die Kerzen im Saale niederstrahlen
Und in allen Spiegeln ihr Flammenbild malen,
Da ward Thee gereicht und Scherbet in Schaalen.
[50]
Der Erzähler aber, während er schlürfte den Trank,
Ließ seinen Blick streifen den Saal entlang,
Bis er haften blieb auf der Wandmalerei,
Wo Schah Abbas empfängt Abdul-Mumin-Bey,
Wo sich ein glänzendes Bild des Hofstaats breitet,
Und der Narr auf einem Höfling reitet. –
Dann in die Vorhalle zurück
Ging sein Blick,
Wo er dem Murmeln der Springbrunnen lauscht,
Das leis wie ein Regen rieselt und rauscht.
Aber dazwischen
Hört er's tönen aus den Gartenbüschen,
Wo Vogelstimmen klangen
Und süße Sänger sangen
Und durch die Fenster drangen der Nachtigall Klagen,
Auf den Wogen des Wohllauts hereingetragen.
Der Schah auch trank und nickte dann,
Und der Erzähler den Faden weiter spann.

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TextGrid Repository (2012). Jacoby, Leopold. 3. Die Scene im Schulzimmer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8BC1-0