[25] Das Kennzeichen der Untreue

Amor fliegt mit Schmetterlingen,
Um in frohem Wechselstreit
Sich den Preis der Schnelligkeit
Vor den Thierchen zu erringen:
Doch er fällt aus Müdigkeit
Schnell in einen Bach und schreyt.

Ich Jüngling lief eilig hinzu, hob ihn sanft aus dem Wasser, und trocknete seine nassen Flügel, und erwärmte ihn an meinem Busen. Nun dankte mir Amor freundlich, und sprach: Lieber Jüngling, womit soll ich deine Großmuth vergelten? – Erhalte mir meine Chloe getreu, antwortete ich – O Jüngling, rief er, was bittest du? Steht es in der Gewalt des Amors, die Liebe in den Herzen der Mädchen einzuschränken? Da schlug ich die Augen nieder, und seufzete, und Amor hörte den Seufzer, und floh bekümmert auf Flügeln der Weste von mir hinweg.


Nicht lange, so kam Amor lautlachend wieder zurück, von funfzig Liebesgöttern begleitet, [26] die eine schwere Last durch den Olymp trugen.


An jedem Zipfel keichten zehn,
Und an der Mitte keichten zehn,
Und alle, – lustig wars zu sehn –
Verirrten sich in dieses Dinges Falten,
Und schrien, sie würden es nicht halten.

Es war der Gürtel der Venus, leicht, wie ein Seiden-Gewebe. Hier! sprach Amor, ich will dein Mädchen schön bilden, wie die Unsterblichen sind.


Kein Mädchen soll ihr auf der Erden
Je gleich gewesen seyn, noch werden.
Aus diesem Gürtel schenk ich ihr –
(Denn dazu lieh ihn Venus mir)
Der Seele schönsten Sitz, die schönsten Augenlieder!
In ihnen Majestät, Gefühl,
Vertraulichkeit und Scherz und Spiel.
Ihr Auge blicke sanft auf deine Flammen nieder;
Nicht Argwohn, Wildheit, Ungestüm,
Die süße Freude blick aus ihm.
Schamhaftigkeit soll auf den Wangen,
Und Edelmuth soll auf der Stirne prangen –

[27] Höre auf, unterbrach ich ihn, mir die Schönheiten des Gürtels zu zeigen. Mein Mädchen besitzt sie alle, ob sie gleich nicht unsterblich ist. – Aber was ist dieß da, das wie ein Gott des Lachens unter den Schönheiten hervorstralt? Es ist das buhlerische Gelächter, antwortete der Gott, welches die Königinn von Cythera annahm, als Mars sie den Mulciber täuschen half. – Das, rief ich, will ich mitnehmen, und Chloen zeigen, damit sie sich vor der Untreue fürchte.

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TextGrid Repository (2012). Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von. Gedichte. Tändeleyen. Tändeleyen. Das Kennzeichen der Untreue. Das Kennzeichen der Untreue. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D508-1