[254] Uring

Feurig ist wie seine Rebe
Allemanniens rascher Sohn,
Machtvoll schallt des Edeln Stimme
Wie des Rheinfalls Donnerton.
Ritter Uring ist der Edle,
Ritter Uring ohne Graun,
Dem die Hohen niedrig schmeicheln,
Dem die Niedrigen vertraun.
Seht um seine Lippen zucken
Wilden Hohn, doch Majestät
Von der frohen Stirne leuchten,
Wenn er durch die Menge geht!
Dunkel wallen ihm die Locken
Auf den Nacken, nie gebogen,
Einstmals waren sie von Golde,
Eh der Sturm sie überzogen.
Das Geschlecht ist heimgegangen
Längst in die Vergessenheit,
Und vergebens sucht der Wandrer
Seiner Stammburg Herrlichkeit,
Kaum daß noch die Sage flüstert
Wo gehaust der stolze Held,
Dessen Thaten nur der Sturmwind
Kühnen Felsen dort erzählt.
[255]
Und er meldet hohen Festruhm
Vom verwegensten Turnier,
Welches gab der reiche Guntram,
Aller Mannen Heldenzier;
Rauher, riesiger Gestalten
Manche bei dem Fest erschien,
Doch die Starken aller Stämme
Warf des Uring Lanze hin.
Mit dem Schwerte, mit der Mordaxt
Ueberwand die Recken all
Uring, der gepriesne Streiter,
Unter der Fanfaren Schall;
Stolze Sachsen, wilde Baiern,
Kühne Schwaben, schlanke Franken,
Ungestüme Allemannen
Sah man da zu Boden schwanken.
Prächtig saß im Siegerschmucke
Uring auf dem falben Roß,
Golden schimmerte die Richtung,
Lichte Glut vom Antlitz floß.
Welch ein sonnenhaftes Glänzen,
Heldenruhmes fröhlche Pracht!
Das ist Pracht der Abendsonne,
Welche sinket in die Nacht.
Untergehen will die Sonne;
Ha, wie hell der gelbe Neid
Gegenüber ihrem Glühen
Steht in Aufgeblasenheit!
[256]
Schon ist Fehde hingeworfen –
Der Besiegten schnödem Grolle
Gnügt ein Vorwand – Bundeszeichen
Ist der Mond, der gelbe, volle.
Doch zurück auf seine Veste
Eilet Uring, ohne Graun,
Seinem Sitze, kühn gehorstet,
Darf der kühne Adler traun!
Wie gegossen in den Felsen
Hängt die Burg am schroffen Rand,
Jäh und senkrecht klafft es abwärts
In das offne Schweizerland.
Außen fügen schwere Blöcke
Sich zu einem runden Thurm,
Ohne Zierrath, ohne Zinnen
Trutzt er aller Wetter Sturm.
Aber innen gleißt und strahlt es,
Herrlich funkelte der Schein,
Sieben goldne Schlachtenpanzer,
Hundert andre stehn in Reihn.
Ringsum wimmeln schon die Feinde
Um das hohe Felsenhaus,
Doch der Unerschrockne blicket
Bittern Hohn ins Feld hinaus:
»Schrecklich will ich jetzt mich zeigen,
Denn des Uring Heldenstamme,
Ahn ich, soll das Mark verdorren
Eine heiße Himmelsflamme.«
[257]
»Asche werden soll die Eiche
Meines rühmlichen Geschlechts,
Doch am ewgen Richterstuhle
Wieder Wurzel schlagen rechts!
Trauern will ich nur ein Weilchen,
Dann soll reichlich Blutfest sein,
Stattlich über Leichenhaufen
Will ich betten mein Gebein!«
Eine schwarze Trauerfahne
Läßt er wallen von dem Schloß,
Unheil rauschte sie im Winde
Nieder auf der Feinde Troß,
Der in endlos neuen Schaaren
Her sich wälzt vom nahen Wald,
Stolze Fahne, Unheilfahne,
Nimmer flattern wirst du bald!
Zürnende Gewitterwolken
Lagerten sich auf den Höhn,
Winkt sie wohl die dunkle Fahne
Mit dem fürchterlichen Wehn?
Alle sind es dunkle Fahnen,
Rauschend unter Sturmes Flug,
Dort Vernichtung hinzutragen,
Wo der Feind die Zelte schlug!
Sie entladen sich – ist Donner,
Ist der Strahl es, der da fiel?
In das Leuchten ists erschollen,
Und gefunden ist das Ziel.
[258]
Banner kannst du Blitze locken
Und des Donners Melodein,
Warum kannst du sie nicht bannen,
Wenn sie selber dich bedräun!
Menschenhand vermochte nimmer
Dich zu stürzen, Menschenhand,
Aber andere Hände nahen,
Die dich reißen in den Sand!
Blutig steigt das Feuer nieder,
Dumpfer Knall – das Schloß zerstiebt,
Uring, dir zum Tod und Ruhme
Wird ein solches Spiel geübt!
Schrecklich ja willst du dich zeigen,
Schrecklich, Uring, zeigst du dich –
Wie der Thurm sich graß geberdet,
Als er aus den Fugen wich!
Flammen, blaue, rothe Flammen
Zischen aus dem Riesenspalt,
Ha, was ist das? Mitten drinnen
Raget eine Nachtgestalt!
Uring auf dem falben Rosse!
Eisern, wie in Nacht gehüllt,
Sitzet er im goldnen Sattel –
Ein entsetzenathmend Bild.
Uring! In die Flammenrunde
Blickt er, furchtlos, unversehrt,
Krampfig mit den Eisenhänden
Hebt er himmelan sein Schwert.
[259]
Von dem Himmel hergesendet
Schien des Helden Feuerroß,
Hat der Blitz sich umgestaltet
In ein goldnes Feuerroß?
Zucket nicht das Wetterleuchten
Noch im Auge, wuthentbrannt?
Kann ich fragen, Sohn der Wolken,
Hat der Himmel dich gesandt?
Glühen Rauches Purpurwogen
Ueberqualmen Mann und Roß,
Nah umraget hoch zu beiden
Seiten ihn sein brennend Schloß;
Adler schwirren aus der Lohe,
In die Lüfte setzt der Ritter,
Prasselnd stürzt die heiße Felsschicht,
Drüber rollen die Gewitter.
Kühner Sprung, des Uring würdig!
Ha, wie bäumte sich der Hengst!
Staunend starrt der Feind im Lager
– Doch verschwunden sind sie längst.
Höret ihr den hellen Windstoß?
Glut und Asche führt er fort,
Wüst und leer wars – über Trümmern
Führt der Sturm das große Wort.
Urings Name ist verklungen.
Aber oft, um Mitternacht,
Brausen durch die Felsenklüfte.
Lieder, die der Sturm erdacht;
[260]
Heldensänge, Waffenklänge
Schlagen an des Wandrers Ohr,
Und am dunkeln Himmelsbogen
Schweift – erlischt ein Meteor.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Leben und Liebe. Geschichten und Gestalten. Uring. Uring. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A00B-8