[100] Eilftes Buch

[101][103]
Der Morgen goß schon Thau auf Hain und Fluren nieder;
Die Bilder der Natur entwickelten sich wieder;
Die Blume hob die Stirne, entschläfert, in die Höh;
Der Schatten war verloschen, die Schöpfung wachete.
Und itzt verschlang mein Blick der Gegenden Gestalten,
Die ihm die Nacht verbarg, und fiel auf einen Alten,
Der zu dem Stern der Venus sein Aug empor gewandt,
Mit aufgehabnen Händen nah an der Grotte stand.
Ich riß mich hin zu ihm: vielleicht in dieser Grotte,
So dacht ich, dienet er, als Priester einem Gotte;
Vielleicht bracht er, als Jüngling, die Opfer zum Altar,
In diesem heilgen Schutte, der sonst ein Tempel war;
Vielleicht auch hat sein Herz, das stiller Kummer quälet,
Wo nicht die Liebe selbst, die Einsamkeit gewählet:
Die Menschen, seine Brüder, die Henker unter sich,
Verfolgten seine Jugend, und Unschuld, und er wich,
Floh in die Einsamkeit, und nahm von den Barbaren
Die Götter mit sich fort, die ihr Gespötte waren.
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Allein, er sey ein Priester, er sey ein Eremit;
So wird er Mitleid fühlen, wenn er mich bitten sieht.
Ein langer Priesterrock bedeckte seine Glieder,
Des Bartes Silberhaar floß auf die Brust hernieder;
Das Alter, das die Jugend von seiner Stirn gewischt,
Gab ihr dafür die Würde, mit sanftem Ernst vermischt,
Ich sprach ihn also an: Wenn dich ein Jüngling rühret,
Den Irrthum, oder auch ein Gott hieher geführet,
Ehrwürdigster der Menschen! so offenbare mir:
Wo bin ich? welche Gottheit wohnt, oder wohnte hier?
Betrügt nicht mein Gefühl, so herrschte hier Cythere,
Und wo der Staub itzt liegt, da rauchten ihr Altäre?
Du irrst nicht, sprach der Alte; dort lieget der Altar
Im Schutte seines Tempels, bey dem ich Priester war.
Die Grotte war der Ort, als Paphos sie noch ehrte,
Wo eine beßre Welt von ihr Orakel hörte.
Glückseligs edles Alter! eh dieß Orakel schwieg,
Als unter bessern Menschen noch Dampf vom Altar stieg!
Als Knabe sah ich nur die heiligen Gepränge:
Der Tempel war damals den Opfernden zu enge;
Es floß aus tausend Städten die halbe Welt hieher;
Und nun, welch eine Wüste! ach! schau, mein Sohn, wie leer!
Das Land liegt still, und todt; in die vergeßne Fluren
Drückt fast kein andrer Fuß, als meiner, Menschenspuren.
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Ich nur, ich walle einsam zum sinkenden Altar,
Und bring ihm, statt des Weihrauchs, zum Opfer Thränen dar;
Und wenn dich länger nicht des Greises Füße treten,
Du heiliger Ruin! so wird kein Mensch hier bethen.
Von Opfern war schon lange der öde Tempel leer;
Doch dann fließt, dir zu Ehren, auch keine Thräne mehr!
Er stand, zum Schutt gekehrt, schwieg und bestarrt ihn lange,
Und eine Thräne rann ihm zitternd von der Wange.
Ich wagt es, ihn zu stören, und sprach: o! sage mir,
Wenn Cypris hier sonst wohnte, was trieb sie denn von hier?
Die Wollust, sprach der Greis: der Welt von edlen Vätern
Folgt eine schlimmre Welt von Lästrern, und Verräthern;
Die von der Pflicht entfesselt, die ihr Gesetz befahl,
Aus Liebe Handel machte, und den Altar bestahl;
Sich selbst die Schönheit gab, der Wangen Rosen malte,
Geld für die Liebe nahm, Gunst feil both, und bezahlte,
Verführt ward, und verführte; und diese niedre Schaar
Erbauete der Göttinn, bey Paphos, den Altar.
Die Erde, wo itzo die Marmorsäulen blinken,
Trug die verfluchte Last, und wollte nicht versinken!
Doch nimmer hat die Göttinn den neuen Bau besucht,
Ein Gräul war ihr das Opfer, und der Altar verflucht.
Hier blieb nur noch der Kern der Söhne und der Töchter;
Ein kleiner dünner Rest der edelsten Geschlechter,
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Der von der Lust verführet, die jene Schaar genoß,
Zuletzt aus diesem Tempel nach Paphos überfloß;
So wächst, von einem Strand der Erde weggezogen,
Am anderen das Meer, und wälzet seine Wogen
Weit über neue Inseln, und läßt da, wo es wich,
Ein sandiges Gestade, und Wüsten hinter sich.
So sah ich hier die Fluth der Opfernden verlaufen,
Und unsre dünnre Schaar verschlang der größre Haufen:
Wie eine kleinre Quelle, die dürftiger entspringt,
Ein mächtiges Gewässer in seinen Strom verschlingt.
Nun war die Gegend öd, verlassen diese Wälder,
Und einsam übersah der Tempel todte Felder;
Nur selten, selten glimmten, nach wenger Jahre Lauf,
Von seinem kalten Altar die Flammen einmal auf.
Die tiefre Stille brach kein festliches Getümmel,
Und selten wallte noch ein heilger Rauch gen Himmel.
So öde, so verlassen, stand Tempel und Altar,
Als ich sein Priester wurde, der eben männlich war.
Und noch nicht Schimpf genug für beyde! nein, die Frechen
Beschleunigten den Fall durch größere Verbrechen.
Das Laster war zu wenig, das keine Augen sehn;
Es mußt im Angesichte der Götter selbst geschehn.
Noch nicht vergnügt damit, die Erde zu entehren,
Im Sitz der Götter selbst, an heiligen Altären –
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O! kann ichs auch erzählen! – welch Laster am Altar!
Der schreckliche Gedanke erhebt voll Gram mein Haar!
Doch euch, Entsetzliche! traf an der heilgen Stelle
Die Rach, und eure That versank mit euch zur Hölle! –
Die Göttinn floh im Grimme den tief entweihten Sitz?
Die Veste ward erschüttert; die Schänder schlug ein Blitz,
Wovon die Zinne sank, in ihrem Laster nieder,
Und stürzte den Ruin auf die zerschlagnen Glieder.
So, Jüngling, sank der Tempel, und ward der Schänder Grab,
Und ihre schwarze Seele fuhr schnell zum Styx hinab,
Wo alle Furien den Auswurf von der Erden,
Durch eine Ewigkeit mit Flammen geißeln werden.
So lieget nun der Tempel, der Elemente Raub;
Kein Gott beschützt ihn ferner, und weckt ihn aus dem Staub.
Nur würdigt Venus noch die Grotte anzusehen;
Mit mir nur steht sie noch, und wird mit mir vergehen.
Er schwieg: wir giengen weiter, und meine Neubegier
Zwang mich, ihn mehr zu fragen: Mein Vater, sage mir,
Denn Cypris würdiget, sich dir zu offenbaren;
O! sag mir, kann ich hier mein Schicksal nicht erfahren?
Zu lange gab die Göttinn mich meiner Sorge Preis,
Der tödtlichsten der Sorgen, die nichts zu lindern weis!
Ein nächtliches Geschick entriß mich von Themiren;
Vergebens sucht ich sie; ach! soll ich sie verlieren?
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Die Göttinn, sprach der Priester, kehrt oft hieher zurück,
Und sagt hier manchem Edlen sein künftiges Geschick.
Oft reißt noch aus dem Strom der Wollust ihre Gnade,
Und wirft ein edles Herz von dort an dieß Gestade.
Ein Jüngling hat sich neulich von da hieher verirrt,
Und wartet, bis die Göttinn sich offenbaren wird.
Du kannst hernach ihn sehn, tritt erst in diese Höhle,
Vielleicht ertheilt durch mich die Göttinn dir Befehle.
Ich folgt; indem der Priester am Altar bethend stund,
Bebt unter meinem Füßen dreymal der Erden Grund;
Voll seiner Gottheit, sank der Greis aufs Antlitz nieder;
Das Opfer flammete, die Grotte tönte wieder:
Zwar pochte itzt mein Busen, allein, ich bebte nicht;
Nun folgte eine Stille; todt auf sein Angesicht,
Lag schweigend vorm Altar der Priester hingegossen,
Und eine Stunde war also vorbey geflossen,
Wo die entzückte Seele dem todten Leib entwich.
Nun kam das Leben wieder; und jetzt erhub er sich,
Und sprach: Getreuer Knecht, und Liebling derCytheren,
Den sie gewürdiget, sein Opfer zu erhören,
Sie schenket dir Themiren: geh, glücklicher Aedon!
Empfang sie zu Cythere! der Altar wartet schon.
Er fodert erst von dir das Opfer einer Tauben,
Dann soll sie deinem Arm kein Schicksal wieder rauben.
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Verehre den Seiden! durch ihn giebt das Geschick
Themiren, unentweihet, in deinen Arm zurück,
Zephise war nicht werth, für dieses Herz zu leben;
Zu Paphos wird sie itzt der Schande Preis gegeben;
Durch eine bessre Schöne wird ihr Verlust ersetzt;
Und Venus tilgt die Flammen, und Psyche liebt ihn jetzt.
Er schwieg: Entzückung floß durch alle meine Glieder;
In mein sonst finstres Herz kam nun der Himmel wieder.
Ich warf, in Freudenthränen, mich vor den Altar hin;
Dank strömten meine Lippen; o du, für die ich bin,
Du Kind des Zevs, durch die die Menschen auf der Erden,
Und die Olympier im Himmel glücklich werden;
Voll Rache gegen Paphos, das du der Schande giebst;
Und gnädig in Cythere, wo du den Tempel liebst;
Dir will ich, Göttinn, hier mich feyerlich ergeben,
Für dich, o Königinn, und für Themiren leben!
Kein Alter löst die Fessel von unsern Händen ab,
Zugleich steigt unser Schatten zum Strand der Ruh hinab.
Ein Geist vereine uns, ein Wunsch, ein Herz, ein Wille,
Bis unsre Asche dann nur eine Urne fülle!
Ich hatte mich erhoben, und als ich vorwärts gieng,
Riß mich ein Arm zurücke, der zärtlich mich umfing.
Schnell goß sich über mich ein angenehmer Schrecken:
Ich riß mich mächtig los, den Fremdling zu entdecken,
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Und sahe den Agenor: entzückt schlug ich die Hand
Um seine werthe Schultern, und drückt ihn, schwieg, und stand:
Mein Herz beginnt sich nun in Strömen auszugießen,
Die Lippe wird beredt, und meine Worte fließen;
Ich frag ihn tausend Fragen: Geliebter! seh ich dich?
Aus welcher Gegend kömmst du? Ach! vonCytheren? – sprich!
Sahst du Seiden da? o sahst du meine Schöne,
Themiren, sahst du sie? sprach auch wohl eine Thräne
Verlangen, mich zu sehen? war sies, die dir befahl –
Ach! alles muß ich wissen, und alles auf einmal!
Themire sandte mich, mit Thränen auf den Wangen;
Nichts gleichet ihrer Furcht, sprach er, als ihr Verlangen.
Ach! Freund, mit was für Schrecken vernahm sie am Altar,
Daß ihr Aedon in Paphos, und bey Zephisen war!
Auf Zufall sucht ich dich, durch ihren Gram gerühret;
Wie glücklich hat mich doch ein Gott hieher geführet!
Komm, eile; rette itzo den kleinsten Augenblick,
Der sie noch quälen würde, bring ihr die Ruh zurück.
Gern folgt ich seinem Rath: wir segneten den Alten;
Und itzo hätte mich kein Gott hier fest gehalten.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Gedichte. Der Tempel der Liebe. Eilftes Buch. Eilftes Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-887C-C