Bruno Ertler
Anna Iwanowna
Ein Schauspiel in drei Akten und einem Vorspiel als Oper vertont von Konrad Steckl

[127] Ein Stückchen Weltkomödie
Zur Aufführung des Schauspieles »Anna Iwanowna«

Das Erbe des großen Zaren Peter I. († 1725), der die Entwicklung seines Volkes und Staates mit gewalttätigem Eifer vorwärtstrieb, fand keinen Nachfolger, der das riesige Werk mit gleicher Kraft weitergeführt oder auch nur klug verwaltet hätte. Schon unter der kurzen Regierung seiner Gattin Katharina I., die ihren Günstling, den Fürsten Mentschikoff, willkürlich schalten und walten ließ, und noch mehr während der kaum dreijährigen Herrschaft seines Sohnes Peter II. hoben die Gegner der petrinischen Reformen immer kühner ihr Haupt, und als der vierzehnjährige Zar, durch wilde Ausschweifungen früh verbraucht, am 31. Jänner 1730, von einem hitzigen Fieber rasch dahingerafft, starb, standen sich ganz offen zwei Parteien zum Kampfe um den Zarenthron gegenüber. Die Altrussen wollten die einzige noch lebende Tochter Peters des Großen, die schöne, aber sittlich arg verwilderte Großfürstin Elisabeth Petrowna auf den Thron erheben und das Reich von Moskau aus ganz im alten Geiste der Bojaren regieren.

Die Gegenpartei, die streng an den Neuerungen Peters festhielt und wegen ihrer westlichen Neigungen auch die »deutsche Partei« hieß, war jedoch schneller am Werk: Schon am 4. Februar 1730 traf eine Abordnung aus Moskau in der kurländischen Hauptstadt Mitau ein und trug der dort regierenden Anna Iwanowna des Reiches Krone an.

Diese Herzogin Anna war eine Nichte des großen Peter, der sie in ihrem achtzehnten Lebensjahr kurzerhand an den Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen vermählt hatte. Der Prinz, der zugleich Herzog von Kurland war, starb zwei Tage nach der Hochzeit, wie es heißt, an den unmittelbaren Folgen des gewaltigen Rausches, den ihm der Zar durch unermeßliches Zutrinken förmlich anbefohlen hatte. Ob historisch oder nicht – Peter dem Großen wären solche Gewaltstücke ohne weiters zuzutrauen gewesen.

Die jugendliche Witwe nun richtete sich in ihrer Residenz Mitau nach ihrem Sinne ein. Sie strebte nach westlicher Kultur, d.h. sie lernte einmal ordentlich lesen und schreiben und ließ sich mit Vorliebe von ihren Damen und Kavalieren französische Romane vorlesen.

So war auch einmal der junge Fürst Anatol Galizyn mit dem Ehrenamte des Vorlesens betraut worden, und es geschah, daß sich die Herzogin in den schönen, ungebärdigen Menschen rettungslos verliebte. Sein Herz aber zog ihn nicht zu ihr, sondern in die Welt hinaus, in Taten und Abenteuer und, als die verliebte Herzogin Miene machte, ihn mit Gewalt festzuhalten, brannte er einfach durch. Vergebens war [127] ihr Toben und Weinen – der schöne Kavalier blieb verschollen; und es heißt, daß die Verlassene sich schließlich aus Trotz und, um sich zu betäuben, in die Arme des Nächstbesten geworfen habe.

Ob dies nun der Grund war oder nicht: Sicher ist, daß Anna Iwanowna ihren ehemaligen Stallmeister und späteren Kammerdiener Johann Biron, einen Abkömmling aus niederem, preußischem Adel, zu ihrem Günstling erhob und nach und nach, als sie Zarin geworden war, zum Grafen, Fürsten und schließlich zum Herzog von Kurland machte. Dieser rohe, grausame, aber auch kraftvoll überlegene Mann beherrschte die Zarin unbedingt und durch sie das weite russische Reich, dessen Kerker und Eiswüsten er rücksichtslos! mit seinen Gegnern füllte. Nur die Deutschen, vor allem der Kanzler Graf Ostermann und die Marschälle Münich und Löwenwolde, konnten sich neben ihm behaupten, den Russen aber war er ein Dorn im Auge und die Verschwörungen und Intrigen gegen ihn und die Zarin nahmen in den zehn Jahren ihrer Regierung (1730-1740) kein Ende. Besonders in den letzten Jahren flammte es bald da, bald dort bedrohlich auf, und wenn die Anschläge dennoch stets vereitelt wurden, so war das meist nur der Wachsamkeit von Konkurrenzverschwörungen zuzuschreiben, die Gleiches anstrebten.

Kurz: Der russische Hof tanzte auf einem Vulkan, als im Winter 1739 plötzlich die Kunde eintraf, Fürst Anatol Galizyn sei nach fast zehn Jahren Fremde unvermutet heimgekehrt. Wie die Zarin diese Nachricht aufnahm, ist nicht näher bekannt; daß aber die alte Leidenschaft in rachsüchtiger Flamme wieder aufzuckte, als sie erfuhr, der Ungetreue habe sich im Auslande römisch-katholisch verheiratet, kann man aus dem Folgenden entnehmen:

Sie ließ den Fürsten sofort gefangennehmen, seine Frau auf die Straße werfen, wo sie spurlos umkam, und vermählte den einst geliebten Mann mit einer alten, buckligen Waschfrau. In einem Eispalast, der eigens zu diesem Zwecke auf der festgefrorenen Newa kunstvoll erbaut wurde, fand die Hochzeit statt. Dabei nun soll die Zarin insofern betrogen worden sein, als die alte Wäscherin, die an der Gicht darniederlag, ihre schöne, junge Tochter unter die Brautvermummung steckte und zur Zarin sandte. Erst am andern Morgen merkte Anna den Betrug, ließ die arme Eisbraut sofort töten und machte den Fürsten Galizyn zur Strafe zu ihrem Oberhofnarren. Er mußte ein Federkleid tragen, auf einem Eierkorb sitzen und durfte bei Todesstrafe kein Wort sprechen, sondern nur gackern und krähen.

Wie lange er dies aushielt, ist nicht bekannt. Die Zarin Anna aber starb einige Monate nach dieser Aufregung, nachdem eine weitverzweigte Verschwörung des Grafen Artenau Wolinski knapp vor ihrer Ausführung entdeckt und durch grausamste Strafen vernichtet worden war.

[128]

Personen im Vorspiel

Personen im Vorspiel.

    • Die Herzogin Anna Iwanowna von Kurland.

    • Fürst Kurakin.

    • Artenau Wolinski.

    • Fürst Anatol Galizyn.

    • Johann Biron.

    • Ein russischer Offizier, Garden, Hofchargen, Priester.

Personen des Stückes

Personen des Stückes.

    • Die Zarin Anna Iwanowna.

    • Johann Biron, der Herzog von Kurland.

    • Der Kanzler Graf Ostermann.

    • Fürst Kurakin.

    • Fürst Anatol Galizyn.

    • Maria Fürstin Galizyn.

    • Graf Artenau Wolinski.

    • Graf Platen Mussin-Puschkin.

    • Der Kabinettssekretär Johann Eichler.

    • Der Hofmarschall Graf Löwenwolde.

    • Fürst Trubetzkoj.

    • Peter Jeropkin.

    • Andrei Chruschtschow.

    • [129] La Costa,
    • Pedrillo,
    • Apraxin,
    • Balakyrew, Hofnarren.

    • Der Stallmeister.

    • Zwei Zeremonienmeister – Ein Lakai – Garden – Kosaken – Pagen – Diener – Herren und Damen des Hofes – Festgäste – Masken – Heiducken.

Das Vorspiel

Im herzoglichen Palais zu Mitau. Hinterbühne um drei Stufen erhöht.
Eingänge rechts und links. In der Mitte ein breites Fenster, durch das man eine verschneite Parklandschaft sieht.
Vorderbühne mit Möbeln im Stile Louis XIV. Tischchen und Sitzmöbel. – Eingang links vorn. – Farben hellbraun und silbern. – Die ganze Bühne ist mit Rosen übersät – überall stehen höhere und niedere Rosensträucher, die rote und rosenfarbene Blüten tragen. – Wintervormittag.
Johann Biron, ein Mensch von etwa dreißig Jahren, hoch und kräftig, mit unruhigen, bald servilen, bald anmaßenden Gesten und flinken, lauernden Augen, ein Emporkömmling, der jetzt noch geschmeidig lächelt, um später brutal seinen bösen Trieben zu frönen, ein Lakai mit der Gestalt und den Anlagen eines Gewaltherrschers, der jetzt noch das Gewand des ersten Kammerdieners trägt, kommt schnell und lautlos von links vorn, sieht sich mit einem raschen Gewohnheitsblick nach allen Seiten um und winkt hinter sich.
Fürst Kurakin, ein großer, massiger Kavalier von vierzig bis fünfzig Jahren, dem der Alkohol bereits
Zeichen beginnenden Verfalls aufprägte, folgt ihm nach. – Er trägt das Kostüm eines französischen Schauspielers, eine Verkleidung, in der er sich nicht recht heimisch fühlt. Jeden Augenblick kommt denn auch in seiner Art, zu sprechen und sich zu geben, der russische Gewaltkerl durch, der mit der Peitsche in der Hand zu verhandeln gewohnt ist.

KURAKIN.

Ich werde es Ihnen nie vergessen, daß Sie mich hieher führten – – Sieht die Rosen; lachend. Hehe! Wo sind wir denn da –? Tappt nach einer Rose.

BIRON.
Geben Sie acht, Monsieur! Wenn Sie einer den Hals brechen, kann das auch Ihrem Hals passieren!
KURAKIN.
Hehe! Sollte das so gefährlich sein –?
BIRON.

Sehr gefährlich! Sie ahnen nicht, was ich gewagt habe, Sie überhaupt hier einzulassen. Näher. Noch einmal, Monsieur: Sie haben nichts von Politik im Sinn?

KURAKIN
der ihm am liebsten eine Ohrfeige geben möchte.

Wa –?! Faßt sich. Ich sagte Ihnen doch schon alles. Aber nun möchte ich des weiteren Ihre Zeit nicht stehlen. Ich glaube, daß ich die Herzogin nun selbst für meine Sache gewinnen kann.

BIRON
trocken.
Das glaube ich nicht.
KURAKIN.
He –?
BIRON.

Ich glaube nicht, daß die Fürstin im gegen wärtigen Augenblick für das französische Theater zu begeistern ist.

[131]
KURAKIN.
Man sagt mir aber, gerade hier am Hofe zu Mitau hätten jederzeit die Musen das erste Wort.
BIRON
lauernd.
Wer sagte Ihnen das?
KURAKIN
glatt.
Es ging davon die Rede in den Künstlergarderoben zu Versailles.
BIRON
wie oben.

Zu Versailles –? Ist's möglich –?Kleine Pause. Es kann sein, daß die Musen einmal hier das erste Wort hatten – solange andere Götter nicht mit lauter Stimme sprachen.

KURAKIN.
Ich weiß nicht Bescheid in Eurem Himmel – was für Götter, möchten das wohl sein?
BIRON
seufzt.
Ein anderer!! Nur einer.
KURAKIN.
Doch nicht gar der Kriegsgott?
BIRON.
Ich wollt', er wär es!
KURAKIN
tastend.

Ein feinerer –? Ein zarterer Gott? Biron schweigt. Ein Göttchen – mit Flügeln – he –? Mit Pfeil und Silberbogen –? He –?

BIRON
plötzlich.
Hab ich ein Wort gesagt –?!
KURAKIN
lächelt.

Nein, mein Freundchen. Kein Wort! Kein Wort. Gewiß nicht. Sie haben das Geheimnis der Herzogin Anna nicht verraten.

BIRON
platzt heraus.

Weil es kein Geheimnis gibt! Weil jedermann sehen muß, wie dieser ganze Hof schon seit Wochen und Monaten in rosenrotem Lichte schimmert! Die ganze Welt wird einfach vor die Tür gesperrt und mitten im Winter muß ein Rosengarten blühen – denn die Herzogin liebt! Setzt den Kriegsgott wie die Musen auf Ruhesold und lebt überhaupt nur noch in französischen Romanen – –

KURAKIN.
Nun also –
BIRON.

– nicht in Tragödien! In Romanen, sagte ich. Und zwar auch nur dann, wenn sie durch die Stimme des Fürsten Galizyn lebendig werden!

KURAKIN.
Romane –? Fürst Galizyn?
BIRON.

Machen Sie sich keine Hoffnung, Herr! Hier kommen Sie nicht auf, und wären Sie der selige Monsieur Molière selbst mit allen seinen Komödien. – Durchbrechend. Hier gilt nur dieser Schmeichler, dieser Süßholzraspler! Nur er! Nur seine Stimme! Ich glaube, er könnte ebenso gut eine Litanei beten oder von eins bis tausend zählen, die Herzogin würde es gar nicht bemerken und am Ende ganz begeistert »Bravo!« rufen.

KURAKIN
lächelt.
Nun – nun – vielleicht doch nicht – –
WOLINSKI
in Hoftracht, das bewegliche, kluge, hinterhältige Gesicht immer mit diplomatischem Lächeln maskiert, ein Mann von etwa 45 Jahren, von vollendetem Auftreten, undurchdringlich, [132] nie außer Form, aber auch nie frei.

Man sieht es ihm an, daß er Palastgemächer so gut wie Gefängnisse kennt, mit dem Zaren an einem Tisch gesessen, aber auch schon unter seiner Knute geblutet hat. Er ist mehr Opfer als Herr seines maßlosen Machttriebes, was er in seltenen Augenblicken schaudernd fühlt. – Er tritt von der Galerie links auf und bemerkt die beiden Anwesenden. Ein Lächeln legt sich über sein glattes Gesicht. Er wendet sich an Biron. Ah – hier ist Er ja –

BIRON
verschreckt abwehrend.
Exzellenz –
WOLINSKI.
Keine Angst. Ich weiß schon. Ich wollte Ihm nur sagen – – doch Er ist hier nicht allein.
BIRON
auf Kurakin weisend.

Ein Mime vom Hof Seiner französischen Majestät. Monsieur – de – daß ich den Namen nicht behalten kann – –

KURAKIN
verneigt sich vor Wolinski.
Der bescheidene Name de Caille wird Eurer Exzellenz nicht viel sagen.
WOLINSKI
kommt näher.

Doch, den Namen hört ich schon. Man spricht von Ihnen, Monsieur, am Hofe von Moskau. Sie haben die Absicht, vor der Herzogin von Kurland aufzutreten? Ist Madame de Mappier mit von Ihrer Truppe –?

KURAKIN
leicht verwirrt.
In der Tat. Exzellenz verblüffen mich –
WOLINSKI
lächelt, dann plötzlich zu Biron.

Seh' Er doch nach, ob die Luft noch rein ist. Ich möchte Ihrer Hoheit nicht unvorbereitet in den Weg treten – –

BIRON
mit Verbeugung ab Galerie rechts.
WOLINSKI
nimmt Kurakin am Arm und führt ihn rasch nach links vorn, indem er Biron vorsichtig nachblickt; dann schnell und gedämpft.
Wie war Dein Weg?
KURAKIN.
Ich sah keinen.
WOLINSKI.

Wir sind ihnen zuvorgekommen. Sieht ihn an. Doch lass' dich betrachten! Wahrhaftig! Niemand würde in diesem Komödiantenrock den tapferen Fürsten Kurakin vermuten! Er kleidet dich vortrefflich. – Ich reiste als jüdischer Kaufmann bis vor die Tore von Mitau. – Wie weit bist du?

KURAKIN.
Auf dem besten Weg zur Herzogin.
WOLINSKI
deutet nach rechts.
Durch den da?
KURAKIN.
Durch keinen anderen.
WOLINSKI.
Nimm dich in acht! Die Delgerucki haben hinter jeder Tür einen stehen.
KURAKIN.

Der denkt nicht an sie – nicht an uns – an nichts denkt er. – Er hat einen wehen Punkt im Herzen. Drückt man darauf, so geht sein Mund wie eine Plappermühle. Nun kenne ich die Bande, mit denen Anna Iwanowna gefesselt ist.

WOLINSKI.
Also doch!
[133]
KURAKIN.

Diesmal hast du aber falsch geraten, Väterchen. Nicht Sachsen, nicht Preußen, weder König noch Kurfürst, nichts von Politik! – Liebesbande machen sie für alles taub und blind!

WOLINSKI
lacht kurz.
Ich sehe: Ich bin kein Frauenkenner. Nur immer eines und immer dasselbe. – Und wer?
KURAKIN.
Gleich ihrer zwei.
WOLINSKI.
Der Kämmerling da – und –?
KURAKIN.
Und ein junger Kammerherr, der Romane vorliest.
WOLINSKI.
Ein richtiges Schäferidyll also!
KURAKIN.

Ein Idyll? – Eine Eifersuchtsaffaire! Merkst du, was das für uns bedeutet? Brennende Sinne – blinde Wächter! – Ich glaube, es hätte unserer Vorsicht gar nicht bedurft! Warum treten wir nicht vor die Herzogin hin und sagen ihr: Wir bringen dir den Willen des heiligen Rußland. Es bittet dich, seine Zarin zu sein! – Und dann mag sie uns sagen, was sie denkt.

WOLINSKI
lächelt.

Ein Land will nie – und eine Herzogin denkt nicht. – Das Denken und das Wollen Gedämpft und scharf. ist an uns – und wer nicht wollen kann, der wird gewollt! Wir haben einen Vorsprung, den müssen wir nützen. Wer weiß, wie schnell uns die Gegner folgen?!

KURAKIN
widerstrebend.
Du magst recht haben – – Aber trotzdem: Ich ging lieber geradeaus.
WOLINSKI.

Gerad'aus siegt nur Meister oder Kind. Bei Frauen aber greift auch Gott zur List. Sie haben einen Hohlspiegel im Kopf und sehen Krummes gerade und Gerades schief.

KURAKIN.
An dergleichen habe ich nie gedacht. Ich wollte nur, die Spiegelfechterei wäre schon zu Ende.
WOLINSKI.
Du wirst nicht lange warten müssen. Die Ereignisse treiben uns. Peter ist tot.
KURAKIN
mit Schreck.
Der Zar –? Tot –?!
WOLINSKI.
Er lag im Sterben, als ich abreiste.
KURAKIN.
Gott nehme sich in Gnaden seiner Seele an.
WOLINSKI.

Ich hoffe, Gott hat bessere Dinge zu tun. Diesen Lasterbuben wird er wohl dem Teufel abtreten müssen.

KURAKIN
ernst, den Hut abnehmend.
Es war der Zar –.
WOLINSKI.

Ein schnapstrinkender Bengel war er, der mit seinen vierzehn Jahren im Laster erstickte: Der richtige Sohn einer Bauerndirne und – –

KURAKIN
drohend.
– des großen Zaren Peter!
WOLINSKI.
Auch in meinen Adern kreist das Heldenblut der Narischkyus und Romanows – –!
KURAKIN
schroff.
Und –? Was weiter –!?
WOLINSKI
schweigt betroffen.
[134]
KURAKIN
heftig.
Was weiter? Heraus damit!!
WOLINSKI.
Still. Keinen Lärm!
KURAKIN
ganz nahe, sehr eindringlich.

Ich diene mit jedem Atemzug dem Thron des großen Zaren Peter, der nun der Herzogin Anna gebührt. – Deshalb kam ich her. Um sonst nichts!

WOLINSKI
peinlich berührt.

Was du gleich kollerst, alter Bär! Du kennst mich doch. Du weißt: Mein jähes Blut reißt mich oft in einen Wirbel von Bildern. Welcher ehrliche Mann in Rußland dächte heute anders als wir beide? Pause, da Kurakin verdüstert schweigt, sieht er ihn von der Seite an und ist im folgenden bemüht, den Eindruck der Szene zu verwischen. Sagtest du Liebesbande? – Eifersucht –? Ich will mir das merken, darauf läßt sich bauen. – Wer ist der zweite?

KURAKIN.
Ein Fürst Galizyn –
WOLINSKI
überrascht.
Ein Galizyn? – Laß sehen –Nach kurzem Nachdenken. Jung –?
KURAKIN.
Offenbar noch jung.
WOLINSKI.

Das könnte nur einer der Söhne des Marschalls sein. Etwa – Anatol – – Freilich Anatol Galizyn – deine Mission bekommt eine Aufgabe mehr: Wir müssen den jungen Charmeur zunächst auf gutem Wege fortzubringen suchen. Also halte die Augen offen! Sollte er widerstreben, dann ist er der erste, der – – Geste: weg muß. Doch, du wirst ja sehen.

KURAKIN
fest, etwas abweisend.
Ich werde diesen Weg zu Ende gehen, weil ich ihn begonnen habe. Du sollst nicht klagen dürfen.
WOLINSKI.

Nun, nun, noch immer grämlich? Daß dich ein schnelles Wort so schrecken konnte! Verzeih' mir! Hält ihm die Hand hin.

KURAKIN
nimmt die Hand.
Ich bin Soldat Vergeben mag ein Priester. Hätt' ich dir etwas zu verzeihen – so tät ich's nicht.
WOLINSKI
sieht zuerst in die gerade und regungslos auf ihn gerichteten Blicke Kurakins, versucht zu lächeln, erschrickt vor der steinernen Ruhe des andern, wendet sich, ohne die Hand loszulassen, wie unter einem Zwang ab und sagt bettelnd und gequält.
Bleib du mir –! Bleib du mir –!
BIRON
kommt von der Galerie rechts.
WOLINSKI
sofort gefaßt, lächelnd wie früher.
Was ist –? Zu Kurakin. Pardon, Monsieur! Wendet sich Biron zu.
BIRON
vertraulich.
Ich sah die Herzogin – – sie wandte sich hieher.
WOLINSKI.

Ich danke Ihm. Melde Er mich später, wenn ich Ihm ein Zeichen gebe –. Zu Kurakin. Sie bleiben, Monsieur?

KURAKIN.
Ich gedachte, mein Anliegen selbst vorzubringen, doch sollten Exzellenz früher – – –Geste: Bitte!
[135]
WOLINSKI
lächelnd.

Die Kunst voran – besonders bei den Damen. Die Staatsgeschäfte kommen immer noch zu früh. Neigt sich. Monsieur Caille, ich hätte gerne mich weiter mit einem so vortrefflichen Manne unterhalten – –

KURAKIN
sich neigend.
Exzellenz –!
WOLINSKI
ab in die Galerie links.
KURAKIN
nach kurzer Pause.
Die Fürstin ist allein –?
BIRON.

Ach Herr, – Allein –? So wie Sie schon seit Monaten »allein« ist. Deutet nach rechts. Da – sehen Sie –!

KURAKIN.
Das ist – Fürst Galizyn –?
BIRON.
Ich wollt', er wär es nicht.
KURAKIN
lächelt.
Du bist noch sehr jung, mein Freundchen.
BIRON.
Ich möchte ein Greis sein, daß mein Blut langsamer ginge!

Von der Galerie rechts kommen, ganz langsam promenierend, die Herzogin Anna Iwanowna und Fürst Anatol Galizyn. – Sie ist eine Frau von etwa 25 Jahren, in ihren Bewegungen etwas lässig, im Tonfall der Sprache gewöhnlich ein wenig verschleiert, wie vom Mitschwingen enttäuschter Lebensbereitschaft. Manchmal aber kann alle Weichheit plötzlich verschwinden und dann ahnt man etwas von gefährlicher Leidenschaft in ihr. – Ihr Aussehen entspricht dieser Mischung. Das
Gesicht ist mehr sinnlich als schön, die Jochbögen stark betont und die kleinen, schwarzen Augen von leise mongolischem Schnitt. Auch hat die Haut einen leicht gelblichen Grundton. – Die Herzogin ist in einfacher Tracht und trägt keine Perücke, sondern ihr eigenes tiefschwarzes Haar.
Fürst Anatol Galizyn ist ein ganz junger Kavalier von etwas über zwanzig, ohne mehr, als seiner Jugend entspricht, scheinen zu wollen. Er ist sich seiner Kräfte in keiner Weise bewußt und trägt seine auffallende Schönheit und natürliche Anmut wie ein Kleid, dessen Wirkung er nicht kennt. Manchmal hat er eine zuckende Kopfbewegung, wie etwa ein rassiges Pferd, das in die Stränge beißt, und seine lebhaften blauen Augen sehen über alles hinweg. Er spricht, ohne zu überlegen. Im ganzen ein schönes Tier, das gegenwärtig noch nichts ist als jung, und von dem man noch nicht vorhersagen kann, ob die Bestie oder der Mann in Zukunft herrschen wird. – Er trägt Hoftracht und braune gebundene Perücke. In einer Hand hat er ein kleines Buch, das er zugeklappt hat, wobei ein Finger als Lesezeichen eingeklemmt ist.
Die beiden sehen die zwei Herren, die links vorne stehen, zunächst nicht und bleiben eben ein wenig stehen.
ANNA.
Wie war das mit der Rose –?
ANATOL.

Er meint hier: Niemals welkt die Rose, welche Liebe pflückte. Nur wer die Blumen achtlos bricht, raubt ihre Seele.

ANNA
lacht.
Haha – was für drollige Gedanken!
ANATOL.
Es ist mir unbegreiflich, wie ein Mann dergleichen ersinnen mag.
ANNA.
Es war wohl ein Liebender –
ANATOL.
Ein verliebter Gärtner – aber kein Mann!
[136]
ANNA.
Ein Dichter vielleicht – oder ein Narr – –
ANATOL.
Aber kein Mann – kein Mann!
ANNA
äfft ihm nach.

Kein Mann – kein Mann! – Weshalb nicht? Als ob Männer nie dichteten, liebten oder sonst wie närrisch wären –!

ANATOL.
Mag sein. Aber dann sollen sie's für sich behalten.
ANNA.
Du hast noch nie etwas gedichtet – He –?
ANATOL
lachend.
Nein – wirklich nicht!
ANNA.
Vielleicht bist du der größte Narr.
BIRON
der eifersüchtig dem Getändel folgte, seufzt hier wie ein unterdrücktes Raubtier plötzlich auf.
Ah!
ANNA
bemerkt die beiden, die sich tief verneigen.

Ah –? Unwillig. Was stöhnt da schon wieder? Ich will nicht, daß man hier herumschleicht und Ah! und Oh! seufzt!

BIRON.
Hoheit – – Monsieur de Caille. –
ANNA
sieht Kurakin aufmerksam an.
Was ist das für ein Monsieur? Kommt näher. Ach ja – Sein Mime –?
BIRON.
Wie ich sagte: Monsieur de Caille.
ANNA
zu Anatol.
Da hast du gleich einen, den du nicht verstehst. – Zu Kurakin. Er ist ein Künstler – wie?
KURAKIN.
– der um die Gnade eines Augenblickes bittet – um die Gunst eines Wortes – –
ANNA.
Aus Versailles – wie ich hörte –?
KURAKIN.
Vom Hofe Seiner Majestät des Königs von Frankreich, ja.
ANATOL
lebhaft.
Vom Sonnenhofe – wirklich?
KURAKIN.
Wenn Durchlaucht ihn so kennen –
ANATOL.

Ach, kennen –? Leider nicht! Auf ihn zu. Doch Sie müssen mir erzählen, Monsieur, viel erzählen! Sie haben doch starke Worte und helle Bilder – ja? Ich habe Hunger nach jedem Atemzug der Welt da draußen! Oh, sagen Sie – sagen Sie mir, was ich hier höchstens träumen oder in süßlichen Dichterbüchern lesen kann –!

ANNA
nimmt ihm das Buch aus der Hand, zu Kurakin.

Schreibt man bei euch diese drolligen Geschichten von den liebenden Damen und Gärtnern – und dem andern Gesindl – –?

KURAKIN.
Ich weiß nicht, was Hoheit meinen könnten – –
ANNA.

Ihr müßt sonderbare Menschen sein da drüben, daß ihr alles in Büchern erzählt, was ihr treibt und denkt. Warum tut ihr so etwas?

KURAKIN.
Um andern zur Lust zu dienen.
ANNA.
Mit Büchern? Was für eine Dummheit!
KURAKIN.
– oder zu helfen – –
ANNA.
Wer schwatzt, hilft nicht. – Dichten Sie am Ende auch solche Affairen?
KURAKIN.
Ich nicht, Hoheit. Ich habe es nie versucht.
[137]
ANNA.
Was treiben Sie dann für Künste?
KURAKIN.
Ich führe mit meiner Truppe Tragödien vor.
ANNA.
Warum spielt ihr das? –
KURAKIN.
Indem wir spielen, leben wir ein größeres Dasein.
ANNA.
Ihr tauscht also fremdes Leben um das eigene ein. Ist euch das eigene so gering?
KURAKIN.

Wir tauschen nicht – wir erweitern das eigene bloß durch fremdes. Denn zuletzt ist Spiel und Leben von gleicher Seele.

ANNA.
Leben bleibt Leben – und Spiel ist Spiel. Wer eines ganz hat, braucht das andere nicht.
ANATOL.

Doch, Herzogin! Das Spiel der großen Kräfte macht uns selber groß und reißt die Tat aus unseren Gliedern!

ANNA.
Was du Tat nennst, ist Unruhe. Weiter nichts.
ANATOL.
Ja – Unruhe! Ziehende Unrast – –!
ANNA.
Dir steigen die Lügenbücher zu Kopf!
ANATOL.
Die hasse ich! Aber die große Welt, die hinter ihnen steht –
KURAKIN.
Ich finde hier einen unverhofften Fürsprecher –
ANNA
heftig.
Nichts finden Sie! Hält ihm eine Rose hin. Da – sehen Sie das?
KURAKIN.
Eine Rose – wohl –
ANNA.
Eine blühende Rose – ja. Wer hat sie blühen gemacht?
KURAKIN.

Wer? – Die Priester sagen: Gott. Die Philosophen meinen: Die Natur. Man kann auch behaupten, sie blüht von selbst.

ANNA.

Nun also! Gott, Natur, von selbst – das ist alles eins. Einen Komödianten brauchte sie ganz sicher nicht, um aufzublühen. Sie ist erfüllt, sie lebt, sie duftet – und mit allen eueren Dichterbüchern und Tragödien könnt ihr sie nicht schöner und reicher machen, ihr nichts von ihrem Duft nehmen oder dazugeben. – Was erfüllt ist, braucht kein Gleichnis. Nur die Sehnsucht ruft nach Bildern.

ANATOL.

Die Sehnsucht – – ja, die Sehnsucht! Die Welt – die wunderbare – die tausendfältig verborgene – immer neu erlebte. –

ANNA.

Schweig – du! Es abenteuert in dir! Der Teufel hält dir einen Zerrspiegel vor und lacht über deine Narrheit!

ANATOL.
Das Leben selbst –
ANNA
zornig.

Leben –? Was willst du? Nur, was du in der Hand hältst, ist dein Leben! Das andere lügt und blendet. Ich will davon nichts hören! Zu Kurakin. Vielleicht, Monsieur, kommt eine Stunde, da man Ihrer Kunst bedarf. Wer kann das wissen – –? Jetzt ist sie noch nicht da. – Doch eines ist sicher: Wenn sie kommt, so ist mein Spiel im Sinken. Und niemand weiß, wann er auf seinen Grund gelangt. Man soll es vielleicht lieber nicht versuchen. – Für jeden Fall aber: Ehrlich Feind! Sie oder ich!

[138]
KURAKIN
überrascht.
So war es nicht gemeint – das habe ich nicht wollen –
ANNA.
Die Dinge fragen nach unserem Wollen nicht. Sie werden.

Die Herzogin nickt; Kurakin und Biron ab links vorne.
Anna – Anatol.
Es tritt eine Stille ein. Anatol ist die Stufen hinaufgegangen und sieht in den Garten hinaus. – Anna sieht erst nach ihm hin, geht dann gegen links und streift mit der Hand über die Rosen.
ANNA.
Wie süß die Rosen atmen.
ANATOL.
Ja.
ANNA.
Sie sind schon im Verblühen; deshalb duften sie so schwer.
ANATOL
noch immer ohne hinzusehen; gepreßt.

Mir liegt der warme, müde Hauch erdrückend auf der Brust. Mit heftiger Geste. Ach wer ihn löste! –Plötzlich näher kommend. Weshalb nur sandtest du ihn fort?

ANNA.
Den Mimen?
ANATOL.
Den Fremden – ja.
ANNA.
Was soll der alte Narr in unseren Rosen?
ANATOL.

Alt? Wer ist alt? Wer ist jung? Ich könnte sein Sohn sein – und doch ist er jünger – ach, um so viel jünger als ich! – In diesem alten Manne lebt die Tat – das Abenteuer – fernes Land und kühn erfaßter Augenblick! Wer weiß, wie oft in seinem Leben er Sieger werden durfte?

ANNA.
Du nicht –? Mein Kakadu –
ANATOL.
Nein, ich nicht! Höchstens im Pfänderspiel!
ANNA.

Du hast nicht gut geschlafen, mein junges Walroß. – Näher. Du! Mach' keine solchen Augen! Was ist das? He? – Nimmt ihn an den Ohren. Wirst du gleich lachen! Nachäffend. Bääääh! So siehst du aus! Genau so! Du gefällst mir gar nicht!

ANATOL.
Laß los – laß mich!
ANNA.

Nein! Niederknien! Zieht ihn an den Ohren nieder. So! Schön niederknien, mein Hündchen! Und jetzt schön bitten –!

ANATOL
reißt sich los und springt auf.
Ich mag nicht! Ich will nicht mehr! Ich bin kein Hündchen – kein Kakadu – nichts will ich sein –!
ANNA
erbost, mit gefährlichem Unterton.
Was weißt du, was du bist!? Du bist das, wozu ich dich mache, sonst nichts –!
ANATOL.
Ich will draußen im Wilden wachsen – im harten Wind!
ANNA.
Der Sturm zerbricht die Bäume.
ANATOL.
Er macht sie fester!
ANNA.
Alle?
ANATOL.
Alle, die was taugen. Um die andern ist's nicht schade –
ANNA
kalt.
Und woher willst du wissen, zu welchen du gehörst?
[139]
ANATOL
sieht sie sprachlos an; Pause.
ANNA
weich.

Ich habe dir nicht weh tun wollenNimmt seinen Kopf in beide Hände; mütterlich. Was ist in dich gefahren, mein Antja? Hast du bös geträumt? Von Fernen, die du nicht kennst –?Leicht seufzend. Wer weiß, wie sie sind –

ANATOL.

Das eben treibt mich, läßt mir keine Ruh', das Unbekannte – dieses Feindliche – das zum Bekennen reißt und zum Bezwingen! Hier les' ich Bücher – bin in deiner Hand ein Liebesspielzeug –

ANNA.
Hab' ich dich gekränkt, daß du mir die heitere Stunde verdirbst mit spitzen Worten?
ANATOL.
Soll ich sie verschweigen?
ANNA.
Du magst sie denken – aber sprechen nicht.
ANATOL.

Ich muß es sagen. Siehst du nicht, daß ich wie ein verleg'ner Knabe dich umschleiche, der nach Gefallen lächelt, glatte Worte im Munde hat, doch allem fremd ist, was er sieht und sagt. Daß eine andere Welt, – ach nur die Ahnung, – nur der Traum von ihr, – mich fester hält als diese ganze, taube, feindselig schöne Wirklichkeit.

ANNA
nachfühlend.
Feindselig –? Und schön –? Und taub – Wie lange ist es schon, daß du so – lügst –?
ANATOL
hart.
Ich weiß nicht Tag und Stunde. Es fing nie an – und war doch immer da – und wuchs mit mir.
ANNA.
Und dieser alte Mann hat dir mit seinen eit'len Schwätzerworten so viel gebracht –?
ANATOL.
Nicht der und jener und nicht er. – Es war ein Wort, das fernher rief, ein Wink vielleicht – –
ANNA
fern.

So hab auch ich gedacht, als einst die Welt von draußen zu mir sprach durch einen, der mein Gatte wurde.

ANATOL.
Wie –?
ANNA.
Ich hab auch das ferne Irgendwann zum Gott des nahen Jetzt gemacht durch ihn.
ANATOL.
Du sprichst von ihm so selten –
ANNA.
Nur zwei Tage – du weißt – ward meine Ehe alt. Dann starb der Prinz.
ANATOL.
Es war ein Unglück.
ANNA
ruhig.
Nein, ein Mord.
ANATOL
sieht sie überrascht an.
ANNA
wie oben.

Ich phantasiere nicht. Wer kann es auch erweisen, ob der schwere Hochzeitsrausch nicht Zufall war? Der Herzog starb daran – und Kurland war des Zaren.

ANATOL.
Es war dein.
ANNA.

– und ich des Zaren – wenn's dir so gefällt. –Näher. Ich habs gesehen, Antja, wie die Welt, die große, wunderbare, grinsen [140] kann mit feindlich kalten Augen, daß man's nie vergißt. – Im Qualm – bei umgeworf'nen Tischen – im Branntweindunst, da wälzte sich der Zar – der große Zar – mit seinen Kavalieren! Und als der eine nur noch röchelte und zuletzt auch nicht zu gröhlen mehr vermochte, da packten sie ihn an mit »Johoho!« – und warfen ihn langlängs auf sein Gesicht in eine Lache Schnaps. – »Ein süßer Tod!!«, schrie Peter noch – und alle andern lachten und ließen ihn, so wie er lag. Pause. Ich war die Gattin dieses Toten – – Da lernt' ich schaudern – und ich lernte weinen – und lernte sehen – und zuletzt auch lächeln, wenn wieder dann und wann der kleine Gott der Herzensnöte, einer Staatskarosse vorausgeschickt, an meinem Hof erschien –. Ich hört' ihn freundlich an – und dankte freundlich und wartete. – Näher. Weißt du, wie warten ist? Auf einen Tag, der kommen muß und doch von Jahr zu Jahr nicht kommt? – Hast du erfahren, wie welke Blätter grausam flüstern können, wie Blüten sprechen, wenn man einsam geht –? Du kennst die Stimmen nicht, die zwischen Traum und Wachen uns beschleichen, wenn wir müde und wehrlos sind, und die uns alles, dran wir unsern Glauben hängen, so verhöhnen, daß uns der Schmerz darum die Kehle preßt und alles, alles hassen läßt, was glaubt und wartet. –

ANATOL.
Herzogin! In mir auch glaubt und wartet es auf einen Tag, der kommt!
ANNA
stark.

Mir kam der Tag! und kam so groß und licht und überfiel mich, daß in mir nur Staunen und Klingen war. Ich war nur Widerhall und nur Geschehen. Weder Tat noch Wollen, nur stetes Horchen, frohes Innewerden, ein zitterndes, ein glückliches, fragendes: Bist du es denn – bist du es, die der Hauch der übervollen Stunde traf? – Des Nachts – ich weiß es nicht, warum ich's tat – des Nachts ging ich ins Rosenhaus, wenn alles schlief, und stand dort in den Blüten. Weiter nichts. Ich streifte kaum zuweilen drüber hin aus Angst, ich könnte von dem stillen, starken, geheimnisvollen Leben etwas stören. – Doch ich verstand dies Leben – o, wie tief verstand ich es – und alles, was erblühte und offen war. –

ANATOL.
Dann bist du glücklich – –!
ANNA
mit verhaltenem Jubel.

Ja –! Weher. Ich war es – – Härter. Und ich will es wieder sein und bleiben. – Aufschreiend. Wer es mir zu zerstören wagt, der seh' sich vor! – Erwachend. War alles denn ein Traum? Sind das nicht Rosen? Unser Garten? Du und ich? – Wer hat von Fernen hier gelogen? Wer hat den Frieden hier gestört? Ich will es nicht –! Ich – –

BIRON
eilig von der Galerie links.
Hoheit –
[141]
ANNA
zornig.
Rief man dich?!
BIRON.
Zu Gnaden, Hoheit! Exzellenz Wolinski –!
WOLINSKI
tritt hastig ein und stößt dabei an eine Rosenstaude.
ANNA.
Brecht meine Rosen nicht –!
WOLINSKI
neigt sich.

Vergebung, Hoheit, wenn das Ereignis mich zum ungestümen Zerstörer macht. Doch hoff' ich mein Willkommen noch zu verdienen.

ANNA.
Es müßt viel sein, was Sie bringen.
WOLINSKI.
Es ist nicht wenig.
ANNA.
Muß es heute sein –?
WOLINSKI.
In dieser Stunde, Hoheit.
ANNA
macht eine unwillige Geste.
WOLINSKI.

O, ich weiß: Ich lade Haß auf mich, weil ich hier eindrang. Aber mag es sein. Ich hab schon viel Haß auf mich genommen, ich hab's gelernt, mich selber zu vergessen, wenn es das Wohl des Reiches gilt.

ANNA.

Des Reiches –! Ja. So fängt es immer an, wenn irgendeine Mörderei in Aussicht steht – im Kleinen oder Großen. – Ich hasse diese kalten Worte, die edel tun und niedrig sind.

WOLINSKI.

In tiefer Sorge ließ ich den Hof. Des jungen Zaren Leben verglüht im Fieber. Jede Stunde kann die Todesbotschaft bringen.

ANNA
förmlich.
Ich will um des Zaren Leben beten und opfern lassen. Meldet es den Priestern.
WOLINSKI.

Gott wird sie hören. Aber wenn sein Rat beschlossen, den Zaren uns zu nehmen, mag Gebet und Messe fruchtlos sein.

ANNA.
Gott ist euch auch nicht sicher – wie?
WOLINSKI.

An uns ist jedenfalls die Pflicht, der nächsten Stunden bereit und wach zu warten. – Tun wir es nicht, so wachen andere und nehmen uns die Mühe.

ANNA.
Was heißt das, was Sie da mit Worten verdecken – He?
WOLINSKI
glatt.

Daß der große Rat in Moskau zur Erwägung kam, im Falle des Todes Seiner Majestät des Zaren des Reiches Krone Eurer Hoheit – –

BIRON
plötzlich.
Hoch die Zarin Anna –!
ANNA
lacht plötzlich hell auf.

Hahaha! Noch lebt der Zar – und ihr hausiert bereits mit seiner Krone! Das ist ein gefährlicher Faschingsscherz! –

WOLINSKI.
Hoheit – kein Scherz – –
ANNA.
Doch – ja – ich freue mich daran – – Laßt mir die Freude!
WOLINSKI.
Ihre Freude traut sich selber nicht – ich warte.
ANNA
sieht ihn an, kleine Pause.
Ich werde mich wehren – gegen Sie – und gegen jeden von euch.
WOLINSKI
kalt.
Sie werden mich rufen lassen, Hoheit.
[142]
ANNA.
Meinen Sie –?
WOLINSKI
fest.
Gewiß.
ANNA.
Wir wollen sehen. Winkt und nickt leicht.
WOLINSKI UND BIRON
ab Galerie links.
ANNA.
Ach! Was für ein lächerlicher, böser Affe!
ANATOL.
Herzogin – es war vielleicht nicht gut – –
ANNA.

Bring mir die Rosen wieder in Ordnung, die der Schwätzer niedertrat. Er sieht nach. Ist eine abgerissen?

ANATOL.
Nein.
ANNA.
Sein falscher Kopf ist weniger wert als eine dieser Blüten.
ANATOL
kommt näher.
Dennoch, – du hättest nicht so schnell –
ANNA
überhört absichtlich.

Und jetzt lies die Geschichte weiter, die wir viel zu lang schon unterbrochen – – doch zuvor – Läutet.

BIRON
kommt von der Galerie links, neigt sich tief.
ANNA.

Noch tiefer –! So! Bis auf die Nase! Vielleicht legst du dich auf den Bauch und wedelst mit den Beinen, wie ein Tatar! Hundeseele! Aber ein echter Hund ist ein besserer Diener als du!

BIRON.
Ach – Hoheit –
ANNA.

Ach – und Oh! Und nichts als Gestöhn und Kummerblicke! Was verdrehst du deine Augen? Ich glaube, du hast große Dummheiten im Kopf. Man sollte dich ein wenig peitschen lassen, mein Hündchen! Hart. Ich muß einen Diener haben, der für mein Wort sterben kann – keinen schmachtenden Schwätzer!

BIRON
in plötzlicher Ekstase.

Herrin! Ich will für dich sterben! Jede Stunde magst du die Probe haben – jeden Augenblick bin ich bereit! – O, es muß süß sein, für dich zu leiden.

ANNA
sieht ihn neugierig an.

Das brauche ich jetzt noch nicht. Aber es tut gut, wenn man es weiß. – Die beiden fremden Herren sind wohl beraten?

BIRON.
Wie es ziemt.
ANNA
lacht.

Sie werden sich gut verstehen – denk' ich; ein Minister in Funktion und ein Komödienspieler! Vielleicht wird heute noch ein toller Abend. – Doch bis dahin: Kein Mensch! Sonst büßt du mir dafür!

BIRON
mit Verbeugung links Galerie ab.
ANNA
ihm nachsehend.

Ein Mann – vielleicht – – ein Tier – wer weiß –. Plötzlich zu Anatol, der ganz in Gedanken dasteht. Was dünkt er dich?

ANATOL
aufgeschreckt.
Wie –? Wer –?
ANNA
launig.
Verschlafener Bär! Näher. Unser Buch –?
ANATOL.
Hier – Sie setzen sich an den Tisch.
ANNA
scheinbar ganz sachlich.

Wie war es doch: Die Fürstin spazierte [143] durch den Garten – und sie sah den jungen Gärtner Rosen schneiden – nicht?

ANATOL
unruhig.
Du hättest doch Wolinski hören sollen.
ANNA.

Und der Gärtner gab ihr seine Rosen und sagte: »Nie stirbt eine Blume, welche Liebe brach.« Da fragte sie: »Willst du mein König sein?« Sie legt den Arm um seine Schultern.

ANATOL
sucht im Buche.
Ach ja – hier ist es – –
ANNA
schlägt ihm das Buch aus der Hand.

Laß doch das dumme Buch! Er sieht sie überrascht an; sie schaut ihm lächelnd ins Gesicht. Du sollst mir sagen, wie meine Augen sind –!

ANATOL.
Sie glänzen.
ANNA.
So – Und meine Lippen?
ANATOL.
Leuchten rot.
ANNA
heiß.
Wie deine. So rot wie zwei Korallenstäbe. Nüchtern. Und die Stirne?
ANATOL
ausweichend.
Was fragst du mich?
ANNA.
Sie ist nicht schön. Ich weiß: Sie ist niedrig.
ANATOL.
Sagt' ich – –?
ANNA.

Ich weiß es ja: Ich bin nicht schön! Ihr alle seid weiß und hell – in mir ist dunkles Blut; das gilbt die Haut – und meine Stirn ist boshaft – – das wißt ihr ja ihr sagt es alle! Da er abwehrt. Ja!! Auch du!

ANATOL
fest.
Ich nicht.
ANNA.
Doch hast du es gehört! Wer hat davon gesprochen?
ANATOL.
Fürstin – –
ANNA
trotzig.
Wer? Ich will es wissen!
ANATOL.
Niemand.
ANNA
schreit.

Lügner!! Da er zusammenzuckt, plötzlich weich. Nein! – Du nicht – – Der einzige, der nichts vom Lügen weiß. Und deshalb sollst du mir jetzt sagen, wie ich bin.

ANATOL
widerstrebend.

Wer einer Frau von ihren Reizen spricht, der tut nicht recht. – Vom Schönen sprechen heißt: Es unschön machen.

ANNA.
Vom Schönen – –? Warum hast du nie gesagt – –?
ANATOL.
Es kam die Rede nie darauf – Wie hätte ich die Kühnheit haben sollen, von selbst – –
ANNA.

Ich will es – ja – ich will es so! Sie sollen dich und mich in Ruhe lassen mit den Komödien und Ränkespielen und ihre Kronen mit den kalten Steinen unter sich auswürfeln! Ich will nichts wissen von dem Feilschen und Betrügen – –


Geräusch und Rufe draußen, fern.
ANATOL
reißt sich los.
Hörtest du nicht rufen? Am Fenster. Ein Kurier ist eingeritten. Ich will ihn hören – –
[144]
ANNA
hält ihn fest.
Bleib! Ich will es! Ich befehle dir zu bleiben –!
ANATOL.

Du kannst dich hier nicht länger verbergen! Was sollen Rosen und Bücher, wenn alles nach dir ruft – Stimmen näher. Hörst du? Will gegen die Tür.

ANNA
in höchster Erregung.
Ich will nicht! Ich will nicht hören! Hält sich die Ohren zu. Ich will nicht –! Du –!
ANATOL
kehrt zurück und stützt sie, die umzusinken droht.
Komm zu dir – – Es ist kein Feind bei dir – niemand – –
ANNA
schlingt die Arme wild um seinen Nacken.

Ich will nicht! Nichts will ich sehen – nichts hören – nichts wissen –! Antja! Antja Galizyn – nur du – du – mein König mein König – –!


Stimmen ganz nahe; er macht sich los.
BIRON
von links vorn herein.
Hoheit – –
ANNA
schnell gefaßt.
Schaff Ruhe draußen! Schaff Ruhe! Ich will jetzt nichts hören – –
BIRON.
Hoheit, das Schreckliche ist geschehen – –
ANNA.
Ich will nichts wissen –
BIRON.
Zar Peter ist tot!
ANATOL.
Der Zar ist – –?

Pause.
ANNA
starr.

Ich empfange die Botschaft später. Melde es den Herren. – Doch zuvor was anderes: Die Wachen vor dem Schloß werden verdoppelt! Auch die Gartenpforten – alle – mit Posten versehen. Auf Hörweite an die Mauer sind Garden zu stellen – Kurländer! – Du suchst sie selbst aus und bürgst mir für jeden!

BIRON.
Zu Abend –?
ANNA.
Sofort. Er will ab. Noch eines: Wo ist der französische Hofnarr?
BIRON.
Monsieur de Caille – der Mime?
ANNA.
Wer sonst!
BIRON.
Ich sah ihn drüben im Saal.
ANNA.
Er soll kommen.

Biron ab nach links vorn.
ANNA
nach kleiner Pause zu Anatol, der sie fragend ansieht.
Du kannst von hier nicht fort, mein Hühnchen. Wie gefällt dir das?
ANATOL.
Ein sonderbarer Scherz.
ANNA.

Er sieht beinahe einem Ereignis ähnlich – einem Abenteuer, wie sie draußen in der schönen, großen Welt vorkommen – nicht wahr?

ANATOL.
Laß es genug sein. Mir ist nicht nach Spiel zumute.
ANNA.

Aber mir. Ich will spielen mit dir – spielen, wie mit einer großen Katze – mit einer großen, gefährlichen Katze – wie mit einem [145] gefangenen Vogel – –! Sei nur hübsch artig und zahm, sonst sperre ich dich noch enger ein –

BIRON UND KURAKIN
kommen von links vorn.
KURAKIN
verneigt sich.
Hoheit ließen mich rufen –
ANNA.

Nicht wahr, das wundert Sie? Sie sehen, Monsieur, schneller, als wir beide dachten, hat sich die Stunde zu Ihren Gunsten gewendet. Momentan sinnend. Vielleicht sinkt mein Spiel! – Strafft sich. Ich habe eine ganz besondere Aufgabe für Sie. Sie können gleich ein Meisterstück Ihrer Kunst liefern. Hier: Fürst Galizyn nimmt viel Anteil an Ihrer Fähigkeit und Art – Unterhalten Sie ihn – erzählen Sie ihm viel vom Hofe zu Versailles – von der großen Welt – – – Sparen Sie keine Farbe – seien Sie lockend – verführerisch – hinreißend. Er muß glühen – in allen Feuern glühen! – Nickt. Monsieur! Meine Herren! Zu Biron. Er kommt mit mir!


Anna und Biron ab nach rechts.
KURAKIN – ANATOL
alles drängend schnell.
ANATOL.
Ich muß vor allem um Pardon bitten, Monsieur! Ich selbst verstehe ganz und gar nicht – –
KURAKIN
gedämpft, dringend.
Sie müssen vor allem fort! Das ist das Erste und Letzte!
ANATOL.
Wie –?
KURAKIN.
Fort von hier – aus der Stadt – aus dem Lande – für immer oder wenigstens für lange Zeit!
ANATOL.
Wie kommen Sie dazu, Monsieur? Erklären Sie mir –!
KURAKIN.
Ein Kurier aus Moskau ist eingeritten –
ANATOL.
Der Zar ist tot – ja –
KURAKIN.
Und die Herzogin Anna –
ANATOL.
– soll Zarin werden. Ich weiß es. Doch woher wissen Sie das alles, Monsieur?
KURAKIN.

Das werden Sie bald erfahren. Für jetzt nur eines: Die Herzogin – wie soll ich es nur schnell sagen – – Es darf ihr kein Mann mehr sein als ein Lakai – –

ANATOL.
Wie –?
KURAKIN.

Sie muß allein nach Moskau kommen – – ohne Anhang – ohne Band – – Es ist der Beschluß des großen Rates. – Ein dringlich. Und deshalb rette dich! Rette deine Freiheit – dein Leben! Wolinski hat unbegrenzte Vollmacht. Du bist der einzige Grund für das Sträuben der Herzogin. – Du mußt fort!

ANATOL
stampft auf.
Was heißt das? Wer muß? Was kümmert mich eure Schachpartie!?
KURAKIN.

Sei vernünftig, Freundchen! Was ist ein Weib? Gib den [146] kindischen Trotz auf! Ich weiß es ja – ich hab es gesehen, wie es dich in die Ferne reißt – –

ANATOL.

Was kümmert Sie das? Es soll mich keiner aushorchen und belauschen! Das leide ich nicht! Ich will meinen Weg allein gehen – ohne euch – ohne sie – ohne jeden –!

WOLINSKI
rasch von links, Galerie.
Was bedeutet das? Schloß und Garten werden mit Wachen umstellt!
KURAKIN.
Nun ja – wohl die Ablösung, wie immer –
WOLINSKI.
Doppelt – vierfach – Tor und Mauern sind dicht besetzt!
KURAKIN.
Das ist – Sollte eine Lumperei im Spiele sein!? Wer konnte den Befehl geben?
ANATOL.
Die Herzogin selbst.
KURAKIN.
Woher weiß die Herzogin von unserem Plan?
ANATOL.
Sie weiß nichts davon.
KURAKIN.
Doch – – die Wachen –
ANATOL.
Sie gelten mir – mir allein!
KURAKIN.
Wie –? Ach –! Sie will dich halten?
ANATOL.
Schaffen Sie mir einen Weg! Jetzt zeigen Sie Ihre Künste!
KNRAKIN.
Du wolltest also?
ANATOL.
Hier ist vom Können die Frage, Monsieur!
BIRON
von rechts.
WOLINSKI
ihm hastig entgegen.
Was sollen die Wachen draußen?
BIRON
tut überrascht.
Wachen –? Wo –?
WOLINSKI
am Fenster.
Da – sehen Sie – und dort – und überall – –
BIRON
ausweichend.
Das ist nichts Außergewöhnliches – –
WOLINSKI
sieht ihn scharf an.
Die Maske ab! Es lebe die Zarin Anna!
KURAKIN UND BIRON.
Es lebe die Zarin Anna!
WOLINSKI.

Für uns gibt es von jetzt an nur eine Sache! Alles muß ihr dienen! Zu Anatol. Ihre Reise, Chevalier, geht westwärts. Hier die Pässe.Gibt ihm Papiere. Fürst Kurakin bringt Sie über die Grenze bis Breslau. Sie finden alles bei ihm. Für die Weiterfahrt nach Frankreich wird vorgesehen. Es wird gut sein, zunächst eine kleine Veränderung Ihres Aussehens vorzunehmen – für alle Fälle. Auch dafür ist gesorgt.

KURAKIN
begütigend zu Anatol.

Ich weiß dein Opfer zu schätzen, Freundchen. Nicht ich verlange es – nicht Wolinski – nicht der große Rat. Es handelt sich um das heilige Rußland – um seine Zarin!

ANATOL.
Ach – keine Worte! Keine Worte! Wie wollen Sie durch die Wachen kommen? Eilt ans Fenster hinauf.
WOLINSKI.
Wenn man ahnte – Sieht Biron rasch an. Sie wissen mehr!
BIRON
langsam.
Die Herzogin trug es mir auf – –
WOLINSKI.
Weshalb plötzlich?
[147]
BIRON.
Das weiß der Himmel. Ich mußte die besten Leute aussuchen – die verläßlichsten –
WOLINSKI.
Sie kennen alle –?
BIRON.
Freilich. Ich muß für jeden bürgen.
WOLINSKI.
Ist keiner darunter, der – – Geste: zahlen.
BIRON.
Es sind Kurländer.
WOLINSKI.
Wie ist das Losungswort?
BIRON
schweigt.
WOLINSKI.
Sie haben doch selbst die Leute ausgesucht – die Parole ausgegeben –
BIRON
hart.
Meine Herzogin hat befohlen – ich muß schweigen. –
WOLINSKI
bestimmt.
Die Zarin befiehlt Ihnen zu sprechen!
BIRON
sieht ihn mißtrauisch an.
Die Zarin –?
KURAKIN.
Wer sonst? Hier befiehlt sonst niemand als die Zarin Anna!
BIRON
kämpfend.
Meine Herzogin band mirs auf die Seele – Es muß um Großes gehen – –
KURAKIN
eindringlich.
Ich weiß, worum es geht: Sie will den Galizyn festhalten.
BIRON
zuckt zusammen.
Wer sagt das?
KURAKIN.

Er selbst. Merkst du, was in deiner Hand liegt!? Mit einem Wort kannst du seiner los werden und der Zarin dienen! Nun laß dein Herz reden, Freundchen!

WOLINSKI.
Es drängt! Die Parole –?!
BIRON
stark.
»Morgenrot!«
KURAKIN
zu Anatol.
»Morgenrot!« Das soll unser Zauberwort sein! Komm, Antja Galizyn!
WOLINSKI
den Davoneilenden nachrufend.
Glück auf die Fahrt, Chevalier! Die Zarin lebe!

Kurakin und Anatol rasch ab nach links, Galerie!
Pause.
WOLINSKI.
Für uns ist er entflohen!
BIRON.
Für die Zarin Anna – ja.
WOLINSKI
nach kurzer Pause; näher.
Weshalb haben Sie das Losungswort preisgegeben?
BIRON.
Sie sagten es doch selbst: Es ging um die Zarin.
WOLINSKI
freundlich.

Keine Ausflüchte. Ihnen war's nicht um die Zarin zu tun. Erst, als Sie hörten, wem die Wachen galten – –

BIRON
wendet sich ab.
WOLINSKI.
Nun – nun – Reicht ihm plötzlich die Hand. Es gefällt mir, daß Sie kühn sind.
BIRON
etwas verwirrt.
Exzellenz – –
WOLINSKI.

Sei glücklich, daß du weder Fürst noch Herzog bist. Die beiden ziehen sich gegen links vorn zurück, da die Herzogin, – [148] im Trauerschleier – rechts, Galerie auftritt. Garden mit Offizieren fassen Posten. Haushofmeister und Popen im Hintergrund.

ANNA.
Der russische Kurier!
BIRON
öffnet links und ruft.
Der Kurier aus Moskau!
EIN RUSSISCHER OFFIZIER
tritt ein und salutiert, den Hut über den Kopf haltend und nach rechts schwingend.
WOLINSKI
nimmt ein Schriftstück aus seiner Hand und überreicht es der Herzogin.
Der Zar ist tot!

Die Herren nehmen die Hüte ab, die Priester knien nieder; Pause.
ANNA.

Man soll die Edlen des Landes zur Trauerfeier laden. Die Garnison tritt morgen an. Die Priester sollen ihres Amtes walten. Spiel und Tanz sollen schweigen. In den Kirchen soll für das Seelenheil des Zaren gebetet werden. Ich will, daß man in Würde trauert. Alles Geschrei ist zu vermeiden. Ich will keine Klageweiber hören. Der Tod ist kein Kirmeßgeiger. Sorgen Sie, daß alles nach meinem Willen geschehe.


Auf ihren Wink gehen Garden, Haushofmeister und Priester nach rechts ab; Biron und der russische Kurier nach links.
WOLINSKI.
– Anna.
ANNA.
Ihr Scherz ist Ernst geworden, Exzellenz.
WOLINSKI.
Es war vom Anbeginn kein Scherz. Der große Rat in Moskau bietet Eurer Hoheit des Reiches Krone an.
ANNA
unsicher.
Das sieht nach Abenteuer aus –!
WOLINSKI.
Ich müßte freilich früher wissen, ob Euere Hoheit gänzlich abgeneigt – –
ANNA.
Weshalb –?
WOLINSKI.
Es handelt sich um ganz gewisse Punkte –
ANNA.
Bedingungen?
WOLINSKI.

Herrin – der Form zu dienen – – Vorbehalte etwa – Selbstverständlich ganz im Sinne von Euerer Hoheit eigenem Vorteil – Eine Urkunde vorweisend. Kurz, hier dies Schriftstück zählt sie alle auf und harrt der Unterschrift von ihrer Hand.

ANNA
ohne das Blatt anzusehen, läutet die Tischglocke.
WOLINSKI
sieht sie fragend an.
BIRON
erscheint links.
ANNA.
Der Kammerherr Fürst Galizyn!
BIRON
verneigt sich, ab links.
WOLINSKI
leicht beunruhigt, fortfahrend.

Vor allem wichtig scheint den Räten eines – das erste: Die Zarin müßte jeder Fessel ledig sein. – Sieht sie an. In unserem Falle wohl nur eine Formel.

ANNA.

Nur eine Formel – ganz gewiß. Sieht lächelnd in die Urkunde. Wie schön geschrieben – wie klug gedacht – – Wirft den Vertrag lässig auf den Boden. Schad um die Mühe.

[149]
WOLINSKI
will den Vertrag aufheben.
ANNA.
Ach, lassen Sie doch. Wer sollte sich um so etwas bücken. Diese Spiele locken mich nicht mehr.
WOLINSKI
sieht sie überrascht an.
Spiele –?
ANNA.

Vielleicht ist es ein Glück für euch und euren großen Rat, daß mir ein anderes Königreich in meinen Schoß gefallen ist. Sie können es den Herren dort in ihren Pelzen sagen, daß so viel Wunder hier in Kurland leben, daß die Herzogin gar keine Zeit hat, noch anderes zu denken! Daß alle Kronen, Szepter, Diamanten – und was ihr sonst noch habt, gerade gut genug ihr wären, um damit in gut gela unten Mußestunden ein bißchen Weltkomödie zu spielen!

WOLINSKI.
Das werden Hoheit nicht. Es wird kein Spiel sein.
ANNA.

Nicht euer Spiel – gewiß. Doch meines. Was sollt ich Ihnen mehr davon erzählen? Die Sprache kennen Sie doch nicht. Wir sind nicht Feind – nicht Freund – nur fremd. So fremd, daß wir uns nicht einmal erreichen können durch Haß und Liebe. – Ahnen Sie das nicht?

WOLINSKI
gequält.
O, wenn ich es nicht ahnte, wäre ich befreit –!
ANNA.
Befreit –? Warm. Nun sprechen Sie zum ersten Male in meiner Sprache!
WOLINSKI
faßt sich.
Vergebung, Hoheit, ich vergaß.
ANNA
lebhaft.

Das sollen Sie! Nur wer vergißt, kann werden. Denken Sie daran, wo Sie einst waren, ehe Sie die Lüge von den großen Dingen kennen lernten. Werden Sie das wieder!

WOLINSKI
wieder glatt lächelnd.

Gott Vater können Sie nicht sein, Prinzessin. Drum wollen wir auch nicht vom Wunderwirken sprechen. Weist auf den Vertrag. Es bleibt auch so genug zu tun.

ANNA
fast traurig.
Sie haben nicht verstanden. –
WOLINSKI.
Was soll ich verstehen? Lehren Sie mich glauben!
ANNA.
Sie werden glauben lernen, Exzellenz, und nicht mehr zweifeln.
BIRON
von links.
ANNA
unruhig.
Fürst Galizyn?
BIRON.
Ich fand den Fürsten nicht.
ANNA.
Du hast ihn nicht gefunden – wie?
BIRON.
Ich suchte überall. In seinen Räumen war alles leer – die Türen offen – keine Seele – –
ANNA
heftig.
Du lügst!
BIRON.
Sein Rock und Degen, den er heute trug, lag oben abgelegt auf einem Tisch –
ANNA
schreiend.
Verraten –!!
WOLINSKI
rasch näher.
Herzogin – –
ANNA.
Hol mir den Offizier der Wache –!
[150]
BIRON.

Ich traf ihn. Den Fürsten – sagt er – hab' er nicht gesehen. Doch sei ein Kavalier mit seinem Diener passiert –

ANNA.
Das Losungswort?
BIRON.
Das hatten jene gewußt.
ANNA.
Ein Kavalier –? Sein Diener –? – Plötzlich. Wo ist der Alte? Der Mime aus Versailles?
BIRON.
Auch er ist fort.
ANNA
tonlos.
Auch er – – Immer starrer. Es sinkt etwas – – es sinkt tief – – – immer tiefer sinkt es.
BIRON.
Noch eines, Herrin; jener Offizier – –
ANNA
aufschreiend.
Er büßt mit seinem Kopf –!
BIRON.
Er sprach mit ihnen – und der Alte habe ihn gefragt um Weg und Zeit nach Petersburg – –
WOLINSKI
mit Betonung.
Nach Petersburg? Nach Rußland? In den Arm der Zarin –?
ANNA
plötzlich.

Der Zarin –? Ja. – Nach Rußland, sagst Du? Wohl. Auch ich will hin. Und schneller sein als er. Zu Wolinski. Wo ist der Wisch?

WOLINSKI.
Hier, Hoheit. Der Vertrag Legt ihn ihr vor.
ANNA.
Feder! So – Unterschreibt. Da hast du – –!
BIRON.
Hoch die Zarin!
WOLINSKI
kniet nieder und küßt ihr Kleid.
Mütterchen – –
ANNA
steht wie erstarrt; dann sieht sie zuerst auf Wolinski herab und zuckt von seiner Berührung zurück.

Du –? Nein – Du nicht! Zu Biron. Doch du –! Packt ihn an den Schultern. Komm du!Flackernd. Du schleichst mir lange schon herum, wie ein getroff'nes Wild – und seufzest viel – und siehst so hungrig aus – –! Es hungert dich, mein Täubchen! Ich errate wohl, wonach – – – du! Fang mir ihn! Dann sollst du satt sein –! Hörst du –?!

BIRON
stammelnd.
Herrin – Zarin – Anna!

Rascher Vorhang.
[151]

1. Akt

Der erste Akt

Zimmer im Winterpalast zu St. Petersburg. Hoch und geräumig. Ein Eingang in der linken Seitenwand (aus dem Antichambre), eine breite Flügeltür in der rechten Hälfte der Rückwand (führt in die Gemächer der Kaiserin), eine kleine Tapetentüre links vorn. – Rechts vorn ein Fenster. – Die Einrichtung – Stil Louis XIV. – zeigt schwere, plumpe Pracht. Gegen rechts steht ein massiver, reich mit Silber verzierter Schreibtisch – Schreibzeug, Papiere und Glocke darauf – mit entsprechenden Sitzmöbeln, darunter ein besonders prächtiger Armsessel mit der Zarenkrone im Ornament. – In der rechten Seitenwand gegen hinten ein großer Spiegel: Wandtischchen davor. Ein reicher Ofen in der linken Ecke. – Sonst nur an passenden Stellen der Wand Sitzfauteuils, die – wie auch die Tapeten in blutrot und silbern gehalten sind. – Ein schwerer, venetianischer Luster hängt tief herab. – Der Boden ist blitzend parkettiert und ohne Teppiche. – Wintervormittag. –
Der Kabinettssekretär Johann Eichler, ein glatter Höfling, etwa vierzig Jahre alt, sitzt am Schreibtisch. – Vor ihm in der Mitte des Zimmers steht in respektvoll leicht gebeugter Haltung, den Hut in der Hand, der Stallmeister, ein
vierschrötiger Russe, dessen Bärengestalt nur mit Mühe in die schlecht sitzende Uniform gepreßt erscheint. –

EICHLER.
Also hast du mich verstanden?
STALLMEISTER.
Jawohl, Väterchen.
EICHLER
scharf.
Wie –!?
STALLMEISTER
verbessert.
Exzellenz –!
EICHLER.
Bauerntölpel! – Also: Um die elfte Stunde!
STALLMEISTER.

Um elf Uhr. Der Schlitten des Grafen Puschkin – mit dem schwarzen, türkischen Gespann – und Silberzeug – und weißen Wedeln –

EICHLER.
Wo?
STALLMEISTER.
An der Reitbahn des Prinzen.
EICHLER
scharf.
Wer ist das – dein Prinz?
STALLMEISTER.
– des Prinzen Biron, des Herzogs von Kurland –
EICHLER.

Nimm dich in acht, daß er dir's nicht eines Tages selbst erklären muß! Für das Fest heute abend ist in der Manege alles bereit –?

STALLMEISTER.

Alles – wie befohlen. – Fünfzig Schlitten für den Maskenzug zum Eispalast. Wir haben Hunde, Esel und Schweine abgerichtet –

EICHLER
lacht.
Eine richtige Narrenauffahrt!
STALLMEISTER
vertraulicher.

Du kannst es glauben, Väterchen – Exzellenz! – es war kein leichtes Stück, das Viehzeug ins Gespann zu zwingen. Aber jetzt gehen sie alle – wie richtige Schlitten pferde gehen sie – – Es wird sehr lustig aussehen – ganz wie es einem Narrenkönig ziemt –

[152]
EICHLER.
Ja – schon gut – Aber jetzt denk vor allem an die Troika des Grafen Puschkin!
STALLMEISTER.
Um elf Uhr – gewiß – die drei türkischen Rappen – Silberzeug – Weiße Wedel – –
EICHLER.

Wehe dir, wenn Ihre Majestät die Zarin merkt, daß du besoffen bist! Ich lasse dich totprügeln – marsch!

STALLMEISTER
neigt sich, küßt Eichlers Rocksaum und geht in bemüht strammer Haltung nach links ab.
EICHLER
ihm nachsehend.
Elefantenvolk – – Ein schweres Spielzeug in Weiberhänden – – Na – –Blättert in den Papieren.
WOLINSKI
tritt von links hinten rasch ein.
EICHLER
ihm entgegen.
Ah! Sie kommen zur rechten Zeit!
WOLINSKI
am Schreibtisch.
Was gibt's?
EICHLER
weist auf ein Schriftstück.
Hier – seitenlange Klagen gegen Ihr Verfahren, Graf.
WOLINSKI
indem er es durchfliegt.

Gut, daß ich kam. Wir haben Glück. Indem er zum Ofen geht. Sieh doch, wie das Gezücht den Weg findet! Wirft die Schrift ins Feuer. Der klagt mir nicht mehr.

EICHLER
wieder am Tisch.
Hier – von Fedor Semenoff aus Moskau –
WOLINSKI
schnell.
Selbst übernommen –?
EICHLER.
Keine Sorge – wie immer. Leicht gekränkt. Die Siegel sind unversehrt, wie er sie setzte.
WOLINSKI.
Er arbeitet schnell – das ist brav.
EICHLER
wie oben.
Vom schwedischen Gesandten –
WOLINSKI
sieht es an.
Sie warten alle auf meine Winke –. Soll nicht mehr lange dauern. – Was noch?
EICHLER.
Hier – von –
WOLINSKI
horcht gegen die Türe links hinten.
Still! Gibt ihm die Papiere. Nimm das und warte drinnen!
EICHLER
nimmt die Schriften und geht rasch durch die Tapetentüre links vorn ab.
WOLINSKI
strafft sich, nimmt eine gleichgültige Miene an und macht sich am Schreibtisch zu schaffen.
PETER JEROPKIN
ein jüngerer Mann, in Tracht und Aussehen einfach und gerade, von energischem, etwas finsterem Gesichtsausdruck, ein Mensch, der nie lacht und nie weint, aber auch nie lügt und am wenigsten jemals einer Schwierigkeit oder Gefahr ausweicht, kommt von links hinten.
WOLINSKI
angenehm überrascht.
Ach, du? Tritt immer ein, Peter Jeropkin, wir sind allein.
JEROPKIN
reicht ihm die Hand.
Sollte mich wundern, wenn da nicht wo einer hinter der Tür steckte.
[153]
WOLINSKI.

Keiner, der uns nicht hören dürfte – Doch, wie siehst du wieder drein? Wie Brutus, bevor er den, Cäsar erdolchte! Wenn du mir immer ein so bitteres Gesicht machst, so sehen sie am Ende noch durch deine Augen meine Pläne! – Glatte Miene, Freundchen! Helle Augen!

JEROPKIN
ruhig und ernst.
Ich fasse es ernst.
WOLINSKI.
Schon gut, das sollst du auch. Wir alle tun es. Daß du es sehen läßt, verrät den Neuling.
JEROPKIN.
Man stürzt nur einmal einen Thron. Wers zweimal tut, ist ein Schuft!
WOLINSKI.

Sssst! Denk' mehr daran – und rede weniger davon! Im übrigen tut man es, sooft es not ist, du hast es auch dieses erste Mal noch nicht getan.

JEROPKIN.
Ich werde meinen Mann stellen.
WOLINSKI.
Ich weiß. Du bist mir fest. Wären es nur auch die andern alle.
JEROPKIN.
Ich wüßte keinen, der wankte.
WOLINSKI.
Keiner ist sicher, bevor er nicht hängt.
JEROPKIN
ehrlich entrüstet.
Es sind unsere Freunde, Graf Wolinski, unsere Brüder!
WOLINSKI.

Es sind Menschen. Weiter nichts. – Glaubst du, ich weiß nicht, daß auch hinter mir schon einer schleicht und auf die Stunde lauert, wo er mich fassen kann? – Das war nie anders, solange Rußland heilig ist. Es kommt nur darauf an, im rechten Augenblick zu wissen, wer es ist. Und man muß! schneller sein, als er. Das ist alles.

JEROPKIN
macht eine abwehrende Gebärde.
WOLINSKI.
Hast du Andrei Chruschtschow gesehen?
JEROPKIN.
Seit gestern abend noch nicht.
WOLINSKI
lauernd.
Was hältst du von ihm?
JEROPKIN.
Er ist so sicher wie wir beide.
WOLINSKI
sieht ihn an.
Wie wir beide – –? Weißt du das so bestimmt? Weiß ich es –?
JEROPKIN.
Was?
WOLINSKI.
Ob nicht einer von uns beiden einmal dem andern den Dolch in den Rücken bohrt – –
JEROPKIN
tritt unwillkürlich einen Schritt zurück und sieht ihn mit einem Ausdruck von Schauder und Abscheu an.
WOLINSKI.

Na – na – mein Brutus! Kein solches Gesicht! Glatte Miene – immer glatte Miene! – Was ist mit Puschkin?

JEROPKIN.
Graf Puschkin folgt mir auf dem Fuß hieher zum Lever der Zarin.
WOLINSKI.
Der ist am sichersten Auf einen erstaunten Blick des andern. weil er dumm ist.
[154]
JEROPKIN
lacht kurz und hart.
WOLINSKI.
Kein Scherz. Wer dumm ist, ist auch treu. Kleine Pause. An einen denk ich noch.
JEROPKIN.
Wen meinst du?
WOLINSKI.
Kurakin. – Du staunst – nicht wahr? Aber siehst du, ihn brauche ich.
JEROPKIN.
Was sollte der alte Säufer helfen?
WOLINSKI.

Helfen? – Ich muß einen neben mir haben, der mein Gewissen ist Sieht ihn fast ängstlich von der Seite an. Verstehst du das?

JEROPKIN.
Ich habe mein Gewissen in mir selber.
WOLINSKI.
Das ist freilich einfacher.
JEROPKIN.
Und ich weiß nur eines: Die Fremden müssen fallen, – mag Fürst Kurakin nun mit uns gehen oder nicht.
WOLINSKI.

Brav, brav, Peter Jeropkin, verlaß dich darauf: Es kommt auch noch an die Fremden die Reihe. – Doch jetzt geht anderes vor. Diese Puppenzarin muß weg!

JEROPKIN
nickt finster.
WOLINSKI.
In ihr Grab – oder in mein Bett. Jedenfalls muß sie still werden.
EICHLER
kommt von links vorn.
Ich erkannte die Stimme nicht gleich. Guten Morgen, Peter Jeropkin.
JEROPKIN
gibt ihm die Hand.
Was haben Sie Neues, Sekretär?
EICHLER
deutet auf Wolinski.
Wir sprachen schon darüber.
JEROPKIN.
Was sagte die Zarin gestern noch alles?
EICHLER.

Nicht mehr viel. Von Bedeutung gar nichts. Sie schwärmte noch eine Weile von ihrem Fest heute abend – dann spielte sie noch eine Partie Billard – und ging. Gegen elf – wie gewöhnlich, Wie jeden Abend – zehn Jahre lang. Aber jetzt hat sie ja mächtig zu denken. Ich glaube, sie hat seit Tagen nichts anderes im Kopf als den neuen Narrenkönig – –

JEROPKIN.
Weiß man schon, wers werden soll?
EICHLER.
Nein, sie macht Geheimnisse.
WOLINSKI
lacht.
Die soll sie haben!
EICHLER.
Ich glaube, sie hat noch keine Wahl getroffen.
WOLINSKI.
Umso besser; so hat sie zu denken. Wir denken auch. Stöbert in den Papieren. Was hast du noch –?
EICHLER
den Brief hervorziehend.
Daß ich beinahe vergaß! Freilich! Was glaubst du, wer gekommen ist?
WOLINSKI
nimmt den Brief; mit Staunen.
Der Galizyn?!
EICHLER.
Fürst Anatol Galizyn! Heimgekehrt nach langen Jahren!
WOLINSKI
sieht in den Brief.
Aus Frankreich –? Jetzt –!
[155]
JEROPKIN
nahe der Tür links, gibt Zeichen zur Vorsicht.
Fürst Kurakin! Man hört laut sprechen und lachen.
EICHLER.
Am Morgen schon betrunken – wie immer.
WOLINSKI.
Kurakin – –? Er kommt zurecht!

Von hinten kommen Andrei Chruschtschow, ein Mensch zwischen vierzig und fünfzig, mit Schnurrbart, ziemlich unordentlich gekleidet, von lauernder Art, Graf Platen Mussin-Puschkin, ein sehr eleganter, fast geckenhafter, aber recht alberner Aristokrat etwa gleichen Alters, und Fürst Kurakin, dem man die zehn Jahre Schnaps und Roheit, die seit dem Vorspiel vorgingen, erschreckend anmerkt. Er ist ein vollkommen ruinierter Greis, seine Riesengestalt nur noch ein Gerüst ehemaliger Kraft, sein Gesicht rot und die Augen schwimmend. Er spricht immer geräuschvoll, aber trotzdem undeutlich lallend – bald mehr, bald minder – und wirkt im ganzen traurig, komisch, ruinenhaft.
KURAKIN
den man schon draußen lachen hört.

Ich sag es euch auf den Kopf zu: Ihr seid nicht richtig im Herzen! Wer recht im Herzen ist, der liebt den Branntwein! Wer den Branntwein liebt, der macht kein so unzufriedenes Gesicht, wie du hier Peter Jeropkin! Schlägt ihm auf die Schulter.

CHRUSCHTSCHOW UND PUSCHKIN
haben mit den anderen vertrauliche Händedrücke getauscht.
WOLINSKI
zu Kurakin.
Dir ist die Gurgel auch zu weit, Väterchen!
KURAKIN.
Sie wurde manchem schon zu eng, mein Freund!
CHRUSCHTSCHOW.
Er träumt von alten Zeiten –
PUSCHKIN.
Von seinem Zaren Peter.
KURAKIN.
Der euch schon alle hätte hängen lassen!
JEROPKIN.
Weil wir nicht morgens schon betrunken sind!
KURAKIN.
Weil ihr zusammen flüstert! Wer trinkt, der flüstert nicht!
PUSCHKIN.
Wie wäre das, wenn alle bei Hof so brüllten, wie du!?
KURAKIN.
Gut wäre es! Man hörte, was sie denken!
WOLINSKI.
Oder daß sie nichts denken.
KURAKIN.
Bei Hofe braucht nur einer zu denken: Das ist der Zar!
PUSCHKIN.
Und wenn es eine Zarin ist?
KURAKIN.

Dann denkt eben niemand! Alle lachen laut; er merkt, was er sagte. Verdammte Wortfecherei! Wer recht im Herzen ist, spricht nicht von Zar und Gott! Der trinkt und ist zufrieden! Ich möchte euch lieber die Rippen einschlagen, als da mit euch herummaulen! Geht auf sie los; sie weichen lachend aus.


Graf Löwenwolde, ein sehr vornehmer Kavalier deutscher Art und Fürst Trubetzkoj, ein stets unbekümmert fröhlicher Mann, kommen von links herein.
TRUBETZKOJ.
So fröhlich allseits? Wir haben am Ende eine heitere Neuigkeit versäumt; das wäre jammerschade!
[156]
WOLINSKI.

Noch nicht – das Neueste noch nicht. Das meld' ich erst jetzt. Alle wenden sich ihm zu. Der Hof erhält Besuch.

TRUBETZKOJ.
Heute –? Zum Fest –?
WOLINSKI.
Dauernden Besuch, wenn ich richtig sehe.
ALLE
durcheinander.
Wie – Wer –?
WOLINSKI.
Fürst Galizyn ist wieder hier.
KURAKIN.
Der Galizyn –? Anatol Galizyn, der damals – –?
WOLINSKI.
Kein anderer. Reicht ihm den Brief. Was hältst du davon?
KURAKIN.

Das wird die Zarin freuen.

TRUBETZKOJ, LÖWENWOLDE UND KURAKIN lesen eifrig das Schreiben, wobei sie etwas von den andern abrücken.

EICHLER
mit den andern ganz vorn.
Wie sehen wir ihn an?
JEROPKIN.
Weshalb kam er?
WOLINSKI.

Es ist wieder einer mehr, der alles Schlechte bringen kann. Er kann viel für uns bedeuten – – – Still jetzt!

TRUBETZKOJ
der mit den andern zweien näher kommt und nun das Schreiben an Eichler zurückgibt.

Bravo, das nenn' ich eine heitere Überraschung! Die Zarin – und Fürst Galizyn – – Man hat da vor Jahren manches hören können – – ungewöhnlich interessante Geschichten –

LÖWENWOLDE.
Zehn Jahre sind das schon! Fast nicht mehr wahr.
TRUBETZKOJ.
Warum schlägt die Zarin jede Heirat aus?
KURAKIN.
Der Vertrag –!
TRUBETZKOJ.
– den sie damals schon zerrissen hat!
LÖWENWOLDE.
Witwentrauer –
TRUBETZKOJ
lacht.
Wittib mit achtzehn Jahren –!
PUSCHKIN.
Aber – was seither geschehen –!
EICHLER.
Der Galizyn war ihr geheimer Sekretär –?
TRUBETZKOJ.
Wer von uns war in Mitau in jenen Tagen?
LÖWENWOLDE.
Sie ist älter geworden – – beinahe schon alt.
TRUBETZKOJ.

Im Herbst erscheint der Frühling am schönsten. Sie werden sehen – – – Er geht mit Löwenwolde und Chruschtschow im Gespräch nach hinten.

WOLINSKI
vorn mit Eichler, Jeropkin, Puschkin.
Er kommt mir ungerufen – – –
KURAKIN
tritt hinzu.
Es waren damals in Mitau viel rote Rosen –!
WOLINSKI.
– und viele Tränen – –!
KURAKIN.
– Viel Freude – –!
WOLINSKI.
Und viel bitterer Haß!
KURAKIN.
Das ist vorbei; sie hat mir längst den Streich verziehen – –
WOLINSKI.
Was die Zarin verzeiht, muß das Weib nicht vergessen – –

Die Flügeltüren rechts hinten öffnen sich weit; man sieht in eine [157] Flucht von Zimmern, in denen gedämpfte Lichter über prunkvoll verzierte Möbel und Wände gleiten. – Pagen ordnen sich.
ZWEI ZEREMONIENMEISTER
treten vor und rufen.
Die Zarin!
ALLE ANWESENDEN
rufen kniend, mit gegen die Tür erhobenen Händen.
Lang lebe Rußlands Kaiserin!

Kleine Pause. – Dann kommt mit raschen Schritten, als müsse sie sich einen Anlauf nehmen, die Zarin Anna Iwanowna, gefolgt vom Kanzler Grafen Ostermann und Biron, der durch Tracht und Orden
seinen Rang als Herzog von Kurland verrät. – Die Zarin ist im Morgenkleid, ohne Perücke, mit eigenem, tiefschwarzem Haar. Sie ist älter geworden, nicht nur um die zehn Jahre ihrer Regierung. Ihr Mund hat einen herben Zug bekommen, das mongolisch Grausame, das immer in ihren Zügen lauerte, hat die Herrschaft über die russische Gemächlichkeit gewonnen. – Dennoch ist ihr Gehaben beinahe unsicher und hat etwas Katzenartiges, sprungbereit Lauerndes an sich. Ihre Hände sind nervös darauf aus, etwas zu greifen, ihre Blicke schnell und unzugänglich – sie bleibt am Schreibtisch stehen und überfliegt die Hofgesellschaft mit einem raschen, alles erfassenden Blick.
ANNA
winkt.
Aufstehen! Ich will das nicht. Guten Morgen! – Setzt sich. Was bringt der Tag?
WOLINSKI
auf den Hof deutend.
Die treuesten Diener Eurer Majestät –!
CHRUSCHTSCHOW.
Ihrer Winke harren die Sklaven –
ANNA
angewidert, winkt ab.
Ja – ja –!
PUSCHKIN.
Uns bringt dieses Tages Sonne eine weise Kaiserin!
TRUBETZKOJ.
Des großen Zaren Peter würdiges Ebenbild.
ANNA.
Kühne Vergleiche, Fürst Trubetzkoj! Kühne Vergleiche!
KURAKIN.
Und falsche dazu!
ANNA.
Weshalb wohl –?
KURAKIN.

Du gleichst dem Zaren Peter doch nicht ganz. Es ist wahr: Du hast einen guten Feldmarschall, einen Admiral und viele tapfere Soldaten, wie er – aber in einem bleibst du zurück, Mütterchen –!

ANNA
belustigt.
Und was wäre das?
KURAKIN.
Du prügelst deine Hunde zu wenig. Deutet auf den Hof.
ANNA.
Wie –?
KURAKIN
packt Wolinski beim Kragen und schiebt ihn vor die Zarin.

Zum Exempel den da! Zar Peter legte ihm das Seil schon um den Hals – du aber ziehst es noch nicht zu!


Gelächter.
ANNA.
Was sagen Sie dazu?
WOLINSKI.

Der Branntwein fördert Worte – aber er zerbricht die Tat. Befiehl mir eine Tat, Kaiserin, die soll für mich sprechen. Reden mögen andere.

[158]
ANNA.

Ich will mich zur Zeit daran erinnern. Zu Kurakin. Und ich will keine Schmähungen mehr hören, die nach Branntwein riechen.

KURAKIN
sieht sie an und torkelt unbeholfen näher.

Mütterchen! Schau in mein Herz, ob du einen Blutstropfen darin findest, der nicht dir gehört und dem Thron des Zaren Peter! Er kniet nieder und küßt ihr Kleid.

ANNA.
Das alte Lied! – Ich hab dir einmal schon ins Herz geschaut – und meines schweigen heißen – –
KURAKIN.
Du sprichst von Mitau, Zarin – –?
ANNA.

Du tätest besser, mich nicht daran zu erinnern. Warum mahnst du mich an das – gerade du – –? Verscheucht die Gedanken, zu allen. Doch nun: Was meldet ihr?

EICHLER
auf ein Papier weisend.
Majestät, was soll mit den Gefangenen geschehen –?
ANNA
nervös.

Freilassen – köpfen – – Macht, was ihr wollt mit dem Gesindel! Marschall Münich soll über sie entscheiden. Zu Ostermann, der neben ihr steht. Immer das Gleiche – immer dasselbe Stück!Zu allen. Habt ihr nichts anderes?

PUSCHKIN.
Majestät, es ist mein Dreigespann bereit.
ANNA.
Ja – ja – laß es warten – – Stöbert in den Papieren. Bitten – – Bitten –
EICHLER.
Hier ein Kurier vom Fürsten Galizyn –
ANNA.
Was will Fürst Michael –?
EICHLER.
Fürst Anatol –
ANNA
oberflächlich.
Wer –?
WOLINSKI
mit Nachdruck.
Fürst Anatol Galizyn!
ANNA
zuckt zusammen.
Wie – –!? Pause.
EICHLER.
Heimgekehrt – nach vielen Jahren – bittet um die Gnade – seine Kaiserin zu sehen – –
ANNA
schweigt noch immer, dann plötzlich.
Wie? Antja Galizyn – –? Wie war das –?
EICHLER.
– bittet vor Eure Majestät zu treten –
ANNA
abweisend.
Bittet –? Plötzlich scharf. Wer von euch hat ihm den Weg verlegt –!?
WOLINSKI.
Wer sollte es wagen –?
ANNA.
Nun –?
EICHLER
mit fragender Geste.
So will ich – –
ANNA.

Wie? Was willst du? Was siehst du mich so an? Ihr alle. Was habt ihr in den Augen?! Weg mit dir! Weg mit diesen Augen –

EICHLER
ab links hinten.
ANNA
deren Augen von einem zum andern sprangen, zu Ostermann, der ruhig neben ihr steht.

Graf Ostermann – Sie tun mir die [159] Liebe – nicht wahr – da – Weist auf die Akten am Tisch und spricht halblaut mit dem Kanzler, indes ihre Aufmerksamkeit aber ganz bei den Kavalieren ist, vor deren Blicken sie sich so zu verschanzen sucht.

TRUBETZKOJ
auf der anderen Seite der Bühne zu Puschkin.
Haben Sie gesehen – –? Tuscheln weiter.
ANNA
zu Ostermann.

Wie stets – Sie wissen ja –Sieht auf, zuckt zurück. Noch immer diese dummen Augen – – Weg! Alle weg! Den Fürsten sprechen wir allein –!


Der Hof verneigt sich und geht, – Ostermann mit den Schriftstücken durch die Flügeltüre hinten, Wolinski den halb eingenickten Kurakin weckend und mitnehmend, durch die Tapetentüre links vorn, die anderen links hinten ab. – Nur Biron bleibt. – Auch er ist stark verändert. Von der geschmeidigen Unterwürfigkeit des Lakaien ist nichts mehr zu sehen. Sein Gesicht ist durchaus von niedriger Brutalität. Er trägt eine unermeßlich reiche, aber sehr ungepflegte Tracht, die eine Mischung von Hofkleidung, Nationalkostüm, Reitlivree ist: Stiefel, Hetzpeitsche, Seide, Pelz und Diamanten erinnern in gleicher Weise an Stallknecht und Herzog, wie denn auch sein ganzes Gehaben ebensoviel Roheit und Lüsternheit wie Überlegenheit und kraftvolle Energie zeigt.
ANNA
sieht ihn zunächst nicht, erschrickt dann über seine Anwesenheit, wagt aber nicht, ihn fortzuweisen.
BIRON.
Der Galizyn? He! Sieh doch! Was will er –?
ANNA.
Du hast es ja gehört –
BIRON.
Ich habe nicht gehört, was er will. Und das muß ich wissen.
ANNA.
Ich weiß es nicht.
BIRON.
Ich werde daraufkommen.
ANNA.
Ich bitte dich, geh!
BIRON.

Eine Kanaille mehr an diesem Hof! Vielleicht juckt auch ihn der Kopf nach der Zarenkrone wie das andere Geschmeiß!

ANNA.
Ich bitte dich – –
BIRON.

Was bittest du? Ich habe wohl zu wenig Ehrfurcht vor dem Glücksritter – he? Da sie zuckt. Was ist er sonst? Warum bleibt er nicht, wo er war? Ich habe schon viele hier herumschnüffeln sehen – es gelüstet ihm wohl auch – und er sieht ganz klug voraus, daß er mit dir leichtes Spiel haben dürfte! Wie schlau. Hehe –! Ganz nahe. Aber mit mir spielt keiner! Das sollst du nur wissen – und vielleicht sagst du es dem schönen Herrchen, daß es von Vorteil ist, mir zu Zeiten nicht über den Weg zu laufen. Hörst du?

ANNA
gequält.
Ja – ach ja –
BIRON
packt sie an der Hand.
Du! Nimm dich in acht!
ANNA
unter seinem Griff wie gebannt.
Laß – mich allein – ich bitte dich – ich bitte dich – –
[160]
BIRON
lacht und läßt sie los.
Der Schlitten wartet.
ANNA
aufbäumend.
Er soll warten –!
BIRON
kommt wieder näher.

Ich fahre einmal um die Reitbahn – ich werde im Schritt fahren – einmal um die ganze Bahn – Faßt sie wieder an der Hand. Bist du dann nicht zur Stelle, so hole ich dich! Hörst du?

ANNA
mit schwachem Versuch, sich seinem Griff zu entwinden.
Laß – laß los – –
BIRON.

Es wird besser sein, du kommst, ehe ich ganz herum bin – denk daran! Läßt ihre Hand los und geht ohne Wort und Blick durch die Flügeltüre ab.

ANNA
steht zuerst regungslos, die Augen geschlossen; plötzlich geht ein Schütteln durch ihren Körper, ihre Hände suchen etwas zu fassen, sie stampft auf und bricht tief aufschluchzend in den Sessel am Schreibtisch nieder, den Kopf auf den Arm gelegt, weint sie in wilden Stößen wie ein Kind – – Lange Pause –.
ANATOL GALIZYN
tritt durch die Türe links hinten ein.

Die Zarin hört ihn nicht. Er geht einen Schritt vor und blickt betroffen auf die Weinende. Da sie nicht aufsieht, will er ruhig wieder an die Tür zurück. Da hört sie seinen Schritt und fährt empor, wie er eben die Hand nach der Klinke hebt. – Er wendet sich ihr zu und neigt sich tief.

ANNA
verwirrt.

Wer –? Er hat den Blick erhoben. Ach –! Sie sehen einander lange wortlos an. – Dann geht Anatol auf die Zarin zu, beugt ein Knie und will den Saum ihres Kleides küssen.

ANNA
sieht wie gebannt, regungslos auf jede seiner Bewegungen und blickt nun auf ihn nieder, indes Triumph und Ergriffenheit in ihren Zügen streiten.

Auch ihre Stimme ist nicht in ihrer Macht, als sie halblaut ein wenig bebend sagt. Nein – das sollst du nicht – – Steh auf –

ANATOL
ergreift ihre Hand und führt sie an die Lippen.
ANNA
zieht ihn langsam empor und sieht ihn an.
Du bist ein Mann geworden – – Page Galizyn – –. Wie lange ist das nun?
ANATOL.
Zehn Jahre, Kaiserin.
ANNA.
Zehn Jahre. – Kleine Pause; dann drohend. Und sehr kühn bist du –
ANATOL
einfach.
Ich bin nur ohne Frage.
ANNA.

Und ohne Furcht – nicht wahr. Laß sehen.Nimmt die Glocke wie spielend in die Hand. Wenn ich jetzt läute, so warten hundert Arme – hundert Augen – hundert Gehirne. Alle Herzen setzen aus, bis ich spreche – Und wenn ich sage: Hier steht ein Verräter – einer, der mir das Schlimmste getan hat – Hebt die Glocke. – – Es könnte sein, daß meine Hand zittert, – ohne daß ich es wollte, – ich weiß nicht, warum – und tritt [161] einer herein – und fragt, – ich kann nicht sagen: Meine Hand hat gezittert, – das kann ich nicht sagen, – denn die Hand einer Kaiserin darf nicht zittern, – – zehn Jahre mußte sie lernen, hart und fest zu sein –! Und ich sage: Greift ihn! Richtet ihn – wie man einen Mörder richtet –! Er zuckt beim Worte »Mörder« zusammen. Erschrick nicht vor einem Wort, das mir so gewöhnlich ist wie Morgen und Abend. Es sind viele um mich – viele – ich weiß es –. Ich kenne sie. Jeden kenne ich. Lacht bitter. Du wärst mir nicht der Schlechteste, wenn ich wählen dürfte – –.Plötzlich, wie ihn überfallend. Weshalb bist du gekommen?

ANATOL
vom Gesagten sichtlich betroffen.
Zarin – ich wollte dich auf deiner Höhe grüßen –
ANNA
lacht kurz.

Jawohl: Auf meiner Höhe! Du wunderst dich – nicht wahr? Hast eine kleine Herzogin verlassen – eine kindische, kleine Herzogin – irgendwo – in einem Rosengärtchen – lang – –Lacht wieder kurz und trocken. Haha – wie dumm von dir! Siehst du jetzt, wie dumm du warst? Aus der kleinen, lachenden, plappernden Rosenprinzessin ist eine Kaiserin geworden – –

ANATOL
langsam, ihr in die Augen sehend.
Eine weinende Kaiserin.
ANNA
aufs tiefste getroffen, zieht den Kopf ein, starr, sieht ihn lange wie entdeckend an.
Weshalb bist du gekommen? Weshalb kamst du, Antja Galizyn?
ANATOL.
Dich auf deiner Höhe zu grüßen, Zarin, auf deiner Höhe – von der meinen.
ANNA.
In welchem Lande warst du?
ANATOL.
In vielen –
ANNA
etwas versonnen.
In der Welt – –
ANATOL.

Welt? Was ist Welt? – Es gab wohl eine Zeit, da dachte ich mir Länder, Dinge, nahes Vielerlei – und dachte Witz und Werk von Menschenart, wenn ich den großen Gottesnamen »Welt« erfassen wollte. – Und suchte sie auf diesen Wegen – und fand doch stets nur Dinge und Mensch, die ihre kleine Einzelheit hinstellen zwischen mich und etwas, was hinter ihnen lag – und nach mir rief, wie Heimweh ruft – wie Kinderlied und Liebeswort. – Und ahnte erst – und sah und wußte dann, daß all das Kleine – Ding für Ding uns fordert, – stets neu um unser Bestes fragt – und sich nicht gibt, eh' wir das Letzte geben. Bis Schatten fließend werden, – Nebel fliehen – und Leeres nicht mehr ist und Unvereintes, – bis alles, was wir kämpfend ohne Frage und ohne Rast aus uns emporgerissen, heilig und groß in lichter Weiten fruchterfüllten Segen auf uns wartet. – Näher. [162] Zarin! Die Welt ist nicht das kleine Spiel der Menschen, nicht enge Sucht und Angst um dürre Dinge – sie ist der großen Einheit Melodie – und Sieger, wer sie klingen hörte!

ANNA
in maßlosem Staunen.

Sieger –? Du kommst nicht um Gnade bitten? Weißt du, was deine ganze Welt ist? Das Hin und Her in deinem Hirn – in einem Hirnchen, das in einem Kopf gefangen sitzt – den ich in meiner Hand halte, wie einen Spielball! – Du solltest betteln, daß ich die herrliche Weltkugel nicht fallen lasse – –!

ANATOL.

Betteln? Kaiserin! Das freie Weite reicht dir durch mich die gabenvolle Hand. Nimm sie, wie Kinder Gottes Hand ergreifen, einfach und fest und ohne scheues Blinzeln. – Ja, ich dachte dran voll Eifersucht, es könne dir ein anderer dies weisen, was doch so jedem offen liegt: Das Freie!

ANNA
nach kurzer Pause, langsam.
Du hast – mir wehe getan – Warum –? Warum –? Sag mir, warum du mir weh getan hast –
ANATOL.

Mach dich frei vom Schmerz und empfange seine Früchte! Sie sind herrlicher, als er jemals schrecklich war! Tritt aus der Enge des Ich – aus den Klammern des Gewesenen! Sieh um dich, Zarin, wieviel auf dich wartet! Dieses Land ist jung, wie ein Frühlingsacker, dieses Volk streckt seine Hände nach dir! Menschen rufen nach Menschen – Brüder nach Brüdern! Grenzen fallen, Kerker und Paläste stürzen – Brücken gilt es zu bauen, Wege ins Ungemessene, ewig werdende! – Ich bring dir, – diesem Land, diesem Land, diesen Menschen alles, was dieses Hirn ergreifen und sich zu eigen machen, was diese Brust durchbeben und überwinden konnte! Wer hätte mir dies geben können? Ist es nicht tausendmal mehr als alles Ich und Du?! Ist es nicht überreiches Entgelt für den Schmerz einer fliehenden Stunde?

ANNA
weh.
Die Blüten sind verwelkt – –
ANATOL.
Sie tragen Frucht!
ANNA.

Sie sind verdorrt und abgefallen – Ohne ihn anzusehen; schmerzvoll, fern. Du hättest niemals gehen dürfen – niemals – Page Galizyn – –

ANATOL
nach kurzer Pause.

Es rief – – und bäumte sich – und wurde übermächtig groß – wuchs über alles Wollen –: Es geschah! – Nicht unser Sorgen und wonach wir weinen zwingt aus der Allbereiten die Erfüllung. – Nur das Ereignis hat Gebot – hebt und verwirft und bildet und vernichtet – ein ewig junger Gott in schaffender Berauschtheit! – O, es ist wunderbar, an seiner Hand zu gehen – und nichts, als was er will, zu sein.

ANNA.

Es rief dich fort – – damals –? Und jetzt – –? O, ja – ich [163] weiß: Du hörst nur auf die eine Stimme – jetzt rief es dich zu mir – –

ANATOL.
Ja – Kaiserin – –
ANNA
wie in einem Aufschrei.

Nicht Kaiserin! Das ist ein Spottwort! Nicht Kaiserin! Nicht Zarin! Alles weg! Wie einen drückend schweren Mantel voll Pracht und Dornen! Nichts von ihnen mehr – sie alle weg – die Rohen, Feigen, – Herzenterb ten, – Kriecher, Mörder –! Ah! Hilf mir! Es hat auch einst nach mir gerufen – wie nach dir – Hilf mir – hilf mir – –

ANATOL
mit einem Unterton von Mitleid.
Anna Iwanowna – –!
ANNA
schmiegt sich an ihn.
Ja – so – Nur so – – Und wieder Rosen – und wieder du – du, Page Galizyn – – du – Antja – du!
ANATOL
schonend.

Nicht du – nicht ich: Nur unser Werk, das sich aus dir und mir befreite – Mehr als ein Rosengarten: Unser Land! Aus Schmerz und Welt ein überwinden, ein Händereichen – und das große eine nur: Die Tat!

ANNA
die während seiner Worte immer mehr von ihm abrückte und in ihre abwartende Starrheit zurückkehrte.

Das Werk – mehr als wir selbst – – – Förmlich. Ich will daran denken.Reicht ihm die Hand zum Kusse. Er ist in Gnaden willkommen, Fürst Galizyn.

ANATOL
sieht sie voll an, küßt die Hand.
ANNA
sieht undurchdringlich auf ihn, dann winkt sie leicht, er sei entlassen.
ANATOL
neigt sich tief und geht gegen die Türe links zurück; dort grüßt er die regungslos stehende Zarin noch einmal und geht ab.
ANNA
bleibt starr aufrecht stehen und sieht auf die Türe.

Ihre Hand zerknüllt das Taschentuch, sie beißt die Lippen zusammen. Dann sagt sie in schwebender Betonung. Nicht ich – nicht du – –?


Geräusch in der Ferne; sie wendet sich gegen die Flügeltüre und kommt dabei zufällig vor den Spiegel, erblickt ihr Bild, erschrickt zuerst davor, sieht es dann lange, wie forschend an.

Ah – Zarin – – Anna – du siehst meine Gedanken nicht – Haha – nichts weißt du –! Näher. Deine Stirn ist niedrig und boshaft – – ja – ich seh' es – und deine Haut ist gelb – und deine Schlitzaugen haben ganz kleine, blinkende Lichter –! Aber bist du nicht Herrin –? Zarin Anna!

BIRON
tritt unvermittelt durch die Flügeltür ein.

Ich bin herum. Wo bleibst du? He? Schlägt mit der Reitpeitsche auf seine Stiefel. Vorwärts! Die türkischen Rappen dürfen nicht in der Kälte warten. Ich hab' sie schon eingefahren. Indem er ihr den kostbaren Pelz umhängt, den er brachte. Der Eispalast sieht prächtig [164] aus. Das wird dir heute ein Fest! Man möchte beinah' selbst Narrenkönig werden! – Was hat der Kerl wollen? Sie schweigt im Banne seiner Gegenwart und Stimme. He! Antworte!Packt sie um die Hüften und spricht ihr mit begehrender Roheit ins Gesicht. Ich will dich sprechen lehren – du –!

ANNA
wehrt sich schwach.
Laß – mich – –
BIRON.

Nein! Daß du's nur gleich weißt: Da können tausend solche süße Affen kommen – – So halt ich dich – – so – und so und so – – Küßt sie gewaltsam und rauschig. Das soll dir heute ein Jagen werden! Daß dir die Sinne vergehen! Puschkin hat seine drei neuen Rappen geschickt – prachtvolle Wildlinge! – Dazu ist er doch noch nütze – der Esel! Ihm gebührt ein Orden dafür! – Vorwärts! Wenn dir erst die Schneeluft um die Ohren saust, dann wirst du den albernen Narren bald vergessen haben.

ANNA
versucht zu trotzen.
Laß – ich will nicht – ich will nicht.
BIRON
lacht roh auf.
Hahahaha! Sieh doch? Mütterchen will nicht – Aber ich will –! Und Mütterchen muß! Komm!

Führt sie lachend durch die Flügeltür ab.
Rascher Vorhang.

2. Akt

Der zweite Akt

Etwa eine Stunde später nach den Vorgängen des ersten Aktes. Ein anderes Gemach im Winterpalast zu St. Petersburg, im Vergleich mit dem Empfangszimmer des ersten Aktes von intimerem Charakter. Farben: Ein stumpfes Grau – Grün als Grundton. Keine bestimmte Einhelligkeit. – Goldene Pracht knallt unharmonisch in nüchterne Zweckdienlichkeit. – Wenig Ordnung. –
Eingänge: Links vorn und im Hintergrunde. Rechts ein Fenster.
Lichtstimmung: Müdes Schneelicht. –
Möbel. Ein massiver, breiter Tisch mit entsprechenden Sesseln mit und ohne Armlehnen. – Auf dem Tisch Papier und Schreibzeug.
Der Kanzler Graf Ostermann geht wartend hin und wider. Er scheint immer in Gedanken abwesend. Seine Einwürfe sind kurz und trocken. Fürst Kurakin liegt schwer in einem Armsessel, Haar und Tracht ziemlich unordentlich. Er ist nicht gerade betrunken, aber noch weniger nüchtern, in jenem Zustand, der bei ihm der gewöhnliche zu sein scheint, weshalb auch kaum jemand daran Anstoß nimmt, wenn sein beständiger Rausch manchmal plötzlich aufflammend schwerere Formen annimmt: Man weiß ja doch, daß er eine Ruine ist.

[165]
KURAKIN
mit manchmal grotesker Geste.

Ich hab ihn damals selbst über die Grenze gebracht – ja – ich – –! Hol' mich der Teufel mit allen seinen Zeugen – ich hätte lieber was anderes getan – Es war doch eine falsche Ko – Komödie eine Büberei – ein Menschenschmuggel – – ein niederträchtiges Sche – Schelmenstück – Da Ostermann begütigend die Hand hebt, brüllt er. Ja!! Eine Diebskomödie war es – eine Gaunerei –! Aber es ging um den heiligen Thron des großen Zaren Peter – – hol' mich der Teufel –! Da spielte ich eben mit. – Hahaha –! Ka – Kannst du dir das vorstellen, Väterchen Kanzler?! Ich trat als französischer Mime auf – Haha – geradewegs aus Versailles –! Ich glaubte jeden Augenblick, ich müßte mir den vermaledeiten Komödiantenfrack vom Leibe reißen – –! Aber ich spielte gut zu Ende. Selbst Wolinski war überrascht – – es war sein Einfall – – und der Kerl hat doch immer Recht, wenn's eine Lumperei gilt – – Er ist ein ausgemachter Taschenspieler – ein Gaukler – – ein Be – Betrüger – Wieder hebt Ostermann die Hand; wieder brüllt er. Ja!! Verteidige ihn nicht! Ein Schuft ist er, der an den Galgen gehört!

OSTERMANN.
Die Zarin könnte Sie hören –
KURAKIN.
Das soll sie auch! Ich wollte, sie hörte mehr auf mich als auf die andere Bande –! Wo ist sie –? Ha?
OSTERMANN.
Ich glaube, Ihre Majestät kamen eben von der Schlittenfahrt zurück.
KURAKIN.

Schl – Schlittenfahrt – – ja – – mit dem Prinzen – mit dem Kurländer – – der hat sie in der Hand, wie sein Gespann – – ja –. Er braucht nur mit der Peitsche zu knallen, – so springt sie – – Haha, – Weiber – –! Aber um uns kümmert sie sich nicht! Um ihre treuesten – läßt uns warten – unterdessen steckt sicher wieder irgend ein Schleicher bei ihr und lügt immer! Er belog sie damals schon –! Aber es galt dem Thron des Zaren Peter – und da ist alles gut – alles recht – Lügen – Komödie – Morden – alles – –. Die Zarin hat's auch später eingesehen, wie treu ich's für sie meinte. Säße ich sonst hier – Wie –? Hahaha! Sinkt in sich zusammen, brummt weiter. Hättest mich sehen sollen – – vor zehn Jahren – – und den Kammerkavalier! – Hol' mich der Teufel – ein prachtvoller Junge – damals – –! Hast du ihn heute früh gesehen –?

OSTERMANN.
Wen?
KURAKIN.
Den Galizyn. Wen sonst? Er war doch hier.
OSTERMANN.
Ich sah ihn nicht.
KURAKIN.
Und sie? Die Zarin? He?
OSTERMANN.
Ich glaube, die Zarin empfing den Fürsten.
[166]
KURAKIN
sucht schlau auszusehen; es gelingt aber nur schlecht.
Hehe! Schnippt mit den Fingern. Und was sagte sie dann?
OSTERMANN.
Wie? Ich hörte nichts.
KURAKIN.

Aha! Sprach nichts. Kein Wort. Auch zu mir nicht. Schnippt wieder. Sitzt schon! Und sie läßt uns hier warten – – Vergißt auf alles – spricht nichts – – denkt – denkt – – denkt nach –! Merk auf, Väterchen Kanzler: Es gibt was ab!

OSTERMANN
nebenhin.
Meinen Sie?
KURAKIN.

Ahnung! Intuition! – Weiber sollen sprechen – Männer denken. Wenns umgekehrt ist, das ist wider die Natur! Da kommt allemal was Dummes heraus. – Zar Peter zum Exempel – –


Die Türe vorn links öffnet sich.
EIN LAKAI
ruft.
Die Zarin!
ANNA
tritt schnell ein, in sichtlichem Nachzittern starker Erregung.

Sie trägt das historische Kostüm: Schwarzseidenen Rock, scharlachrotes Korsett mit langen Ärmeln und weißen Spitzen an Ausschnitt und Manschetten; schwarzes Seidentuch um den Kopf gewunden. – Sie fährt den Lakaien an. Schweig! – Ich mag das Plärren nicht.Nickt den beiden Herren, die sich verneigen, leicht zu. Ich habe Sie unterbrochen; bitte reden Sie weiter. Geht ans Fenster und sieht gedankenverloren ins graue Dämmerlicht. Die beiden warten; sie wendet sich halb. Nun –?

KURAKIN
stockend.
Hm – es war nichts Merkenswertes – nur so – im allgemeinen – – ich meinte – –
OSTERMANN
hilft ihm heraus.
Durchlaucht gab kleine Proben seiner Kenntnis der weiblichen Psyche – –
KURAKIN
dankbar.

Psyche – ja – weibliche Psyche – Nur ganz im allgemeinen – hm – so vom Denken und Reden – – Ich meinte, wenn – Frauen denken – – oder nein: Wenn sie reden – ich weiß es nicht mehr. So etwas fällt einem nur eben so ein – – dann ist es wieder weg – – – ja –

ANNA
hat gleich wieder sinnend weggesehen und nicht zugehört.
Jetzt wendet sie sich mit plötzlichem Entschluß und tritt an den Tisch; zu Ostermann. Bitte – –
OSTERMANN
weist ein Schriftstück vor.
Hier – nur eine Unterschrift.
ANNA
nimmt die Feder; sieht auf das Blatt.

Zum Tode –? Sie legt die Feder weg, sieht vor sich hin; langsam, versonnen sagt lie dann. Menschen – Vielleicht hat auch in ihnen eine Stimme gerufen – und sie mußten ihr folgen – – –

BIRON
tritt rasch durch die Türe rückwärts ein, beachtet niemand, sieht rasch in das Papier vor der Zarin.

Ja – das ist gut. Nun also: Da hätten wir die ganze Bande gleich auf einem Bogen beisammen. Und die Unterschrift?

[167]
ANNA
winkt müde ab.
Ah – –
OSTERMANN
auf Blick Birons.
Ihre Majestät äußerten eben Bedenken –
BIRON.
Bedenken –! Bedenken! Warum willst du die Lumpen schonen?
KURAKIN.
Nicht schonen! Kö – Köpfen – alle –!
ANNA
aufbäumend.
Menschen – –!
BIRON.
Haha! Was ist das wieder Neues?
ANNA.
Menschen – –
KURAKIN.
Hunde –! Schielende Affen – –!
BIRON.

Warum auf einmal Menschen? Es sind die Dolgerucki, die sich gegen den Thron verschworen. Weiter nichts –. Danke Wolinski, daß er die Bande fing – oder danke Gott, wenn du dem Wolinski nicht danken willst.

OSTERMANN.
Es ist wahr, Majestät: Graf Wolinski hat viel Eifer bewiesen.
BIRON.
Sogar zu viel.
ANNA.
Was ist das wieder?
BIRON.
Hunde sind alle. Er auch. Je besser er jagt, desto mehr will er fressen.
KURAKIN.
Du mußt ihm den Hals umdrehen, süßes Mütterchen!
ANNA.
Und du willst Dank für ihn?
BIRON.

Ja, Lumpen fordern Dank, wenn sie gerade nicht stehlen. Er ist schlecht wie alle; aber klug. Die anderen sind noch dumm dazu. Also muß man den Klugen wählen – und klüger sein als er –. Es ist kein geschickterer unter den Russen – und Lügner sind sie alle.

KURAKIN
reißt den Degen heraus und stürzt sich aufbrüllend auf Biron.
Wa – Was!? Lügner –? Alle –? Alle Russen –?
BIRON
hat ihm mit einem Griff den Degen aus der Hand geschlagen und hält lächelnd seine Rechte fest, indem er ihn wieder zu seinem Sessel führt und niedersetzt.
Eure Durchlaucht haben Ruhe nötig – –!
KURAKIN
der sofort wieder in Unkraft versinkt und in den Sessel fällt.
Alle – Russen – nicht –Tappt nach seinem Degen, den er versorgt. Alle ni – nicht – –
BIRON
sieht auf das Papier.
Nun –? Noch immer nicht –?
ANNA
von der rohen Szene angewidert.
Ach – wie mich vor allem ekelt –!
BIRON.

Ekel –? Das ist gut, dann mach es nur schnell. Nimmt ihre Hand und führt die Feder. So – so – siehst du –? Lacht. Die lassen jetzt Gott und Teufel mit dem Schwören in Ruhe –!

ANNA
widerstrebt vergeblich.
Laß – los – –
BIRON
hält ihre Hand fest.
Warte! Zu Ostermann. Haben Sie noch dergleichen, Exzellenz?
OSTERMANN
lächelt gezwungen.
Nein – –
[168]
ANNA
zu Biron, der nun losläßt.
Lümmel! – Bestie –!
BIRON
lacht roh.

Hahaha! Soll ich dich wieder ein wenig ausfahren, damit dein Blut ins Rollen kommt – He? Zu Ostermann. Das war dir eine Jagd, Väterchen Kanzler! Da fuhr uns ein fremder Schlitten vor! Mir fuhr der Schuft von Stallknecht vor –! Eine Troika mit drei Fuchswallachen – und er fuhr nicht übel! Aber ich sollte mich drücken lassen?! He? Schlägt mit der Peitsche auf den Tisch. Erst klatschte ich dem Kerl die Peitsche um die Ohren, dann riß ich meine Rappen hoch, daß ihnen der Schaum aus den Gebissen flog, und legte los! Die Füchse waren hinter uns bald nicht mehr zu sehen, als hätte sie das Eis der Newa gefressen!

OSTERMANN.
Man kennt Eure Hoheit in solchen Dingen. – Wer war der Kühne?
ANNA
schnell.
Ein Fremder.
BIRON.

Ich kannte die Livree nicht. Und vom Herrn im Schlitten sah man kaum die Nasenspitze aus dem Pelz hervorgucken. Zu Anna. Hast du mehr bemerkt?

ANNA
kurz.
Nein.
BIRON.
Ich glaube, es saß noch wer im Schlitten – He?
ANNA.
Ich habe nichts gesehen.
BIRON.

Es wäre doch interessant, das Gespann kennen zu lernen. Ich will Wolinski fragen, den Allwissenden. Will fort, bleibt an der Türe stehen und fragt zurück. Wie stehts mit dem Narrenkönig – He? Hast du schon einen?

ANNA
schweigt versonnen.
OSTERMANN.
Heute abend soll er gekrönt werden – nicht?
ANNA
wie erwachend.
Wie –?
BIRON.
Schläfst du? Es wäre an der Zeit, daß du dir einen aussuchst.
ANNA.
Ach ja, daran dachte ich gar nicht mehr –
BIRON.
So? Und gestern noch war es deine einzige Sorge.
ANNA.
Sende mir Wolinski her.
BIRON
lacht.

Willst du ihn zum Narrenkönig machen? Schlägt Kurakin, der eingeschlafen ist, auf die Schulter. Oder vielleicht den da? Mir fiel die Wahl schwer. Zu Kurakin, der schwerfällig aufsteht. Komm mit mir, Väterchen, du hast schon lange nichts getrunken – und dann mußt du frische Luft haben – Das macht nüchtern – und dann wieder durstig. Komm – so – – Obacht! Du stolperst über deinen Degen –

KURAKIN
neigt sich vor der Zarin; dann im Abgehen zu Biron.
Alle Russen – – nicht – – alle – nicht – –

Kurakin und Biron ab nach hinten.
Pause. – Ostermann nimmt das unterschriebene Urteil vom Tisch, [169] sieht die Unterschrift an, dann die Zarin, und legt das Papier schweigend in seine Mappe. – Anna sieht ihm aufmerksam dabei zu; ihre Blicke begegnen sich, ruhen eine Weile ineinander; sie sucht offenbar nach Billigung oder Widerspruch; er bleibt völlig geschlossen.
OSTERMANN.
Befehlen Majestät noch etwas?
ANNA.
Das haben Sie jetzt nicht sagen wollen.
OSTERMANN
lächelt.
Dann hätte ich's nicht gesagt.
ANNA
nach einem forschenden Blick.
Warum wollen Sie gar nichts von mir wissen?
OSTERMANN.
Ich habe nie versäumt, zu erfahren, was ich wissen mußte.
ANNA.
Ich habe vom Wollen gesprochen.
OSTERMANN.
Ich will nur, was ich muß.
ANNA.
Das ist deutsch – Sind sie drüben alle so?
OSTERMANN
zuckt die Achseln.
Ich spreche nur von mir. Ich war seit meiner Jugend nicht mehr in Deutschland.
ANNA
steht auf.

Jugend –? So viele Jahre sehen wir uns jeden Tag. Dieses Wort haben Sie heute zum ersten Male gesprochen.

OSTERMANN.

Vielleicht haben Sie es zum ersten Male beachtet, Majestät. – Auch ist es besser, von dem, was war, zu leben, als davon zu sprechen –.

ANNA
unwillig.

Immer weichen Sie mir aus. Näher. Graf Ostermann: Einen Augenblick seien Sie nicht mein Kanzler! Können Sie das?

OSTERMANN.
Wenn Sie es wünschen, Majestät – –
ANNA
fast zornig.

Nur dann – nur dann!? Auch Ihr Echtes wollen Sie befohlen haben! Sehen Sie denn nicht, wie mich alle quälen!? Alle, die um mich sind! – Narren sind sie – alle gefährlich – eitel – niedrig und feig! Vor jedem, der noch schlechter sein könnte als sie, packt sie; das Grauen! Tiere, schmutzige Tiere –. Einer grunzt, der andere wiehert, aber keiner spricht – keiner sagt mir, was es doch gibt und wonach ich durstig bin! – O, sagen Sie mir ein Wort davon!

OSTERMANN.
Zarin – ich wüßte nicht –.
ANNA.

Ja – Sie wissen! Nicht der Kanzler! Sie!Nahe; sehr rasch und eindringlich. Man sagt mir, Sie haben einen Menschen getötet – Er zuckt. Ich weiß es doch lange – ja – als Sie jung waren – Studenten – im Zweikampf –. Aber damals zuckte in Ihrem Blute etwas – und trieb das Herz zum Haß – und riß Ihren Degen in eine lebendige Brust – –! Was war es – Was war es?

OSTERMANN
wehrt ab.
Das ist vorüber, lange vorüber –
ANNA.

Es war das Leben! Das eine – große – einzige Gebot, das schrie: Ich will! Stirb du – oder töte mich! Aber nicht um Thron und Reich und Zarenkrone – um keinen Stern und keine Gunst – [170] nur um das Leben – um das fragenvolle, wunderbare! O, wer so reich sein könnte!

OSTERMANN.
Wer sollte das nicht!
ANNA
die unruhig gegen hinten ging, bleibt stehen und sagt, ohne den Kanzler anzusehen, wie um ein Tiefstes ringend.
Ich – bin – es nicht – –
OSTERMANN
der nicht versteht, was in ihr vorgeht.
Auch ich bin es heute nicht mehr –.
ANNA
spricht die letzten Worte mechanisch nach.

Nicht – mehr – Plötzlich aufschreiend. Nein –! Nein –! Nein –! Sie faßt sich gleich wieder und sagt ganz beherrscht, sachlich. Als die Zarin Katharina starb – da war sie fünfzig Jahre –?

OSTERMANN.
Noch nicht so viel – –
ANNA.
Und Fürst Mentschikoff – –?
OSTERMANN.
War damals noch ziemlich weit von sechzig.
ANNA.
Ja, er war alt – und häßlich – und roh. Plötzlich. Glauben Sie es auch?
OSTERMANN.
Was man über die Zarin und den Fürsten zu erzählen wußte –?
ANNA
deren Gedanken schon wieder eine andere Richtung nahmen.

Wie –? Nein. Ich meinte: Was der Herzog vorhin sagte – worüber sie dann beinahe zu raufen kamen – er und Kurakin –

OSTERMANN.
Das von den Großen des Hofes?
ANNA.
Daß sie alle lügen – ja.
OSTERMANN.
Seine Hoheit kennt die Russen wohl besser als ich.
ANNA
stampft auf.

Keine Angst! Jetzt dürfen Sie ja wieder Kanzler sein. Antworten Sie, Graf: Ist einer, dem Sie voll vertrauen?

OSTERMANN.
Ich habe immer nur mir selbst vertraut – sonst keinem.
ANNA.
Auch mir nicht – wie ich sehe.
OSTERMANN.
Wir sprachen von den Großen des Reiches, Zarin.
ANNA
beginnt gehalten; steigert sich dann.

Und wenn nur einer wäre – klug – von der Welt erfüllt – von weitem Geiste – der nie vor etwas scheute, was sein Innerstes befahl – – Wenn einer wäre, Graf, der niemals log – ein männlich festes Herz zur Tat besitzt – und nur das Eine kennt und will, was mehr ist als er selbst, was außer ihm und über ihn nach reiner Kraft sich sehnt – – einer, der seiner selbst vergessen könnte, weil Volk – und Land – und Welt – und Gott ihn ruft – –! Wenn nun ein solcher wäre –

OSTERMANN
unwillkürlich mitgenommen.
Der verdient auf der Stelle des Reiches Zar zu sein – so wahr ich lebe!
ANNA
wie aufjubelnd.
Zar –!? Des Reiches Zar! Ein kühnes Wort! In Ihrem Munde doppelt schwer –!
[171]
OSTERMANN.
Ich darf es ruhig wagen, Zarin, denn es ist keiner.
ANNA.

Und wenn ich doch einen wüßte – Graf Ostermann? Wenn einer wäre. – Freudig bebend. Er müßte auf der Stelle Zar sein! – – Sie selbst, mein kluger Kanzler, haben es gesagt – –

OSTERMANN
erschrickt.
Es war ein unbedachtes Wort – – Ich ahnte nicht, daß Eure Majestät im Ernst – –
ANNA
fällt ihm an den Hals.

Nun hab ich dich, Väterchen Kanzler! Nun hab' ich dich! Mach' doch kein so kummervolles Gesicht! Lache! Hörst du? Lachen sollst du und nicht den Kopf schütteln, wenn deine Kaiserin froh ist –!

OSTERMANN
ratlos.
Ich weiß ja nicht, warum sie es ist.
ANNA
drollig erstaunt.

Warum –? Du weißt nicht warum –? Ach freilich weißt du nichts! Ich habe dir ja noch gar nichts gesagt! Wieder plötzlich ernst, fast streng. Graf Ostermann, Sie können schweigen?

OSTERMANN.
Wer sollte das besser wissen als meine Zarin.
ANNA
bestrebt, so sachlich wie möglich zu bleiben.

Sie wissen: Fürst Anatol Galizyn ist heimgekehrt. Unvermutet. Nach zehn Jahren Fremde. – Er ist anders geworden. – Hat wohl viel gesehen – viel erfahren. Vieles drängt in seinem Kopf. Viel Unrast. Viel Kraft. Noch weiß ich nicht, wohin sie zielt. Aber sie wird sich befreien. Sie muß sich befreien.Eindringlich. Ich binde es Ihnen auf die Seele, Graf: Forschen Sie nach seiner Gesinnung – seinen Absichten. Anderer Ton. Es könnte sein, daß ich ihn haben muß – daß hier an diesem Hof kein Platz für ihn zu vornehm ist – daß er mir vieles wiederbringen könnte – – – Ertappt sich auf Gedanken, die sie nicht äußern wollte. Sie haben mich gehört?

OSTERMANN
verneigt sich.
ANNA.
Nicht Ja – Nicht Nein –? Kein Wort?
OSTERMANN.
Ich kenne den Fürsten nicht –
ANNA.

Ach kennen – kennen –! Das ist ein kaltes Wort – ein Wort, das durch Brillen schaut. Sehen Sie ihn mit Ihren eigenen Augen an – mit den Augen, die Sie damals hatten, als es auf Tod und Leben ging. Näher. Mit solchen Augen sollst du ihn sehen, Väterchen Kanzler, und du wirst sagen, daß deine Zarin richtig schaute. – Geh' jetzt und hilf mir.

OSTERMANN
will fort.
ANNA.

Noch etwas – Er bleibt stehen und sieht sie fragend an. In dem Schlitten, der uns heute begegnete – –

OSTERMANN.
Der dem Prinzen vorzufahren wagte –
ANNA.
– da saß noch jemand –
OSTERMANN.
Noch jemand –? Ich habe nur von einem Fremden gehört.
[172]
ANNA
nachdem sie ihn kurz angesehen.

Es war – Fürst Galizyn. Zögernd. Und – eine – fremde – Dame – – Schnell. Du mußt erfahren, wer sie war.Geräusch. Geh' schnell – – Lächelt über ihren Schreck. Nun haben wir doch zusammen ein Geheimnis – und dürfen erschrecken, wenn wer kommt.


Ostermann will fort, nachdem er die Zarin gegrüßt; in der Türe begegnet er Wolinski, der eben eintreten will und stehen bleibt, als er den Kanzler sieht. Er tritt nun zurück und läßt Ostermann hinaus, dann tritt er ein, neigt sich und bleibt in der Nähe der Türe stehen. – Die Zarin ist – von seinem Anblick sichtlich wenig erfreut – wieder an den Tisch getreten. – Kleine Pause.
ANNA
wendet den Kopf nach Wolinski.
WOLINSKI.
Du hast mich rufen lassen, Zarin – – Kommt näher. Was befiehlst du, Kaiserin?
ANNA
wendet sich mit Abscheu weg.
Ihre Stimmen sind rauh – ihre Worte dumm – ihre Blicke geil und feig!
WOLINSKI.

Es gibt Stimmen, die fein klingen, Worte, die klug sind, Blicke, die Mut und Reinheit strahlen – und dennoch lügen alle drei.

ANNA
mit zorniger Verachtung.
Kriecher!
WOLINSKI
zischend.
Vielleicht ein nützliches Tier, wenn es Worte hätte.
ANNA.
Sag, was du weißt!
WOLINSKI
ruhig berichtend.
Der Marschall Münnich schlug den Khan –
ANNA
ungeduldig.
Das weiß ich –
WOLINSKI
wie oben.
Fürst Galizyn ist heimgekehrt – das weißt du auch – –
ANNA
gesteigert.
Doch du weißt mehr –!
WOLINSKI.
Ich? War der Fürst nicht hier?
ANNA.
Was hast du über ihn erfahren?
WOLINSKI
glatt.
Nur Lügen.
ANNA
bebend.
So lüge –! Aber sprich von ihm –
WOLINSKI
kommt dicht an sie heran und legt ihr die Hand auf die Schulter; sie zuckt; er lächelt überlegen.

Ist meine Hand so hart? Drückt sie dich, Zarin? Es ist die Hand, die deine Feinde tötet und die dich immer streicheln möchte. Ja, Kaiserin: Indes andere vor dir schöne Worte sprechen, dir von Liebe schwärmen – stehe ich zwischen dir und deinen Todfeinden – zwischen ihrem Haß und deiner Verachtung – ohne Licht und Lohn und Liebe – und niemand war noch, der mich Mensch und Freund geheißen hätte! Sie wendet sich ab. Und darf dich meine Hand nicht kosen, so soll sie dir dienen, wie sie es durch alle Jahre getan hat. Dieser Kopf soll dein Glück ersinnen – dieses Herz deine Freude finden.

[173]
ANNA.

Knechtesliebe hat keine Flügel! Dich selber meinst du, wenn du mich nennst. Doch ich bin frei! Frei ist diese Hand – die Hand einer Kaiserin ist es –. Das sollt ihr fühlen –!

WOLINSKI
mit versteckter Feindschaft.

Wohl – deine Hand ist frei – – Du hast sie manchem entzogen – – auch manchen damit gestreichelt – Anna – – Sie macht eine unwillige Geste. Doch – seine Hand – –

ANNA
wendet sich ihm zu.
Ah – –?
WOLINSKI
kalt.
Fürst Anatol Galizyn kehrte vermählt zurück –
ANNA
will sich in heller Wut auf ihn stürzen.
Das lügst du!!
WOLINSKI
fängt ihre Hand auf, hält sie fest und sieht die Zarin ruhig an.
Sei Kaiserin – Anna Iwanowna –!
ANNA
nach einer kurzen Pause, völlig gebrochen.
Was weißt du? Er zuckt die Achseln. Du mußt mehr wissen – Du mußt – – hörst du! – Wer ist das Weib?
WOLINSKI
hart.

Du bist verraten, Zarin. Schon damals, vor Jahren, als er dich plötzlich verließ – als er den Mut nicht fand, bei dir zu stehen.

ANNA.

Ein Wort ist wahr – das zweite Lüge! Weißt du, warum er damals ging –? Warum er gehen mußte? He? Nichts weißt du! Wie das war, das erfährst du nie – du nicht und keiner.

WOLINSKI
fest.
Er verkaufte dich.
ANNA
drohend.
Wie –?
WOLINSKI.

Er verkaufte dich – sage ich. Frage Kurakin – oder frag ihn lieber nicht. Denn er wird den schmutzigen Handel nicht gestehen, den er damals mit dir – mit deinem Herzen trieb – und auf den dieser Abenteurer, dieser Galizyn nur zu schnell einging. Zarin! Anna! Mach deine Augen auf! Noch nie ward ein Weib beleidigt wie du! – Und nicht nur damals: Jeden Tag, den er fern war, verriet er dich aufs neue! Dich – sein Land – sein Volk – seinen Glauben!

ANNA
stammelnd.
Land – Volk – Glauben –? Hahahaha! Du meinst wohl, ich ginge auf das alles ein –? Wie?
WOLINSKI.

Das Weib, dem er sich da draußen in die Arme warf, ist eine Fremde, Fürst Galizyn hat das Bekenntnis der heiligen Kirche Rußlands abgeschworen, seinen Sinn römisch gewandt, um sich der Frau, die seine Sinne entflammte, in ihrem Glauben untrennbar zu verbinden.

ANNA
zuckt wie unter Peitschenhieben zusammen, ihre Hände suchen krampfhaft etwas zu fassen.
– Sinne entbrannt – – untrennbar – weiter – –!
WOLINSKI.

Glaub ihm das Märchen von der freien Ferne nicht. Ein feiger Handel war es! Er floh aus Angst, als Kurakin, ihm drohte – [174] wer weiß, was der schlaue Alte sonst noch anwandte, um ihn dazu zu bringen.

ANNA.
Und du –? Warst du nicht damals auch in Mitau?
WOLINSKI.

Ich wußte von dem Ränkespiel der beiden nichts. Erst viel später – Jahre hernach – verriet sich Kurakin im Rausch einmal und prahlte, wie er mit Weibern und verliebten Kavalieren spielte. Es war ein falsches, giftig falsches Spiel –! Aber nun hast du beide, Zarin, den betrunkenen, alten Narren brauchst du nicht zu halten; der bleibt dir. Aber ihn – den anderen – den Glücksritter – den niedrigen Verräter – den –

ANNA
fährt ihn an.

Schweig! Er zuckt zurück; sie lacht rauh. Wie du erschrickst! Weshalb erschrickst du so? Keine Angst. Ich brauche dich vielleicht – – Undurchdringlich. Und du liebst mich ja – – haha – nicht wahr? Näher. Wie sieht sie aus?

WOLINSKI.
Das Weib des Galizyn?
ANNA.
Sie ist von fern her –?
WOLINSKI.
Aus Frankreich – hörte ich – oder aus Italien – ich weiß es nicht – –
ANNA
sinnend.

Frankreich – Italien – wer weiß? Es mag schöne Menschen geben draußen in der Welt – – leichte, – befreite, – die lachen können, wie Kinder lachen –. O, sie ist weiß und schlank – und geht wie eine junge Göttin – Ich liebe diese fremde Frau – weil sie schön ist – haha –

WOLINSKI
überrascht.
Wo hast du sie gesehen?
ANNA.

Gesehen –? Wo –? Hahaha – – Ich kenne sie lange – ich kannte sie immer – immer – verstehst du? Die schöne, weiße, glatte Frau mit den stillen Augen – und den ruhigen, schmalen Händen – –Sieht ihre Hände an. Sie sind häßlich – nicht wahr? – Tatarenweiber haben solche Pfoten – mit kurzen, dicken Fingern, wie Krallen – – Ob sie würgen können – – Packt ihn mit beiden Händen am Halse. Laß sehen – –!

WOLINSKI
wehrt sich halb scherzend, halb ängstlich.

Wahrhaftig! Das können sie – – Da sie fester drückt. Aaaah! – Macht sich los und springt einen Schritt zurück.

ANNA
lacht.

Hahaha! Nicht fürchten – ich habe noch keinen er würgt – – Wieder sinnend wie früher. Weißt du: Wenn ich in den Spiegel blicke, da seh' ich sie – – da steht sie neben mir – und lächelt – – und zeigt mir ihre Augen – und meine Augen – ihre Hände – und meine Hände – ihre weiße Stirn, ihre glatten Wangen – und mein gelbes Gesicht – – Und ich möchte mit der Faust in den Spiegel schlagen – und sie und mich zugleich zersplittern – – Weh. Und Liebe, Liebe lächelt in ihr Leben – und streichelt jede Form – und Küsse geben [175] ihren Lippen den sanften, werbenden Schwung – – O – wie ich sie kenne, diese fremde Frau – wie ich sie liebe –! Wie ich voll Sehnsucht bin nach ihrer hellen Wärme! Wie ich sie hasse! Pause, dann planvoll und sicher. Ich will ihnen beiden eine Hochzeit richten, wie keinem je! Eines hab' ich, was sie nicht hat – eines kann ich, was sie nicht kann: Es liegt in meiner Hand, ob ich dieses Götterbild auf einen goldenen Altar stelle oder in den Staub trete –. Ich kann beides – wie ich will –!

WOLINSKI.

Was du auch beschließen magst, Zarin: Vergiß nicht, wie er dich erniedrigt – wie er dich verraten hat.

ANNA.

Hahaha! Du möchtest gerne erfahren, was ich tun werde? Ha! Ich kann alles. Ich kann vielleicht auch vergessen, wenn ich will. Ich habe ja zweierlei Blut – zwei Herzen – ihr sagt es ja immer – ein weißes und ein schwarzes. Aber nun könnte es sein, daß eines von ihnen zu glühen beginnt – aufzuckt und brennt, so das andere verdorrt und stirbt.Näher. Merk auf, mein Knechtlein: Ein Herz muß sterben – sie haben beide nicht mehr Platz in einer Brust! Geh' nicht von meiner Seite – Du! Sag es mir immer wieder vor – immer wieder vor, daß ich es nie vergesse – dein giftiges Liebesmärlein –!

WOLINSKI.

Zarin – Anna – Warum muß ich wieder der Bote des Verhaßten sein? Warum muß diese Hand immer zerbrechen – wo sie Streichern will –?

ANNA.
Hände haben ihr Schicksal. Die deinen müssen dienen, mein schwarzer Knecht.

Kurakin und Biron kommen plötzlich durch die Türe im Hintergrund herein. Jeropkin und Trubetzkoj folgen nach.
KURAKIN
weist auf Wolinski.

Nun also! Hab' ich nicht recht! Was sagt' ich? Er buhlt um die Narrenkrone –! Wankt auf die Zarin zu, die angewidert zurückweicht. Hör' nicht auf ihn, Mütterchen! Ein Narr muß vor allem ehrlich sein. Schlägt auf seine Brust. Hier – Zarin – hier schlägt das treueste Herz! Immer – geschlagen –

JEROPKIN UND WOLINSKI
suchen ihn wegzudrängen.
TRUBETZKOJ.
Prachtvoll! Sie balgen um die Schellenkappe! Ein heiteres Spiel!
BIRON
zur Zarin.

Nun, was sagst du zu seinen Neuigkeiten? Der Galizyn ein honigsüßer Gatte! Lacht. Du hattest recht: Ich hielt ihn für einen Abenteurer – und was ist er: Ein Ehemann! Haha! – Er kommt doch heute zum Fest?

ANNA
unheimlich.
Ich lasse beide laden.
BIRON.
Bravo! Jungvermählte gehören auf ein Narrenfest.
KURAKIN
stößt die beiden weg.

Was? Wer will mich von Mütterchen [176] wegreißen? Zu Wolinski. Du bist mir wohl auch schon um die Narrenkrone neidig –? He? Träumst ja lange schon von einer Krone – was?

JEROPKIN.
Wenn es nur Träume sind –
KURAKIN.
Mancher redet im Traum –
JEROPKIN.
Mancher hört auch Träume.
ANNA.

Keinen Streit! Ich kenne jeden. Heftig zu Kurakin. Auch dich! Dich kenne ich jetzt! Du hast es am längsten verstanden, von Treu' und Ehre zu lügen –! Nur weil du alt und betrunken bist, magst du diesmal den heimtückischen, falschen Kopf nicht verlieren! Biron und Trubetzkoj sind hinzugetreten. Ich will ihn sehen! Die Lüge macht ihn noch ekelhafter als der Rausch! Lacht plötzlich auf. Und dann – wartet ja das Fest – Hahaha! – das Narrenfest – das Freudenfest – das Hochzeitsfest! – Kommen Sie!


Mit Biron und Trubetzkoj ab.
Kurakin – Jeropkin – Wolinski.
KURAKIN
der noch wie vor den Kopf geschlagen dasteht, plötzlich.

Wa – Was war das? Lügner ich? Heimtückisch – dieser Kopf –? Sieht plötzlich Wolinski, der lächelt und stürzt sich in aufheulender Wut auf ihn. Du Hund! Du erbärmlicher schieläugiger Kriecher!! Das hast du auf deinem schwarzen Gewissen!

JEROPKIN
reißt den Wütenden zurück.
Was soll das?!
WOLINSKI.
Alter Narr, was kümmert mich dein Rausch?!
KURAKIN
sucht sich von Jeropkin loszumachen.
He!? O – hell genug! Ich seh dich gut! Das sollst du mir aber –!
WOLINSKI.

Faß dich! Wärst du nicht betrunken, so könnte ich dir sagen, woher dir der Zorn der Kaiserin kam. Aber so – – Schlaf dich erst ordentlich aus!

KURAKIN
schreit.
Sagen –? Sagen –? Nichts kannst du!
WOLINSKI.
Brüll nicht so, das ist das erste.
KURAKIN
weinerlich bettelnd.

Sagen – Sagen – Väterchen – Ich will ihn zertreten – den Lügner, der mich vor ihr schlecht gemacht hat – – Sagen – –!

WOLINSKI.
Denk nach, wer heute früh gekommen ist –!
KURAKIN
fährt sich mit der Hand über die Stirn.
Heu – Heute früh? Der – der Galizyn –
WOLINSKI.

– war bei der Zarin. Und jetzt denke weiter nach, was er ihr zu sagen hatte – He? Denk an die Rosen von Mitau – damals – vor zehn Jahren – und wie sie schrie, als er plötzlich fort war. Ich hab's gehört – ich hör's heute noch und da glaubst du, sie hätte das vergessen – und den, der ihn ihr entführte? Bis jetzt konnten wir alles verdecken und drehen – nun ist er [177] selber da und hat die erste Sorge, seinen Hals zu sichern – und alles auf uns – auf dich zu wälzen.

KURAKIN
zwischen Wut und Weinen.
Ich werd' es ihr sagen – – ich werde ihn – –
WOLINSKI.

Du –? Haha! Du hättest ruhig gewartet, bis er dir die Schlinge um den Hals legte. Alle die Jahre hast du nur von der Laune der Zarin gelebt – fest standest du nie. Für dieses Mal habe ich den Streich noch aufgefangen, der dich zerschmettern sollte. Du weißt: Wir sind Kameraden.

KURAKIN
nun nüchtern, zu innerst getroffen.
Ich habe nie an etwas anderes gedacht als an die Herrlichkeit des großen Zaren Peter.
WOLINSKI
schnell.

Das sollst du auch jetzt nicht anders halten. Nimmt seine Hand. Kurakin! Sie ist daran, den Thron des großen Zaren Peter zu schänden! Dieser Abenteurer, dieser Galizyn hat alles Vergangene wieder aufzuschüren verstanden. Begreifst du, um was es geht? Er oder wir!

KURAKIN.
Ich will ihn erwürgen!
WOLINSKI.

Das würde dir schlecht bekommen und uns nichts nützen. Wir müssen einen anderen Weg gehen – einen sicheren Weg, Schüttelt seine Hand. Du gehörst zu uns! – Peter Jeropkin hat's gehört: Du willst den Galizyn erwürgen.

KURAKIN
sieht auf Jeropkin.
Du schweigst!
WOLINSKI.
Er wird schweigen – wie du – –

Eichler, Puschkin, Chruschtschow kommen rasch von hinten.
WOLINSKI
fortfahrend.
– – wie wir alle hier schweigen.
KURAKIN
sieht einen nach dem andern an; nun ganz nüchtern.
Wir – alle – wir – alle – Streckt ihnen die Hände entgegen, die sie ergreifen.
WOLINSKI.
Ein alter Freund wieder in unserer Mitte! Nun naht das Morgenrot!
EICHLER
reicht ihm einen Brief.
Hier – das brachte eben ein eiliger Kurier. Du siehst: Verschlossen.
PUSCHKIN.
Was ist es?
WOLINSKI
sieht einen nach dem andern scharf an.
Und – wenn ich schweige –
ALLE.
Das darfst du nicht!
KNRAKIN
schwer.
Das kannst du jetzt nicht mehr!
EICHLER.
Was meldet der Brief?
WOLINSKI.
Von Semenoff aus Moskau. Er hat Brände angesteckt. Nun müssen wir nach.
PUSCHKIN.
Und das Fest heute abend?
WOLINSKI.
Das gilt dem Galizyn.
CHRUSCHTSCHOW.
Die Hochzeit?
[178]
WOLINSKI.
Er brachte sich ein junges Weibchen mit.
PUSCHKIN.
Dann ist er nicht gefährlich.
WOLINSKI.

Die Zarin plant etwas Seltenes. Wer weiß, was dieses Fest uns bringen soll. Deshalb: Wir müssen schneller sein als sie. Gut – daß Semenoff anfing. Die Straße ist uns sicher. –

ALLE
nicken.
PUSCHKIN.
Ich ließ wieder Geld verteilen.
WOLINSKI.
Von Schweden habe ich günstige Kuriere – – Alle sind bereit – –
ALLE
im Abgehen, gedämpft.
Es lebe Rußlands Zar!

Gehen nach hinten ab.
KURAKIN
der etwas zurückblieb.
Gemach – du Narrenzar! Noch ist es Nacht – –!

Den anderen nach – ab hinten.
Vorhang.

3. Akt

Der dritte Akt

Abend desselben Tages.
Ein abseits vom Festgewoge liegender Teil des Eispalastes auf der Newa. Farben: Eisblau, weiß und silbern. – Kaltes Licht. – Die rechte Hälfte des Hintergrundes nimmt ein zugezogener schwerfaltiger Vorhang in dunkelroter Farbe ein. – Ein Narrenwagen steht davor. – Links hinten eine Galerie, die nach links hinaus verlaufend zu denken ist. – Rechts vorn Thron mit Stufen und Baldachin. Daneben Tischchen mit Glaspokal.
Abgänge: Von der Galerie und rechts und links vorn. – Die Aussicht von der Galerie ist nach unten in den Hauptsaal des Palastes zu denken.
Es ist Nacht: daher künstliche Beleuchtung anzunehmen, die durch Laternen gegeben ist. Auch in den Lichtern ist die kalte Klarheit der Farbenstimmung festzuhalten.

ANATOL UND OSTERMANN
kommen von der Galerie links im Gespräch.
Sie sind beide – wie alle Personen dieses Aktes – in großer Festtracht mit Pelzmantel und Hut.
OSTERMANN.
Vortrefflich! Ganz vortrefflich, mein Freund! Ich darf Sie doch so nennen, Durchlaucht?
ANATOL.
Sie machen mir die größte Freude damit, Exzellenz!
OSTERMANN.

Sie haben meinem alten Kopf viel zugemutet in dieser kurzen Stunde – aber Sie haben ihn auch förmlich wieder jung gemacht, Sie möchten einem am liebsten die ganze Welt in einem einzigen ungeheuren Satz in die Seele schütten.

[179]
ANATOL.

Was soll alles? Alle Pläne, Gerüste, Vorschläge? Sie sind Papier und Tinte, wenn sie den Weg nicht finden zu den lebendigen Millionen, die darauf warten. Und dieser Weg geht über Sie, Exzellenz, über die Zarin – über so viele, die alle auf sich selbst vergessen müssen um der Sache willen.

OSTERMANN.

Die Zarin darf an diesen reichen Möglichkeiten nicht vorübergehen! Dafür will ich Sorge tragen – so schwer es auch zur Stunde sein mag. Deutet auf die Dekoration. Denn sehen Sie selbst: Dieses Fest! Diese Maskenlaune! – Ach ja – wenn es das Große gilt, hält uns ein Narrenspiel davon ab. – Heute jedenfalls wäre die Zarin geneigt, die besten Gedanken für einen Scherz zu halten und Ihnen am Ende dafür die Narrenkrone anzubieten. – Es wäre wohl auch nicht das erste Mal, daß eine Frau den Mann, in dessen Hirn sich ringend eine Welt gebiert, zu ihrem Narren machte. – Ich will aber trotzdem einen günstigen Augenblick erlauern – –


Beide im Gespräch ab nach rechts.
Nach einer kleinen Pause – von ferne setzt leise Musik ein – kommt von links vorn die Zarin Anna, gefolgt von Wolinski. Die Zarin ist in großer Festtracht, in weißer Seide, mit Gold und Edelsteinen übersät, ein blitzendes Diadem auf der Perücke. Einen reichen Hermelinmantel hat sie über. Wolinski ist ebenfalls in prächtiger Kleidung, seinem Rang entsprechend.
ANNA
geht einen Schritt gegen die Galerie und sieht überall unruhig umher; plötzlich bleibt sie vor dem roten Vorhang stehen und sieht auf den Narrenwagen.
WOLINSKI
folgt ihren Bewegungen und Blicken mit lauernden Augen; dann sagt er.
Zarin – tat ich's dir zu Gefallen?
ANNA.
Still – –!
WOLINSKI
sieht ihrem Blicke nach.
ANNA.
Es folgt uns einer nach – –
WOLINSKI.
Niemand folgt uns, Kaiserin – Wir sind allein, Anna – – Nähert sich.
ANNA
wehrt heftig ab.
– – durch die Galerie – – ein leiser Schritt – – immer – immer – hörst du –?
WOLINSKI.

Nichts – Nur von fern her die ersten Laute des Festes. Draußen fahren die Schlitten vor, überall regt sich die Freude – das Leben – – Sie zuckt. Wen fürchtest du –?

ANNA
sieht ihn lange an; dann sagt sie zögernd.
Ich brauche einen, der mir hilft – –
WOLINSKI.
Und da suchst du –?!
ANNA
indem sie ihn unausgesetzt ansieht, langsam.
Mein – schwarzer Knecht –
WOLINSKI.
Deine Augen sprechen so viel – Warum schweigst du, Zarin?
[180]
ANNA.
Still! Hörst du? Die leisen Schritte – –
WOLINSKI.
Nichts rührt sich. Warum erschrickst du vor jedem Hauch –? Sprich, Kaiserin! Vertrau dich mir!
ANNA
nach kurzer Pause; jäh.
Schaff sie mir fort!
WOLINSKI
steht ohne Verstehen.
–?
ANNA.
Töte die Fremde –!
WOLINSKI
mit Staunen und Schreck.
Das Weib des Galizyn?
ANNA.
Schaff sie mir fort! Hörst du? Schaff sie fort – –
WOLINSKI.
Kaiserin – muß es –?
ANNA
sieht weg.

Ich will keine Frage hören – – kein Wort – Du sollst nicht davon sprechen, – Sieht ihn an. – auch mit den Augen nicht, – – Geht nach der Galerie und sieht hinunter; er kommt ihr nach. Warum schleichst du mir nach, du hast Augen wie ein Wolf – – so feig und lüstern – –!

WOLINSKI
halb zu sich.
Muß dieses Opfer sein –?
ANNA.

Was redest du da? Du läßt mich lange warten – viel zu lange! Als es um Worte ging, da warst du schneller – Worte sind leicht, wie ein Hauch – und Worte hast du viele, an die ich glauben soll. Auch das Wörtchen »Liebe« ist darunter – und noch eines – – Auf das warte ich jetzt. Er schweigt, sie ändert den Ton. Oder sollte Kurakin in seinem Rausch heller sehen als der ganze Hof!? Er zuckt zusammen. Wie –? Nun liegt die Tat in deiner Hand, mit der du den Verdacht zerbrechen kannst. Du zögerst? Seh' ich dich jetzt? Sollte es wahr sein –? Greift ihn am Arm.

WOLINSKI
kalt entschlossen.
Kaiserin – deine Befehle!
ANNA.

Du kennst sie. Auf den Wagen deutend. Hier ist das Totenbett, wo ich sie sehen will. Nimmt den Glaspokal. Diesen Pokal, mit blutrotem Wein bis an den Rand gefüllt, sollst du mir reichen, wenn du der Pflicht genügt hast. Merke das Zeichen wohl.Reicht ihm den Pokal.

WOLINSKI
kalt.
Blutroter Wein – deute den Tod.
ANNA.
Den Fürsten halte ich hier, du wirst es leicht haben Verächtlich. ein Held zu sein.
WOLINSKI
lauernd.
Und der Lohn meiner Tat?
ANNA.
Deiner Kaiserin Gnade.
WOLINSKI
näher.
Und die Gunst meiner Dame – Anna –
ANNA.
Was willst du?
WOLINSKI.
Das fragst du noch? Will sie an sich ziehen.
ANNA
reißt sich los und stößt ihn zurück.

Deine Kaiserin steht vor dir! Gehorche und schweig', schwarzer Knecht. Und wenn Du einen Schritt seitwärts gehst von dem Weg, den ich dir gewiesen habe, so siehst du die Lichter dieses Festes nicht mehr erlöschen!

[181]
WOLINSKI
zu tiefst getroffen.
Anna – –!
ANNA
abweisend.

Hörst du –?! Stimmen näher. Noch soll mich keiner hier sehen! Da er mit will. Bleib und halte sie hier. Forteilend. Denke des Bechers voll Wein!


Rasch ab nach rechts.
WOLINSKI
von ihr nicht mehr gesehen, mit feindseligem Blick.

Dein schwarzer Knecht will Herr sein! Wenn nicht mit dir, – so gegen dich. Blutroter Wein deute dir Tod! –


Lärm vieler Stimmen rasch näher. Von der Galerie links Herren und Damen des Hofes in Kostüm und Maske. Unruhige, stets bewegte Gruppe. Man schäkert, küßt und lacht während der ganzen folgenden Szene. – Auch die Verschwörer sowie die Fürsten sind in der Gruppe. Das Gehaben der Festgäste, von denen einige sichtlich betrunken sind, verrät im ganzen eine schlecht verschminkte
Derbheit, die immer mehr zunimmt, je weiter der Abend fortschreitet.
KURAKIN
erblickt als erster Wolinski.
Hoho! Da haben wir ihn! Dich suchen wir –!
EINIGE
nachdrängend.
Des Festes Meister –!
ALLE
zurufend.
Heil! Heil! Des Festes Meister, Graf Artenau.
TRUBETZKOJ
einen Weinkelch in der Hand, drängt sich vor.
Meister des Festes! Graf Artenau! Wir bringen dir unsere Huldigung! Wein her!
ALLE.
Wein! Schenkt ein –! Diener mit Goldkannen und Kelchen servieren Wein.
TRUBETZKOJ.
Ihm aber sei er gebracht – dem Meister des Festes, dem König der schäumenden Nacht –!
ALLE
rufen und trinken.

Heil –! Graf Artenau –! Meister –! Heil!! Sie haben Wolinski gegen den Thron gedrängt, so daß er die Stufen hinaufsteigt und nun mit der einen Hand nach dem Thronsessel greift.

BIRON
führt Wolinski am Arm die Stufen herab.
Kaiserlein! Laß deine Hand vom Thron! So – steig nur herab –!
ALLE
ihn unter Gedränge befreiend.
Loslassen! Laßt ihn frei!
PUSCHKIN.
Heut' ist er unser Zar! Der Kaiser dieser Nacht!
BIRON.
Ei wohl! Fast hätt' ich es vergessen! Heut' will die Zarin ja den Narrenkönig krönen!
KURAKIN.

Wie –? Was –? Den Narrenkönig? Den laß ich mir nicht nehmen! Da bin ich Prätendent! Die Krone gebührt mir – sonst keinem!

ALLE
lachen.
Heil! König Kurakin! Heil seiner Narrenkrone!
WOLINSKI
spöttisch.
Eine Narrenkrone – Haha –
BIRON
schlägt ihm auf die Schulter.
Besser die als keine.
KURAKIN
zur Gesellschaft, die ihn umtanzt und neckt.
Auf die Knie! Gesindel! Wollt ihr wohl –?Fährt unter sie. Ich will euch ducken –! Wartet –!

[182] Sie fliehen lachend nach allen Seiten; es bleiben nur die Verschwörer – mit Kurakin – auf der Szene.
WOLINSKI
den Davoneilenden nachsehend.

Es drängt! Es drängt – Ihr alle werdet's noch erleben.Zu den anderen, die sich nähern. Er soll nicht mehr lange spotten, der Stallknecht mit dem Herzogshut!

ALLE
gedämpft.
Wie geht das Werk –?
WOLINSKI.

Es drängt von selbst zum Ziele. In dieser Stunde noch. Weist den Becher vor. Sie selbst gab mir den Kelch, der sie mir liefern soll.

DIE ANDERN.
Gift?
EICHLER.
Da laß mich aus dem Spiele.
PUSCHKIN.
Auch mich –
CHRUSCHTSCHOW.
Mich auch – –
JEROPKIN
beißt sich auf die Lippen und schweigt.
KURAKIN
steht schweigend etwas abseits und beobachtet alles.
WOLINSKI
voll Verachtung.

Es soll sich keiner seine Hand um mich beflecken. Ich war allein – und werde allein sein – – auch hier. Aber wir müssen erst den Weg dahin ebnen, daß wir nicht einen Schritt vor dem Ziel noch straucheln.

EICHLER.
Ich will alles tun – – Wir tun alles – nur dies eine –
PUSCHKIN.
Ich hoffe auf das Weib in ihr –
WOLINSKI.

Das gerade spielt uns den bösen Streich. Wäre dieser Galizyn nicht gekommen –! Zehn Jahre schlief sie – heute ist sie aufgewacht. Und nun lebt es gefährlich in ihr. – Uns bleibt nur dieser eine Weg – und er muß rasch gegangen werden. – Eines brauchen wir jetzt – diese eine Stunde noch, wenn nicht alles über uns einstürzen soll. Alle nähern sich fragend. Vertrauen –!

EICHLER
lacht kurz.
Ein rares Ding –!
WOLINSKI.
Wir müssen es erkaufen! Wir müssen.
PUSCHKIN.
Es steht gar hoch im Preise.
WOLINSKI.
Einerlei! Wir brauchen es. Da ist kein Preis zu hoch.
JEROPKIN.
Kannst du ihn nennen?
WOLINSKI.
Und wenn ich's könnte –?
ALLE.
Sprich –!
WOLINSKI.
Ihr könnt nicht mehr zurück. Vergeßt das nicht!
DIE ANDEREN
finster.
Wir wissen es. Der Preis! Der Preis!
WOLINSKI.
Ein Leben.
PUSCHKIN.
Noch eines?
WOLINSKI.

Es muß sein. Sonst fallen unsere Köpfe. Wäre einer von euch vor der Zarin gestanden, wie ich gerade früher, ich wette, es wäre aus mit uns. Ich fühlte die Schlinge schon um die Kehle. Sagt' ich nicht ja – sie hätte zugezogen. Und das Seil läg auch um euren Hälsen – Wir müssen's tun. Kleine Pause.

[183]
JEROPKIN.
Wer ist es?
WOLINSKI.
Die fremde Frau – – Das Weib des Galizyn –
KURAKIN.
Was hat die Fremde –?
WOLINSKI.

Daß du gerade fragst –? Denk an die Rosen von Mitau! Kann sein, sie will uns heute einen Zaren geben, der Anatol der Erste heißen wird – – Unwillige Geste allseits.

KURAKIN.
Das soll sie nimmer –!
WOLINSKI.
Wer soll's verhindern, wenn nicht wir?
PUSCHKIN.
Ein fremdes Leben – ohne Schuld –
WOLINSKI.

Tun wir es nicht, so findet leicht sich eine andere Hand für sie – und auch für uns! Die Zarin sieht auf jeden unsrer Schritte. Wir können nicht zurück. Nach kurzer Pause. Wer übernimmt es? Alle stehen schweigend.

JEROPKIN
nach Pause; finster.
Schick mich in die Hölle, – aber nenn mich einen Mann. Ich tu's.
WOLINSKI.

Brav, Peter Jeropkin! Doch deinem Werke folgt die Vergeltung an ihr, die es verlangt.Legt ihm die Hand auf die Schulter. Zur Tat! Erst du – dann ich!


Ab mit Jeropkin links vorn; Eichler, Chruschtschow und Puschkin folgen nach.
KURAKIN
bleibt etwas zurück.

Zwei Leben – –? Er ist offenbar in größter Bestürzung, völlig ratlos, fährt sich mit der Hand über Stirn, gibt sich schließlich einen Ruck, den andern nachzufolgen. Im selben Augenblick aber kommt eine Schar Masken von der Galerie hereingelaufen. Trubetzkoj, Löwenwolde, die Narren La Costa, Pedrillo, Apraxin und Balakyrew sind unter ihnen; auch mehrere Damen in Kostüm und Maske. Sie halten einander an den Händen und laufen taumelnd und lachend auf Kurakin zu, den sie sofort einkreisen und am Fortgehen hindern.

TRUBETZKOJ.
Hallo! Halt! Der König! – Narrenvolk – hieher! Dein neuer König!
LA COSTA
packt Kurakin beim Rock und zieht ihn rücklings in die Mitte der Bühne.

Halt! Wer einen König fängt, der hält ihn! Zu allen. Kommt, wir wollen unserer Majestät ein Liedchen singen –!

ALLE
indem sie einen Kreis um ihn drehen und wie Kinder zum Ringelreihen halb sprechend singen.

König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand
ohne Thron und Schranzen –,
wähle dir nach deinem Sinn
eine schöne Königin
für die Nacht zum Tanzen!
[184] Sag uns: Welche soll es sein?
Jede fangen wir dir ein!
KURAKIN
sucht die Kette zu durchbrechen.
Gebt mich frei, sag' ich Laßt mich aus dem Ring, Narrengesindel!

Sie drehen und singen weiter, indem sie ihn gegen die Galerie führen und ganz taumelig machen; in der Galerie kommen ihm Anatol und seine Gattin Maria entgegen, die eben eintreten.
KURAKIN
sieht Maria.
Wer ist die Dame –?
LA COSTA.
Die Fürstin Galizyn –
KURAKIN
zu den Narren, die ihn noch immer festhalten.
Auf der Stelle laßt mich frei!
LA COSTA.
Warum nicht gar!?
ALLE
indem sie ihn nach links in die Galerie hinaus drängen und um ihn her hüpfen.
Such dir eine Königin – Sag uns, welche soll es sein – für die Nacht zum Tanzen –?
KURAKIN.
Laßt los – –!
DIE NARREN
schon draußen.

König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand
komm, wir wollen tanzen –!

Alle ab in die Galerie.
Anatol – Maria.
MARIA
eine lichte, junge Erscheinung; den Narren nachsehend.
Was wollen sie mit ihm –?
ANATOL.
Zum Narrenkönig soll er sich krönen lassen, doch es scheint, er will nicht recht.
MARIA.
Das war Fürst Kurakin –?
ANATOL.

Ein wilder Säufer – ja! 's ist schade. Doch laß sie erst alle nüchtern sein, dann sollst du sehen, was in diesen Menschen steckt!

MARIA
sieht gegen links, woher Lärm dringt.
Wie toll sie's treiben!
ANATOL.

Laß sie nur. Sie sind maßlos im Rausch, wie sie auch im Verlangen nicht Grenzen haben. Gibst du ihnen Schnaps, so sind sie Tiere. Aber wer dies Volk in seiner gläubigen Unendlichkeit mit reinem Willen fassen kann, der macht ein Reich von Glücklichen aus ihnen. Denn in diesem Land ward viel entbehrt und viel ersehnt. Und nur wer beides kennt: Das Leiden und das Verlangen, ist zum Sieger reif. – Mir ist nicht bang um sie. Ein fester Griff reißt sie zum Höchsten. Und es brennt in mir, mit ihnen viel zu wagen – ach, so viel, daß keiner sagen kann, es gäbe mehr!

MARIA
zärtlich.
Nun glühst du wieder –
ANATOL.

Soll ich's nicht? Nimmt sie in die Arme. Es reißt und fordert! [185] Unser Herz soll nicht für uns allein mehr pochen. Jeder Schlag muß tausend, hunderttausend – Millionen befreite Herzen mit uns schwingen machen! Nimmt ihre Hand. Gib deine Hand mir. So – Es ist zu Zeiten in einer Frauenhand die stille Kraft der Gotteshand, die einst uns sicher führte durch's Kinderparadies. – Sie soll mich führen, die liebe, kleine Mutterhand; soll kühl auf meiner Stirne ruhen, wenn es heiß – zu heiß drin hämmert.

MARIA.
Wird sie es auch können –? Ich bange drum.
ANATOL.

Du sollst darum nicht sorgen. Erdenken wirst du's nicht – doch wirst du's finden, weil ich es zwingen will – und weil du rein wie die Madonna bist. Kuß. Denn alles Große entstand aus Wollen und aus reiner Liebe. – Erschaffen heißt das Glück der tiefsten Einheit. Gedanken, Keime, Ströme bleiben Teil. Doch daß es treibt, Gestalt wird, wächst und lebt, daß ein begrenztes Festes steigt aus dem Unendlichen, Vermengten – alles Leben sich in der kleinen Einheit eig'ner Farben vielfältig spiegelt – dieses Wunder hat der ewig kreisende, erhabne Wille nicht einsam dem Geschied'nen vorbehalten. Er schuf von sich zur Erde eine Brücke vom Strömenden zum Hastenden den Weg, von Sinn und Form, von Seele und Erscheinung ein Band – und nannte es mit Namen: Weib. Ja, du bist viel, Maria! Quelle bist du und Blüte, Sinn und Seele meines Lebens und meines Werdens, heilige Muttererde. –

MARIA
in seinen Armen.

Wie einen Mantel breitest du die Worte um mich – und in mir schaudert es vor Lust. Ich möchte immer so mich an dich halten und gar nichts sein, als was ich in dir bin. Da wird mir alles fern, was heut' und gestern Gestalt und Farbe hatte. Weit zurück quellaufwärts geh' ich da in's Kinderland, wo eine grüne Sonnenwiese und ein großer, blauer Himmel alles war – und bin ein Teil von beiden. – Zweimal schenkt uns Gott die ganze Welt: Im Paradies der ersten Jahre – und zum zweiten Mal im Auge dessen, der uns liebt. –

ANATOL.
In dir. –

Sie küssen sich; Pause seliger Versunkenheit.
Rechts vorn und links hinten erscheinen zugleich
Maskengruppen, die einander zuwinken und sogleich näher laufen. Trubetzkoj, Ostermann, die vier Narren und Kurakin sind darunter.
LA COSTA
im Auftreten.

Du führst uns, Oberschranze! Wird mit Ostermann sichtbar. Wo ist sie? Du kennst sie! Unser König will keine andere!

TRUBETZKOJ.
Gefunden! Hieher! Auf Maria weisend. Die Königin!!
ALLE
näher drängend, tief knicksend und sich verbeugend.
Königin! Die Narren werfen sich vor Maria nieder. Königin!
[186]
LA COSTA
kniend.
Fürstin! Du bist auserwählt unter allen Frauen des heiligen Rußland! Du mußt unsere Königin sein!
ALLE
durcheinander.
Du mußt die Königin sein!
TRUBETZKOJ.
Seine närrische Majestät, König Kurakin will es.
OSTERMANN
uu Anatol.
Er gab nicht nach! Ich mußte sie verraten.
KURAKIN
rechts beim Thron; mit großer Geste.
Man führe mir die Gemahlin zu!
LA COSTA
bietet Maria den Arm.

Frau Königin! Laßt mich Freiwerber sein! Führt sie, die lächelnd annimmt, unter Gelächter der Masken Kurakin zu.

TRUBETZKOJ
indessen zu Anatol.

Auf Narrenfesten gibt es keine Ehefrau. Seien Sie nicht traurig darum. Ich habe meine Frau den ganzen Abend nicht gesehen. –

ANATOL
auf den Scherz eingehend.
Ich beuge mich in Demut seiner närrischen Majestät.
KURAKIN
hat Maria vom Arm La Costas empfangen.

Sie sollen an meiner Seite nicht klagen dürften, Madame! Ich werde Ihrem Gatten einen höheren Orden verleihen für seine Freundlichkeit. Hier – Reißt dem nächsten Narren einen Flitterstern ab und gibt ihn La Costa, der den Flitterstern mit beiden Händen Anatol entgegenträgt und vor ihm niederkniet; alles sieht auf diesen Vorgang.

KURAKIN
auf der andern Seite der Bühne mit Maria einen Augenblick unbeachtet, sehr eindringlich und ernst.
Um alles in der Welt! Fürstin! Gehen Sie nicht von meiner Seite –!
MARIA
scherzend.
Wie's einer treuen Gattin ziemt –!
KURAKIN
wie oben.
Nicht als Narrenkönig spreche ich! Bleiben Sie den ganzen Abend neben mir! Ich bitte Sie darum!
LA COSTA
der indessen den Stern an Anatols Brust geheftet hat.
Der erste Paladin des Narrenkönigs! Er lebe hoch!
ALLE.
Hoch! Hoch!
LA COSTA
auf den Narrenwagen deutend.

Und hier wartet der Krönungswagen! Auf zur Zarin! Sie muß Königswahl und Hochzeit zugleich sanktionieren! Die Majestäten voran! Das Volk dahinter! Vorwärts!


Indem Kurakin und Maria den Wagen besteigen und von den Narren und Masken hinausgefahren werden, singen alle wie früher.

König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand!
König ohne Schranzen!
Hast ja nun nach deinem Sinn
eine schöne Königin,
Königin zum Tanzen.

[187] Alles geht taumelnd, hüpfend, einander küssend in die Galerie ab, Anatol und Ostermann gehen als letztes Paar.
OSTERMANN
hält Anatol zurück.
Ein Wort – Kommen etwas nach vorn. War heute außer mir noch jemand vom Hofe bei Ihnen?
ANATOL.
Kurz nach Ihnen brachte Graf Wolinski die Einladung zu diesem Fest.
OSTERMANN.
Sie sprachen mit ihm von Ihren Plänen?
ANATOL.
Kein Wort.
OSTERMANN.
Die Zarin weiß davon.
ANATOL
sehr erstaunt.
Das ist – –
OSTERMANN.

Ich hatte ihr in fliegender Hast das Wichtigste mitgeteilt – nur Worte, – einzelne Bilder etwa – sie ließ mich ruhig ausreden – lächelte nur – doch als ich zu Ende war, auf Antwort wartete – da sagte sie nur: »Und was er Ihnen nicht verraten hat –« – und als ich fragend aufschaute – »das weiß ich auch –«

ANATOL.
Und weiter –?
OSTERMANN.

Kein Wort. Nur jenes starre, tatarische Lächeln, das selten Gutes bringt. Kleine Pause; er geht unruhig umher. Wäre die Nacht erst vorüber! Dieses Fest gefällt mir nicht! Es verbirgt hinter seinem Jubeln und Klingen leise, schleichende Tritte. Wohin man sieht – überall drückt sich etwas an die Wand – huscht durch die Gänge – hinter den Masken lauern falsche Blicke –

ANATOL
lacht.

Exzellenz – Mummenschanz ist alles! Es soll wohl heute hier ein Narrentheater geben. – Auch was die Zarin sagte, klärt sich mir jetzt: Ich sprach ihr heute früh von vielem, worüber wir noch nicht geredet haben. – Das meinte sie wohl – ich dachte nur nicht gleich daran.

OSTERMANN
sieht ihn an.

Sie waren lange fort. Ich seh' es anders. Die Zarin hat eine Welle Tatarenblut in den Adern. Gemischtes Blut glaubt an das Reine nicht. Sie sucht nach einer Lüge – nach Ihrer Lüge sucht sie –

ANATOL.
Nach – meiner Lüge –?
OSTERMANN.
Sie kennt nichts anderes.
ANATOL.

Sie ist ein Weib! Und Widerhall und Warten ist jede Frau. Laßt sie das Große rein und einfach sehen – so ist sie groß und rein. Schafft ihr Erinnern an ihr Gutes – und sie ist wieder gut. –

OSTERMANN
herzlich warm.

Wenn dieses Wunder Wahrheit würde –! Doch es muß! Sonst haben Sie vergeblich eine Welt in Ihrem Kopfe reifen lassen. Und nicht nur das allein: Wenn sich die Zarin nicht zu freier Höhe schwingt und mehr wird, als sie jemals war – dann rächt sie sich an denen, die es könnten – dann fliehen Sie, so schnell Sie können, Freund –!

ANATOL
lächelt.
Nun – nun – Es ist noch nicht so weit – und wird auch nie. Ich bin nicht bange drum. –
[188]
MARIA
kommt, ziemlich erhitzt, eine Flitterkrone mit langen Bändern im Haar.
Wo bleibst du, Antja?
ANATOL.
Kleine Narrenbraut! Wo hast du den Gemahl?
MARIA.
Ich bin entlaufen. –
ANATOL.
Oh! Dein König? – Majestätsverrat!
MARIA
zieht ihn etwas seitab.
Er ist so sonderbar –
ANATOL.
Dein König Kurakin –?
MARIA.
Ich weiß nicht: Ist es Scherz – ist's Ernst –? Er spricht so dunkel. –
ANATOL
lacht.

Das will ich glauben. Wer die Zunge so in Schnaps gebadet hat, dem liegt sie schwer im Mund. Was sagt er denn?

MARIA.
Er redet allerlei. Er müsse hier zwei Damen schützen, sagt er –
ANATOL.

Gleich zwei? Das sieht ihm gleich. Er bleibt auch nie bei einem Glase stehen. – Wer sind die Glücklichen?

MARIA.
Mich meint er wohl –
ANATOL.
Nun – und die zweite?
MARIA.

Die nennt er nicht. Doch er ist voll Unrast – und in den Augen zuckt es ihm wie ein Gewitter. –Drückt sich an ihn. Ich fürchte mich beinahe – –

ANATOL.
Du auch? Zu Ostermann. Da sehen Sie: Der Narrenscherz macht bange Herzen. Nicht nur Ihnen.
OSTERMANN
kommt näher.
Was ist der Fürstin –?
ANATOL.

Auch sie will Zeichen sehen – noch dazu in den Augen eines Betrunkenen. Streichelt sie. Kleine Narrenkönigin! Was haben sie dir für eine Krone aufgesetzt? Nein, wie schön du bist! Ich werde den Narrenkönig ermorden – und ihm Weib und Herrschaft rauben! Das wird das furchtbare Ereignis dieser Nacht sein, das euch schon jetzt in allen Gliedern zuckt!

WOLINSKI
kommt von der Galerie.
ANATOL
ihm entgegen.
Ah – Graf Wolinski! Endlich ein froher Mann! Oder ahnen auch Sie schreckliches Geschehen?
WOLINSKI
der seine Betroffenheit schnell beherrscht.

Warum nicht? Man soll immer Schreckliches ahnen – dann überrascht es nicht, wenn's da ist. Aber heute ist Narrenregiment! Da ist für trübe Betrachtung kein Platz. Verneigt sich vor Maria.

ANATOL.
Das sagte ich eben – – Spricht mit Ostermann.
MARIA
reicht Wolinski die Hand, die er an die Lippen führt; dann sieht er sie einen Augenblick an.
Kleine Pause. Stimmten nähern sich.
WOLINSKI.

Doch ich vergesse: Die Zarin kommt!Zu Anatol. Ich lief ihr voraus – denn Ihnen, Durchlaucht, gilt die Ehre vor allen. Ich wollte mir's nicht nehmen lassen, der Freudenbote zu sein.

ANATOL
freudig überrascht.
Die Zarin –?
WOLINSKI.

– will Sie vor allen erhöhen. – Ich schwatze aus der Schule, doch die Freude mag mich schuldlos sprechen.

ANATOL
zu den beiden andern.
Nun – ihr Unglücksraben –!?

[189] Rufe und Stimmen rasch näher, die drei Anwesenden treten gegen links vorn zur Seite, da von der Galerie der Hof auftritt. – Dieser Auftritt ist von größter
Pracht. Alles ist auf der Bühne. Goldgestickt, edelsteinbesetzte Hoftrachten der Herren, Seidenkleider, Pelzmäntel und weiße Turmfrisuren der Damen ergeben im Vereine mit den grellen Farben der Narren und Maskenkostüme ein Bild von orgiastischer Fülle, in welchem aufregende, einander stechende Farbenkontraste den Grundcharakter bestimmen. – Die Gesellschaft ist immer in Bewegung und ziemlich außer Form. – Zwei Gruppen lassen sich ungefähr unterscheiden: Die eine, bestehend aus den Narren, Kurakin und einigen Herren und Damen, geht auf Maria zu, umringt und neckt sie mit Rufen »Narrenkönigin«, tiefen Bücklingen und Kniefällen. – Die andere Gruppe umgibt hauptsächlich die Zarin. Hier sind vor allen Biron, Löwenwolde und Ostermann zu sehen, indes sich die Verschwörergruppe erst nach und nach von den andern unauffällig sondert und gegen links Stellung nimmt. – Die Zarin bemerkt bei ihrem Auftritt Anatol und Maria, die sich beide tief neigen, zuckt, bleibt einen Augenblick stehen und geht vorüber. Sie ist unruhig und mühsam beherrscht, steigt die Stufen zum Thron hinan und setzt sich. Pagen und Herolde nehmen Stellung. – Fanfaren.
ALLE
ziemlich ungeordnet.
Lang lebe Rußlands Kaiserin!
ANNA
nickt; ihr Blick ist regungslos auf Maria und Anatol gerichtet, die sie während der folgenden Szene unverwandt ansieht, ohne auf irgend etwas zu hören.
WOLINSKI
tritt vor.

Kaiserin! Herrin des Festes! Sieh deines Knechtes ärmliches Werk! Möge ein Lächeln deines Vertrauens reichlich ihn lohnen. – Zarin, lebe!

ALLE.
Hoch –! Hoch –!!
TRUBETZKOJ.
Wo bleibt der Narrenkönig –!?
VIELE STIMMEN.
Der Narrenkönig –.
LA COSTA
tritt mit den Narren vor.
Hörst du es Zarin? Sie fordern für uns einen König! Zu den Narren. Auf die Knie, Gesindel!
DIE NARREN
werfen sich vor dem Thron nieder.
Zarin, es starb uns der Fürst! Gib uns einen neuen!
LA COSTA.

Aber wähle klug, Mütterchen! Der Narr ist der erste Mann am Hofe. Keiner steht dir so nahe wie er. Er allein darf die Wahrheit sagen, denn er ist ja doch ein Narr und hat nichts zu verlieren als seine Schellenkappe –!

VIELE STIMMEN.
Kurakin! König Kurakin!
KURAKIN
der nach vorn gestoßen wird.
Hörst du des Volkes Stimme? Auf mich fiel der Menge Wahl und Gunst!
LA COSTA.

Auch eine Königin hat er schon erwählt. Er fand die Schönste von allen – Auf Maria weisend. Hier! Wir haben ihr schon die Krone aufgesetzt. – Fehlt nur noch dein Segen. –

DIE NARREN UND ANDERE.
Der Narrensegen!
[190]
ANNA
durch die Wendung gegen Maria aus ihrer Starrheit aufgeschreckt.

Ja – ja – – Das auch. Doch vorher anderes. Es tritt Stille ein: Die Zarin sieht noch immer auf Anatol und Maria. Ein treuer Paladin ist heimgekehrt, der seine Heimat stets im Herzen trug ... und nie vergaß. Er soll der erste sein, den dieser Abend grüßt. Sein ist das Fest vor allen. Deine Kaiserin vergißt der Treue nicht, Fürst Galizyn!

ANATOL
führt Maria vor.

Doch sie beschämt mich. Kann ich von Verdienst schon sprechen? Und ich muß sogar noch mehr von dir erbitten, Zarin. Laß die Gunst, die ich mir erst erwerben will, auch ihr zuteil sein, die mit mir den harten Weg des Werdens ging. Was du mir Gutes willst, las sie genießen – und laß mich knien, Kaiserin, und eines wünschen: Sei, wie sie dich glaubt, wie sie dich kennt durch meine Augen!

MARIA
neigt sich tief.
ANNA
ohne den Blick von ihr zu wenden.
Treten Sie näher, Fürstin.
MARIA
steigt die Stufen zum Thron empor.

Die Zarin sieht ihr unbeweglich in die Augen, bevor sie die Hand hebt, die Maria an die Lippen führt.

ANATOL
sieht auf die Zarin.
DER HOF
beobachtet neugierig den Vorgang.
JEROPKIN
ganz auf der anderen Seite der Bühne, von niemand sonst gehört, gedämpft zu Wolinski, der neben ihm steht.
Graf Artenau – – es ist hart – –
WOLINSKI
ebenso.
Es muß sein, Peter Jeropkin, es muß sein!
ANNA
mit schwebender Stimme zu Maria.
Ihr Heimatland ist weit –
MARIA.
Ich hab' es fast vergessen.
ANNA.
Vergessen – –? Die Heimat – –?
MARIA.
Heimat ist Liebe – nicht Berg und Meer.
ANNA
sieht sie überrascht an.
Heimat – ist Liebe – – ja – und die Fremde –?
MARIA.

Liegt wohl in keinem Lande. Ich kenn' sie nicht. Sie mag die Wüste sein an einem Herzen, das sich nach einem andern verbrannte. Sie mag der Tod im Leben sein – – Ich kenn' es nicht – das Fremde.

ANNA
quälende Ergriffenheit niederhaltend.
Du Kind – – du Kind.
MARIA
einfach und treuherzig.
Ich möchte »Mütterchen« zu Ihnen sagen, Majestät. Ist mir's erlaubt?
ANNA
zerwühlt.

Laß das –! Wie du mich nennen sollst – – das Wort hat keiner noch erfunden – fremde Frau – – du fremde Frau –

MARIA
blickt betroffen auf Anatol.
[191]
ANNA
bemerkt den Blick; sie ist gleich wieder starr, wie zu Anfang und nickt Maria formell zu.
MARIA
geht sich neigend, die Stufen herab zu Anatol.
Sie bleiben in der Nähe des Thrones stehen.
JEROPKIN
taucht wie ein finsterer Schatten hinter Maria auf und bleibt bis ans Ende der Szene in ihrer nächsten Nähe.
ANNA
wehrt sich gegen die momentane Stille.

Was säumt ihr!? Ich will nicht, daß alles auf mich sieht und wartet? Es ist so still hier – es ist zu still hier! Und alle Säle sind leer und die Lichter flackern einsam, wie bei einer Leichenfeier! Steht jäh auf. Narrenfest ist heute! Rufen soll es und flirren und jubeln! Geht vom Thron mitten in die Gäste. Narrenheil!

ALLE
plötzlich befreit.

Narrenheil! Narrenhoch! Hoch –!! Eine wogende Bewegung entsteht. Einige schütteln Anatol die Hand. Die Verschwörer (Jeropkin) drängen Maria unauffällig gegen rechts ab. Biron, Trubetzkoj u.a. sind in der Nähe der Zarin. Unter Lachen und Schwatzen geht alles hauptsächlich nach links in die Galerie ab.

KURAKIN
kommt an der Zarin vorüber.
Mütterchen! Vergiß des Narrenkönigs nicht! Sieht sich um. Wo ist meine Königin?
WOLINSKI
deutet nach links.
Mit den Narren da hinaus!
KURAKIN
mit einigen anderen rasch in die Galerie links ab.
ANNA
durch Wolinskis Stimme auf ihn aufmerksam geworden, wie von plötzlicher Eingebung erfaßt.
Graf Wolinski –!
WOLINSKI
mißdeutet den Zuruf.
Der rote Wein – – Ich denke daran – – Ab.
BIRON
zu Anna.
Er bringt dir heute den Ehrentrunk –?
ANNA.

Ja. – Sieht starr nach der Richtung, in der Wolinski ging; macht eine Bewegung, als wollte sie ihn zurückrufen.

BIRON.
Was willst du –? Soll ich ihn – –?
ANNA
sieht in diesem Augenblick plötzlich Anatol neben sich.
Wie –? Nichts. – Nein.
BIRON, OSTERMANN UND LÖWENWOLDEgehen jetzt als letzte in die Galerie ab.
ANNA
bleibt mit Anatol absichtlich etwas zurück.
Bleib, Antja Galizyn.

Anna – Anatol.
Die Zarin kommt mit Anatol wieder nach vorn. Auf ihren Wink gehen auch die Pagen und Trabanten, so daß sie mit Anatol allein ist. – Von ferne kommen die Wellen des Festlärmes hie und da heran, verstummen nie ganz, dürfen aber auch nicht störend wirken.
ANNA
nach einer Pause, in der sie ihn schweigend angesehen hat, möglichst unbefangen.
Dein Weib ist schön. – Kleine Pause. Ich liebe diese fremde Frau – –
[192]
ANATOL.
Fühlst du sie fremd, Kaiserin –?
ANNA.
Du liebst sie sehr – –?
ANATOL
schweigt.
ANNA
näher.
Liebst du sie sehr?
ANATOL.
Sie lebt in mir – ich lebe in ihr – wir sind eins.
ANNA
langsam.
Sie – lebt in dir –? Du – und wenn sie stürbe?
ANATOL
erschrickt.
Kaiserin – scherze nicht –!
ANNA
lacht hart.
Haha! Du tust mir leid. Plötzlich. Laß dieses Weib! Hörst du!? Ich will es! Deine Kaiserin will es!
ANATOL
in starrem Schreck.
Das könntest du – –?Plötzlich. Wo ist sie –? Geht gegen links hinten.
ANNA.
Bleib!
ANATOL
geht noch einen Schritt weiter.

Wie er in die Galerie kommt, treten rechts und links plötzlich zwei riesige Kosaken vor, in langen, dunklen Mänteln, den bloßen Säbel vor sich in Händen, schwarze Masken vor den Gesichtern, und vertreten ihm den Weg. Er tritt zurück. Was ist das?

ANNA.

Ein Maskenscherz. Nichts weiter. Sie winkt; die Kosaken verschwinden. Du erinnerst dich: Ich liebe solche Spiele. Denkst du noch an die Garden von Mitau? Die Burschen da sind fester – hoffe ich.

ANATOL
tritt vor sie hin.
Zarin – was du auch mit mir vorhast – – laß sie es nicht entgelten!
ANNA.
Du meinst die fremde Frau ...? Wenn du dich von ihr lossagst, kümmert sie uns gar nicht mehr.
ANATOL.
Von ihr – lossagen –? Lächelt. Nein – dein Scherz ist bitter! Laß es genug sein.
ANNA
kalt.

Sie gehört dem fremden Glauben an – der feindlichen Kirche! Auch du – Er zuckt zusammen. – Ich weiß es! – Du kennst die Gesetze des Zaren Peter – weißt, was sie dem Verräter der heiligen Kirche Rußlands bestimmen! Antja Galizyn! Du stehst in meiner Hand.

ANATOL
sieht sie voll an.
Ich gab mich selbst in deine Hand.
ANNA.
Mit einer Lüge!
ANATOL.
Mit allem Glauben.
ANNA.
An meine Weichheit!
ANATOL.
An deine Größe –
ANNA.
An meine Torheit –! Du kennst mich ja gut!
ANATOL.
Ich weiß nur: Du kannst nicht grausam sein!
ANNA
kämpft um Fassung.
Und – wenn ich's könnte – –?
ANATOL
nahe.
Anna – –!
ANNA
plötzlich am Ende ihrer Beherrschung.

Antja Galizyn! Warum [193] quälst du mich!? Warum hast du mich verraten? Warum hast du mir alles genommen –?

ANATOL.
Ich nahm dir nichts –
ANNA.
Wer die Gabe verschmäht – raubt des Gebenden Glück! Das nahmst du mir! Es war alles – alles!
ANATOL
wendet sich ab.
ANNA
in rascher Steigerung.

Mein Herz war ein Garten blühender Frühlingsblumen – – Sie gehörten dir – – du zertratest sie! Mein Denken war ein Gebet, meine Seele ein Lied – – Meine Sinne ein zehrender Schrei nach dir! Du hörtest ihn nicht! – Auf diese Stirne, die von der Liebe träumte, legten sie eine Krone, drückend und schwer! In diese weiche Hand einen Tyrannenstab – und das wühlende Herz hießen sie schweigen und sterben. Doch es lebte und lebt – – Faßt seine Hand.

ANATOL.
Kaiserin, laß mich fort – –!
ANNA
plötzlich wieder hart und trotzig.
Sag dich los von ihr! Sag dich los – ich will es!
ANATOL.
Das ist Wahnsinn!
ANNA
drohend.

Was ich dir gab – und du nicht nahmst – kann Gift und Feuer werden in meinem Herzen! Hüte dich – hüte dich: Page Galizyn!

ANATOL.

Zarin – mein Weg ging durch die große Einsamkeit, die einen Gott aufruft in sterblicher Brust! Ich komme mit tiefem Glauben und vollen Händen – ich litt um das Große – um deine Größe.

ANNA
grell lachend.

Hahaha! Lüge ist alles! Deine ganze Welt ist ein Kartenhaus – eitel und hohl und falsch! Nur eines ist wahr – nur eines ist groß –: Dein Verrat!! – Alles hast du verraten! Alles – alles – –!

ANATOL.
Denk an die Rosen von Mitau – an ihr mildes, duftendes Blühen –!
ANNA.

Rufst du auch sie heran!? Warum marterst du mich –? Du –!? Wieder ganz nahe. Antja! Antja Galizyn! Du weißt nicht, wie arm deine Zarin ist – wie sie hungernd aus all' ihrer Pracht nach der letzten Dienerin sah, welche Liebe fand, wo sie liebte! – Brennend. O, sprich ein Wort, Antja, nur ein einziges Wort – und alles soll versinken – nur du – nur du und ich –! Die Welt, die du in dir trägst, ich will sie empfangen – – mach' sie aus mir – aus meinem Herzen – es ist bereit – es ist wieder bereit – es will blühen! Kniet nieder. Ein Bettelweib kniet vor dir – und hungert – und dürstet – und friert – und küßt deines Kleides Saum – und küßt deine Hand – und weint nach dir – – –

[194]
ANATOL
wehrt sich.
Dieser Rausch in der Luft – – dieser Glanz – – dieses Flirren –!
ANNA
an ihm empor; heiß.
Auch ich bin schön –! Du weißt nicht, wie ich bin – –! Ich liebe dich –!
ANATOL
stößt sie zurück.
Dirne –!
ANNA
taumelt, wie von einem Peitschenhieb getroffen, mit einem lauten Schrei zurück.

Aaaah! Kosaken und Garden stürzen herein. Bei ihrem Anblick faßt sie sich gleich und bricht in ein lautes, grelles Lachen aus. Die Garden und einige nachdrängende Höflinge bleiben unschlüssig stehen. Anatol ganz im Vordergrunde – blickt wie gelähmt auf die Zarin.

ANNA
lachend.

Hahaha! Du stehst verwundert da! Doch es ist mein Wille! Zu den Höflingen. Ruft die Narren! Sie gehen ab. Du sollst sehen, es war ernst gemeint! Kommt näher. Ich habe dich einmal schon fangen wollen, mein Hühnchen! Aber du bist mir entsprungen – – Heute halt' ich dich fester. Sei lustig! Es ist dein Fest, mein Hühnchen – dein Fest – –!


Die Narren kommen taumelnd und tanzend herein, Masken, Herren und Damen folgen ihnen. Pedrillo trägt einen roten Mantel mit Schellenkragen in der Hand, Balakyrew eine Flitterkrone mit Schellenzipfeln auf einem Kissen, Apraxin ein Narrenszepter. La Costa geht ihnen voran. Sie sind alle – wie auch die übrigen Festgäste, mehr oder minder betrunken und benehmen sich sehr laut. – Hofleute und Festgäste drängen jetzt und während der ganzen Szene neugierig herein, unter ihnen
Trubetzkoj, Biron, Ostermann, aber keiner von den Verschwörern; auch Kurakin ist nicht unter ihnen.
DIE NARREN
hereintaumelnd.
Lebe, Mütterchen! Laß uns trinken – Jeden Tag so viel wie heute!
ANNA.
Lache, lustiges Volk! Einen König will ich dir krönen!
LA COSTA.
Einen König!? Hört – nun bekommen wir unseren König! Und sind alle so be – betrunken – –
PEDRILLO.
Hier halt ich sein Kleid!
BALAKYREW.
Hier seine Krone!
APRAXIN.
Hier seinen Herrscherstab!
ANNA
auf Anatol weisend.
Und hier steht er selbst!Allgemeines Staunen. Die Hofleute kommen näher.
ANATOL
macht einen Schritt gegen die Zarin; knirschend.
Kaiserin!!
ANNA
lacht.

So lohnt eine Kaiserin deine Treue! Immer will ich dich sehen – immer dich bei mir haben! Lache, mein König! Lache, mein Narr – mein Narr! Sie hat die Narren herangewinkt; sie knien vor ihr nieder und halten ihr die Stücke: Mantel, Krone, Zepter hin. Die Zarin nimmt eins nach dem andern und bekleidet Anatol damit. Der Hof sieht lachend zu.

ANNA
fiebernd.

Selber will ich dich krönen, selbst dich bekleiden! [195] Nimmt ihm den Degen ab. Hier, der Degen will mir nicht passen zum Narrenkleid. Nimm ein Zepter dafür! Und einen roten Königsmantel, damit du fühlst, wie man in Herrscherkleidern geht. Und eine Krone – Hahaha! – Auch du sollst eine Krone tragen, die dich drückt – mein Narr! Oder willst du lieber mein Hühnchen sein – ein Federkleid haben – und auf einem Eierkorb sitzen – und schnattern – und gackern – hahaha! – oder auf einer Stange klettern wie mein Kakadu? – Ich will jeden Tag was Neues erfinden, was dich lächerlich macht, wie sich's für Affen und Narren gehört – damit ich an dir mein Vergnügen habe – mein Narr – mein König – Nimm und genieße! Lache und trinke! König, lebe und nütze dein Amt! Närrisches Volk – huldige ihm! Sie tritt auf den Thron zurück; die Narren schlingen einen Reigen um Anatol und singen ihr Lied.

DIE NARREN
tanzend.

König, König ohne Land,
Narrenfürst vom Bettelstand!
Ohne Thron und Schranzen –,
Narrenkönig Trauersinn,
Wo ist deine Königin
Für die Nacht zum Tanzen?
ANATOL
der wie gelähmt stand, schrickt beim Worte »Königin« jäh auf.
Maria –! Wo – –?
WOLINSKI
tritt hastig ein und drängt sich durch, so daß er die Mitte der Bühne nimmt.

Alles sieht plötzlich auf ihn und es tritt volle Stille ein. Er hat den von der Kaiserin erhaltenen Pokal in der Hand, der mit rotem Wein bis an den Rand gefüllt ist, und hält ihn der Zarin entgegen. Anna erbleicht und sieht mit weiten, starren Augen auf den roten Becher. Die Stimme Wolinski's beherrscht die ganze Szene. Lang lebe Rußlands Kaiserin! – Zarin, dein Knecht vollzog dein Gebot –! Hält ihr den Becher hin.

ANNA
nimmt den Pokal, hält ihn einen Augenblick und stellt ihn dann auf das Tischchen neben dem Thron; heiser, bebend.

Fürst Anatol, mein Narrenkönig – – das Fest gilt dir – und deinem Weibe! – Dich krönte ich – ihr ließ ich eine Brautfahrt richten – – – Sieh!


Der Vorhang wird rasch weggezogen; der Narrenwagen, von Dienern in schwarzen Masken und roten, langen Mänteln gezogen, rollt herein und macht vor der Zarin halt. Marias Leiche liegt darauf. Ihr Haar und die Bänder der Narrenkrone fließen herab – Anna, neben dem Thron stehend, sieht auf Anatol. Sie droht umzusinken, stützt sich und atmet schwer.
[196]
ANATOL
wankt gegen die Leiche, erkennt den Zusammenhang und will sich mit einem unterdrückten Wutschrei auf die Zarin stürzen.
BIRON
der zunächst steht, hält ihn am Arm fest, im selben Augenblick viele erregte Stimmen rasch näher.
KURAKIN
an der Spitze von Bewaffneten, den bloßen Degen in der Faust, stürzt herein und weist auf Wolinski.
Greift ihn!!
WOLINSKI
will sich mit bloßem Degen auf Kurakin stürzen.
LÖWENWOLDE UND ANDERE
packen und überwältigen ihn.
KURAKIN
keuchend.
Gift ist im Wein!!
DER HOF.
Verrat! Verrat! Starke Bewegung allseits.
ANATOL
hat bei Kurakin's letztem Ruf den Becher an sich gerissen und trinkt ihn hastig aus.
KURAKIN
springt hinzu.
Der rote Trank –! Vergiftet –!!
ANATOL
den leeren Becher in der erhobenen Rechten, springt vor die Kaiserin, die, hoch auf den Thron gestützt, bleich und sprachlos auf alles sieht, mit alles beherrschender Stimme.

Kaiserin! Lebe! Dir galt dieser Trank! Nie sollst du ihn trinken! Wirft ihr den Pokal vor die Füße, wo er zerschellt. Herrsche, Kaiserin! Lebe –!

KURAKIN
vom ganzen Vorgang und Anblick der Toten gelähmt, keuchend, abgerissen; zur Zarin.

Dir war's vermeint –! Auf Wolinski deutend. Von dem – und dem – Auf die anderen Verschwörer weisend, die überrascht hereinkommen und sofort festgenommen werden. – und diesen – –!

DER HOF
in heller Entrüstung.
Verräter!!
ANATOL
ist an der Leiche Marias hingesunken, erhebt sich jetzt ein letztes Mal, macht mit der Hand eine Geste gegen die Zarin und bricht sterbend zusammen.
KURAKIN
auf beide sehend.

Hier ist's zu spät – – Es war zuviel für diesen alten Kopf – zuviel zugleich – doch du – Zarin – du lebst! Ich habe gesühnt! – Es ging um den Thron des Zaren Peter – nach der Krone ging es – dein Tod – war – ihr Plan –

ANNA
hat Anatol sterben sehen; in die Weite schauend, mit tiefer, fremder Stimme, in der ein Sterben zittert.

Ein Flügel rauscht – – Es schwingt und schwebt – und scheidet – Was wollt ihr noch töten – an – mir – –?


Sie bleibt starr stehen.
Der Vorhang fällt langsam.

Notes
Entstanden 1918–1919. Erstdruck: Berlin (Oesterheld), 1920. Uraufführung am 27.11.1920, Schauspielhaus, Graz.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Ertler, Bruno. Anna Iwanowna. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A2FD-7