[11] Rousseau

Wie eng begrenzt ist unsere Tageszeit.
Du warst und sahst und stauntest, schon Abend ists,
Nun schlafe, wo unendlich ferne
Ziehen vorüber der Völker Jahre.
Und mancher siehet über die eigne Zeit,
Ihm zeigt ein Gott ins Freie, doch sehnend stehst
Am Ufer du, ein Ärgernis den
Deinen, ein Schatten, und liebst sie nimmer,
Und jene, die du nennst, die Verheißenen,
Wo sind die Neuen, daß du an Freundeshand
Erwarmst, wo nahn sie, daß du einmal,
Einsame Rede, vernehmlich seiest?
Klanglos ists, armer Mann, in der Halle dir,
Und gleich den Unbegrabenen, irrest du
Unstät und suchest Ruh und niemand
Weiß den beschiedenen Weg zu weisen.
Sei denn zufrieden! der Baum entwächst
Dem heimatlichen Boden, aber es sinken ihm
Die liebenden, die jugendlichen
Arme, und trauernd neigt er sein Haupt.
Des Lebens Überfluß, das Unendliche,
Das um ihn und dämmert, er faßt es nie.
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Doch lebts in ihm und gegenwärtig,
Wärmend und wirkend, die Frucht entquillt ihm.
Du hast gelebt! auch dir, auch dir
Erfreuet die ferne Sonne dein Haupt,
Und Strahlen aus der schönern Zeit. Es
Haben die Boten dein Herz gefunden.
Vernommen hast du sie, verstanden die Sprache der Fremdlinge,
Gedeutet ihre Seele! Dem Sehnenden war
Der Wink genug, und Winke sind
Von alters her die Sprache der Götter.
Und wunderbar, als hätte von Anbeginn
Des Menschen Geist das Werden und Wirken all,
Des Lebens Weise schon erfahren,
Kennt er im ersten Zeichen Vollendetes schon,
Und fliegt, der kühne Geist, wie Adler den
Gewittern, weissagend seinen
Kommenden Göttern voraus,

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hölderlin, Friedrich. Gedichte. Gedichte 1800-1804. [Oden]. Rousseau. Rousseau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7AC8-B