Charlotte von Ahlefeld
Erna
Kein Roman

[Widmung]

[1]Seiner Königlichen Hoheit

dem Herrn

Erbgroßherzog zu Sachsen-Weimar

und Eisenach, etc.

ehrerbietig gewidmet.

[3]

[Erstes Buch]

1
I

Ein liebes Mädchen sollst Du heute kennen lernen, Alexander, sagte die verwitwete Generalin von Zwenkau zu ihrem Neffen, einem zwanzigjährigen Husarenoffizier, der aus der Residenz gekommen war, sie in der Landstadt zu besuchen, in der sie wohnte. Das wäre eine Parthie für Dich. Gut, hübsch, sehr verständig, wohlerzogen und reich – liebes Kind, was könntest Du mehr verlangen? Das sind fürwahr Eigenschaften, die eine glückliche Ehe gründen.

Ehe? antwortete Alexander lachend. Dafür, hoffe ich, soll mich der Himmel mein Leben lang bewahren. Nein, Tante, die Liebe ist eine Frühlingssonne, die das Daseyn wärmt, und duftende Blumen hervorlockt – die Ehe aber ein Maienfrost, unter dessen feindseeligem Einfluß sie wieder erstarren. Ungebunden, nur mir selbst angehörend, will ich des Lebens süßen Reiz genießen, und nie [3] mein Haupt jenem Joche darbieten, dessen Schwere nicht allein die Freiheit, sondern auch das Glück erdrückt.

So hat die Verdorbenheit großer Städte auchDeine Grundsätze schon vergiftet, versetzte die Generalin. O Alexander, laß Dich doch nicht irre leiten von der sittenlosen, versunkenen Menge, die der ehrwürdigsten Gefühle spottet, weil in ihrer kraftlosen Brust kein Raum mehr dafür ist. Eine frühe Verbindung mit einem achtungswerthen weiblichen Geschöpf wäre ganz gewiß ein sicheres Mittel, Dich in diesem Schwarm rein Dir selbst zu erhalten – soll ich nicht wünschen, daß Du es ergreifen möchtest? Ernestine, oder Erna, wie wir gewohnt sind, sie zu nennen, die ich längst für Dich im Sinne hatte, ist die einzige Tochter einer meiner Freundinnen, der Frau von Willfried, die das hier unmittelbar an die Stadt gränzende Landguth Seedorf bewohnt. Wiewohl noch nicht vierzehn Jahr alt, verspricht dies hoffnungsvolle Kind doch ein Muster weiblicher Liebenswürdigkeit zu werden. Es fehlt ihr nichts bei den vollkommensten, zum Theil schon entwickelten Anlagen, als ein gewisses Selbstvertrauen, das ihre Schüchternheit nicht aufkeimen läßt. Sie ist so bescheiden, so wahrhaft demüthig, daß sie keine Ahnung davon hat, wie viel sie seyn könnte, wollte sie ihren Werth geltend machen. Nur wer sie so genau [4] kennt wie ich, wird sie ganz verstehen, aber sie verdient das Studium ihres Charakters, und wahrlich, es belohnt sich, denn nie wohnte ein reineres, heiligeres Gemüth in einer lieblicheren Hülle.

Sie machen mich ganz neugierig, liebe Tante, unterbrach sie Alexander scherzend. Ich bin ein Freund der jungen Rosenknospen, deren erstes zartes Roth zwischen frischem Frühlingsgrün hervordämmert, und oft in dem Versprechen eines herrlichen Entfaltens schon eben so schön ist, als in der Blüthe selbst. Gern werd' ich mich an dem reizenden Anblick weiden, und – will das holde Röschen für mich blühen, mich an seinem süßen Duft ergötzen. Aber es auf ewig in meinen Lebenskranz winden, nein Tante, das vermag ich nicht, und wäre es auch völlig dornenlos, und geradeswegs aus Eden entsprossen.

Leichtsinniger! sprach die Generalin sehr ernst, wenn Du auch – scheinbar oder wirklich – doch hoff ich, nur das erstere, den Sinn für Lauterkeit und reine Sitten verloren hast, so wirst Du doch nicht vergessen, welch' hohe Achtung der Unschuld gebührt. Ich erwarte daher wenigstens, daß Du die Tochter meiner Freundin nicht zum Spielwerk männlicher Koketterie und frivoler Eroberungssucht wählst, und der Ruhe ihres Herzens schonst, wenn Du auch, ihrer Reinheit wegen, sie vielleicht mit Recht zu hoch über Dir [5] erblickst, um an eine Verbindung mit ihr denken zu mögen.

Alexander sah, daß seine Tante aufgebracht war. Er küßte schmeichelnd ihre Hände, und versicherte ihr mit all der einnehmenden Anmuth, die ihm eigen war, daß seine Aeußerungen bei weitem nicht so ernstlich gemeint seien, als sie ihr schienen, und daß – wenn er sich auch noch für viel zu jung zum Heirathen halte, er doch gewiß ihrer mütterlichen Absicht, so wie den Verdiensten ihres unbekannten Lieblings volle Gerechtigkeit widerfahren lasse.

2
II

Es gelang ihm, die Erzürnte wieder zu versöhnen, denn es war schwer, seiner hinreißenden Freundlichkeit, und seinen liebkosenden Bitten zu widerstehen.

Selten hatte die Natur einen Jüngling so verschwenderisch ausgestattet, als ihn, den bei hellem Geist und warmen, raschem Gefühl die Vorzüge einer bezaubernden Gestalt schmückten.

Sorgsame Leitung über die Untiefen und Klippen der großen Welt hätte gewiß aus ihm einen der trefflichsten Männer gebildet – aber schon in der frühsten Jugend sich selbst überlassen, und mit [6] offnen Sinnen und ungebundner Freiheit den geräuschvollen Zerstreuungen einer der üppigsten Residenzen Deutschlands hingegeben, war – durch die Macht des Beispiels hingerissen – die Reinheit seines Gemüths unter den Lockungen der Verführung und der eigenen Sinnlichkeit längst schon verloren gegangen. Nicht die Aegide der Tugend, sondern nur die Feinheit seines Geschmacks schützte ihn mitten in der Fülle des Leichtsinns und des Uebermuths vor dem Versinken in zügellose Ausschweifungen, die das Bessere im Menschen unwiederbringlich vernichten.

Aus diesem immer verderblicher werdenden Rausch der Sinne, dem er sich mit der ganzen Heftigkeit seines leidenschaftlichen Charakters hingab, würde, wie seine Tante sehr richtig meinte, eine edle Liebe ihn wohlthätig geweckt haben. Aber dies Gefühl war ihm bisher noch fremd im Leben geblieben, deshalb konnte er den heiligen Einfluß desselben nicht anerkennen, ja nicht einmal ahnen. Sich dem gauklenden Schmetterlingsschwarm zuzugesellen, der die blendendsten Koketten der Residenz umflatterte und ihm durch die Ueberlegenheit seiner glänzenden und einschmeichlenden Eigenschaften den Rang abzulaufen, um nach erlangtem Siege sich schnell nach einem neuen Gegenstand seines Verlangens umzusehen, war bisher der Cyklus seiner Beschäftigungen und das stete Ziel seiner Bemühungen [7] gewesen, in dessen Erreichung seine Eitelkeit Befriedigung fand, wenn auch das Herz leer blieb. Ihn erwärmte bei so unwürdigen Unternehmungen nicht jene reine Flamme wahrer Empfindung, die selbst Verirrungen adelt, welche sich auf ihre Innigkeit gründen, sondern es war ein eingeheitztes Feuer, mit dem er sich und andern in thörichter Verblendung weis machte, daß er glühe, während er eigentlich sehr oft nur kalte Geringschätzung fühlte.

So war es sehr natürlich, daß neben der Unschuld seines Herzens auch die gute Meinung unterging, die der Mann durchaus von den Frauen haben muß, wenn er ihnen seine höhere Ausbildung und sein Glück verdanken soll, und er glaubte, gleich den Gefährten seiner Lüste an keine weibliche Tugend mehr, da es ihm immer noch gelungen war, eine jede, die sich ihm dafür ausgab, zu zerstören. Er hatte den Schein in seiner ganzen Nichtigkeit erforscht, und darüberden Glauben an die Wahrheit verloren. So sehr er daher auch der Schönheit huldigte, wo er sie fand, so dünkte ihm doch die Glorie der sittlichen Reinheit mit der er sie sehr oft umgeben fand, nur ein gemeines Irrlicht, auf Sümpfen erzeugt, um zu täuschen und zu locken, und er betrachtete es als eine unumgänglich nothwendige List, sie scheinbar zu ehren, um mit Hülfe dieser Verstellung und einer [8] erheuchelten Achtung sich seine Eroberungen leichter zu machen, und Maske mit Maske zu vergelten.

3
III

Die Gesellschaft, welche die Generalin ihrem Neffen zu Ehren eingeladen hatte, und unter der er die ihm von ihrer mütterlichen Fürsorge bestimmte Braut finden sollte, fing an sich zu versammeln. Aber so manche Mutter auch mit ihrer blühenden oder verblühten Tochter hereintrat – durch keine wurden die ausgezeichneten Lobsprüche gerechtfertigt, mit welcher seine Tante wenigstens seine Neugier in Hinsicht Erna's Bekanntschaft gereitzt hatte.

Endlich erschien eine bleiche, abgezehrte Matrone, geführt von einem jungen Mädchen, das durch die zarteste Sorgfalt im Benehmen, und eine völlig auf ihre kindlichen Pflichten beschränkte Aufmerksamkeit auch ohne Worte aussprach, daß sie die Würde des Berufes fühle, ihrer dem Grabe entgegen kränkelnden Mutter alles zu seyn.

Dies entsprach allerdings, die Güte und Dankbarkeit ihres Herzens verbürgend, der Schilderung, die die Generalin von ihren moralischen Eigenschaften gemacht hatte. Aber schön war sie nicht – und doch hatte sie auch ihr Aeußeres als [9] sehr vortheilhaft gerühmt. Er erwartete daher – sein Ideal jugendlicher Schönheit üppig in der Seele tragend – eine volle, feurig in der Fülle der Gesundheit sich dem Leben öffnende Blüthe zu sehen, die, wie mit Liebesarmen an jede irrdische Freude sich fest schlingend, nur Fröhlichkeit und Muthwillen athmete. Statt dessen erblickte er ein Wesen, zart und ätherisch – er nannte es mager – in dem der leise Uebergang vom Kinde zur Jungfrau noch nicht harmonisch verschmolzen war, und sie demnach weder als das eine noch als die andere erscheinen ließ. Dabei einen Ernst, der ihren Jahren so wenig in seinen Augen kleidete, wie der Doctorhut einem Knaben und in dem ganz eigenen Ausdruck ihres Gesichts, auf welchem nicht die Rosen der ersten Jugend, sondern der blasse Mondschein einer fast überirdischen Verklärung ruhte, stilles Nachdenken, Ruhe und Resignation statt des Aufblitzens üppiger Lebenskraft und kindlicher Heiterkeit, denen er zu begegnen hoffte.

Sie hatte ihre Mutter sanft zu einem Sopha geleitet, und nachdem sie Sorge getragen, sie mit alle den kleinen Bequemlichkeiten zu versehen, die ihre Schwäche ihr zum Bedürfniß machten, zog sie sich zu den übrigen jungen Mädchen zurück, in deren Kreis sie sich so anspruchslos verlor, wie das Veilchen sich im Wiesengrund verbirgt.

Alexanders Augen folgten ihr. Noch immer [10] konnte er die Reize nicht wahrnehmen, die seine Tante als ausgezeichnet erwähnt hatte. Erna war groß für ihr Alter, aber schneller Wachsthum, schien es, hatte ihrer Gestalt noch nicht gestattet, jene wohlgefällige Rundung zu gewinnen, die zu einem richtigen Ebenmaas gehört. Ihr reiches, castanienbraunes Haar war in Flechten zusammengedrängt, kunstlos um das Haupt gewunden. Dunkler noch contrastirten die hoch gewölbten, schmal geformten Augenbraunen und die langen, einem Trauerschleier gleich den gesenkten Blick verhüllenden Wimpern mit der seltenen Weisse ihres Teints, aber es fehlte das warme, frische Roth der belebenden Jugendglut, das nur auf den zarten, fest verschlossenen Lippen anzutreffen war. Ihre Züge waren fein und edel gebildet, und insbesondere trug die Stirn den Stempel hoher Unschuld und Reinheit – doch das Ganze sprach seinen an schimmernden Farbenschmelz und an Flittergold der Kunst gewöhnten Sinn so wenig an, wie im bunten Blumenbeet des Frühlings die farblose Lilie.

Um zu untersuchen, ob seine Tante auch in Hinsicht ihres Geistes das von ihr gefällte Urtheil übertrieben habe, trat er ihr näher, und mit jener Gewandheit und Leichtigkeit, die das immerwährende Leben in der großen Welt giebt, wollte er eine Veranlassung suchen, sie anzureden.

[11] Als er nun aber vor ihr stand, und sie das bisher gesenkte Auge erhob, dem seinen begegnend, da begrüßten ihn, gleich dämmernden Schatten der Vorzeit die längst nicht mehr empfundenen Regungen schüchterner Blödigkeit und süßen Bangens, und er fühlte sich von ihrem großen, ruhigen und klaren Blick tief und wunderbar ergriffen.

Solche Augen – das konnte er sich nicht abläugnen, hatte er niemals noch gesehen. Sie trugen den Himmel in ihrer herrlichen Tiefe, und sprachen in lichtheller Klarheit eine Treue, einen Seelenadel, eine Reinheit aus, vor denen selbst sein frivoler Sinn sich beugte.

Doch lange blieb es ihm nicht vergönnt, sich in ihrem Anschauen zu verlieren, denn Verlegenheit, die ihre bleichen Wangen plötzlich mit dem sanften Anhauch einer zarten Rothe färbte, verhüllte schnell mit der süßen Nacht der langen Wimpern den Himmelsglanz, der ihm so leuchtend in die Seele drang. Wahrscheinlich hatte Erna von ihrer Mutter die Weisung empfangen, ihn mit besonderer Auszeichnung zu begegnen, und die schwache Frau, die kein Geheimnis vor der geliebten Tochter verbergen konnte, hatte den mit der Generalin früher besprochenen Plan einer Verbindung zwischen ihr und Alexander, ihr als Perspective ihrer Zukunft gezeigt.

[12]
4
IV

In ihrer Verwirrung fand er sehr bald seinen Muth und seine Gegenwart des Geistes wieder. Es fing seine Eitelkeit an zu intereßiren, sich die Entscheidung der Frage zu verschaffen, ob Erna etwas wisse von dem Plan der beiden alten Frauen, oder ob seine Persönlichkeit allein sie so sichtbar imponirt habe.

Denn es war nicht zu verkennen, daß sie von seiner Anrede gleichsam electrisirt, alle Fassung verlor, und in ihrer linken, blöden und verlegenen Antwort weniger ihre geistige Beschränktheit als eine tiefe Betroffenheit des Herzens verrieth. Er gönnte ihr Zeit, sich ein wenig zu sammeln, und erneuerte dann wieder seine Versuche, ihr Rede abzugewinnen, aber neues glühendes Erröthen, von leisem Beben und einzelnen abgebrochenen, kaum hörbaren Worten begleitet, scheuchten ihn abermals zurück, und erst als er sich nicht mehr um sie zu bekümmern schien, erlangte sie ihre Ruhe und Unbefangenheit wieder.

Ob sie nun gleich, trotz der wunderschönen Augen, denen er volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, weit unter seinen Erwartungen und Wünschen blieb, so schmeichelte es ihm doch, den tiefen Eindruck zu bemerken, den seine Erscheinung auf ein [13] so völligneues unerfahrenes Herz gemacht hatte, und er beschloß, sich damit zu belustigen.

Um der schüchternen Taube einigermaßen Zutrauen einzuflößen, verbarg er die Habichtsklauen seines Leichtsinns, und stellte sich ernst, fromm und sinnig an. Ohne durch seine Nähe ihr leicht bewegtes Gemüth ängstlich aufzuregen, wußte er doch die Ueberzeugung wach in ihr zu erhalten, daß seine Aufmerksamkeit theilnehmend mit ihr allein beschäftigt sei, und sie vor allen ihren Gespielinnen auszeichne. Die Verehrung, mit der er ihre Mutter behandelte, und die bescheidne liebliche Art, mit welcher er sie zu unterhalten und zu erheitern strebte, erwarb ihm nicht nur den Beifall der Matrone, sondern flößte auch Erna die vortheilhafteste Meinung von seinem Charakter ein, die den günstigen Eindruck seiner einnehmenden Gestalt verstärkte. Seine Tante selbst war entzückt über sein Betragen, und konnte es kaum erwarten, ihn allein zu sprechen, um ihm ihre Zufriedenheit zu bezeugen, und sein Urtheil über Erna zu vernehmen.

Alexander hatte durch seine frühere, übel aufgenommene Freimüthigkeit erfahren, daß es bedenklich sei, ihr ganz offen seine innersten Gedanken und Gefühle darzulegen, und da es seine Absicht war, sie nicht abermals zu erzürnen, so unterdrückte er seine satyrischen Bemerkungen, und verbarg ihr, [14] wie lächerlich er das gute Kind in seiner ländlichen Unbeholfenheit und Schüchternheit fand.

Er begnügte sich daher, nur im Allgemeinen sich zu äußern, und sehr gemildert und oberflächlich seine wahre Meinung auszudrücken. Gern glaub ich, beste Tante, sagte er, daß in dem Fräulein die Keime aller möglichen Tugenden verborgen liegen, aber es wird schwer halten, sie an's Licht zu befördern, da ihre Blödigkeit doch wirklich alle Gränzen übersteigt. Bei dem sorgsamsten, und gewiß nicht zudringlichen und unzarten Bestreben, mit ihr in irgend eine Art von Beziehung zu kommen, hat mir der heutige mühevolle Abend doch kein anderes Resultat gebracht, als daß ich weiß – wie sie erröthet. Sie ist für jetzt, sich und andern, wie mir scheint, noch ein bloßes Fragzeichen im Leben, eine mimosa pudica, die bei der leisesten Berührung krampfhaft zusammenfährt, und man sollte glauben, daß eine Mönchszelle in Georgien sie erzeugt habe, so gesenkten Hauptes, gleichsam gebeugt, wandelt sie einher. Dort, wo die Mönche in nicht völlig vier Fuß hohen Zellen wohnen, um eine demüthige Stellung sich anzugewöhnen, mag ein solcher Anstand auch ganz an seinem Platze seyn. Hier aber unter uns in froher Geselligkeit, und fern von aller klösterlichen Disciplin war es vortheilhafter und vernünftiger, wenn sie das pikante Gesichtchen ein[15] wenig erheben wollte – besonders, da ein paar Augen es schmücken, wohl werth, daß man in ihren Strahlen sich sonnet.

Die Generalin war vorläufig mit seiner Charakteristik zufrieden, denn sie mußte im Geiste zugeben, daß er Recht hatte. Auch sie fand heute ihre sonst so ruhige Erna so ungewöhnlich verschüchtert und verlegen, daß sie sie kaum selbst erkannte. Sie wollte jedoch der Eigenliebe des ohnehin eitlen Jünglings nicht durch die Entdeckung schmeicheln, daß sein Anblick die Ursach einer so auffallenden Verwandelung sei, und überließ es der Zeit, und Erna's Reizen des Körpers und der Seele, den Flatterhaften zu fesseln, und mit der Unbehaglichkeit des ersten Empfangs zu versöhnen.

5
V

Die Stadt, in welcher die Generalin lebte, gehörte zwar eben nicht zu den größten, und war keineswegs frei von den kleinlichen Fehlern eines Tons, der sich oft durch Neugierde und Geschwäzzigkeit von dem Pfade edlerer Unterhaltung entfernte, aber an munterer Geselligkeit gab sie der Residenz nichts nach, denn mehrere Beamte, und wohlhabende Honoratioren bildeten mit dem zahlreichen Adel der umliegenden Gegend einen weiten Kreis, [16] der sich sehr oft versammelte, sich vereint des Lebens zu freuen.

Die Generalin war mit allen in gutem Vernehmen, doch ihr liebster Umgang beschränkte sich auf Frau von Willfried, deren ohnehin sanfter Charakter durch die fromme Geduld, mit der sie eine beständige Kränklichkeit trug, noch weicher und anziehender wurde.

Sie hatten gemeinschaftlich ihre Jugend in der großen Welt zugebracht, und so manche Erinnerung der Vergangenheit, die jetzt ihre Einsamkeit würzte, gab ihnen reichen Stoff der Mittheilung im traulichen Beisammenseyn, indem sich durch sie das Andenken jener Zeit ihnen erneuerte.

Ein noch innigeres Band webte aber Erna zwischen ihnen, die – gleichsam von zwei Müttern gepflegt und geliebt, und beide mit Liebe und Gehorsam umfassend, schon in der frühsten Kindheit ein herrliches Gemüth neben ausgezeichneten Geistesgaben ahnen ließ.

Die Generalin hatte keine Kinder, und Alexander, der einzige hinterlassene Sohn ihres früh verstorbenen Bruders sollte einmal in Zukunft ihr Erbe werden. Doch war diese Verfügung mehr ein Werk der Pflicht als der Neigung, denn sie hatte ihn seit seinem zehnten Jahr aus den Augen verloren, und wenn sie auch von allen Seiten hörte, er sei zu einem schönen, frohen, geistreichen [17] Jüngling heran geblüht, der allenthalben warmen Antheil erwecke, und – wie man zu sagen pflegt – Glück mache, so mischte sich doch auch manche Kunde von seinem Leichtsinn, dem aufbrausenden Ungestüm seines Charakters und seinem an Libertinage gränzenden Hang zum üppigsten Lebensgenuß als dunkler Schatten in das schimmernde Bild seiner Liebenswürdigkeit, und die Briefe, die sie von Zeit zu Zeit von ihm empfing, bestätigten ihr durch manchen charakteristischen Zug, daß Lob und Tadel über ihn gegründet sei.

Einsam, und unbekannt mit Freuden und Gespielen ihres Alters, war Erna neben ihr aufgewachsen, und hatte oft durch ihre stille, sich selbst nicht einmal bewußte Güte, durch ihre Innigkeit und kindliche Hingebung, die nie auf sich, immer nur auf das Wohl an derer, Rücksicht nahm, den Wunsch erregt, daß die Natur sie ihr zur Tochter verliehen haben möge.

Der immer leidende Zustand der Frau von Willfried, hatte ihre Reizbarkeit so unendlich erhöht, ihr Empfindungsvermögen so krankhaft geschärft, daß sie die Entfernung ihres einzigen geliebten Kindes, auch nur auf Stunden, nicht ertragen konnte. Daher, und weil eine tiefe Stille in ihrer Umgebung ihr bei ihren schwachen Nerven Bedürfnis war, wurde Erna ausgeschlossen von den munteren Kreisen anderer Kinder, und ihr Gemüth, das die [18] Sonne des Frohsinns nur selten durchscheinen durfte, neigte sich zu einem unnatürlichen Ernst, an dem es früher reifte als die eigentliche Bestimmung des Menschen es haben will.

Es war ihr nicht entgangen, daß man das stete Kränkeln ihrer Mutter von den Folgen der schweren Niederkunft ableitete, durch welche ihr das Daseyn gegeben worden war. Diese traurige Entdeckung legte ihrem tief fühlenden Herzen, das schon durch die unbegränzte Fülle der Mutterliebe, die sie erfuhr, zu der innigsten Dankbarkeit verpflichtet war, das drückende Gewicht eines inneren Vorwurfs auf, dessen Schwere ihr nur eine völlige Aufopferung eigener Freuden und Wünsche, und das Bestreben, ganz ihren kindlichen Pflichten zu leben, erleichtern konnte.

Diese Tendenz, die ihr als der heiligste Beruf vorschwebte, theilte ihr, indem sie die angebohrene Lebhaftigkeit ihres Innern dämpfte und gewissermaßen mit einem Flor umhüllte, auch in der äußeren Form jene leise Stille mit, die in allen ihren Bewegungen Geräusch zu vermeiden gewöhnt, immer nur zu lindern, zu helfen und zu tragen bemüht ist. Wie der Engel der Geduld und der stillen klaglosen Resignation war sie stets um ihre Mutter, und leistete mit zarter liebevoller Hand ihr alle Pflege, die sie bedurfte. Sie wurde in ihrem Beisein unterrichtet, sie las ihr vor – sie genoß [19] die frische Luft und die bunten Abwechselungen der Jahreszeiten nur an der Seite der Leidenden, wenn sie – statt mit den Lämmern der Wiese um die Wette umher zu springen – gehaltenen Schrittes sie hinaus führte, um mitten in der blühenden Natur sie von der Vergänglichkeit alles Irrdischen, von ihren Schmerzen und Todesahnungen sprechen zu hören.

So wurde ihr jugendlich knospendes Leben früh von einer Schwermuth verschattet, die nur durch den stillen Frieden gemildert ward, den das Bewußtseyn erfüllter Pflichten gewährt. Ihre nie ermüdende, treue Sorgfalt für ihre Mutter war ihr der mit inniger Liebe klar erschaute Mittelpunkt, von welchem all' ihr Wollen und Wirken ausging, und zu dem es wieder zurückkehrte. Wohl dämmerten zuweilen in ihrer Seele Ahnungen einer freudigeren Welt auf, als sie rings um sich erblickte, aber ihre Sehnsucht strebte nicht über die scharf gezogene Gränzlinie hin, die sie davon schied und ein stilles Genügen, das sie im Busen trug, versöhnte sie fromm und ergeben mit ihrer einförmigen und ernsten Existenz.

[20]
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VI

Ein Ball, der Alexandern zu Ehren gegeben werden sollte, eröffnete seiner Eitelkeit die willkommene Aussicht, zu glänzen, da der Tanz zu den Künsten gehörte, die er in der höchsten Vollkommenheit sich angeeignet hatte. Seine schöne Gestalt, sein edler Anstand, seine jugendliche Leichtigkeit und der ihm gleichsam angeborene Tact bildeten ein Gemisch von Anmuth und männlicher Grazie in seinem Wesen, das sich in jeder Bewegung so wie in seiner ganzen Haltung aussprach.

Alles war versammelt – auch Erna fehlte nicht. Doch vergebens suchte sie sein Blick in der munteren Reihe, als er, der Convenienz folgend, den Ball mit der Tochter des Hauses begann. Sie saß neben ihrer Mutter unter den Zuschauerinnen, und folgte mit denkenden, ruhigen Augen dem bunten Gewühl ohne sich in seine Kreise zu mischen. Auch ihre Kleidung war ihm auffallend. Verhüllt von den Sohlen bis zum Kinn in ein dichtes weißes Gewand, hätte es nur noch eines Schleiers über das dunkle Haar und das ernste Gesicht bedurft, um sie in eine Bildsäule der Ists umzuwandeln, zu deren Ehrfurcht gebietender Würde Scherz und Muthwillen sich nicht zu erheben wagten.

Als der erste Tanz geendigt war, nahte er sich ihr, sie zum zweiten aufzufordern. Mit einem [21] ihm freudig scheinenden Erröthen nahm Erna seine Bitte auf, jedoch ohne sie zu gewähren. Sie sagte ihm nämlich, daß sie nie getanzt, und auch nie Unterricht in dieser Kunst gehabt habe, weil die auf dem Lande so seltene Gelegenheit, sie zu erlernen, sich gerade zu einer Epoche getroffen, als ihre Mutter besonders leidend gewesen sei, daher es ihr sowohl an Zeit als an Lust gemangelt habe.

Da nach dieser Erklärung seine Blicke, so wie seine Unterhaltung sie wieder in jene Verlegenheit versetzten, die ihm in ihrer Seele so peinlich war, so brach er ab, und kehrte zum Tanz zurück, dessen Freuden er sich mit der ganzen Lebendigkeit seines Charakters überließ. Von Zeit zu Zeit sagte ihm aber ein Blick, den er auf Erna warf, und dem jedesmal ihr Auge begegnete, das sie dann von dem seinen ergriffen, voll Verwirrung senkte, daß sie, ohne mit ihm zu tanzen, doch nur mit ihm beschäftigt sei.

Er suchte ihr diesen schweigenden Antheil durch manche zarte Aufmerksamkeit zu vergelten, theils, um sich das Wohlwollen seiner Tante zu erhalten, das auf einer freundlichen Hinneigung zu Erna hauptsächlich zu beruhen schien, theils weil es wirklich seiner Eigenliebe schmeichelte, das keimende Interesse zu bemerken, das er, immer zunehmend in dem jungen unerfahrenen Busen erweckte. Die [22] Gesellschaft, welche vielleicht schon vorher von einer vorhabenden Verbindung gehört hatte, die man beabsichtigte, behandelte die Auszeichnung, mit der er ihr begegnete, als den Tribut einer privilegirten Bewerbung, und war bemüht, beiden jene schonenden Rücksichten zu beweisen, durch die man gewöhnlich einem angehenden Brautpaar Gelegenheit giebt, sich einander ungestört zu nähern. Kein Wunder, wenn Erna's argloses, zum erstenmal von der Liebe wie von einem süßen Rausch befangenes Herz anfing, dem Traume des Glücks Realisirung zuzutrauen, in den die offenen Mittheilungen ihrer Mutter, die Anspielungen ihrer ganzen Umgebung, und vor allem Alexanders ehrerbietig inniges Betragen sie wiegte.

7
VII

Auch Frau von Willfried ordnete ein ländliches Fest in Seedorf an, Alexandern zu erfreuen, und hier, im gewohnten Kreise, thätig an der Mutter Statt die Pflichten der Hausfrau ausübend, erschien Erna vortheilhafter, als in den Circeln, wo sie als Gast auftrat. Denn hier, in Geschäftigkeit und freundlicher Fürsorge sich selbst vergessend, schwand die Verlegenheit welche dort so leicht ihr ihre Unbefangenheit raubte. Haus und Garten waren [23] nicht eben groß, aber der stille Geist der Ordnung, der allenthalben waltete, schien jeden Raum zu erweitern und zu erhellen, und heiter das Gemüth ansprechend, begegneten überall in sinniger Anordnung dem Auge Spuren des nützlichen Wirkens und der verschönernden weiblichen Umsicht, die mit Bescheidenheit verbunden dem häuslichen Leben einen so liebenswürdigen Charakter ertheilen. Auch daß Wohlwollen und menschenfreundliche Güte hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten, verrieth unwillkührlich der Ton des Ganzen, obgleich Erna sichtbar strebte, die unendliche Innigkeit mit der alle Hausgenossen ihr begegneten, den Blicken der Fremden zu entziehen, da sie ihrer Demuth nicht als ein Zoll, der ihrem inneren Werth gebührte, sondern als eine unverdiente Gunst erschien. Menschen und Thiere huldigten hier nur ihr, und zwar nicht als stolze Herrin, von deren gebietender Willkühr sie abhingen, sondern Milde und Güte umwebten sie gleichsam mit einer Glorie, in deren Strahlen sich Lieb und Zutrauen gerne sonnete.

Es sah fast lächerlich aus, als man zu einem Spaziergang sich anschickte, und das Fräulein auf Befehl ihrer Mutter an Alexanders Arm als Wegweiserin den Zug eröffnete, daß der ganze Hühnerhof in Bewegung gerieth, und mit ausgespreiztem Gefieder, schnatternd, krähend, gluchzend und pipend, wie die Verschiedenheit der Naturen nun [24] eben wollte, – theils empfangener Wohlthaten eingedenk, theils neue Spenden von Erna's freigebiger Hand erwartend – hinter ihr drein lief, bis sie, schnell zurückeilend, und ein Körbchen mit Waizen holend, die zudringlichen Begleiter seitwärts lockte, um während des augenblicklichen, sinnlichen Genusses, den sie ihnen streute, ungehindert ihren freundlichen Verfolgungen zu entkommen.

Weniger leicht abzuweisen waren die Tauben, die von ihrem Schlage leise in malerischen Schwingungen herabschwebten, ihre Gönnerin umkreiseten, sich ihr auf die Schultern setzten, oder dreist zu ihren Füßen niederließen, und als sie sanft seitwärts geschoben wurden, sich wieder erhoben, um einige Schritte weiter dasselbe Schauspiel zu erneuern.

Als aber auf dem Gang durchs Dorf die Kinder mit dem gegenseitigen Zuruf: »Fräulein Ernchen kommt« einander gewissermaßen das Signal gaben, ihr entgegen zu laufen – als jedes ihr eine Patschhand reichen, jedes ihr folgen wollte – als Männer und Weiber die Arbeit ruhen ließen, mit herzlichem Gruße ihr entgegen und nachzuschauen – als auch die abgelebten Alten aus ihren Häusern traten, sich an der Frühlingssonne ihres milden Blickes zu erwärmen, ihr freundlich zunickend, ihr Segen nachwünschend – da gestand [25] sich Alexander selbst im Stillen ein, daß es ein ungewöhnlicher Grad von Güte seyn müßte, den eine so allgemeine und innige Anhänglichkeit belohne.

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VIII

Demohngeachtet erregte weder diese Güte, noch so manche schöne geistige Anlage, die nur der Entwickelung bedurfte, noch auch ihr edles Aeußeres, das weit mehr sich in sich selbst zu verhüllen als sich geltend zu machen strebte, den Wunsch in seinem leichtsinnigen Herzen, sie in einer ernsten, ewigen Verbindung sich anzueignen. Methodisch steigerte er durch alle Kunstgriffe der Erfahrung und der männlichen Coketterie die Neigung, die in ihrer reinen Seele für ihn erwacht war, und belustigte sich an den naiven, ihm den vollen Reiz der Neuheit gewährenden Wirkungen seines grausamen Unternehmens, ihre Ruhe zu untergraben und zu einem Opfer seiner Eitelkeit zu machen.

Frau von Willfried eben sowohl als die Generalin getäuscht durch die Beflissenheit, mit der er sich um Erna bemühte, leisteten ihm allen möglichen Vorschub, sich ihr zu nähern. Denn geblendet von ihren Hoffnungen erblickten beide Frauen in allen seinen Aeußerungen so viel Verstand, Charakter, und selbst Gefühl, daß sie überzeugt waren, [26] er werde das Glück ihres Lieblings machen. Die unwillkührlichen Ausbrüche des Muthwillens, der Frivolität, und der Satyre, die zuweilen selbst das Heilige nicht verschonte, erschienen ihren bestochenem Urtheil als Auswüchse, die nur das Leben in der verdorbenen großen Welt ihm angebildet habe, und die eine reinere Umgebung, das Läuterungsbad wahrer Liebe, und dereinst die Würde ehelicher Verhältnisse bald genug wieder abschleifen werde. In dieser Voraussetzung erwarteten sie ruhig und freudig seine nähere Erklärung, die seinem Benehmen nach, mit jedem Tage wahrscheinlicher wurde.

Auch Erna, selig gehoben von den Schwingen eines so mächtigen, ihr selbst im Traume der Ahnung noch nimmer erschienenen Gefühls, sah mit klopfendem Herzen, von ihrer Mutter auf diesen feierlichen Moment vorbereitet, dem Geständnis des Jünglings entgegen, dem sie ihr Ja nicht versagen wollte, da sie ihm bereits ihre innige Neigung geschenkt hatte. Sie gewann allmählig Vertrauen zu ihm und zu sich selbst. Anfangs, von dem Glanz seiner geschliffenen Aussenseite verblendet, wußte sie nur schüchterne Unterwürfigkeit, blödes Zagen, seinem muntern und sicheren Ton entgegen zu setzen. Sie erschrak, wenn sie den Klang ihrer eigenen Stimme vernahm – sie erröthete, wenn sein Blick ihr begegnete – sie zitterte, wenn er sie anredete. Jetzt wich nach und [27] nach die Verlegenheit, durch die sie sich selbst so gestört und unbequem in ihrem Innern vorkam, einer bescheidenen Zuversicht, die auf die stolze Ueberzeugung sich stützte, ein so hoch an Geist und Bildung über ihrste hendes Wesen, wie ihr Alexander erschien, begreifen und fassen zu können. Er wußte so unmerklich und leise den kalten Reif der Verschlossenheit von ihrem Gemüth abzustreifen, wußte, indem er sie so oft glücklich errieth, ihren undeutlichen Gedanken Klarheit, ihren dunklen Gefühlen Licht zu geben, und durch einen im rechten Augenblick gleichsam unwillkührlichen Ausbruch einer erkünstelten Begeisterung für das Gute und Schöne, eine hingeworfene, wie dem Innern entschlüpfte Floskel der Sentimentalität, ihre vortheilhafte Meinung von ihm immer fester zu begründen, daß es sehr natürlich war, wenn ihre Achtung für ihn mit jedem Tage des Beisammenseyns wuchs, und die zarte Liebe ihres Herzens vertiefte.

9
IX

Obgleich die Fortschritte, die Alexander so sichtbar in Erna's Neigung machte, ihm manchen Stoff zur ergötzlichen Selbstunterhaltung gab, so drückte ihn, den an schimmernde Zerstreuungen Gewohnten, doch die Einförmigkeit des halb ländlichen [28] Lebens in dieser kleinen Stadt viel zu sehr, als daß er nicht hätte streben sollen, es so viel er vermochte, mit Abwechselungen zu durchweben.

Es war ihm längst langweilig gewesen, in einer bequemen Kutsche – die einzige Bewegung, die Frau von Willfried vertragen konnte – ihr und seiner Tante gegenüber, und an Erna's Seite im abgemessenen Tact, den der Arzt vorgeschrieben, durch die schöne Gegend zu rollen, und diese schläfrige Parthie durch die Benennung einer Spazierfahrt zu ehren.

Er schlug daher Erna vor, ihr Unterricht im Reiten zu geben, und obgleich ihre Furchtsamkeit vor der ungeheuern Idee zurückbebte, mit zarter Hand ein so muthiges Thier bändigen und regieren zu sollen, und Mutter sowohl als Tante meinte, sie werde ihre oft geäußerte Bangigkeit vor Pferden nicht überwinden können, so willigte sie doch sogleich freundlich ein, als sie vernommen hatte, daß es ihm viel Vergnügen machen werde, ihr Lehrmeister in dieser fröhlichen Kunst zu seyn.

Schnell wurde nach seiner Angabe ein Reitkleid verfertigt, und während der Tage, die darüber hingingen, war er bemüht, ein kleines, lammfrommes Roß noch gemächlicher für sie zuzureiten.

Als Erna nun zum erstenmal in dem geschmackvollen Amazonenkleide erschien, das er nach seinen Erinnerungen aus der Residenz angeordnet hatte, [29] wurde er durch die Anmuth mit der sie sich darstellte, überrascht. Er konnte sich nicht abläugnen, daß der größte Theil der Unscheinbarkeit, mit der sie gewöhnlich auftrat, eine Folge ihres matronenhaften, vernachläßigten Anzugs war. Der weibliche Körper muß ein schönes Oval bilden, wenn er wohlgefällig ins Auge fallen soll, und an diesem Oval dürfen ein paar zierliche Füßchen als der Schluß desselben eben so wenig fehlen, wie der Kopf selbst am andern Pole dieser Sphäroide.

Nun war aber Erna gewöhnlich so verhüllt, daß es zu den seltenen Erscheinungen gehörte, wenn hie und da die schnell wieder vom dichten Faltenwurf verdeckte Spitze ihres Schuhs sichtbar wurde, und er hatte schon öfters im Stillen die boshafte Vormuthung gehegt, daß die Natur sie in diesem Punkt stiefmütterlich behandelt haben müsse, weil er nicht begreifen konnte, daß Sittsamkeit in einem weiblichen Gemüth die Oberhand über Eitelkeit und Sucht zu glänzen behaupten könne.

Wie verwundert wurde er daher, als er bei'm ersten Blick der erröthenden Erna den Verdacht in Gedanken abbitten mußte, daß sie, wie so viele ihres Geschlechts, ohne die mindesten Kosten auf – großem Fuß lebe.

Niemals hatte er so zart geformte, so gleichsam in leiser Anmuth schwebend auftretende Füßchen gesehen, wie die ihrigen. Sie schien in den [30] zierlich geschnürten Stiefeln kaum den Boden zu berühren. Das sammtne Barret, von hohen Federn umschwankt, gab dem allzubescheidenen, zu sehr an Verschüchterung gränzenden Ausdruck ihrer Züge etwas Kühnes, das ihr wohl stand, und das eng sich anschmiegende Kleid, dessen lebhafte Farbe günstig auf das bleiche Gesicht wirkte, verrieth eine Körperform, der nur noch etwas mehr Fülle fehlte, um vollkommen zu sein.

10
X

Mit wohlgefälligem Lächeln verweilten Mutter und Tante auf der so vortheilhaft veränderten Gestalt, und nachdem Frau von Willfried Alexandern aufs dringendste empfohlen hatte, doch ja ihr geliebtes Kind sorgsam vor allen Schaden zu hüten, und es als ein heiliges, seiner Vorsicht anvertrautes Pfand zu betrachten, begann der praktische Unterricht.

Doch schon im allerersten Anfang zeigte sich eine Schwierigkeit. An die Galanterie der großen Welt gewöhnt, die er sich gleichsam wie seine andere Natur angeeignet hatte, hielt Alexander, wie er bei den Schönen der Residenz gewohnt war, seine Hand hin, damit Erna sie als Schemel betrachten, und von ihr sich in den Sattel schwingen möchte.

[31] Das blöde Kind weigerte sich aber standhaft, dies zu thun, und zwar mit einer Festigkeit, die sehr von ihrer gewöhnlichen still resignirten Nachgiebigkeit abwich. Vergebens versicherte er ihr, daß das so Sitte, und für sie das Bequemste sei. Ihr ohnehin beklommener Zustand wurde durch sein Zureden nur noch peinlicher, aber dennoch errang er diesmal nicht den Sieg über ihren festen Willen, und bewegt stand er am Ende ab von seinem Begehren, als Erna mit Thränen in den Augen sagte: »Wie könnt' ich jemals mich entschliessen, auf die Hand zu treten, als sei sie fühlloser Stein, die sich so gütig für mein Vergnügen bemüht.« Gerührt über den wohlwollenden Sinn ihrer Weigerung, dem vielleicht auch – ihr selbst unbewußt – ein dunkles Gefühl von mädchenhafter Scheu mit zum Grunde lag, drang er nicht mehr in sie, sondern umfaßte ehrerbietig ihre schlanke Gestalt, sie aufs Roß zu heben.

Es am Zügel führend, und ihr nun die Regeln aus einander setzend, durch welche es sich am sichersten leiten und beherrschen lasse, fühlte Erna ihre Bangigkeit allgemach verschwinden. Mit Freudestrahlenden Augen, über alle bleiche Angst nun erhaben, schaute sie auf ihren Lehrer herab, und dann wieder rings um sich her, kindlich froh und stolz, die Welt gleichsam zu ihren Füßen erblickend. Zum erstenmal in ihrem Leben drang das Bewußtseyn [32] eigner Kraft, die sie bisher nur im Dulden und Tragen geübt hatte, in ihr Gemüth, und es schien ihr in dem heitern Traum ihrer Macht, als entwickele sich jede Bewegung des muntern Thieres, welches sie trug, aus ihrer Willkühr, die es regierte. Sie hörte wenig von dem, was Alexander sagte – sie sah nur die liebliche Bewegung seiner blühenden Lippen – nur den Glanz der fröhlichen Augen, die – wie eine selig in ihr dämmernde Ahnung ihr sagte – die Planeten waren bestimmt ihrer künftigen Lebensbahn zu leuchten.

Wirklich wäre es schwer gewesen, so vieler männlicher Schönheit und Anmuth, wie in Alexandern sich vereinigte, den Preis der Vollendung abzustreiten, den selbst ein unpartheiisches Urtheil, wie nicht vielmehr ein von dem Zauber der ersten Liebe befangenes Herz ihm zugestehen mußte. Er war, wie Aeschylos so charakteristisch von einem seiner Helden sagt: ein Jünglingsmann. Alle einschmeichlenden Reize der Jugend, verbunden mit der Würde und Sicherheit des Mannes schmückten mit strahlendem Nimbus sein Wesen, und flößten auch denen, die um die Entweihung seines inneren Lebens wußten, das lebhafteste Interesse für seine der Natur und der Weltbildung so glücklich gelungene Aussenseite ein.

Daß Erna's Blick, der die Untiefen des menschlichen Herzens zu durchschauen, noch nicht geübt [33] war, da, wo glatter Schimmer ihr entgegen trat, den Spiegel hehrer Seelenreinheit, und wo schlaue Verstellung sich Täuschungen erlaubte, die Lauterkeit eines unverdorbenen, ihrer Achtung würdigen Gemüths wahrnahm, lag in der Unerfahrenheit ihrer Unschuld, die noch nicht durch Menschenkenntnis getrübt, von sich selbst auf andere schloß. Im tiefsten Herzen vernahm sie den Ruf der ersten Liebe. Alles was bisher ihr Leben beschäftigt und ausgefüllt hatte, erblich vor der allmächtigen Flamme, die in ihr aufzulodern begann – ihre ganze Vergangenheit schwand in Dämmerung wie ein Traum, aus dem sie nur eben erst zur Wirklichkeit erwacht schien – dunkle, aber selige Hoffnungen regten sich in ihrem Busen, und es zogen Anklänge des Gefühls durch ihr süß erschüttertes Wesen, als gingen sie von einer Sphärenmusik aus, die aus dem Heiligsten der Himmel niederwallte.

11
XI

Sehr zufrieden mit der Gelehrigkeit seiner holden Schülerin endigte Alexander die erste Lection schnell, um ihre Kräfte so wenig wie ihre Geduld zu ermüden.

Am folgenden Tag aber begann der Unterricht [34] von neuen, und Erna saß bereits so fest im Sattel, wußte mit so grazienhafter Leichtigkeit sich im Gleichgewicht zu halten, so muthig und sicher die ihr nun selbst anvertrauten Zügel zu führen, daß er ohne Bedenken ihr einen Spazierritt über die engen Schranken des Gartens hinaus ins Freie vorzuschlagen wagte.

Es war ein wunderschöner Maimorgen. Junges, helles Grün mit Blüthenschnee durchwebt, schmückte Bäume und Gesträuch, und die Nachtigallen mischten den Zauber ihrer Melodieen in den monotonen, und doch so anmuthigen Laut des Kukuks, der, wie sie, den Lenz begrüßte. Das Trillern der Lerche in hoher Luft, und das Geschwirr und Sumsen der Insekten, die im warmen Sonnenschein sich freuten, vollendete den Chor der Natur, der noch niemals inniger als jetzt Erna's erregtes Herz angesprochen hatte. Ein heitrer blauer Himmel, ähnlich dem, den sie für ihre Zukunft sich träumte, spannte sich lächlend über sie aus, und die dampfenden Felder, und die thaufunkelnden Wiesen, mit vielfarbigen Blumen bedeckt, sandten ihr die süßesten Düfte hinauf, den Rausch ihrer Stimmung noch zu erhöhen.

Alexander bemerkte mit Vergnügen, daß seine Nähe immer mehr die starre Rinde der Blödigkeit von Erna's Wesen hinweg schmolz, wie der Schnee im Frühling von den Hügeln thaut, wenn die [35] Sonne mit Feuerblick auf ihn hernieder sieht. Es kam Leben und Seele in ihre Züge. Das jugendliche Erwachen ihres Gefühls, der unverkennbare, unschuldsvolle Wunsch, ihm zu gefallen, der nicht in Künsten studierter Koketterie, sondern nur in dem aufmerksamen Bestreben, sich seine Meinungen anzueignen, seinem Geschmack zu entsprechen und seine Eigenthümlichkeit aufzufassen, sich verrieth, gab seiner Eitelkeit ein belustigendes Schauspiel, dem wenigstens das Interesse der Neuheit nicht fehlte. Selbst wenn sie oft vergebens suchte, aus ihrer reineren schuldlosen Natur herauszutreten, um sich mit seiner Individualität zu amalgamiren, deren Verdorbenheit ein schimmernder Firnis überzog, und es ihr nicht gelingen wollte, gleich ihm zu fühlen und zu urtheilen, selbst dennoch erblickte sie ihn hoch über sich, und gab der Beschränktheit ihres eigenen Sinnes die Schuld, wenn sie den seinigen nicht ganz zu begreifen und zu würdigen wußte.

Heute betrafen ihre Gespräche das Glück des Landlebens, die Schönheit der Gegend, die stillen Freuden der Wohlthätigkeit. Denn es lag Alexandern daran, sie zutraulicher noch zu stimmen, und das konnte ihm weniger gelingen, wenn er Gegenstände berührte, die ihrer Unerfahrenheit fremd waren. Er gab sich die Miene, als ermüde ihn der Zwang in einer geräuschvollen Stadt unter [36] betäubenden Zerstreuungen, die – wenn sie auch den Geist momentan zu beschäftigen vermöchten, doch das nach edleren Genüssen schmachtende Gemüth leer und unbefriedigt ließen – leben zu müssen, und drückte die Sehnsucht nach idyllischer Einfachheit der Sitten und nach den Freuden der Häuslichkeit um so lebhafter aus, je entfernter seine Seele davon war, sie wirklich zu empfinden.

Erna hatte noch nie Romane gelesen. Die Sprache derselben, ihr eben so neu als verführerisch, und so ganz ihren innersten Begriffen zusagend, schmeichelte sich von Alexanders, der Verstellung gewohnten Lippen süß und zutraulich in ihr Herz, und ihre Achtung für ihn nahm in eben dem Grade zu, in welchem ihr schüchternes Wohlwollen, ihr selbst unbewußt, sich zur innigsten Liebe verstärkte.

So kehrte sie von diesem Spazierritt mit erhöhter Freudigkeit und Zuversicht, so wie mit verdoppelter Neigung für ihn, zurück, und ihre wonnevoll beklommene Brust konnte die Fülle ungewohnter Seligkeit nicht bergen. Tief erglühend in der schönen Röthe, die zwischen Schaam und Freude schwankt, sank sie in die Arme ihrer Freundin Auguste, die sie bei ihrer Rückkehr empfing, und flüsterte leise und entzückt ihr ins Ohr: Auguste, wie bin ich glücklich!

[37]
12
XII

Auguste war eine Freundin und Gehülfin des Hauses. Frau von Willfried, der sorgsamsten und ununterbrochensten Pflege bedürfend, hatte sie, ehe Erna allein ihr diese leisten konnte, und um sie ihr späterhin zu erleichtern, zu sich genommen, und ihr die Aufsicht über die Dienstboten und das Hauswesen, und Erna's Unterricht in den feineren weiblichen Arbeiten übertragen.

Auguste, die Tochter eines Predigers, war eine jener zarten, früh verblühenden Gestalten, die verschlossen, aber in tiefen Frieden mit sich selbst und andern ihren Lebensweg dahin gehen, ohne daß der aufmerksame Beobachter dem ihre früheren Verhältnisse fremd sind, zu entscheiden vermag, ob der Wurm der Kränklichkeit, oder eines durch Unglück erschütterten Gemüths an ihrer vor der Zeit gewelkten Blüthe nagt.

Hier hatte beides sich vereinigt, sie rasch über die Gränzlinie feuriger, genußvoller Jugend in jenen sinnigen, ruhigen Zustand reiferer Jahre hinüber zu führen, in welchem ein weibliches Wesen das leidenschaftliche Getriebe der Welt nicht mehr als eine Bühne des Handelns, sondern nur des Zuschauens betrachtet.

So lag schon in ihrem acht und zwanzigsten Jahr das Daseyn beschlossen, und geendet in [38] seinen innigsten Beziehungen hinter ihr. Doch hatte sie die Schätze eines reinen Gewissens, der Geistesklarheit, und einer nun nicht mehr zu untergrabenden Ruhe aus dem Schiffbruch einer trüben Vergangenheit gerettet, und gelassen, klaglos und zufrieden widmete sie sich in stiller Geduld dem ganzen Umfang ihres Berufs, dankbar, daß Frau von Willfrieds Sanftmuth und Erna's himmlische Güte ihren Pfad freundlich ebneten, indem beide ihren sittlichen Werth erkannten, und höher ehrten, als ihrer Bescheidenheit eigentlich gerecht schien.

Erna zählte erst sieben Jahr, als Auguste ihre Hausgenossin ward. Sie fühlte sich schnell mit herzlicher Liebe zu dem holden Kinde hingezogen, das schon früh in allen seinem Denken und Thun den Keim einer seltenen Vortrefflichkeit ahnen ließ, und es ward ihr bald die heiligste und süßeste Angelegenheit ihres Lebens ihre Anlagen zu entwickeln, und dem zu wahrer Frömmigkeit sich hinneigenden Gemüth die Richtung zu geben, die – wie sie aus Erfahrung wußte – in allen Freuden und Leiden welche das Schicksal bietet, nur in sich Schutz und Schirm und Gleichgewicht findet.

Sie lehrte sie, mehr durch Beispiel als durch Worte, in Freude an der Natur, in stillen nützlichen Beschäftigungen und in der Erfüllung ihrer Pflichten den Zweck, so wie die Würze ihres Daseyns suchen. Auch waren Erna's Verhältnisse [39] ganz geeignet, um mit ihrem Plan im Bunde sie zur ernsten Einkehr in sich selbst, zur frühen Reife des Geistes, zur sanften Mäßigung ihrer lebhaften Gefühle hinzuleiten. Denn die stets leidende Mutter, die gleichsam das ganze Leben ihrer Erna als ein Opfer kindlicher Liebe hinnahm, das ihr gebührte, und die das früh resignirte Kind aus der Sphäre fröhlicher Jugendlust, die ihren Jahren angemessen war, an den engen Kreis bannte, welcher ihr Schmerzenslager umgab, half durch den Anblick ihres langsamen Dahinschmachtens ihre Phantasie von dem Irrdischen abziehen, und zu jener höheren Ansicht empor richten, die wie ein Stern in dunkler Nacht den Blick des Geistes aufwärts hebt.

Nichts bildet die moralischen Fähigkeiten edler aus, nichts wirkt herrlicher auf das weibliche Gemüth, als wenn es ganz von dem Beruf der Krankenpflege durchdrungen, ihn als eine heilige Pflicht anerkennt und übt. Sanftmuth, Geduld, frommer Glaube an eine Hand, die jedes Leiden lindert, wäre es auch erst jenseits, Ergebung und himmlischer Friede entkeimen der Saat, welche Selbstverläugnung in den steinigen Boden des Entbehrens streut, und lohnen jeden hingegebenen Genuß der Welt durch die reiche Fülle des Bewußtseyns.

So glaubte Auguste in Erna's Fortschreiten im stillen Versagen bunter Jugendfreuden, und in [40] einer sich selbst vergessenden Thätigkeit die stärksten Waffen gegen alle feindlichen Angriffe eines künftigen Geschicks ihr in die Hand gegeben zu haben, und als sie die sanfte Morgenröthe einer – wie sie hoffte – glücklichen Neigung in ihrer Seele anbrechen, und diese durch die Wünsche der Familie geheiligt, so wie durch Alexanders auch sie bestechende Aussenseite gerechtfertigt sah, wähnte sie ihren Liebling nahe an der Schwelle des Tempels der höchsten irdischen Glückseligkeit, und freute sich der immer wärmer werdenden Innigkeit, die sie bemerkte.

13
XIII

Denn ein weibliches, unverdorbenes Wesen, auch wenn es selbst durch ungünstige Erfahrungen nur die Dornen, nicht die Rosen der Liebe gekannt hat, weiß sich dennoch keinen anderen Himmel hienieden zu träumen, als den einer glücklichen ehelichen Verbindung.

Mit treuem Antheil, und freudig gerührt, nahm sie daher Erna's Geständnis, daß sie so glücklich sei, als einen Vorboten des noch wichtigeren Bekenntnisses, daß sie liebe, auf, und half ihrer zarten Verschämtheit, ihren mit sich selbst kämpfenden, des Ausdrucks ermangelnden Gefühlen zur Sprache, [41] indem sie sanft ihr entgegen kommend, eigentlich mehr errieth als von ihr erfuhr.

Freilich fehlte noch, um sie als glückliche Braut zu begrüßen, Alexanders förmliche Erklärung. Aber war nicht sein ganzes, Erna so sichtbar auszeichnendes Betragen eine ehrerbietig und liebevoll fortgesetzte Bewerbung der nur das entscheidende Wort fehlte, um bindend auf ewig zu seyn? Und oft sprechen Worte nicht so deutlich, als Handlungen, in denen unwillkührlich sich die Neigung verräth. Er wußte ja die Absichten seiner Tante und der Frau von Willfried – unmöglich hätte er sich bei den Grundsätzen wahrer Ehre, die man an ihm zu bemerken glaubte, dem Schein, in sie einzugehn, geliehen, wenn sie nicht mit den seinigen harmonisch übereinstimmten.

Und konnte er eine edlere Wahl treffen, als die, die diesen Engel an Güte und Herzlichkeit ihm zur künftigen Gefährtin seines Lebens bestimmte? Selbst in conventioneller Hinsicht machte Erna's bedeutendes Vermögen sie zu einer sehr vorzüglichen Parthie, doch seltner noch war der Reichthum ihres Gemüths und ihres Geistes, neben einer Gestalt, die ohne noch zur vollkommenen Schönheit heran geblüht zu seyn, doch schön zu werden versprach, so wie ihre Jugend, und die große Biegsamkeit ihres Charakters nicht bezweifeln ließ, sie werde leicht und geschickt sich in die künstlich geschliffenen [42] Formen der großen Welt fügen lernen, die freilich auf dem Lande ihr fremd geblieben waren.

Alles dies sagte sich Auguste in ihrer innigen Theilnahme an dem künftigen Loose ihres holden Zöglings vor, und Erna mit dem Segen der wärmsten Liebe an ihre Brust drückend, erwartete sie zuversichtlich von den nächsten Tagen die endliche Schürzung des Knotens.

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XIV

Was sie noch mehr als alle vorhergegangenen Umstände zu dieser Erwartung berechtigte, war ein Vorfall, der traurige Folgen hätte haben können, der aber jetzt nach Erna's Ansichten nur dazu diente, ihr auf eine etwas rauhe Art den Himmel ihrer Zukunft früher zu öffnen.

Alexander, der das ihm anvertraute Amt als Lehrmeister ernst und gewissenhaft verwaltete, fand es nothwendig, daß seine Schülerin sich an mehr alsein Pferd gewöhne, um sicherer in allen den Eigenthümlichkeiten der Reitkunst zu werden.

Nicht ohne ein inneres, weissagendes Vorgefühl der Gefahr vertauschte daher Erna eines Tages ihr liebes frommes Roß mit seinem schnaubenden Araber, der aber trotz der Fülle des Muthes und Uebermuthes, die aus ihm wieherte, trefflich [43] zugeritten war, und keine Unarten hatte, die die mindeste Besorgnis für seine zarte Reiterin erregen konnte. Wohlgemuth trabten beide über die frischen Wiesen dahin, dem kühlen Walde zu, der mit seinen dämmernden Schatten ihnen so einladend winkte. Dort ließen sie die Thiere langsam gehn, und im traulichen Wechselgespräch schwand Erna's leise Furcht, so wie ihre Achtsamkeit auf sich selbst, und auf die Zügel.

Längst hatte gewiß der schlaue Araber gemerkt, daß es nicht Alexanders gewohnte feste, und bändigende Hand sei, die ihn lenke. Daher erlaubte er sich manchen kleinen Seitensprung, den sein Gebieter ihm nicht verstattet hätte, und schüttelte oft brausend die Mähne, den Kopf bald tief zur Erde senkend, bald weit ihn zurück werfend, und die fein gespitzten Ohren schalkhaft bewegend, als spotte er der sanften Gewalt, die Erna mädchenhaft über ihn übte.

Alexander, aufmerksam auf die unziemlichen Freiheiten, die er sich nahm, dictirte der allzu nachsichtigen Reiterin eine Strafe für ihn, so wie eine strengere Beschränkung seiner Willkühr. Aber der Schlag, den sie auf sein Geheiß mit der Peitsche ihm gab, glich einer leisen, liebkosenden Berührung und schreckte den Muthigen nicht. Demungeachtet wurde sie nicht bange. Ihr war, als könne an des Freundes Seite kein Unglück sie erreichen, [44] und lächlend blickte sie öfterer in sein schimmerndes Auge, als auf den Weg, der durch das von Moos halb versteckte Wurzelgeflecht der Bäume, und ein stets Berg auf, Berg ab eine verdoppelte Achtsamkeit gebot. Da erklang tief aus dem dunkelgrünen Hintergrund des Waldes die schwermuthsvolle Liebesklage einer Nachtigall, und eine zweite, ihnen näher, antwortete in süßen, lang gedehnten Accorden den verschwebenden Tönen aus der Ferne, und flöthete so lieblich, so herzergreifend, daß sie beide unwillkührlich die Rosse anhielten, ihr zuzuhören.

Ungeduldig scharrte der Araber, der sich nach raschem Gallop sehnte, die Erde auf, und stampfte den Boden – Alexander und Erna, in die seelenvollen Melodieen Philomelens vertieft, bemerkten es nicht. Plötzlich fiel dicht neben ihnen ein Schuß, und ein Reh – nicht durch ihn getroffen, aber verscheucht, sprang aus dem Gebüsch, fast die Pferde berührend, seitwärts an ihnen vorüber und riß durch die jähe Gewalt des Schreckens den scheu gewordenen, schon vorher durch Ungeduld gereizten Araber vorwärts.

Im vollen Lauf sprengte er, durch einen eng verwachsenen Nebenweg sich drängend, die waldige Anhöhe hinab, oft sich bäumend, oft hintenausschlagend, bis Erna, die sich vergebens im Sattel zu halten strebte, durch einen Schlag an den Kopf [45] von einem tief herab gebeugten Ast mit der Besinnung das Gleichgewicht verlor, und im Bügel hängen bleibend, von dem rasenden Thier geschleift, wie eine Beute des Todes auf dem von ihrem Blut benetzten Pfade dem ihr athemlos nacheilenden Alexander aus den Augen schwand.

15
XV

Denn er hatte mit der Gegenwart des Geistes, die ihm eigen war, überdacht, daß er ihr zu Fuße weit leichter folgen, und weit hülfreicher seyn könne, als zu Pferde, allenthalben durch das Dickicht ängstlich und gefahrvoll aufgehalten. Schnell war er daher abgesprungen, und flüchtig wie das Reh, das die erste Veranlassung dieses Schreckens gab, eilte er ihr nach, nicht ohne aufs tiefste von seiner Verantwortlichkeit bewegt zu seyn, und voll quälender Besorgnis: wie er sie finden werde.

Die einzelnen Blutstropfen auf dem grünen Moose waren ihm ein purpurner Leitfaden, ihre Spur zu verfolgen, und endlich, – welch ein Schauder rieselte durch alle seine Nerven – endlich sah er sie in weiter Entfernung leblos auf der Erde liegen, und den Araber unaufhaltsam, und wie vom bösen Gewissen gejagt, von dannen sprengen.

[46] Er flog zu ihr hin, und warf sich vor ihr nieder. Todtenblässe bedeckte ihre Wangen und Lippen. Der Ast, der ihre Stirn verletzte, hatte ihr das Barret abgestreift, und die festgeflochtenen Haare gelößt, die lang und dunkel an ihr niederhingen. Gleichwohl war trotz der Willkühr des Falles ihre Stellung so edel, der Ausdruck ihrer in den Fesseln der Ohnmacht erstarrten Züge so rührend, daß Alexander tief erschüttert mit gefaltenen Händen vor ihr lag, und mehrere Momente in ihrem Anschauen verlor, ehe er so viel Fassung gewann, um irgend etwas zu ihrer Hülfsleistung zu thun.

Das Flüstern einer nahen Quelle weckte ihn zuerst aus der dumpfen Betäubung, in der er zu ihren Füßen kniete. Er raffte sich auf, und tauchte sein Tuch in ihre crystallene Kühlung, es dann sanft und leise um Erna's verwundeten Kopf zu schlagen. Noch perlte ihr reines Blut in hellen Tropfen gleich Rubinen auf der Lilienweißen Stirn und zwischen den braunen Locken hervor, aber er hatte doch den Trost zu bemerken, daß ihre Wunden nicht tief waren. Sorgsam ihr auf den rauhen Boden hingesunknes Haupt an seine klopfende Brust lehnend, ihre kalten Hände zwischen den seinigen wärmend, hatte er endlich die unaussprechliche Freude, ihr Bewußtseyn leise wieder aufdämmern zu sehn.

[47] Welch ein Erwachen! Sie glaubte, sie habe geträumt. Von seinen Armen umschlossen, an seinem Busen sich wieder findend, verlöschte die Erinnerung des gehabten Schreckens und der erlittenen Schmerzen in ihrer Seele, die keinen Raum neben den Gefühlen hatte, welche seine vertrauliche Nähe ihr gab.

Sie zog ihre Hand nicht aus der seinen. Mit der ganzen Kraft des neu erwachten Lebens, mit der vollen Gluth still entflammter Liebe, und mit der innigsten Dankbarkeit für das Entzücken, mit welchem er sie dem gefahrvollen Scheintod entrissen sah, blickte sie ihm ins Auge, und lächelte ihm zu, wie nur Seelige lächeln.

Doch es war nicht Erwiederung ihrer liebenden Empfindung, die aus seinen Blicken strahlte – es war nur die aus ganz gewöhnlicher Gutmüthigkeit entspringende Freude, sie gerettet zu sehn, sie nicht als Leiche ihrer Mutter wiederbringen, und den herzzerschneidenden Vorwurf erwarten zu müssen, daß sein Verschulden ihr die Tochter raubte. Anders glaubte aber Erna sein Innerstes bewegt, weil das ihrige ihr der Maasstab war, nach dem sie es beurtheilte. Ihr schien es aufs tiefste ergriffen – ein süßer Wahn überredete sie, daß sie seine Gesinnung eben so durchschauete, wie die ihrige rein und offen vor ihm lag, und in ihrer kindlichen Unerfahrenheit ahnete sie nicht, daß [48] selbst ihre forschendsten Blicke wie von einem ehernen Schilde von der undurchdringlichen Rinde abprallten, womit Verstellung sein eigentliches Wesen umgab.

Wie dank' ich Gott für mein Leben! flüsterte sie leise, und hob das schöne Auge, in welchem eine Thräne funkelte, zum Himmel, indem sie seine Hand sanft zu drücken wagte. Ach, in den angstvollen Momenten, wo ich es zu verlieren fürchtete, hab ich zum erstenmal seinen ganzen vollen Werth erkannt, und recht von Herzen gebetet, daß es mir erhalten bliebe.

Das gute, fromme Kind sah so verklärt in der Begeisterung der Dankbarkeit aus, war so innig durchdrungen von dem Glücke des Daseyns, daß Alexander mit Wohlgefallen auf den durch einen ganz neuen Ausdruck beseelten Zügen weilte, aus denen eine himmlische Freundlichkeit ihm entgegen strahlte. Leicht entflammt und durch die Einsamkeit, so wie durch das Neue dieser Situation hingerissen, konnte er nicht umhin, seinen Hang zur Galanterie nachzugeben, und der sich so hold ihm hingebenden Erna recht viel Schönes und Liebeathmendes zu sagen, was in dieser reizbaren Minute, und bei dem festen Glauben, in ihm ihren Bewerber zu sehen, doppelt tiefen Grund in ihrem unbewahrten Busen faßte.

Und als er im Wechselgespräch, das von seiner[49] Seite immer mehr den Schein der Leidenschaft annahm, durch ihr naives, unverstelltes Entgegenkommen wie in eine fremde Welt entrückt den Wallungen nicht gebieten konnte, die sie in ihrer Unschuld für Liebe hielt, und er sie stürmisch an seine Brust zog, und auf ihre jungfräulichen noch nie berührten Lippen den ersten glühenden Kuß drückte, der ihr das Siegel einer ewigen Treue schien – da konnte ihr kindliches, tief erregtes Herz die Fülle seines Entzückens nicht bergen, und in seliger Wehmuth ihn umfassend, sprach sie es aus, wie sie ihn liebe, und wie glücklich sie sich preise, sich die Seinige nennen zu dürfen.

16
XVI

Doch dies Geständnis wirkte wie beruhigendes Oel auf ein stürmendes Meer, indem es seine heiß erwachte Sinnlichkeit in die kalten Gränzen der Vorsicht und der Besinnung zurück scheuchte.

Der Ernst, mit dem dies Kind seine Annäherungen als eine über das ganze Leben entscheidende, die ganze Zukunft im engsten Bunde umfassende Liebe betrachtete, war ihm lächerlich. Wäre ein sentimental platonisches Verhältnis nicht in seinen Augen das langweiligste unter der Sonne gewesen, er würde es eine Weile fortgesetzt haben, um zur [50] belustigenden Bereicherung seiner Menschenkenntnis immer neue Erfahrungen zu sammeln, wie die unentweihte Unschuld der ersten Jugend sich benimmt, wenn der Liebe magische Gewalt sie mit ihren Netzen umfängt.

Aber da es ihm nicht in den Sinn kam, durch eine ernstliche Verbindung seinen freien Nacken zu fesseln, so hielt die Furcht, in das Gewebe seiner eigenen Kunstgriffe verstrickt, und dann zu unangenehmen Erörterungen gezwungen zu werden, denen der feine Weltton gern ausweicht, ihn neben dem wenig belohnenden des damit verbundenen Zeitverlustes zurück – und sie zu verführen – nein, er war doch nicht verdorben genug, um nicht von diesem Gedanken mit Unwillen sich abzuwenden. Denn ob er bei seinen Ansprüchen an Politur der Form und äußeren Benehmen gleich fand daß das in geselliger Feinheit so unerfahrene Landmädchen sich besser in ihren Hühnerhof, und unter die Bewohner ihres Dorfs, als in die in tausendfache Facellen geschliffene Residenz schicke, so mußte er doch die schleierlose Wahrheit ihres Charakters achten, und die reine Güte ihres Herzens verehren.

Er konnte sich nicht abläugnen, daß es Unrecht sei, bei seinem festen Entschluß, sie nicht zu heirathen, ihr im tiefen Frieden der Kindheit so ruhig schlummerndes Herz geweckt, und gewaltsam [51] in den berauschenden Kreis flammender Jugendwünsche entrückt zu haben, ohne ihren muthwillig erregten Hoffnungen, ihren auf sein Betragen sich stützenden Erwartungen etwas anders als den Schmerz unbefriedigter Sehnsucht zu hinterlassen.

Zwar schmeichelte es seiner Eitelkeit, sich zu denken, daß sie ihm nachtrauern, daß sie sein Bild als ihr beständiges Ideal lebenslang im Innern sich bewahren werde – doch that ihm zu gleicher Zeit die verlorene Ruhe ihres Gemüths leid, die ein Opfer ihrer Unerfahrenheit und seiner Koketterie geworden war, und er nahm sich vor, nicht länger ein so grausames Spiel mit Empfindungen zu treiben, die er nicht zu erwiedern geneigt war, sondern den günstigen Totaleindruck, den er auf sie gemacht, in so fern zu zerstören, als er seinen Charakter betraf.

Mochte sie immer seiner persönlichen Liebenswürdigkeit Gerechtigkeit widerfahren lassen – seine Eigenliebe gestattete ihm ohnedem nicht, diese in ein nachtheiliges Licht zu stellen. Auch war es hinlänglich für die fromme Einfalt ihrer Sitten und die strengen Begriffe, welche Lehren und Beispiele ihr eingeprägt hatten, ihr den Leichtsinn seiner Grundsätze und die Frivolität seiner Denkungsart zu zeigen, um jeden Wunsch seines Besitzes zu verlöschen, ohne daß er nöthig hatte, unzart und schonungslos sich zurück zu ziehen.

[52] Diesen Vorsatz in der Seele, störte er zuerst ihre goldenen Illusionen durch die Erinnerung an die Angst ihrer Mutter, wenn nämlich, wie sich vermuthen lasse, der Araber den Weg nach Hause gefunden habe, und ohne seine Reiterin ihr ein Bote der schmerzlichsten Sorge, ein Verkündiger des Unglückes geworden sei.

Erna erschrack, daß sie dem Zauber ihrer Gefühle hingegeben, nicht von selbst an die Erfüllung einer so heiligen Pflicht gedacht hatte, als die Beruhigung ihrer Mutter ihr war. Doch, daß er sie daran mahnte, dünkte ihr ein neuer Beweis seines gediegenen inneren Werths, seiner unaussprechlichen Tiefe und Zartheit der Empfindung und gern erblickte sie auch von dieser Seite ihn über sich stehend, zutrauen- und verehrungsvoll den Blick zu der sittlichen Höhe erhebend, in der er ihr erschien.

Sie hatten kaum, Arm in Arm, und von den Vorsichtsmaasregeln sprechend, mit welchen sie das Vorgefallene der kränklich schwachen Mutter mittheilen wollten, den Saum des Waldes berührt, der ins Freie führte, als die ängstlich ausgesandte Dienerschaft der Frau von Willfried, die sie suchte, ihnen bestätigte, daß Alexanders Vermuthung eingetroffen, und das zurückgekehrte Pferd der Verräther ihres Unfalles geworden war.

Mit verdoppelter Eil strebten sie das Haus zu [53] erreichen, und erst als Erna gesund und wohlbehalten am Bett der in Krämpfen liegenden Mutter knieete, linderte sich das unsägliche Weh, unter dem sie gelitten – ein Strom von Thränen, der zugleich das heißeste Dankgebet zu Gott war, benetzte das geliebte, ihr wiedergeschenkte Kind und erleichterte ihre durch Centnerschwere beklommene Brust, und der herbei gerufene Arzt that das Seinige, den Folgen ihrer nahmenlosen Angst entgegen zu arbeiten.

17
XVII

So lange sich ihre Mutter noch nicht völlig erholt hatte, widmete Erna sich ganz ihrer Pflege. Nur dann und wann holte sie sich aus dem Nebenzimmer, wo Alexander sehr oft Augusten Gesellschaft leistete, einen stärkenden Blick von ihm, oder einen erquickenden Händedruck.

Er benutzte indeß mit kluger Vorsicht diese Zeit, um sich der Ausführung seines Plans zu nähern, indem er in Augusten, die so gern um Erna's willen an ihn glaubte, allmählich die Stützen untergrub, auf denen ihre Achtung für ihn ruhte.

Leise und unvermerkt leitete er das Gespräch auf das Leben in großen Städten und schilderte die Verdorbenheit der Sitten dort mit einem Feuer, [54] das nicht an dem Abscheu vor solcher Gesunkenheit, sondern am sichtlichen Wohlgefallen daran entzündet zu seyn schien.

Man verlangt von der guten Gesellschaft nur dreierlei, sagte er einst, als Erna ihm zuhörte. Ein feines Benehmen, einen eleganten Ton, und eine Art von Ansehn, das sich entweder auf Geburt, Rang und Einfluß, oder auf Reichthum, Geist, oder persönliche Annehmlichkeiten gründet.

Ein fleckenloses Leben ist keineswegs nöthig um mit Auszeichnung behandelt zu werden – ja oft wirft es sogar auf den, der es übt, das schlimmste Licht, in dem ein Mensch von gutem Ton erscheinen kann, nämlich: das Ridicül. Tackt für das Schickliche, Witz, gute Laune, Dreistigkeit, und die Gabe jede Rolle mit Gewandtheit zu spielen, die der Augenblick nöthig macht – dies ersetzt reichlich die sogenannten Verdienste, und eine leichte, selbst leichtfertige Aufführung wird freundlich von der großen Welt verziehen, wenn sie nur mit geselliger Anmuth und dem Schein der Decenz verbunden ist.

Erstaunt hörte Erna ihm zu. Sie glaubte, er scherze, oder er wolle Augustens feste Grundsätze, die auch ihr zur Richtschnur ihres Lebens dienten, auf die Probe stellen. Aber er sah so ernst aus – die wärmste Ueberzeugung schien aus ihm zu sprechen, und ihr wurde ganz unheimlich, [55] während ihr Herz mit ängstlichen Ahnungen kämpfte.

Und als sie schüchtern den Einwurf wagte, daß der beobachtete Schein der Decenz einem unverdorbenen Gemüth unmöglich genügen könne – daß ein ächt religiöser Sinn nicht in dem durch Täuschung erschlichenen Beifall der Welt, sondern in der Reinheit seines Bewußtseyns, und in dem gewissenhaftesten Befolgen der Gebote der strengsten Sittlichkeit wahre Befriedigung zu finden vermöge, lächelte er sie mit jenem gutmüthig sich überhebenden Gemisch von Ironie und freundlichen Bedauerns an, wie man die ungereimten Einfälle eines Kindes zu belächeln pflegt.

Allerdings, versetzte er, sind dies die Regeln, welche Präceptor und Gouvernante in früher Jugend uns sclavisch einzuprägen suchen – aber wie bald reibt das wirkliche Leben diesen Rost der Schulmoral von uns ab, und dann erst treten wir aus langweiliger Unbemerktheit hervor, und fangen an zu glänzen.

Um comme il faut zu seyn, muß man die Form jener liebenswürdigen Tugenden annehmen, die vielleicht früher wirklich existirten, jetzt aber nur einen trügerischen Wiederschein in der Seele des Menschen zurückgelassen haben, wie der blaue Himmel im Teiche sich spiegelt, ohne darum Himmel zu seyn. Milde, Nachsicht, Güte, Bescheidenheit, [56] und wie die guten Eigenschaften weiter heißen, die uns in unserer Kindheit gepredigt werden, müssen stets die eigentliche bittere Pille des Gemüths vergolden. Denn beißende Ausfälle, Lästerungen und sinnliche Vertraulichkeiten dürfen sich nicht ungestraft in ihrer Nacktheit sehen lassen – sie müssen durch irgend eine mildernde Hülle sanft verschleiert, durch Witz, treffenden Scharfsinn und den Anschein einer anständigen Schicklichkeit erst autorisirt werden, in der guten Gesellschaft zu erscheinen.

Wenn es so ist, sagte Erna mit ihrer Angst ringend, so ist die Zurückgezogenheit des Landlebens ja ein zwiefaches Glück. Nicht nur, daß in ihm die Natur uns näher ist, und uns inniger mit Gott verbindet, als all das bunte Treiben in der Welt – wir bedürfen auch, selbst wenn wir ihre Anwendung nicht verschmähten, jener armseligen Kunstgriffe nicht, die dazu dienen ohne innern Werth zu schimmern.

Sie sind noch so neu in der Welt, meine holde Erna, erwiederte Alexander jene ironische Miene beibehaltend, die ihm so übel kleidete, indem sie ihm ein höhnisches Ansehn gab, daß ich Ihnen Ihr übereiltes Urtheil verzeihe. Daß uns der Umgang mit Schafen, Hühnern und Pflanzen allerdings bis zum Langweiligwerden unschuldig erhält, ist freilich, wenn Sie wollen, ein Vorzug [57] des Landlebens, den aber der gebildetere Sinn weder begehrt noch beneidet. Daß unser Daseyn ein Lustspiel für uns, ein Schauspiel für andere, und für niemanden ein Trauerspiel sei, ist, wie mir scheint, der vernünftige Zweck, den die Natur uns vorzeichnet, und um ihn zu erreichen, dürfen wir gern links und rechts die Blumen pflücken, die an unserm Wege blühn, wenn auch die kalte, engherzige Moral, die im Geschmack der Cartheuser unsmemento mori predigt, nicht eben uns Beifall winkt. So wenig, als gründliche Kenntnisse nöthig sind, um in wissenschaftlicher Hinsicht zu glänzen, da das Gesetz der feinen Lebensart fordert, daß man keinen Gegenstand erschöpfe, und blos verlangt, daß man die Oberfläche eines jeden leicht berühre, um mit Gewandtheit und Eleganz darüber hinzugleiten, eben so wenig sind diese mürrischen, frostigen Tugenden, die man als Freudenstörer der Jugend uns früh zu verehren zwingt, nöthig, um uns die Achtung zu erwerben, die wir zu einer angenehmen Existenz bedürfen. Wenn wir nur den Schein derselben, da wo es gilt, zu beobachten wissen, um unseren Abentheuern, Intriguen und Genüssen ein ehrbares Gewand zu geben, so richtet die Welt milde, mag es auch im Innern aussehn, wie es will.

Und sollte es nicht unsere Pflicht seyn, auf [58] einen höheren Richter zu achten, als auf das seichte, durch Trug und Lüge, und Blendwerke aller Art befangene Urtheil der Welt? unterbrach ihn Erna. Sollte nicht der Glaube an Gott, an die Nichtigkeit alles Irrdischen, und die Gewißheit einer Zukunft, wo keinSchein mehr gilt, uns über das unwürdige Bestreben erheben können, den Beifall der Menschen zu erlangen, ohne ihn verdienen zu wollen?

Mit dem schärfsten Ausdruck des Spottes zu dem er seine Züge nur immer zwingen konnte, lächelte Alexander zu ihrer inneren Empörung. Es ist recht gut für das Volk, sagte er, das solcher Zügel bedarf, wenn man ihm weis macht, daß ein höheres Wesen, und ein zukünftiges Leben jenseits des Grabes existirt. Denn wie das unverständige Kind die Züchtigung fürchtet, die eine Folge seiner Unarten ist, so scheut auch der uncultivirte, bornirte Sinn des gemeinen Mannes die moralische Ruthe, die in der Vorstellung einer ewigen Verdammniß oder Seeligkeit liegt, und manches Böse unterbleibt auf diese Weise aus Furcht vor der Strafe. Wir aber, die wir auf einer höheren Stufe der Aufklärung stehen, und Vorurtheile, wie billig, verachten – warum sollten wir uns überreden, an Phantome zu glauben, die nur in überreitzten, fanatischen Gehirnen entsprungen, [59] eine menschliche Erfindung, und blos der Schwärmerei heilig sind?

Und sind dies wirklich Ihre Grundsätze? fragte Erna, zur Marmorbüste erblaßt.

Ja, versetzte er, indem er ihre kalte, zitternde Hand ergriff. Ich halte es für Pflicht, mich Ihnen zu zeigen, wie ich bin, da ich Sie liebe, und von Ihrem Besitz das Glück meines Lebens hoffe. Warum, reizende Erna, sollt' ich verhehlen, daß meine Vernunft längst den Sieg über jene Schreckgestalten davon getragen hat, mit deren Strafgericht eine sogenannte religiöse Erziehung uns zu ängstigen bemüht ist. Ich glaube an keine Fortdauer der Seele, und an kein Jenseits, und darum genieß' ich auch das Leben als das einzig wahre Gut, das wir besitzen, das jeder Augenblick vernichtend in das Nichts zurückstürzen kann, aus dem es entstand. Lassen Sie uns nicht in idealischen Gefilden schwärmen, wo nur sich selbst quälende Phantasten zu Hause sind, sondern erlauben Sie mir, Sie aus der ätherischen, unhaltbaren Region Ihres Wahns in die Wirklichkeit herab zu führen. Genuß des schäumenden Jugendbechers und ein fröhliches Verbannen aller schwerfälligen Sorgen ist die wahre Philosophie, die einzige Religion, zu der ich mich bekenne, und Sie von Ihren finsteren Irrthümern zu befreien, und Ihr Daseyn [60] an meiner Seite so heiter wie möglich zu machen, soll das süßeste Ziel meines Strebens seyn.

Erna schauderte, und bebte zurück. Er wagte es, seinen Arm um ihren Nacken zu schlingen und sie an seine Brust zu ziehen. Da ermannte sie sich plötzlich – glühende Röthe verdrängte die Leichenblässe ihres Gesichts, und es stiegen wieder Funken in ihr starres Auge. Den Blick nach oben gerichtet, als wolle sie von da Kraft und Fassung sich erflehen, wandte sie sich nach einer stummen, aber unendlich ausdrucksvollen Minute von ihm ab, mit dumpfer, fast tonloser Stimme die Worte aussprechend: Unglücklicher! Gott helfe Ihnen wieder auf den rechten Weg, und vergeb es Ihnen, daß Sie mich so lange täuschten. Wir haben uns nichts mehr im Leben zu sagen.

18
XVIII

Sie schwankte hinweg, und Alexander blieb mit Augusten allein.

Sie haben meine Freundin sehr gekränkt, sagte Auguste nach einer Pause, in der sie – unschlüssig was sie thun solle, und selbst tief erschüttert – erst mühsam die Kraft zu sprechen gewann. Gewiß ihr lauteres, keine Verstellung kennendes Herz erträgt es nicht, auf eine so harte Probe von [61] dem gestellt zu werden, den es liebte – sie erträgt es nicht, Sie in einem so nachtheiligen Lichte zu erblicken. Eilen Sie, o eilen Sie, die Grundsätze zu widerrufen, vor denen mit Recht Erna's reiner Sinn zurückschaudert. Sie zertrümmern sonst das Glück des holden Wesens und Ihr eigenes unwiederruflich.

Wie? versetzte Alexander, sich verwundert stellend, kann Erna bei allen ihren hochgepriesenen Tugenden die Wahrheit nicht hören? – Würde es ihr besser gefallen, wenn ich – statt in meiner eigenthümlichen Gestalt vor sie hin zu treten, mich einer Maske bediente, um sie zu täuschen? Ich bin zu stolz zur Verstellung, und sie ist mir unbequem. Daher – so sehr es mich auch mit Recht beleidigen muß, von dem Mädchen, das ich so ehrte, um es zur Gefährtin meines Lebens erwählen zu wollen, gewissermaßen einen Korb empfangen zu haben, so bereue ich es doch nicht, da ich selbst ihre Gunst mir nicht durch Heuchelei erwerben möchte. Leben Sie wohl für immer, denn für mich ist nun nichts mehr hier zu thun. Sie werden meiner Tante bezeugen, daß es nicht an mir lag, wenn ihr sehnlicher Wunsch unerfüllt blieb, und daß ich Erna meine Hand bot – aber mit Geringschätzung zurückgewiesen wurde. Suchen Sie um des eignen Bestens Ihrer Freundin willen ihre romantischen überspannten Ideen zu berichtigen, [62] und sie der wirklichen Welt anzupassen, in der sie leben soll, denn diese idyllische Sentimentalität zerstört die Wurzeln eines gesunden Daseyns, und macht sie am Ende zu einer – Candidatin des Irrenhauses.

Mit diesen Worten, die er voll des empörendsten Hohns in seinen Mienen aussprach, verließ er das Zimmer, und Auguste blieb, halb betäubt von der plötzlichen, so schrecklichen Verwandelung eines Charakters, den sie geschätzt hatte, und zitternd vor den Folgen die es auf Erna's liebendes Gemüth haben werde, zurück.

Als Alexander zu seiner Tante kam, entdeckte er ihr mit allen Zeichen wohlerkünstelter Kränkung und fehlgeschlagener Hoffnung, daß er Erna in Augustens Gegenwart seine Hand angetragen, aber eine abschlägliche Antwort von ihr erhalten habe, und auf eine verächtliche Weise von ihr verlassen worden sei.

Umsonst strebte die Generalin, sich dies Räthsel zu erklären, umsonst erbot sie sich zur Vermittlerin, – da sie Erna's Liebe zu ihm so wenig wie ihre vortheilhafte Meinung von seinem Werth bezweifeln konnte – sein Stolz lehnte sich, wiewohl scheinbar mit tiefem Schmerz kämpfend, gegen jedes Anerbieten ihrer Einmischung auf, und noch demselben Tag trat er, ohne sich durch Bitten und Zureden halten zu lassen, äußerlich zerstört, [63] und tief ergriffen, innerlich aber frohlockend, daß er, wie er glaubte, mit so guter Art seinen Nacken aus der Schlinge gezogen habe, den Rückweg zur Residenz an.

19
XIX

So lange Erna wähnte, ein schwerer Traum habe sie dem Himmel ihrer Hoffnung entrückt, so lange ruhte der wohlthätige Nebel der Betäubung, nicht das Centnergewicht der Verzweiflung auf ihrer Seele.

Als aber nach und nach Klarheit wieder in ihre Besinnung zurückkehrte, und sie sich nicht mehr verhehlen konnte, daß sie wirklich auf immer von dem Ideal ihres höchsten Glücks geschieden sei, da bemächtigte sich ihrer ein Schmerz, der ihr armes Leben aller seiner Blüthen beraubte.

Wenn gleich ein dunkles Gefühl ihr sagte, sie müsse den Kummer verbergen, unter dessen Druck sie fast erlag, um ihre Mutter zu schonen, so vereitelte die Unfähigkeit, sich zu verstellen, und die Neuheit einer solchen Bürde doch ihr inniges Streben, allein zu tragen, was der freie Blick in das Herz des Jünglings, den sie liebte, ihr auferlegt hatte. Aus ihrem Daseyn war das Paradies verschwunden – das Schöne aus ihren Träumen[64] – das Göttliche aus ihrer Hoffnung. Denn wie ein Blitz, ungeahnet und unbegriffen, von wannen? woher? war die Liebe aus des Himmels Höhen in ihr Gemüth gesunken, aber nicht, wie sie in frommer Kindlichkeit geglaubt hatte, um es zu erwärmen, und zu erhellen, sondern um jede Kraft zu lähmen, jede Freudigkeit zu vernichten. Sie befragte sich selbst in der Bangigkeit ihrer Zweifel, ob es Gottes Hand sei, die diese schwere, dunkle Wolke über ihr Leben herauf führte, oder der Dämon eigner Schuld – aber ihr Bewußtseyn war rein, und warf ihr nur ein zu blindes, nur so bitter hintergangenes Vertrauen, nur eine zu innige, jetzt so grausam getäuschte Neigung, keinen Fehler vor, der Alexanders rauhes Abwenden von ihr hätte rechtfertigen können.

Der Sturm, den betrogener Glaube, gemisbrauchtes Zutrauen, und das unheilbare Gift einer ewigen Hoffnungslosigkeit in ihrer Seele erregt hatte, näherte sie fast dem Wahnsinn, indem er ihre körperliche Kraft sichtbar aufrieb.

Ihre Mutter, die nur durch Augusten, nicht durch die von der Größe ihres Schmerzes verschloßnen Lippen ihres Kindes das Vorgefallene erfuhr, vergaß der eignen Leiden, um den Kummer der geliebten Tochter lindern und tragen zu helfen.

[65] Längst hatten ihr die Aerzte bei der Zartheit ihrer Constitution einen Aufenthalt in südlichen Ländern verordnet. Aber die Beschwerden einer so weiten Reise, das Gefühl ihrer Schwäche, die Anhänglichkeit an ihren Wohnort und an den freundlichen Kreis, der sie dort umgab, und so manche Schwierigkeiten mehr, die der Kränkliche mühsam überwindet, weil er, der Energie und des Muthes beraubt, leicht in der spielenden Mücke einen drohenden Elephanten erblickt, hatten sie bisher abgehalten, um ihrentwillen diesen heilsamen Rath zu befolgen.

Aber kaum hatte man ihr gesagt, daß Erna, krank an Leib und Seele, der Zerstreuung und einer mildern Luft bedürfe, um zu genesen, als das liebevolle Mutterherz Entschlossenheit genug in sich fand, allen Hindernissen Trotz zu bieten.

Mit einer Eil, die sich selbst nicht Ruhe vergönnte, wurden die Anstalten zur Abreise betrieben. Seit Jahren in einem völlig leidenden Zustand, und aller Thätigkeit entwöhnt, überließ sie sich jetzt einer so eifrigen Betriebsamkeit, daß sie gleichsam in diesem Streben noch einmal wieder aufglühte, wie die hinsterbende Lampe kurz vor dem Erlöschen höher aufflackert.

Denn sie konnte die Sorge für das Mittel, durch welches sie ihr größtes Kleinod zu retten [66] hoffte, niemand, sogar der treuen Auguste nicht überlassen und die mühevollsten Anstrengungen, deren sie sich unterzog, gaben durch ihren heiligen Zweck ihren erschlafften Nerven wieder Spannung, ihrem hinfälligen Körper wieder Kraft.

Sie ordnete alles selbst, und da sie weder Mühe noch Geld sparte, so war das Ziel ihres Strebens bald erreicht, und wenig Wochen nach der Catastrophe, die Erna's Herz brach, rollte der schwer beladene Reisewagen bereits mit ihr dem freundlichen Süden zu.

Die Generalin blickte weinend ihrer alten Freundin nach. War es die Ahnung, daß sie sie niemals wieder sehen werde, war es ein innerer Vorwurf, daß ihr voreiliger Wunsch, Erna zum Schutzgeist ihres Brudersohns zu weihen, die Veranlassung so herben Kummers für diese und ihre Mutter geworden war, und sie selbst des liebsten Umgangs beraubte – genug sie konnte sich der tiefsten Traurigkeit nicht erwehren.

Nach reiflicher Ueberlegung, und genauer Prüfung des Vorgefallenen, das schmerzlicher noch in Erna's Thränen, als in Augustens Mit heilungen sich aussprach, glaubte sie ihren Neffen richtig zu beurtheilen, wenn sie meinte, er habe, um sie nicht zu erzürnen, scheinbar in ihr Verlangen eingehn wollen, habe in der Langenweile seiner einförmigen [67] Lebensweise bei ihr wirklich für eine kurze Zeit befriedigende Unterhaltung im Wahrnehmen der ihm so neuen, himmlischen Unschuld Erna's gefunden – endlich aber wie ein wildes Roß nach zügelloser Freiheit sich sehnt, und Zaum und Gebiß flieht, die immer leiser sich zuziehende Schlinge eines ernster werdenden Verhältnisses durch einen Gewaltstreich zerreissen wollen, indem er Gesinnungen äußerte, von denen er wußte, sie würden ihn der frommen Erna entfremden.

Er gewann jedoch keineswegs dadurch in ihren Augen, daß sie ihn sich eigentlich besser dachte als er selbst sich darzustellen bemüht gewesen war. Weit lieber hätte sie ihn als einen Verirrten beklagen, wie als einen Heuchler verachten mögen. Die kleinliche List, mit der er die Folgen seiner herzlosen Annäherung zu vertilgen suchte, und das leichtsinnige Spiel, das er mit einem der besten Mädchen getrieben, wandten in gerechtem Unmuth ihre Neigung von ihm ab, und sie gewann es nicht über sich während des kurzen Rests ihres Lebens, ihn, als ihr diese Ansicht völlig klar geworden war, je wieder eines freundlichen Worts zu würdigen. Seine Briefe blieben stets unbeantwortet, und kein Zeichen ihres Seyns und ihrer Theilnahme an seinem Geschick suchte, wie sonst, ihn in der Ferne zu erfreuen. Sie traf [68] jedoch, um das Andenken eines geliebten Bruders auch noch in seinem unwürdigen Sohne zu ehren, keine Anstalten, ihn das Vermögen zu entziehen, das nach ihrem Tode die Gesetze ihm, als ihrem nächsten Erben zuerkannten, und zwei Jahre nachher setzte ihn ihr sanftes Hinscheiden in den freien und rechtmäßigen Besitz desselben.

[69]

Zweites Buch

1
I

Fröhlich war Alexander in die Residenz zurückgekehrt, sich seiner gewohnten Lebensweise um so freudiger hingebend, da er die Genüsse, welche sie ihm bot, so lange hatte entbehren müssen.

Oft lächelte er triumphirend bei sich selbst, wenn er bedachte, wie gut es ihm gelungen sei, eine offenbare Weigerung gegen die Absichten seiner Tante zu vermeiden, und die Schuld ihres vereitelten Plans von sich ab, auf Erna zu wälzen, deren Unerfahrenheit nur allzuleicht in die Falle gegangen war, die er ihr gestellt hatte. Oft aber auch, und zwar mehr im Traum, als im wachenden, durch das Gewirr bunter Vergnügungen stets vom Nachdenken abgezogenen Zustande, verfolgte ihn das Bild des bleichen Mädchens, das es so gut mit ihm gemeint, das mit der ganzen Kraft eines noch völlig reinen Herzens, mit dem ganzen Feuer der ersten süß verschämten [70] Liebe ihn geliebt hatte. Stillen Vorwurf und tiefen Kummer in ihren Mienen trat sie dann vor ihn, ihn durch ihren Anblick an das Unrecht zu mahnen, das er an ihr begangen, und ihm war in solchen Momenten, als könne er den reinen, strafenden Blick ihres frommen Auges nicht ertragen.

Zuweilen auch störte ihn die Erinnerung mitten in dem Gewühl rauschender Freuden, indem sie unwillkührlich ihm die Scene zurückrief, wo er im Walde vor ihr knieete, sie blaß und blutig, und dem Schein nach leblos, vor ihm lag, und er in Todesangst um sie, das in den Quell getauchte Tuch um ihre verletzte Stirne schlang. Dann drang noch einmal wie ein Strahl von oben der erste Blick ihres dem Leben sich wieder öffnenden Auges in seine Seele, wie es – den Himmel in sich tragend, und eine Welt von Empfindungen aussprechend – so voll inniger Tiefe an dem seinigen hing. Ach – damals war es ihm wohl gewesen, als spräche eine leise Regung für sie in seinem Herzen – aber, seine Abneigung vor den Fesseln der Ehe, sein gränzenloser Hang zur Ungebundenheit und sein Leichtsinn hatte schnell wieder dies bessere Gefühl erstickt, und ihn überredet, es sei nur eine Aufwallung des Mitleids, durch die Gefahr erregt, in welcher er sie erblickte.

Als durch den Tod seiner Tante ihm ihr ganzes,[71] sehr bedeutendes Vermögen zufiel, hätte es die Lage der Dinge, und sein Vortheil wohl erfodert, daß er persönlich Besitz von ihrer Hinterlassenschaft genommen hätte. Aber er scheute sich die Gegend wieder zu sehen, wo, wie er glaubte, Erna athmete – auch konnt' er sichs nicht verhehlen, daß seine Tante unzufrieden mit ihm aus der Welt gegangen sei, und da es zu den Gesetzen seiner Lebensphilosophie gehörte, sich alle unangenehmen Gemüthsebwegungen zu ersparen, so übertrug er alles was ihm oblag, einem Rechtsgelehrten, und folgte nach wie vor dem Strome, der ihn in die wilden Wirbel der Zerstreuungen zog.

Doch, wie selbst tiefere Eindrücke allmählich von der Hand der Zeit verwischt werden, so schwand im Rausche seines wüsten Lebens auch nach und nach jeder leise Vorwurf, den das Andenken der Vergangenheit ihm machte, und immer seltener und immer gleichgültiger nahte ihm Erna's Erscheinung, bis sie endlich ganz unter den wogenden Leidenschaften, die in seinem Innern stürmten, sich verlor.

Fünf Jahre waren verstrichen, seit er sie hatte kennen lernen – da schlug, ihm unerwartet, die Stunde der Vergeltung, die selten ausbleibt und oft dann erst das Unrecht straft, wenn der, der es beging, es bereits vergessen hat.

[72] Er war einige Tage abwesend gewesen, und kehrte spät am Abend in seine Wohnung zurück, wo er von der Gräfin Tannow, die eins der angesehensten Häuser der Residenz ausmachte, eine Einladung zum Ball vorfand.

Zwar war die Uhr schon zehn, und das Vertauschen seiner nachläßigen Reisekleidung mit einer glänzenden Toilette konnte leicht noch eine Stunde hinwegnehmen – zudem fühlte er sich nicht wohl, und verstimmt – aber demungeachtet konnte er sich nicht entschließen, zu Haus zu bleiben. Denn er sehnte sich nach Geräusch und Abwechselung, um seinen Blick durch andere Gegenstände von sich selber abzuziehen, wo er nur mit Unmuth verweilte. Seinen Frohsinn lähmend, war der böse Geist des Ueberdrusses nach und nach über ihn gekommen, und hatte ihn – gesättigt von der Fülle eitler Weltlust, die er genossen – das Schaale, Seelenlose, Ermattende seines zwecklosen Lebens in düsterer Beleuchtung wahrnehmen lassen.

Nachdem seine Erfahrungen ihn mit allen bekannt gemacht hatten, was das Daseyn bietet, fand er so wenig genügendes – so wenig, was der Zeit trotzend, auch in der Zukunft ihm noch die Freuden versprochen hätte, die es einst ihm gewährte. Ein stilles, dunkles Sehnen nach der früh verlohrenen Unschuld seines Herzens, nach dem unwiederbringlichen Werth der Unverdorbenheit [73] regte sich in seinem Busen, und verschattete ihm finster die Welt, deren verpestender Hauch gleich dem Sirocco alle schöneren Blüthen des Lebens ihm vergiftet hatte. Doch die Unbehaglichkeit dieser Gefühle war zu drückend, als daß er nicht hätte suchen mögen, sie los zu werden – er kleidete sich daher um, und fuhr hin, wo er Zerstreuung seiner finstern Grillen zu finden wähnte.

2
II

Feenhaft strahlten die hellerleuchteten Fenster herab in die dunkle Straße, die von ihrem Abglanz erhellt wurde, und rauschend, und seinen Sinn zur Fröhlichkeit auffodernd, tönte die Ballmusik durch die stille, schweigende Nacht.

Schon halb erheitert sprang er aus dem Wagen und eilte hinauf. Aber befremdend blieb er einige Augenblicke am Eingang stehn, denn kein Empfang begrüßte ihn, niemand kam ihm entgegen, und selbst die Bedienten schienen in Zuschauer verwandelt zu seyn.

Alles drängte sich, einen weiten Kreis in der Mitte des Saals umschließend, diesem, innerhalb desselben es unverkennbar etwas vorzügliches zu sehen gab, so nahe, wie nur immer möglich zu kommen. Selbst die Spielenden, sonst so fest [74] an ihre Plätze gebannt, daß kaum ein Erdbeben sie hätte in Bewegung bringen können, waren aufgestanden, und hatten ihre Tische verlassen, und rings an den Wänden war man sogar auf Stühle gestiegen, um nur nichts von dem Schauspiel zu verlieren, das unbekannter weise auch seine Neugierde zu erregen begann.

Endlich wurde ihn die Frau des Hauses gewahr, und winkte ihn zu sich. Der Platz an ihrer Seite vergönnte ihm, einen Blick in das Allerheiligste des Saals zu thun, und er sah, von einem seiner Freunde und von einer fremden Dame einen französischen Contretanz mit einer Leichtigkeit und Vollkommenheit aufführen, die er noch nie in diesem Maaße an einem weiblichen Wesen wahrgenommen hatte.

Ihre blendende Schönheit, und das Edle ihres Wuchses und ihrer Haltung nebst ihrer einfachen, aber reichen Kleidung erhöhte noch das Entzücken, das ihre Kunst gewährte, und staunend stand er, in Bewunderung verloren, und wagte kaum zu athmen, aus Furcht, es möchte irgend eine Bewegung dieser Grazie ihm entschlüpfen.

Endlich war der Tanz geendigt. Stolz auf das Recht, sich ihr nähern zu dürfen, gab ihr Tänzer ihr den Arm, sie nach einem Sitze zu führen und ehrerbietig wich die Menge aus einander sie hindurch zu lassen, während alle Blicke bewundernd [75] auf ihr ruhten, alle Hände rauschend ihr Beifall klatschten.

Ihr Gesicht war ein wenig seitwärts gewandt, als sie an Alexandern vorüberging. Er sah nur einen Theil des ausdrucksvollen Profils, nur den blendend weißen Nacken, um den große Diamanten sich reihten, mehr Zierde von ihm empfangend, als sie zu geben vermochten, nur den Silphidenwuchs, der bei aller lieblichen Fülle der Jugend und Gesundheit doch durch die Anmuth mit der sie sich trug und bewegte, so ätherisch erschien, als schwebe ihr Fuß einher, statt die Erde zu berühren.

Länger konnte er sein Verlangen nicht bezwingen, zu erfahren, wer diese wundervolle Erscheinung sei, und er wandte sich mit dieser Frage an die Gräfin, neben der er noch immer stand.

Sehen Sie, so bestraft sichs, erwiederte diese scherzhaft, wenn Sie mit der Stadt boudiren, und ihr den Rücken kehren. Dieser neue Stern ist während Ihrer Abwesenheit an unserem Himmel aufgegangen – nehmen Sie sich nur in Acht, lieber Norbeck, daß Ihre hochgepriesene Freiheit nicht die Flügel an seiner Glorie versengt.

Ein schmerzlich süßes Weh zuckte bei diesen Worten durch seine Brust. Ihm war, als wäre ihm die Weissagung einer Prophetin erklungen, und ein Schauer ganz eigener Art rieselte durch [76] alle seine Nerven. Doch noch immer blieb seine Neugier ungestillt – noch einmal wiederholte er seine Frage nach dem Namen des liebenswürdigen Fremdlings – aber wie unbegränzt war sein Erstaunen als die Antwort ihm – Erna von Willfried nannte.

3
III

Unbeweglich, wie eine Bildsäule, blieb er, von dem Klange dieser wenigen Worte getroffen, stehn, und eine längst versunkene Welt, schwankend zwischen neuer Furcht und Hoffnung, dämmerte in seiner Seele wieder auf, wie ein grünendes Eiland aus stürmenden Fluthen sich erhebt.

Es ist kein Wunder, daß Fräulein Willfried schön tanzt, hörte er jetzt die Obristin Lahnberg zu einer neben ihr stehenden Matrone sagen, Neid und Bitterkeit in ihren grämlichen Zügen. Hätte meine Mariane eben so wie sie Jahrelang in Paris diese leichtfertige Kunst erlernt und getrieben, vielleicht würde sie auch so durch ihre Geschicklichkeit glänzen. Aber sie hat immer das Reelle dem leeren Schimmer vorgezogen. Es ist übrigens nicht schwer, zu brilliren, wenn man halb Europa durchreisen kann, um in Italien mahlen und singen, in Frankreich tanzen zu lernen, [77] und wenn man vor allen Dingen dabei die noble Dreistigkeit hat, seine Talente geltend zu machen.

Jetzt näherte sich Mariane, ihre Tochter, mühsam ihr von Misgunst verzerrtes Gesicht zu einem freundlichen Lächeln zwingend. War das nicht ünique, Mama? fragte sie. Es ist ein Vergnügen so deliciös tanzen zu sehn – man kommt sich ordentlich wie im Ballette vor. Freilich sollte das Wesentliche nicht unter der Ausübung solcher Künste leiden. In diesem Augenblick hört' ich von sicherer Hand, daß Fräulein Willfried im häuslichen eben so unerfahren, als geschickt im Tanzen ist. Keine Suppe soll sie kochen, keine vernünftige Nath nähen können, und da unser Beruf doch nicht ist, wie von der Tarantel gestochen durchs Leben zu hüpfen, so ists zu bedauern, daß sie das Wichtigere über so frivole und vergängliche Geschicklichkeiten versäumt hat.

Das ist die heutige Modeerziehung, die sich nicht zu nützen, sondern nur zu schimmern bemüht, fiel ihre Mutter eifrig ihr ins Wort. Zu meiner Zeit wurde nur soliden Kenntnissen Werth beigelegt, und daher hab ich Dich auch so erzogen, daß ich vor Gott und Menschen Ehre einlege, und gewiß ein rechtschaffener Mann dereinst mit Dir nicht betrogen wird. Aber die selige Willfried – nun, man soll von Todten nur Gutes sprechen, und sie war meine sehr genaue[78] Freundin, denn wir haben zwei Jahr lang zusammen der hochseligen Prinzeß Sophie als Hofdamen gedient – sie hatte immer etwas überspanntes und geziertes, und ihre Sucht, sich allenthalben vorzudrängen, scheint denn auch auf die Tochter übergegangen zu seyn. Doch sie hat Geld, und dadurch macht sich heut zu Tage jede Närrin geltend, während das stille bescheidene Verdienst, wenn es arm ist (hier blickte sie ihre überreife, vergilbte Tochter seufzend an) unbemerkt und ungesucht wie das Veilchen im Mooße verduftet. –

Alexander hatte genug erfahren, um zu merken, daß dies Gespräch nicht ohne Absicht sich in seiner Nähe entspann. Man zählte ihn im Kreis der jungen Heirathsfähigen Männer zu den vortheilhaftesten Parthieen, und grobe und feine Netze hatten sich daher schon oft von Seiten längst erwachsenen Fräuleins und ihrer Mütter ausgebreitet, den schimmernden, nur allzuglatten Goldfisch zu fangen.

Die so verschiedenen Kunstgriffe weiblicher Koketterie, mit der eine jede, ihrer Individualität angepaßt, die Maske wählte, die ihrer Meinung nach am meisten anzuziehen und zu fesseln geneigt war, belustigte ihn oft, und er machte sich nicht selten das grausame und unedle Vergnügen, Hoffnungen zu erregen, welche er bis auf einen gewissen Punkt steigerte, und dann plötzlich täuschte.

[79] Leichtfertig und schadenfroh hätte er sonst mit erheucheltem Ernst in die neidischen und verläumderischen Aeußerungen dieser Thörinnen eingestimmt, aber heute war es ihm nicht möglich. Sein Herz war so voll, so plötzlich verwandelt – die Brust so gepreßt – es zog ihn mit Riesenkraft zu der aufgeblühten Rose hin, der er als Knospe so weh gethan, daß er um dem inneren Drange seines Sehnens genug zu thun, sich voll Reue hätte zu ihren Füßen stürzen und weinen mögen.

4
IV

Er nahte sich dem Strahlenkreis, dessen Mittelpunkt sie war. Zwar fand er sie zu umringt, um sie anreden zu können, hatte auch jetzt noch kaum den Muth, es zu wollen – aber er weidete sich doch an ihrem Anschauen, das ihm mit jedem Blick neue Reize entfaltete.

Wie hatten diese fünf Jahre sie verändert. Kaum erinnerten noch die edlen seelenvollen Züge an den bleichen Schatten, den ihr früheres Bild in seinem Gedächtnis zurückgelassen hatte. War dies stolz in so reizender Lebensfreudigkeit auftretende Mädchen, das mit heller Geistesgegenwart und klarer Umsicht die Huldigungen der Menge [80] kaum zu beachten schien, wirklich jenes einst so blasse, blöde Kind, das in seiner Verlegenheit oft so link sich darstellte, und schüchtern in sich selbst zusammenzitterte, wenn ein Blick es traf, oder ein Wort es zur Rede zwang? Etwas über mittlere Größe heran gewachsen, schmückte die lieblichste Harmonie aller Verhältnisse ihren schlanken Bau, und der ungezwungenste, edelste Anstand vollendete den einschmeichelnden Eindruck, den ihre vollkommen schöne Gestalt bei'm ersten Anblick auf jeden unverwahrloseten Sinn machte. Ihr reiches braunes Haar, kunstvoll aufgewunden, und wieder in seidene, wallende Locken um Stirn und Schläfe ausgegossen, war mit Diamanten durchflochten, doch ein reineres Licht, als diese auszuströmen vermochten, strahlte von den klaren herrlichen Augen, in denen eine seltene Tiefe des Gemüths, verschmolzen mit allem Feuer eines hellen Geistes, sich aussprach. Ihr Anzug war einfach, doch kostbar. Ueber blendend weißen Atlas schmiegte sich ein Gewand von indischem Moußelin gleich einem zarten Gewölk um ihren edlen Wuchs, und ein reicher Gürtel befestigte den weichen Faltenwurf. Die funkelnden Juwelen ihres Halsbands und ihrer Ohrringe, so wie des Diadems, das sich um ihre Locken wand, und die köstlichen Brüßler Spitzen, die ihren Busen umgaben und den Saum ihres Kleides bildeten, erhöhten den[81] Neid, den ihre persönliche Anmuth bereits in den meisten anwesenden Damen erregt hatte.

Alexander kämpfte mit sich selbst, ob und wie er sie anreden solle. Sie an ihre frühere Bekanntschaft mit ihm zu mahnen, konnte nur bittere Erinnerungen in ihrer Seele zurückrufen, und gleichwohl ihrer gar nicht zu erwähnen, hätte ihm den Schein einer Oberflächlichkeit des Sinnes gegeben, den er wie alles was ihm fortan in ihrer Meinung schaden konnte, fürchtete.

Er gründete auf die Neigung, die sie ihm einst so unbefangen verrathen hatte, die schönsten Hoffnungen seines Herzens, und gehoben, und gleichsam schon veredelt durch die zum erstenmal empfundenen Gefühle einer edlen, wahren Liebe, nahm er sich vor,wahr zu seyn, ihr bei der ersten schicklichen Veranlassung offen seine damaligen, so wie seine jetzigen Gesinnungen zu entdecken, um durch seine Reue über das Vergangene sich ihrer Verzeihung werth zu machen, und seinem Charakter ihr verlorenes Zutrauen wieder zu erwerben. Für jetzt aber beschloß er, die fröhliche Tendenz des Abends nicht durch so ernste Erklärungen zu unterbrechen, und sich mit strenger Selbstbeherrschung innerhalb den Schranken zu erhalten, mit denen die Convenienz die Hochgefeierte umbaute.

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5
V

Unstreitig war Alexander der beste Tänzer der Residenz. Nicht Eitelkeit oder der ihm sonst so gewöhnliche Hang zu glänzen, sondern der Wunsch, in irgend eine leise Beziehung mit ihr zu kommen, erweckte das Verlangen in ihm mit Erna zu tanzen, und schon wollte er bittend sich ihr nähern, als sie aufstand, und – einem Glücklicheren bereits versagt – an ihm vorüber ging.

Als Zuschauer blieb er, an eine Säule sich lehnend, stehen, und war so vertieft in ihrem Anblick, daß er die Annäherung der Gräfin Tannow, nicht bemerkte. Er schrack ein wenig zusammen, als ihre scherzhafte Anrede ihm bewies, daß er beachtet worden sei. Doch schien sie kein Arg aus seinem, jede Bewegung Erna's verschlingenden Anschauen zu haben, sondern es nur auf sein Interesse an einer Kunst zu beziehen, in der er selbst Meister war, und als sie gleich darauf äußerte, daß er ihren Gästen durchaus das Vergnügen verschaffen müsse, ihn mit Fräulein Willfried tanzen zu sehen, weil außer ihm kein Tänzer ihr völlig an Geschicklichkeit gleich sei, erfüllte sie, ohne es zu ahnen, den brennendsten Wunsch seines Innern, indem sie auf seine etwas schüchterne Einwendung, daß er ihr noch gar nicht vorgestellt sei, und daher nicht wage, sie aufzufodern, sich – [83] um des allgemeinen Bestens willen, wie sie sagte, das durch den Genuß eines solchen Schauspiels gewinnen werde – zu seiner Fürsprecherin erbot.

Mit ihrem Tuche sich Kühlung zuwehend, saß Erna nach geendigtem Tanz in der Reihe der Damen, als die Gräfin ihr nahte, und Alexandern ihr vorstellend, seinen Namen nannte.

Der Klang desselben schien sie keineswegs zu erschüttern, wie er erwartet hatte. Sie erhob sich von ihrem Sitze, ihn zu begrüßen, doch würdigte sie ihn nur eines kurzen, ruhig an ihm vorübergleitenden Blickes, und seine Anrede gleichsam überhörend, wandte sie sich von ihm ab, zur Gräfin, mit Feinheit und völliger Unbefangenheit ein heiteres Gespräch beginnend.

Da stand er jetzt, der sonst so kühne übermüthige Jüngling, die Gluth der Verlegenheit auf seinen Wangen, und den schmerzenden Stachel der Demüthigung tief und immer tiefer in die Brust gedrückt. Welch ein Empfang! – Ihm war, als müsse die ganze Versammlung wahrgenommen haben, wie gleichgültig und beschämend sie ihn aufgenommen hatte, sie, deren Herz er bei'm Wiedersehn vom Blitz zärtlicher Erinnerungen getroffen, vom Weh mühsam bekämpfter, aber nicht erstickter Liebe bestürmt glaubte.

Er biß sich grimmig in die Lippen, während er mit den Augen unstät umherschweifte, und mit [84] Anstrengung aller seiner Kraft sich bestrebte, durch äußerliche Fassung den innern Aufruhr seines Wesens zu verschleiern.

Die Gräfin drang freilich nicht in die eigentliche Tiefe seines bitter gereitzten Gefühls ein, aber ein wenig zu oberflächlich, um höflich zu seyn, schien ihr doch das Benehmen des Fräuleins gegen ihn, wenn sie es gleich nur für zufällig hielt, und um die Empfindlichkeit zu mildern, die sie sehr wohl an ihn bemerkte, sprach sie in der Hoffnung, das Unangenehme seiner Situation zu vermitteln, die Bitte aus, daß Erna ihm, der ein ihrer Kunst würdiger Tänzer sei, zur Freude sämmtlicher Zuschauer eine Française schenken möge.

Ruhig, ohne ein Zeichen des Unwillens oder der persönlichen Abneigung erklärte sie, daß der Wunsch der Gräfin ihr Befehl seyn würde, wenn sie nicht bereits das Maas im Tanzen überschritten hätte, das ärztliche Vorschrift ihr ihrer Gesundheit wegen vorgezeichnet habe. Eine lang anhaltende, heftige Bewegung vertrage sich nicht mit ihrem Wohlbefinden, und sie sei zu erhitzt und ermüdet, um diesen Abend noch wieder tanzen zu dürfen.

Da ihre Entschuldigungsgründe von ihrer Gesundheit hergeleitet waren, konnte die Gräfin nichts dagegen einwenden, und mit der feinen Geschliffenheit der großen Welt, die bei keinem Gegenstand [85] so lange verweilt, daß er langweilig wird, gab sie dem Gespräch sogleich eine andere Wendung.

Indeß begann ein neuer Tanz, und die beiden Damen, zwischen welchen Erna gesessen, folgten der Aufforderung, daran Theil zu nehmen. Die Gräfin wurde abgerufen, und Erna, sich jetzt nicht ohne einige Verlegenheit ihm allein gegenüber findend, setzte sich wieder mit gesenktem Auge auf ihren Platz, während er mit klopfender Brust sich zu dem Entschluß ermuthigte, sich kühn an ihrer Seite niederzulassen, und sie anzureden.

6
VI

Lange suchte er, der sonst so Gewandte, jetzt vergeblich nach einem Worte passender Annäherung.

Er merkte, daß nicht nur in ihm allein, daß auch in Erna die Verwirrung stieg, mit der die Unmöglichkeit, ihm jetzt schicklicher Weise auszuweichen, sie erfüllte, und er schöpfte Ermunterung aus dieser Wahrnehmung, da selbst ihr Unwillen ihm schmeichelhafter war, als die bisherige stille Gleichgültigkeit mit der sie ihn übersah.

Darf der Neffe einer Frau, welche Sie so kindlich verehrten, es wagen, Sie hier willkommen zu heißen? sagte er endlich.

[86] Bei diesen Worten verdunkelte sich die Gluth auf Erna's Wangen. Ein tiefer Ernst gab ihren Zügen Ruhe, ihrer Haltung Würde. Warum beschwören Sie die abgeschiedenen Geister, Herr von Norbeck, antwortete sie, gönnen wir den Todten ihre Ruhe.

Und sollte diese Ruhe durch eine ehrfurchtsvolle Erinnerung gestört werden? erwiederte er. Vielleicht hab ich meine Tante während ihres Lebens nicht so gekannt und geschätzt, wie ihr seltner Werth es verdiente. Der Leichtsinn meiner früheren gedankenlosen Jugend, der mich blind für wahre Verdienste machte, ließ mich manches in dem trügerischen Lichte thörichter Verblendung wahrnehmen, was späterhin durch eine bessere Ueberzeugung und durch Reue mir ganz anders erschien. Daher wenn ich mit Wehmuth und Dankbarkeit der edlen Frau gedenke, deren Vortrefflichkeit ich zu spät einsah, um sie in ihrem ganzen Umfang noch auf Erden ehren zu können, und mich bestrebe, jetzt, wo sie nicht mehr Zeuge meines irrdischen Wandels seyn kann, ihn so zu führen, daß sie mit mir zufrieden seyn würde, wenn sie ihn beobachten könnte – sollte das nicht das würdigste Todtenopfer seyn, das ich ihren Manen zu bringen vermöchte?

Statt durch den sich entschuldigenden Sinn seiner Rede gerührt, und zu versöhnender Milde [87] bewegt zu werden, fühlte sich Erna erbittert und empört, da sie ihn für einen Heuchler hielt.

Denn was sie seit ihrem kurzen Aufenthalt in der Stadt bereits – theils zufällig, theils leise durch eignes Forschen veranlaßt – von ihm gehört hatte, stellte ihn nach dem allgemeinen Urtheil als einen entsetzlichen Wüstling dar, so früh schon verdorben, daß ihm nicht einmal eine Ahnung von Schuldlosigkeit, noch weniger das Andenken wahrer Herzensreinheit geblieben sei, und der – ewig in frivole Abentheuer und Intriguen verstrickt – sich voll frecher Spottlust und schadenfroher Verstellung eine jede Maske anzupassen wisse, die sich zur Befriedigung seiner momentanen Wünsche und Begierden eigne.

Zwar sprach das Urtheil der Welt auch von seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, und manchem großmüthigen, schönen Zug seines ursprünglich edlen, nur durch Ausschweifungen entweihten Charakters ließ man Gerechtigkeit widerfahren. Auch vertheidigten ihn viele, wenn er getadelt wurde, mit Eifer, da die Sittenlosigkeit eines jungen unverheiratheten Mannes in Bezug auf Frauen gewöhnlich von den meisten nicht so streng gerichtet wird, als sie es wohl sollte. Aber konnte seine Freigebigkeit, sein Muth, sein Frohsinn, der dem Leben stets die lachende Seite abgewann, wohl den Mangel jener höhern Tugenden in ihm [88] ersetzen, die allein erst dem Menschen sittliche Würde geben? – Seine individuelle Anmuth durfte, so meinte Erna, niemand zu seinem Vortheil bestechen, da diese die Gefahr seiner verderblichen Nähe nur vergrößern half. Er war in ihren Augen, was sie nicht ohne Schauder sich denken konnte: ein Mensch ohne Religion. Er selbst hatte ihr ja – sie bebte noch bei der Erinnerung jenes schrecklichen Augenblicks – mit kecker Dreistigkeit gesagt, daß ernichts glaube, nichts hoffe, und daß üppiger Lebensgenuß die einzige Tendenz seines Handelns, das einzige Prinzip seiner Moral sei. Diese Erfahrung, die ihr Gedächtnis nur allzutreu bewahrt hatte, verdunkelte noch den düstern Schatten, den sein Ruf in ihre Seele warf.

Es machte daher auf ihr alle Heuchelei tief verachtendes Gemüth einen sehr misfälligen Eindruck, ihn die Sprache des Gefühls, der Erkenntnis und der Reue reden zu hören, da sie nach seinen ehemaligen Bekenntnissen dies Betragen nur für listige Verstellung hielt. In edlem Zorn erglühend fehlte der Nichtachtung, die sie in diesem Augenblick für ihn empfand, die Kälte, welche sonst gewöhnlich Geringschätzung zu charakterisiren pflegt, und mit bewegtem Busen und flammendem Auge sprach sie, indem sie aufstand: Ein Schauspieler von Ihrem Talent, Herr von Norbeck, [89] sollte seine Rolle nur vor einem dankbaren Publicum recitiren. Der Beifall eines unbedeutenden Mädchens wie ich, würde Ihnen schon darum nicht gnügen, weil er nicht rauschend ist – und jenerinnere des Bewußtseyns, wenn er auch der Preis einer künstlerischen Darstellung seyn könnte – den achten ja, wie Sie mir früher gesagt haben, Leute von Welt und gutem Ton nicht.

Sie wandte sich hierauf rasch von ihm ab, und setzte sich zum Spieltisch der *sischen Gesandtin, wo sie verweilte, bis es zur Abendtafel ging.

7
VII

Bitter, und im höchsten Grad aufgeregt war die Stimmung, in welcher Alexander ihr nachsah. Das Schonungslose, Auffallende ihrer brüsquen Entfernung beleidigte ihn fast noch mehr als die ihn herabwürdigende Bedeutung ihrer Worte, denn es stellte ihn seiner Meinung nach, vor der Welt blos, und er fühlte sich, voll Furcht, daß ein seine Eigenliebe so demüthigendes Benehmen von jedermann habe bemerkt werden können, eben so empfindlich am Heiligthum äußerer Ehre angegriffen, als tief im Innern gekränkt, durch das Unrecht, das sie ihm that.

[90] Indeß – dies letztere mußte er ihr wohl verzeihen, denn war er es nicht, der ihre zutrauensvolle Jugend durch Argwohn vergiftet, und den Glauben an Wahrheit, Güte und Treue in ihr erschüttert hatte? O wie gern hätt' er jetzt ihn neu erweckt – wie innig, schmerzlich sogar, war sein Sehnen, sie möge milde ihm die reine unbefleckte Hand reichen, um aus seinem bisher so profanen Leben ihn in ein besseres, seiner würdigeres, hinüber zu ziehen. Was hätt' er nicht darum gegeben, jenen feindselig erkältenden Eindruck wieder verlöschen zu können, den er einst so froh war, in ihrem Herzen erregt zu haben. Doch – wer vermag das Rad der Zeit zurück zu wälzen, und Geschehenes ungeschehen zu machen? Noch verließ ihn die Hoffnung, sie zu gewinnen, nicht, denn nach den ersten Momenten unmuthiger Aufwallung flüsterte seine Eitelkeit Worte des Trostes in den Sturm seiner Seele.

Sie zürnet Dir – Gott sei Dank! – Du bist ihr nicht gleichgültig, jubelte er, als er bedachte, daß sie, die Feingebildete, unmöglich mit Verletzung aller Höflichkeit so heftig von ihm geschieden seyn würde, wenn ihr Gemüth nicht im lebhaftesten Kampfe zwischen Stolz und Neigung begriffen gewesen wäre.

Da er es nicht für gerathen hielt, heute noch den Versuch, sie zu sprechen, zu erneuern, so bemühte [91] er sich wenigstens, etwas näheres über ihre hiesigen Verhältnisse zu erfahren.

Man erzählte ihm, daß sie erst ganz kürzlich mit der *sischen Gesandtin hier angekommen sei. Sie habe in Italien ihre Bekanntschaft gemacht, und sei von ihrer Mutter auf dem Sterbebette dem Schutz und der Fürsorge derselben empfohlen worden. Diese habe nach dem Tode der Frau von Willfried mit inniger Liebe das theuere ihr anvertraute Pfand bei sich aufgenommen, und Erna mit sich nach Frankreich geführt, wo ihr Gemahl früher, ehe er hieher versetzt worden, einem diplomatischen Posten vorgestanden. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Paris habe das veränderliche Loos seines Standes ihm hier seinen Platz als Gesandter angewiesen, und Erna, die sich so innig zu dieser Familie zähle, als sei sie durch Bande des Bluts mit ihr verwandt, sei ihr auch hieher gefolgt. Man rühmte sehr den anmuthigen Ton dieses Hauses, und rieth Alexandern, sich doch ja recht bald dort einführen zu lassen, da man stets einen auserwählten kleinen Cirkel und die angenehmste Unterhaltung dort finde.

Um den Pfeil, mit welchem Erna's Schönheit ihn verwundet hatte, ihm durch ihren steten Anblick noch tiefer ins Herz zu drücken, wieß ihm der Zufall seinen Platz bei der Abendtafel ihr gerade gegenüber an.

[92] Wie brannte er vor Verlangen, nur einem jener Blicke zu begegnen, der wie einst, als er ein solches Glück noch nicht zu schätzen wußte, ihm ihr vom süßen Zauber der Liebe bewegtes Gemüth verrathen hatte. Aber umsonst. Sie schien der Erinnerung jener Zeit so ganz entfremdet zu seyn, so völlig seine Bekanntschaft und das noch vor wenig Momenten Vorgefallene vergessen zu haben, daß ihr Auge so untheilnehmend und fremd über ihn hinwegstreifte, als sei er gar nicht da – wenigstens nicht für sie.

Und doch gewährte es ihm einen schmerzlichen Genuß, sie unablässig zu beobachten. Die Unschuld und Unbefangenheit eines Kindes mit scharfem Verstand und der feinsten Geistesbildung verbunden, die größte Anspruchslosigkeit bei dem entschiedensten Recht zu Ansprüchen, stellte in ihrer Person ein seltenes, aber unwiderstehliches Gemisch von Liebenswürdigkeit dar, das kaum ihrer siegenden Reize bedurft hätte, um jedes Herz magnetisch anzuziehen. Heiter, wie ein Frühlingstag, und sich der Fröhlichkeit des Augenblicks kindlich hingebend unterhielt sie sich mit ihren Nachbaren, und wer sie in diesem Austausch des Scherzes und der geselligen Mittheilungen sah, konnte schwerlich ahnen, daß ihr Geist in der Schule ernster Erfahrungen gereift, ihr Gefühl im Prüfungsfeuer tiefen Schmerzes geläutert sei.

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VIII

Mismuthig, mit sich selbst entzweit, und doch sein ganzes Wesen durch einen neuen, kräftigeren Impuls aufgeregt, kam Alexander nach Hause, und verträumte noch manche Stunde in Erna's Andenken, ehe der Schlummer sein müdes Auge schloß. Hätte er seiner Neigung nachgeben mögen, so würde er am folgenden Tag schon versucht haben, Zutritt im Hause des Gesandten zu erhalten, das, ohne jemals große Feste zu geben, sich jeden Abend gastlich den Besuchen gebildeter und befreundeter Menschen öffnete. Aber nach der Art, wie Erna ihn aufgenommen, schien es ihm zu kühn, ihr in ihrer eigenen Wohnung zu nahen, ehe nicht ein zweites, milderes Zusammentreffen am dritten Orte ihn dazu ermuntern würde. Denn auch nur den leisesten Schein einer Zudringlichkeit auf sich zu laden, war seinem Stolze unerträglich, selbst hier wo es Beschwichtigung der innern, ewig nagenden Unruh und Linderung der Sehnsucht galt, die an seinem Herzen zehrte.

Erna's Erscheinung wirkte indessen in seiner Seele fort, indem sie ihn immer mit sich beschäftigend, von seinem gewohnten Thun und Treiben abzog. Nie hatte er einsamer und zurückgezogener gelebt. Ganze Tage brachte er, sich selbst genug, in seinem Zimmer zu, über die tiefe Bedeutung [94] ihres Charakters, die reiche Entfaltung ihrer schönen Anlagen nachzudenken. So lebendig, als sei sie es wirklich, erblickte er dann im Spiegel seiner Phantasie ihre schlank aufstrebende, hohe, und doch in dem reizendsten Ebenmaas so sanft gerundete Form, und das seelenvolle Gesicht, das in seinen Zügen einen so himmlischen Ausdruck offenbarte. Dann lag die ganze Welt versunken und vergessen hinter ihm, und nur ein einziges, unendliches Gefühl sagte ihm, daß er lebe, aber nur um zu wünschen und zu hoffen, was doch so fern, in so unerreichbarer Höhe schimmerte, wie der Mond, der seinen reinen Strahl zur dunkeln Nacht herab senkt.

Noch hatte nichts im Leben seinen Charakter zur tiefen Einkehr in sich selbst zurückgedrängt. Jetzt auf einmal fand die unstäte Begehrlichkeit seines Sinnes einen festen Halt im Daseyn. Er fühlte sich besser, als sonst, folglich auch ihrer würdiger. Die Vergnügungen, in denen er sich ehemals berauschte, ekelten ihn jetzt an – schaal und unschmackhaft waren ihm die Früchte der Weltklugheit, die er gegen den Preis eines reinen Herzens eingetauscht hatte, und gern würde er alle Blüthen seines künftigen Lebens, gleich einer Opfergabe, auf den Altar reiner Anbetung niedergelegt haben, hätte Erna nur freundlich die Hand ausstrecken wollen, sie zu empfangen.

[95] Die einzige Annäherung, die er sich gestattete, war des Abends, wo er durch die Straße ging, in der sie wohnte. Dann sah er zu den hellen Fenstern empor, wie man zu den Sternen aufblickt, wenn man die Dürftigkeit der Erde recht tief empfindend, sich nach dem Himmel sehnt. Ihm war dann, als könne er, wenn ein leichter Schatten an den Wänden vorüberschwebte, erkennen, ob sie es sei oder nicht, und nicht nur manche Sekunde im flüchtigen Vorüberstreifen, sondern ganze halbe Stunden ruhig verweilend, brachte er in seinen Mantel gehüllt, dem Hause gegenüber zu, dessen Mauern so glücklich waren, sie zu umschließen.

Acht Tage waren so seit jenem Ball vergangen – da fand er einst die Fenster dunkel, folglich seinen Abendspaziergang des höchsten Reizes beraubt. Verdrieslich darüber lief er zwecklos noch durch einige Straßen, und als sein Weg ihn am Opernhause vorüberführte, und, durch die Entfernung gedämpft, Mozarts Zauber in den herrlichen Tönen Don Juan's sein Ohr traf, beschloß er, leise von ihnen ergriffen, einzutreten, obgleich die Vorstellung längst begonnen hatte.

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IX

Hier fand er unverhofften Ersatz für seine früher verfehlten Wünsche. Denn als er, im Parterre stehend, gleichgültig und finster sein Auge über die schimmernden Logenreihen hingleiten ließ, wurde er mit einem Male wie durch einen elektrischen Schlag fest an eine Stelle gebannt. Denn er erblickte Erna, welche – ihre ganze Aufmerksamkeit der Darstellung widmend – neben der Gesandtin saß.

Daß sie mit unverwandtem Blick auf der Bühne ruhte, begünstigte sein Verlangen, sie, nur sie zu sehen, da es unbemerkt von ihr geschehen konnte. Wie schön war sie wieder, einfach, fast nachlässig gekleidet, und doch von unendlicher Eleganz und Zierlichkeit umgeben. Ein Spitzenschleier bezeichnete, mit seinem ätherischen Gewebe sanft sich an ihr Haupt schmiegend, die schöne Form desselben, und ein türkischer Shawl die edlen Umrisse ihrer Gestalt. Ihre sprechenden Mienen, durch lebhafte Theilnahme an dem was sie sah und hörte, mit immer neuem, kindlich reinem Ausdruck beseelt, boten ihm, in ihrem Anschauen alles um sich her vergessend, eine unerschöpfliche Fülle des Genusses und der Bewunderung. Daher kam es, daß er erst mehrere Male am Ermel gezupft werden mußte, [97] ehe er sich umsah, eine Botschaft der Gräfin Tannow zu vernehmen.

Sie befinde sich in der Loge gerade über ihm, ließ sie ihm sagen, und wünsche ihn auf ein Wort zu sprechen. Ungern folgte er ihrem Geheiß, denn wenn er gleich in ihrer Loge den süßen Anblick nicht verlor, der ihn hier fast zur Bildsäule versteinert hatte, so war er doch dort weniger unbemerkt, und gezwungen, seine Blicke sorglicher zu bewachen, als hier, wo er weit unbeachteter sich im Gedränge der Menge verlor.

Er mußte indeß gehorchen. Man sieht Sie ja gar nicht mehr, flüsterte die Gräfin ihm zu, als er über ihren Stuhl gebeugt, sie begrüßte. Haben Sie die Absicht, ein Einsiedler zu werden, so bitt' ich, diesen Plan wenigstens noch ein paar Tage aufzuschieben, denn ich habe auf Sie gerechnet, und zur Strafe für Ihre Misanthropie so unumschränkt über Sie disponirt, als hätte ich das Recht, Sie zu meinen beweglichen oder unbeweglichen Gütern zu zählen.

Ahnungslos, welch eine Himmelspforte ihr Vorschlag ihm aufschließen werde, antwortete er, mit sauerm Mismuth im Herzen, aber mit der behenden Gefälligkeit eines gewandten Hoffmanns, daß er keiner Gewalt als der Ihrigen sich freudiger unterwerfe, und sie daher vollkommen berechtigt sei, in jeder Hinsicht über ihn zu gebieten.

[98] Der Winter ist so schön, und wir haben ihn eigentlich noch gar nicht benutzt, fuhr die Gräfin fort, denn Bälle, Schauspiele und Assembleen könnte uns allenfalls auch der Sommer gewähren; nun hör' ich, daß seit gestern herrliche Schlittenbahn seyn soll, und habe ein Projekt entworfen, wie wir den morgenden Tag recht genießen wollen. Um zwölf Uhr Vormittags sind Sie bei mir zum Frühstück geladen. Sie bestellen zu halb zwei Uhr Ihren Schlitten nach, und haben die Ehre, mich nach Bellevue zu fahren. Dort erwartet uns das Diner in der Orangerie. Mit Fackelschein fahren wir zurück, und, da ein Tag, der so heiter beginnt, nothwendig auch ein frohes Ende haben muß, so bringen wir den Abend bei dem *sischen Gesandten zu, der mit seiner Familie auch von der Parthie seyn wird, und sich's ausgebeten hat, daß wir dann sämmtlich bei ihm absteigen.

Der Nachsatz ihrer Rede söhnte Alexandern mit dem Vordersatz wieder aus, denn nur mit innerem Widerstreben, aus Höflichkeit, nicht aus Neigung, da er zu geselligen Freuden keineswegs aufgelegt war, hätte er sich außerdem in ihren Plan gefügt, der jetzt seine kühnsten Erwartungen übertraf. So sollte er sie wiedersehn, ohne in dem misfälligen Licht eines Zudringlichen zu erscheinen, ohne sie aufzusuchen, ja, auf eine Art selbst gesucht, die seinem Stolz schmeicheln, und [99] ihm einiges Ansehn in ihren Augen verschaffen mußte, da die Gräfin Tannow, die ihn zu ihrem Führer wählte, eine der gefeiertesten Damen der Residenz war.

Freudig einwilligend verbeugte er sich, und würde ihr sein Entzücken noch lebhafter bezeugt haben, wenn nicht theils die Klugheit ihm gerathen hätte, es zu verbergen, theils ein Anblick ihn so befremdet und zerstreut hätte, daß es ihm nicht möglich war, sich gehörig zu sammeln.

Es trat nämlich ein junger Mann in die Loge des Gesandten, der mit allen Kennzeichen genauer, traulicher Bekanntschaft Platz hinter Erna nahm.

Eine angenehme Gestalt und ein freier, durch Welt und gute Erziehung gebildeter Anstand zeichnete ihn aus – mehr noch ein gewisser Ernst, der reifer wie seine Jahre war, und sich fast zur Düsterheit hinneigte. In dem freundlichen Empfang, der ihn von Seiten der Gesandtin und Erna's wurde, lag ein eben so unverkennbarer Ausdruck von Achtung als von Wohlwollen, und unwillkührlich beneidete er den Unbekannten um das Lächeln, und den herzlichen Gruß, mit welchem Erna ihn aufnahm.

Er verarbeitete das Unbehagen in sich, das bei diesem Anblick mit plötzlichem Schauer die frohen Wallungen seines Blutes kühlte, und als er wieder so viel Ruhe gewonnen hatte, um gleichgültig [100] fragen zu können, forschte er nach dem Namen des ihm völlig Fremden, und erfuhr, daß es Herr von Linovsky, der Legationssecretair und sehr geachtete Hausfreund des Gesandten sei. Die Gräfin schilderte ihn als einen guten, klugen, aber etwas bizarren Menschen, der den Philosophen spiele, allen geselligen Freuden abgeneigt, aber demungeachtet seiner übrigen guten Eigenschaften wegen von den beiden Damen sehr wohl gelitten sei.

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X

Da Erna nach der ersten Begrüßung sich wieder ruhig zum Theater wandte, und Linovsky sich keineswegs bemühte, sie durch seine Unterhaltung davon abzuziehen, so stillten sich in Alexandern allmählig die eifersüchtigen Regungen, die ihm von neuen bestätigt hatten, wie theuer ihm das liebenswürdige Mädchen geworden sei.

Ohne das mindeste Recht auf sie, ja selbst ohne eine eigentliche Hoffnung zu haben, war ihm doch, als sei sie mit tausend unzerreißbaren, durch heiße Liebe gewebten Banden an ihn geknüpft, und als dürfe niemand wagen, sie ihm streitig zu machen, oder auch nur in bescheidener Entfernung [101] Wünsche in Beziehung auf sie zu hegen, die er sich allein vorbehielt.

Er fühlte, es sei die höchste, entscheidendste Zeit die Bahn unwürdiger Verirrungen nun auf immer zu verlassen, und den Weg der Tugend künftig zu wandeln, und übersättigt vom austrocknenden, öden Weltleben sehnte er sich darnach – aber er fühlte auch, daß er der himmlischen Stütze der Liebe bedurfte, um mit Hülfe ihrer Allmacht zu dem höheren Standpunkt empor zu klimmen, von dem ihn bisher Leichtsinn und Frivolität geschieden hatte. Schon war sein Herz mild erwärmt von jener heiligen Flamme, die über alle ehemaligen Täuschungen der Sinne ihn erhebend, keinem Rausche, sondern einer inneren Verklärung gleich, durch die das Leben sich läutert; aber Erna's Betragen deutete nicht auf die Wahrscheinlichkeit einer einstigen Erwiederung seiner Gefühle, denn der ruhige Ernst ihrer Züge und die kühle Stille ihres Blicks, wenn er dem seinigen begegnete, schlug seine feurigen Hoffnungen nieder, doch nur um – Nahrung aus seinen Wünschen schöpfend – sich bald wieder von neuem zu entzünden.

Er nahm sich vor, mit der leisesten Behutsamkeit zu verfahren, um durch ein immer gleiches, bescheidenes Benehmen Erna's Unwillen so wie ihr Mistrauen zu entkräften. Dann erst, das [102] sagte ihm die Vernunft und ein gewisser innerer Takt, der sich nicht abläugnen ließ, dann erst, wenn er allmählig sich wieder in den Besitz ihrer Achtung gesetzt haben würde, durfte er, einen günstigen Erfolg erwartend, ihr die innigeren Empfindungen bekennen, von deren Austausch er sich jetzt allein das Glück seiner Zukunft versprach.

Er konnte nicht umhin, die Gräfin, als die Oper geendigt war, an ihren Wagen zu begleiten. Auf der Gallerie, die den Eingang zu den Logen bildete, begegnete er Erna am Arme des Gesandten, seine Gemahlin von Linovsky geführt. Man wechselte einige freundliche Worte, die sich auf die Hoffnung bezogen, den morgenden Tag gemeinschaftlich mit einander zu verleben, und scherzend präsentirte die Gräfin den Damen in Alexandern den Ritter, dessen kräftigen Arme sie morgen Leben und Wohlfahrt anzuvertrauen gesonnen sei. Mit vieler Höflichkeit ergriff der Gesandte diese Gelegenheit, durch eine directe Einladung an ihn zum nächsten Abend, die frohe Erwartung zu bestätigen, welche die Gräfin schon früher in ihm erweckt hatte, sich gleichsam ohne sein Zuthun in einem Hause eingeführt zu sehen, das – weil es ihr Aufenthalt war – ein so unbeschreibliches Interesse für ihn hatte.

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XI

Die Hälfte der Nacht verging unter Anordnungen zum folgenden Morgen, der so ahnungsvoll über ihn anbrach, als sei er der Verkündiger einer neuen, wichtigeren Epoche seines Lebens.

Mit stiller Sebstzufriedenheit besah er sein Schlittengeschirr, das das glänzendste und geschmackvollste der Residenz war. Denn er liebte den Luxus, und sein Vermögen setzte ihn in den Stand, allem was ihm angehörte, den Stempel einer Eleganz aufzudrücken, die durch edle Auswahl um so lieblicher ins Auge fiel.

So hatte er auch hier, da das Schlittenfahren zu seinen Lieblingsvergnügungen gehörte, Sorge getragen, es auf eine seine Eitelkeit in jeder Hinsicht befriedigende Art genießen zu können, und es war nicht zu läugnen, daß wenn sein silbernes Glockenspiel harmonisch erklang, der Anblick des schimmernden Schlitten, des mit männlicher Grazie und Leichtigkeit ihn lenkenden Führers, und des muthigen, auserwählt schönen Rosses, das aufs zierlichste geschmückt war, etwas zauberisches in der Erscheinung hatte. Der reiche Anzug seines Vorreuters, die Farben des Schlittens und seiner eigenen Uniform waren so passend gewählt, daß eins durch das andere gehoben wurde, und die reine Winterdecke des Schnees bildete nirgends[104] den Grund zu einem anmuthigeren Gemälde, als wenn er wie auf Sturmwindsflügeln auf diese Weise vorüberflog.

Ungeduldig zählte er die einzelnen Schläge der Uhr, die der Stunde vorausgingen, welche ihn zu Erna's Wiedersehen rief – aber als sie nun selber schlug, die lang ersehnte, da zögerte er, schüchtern mit sich selbst kämpfend, und alle Blödigkeit der ersten Jugend, in dämmernder Erinnerung schon abgelegt, kehrte in ihn zurück, und vereinigte sich mit der nie gekannten Furcht, zu misfallen, um ihn ängstlich so lang wie möglich zurück zu halten.

Es war ihm, als habe ihn, gleich einem Läuterungsbad, der nie empfundene Zauber einer wahren ernsten Liebe, den er jetzt empfand, von all' den Flecken gereinigt, mit denen die Verdorbenheit der Welt und seines eigenen Sinnes früher sein Gemüth entstellt hatte. Er fühlte sich weich, wehmüthig, kindlich geworden. Weinen hätt' er mögen um die verlorene, entweihte Vergangenheit, die eine so tiefe Kluft zwischen ihn und Erna warf, wenn nicht die Hoffnung tröstend in ihm den Glauben gestärkt hätte, daß Reue, die ja mit dem Himmel versöhnt, auch ihn ihr wieder nähern werde. Er gelobte sich selbst, wenn es ihm gelänge, die Herrliche zu gewinnen, durch ein untadelhaftes Leben sich ihres Besitzes werth zu machen, und [105] wenn gleich manche Schwierigkeit sich vor ihm aufthürmte, so zeigte der Spiegel der Zukunft seiner Sehnsucht doch in der Ferne dies neidenswerthe Loos. Hatte sie ihn doch geliebt, als seine Fehler wie üppig wucherndes Unkraut in seiner Seele jeden Keim des Besseren erstickten – wie sollte sie ihn jetzt zu hassen vermögen, da Wunsch und Vorsatz der Besserung sein Inneres veredelte, und ihn moralisch ihr um so viel näher brachte. Versenkt in diese Träume, denen die Hoffnung ein so rosiges Colorit lieh, vergaß er zu gehen, bis ein Eilbote der Gräfin ihn an sein Versprechen erinnerte.

Die Gesellschaft war schon versammelt, und mit dem Frühstück bereits fertig, als er athemlos herein trat.

Ich habe Ihre Galanterie nicht wenig verläumdet, rief ihm die Gräfin entgegen, oder vielmehr Ihr spätes Kommen hat es gethan, und nur weil Gnade bei mir vor Recht geht, sollen Sie noch eine Tasse kaltgewordene Chocolade haben.

Er wollte sich entschuldigen, aber der Blick in Erna's großes, ernstes Auge machte ihn verwirrt, und widerspenstig verweigerte ihm die Fülle der Worte ihren Dienst, die ihm sonst so leicht zu Gebot stand. Der Gruß, mit welchem sie den seinigen erwiederte, war nur höflich, und die stille Kälte ihrer Mienen, die abgemessene Fremdheit [106] ihres Benehmens gegen ihn, schnitt um so schmerzlicher in sein warmes Herz, da er sich von dem heutigen, ungezwungenen Beisammenseyn mit ihr so viel versprochen hatte.

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XII

Er war daher froh, als das Signal zum Aufbruch seine Verlegenheit beendigte. Still und wortkarg lenkte er den Schlitten durch die schneebedeckten Gefilde, wenig in der Gräfin heiteres Plaudern eingehend und seine düsteren Gedanken reuig in die Vergangenheit, zagend in die Zukunft senkend.

Der Weg führte durch einen Tannenwald, dessen dunkles Grün die Hülle von Schnee zuweilen durchbrach, wie eine leise Hoffnung in ihm die Nacht der Resignation durchschimmerte, zu der Erna's an Geringschätzung gränzende Gleichgültigkeit ihn zu verdammen schien.

Auf einer Anhöhe, zu der, wo der Wald aufhörte, eine breite Allee sanft empor leitete, lag Bellevue, das Ziel ihrer Fahrt, und hell und freundlich von der mittäglichen Sonne beschienen, strahlte ihnen das wohlgebaute Schloß mit den weit ausgebreiteten Orangeriegebäuden entgegen, die es umgaben.

[107] Dort stiegen sie aus, und wandelten umher. Der Reichthum so vieler tropischen Gewächse, die Zierden jedes Himmelsstrichs, und der Triumph der Kunst, die selbst in dieser Jahreszeit die dem Sommer eigenthümlichen Blumen zum Blühen zwang, machte auf Erna, die der Pflanzenwelt so hold war, einen kindlich frohen, ihr ganzes Wesen freudig umwandelnden Eindruck.

Auch Alexander fühlte sich freudiger angeregt, indem er bemerkte, daß in dieser sanften Neigung wenigstens ihr Gefühl dem seinen begegnen müsse, denn an Kinder, an Musik und Blumen hing sein Herz vorzüglich, und beurkundete eben dadurch, daß es ursprünglich eine edlere Tendenz von der Natur erhalten hatte, als sich im Getöse seelenloser, oft gar die Seele entweihender Freuden müde zu schlagen. Er selbst zog in seinen Zimmern mit der genausten Sachkenntnis, und mit wahrer väterlichen Liebe die schönsten Blumen, und so ungeduldig er auch übrigens war, so konnte sein rascher Sinn doch mit der größten Behutsamkeit und Ausdauer das Entwickeln und Fortschreiten einer Knospe belauschen, oder dem leisen Entfalten einer lang ersehnten Blüthe entgegen harren.

Es näherte ihm Erna auf eine zwanglose und ganz zufällig scheinende Art, daß seine botanische Gelehrsamkeit ihr viele Namen, die ihr fremd [108] waren, zu nennen wußte, und da er diese Wissenschaft nicht blos systematisch, sondern mit wahrer entschiedener Vorliebe und Anwendung auf das praktische Leben geübt hatte, so konnte er ihr mehr mittheilen, als die trockene Nomenclatur allein bietet, und fügte die Eigenschaften, Zwecke und charakteristischen Tugenden eines jeden Gewächses, das ihr eine neue Erscheinung war, mit hinzu.

Eine so harmlose Unterhaltung machte sie zutraulich. Schon hörte sie nicht nur mit gespannter Aufmerksamkeit seinen Belehrungen zu, sondern suchte durch Fragen ihren Umfang zu erweitern, und durch Einwürfe, und oftmals keck genug ausgesprochene Zweifel sich immer gründlicher durch seine Mittheilungen zu unterrichten. Unvermerkt entfernten sie sich von den Uebrigen, die weniger lebhaften Antheil an den Einzelnen nehmend, sich lieber dem Gesammteindruck dieses erkünstelten Frühlings überließen, und vor der prächtigen camellia japonica stehend, docirte er ihr mit vielem Ernst, daß sie vermöge des ewig frischen Grüns ihrer Blätter und des pergamentartigen Stoffs ihrer Blüthen zu dem Geschlecht der Orangerie gehöre, in China und Japan zu Hause sei, und die Eigenheit besitze, daß ihre vom höchsten Purpur bis zum reinsten Weiß übergehenden Blüthen abfallen, ehe sie noch verwelkt sind.

[109] Diese Worte schienen in Erna's leicht bewegtem Gemüth eine sonderbare Erschütterung hervorzubringen. Abfallen, vor dem Verwelken, welch ein neidenswerthes Loos! sagte sie leise vor sich hin, und beugte sich auf eine der Blüthen herab, die, obgleich nur sanft von ihr berührt, sich vom Stiel trennte, und herab säuselte.

Schnell hob Alexander sie auf. Wie eine Mutter in ihren Kindern noch fortlebt, sprach er, so pflegt man diese Blüthen auf junge Knospen ihres Stammes zu setzen, wo sie noch lange in ihrer Schönheit fortdauern, ohne eine andere Nahrung in sich zu ziehen, als die, die sie in ihrer eigenen Kraft finden.

Sie nahten sich jetzt der Plumeria rubra, und Erna fragte, ob dies nicht eine Abart des Oleanders sei, den sie in südlichen Ländern so oft im Freien habe blühen sehen.

Alexander mußte eine flüchtige Familienähnlichkeit zwischen diesen Gewächsen anerkennen, berichtigte aber den freundlichen Irrthum, in welchem sie gleichsam eine alte Bekanntschaft in dieser Pflanze zu erneuern wähnte, dahin, daß er ihr aus einander setzte, wie sie, aus Jamaika abstammend, nur in heißen Lüften gedeihe, und schon in den sonderbaren, mit einander gleichlaufenden, und noch vor dem Rande der grünen Blätter sich wieder vereinigenden Seitenadern ihre indische [110] Herkunft beurkunde, da eine solche Zeichnung europäischen Gewächsen nicht eigen sei. Sie verlange stets eine gleiche, und nicht zu schwache Temperatur der Wärme, und lohne die sorgsame Pflege, die ihr unter kälteren Zonen Bedürfnis sei, durch ihren herrlichen Duft, der ihr in ihrer Heimath auch noch die Benennung: rother Jasmin zugezogen habe. Ihren botanischen Namen verdanke sie dem verdienstvollen französischen Pater Plumier, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die westindische Naturgeschichte mit so vielem Eifer untersuchte, so treffliche Entdeckungen als Resultate seines Forschens uns hinterließ, und der erste war, der diese Zierde eines fremden Himmelsstrichs nach Europa sandte.

Mit vielem Interesse hörte Erna ihm zu. Wie schön find' ich diese Art, das Andenken eines Naturforschers zu ehren, sagte sie. Ein unvergänglicheres Denkmahl, als Erz und Marmor bieten können, blüht ihm in der ewig sich erneuernden Jugend und Schönheit des Pflanzenlebens, und trägt seinen Namen dankbar in ferne Jahrhunderte hinüber.

Ich kann's nicht ausdrücken, fuhr sie zur Gräfin gewendet, fort, die sich ihr genähert hatte, welchen warmen Antheil gerade dieser Zweig der Naturgeschichte in mir erregt, welch eine eigene, schmerzlich süße Bedeutung mein Gemüth in [111] das stille Knospen, Treiben und Vergehn der Pflanzen legt. Es gemahnt mich, wie das menschliche, oder vielmehr wie das weibliche Leben, das auch, so eng beschränkt aufeine Stelle, sich oft, wie in eine stehende Form des Daseyns gegossen, nur entfaltet, um zu verblühen – selten bemerkt – seltener noch gekannt. –

Warum schließen Sie aber die Männer aus, liebes Kind, fiel die Gräfin schalkhaft ein. Freilich – es wäre ihnen zu viel Ehre erzeigt, ihnen unter den Blumen ihren Platz anzuweisen – und sie in die Klasse des Unkrauts zu stellen, dazu sind sie offenbar zu gut. Aber es fände sich ja wohl eine andere, passendere Rubrick für sie. Lassen Sie uns ein wenig nachdenken. Sollen wir sie zu den Schmetterlingen zählen, die das Blühende umflattern, so lange es blüht? – Oder zu den Dornen, deren Zweck mehr zu verwunden, als zu schützen ist? Oder zu denWürmern, die oft zerstörend die geheimsten Wurzeln des Daseyns zernagen, daß die zarte Staude hinwelkt, ohne daß ein menschliches Auge die Ursach ihres Leidens wahrnimmt? –

Erna wurde roth. Ihr Auge erhob sich mit dem schüchternen Ausdruck leisen Forschens, welchen Eindruck diese Worte auf ihn machten, zu Alexandern, welcher, aufgebracht über den bittern Scherz der Gräfin, der seine stille Unterhaltung [112] störte, und Erna's Stimmung sichtlich eine andere Richtung gab, sich schweigend in die Lippen biß.

Das sanfte Mitleid mit seinem gereitzten und peinlichen Zustande gab indeß ihrem Blick einen unwillkührlichen Ausdruck von Zärtlichkeit, der alle Bitterkeit des Unmuths in ihm verlöschte, und indem sie leicht und schonend das Gespräch auf andere Gegenstände wandte, sparte sie ihm die Anstrengung mit so befangener Seele in die ihm misfällige Heiterkeit der Gräfin eingehen zu müssen.

Sie fragte nämlich nach einer Gemäldesammlung, die, wie sie gehört hatte, interimistisch im Schlosse Bellevüe aufbewahrt werde, bis ein eigenes Local in der Residenz für sie eingerichtet sei, und in welcher, zwar noch ungeordnet und bunt unter einander gemischt, doch manche interessante Erinnerung aus grauer Vorzeit, manches Andenken an später lebende berühmte Menschen in ihren Bildern enthalten seyn solle.

Alexander kannte diese Sammlung und erbot sich zum Cicerone, und da der kurze Wintertag nicht lange mehr volle Beleuchtung von außen versprach, so eilte man, sie noch vor der eintretenden Dämmerung zu betrachten.

[113]
13
XIII

Alexander führte sie in einen Saal, der durch mehrere Stockwerke gehend, und mit Gallerieen umgeben, an seinen hohen Wänden die Heldengestalten der Vergangenheit, gepaart mit den schönsten Frauen ihres Zeitalters zeigte.

Zunächst begrüßten sie Heinrich den Vogler, den wackern Kaiser, der der Stifter der Turniere und ihrer edlen Gesetze war.

Einen Falken auf der tüchtigen Faust, der mit den sonnenhellen Augen lüstern um sich blickt, schaut der tapfere Held in seiner ritterlichen Tracht, eine rothe, gekrümmte Hahnenfeder auf dem Haupt, gar fest und gebietend um sich her, während nach altdeutscher Weise aus seinem Munde Verse gehen, die derb und bieder in ihrer kaum mehr verständlichen Sprache an jene unverfeinerte, aber kräftige Epoche mahnen.

Die Gräfin fand es in seiner listigen Physionomie ausgesprochen, daß es im Leben seine Freude war, die harmlosen Waldbewohner zu berücken, und mit der Leimruthe, oder im betrügenden Netz des Vogelheerds ihnen das kostbare Gut ihrer Freiheit zu rauben.

Erna aber, stets milde Ansichten habend, las neben dem Heldensinn, der aus seinem Auge blitzte, die väterliche Milde, mit der er einst seiner ungehorsamen [114] Tochter Helena vergab, als sie mit ihrem Entführer, dem Grafen von Altenburg in eine böhmische Wildnis geflüchtet und zufällig von ihm, der sie fünf Jahre betrauert hatte, entdeckt worden war. Sie hielt ihn für einen fremden Ritter, denn sie erkannte ihn nicht, da er im tiefen Schmerz um ihren Verlust während ihrer langen Entfernung weder sein Haupt noch seinen Bart hatte scheeren lassen, was zu den Zügen des Grams und des vor der Zeit dadurch herbeigelockten Alters noch den wilden Ausdruck einer fast an Wahnsinn gränzenden Verworrenheit gesellte.

Er aber erkannte den undankbaren Liebling seines Herzens sogleich; doch männlich sich zusammen nehmend, lies er nicht ahnen, wie tief bewegt sein schwer gekränktes väterliches Herz war.

Und als Helena, fröhlich nach so langer Abgeschiedenheit endlich einmal wieder Kunde von der Welt und ihren neusten Begebenheiten zu vernehmen, durch mancherlei Fragen nach ihnen forschte, drängte nicht kindliche Liebe, Reue, oder Sehnsucht das Wort über ihre Lippen, wie es Kaiser Heinrich ergehe?

Als nun der Kaiser, ihre Gesinnung auf die Probe zu stellen, ihr erwiederte, daß er seit einem Jahr schon verschieden, und die zeitliche Krone mit der ewigen vertauscht habe, hoffte er vielleicht leise, eine Thräne werde aus dem Auge [115] seines Kindes als vermeintliches Todtenopfer ihm fallen.

Aber Helena schlug jauchzend in ihre Hände, und freute sich, eine Waise zu seyn, weil sie nun die Einsamkeit verlassen dürfe, die selbst an der Seite des Geliebten ihr drückend war.

Was wolltet Ihr denn thun, edle Frau, fragte Heinrich, wenn Ihr den Kaiser in Eurer Macht hättet, gleich wie nunmehro mich?

Wir wollten ihm das Licht heute auf eine Weise auslöschen, antwortete Helena, daß er das morgende nimmer erblicken sollte.

Nach lang geführtem Gespräch, in welchem der gekränkte Vater sich sorgsam bewachte, um sich nicht zu verrathen, bettete Helena ihn sanft aus Dankbarkeit, wie sie sagte, für die ihr gegebene frohe Nachricht, und entließ ihn am anderen Morgen, ohne zu vermuthen, wen sie unter ihrem Dache bewirthet habe.

Als aber der Kaiser wieder zu den Seinigen gekommen war, sammelte er ein Kriegsheer, und bewaffnete es mit Beilen, um einen Weg durch das Dickicht des Waldes zu bahnen, bis sie das Schloß seiner unkindlichen Tochter erreichten, das er bestürmen ließ.

Als nun der Graf von Altenburg sich so feindlich umzingelt sah, fragte er, wer es wage, ihm mit Kriegsüberzug zu nahen, und: Kaiser Heinrich, [116] donnerte es in sein Ohr, während er an der Spitze des Heeres den grauen Ritter erblickte, den er vor kurzem unerkannt bei sich beherbergte.

Und als nun ein Herold ihn zur Uebergabe auffoderte, und ihm verkündete, daß es des Kaisers Befehl sei, ihn todt oder lebendig in seine Hände zu liefern, griff der Graf verzweiflungsvoll zum Bogen, sich bis zu seinem letzten Blutstropfen zu vertheidigen – aber in fünfjähriger Ruhe war die Senne desselben vermodert, und es blieben ihm nur Steine zur jämmerlichen Nothwehr.

Da zerraufte sich Helena das Haar, und lief mit gerungenen Händen auf die Zinne des Schlosses, und rief hinab mit herzzerschneidenden Jammertönen: Wisset, daß wo mein Herr und Gemahl seines Lebens beraubt werden soll, ich das meinige keine Stunde verlängert sehen will, und dafern mich keiner von Euch ermorden mag, soll meine eigene Hand so beherzt seyn, mir die Brust zu durchstoßen.

Da stritten in dem schwer beklommenen Vaterherzen Haß und Liebe und Mitleid mit einander, und die sanfteren Empfindungen siegten, und bezwangen den gerechten Zorn. Knieend beugten sich die Fürsten und Herren, die ihn umgaben, vor ihm, und legten eine Fürbitte ein, die Schuldigen zu verschonen, und durch Vergebung ihres Unrechts zu begnadigen.

[117] Thränen perlten an des Kaisers grauen Wimpern, und rollten seine eingesunkene Wange herab. O wie mancherlei Fäll hat doch die Liebe, brach er aus. Wohlan! es soll Euerer Fürbitt' gewillfahret werden.

Diese milde väterliche Antwort öffnete wie durch einen Zauberschlag ohne alle fernere Gewalt das Schloß, und die Liebenden kamen, zwar bebend, aber nicht mehr zaghaft, hervor, und warfen sich in Demuth nieder vor ihren beleidigten Herrn und Vater, der sie aber liebreich aufhub, ihnen verzieh, und sie wieder mit sich in sein Hoflager führte.

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XIV

Ich muß gestehen, ich wäre nicht so bereitwillig gewesen, zu verzeihen, sagte die Gräfin, und es scheint mir eine große Schwäche des Geistes und des Charakters anzudeuten, daß der gute Kaiser nach solchen Erfahrungen wie ein ganz gewöhnlicher Comödienvater sich benahm, und statt zu strafen vergab und vergaß. Ich hätte an seiner Stelle den Herrn Grafen laufen lassen, die saubere Helena aber in ein Kloster gesteckt, um – nicht die Leidenschaft, der sie gefolgt war – wohl aber die Lieblosigkeit ihrer kindlichen Gesinnung gehörig zu büßen.

[118] Daß die gefühllose Tochter dies verdient hätte, bestreite ich nicht, unterbrach sie Erna, aber sollte, was Ihnen Armuth des Geistes dünkt, nicht eher ein Reichthum des Herzens gewesen seyn, der den Kaiser vielleicht unwillkührlich bewog, nicht als Richter, sondern nur als Vater zu handeln? Wie der Ocean den Tropfen verschlingt, daß keine Spur mehr sein kurzes Daseyn verräth, so tilgt die Liebe durch ihre unüberschwängliche Fülle ja auch die einzelnen Kränkungen und Beleidigungen aus, die uns von außen kamen, denn die Liebe überwindet alles, und vergiebt alles. –

Mit brennenden Blicken lauschte Alexander ihren Worten, die so tröstlich die dunkle Wolke seines Schicksals mit dem goldenen Saum der Hoffnung zu schmücken schienen. Erröthend bemerkte sie die hochgespannte Achtsamkeit, mit der er ihr zuhörte, und setzte, Misverständnissen vorbeugend, hinzu: diehimmlische Liebe nämlich, die das eigentliche Leben ist, und die Nacheiferung dessen, der seine erwärmende Sonne Bösen und Guten scheinen läßt, und seinen erquickenden Regen über Gerechte und Ungerechte vertheilt, und die, weil sie nicht im Irrdischen, sondern in einer höheren Region ihr Wesen gründete, unsterblich ist, und unsterblich macht.

Sie wandte sich hierauf wieder zu den Gemälden, und die Lebendigkeit, mit der sie nach ächt [119] weiblicher Art sich in der Geschichte wenig um die Heldenthaten berühmter Männer, desto mehr aber um die kleinen individuellen Züge ihres Privatlebens und um die zeitgemäßen Eigenheiten ihrer Sitten bekümmert hatte, und die Genauigkeit, mit der ihr treues Gedächtnis sich ihrer erinnerte, charakterisirte ihr Geschlecht auf eine sehr anmuthige Weise, und nahm ihrem Wissen, das sie unbefangen und freudig aussprach, jeden pedantischen Anstrich gesuchter Gelehrsamkeit, da es nur als freundlicher Antheil an dem menschlich empfundenen Wohl oder Weh der längst in Staub Verwandelten erschien.

Es machte ihr Vergnügen, mit dem Gesandten, der die Geschichte als sein Lieblingsstudium trieb, ein kindlich neckendes Examen anzustellen, in welchem er oft nicht zu bestehen im Stande war, da sie begehrte, er solle in die größten Einzelnheiten eingedrungen seyn, und immer mehr den Menschen, als seinen öffentlichen Charakter im Auge behalten haben.

Er hingegen, der Würde des historischen Zwecks sich bewußt, und ihn auf höheres beziehend, als auf das eigentlich menschliche Leben, von dem schon Salomon behauptet, daß es nichts neues zu bieten habe, hatte ihn im Allgemeinen aufgefaßt, und weniger enge Gränzen der Uebersicht sich gezogen. Wohlgeordnet wußte er die [120] allmählich aus der Nacht hervortretenden Fortschritte der Bildung nach ihrer Zeitfolge sich vorüber zu führen, aber von dem eigentlich Häuslichen, Herzlichen der Vergangenheit, das für Erna die Hauptsache war, hatte er keine Notiz genommen.

Daher als sie jetzt vor Otto des Großen Bilde standen, wußte er zwar in der möglichst chronologischen Ordnung darzuthun, daß dieser seltene, wahrhaft große Mann im Jahr 937 in Aachen von Hildebert, Erzbischoff zu Mainz gekrönt worden sei, tapfer als Kriegsheld für Recht und deutsche Ehre gekämpft, ritterlich seine Feinde überwunden, stets einen frommen gottseligen Wandel geführt habe, und im Jahr 973 in Quedlinburg unter heiligen Betrachtungen der sieben letzten Sterbensworte des Erlösers sanft und selig verschieden sei, worauf man seinem entseelten Leichnam die Ruhestätte in Magdeburg angewiesen, das, durch die Durchzüge barbarischer Völker verwüstet, von ihm neu gegründet, und durch den ehrwürdigen Dom daselbst wahrhaft kaiserlich für alle Zeiten ausgestattet worden sei.

Als nun aber Erna ihn fragte, was der große Kaiser einst am Osterfeiertag in Pavia erfahren, und welche mächtigeren Feinde als ein Kriegsheer von außen, er rühmlich damals in seinem Innern bezwungen habe, wußte er ihr nicht Rede und Antwort zu geben.

[121] Triumphirend, ihn belehren zu können, trug sie daher im Chronikenton ihm die Begebenheit vor, die sich da ereignete, und lächelte gutmüthig über sich selbst, indem sie, wie sie sagte, vor einem so gründlich unterichteten Publicum als Lehrerin der Geschichte auftrat.

Als nämlich einst Otto das Osterfest in Pavia beging, wurde seine Tafel unter andern Speisen, auch mit einem Osterfladen besetzt, dessen köstlicher Duft einen jungen Herzog von Schwaben, der sich am kaiserlichen Hof aufhielt, zu lüsterner Begierde reitzte.

Ohne das genäschige Verlangen nach dem Genuß dieses Fladens mäßigen zu können, oder zu wollen, erdreistete er sich, ehe noch der Kaiser herein getreten war, ein Stück davon abzubrechen.

Ergrimmt wurde der Truchses diese Verletzung schuldiger Ehrfurcht gegen Kaiserliche Majestät in der frevelhaften Verunzierung seiner Tafel gewahr, und erhob seinen Stab, das knabenhafte Beginnen des jungen Herzogs zu züchtigen.

Aber unglückseliger Weise verwundete er ihn, und der Hofmeister desselben, Herr Heinrich von Kempten wurde durch das Blut seines Zöglings, das er fließen sah, so in Wuth versetzt, daß er den Truchses, diese Schmach zu rächen, auf der Stelle niederstieß.

Als nun der Kaiser in der Absicht, sein Mahl [122] zu halten, herein trat, und den treuen Diener ermordet zu seinen Füßen erblickte, entbrannte er in ungemessenem Zorn, und befahl, den Thäter augenblicklich hinzurichten.

Da warf sich der Hofmeister zu seinen Füßen, und flehte nur um ein kurzes Gehör, sich verantworten zu dürfen.

Aber Otto versagte es ihm in der Heftigkeit der Leidenschaft, und wiederholte den gegebenen Befehl, ihn sogleich, ohne Aufschub, zum Tode zu führen.

Da bemächtigte sich des Unglücklichen die Verzweiflung, die nichts mehr zu hoffen, nichts mehr zu fürchten hat. Außer sich fiel er den Kaiser an, der sich dieser Kühnheit nicht versah, schlug ihn zu Boden, raufte ihm den Bart aus, und würde ihn mit starker Faust erwürgt haben, wenn nicht die Umstehenden hinzugeeilt wären, und mit vieler Mühe ihn aus den Händen des Rasenden gerettet hätten.

Jetzt wollte man, empört über so unerhörte Frevelthat, ihn zum Tode schleppen, ohne einen neuen Befehl des athemlosen Kaisers dazu zu erwarten.

Aber siehe – er winkt mit der Hand – noch kann er nicht sprechen, doch sein gütiges Auge befiehlt Schonung – zerknirrscht von Schaam [123] und Reue steht der nun wieder zu sich selbst gekommene Verbrecher in der Ferne.

Da ruft ihn Otto zu sich, und spricht mit sanftem Ton: »ich bekenne, daß nicht Du, sondern Gott durch Deine Hand mich gezüchtiget und geschlagen, dieweil ich das Obrigkeitliche Amt in Anhörung der Sach durch Zorns Verleitung hab unterlassen. Weil ich nun meines Amts vergessen, so hat mich Gott an diesem Tag des Herrn durch Deine Züchtigung mit gebührendem Schmerz erinnern lassen, wie ich mich hinführo in dergleichen Fällen verhalten soll. Derowegen rede, was zu Deiner Nothdurft dient, darob ich wissen kann, wie diese Begebnis zu entscheiden.

Hierdurch ermuthigt, trug Heinrich von Kempten ihm hierauf in geziemender Ehrfurcht den Verlauf der Sache vor, und fügte die demuthsvolle Bitte um Vergebung seines zwiefachen Vergehens auf seinen Knieen hinzu.

Zorn und Rachsucht schwiegen in des Kaisers edlem Herzen, und er hob das früher gefällte Todesurtheil wieder auf, und begnadigte den Reuigen. Doch, dieweil Du mir den Bart, die Zierde des Mannes, mit kühner Hand zerrauft und verwüstet hast, fügte er hinzu, so sollst Du eine Zeitlang mein Angesicht meiden, und mir nicht unter die Augen treten.

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XV

Lachend über den Schluß der Erzählung, die Erna mit komischem Ernst vortrug, auf eine Menge alter Autoritäten sich berufend, aus denen sie dieselbe geschöpft hatte, wandelte man noch lange umher, um – von der eintretenden Dämmerung gedrängt – wenigstens flüchtig noch die übrigen Portraite zu betrachten, die als Stufen der nach und nach sich entwickelnden Kunst, und als Gepräge ihres Zeitalters so viel Interesse einflößten.

Nur momentan verweilte man bei Otto dem Dritten, dem schönen, jugendlichen Kaiser, den Eifersucht in Italien durch ein paar vergiftete Handschuh im Lenz des Lebens dahin raffte, und bei Adolph von Nassau, dem muthigen Nonnenentführer, der so früh Krone und Leben verlor. Mitleidig gingen sie an dem unglücklichen Heinrich dem Vierten vorüber, den der eigene undankbare Sohn vom Throne drängte, ihm nicht nur gewaltsam die Zierden kaiserlicher Würde rauben ließ, sondern ihn unbarmherzig dem Hunger und dem Elende Preis gab; aber schaudernd wandten sich alle von dem Bilde Heinrichs des Achten von England ab, der mit einer Physionomie, als habe ihn Naturanlage und Gewohnheit zum Henker bestimmt, seine ganze, scheußliche Seele in den Fanatismus und Blutdurst ausdrückenden Blicken trägt. [125] Sein doppeltes Kinn und die feiste Fleischmasse seiner Wangen, die das feindselig glühende Auge fast begräbt, scheint von dem eingesogenen Blut zu strotzen, das er so reichlich vergoß, und das wahrhaft fürchterliche Lächeln, das seine Züge umschwebt, flößt Entsetzen, statt Vertrauen ein. –

Hinweggescheucht von diesem Bilde hatten sie von dem widerwärtigen Eindruck, den es auf sie machte, sich noch nicht erholt, als der Gesandte, der ihnen ein wenig vorausgegangen war, sie durch einen lauten Ausruf der Bewunderung zu sich hinzog.

Hier wartete ihrer eine anmuthigere Ansicht. Sie fanden ihn vor der Sirene ihrer Zeit, der reizenden Maria Stuart, die im schwarzen Sammthäubchen, das liebetrunkne Auge sanft erhoben, und den zarten Spitzenkragen um den noch zarteren Schnee des üppigen Busens geschmiegt, in wunderbarer Schönheit ihnen entgegen strahlte. Weich und lieblich hoben sich die Umrisse dieser reizenden Form von den goldbefranzten Purpurkissen ab, auf denen sie ruhte, und der blendende Schmelz ihrer blühenden lebenathmenden Farben bezeichnete sie in der jugendlichen Frische jener Zeit, wo noch der Thron statt des Kerkers ihr Loos war, so wie das still vor sich hin träumende Lächeln ihres verführerischen Mundes schweigend zu verkündigen schien, daß damals wohl die Regungen[126] einer zärtlichen Leidenschaft, doch noch nicht der Wurm des befleckten Gewissens und der Schmerz verlorener Freiheit in ihrem Innern nagte.

Manch mitleidiges Bedauern erweckte die Erinnerung ihres Unglücks beim Anblick ihrer Schönheitbei den Herren; manch strenges, wiewohl gerechtes Urtheil von Seiten der Damen, die bei der Uebersicht ihrer Schicksale fanden, daß sie nicht durch unvermeidliche Verhängnisse, sondern größtentheils durch ihre eigene Schwäche, das Vergessen ihrer nicht nur königlichen, sondern auchweiblichen Würde, das Beleidigen alles Zartgefühls und das Verläugnen jeglicher Schaam die Dornenkrone eines schmachvollen Todes statt der zwiefachen Kronen erwarb, mit denen Natur und Rang sie geschmückt hatte.

Erna schwieg, wie sie zu thun pflegte, wenn ihr milder, aber stets der Wahrheit geheiligter Sinn, nicht zu vertheidigen vermochte. Doch hörte sie mit Aufmerksamkeit dem Für und Wider zu, wodurch man sich bemühte, die unglückliche Königin theils zu verdammen, theils zu entschuldigen.

Nun, wir wollen uns nicht streiten, sagte der Gesandte lächelnd, als die Debatten immer lebhafter wurden. Eine schmerzliche Buße, und am Ende der versöhnende Tod haben jetzt ja längst die schöne Sünderin wieder gereinigt. Ich spreche sie nicht von aller Schuld frei, aber viel, sehr [127] viel trug gewiß die Rohheit ihres Zeitalters und der schottischen Sitten, und ihr in Frankreich durch Schmeichelei verwöhnter, durch Ueppigkeit aufgeregter Charakter nebst den mehrmals verfehlten Wahlen ihres Herzens zu ihrem Verderben bei. Jung, feurig, durch Partheienhaß verfolgt, und allein stehend, hielt sie das dunkle Gefühl, das sie leitete, für Instinkt der Schutzbedürftigkeit, und wurde so zu gleicher Zeit ein Gegenstand öffentlicher Geringschätzung und eine Beute männlichen Uebermuths und männlicher Härte, von der nichts als neue Uebereilungen ihr eine Erlösung zu versprechen schienen. Ich bekenne, daß ich mir sie weit lieber als eine Verführte, Gefallene denke, deren Unglück mein Mitleid anspricht, da ungünstige Verhältnisse sie Stufenweise weiter auf den unrechten Weg drängten, wie als eine Lasterhafte, die durch eine schwarze Seele die himmlische Schönheit dieses Körpers entweihte, Mordgedanken hinter dieser anmuthigen Stirn verbarg, und schamlose Unsittlichkeit, zerstörenden Haß und Rachgefühle in diesem blendenden Busen hegte. Daher scheint mir die Anwendung des Spruches nicht unpassend auf sie: wer viel geliebt hat, dem wird viel vergeben werden.

In dieser Verdrehung des eigentlichen Sinnes jener Worte erkenne ich ganz den Diplomatiker, der gewohnt ist, seine vielseitigen Meinungen [128] unbestimmt auszudrücken, damit ihm stets ein Schlupfwinkelchen übrig bleibe, unterbrach ihn lachend die Grafin, Maria Stuart hat Viele geliebt, ob viel oder wenig – wer könnte das ergründen, und wenn er auch eben so tolerant wie Sie und noch bestochener vom Eindruck ihrer Reize wäre?

Ja gewiß, sagte Alexander, den Erna's Nähe und ihre holde Freundlichkeit allmählig in eine immer steigendere Begeisterung versetzt hatte, sie kannte in der Flatterhaftigkeit ihres gedankenlosen Leichtsinns die eigentliche Liebe, jene Himmelstochter, nicht. Sie, die nur einen Gegenstand mit der Gluth eines vollen Herzens umfaßt, nur einem das Daseyn und alle Kräfte eines durch sie geheiligten Gemüths zu widmen vermag, hätte die Unglückliche nicht so unsicher im Leben schwanken, und am Ende als Opfer ihrer eigenen frivolen Unbedachtsamkeit sinken lassen.

Er meinte in diesem Augenblick so herzlich was er sagte, er fühlte durch die Neigung, die so wahr und rein für Erna in seinem Busen aufgeflammt war, sein sonst profanes Wesen so veredelt, sich – im Endlichen das Unendliche ahnend – dem vorhergehenden Larvenleben so entrückt, und den wahren Werth des Daseyns, den er sonst im Schein und Schimmer suchte, in seiner eigentlichen Wurde anerkennend, daß es nur [129] eines fernen Entgegenkommens, nur einer leisen, aber bestimmten Hoffnung der Erhörung bedurft hätte, die unerschütterliche Basis in ihm zu gründen, die in jeder künftigen Versuchung ihn vor dem Fallen bewahrt haben würde.

16
XVI

Er verdiente es daher nicht, durch den eigenthümlichen, oft etwas stechenden Humor der Gräfin, auf eine schmerzliche Weise der Heuchelei bezüchtigt, und in Erna's Augen herabgesetzt zu werden.

Ei, ei! hub sie nämlich an, ihn schalkhaft mit ihren Blicken fixirend, wie so auf einmal verändert! Mir deucht, daß das Princip: Viele zu lieben, vor Kurzem noch ebenfalls ganz das Ihrige war, und daß Sie Sich durch Wort und That auch recht freimüthig dazu bekannten. Woher die plötzliche Metamorphose? Erhalten vielleicht gewisse Tugenden erst ihren Glanz durch Reibung an entgegengesetzten Fehlern? Oder wollen Sie – in allen Farben des Chamäleons schillernd – uns heute dadurch überraschen und ergötzen, daß Sie uns zeigen, wie Ihre Gewandtheit selbst das Heterogenste für [130] Ihren Charakter, die Maske der Beständigkeit, mit Anstand zu tragen versteht?

Der heitre scherzhafte Ton, in dem sie sprach, milderte zwar die Bitterkeit der Beschuldigung, die für Alexandern in ihren Worten lag, aber da sein Blick auf Erna, die dunkel glühend erröthet war, ihm bewies, daß der Fluch des Argwohns gegen ihn, der wie ein mephitischer Dampf sich aus dem bitteren Kelch ihrer früheren Erfahrung entwickelt hatte, jetzt von Neuem wieder ihr zutrauensvolleres Wesen vergiftete, fühlte er sich so ergrimmt gegen die leichtfertige Frau, daß er den unersetzlichen Schaden, den sie ihm, ohne es zu wissen oder zu wollen, that, auf das bitterste hätte an ihr rächen mögen.

Er nahm sich indessen zusammen, und strebte mit der Fassung eines Weltmannes, dessen Oberfläche stets ruhig scheint, wenn es auch im Innern tobt und brauset, durch eine ebenfalls scherzhafte, aber piquante Replik sich zu vertheidigen. Doch kostete es ihm wirklich Ueberwindung, ihr den Groll zu verbergen, der sein Herz erfüllte, und der, wenn er sich verrathen hätte, die leichte Neckerei schnell in das dornenvolle Gebiet einer förmlichen Entzweiung hinüber geführt haben würde.

Indessen war die Dämmerung eingetreten, und [131] mit ihr die Stunde des Mittagsessens, das sie erwartete. Ein liebliches Gemach von origineller Erfindung verband, den Mittelpunkt ausmachend, zwei lange Reihen von Gewächshäusern, in denen ganze Wälder der herrlichsten Orangerie mit Blüthen und Früchten prangten, und im vollen Schmuck des Südens der Schneehülle der Mutter Erde draußen spotteten. Stufenweis senkte sich von den hohen Wänden die Blumenfülle aller Zonen, so wie aller Jahrszeiten in zierlichen Gefäßen herab, mit süßem Duft die Nahenden begrüßend, und zahme Canarienvögel flatterten, jetzt vom Glanz der Lichter aus ihrer früh begonnenen Ruhe aufgescheucht, zwischen dem frischen Grün umher, und belebten es auf eine anmuthige Weise.

Anders aber war der erwählte Speisesaal decorirt, der durch verborgene Röhren sommerlichmilde erwärmt, in lieblicher Täuschung eine Felsengrotte darstellte. Große Granitblöcke, zum Theil bemoost, zum Theil mit Epheu und Gesträuchen umzogen, fügten sich, kunstvoll die Natur nachahmend, zusammen, und wölbten sich in bedeutender Höhe, einen weiten, luftigen Raum umschließend. Palmen, Cipressen und Laurus, mit weiser, gefälliger Oeconomie vertheilt und gruppirt, schienen schlank dem weichen [132] Moos des Bodens entsprossen, als sei hier ihre eigentliche Heimath. Ein reicher Quell ergoß von oben seine silberne Fülle rauschend als Wasserfall über mehrere Felsentrümmer, die ihn brachen und vervielfältigten, bis seine schäumende Fluth zu einem breiten Wasserspiegel sich sammelte, der alsdann mit sachterem Geplätscher in einem Becken von rohbehauenem Granit sich verlor.

Hier, durch schimmernde Lampen tageshell erleuchtet, fanden sie eine reich besetzte Tafel, und es bestätigte sich auch diesmal die alte, vielbewährte Erfahrung, daß – nicht der thierische Genuß des Gaumenkitzels – sondern die Fröhlichkeit des Beisammenseyns, das harmlose Ruhen aller Geschäfte und das unwillkührliche Verstummen mancher Sorgen unter munterem Geschwätz, eine wohlgeordnete gesellige Mahlzeit zu einer nicht unerheblichen Erholung und Lebensfreude zu machen pflegt. Heiterkeit und Scherz herrschte in dem kleinen aber frohen Kreise, jedoch ohne im mindesten die Gränzlinie zu überschreiten, welche die Charis vorzeichnet, denn man wurde gegenseitig traulicher, ohne dreist zu werden. Munter erklangen die Becher, mit des Bachus edelsten Gaben gefüllt, und selbst die Damen versagten es nicht, tropfenweise den Champagner [133] zu nippen, wozu die Männer mit wahrer Kriegslist, durch ausgebrachte Gesundheiten und sonstige heitere Veranlassungen, sie stets von Neuem zu verleiten suchten.

17
XVII

Anfangs hatte Alexander schüchtern nur von ferne Erna's Züge und ihre Stimmung beobachtet, und so lange er sie in sich gekehrt, nachdenkend und schweigend erblickte, fand der Frohsinn den Weg zu seinem Herzen nicht.

Doch bald klärte sich der trübe Nebel auf, der ihre Stirn umwölkte, und das schöne Auge hing nicht mehr, durch die gesenkten Wimpern verschleiert, am Boden, oder erhob sich ernst, von schmerzlicher Gedankenfülle umdüstert. Freier schaute es um sich her, in seiner eigenthümlichen, reinen, überirrdischen Klarheit strahlend, wie ein milder Stern, der aus höheren Regionen den Glauben an das Heilige und Ewige unauslöschlich in jede Seele senkt.

Kindlichen Sinnes, und die zarten Saiten ihrer Gefühle leicht bewegt, wie die vom leisesten Hauch bewegte Aeolsharfe, war ihr der Uebergang von tiefem Ernst zu mittheilender Fröhlichkeit [134] nicht schwer, und sie kehrte nur dann erst wieder zu der ihr von den Bemerkungen der Gräfin aufgedrungenen, einsylbigen Förmlichkeit zurück, als diese Letztere, die mit der Gesandtin in ein sie lebhaft interessirendes Gespräch gerathen war, beim Wegfahren plötzlich erklärte, daß sie den Platz bei derselben im Schlitten einzunehmen und den ihrigen Erna zu übertragen wünsche.

Ich werde Ihnen untreu, sagte sie zu Alexandern, aber ich mache Ihnen keine Entschuldigung, sondern ich erwarte Ihren Dank, da ich meine Stelle so würdig besetze.

Eben so ahnungslos, wie sie ihn vorhin beleidigt hatte, versöhnte sie ihn jetzt durch die Gelegenheit, die sie ihm gab, während der Stunde des Heimwegs Erna nahe zu seyn.

Ehe sie aber noch einstiegen, brachte ein heimlich von ihm beauftragter Gärtnerbursche einen Korb voll der lieblichsten Blumensträuße, die er unter die Damen vertheilte.

Eine wunderschöne Rose hatte sich der leichten Fessel entrissen, und war vereinzelt im Korbe zurück geblieben. Er wagte es, sie Erna noch insbesondere anzubieten, und streifte sorglich vorher die Dornen ab, die sie verletzen konnten.

Die Gräfin bemerkte es. Was thun Sie? rief sie aus. Sie rauben ja dem armen Röslein Wehr und Waffen, und machen es zu einem unnatürlichen [135] Unding. Denn eine Rose ohne Dornen – ist das nicht gerade, wie Liebe ohne Schmerz? Beides ist auf dieser prosaischen Erde nicht zu finden, und wer weiß, ob es sogar in den elisäischen Feldern, oder in Oschinnistan, und wie die sonstigen Domainen und Residenzen der Feen und Zauberer heißen mögen, zu Hause ist.

Der Natur nachzuhelfen, ist ja das schöne Vorrecht der Kunst, erwiederte er, wie nicht vielmehr der Verehrung, die dem zarteren Geschlecht so gern in der Liebe den Schmerz und an der Rose die Dornen sparen möchte.

Er reichte hierauf die nicht mehr verwundende Blume Erna ehrerbietig hin. Sie nahm sie an, und er hatte die süße Genugthuung, gewahr zu werden, daß sie, als sie sich unbeobachtet glaubte, sie tief in ihrem Zobelpelz verbarg, um sie vor dem kalten Athem der Winterluft zu schützen.

Jetzt mahnte das schallende Glockengeläute der Schlitten, das kunstmäßige Klatschen der Peitschen in den geübten Händen der Vorreuter, und der Schein der Fackeln, die den dunkeln Winterabend verklärten, an die Heimkehr.

Er bot Erna den Arm, sie in seinen Schlitten zu führen, und hüllte sie sorgsam in die reichen Tygerdecken desselben, die zum Schutz gegen die Kälte dienten. Der Gedanke, sie so gewissermaßen [136] für einige Zeit in seiner Gewalt zu haben, und sie furchtlos und ruhig der Leitung seiner Zügel sich hingeben zu sehen, durchzuckte ihn mit süßem Schauer, und weckte eine Reihe wehmüthig seliger Bilder in seiner Seele.

Ach – dürfte er so ihr künftiges Schicksal lenken, wie jetzt den Schlitten, der die theuerste Bürde trug! Gewiß – diese Ueberzeugung war ihm klar – sollte sie es nimmer bereuen, es ihm anvertraut zu haben.

Denn er fühlte sich ein ganz anderer Mensch geworden, als vormals. Sein vergangenes Leben paßte durchaus nicht mehr zu der inneren Welt seiner jetzigen Gesinnung, und er mochte kein doppeltes Daseyn in sich ahnen, wie so mancher in sich trägt, sondern glaubte fest, daß ein Herz, in dem ihr Bild herrsche, unwillkührlich sich zum Tempel der Reinheit und der moralischen Würde veredlen müsse.

Zuerst war die Unterhaltung zwischen ihnen sehr wortkarg. Ihm genügte es, sich stumm der Gewißheit zu überlassen, daß sie es sei, die er fuhr, und dies Gefühl, verbunden mit der eigenen Blödigkeit, die ihn in ihrer Nähe zu befallen pflegte, verschloß seine Lippen. Es schien ihm unbescheiden, hier, wo sie ihm nicht entrinnen konnte, die Rechte einer älteren Bekanntschaft geltend zu machen, und ihr irgend etwas[137] zu sagen, was sie an die Vergangenheit erinnern, und so in Verlegenheit setzen, oder ihren Unwillen reizen könnte. Er wagte es daher nur, von der Schönheit des Abends zu reden, der, trotz der Kälte, aus dem tiefen Blau des sternbesäeten Himmels, und aus dem blitzenden Schneegewand der Erde, durch den Fackelglanz röthlich erhellt, mit streng nordischer Anmuth sie ansprach.

Erna erwiederte einiges auf seine Bemerkungen. Der Ton ihrer Stimme war sanft und milde, und sie schien sich allmählig zu einer freiwilligeren Mittheilung zu bequemen, wenn diese gleich stets innerhalb der Schranken fremdartiger Zurückgezogenheit sich erhielt. So sprach und fragte sie manches, unter andern wollte sie wissen, wem das Landhaus gehöre, das, als sie den Weg zurückgelegt hatten, aus einer entblätterten Baumgruppe heiter mit seinen hellerleuchteten Fenstern von einer kleinen Anhöhe dicht am Wege ihnen entgegen schaute.

Er antwortete ihr, daß der Besitzer einer seiner Jugendfreunde sei, der früher bei seinem Regiment gestanden, seit Jahr und Tag aber seinen Abschied genommen, sich verheirathet, und diesen kleinen halb ländlichen halb städtischen Besitz, den er Sorgenfrei nenne, zu seinem beständigen Aufenthalt gewählt habe. Sie versetzte [138] hierauf, daß schon beim früheren Vorüberfahren die simple Eleganz der Bauart und die schöne Lage dieses Hauses ihr aufgefallen sei, und daß sie begreife, wie man recht gern an einer so lieblichen Stelle sich zeitlebens ansiedlen möge.

Unter diesem Gespräch hatten sie die Thore der Residenz erreicht, und nach wenig Minuten hielten sie vor dem Hotel des Gesandten still.

18
XVIII

Nicht ohne einen leisen Schauer von Wonne betrat Alexander die Schwelle, die zu der Wohnung der Geliebten führte.

Zwar konnte er sich denken, daß das Allerheiligste derselben, ihr Zimmer, ihm verschlossen bleiben werde; aber es waren doch dieselben Wände, die sie täglich umgaben, die er sehen, es war ihr häusliches Leben, das er beobachten sollte, und um keinen Preis der Welt hätte er das Recht vertauscht, sich nun mit eigenen Augen überzeugen zu dürfen, wie sie im engeren Kreise des heimathlichen Thuns und Wirkens sich bewege.

Ohne Pracht, aber in einem edlen, gefälligen Styl war die Wohnung des Gesandten eingerichtet, und man athmete bald unwillkührlich einen [139] Theil des Friedens und der ruhigen Heiterkeit ein, welche nicht allein innerhalb der einfach geschmückten Räume, sondern auch in den Gemüthern ihrer Bewohner herrschte.

Ein freundlicher Salon versammelte sie um den flammenden Camin. Erna hatte sich einen Moment entfernt, um ihren Pelz abzustreifen, und erschien nun in einer zierlichen Hauskleidung, sich, – als sei hier ihre eigentliche Sphäre, – mit Eifer und Lebendigkeit all der kleinen Geschäfte annehmend, die sonst der Wirthin obliegen.

Als der Thee gebracht wurde, trat auch Linovsky herein, und mit ihm eine alte Bekanntschaft Alexanders, Auguste nämlich, vor deren strengem, kalt ihn messenden Blick sein der unbefangenen Freude geöffnetes Herz, gleichsam krampfhaft erstarrend, sich wieder zusammen zog.

Sie schien nicht überrascht, ihn hier zu finden. – Dies war ihm ein Zeichen, daß Erna sie auf seinen Anblick vorbereitet hatte, da sie voraus wußte, er werde an der Gesellschaft Theil nehmen. Ohne Befremden, wohl aber mit einer gewissen frostigen Geringschätzung und mit jener Art von Scheu, mit welcher der Gesunde sich von dem Pestkranken abwenden würde, setzte sie sich neben ihn, und wurde ihm durch die Steifheit ihres ihm so offenbar abgeneigten Wesens [140] zu einer höchst drückenden, widerlichen Erscheinung.

Ganz sicher hätte sein beleidigter Stolz nicht so geduldig die schweigenden aber unverkennbaren Merkmale ihrer feindseligen Gesinnung hingenommen, wenn seiner Politik nicht die Nothwendigkeit eingeleuchtet wäre, sie als Erna's Freundin, die von je her einen fast mütterlichen Einfluß auf sie hatte, schonen zu müssen.

Er stellte sich also, als übersähe er ihr unverbindliches Betragen, und – ohne die allgemeine Höflichkeit zu vernachläßigen, setzte er sich wohlweislich durch keine Annäherung der Gefahr aus, ihre Stimmung gegen ihn noch deutlicher als durch diese stummen Kennzeichen von ihr ausgesprochen zu sehen.

Eine Beobachtung, die er im Stillen machte, gab ihm indessen von der einen Seite das Wohlbehagen wieder, das von der andern ihm geraubt worden war.

Denn er glaubte nämlich zu bemerken, daß zwischen Linovsky und Augusten ein Verhältnis existire, dessen Eigenthümlichkeit ihnen wenig Rücksicht auf Erna zu nehmen gestattete.

Es herrschte zwischen ihnen ein so achtungsvoller, inniger und zutraulicher Ton, daß man sie leicht hätte für ein Paar Verlobte halten können, die – nicht aus Leidenschaft, sondern aus [141] Vernunft, ruhiger Ueberlegung und ächtem Wohlwollen sich gegenseitig fürs ganze Leben erkoren haben.

Er begegnete ihr mit der zartesten Aufmerksamkeit, faßte jede ihrer Aeußerungen auch in der leisesten Beziehung auf, richtete hauptsächlich an sie alles, was er sprach, und schien, sie nie aus den Augen verlierend, ihrem Urtheil stets das seinige zu unterwerfen.

Sie hingegen nahm, als gebühre es ihr so, seine freundliche Beflissenheit um sie wie ein Recht auf, an das ein engeres Verhältnis ihr Ansprüche gegeben. Sie hörte ihm am liebsten zu, wenn er redete, und mußte sie bon gré mal gré jemand Anderm ihr Ohr leihen, so lauschte sie doch wenigstens auf seinen Ton, und strebte, an dem, was er unterdessen sagte, Theil zu nehmen, so wie sie in allen streitigen Punkten der Unterhaltung ihn gleichsam als die höchste Instanz zu betrachten und zu ehren schien. Widersprach sie auch zuweilen einmal seiner Meinung, so geschah es auf eine Art, welche deutlich bewies, daß nur das Verlangen, den Faden des Gesprächs mit ihm weiter fortzuspinnen, aber keine der seinigen entgegengesetzte Ueberzeugung sie dazu vermochte.

Alle diese kleinen, oft so charakteristischen Züge, die auf Liebe hinzudeuten pflegen, gossen in [142] Alexanders, durch Eifersucht leicht aufgeregtes, stürmisches Gefühl, eine linde Beruhigung über diesen Punkt, und er gönnte der blassen, verbleichten Auguste, so zuwider sie ihm auch war, den offenbar für sie zu schönen und jugendlichen Verehrer, da ihm dadurch die Sorge, er möchte sich um Erna bewerben, vom Herzen fiel.

Die Gräfin, deren lebendig regsamer, Sinn stets, auch bei der angenehmsten Unterhaltung, nach Abwechselung verlangte, foderte Erna auf, Musik zu machen. Ohne sich lange zu weigern, setzte sie sich zum Fortepiano, und bat Linovsky um seine Begleitung mit der Violine.

Welch ein neues Talent entfaltete jetzt die Hochbegabte, sie, die mit der herrlichsten Blüthe aller Eigenschaften, welche das Vollkommene bezeichnen, eine Anspruchslosigkeit verband, die durch den Zauber der Bescheidenheit den Zauber ihrer Kunst noch erhöhte.

Ihre zarten Finger schienen, leicht wie ein Gedanke, über die Tasten hinschwebend, beseelte Sprachwerkzeuge zu seyn. Sie weckte die schlummernden Töne mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, mit der nur die tiefe Bedeutung verglichen werden konnte, die den herzgewinnendsten Ausdruck in jede Note zu legen wußte.

Als sie nun die volle, silberhelle Stimme erhob, sie mit ihrem trefflichen Spiel zu verschmelzen, [143] da enthüllte sich der Umfang ihrer Kunst ganz in der Entwirrung der schwierigsten Passagen, in den überraschendsten Läufern, in den meisterhaftesten Intervallen, so wie die Tiefe ihres Gefühls, der Melodie erst durch die reinste Intonation eine Seele verleihend, im erschütternden Ausdruck gewaltsam hervorbrechender Leidenschaft, mild besänftigt durch den schmelzenden Erguß sanfter Empfindung, und dann wieder im erhabenen Schwunge ernsten Gesanges wie ein frommer Gedanke sich aufwärts zu den Sternen erhebend, sich aussprach.

Süß berauscht hatte Alexander den erquicklichen Strom dieser gleichsam einer höheren Sphäre entquollenen Töne in sich gesogen, und – so seelenvoll auch Linovsky's Spiel auf der Violine war – doch nur Erna's Laut vernommen, nur ihr auf den Schwingen ihres göttlichen Gesanges in den dritten Himmel folgend, aus welchem das prosaische Applaudissement der Gräfin ihn jetzt rauschend und störend herab zog.

Er vermochte es nicht über sich, Erna auch nur mit einem einzigen Worte zu bezeugen, wie sehr sie ihn gerührt, entzückt und erschüttert habe. Worte dünkten ihn in diesem Augenblick der herrlichsten Ergreifung die Herrlichkeit der Gefühle zu entweihen, die noch im leise verhallenden Nachklang so tief und innig ihn durchbebten.

[144] Aber als sie nun aufstand, und – wenn ihn nicht alles täuschte – ihr Blick, gleichsam verschämt und schüchtern ihn, ihn vor Allen, zu suchen schien – als ihr der seinige begegnete, der flammend nur anihr hing – da – er las es in ihrer lieblichen Verwirrung – da – das wußte er gewiß – konnte kein Zweifel an dem unauslöschlichen Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte, Raum in ihrer Seele finden.

Sie setzte sich wieder zu ihrer Arbeit nieder, und das tief gesenkte Auge fest auf die Stickerei heftend, mit der sie eben beschäftigt war, gewann sie bald ihre gewöhnliche Unbefangenheit wieder. Die Gesandtin, welche unterdessen von ihren Lieblingsgesängen, den eigentlichen Volksliedern, gesprochen hatte, die oft, nicht nur das innerste Gepräge des Nationalcharakters ausdrückend, sondern auch die ehrwürdigen Sagen grauer Vorzeit in frommer Einfalt festhaltend, kunstlos und rührend zum Herzen dringen, weil sie vom Herzen abstammen, bat Erna, einige derselben, die sie auf ihren gemeinschaftlichen Reisen gelernt habe, zu singen, und sie that es ohne alle musikalische Begleitung, nur durch ihre graziöse Mimik unterstützt, welche sie so ganz der kindlichen Eigenthümlichkeit der Gesänge, die sie vortrug, anzupassen wußte.

Zuletzt erinnerte sie die Gesandtin noch an ein [145] kleines Lied, das sie einst in Frankreich von einer Prozession junger Mädchen gehört hatten, die, ein Christuskindlein in einer kleinen Kapelle am Wege bekränzend, es sangen, und das sowohl dem Inhalt als der Melodie nach sich ihnen damals tief eingeprägt hatte. Es bestand blos in diesen vier Zeilen:


Doux enfant Jesus!
Donne moi le Saint Esprit,
Et toutes les vertus
De ta mère Marie, Marie, Marie.

Alle hörten bewegt diese Worte an, die durch Erna's reine, jetzt sanft gedämpfte Stimme und eine ganz eigene kunstlose, aber die innersten Saiten des Gefühls berührende Melodie sich unaufhaltsam durch das Ohr ins Herz stahlen.

Die Gesandtin erzählte, daß die Sängerinnen meist nur erst zwölfjährige Kinder gewesen wären, welche mit ihren leichten, fast ätherischen Gestalten, in ihrer südlichen Blässe, mit dem dunklen Haar und Augen, in denen eine schwärmerische Andacht sich mit dem Ausdruck der Unschuld ihres zarten Alters gepaart habe, ihr wie eine Schaar Verklärter erschienen wären. Sie habe sich der Thränen nicht enthalten können, und wisse noch selbst nicht, ob der Anblick der weißgekleideten, geisterhaft an ihr vorüberschwebenden Kinder, oder die rührende Weise ihres Liedes am meisten auf sie gewirkt habe.

[146] Alexander achtete wenig auf das, was sie sagte. Nur mit einem Gegenstand beschäftigt, konnte er sein Auge von Erna nicht losreißen, die mit einer so milden, lieblichen Frömmigkeit in ihren Zügen dies kleine Lied gesungen hatte, daß unwillkührlich alle seine Gefühle in ihm riefen: Himmlische! das Gebet, das eben von deinen Engelslippen erklang, ist schon erhört. Alle Tugenden, die die Mutter Gottes zieren – Demuth, Würde und Reinheit – alles, alles ist bereits dein herrliches Eigenthum. Flehe nicht um mehr! – – wie dürften sterbliche Wesen es dann jemals wagen, sich dir hoffend und liebend gegenüber zu stellen? –

19
XIX

Das Abendessen versammelte die Gesellschaft traulich um einen runden Tisch, wo die Unterhaltung allgemein wurde, und bald sich leicht und ungezwungen um verschiedene nicht uninteressante Gegenstände bewegte.

Der Gesandte, der unter der Hülle äußeren Ernstes einen heitern, jovialischen Sinn verbarg, fand Vergnügen daran, mit der Gräfin, deren neckend muntere Laune ihn anzog, einen immerwährenden kleinen Krieg zu führen.

[147] Nicht aus einem gewissen Geist des Widerspruchs, sondern um sie stets von Neuem anzuregen, und ihr Gelegenheit zu geben, ihrem Muthwillen freien Lauf zu lassen, bildete er stets ihre Oppositionsparthei, und bestritt, sie gern zuweilen selbst bis zu leichtem Unwillen reizend, alles, was sie sagte und behauptete.

So ergriff er auch jetzt wieder lebhaft die entgegengesetzte Meinung, um sie zu vertheidigen, als die Gräfin über ihr Lieblings-Thema, die Unbeständigkeit der Männer, gerathen war, und der weiblichen Beharrlichkeit in Lieb und Treue und allem Guten das Wort redete, und besonders bestritt er die auch von ihr in Schutz genommene, und als etwas Heiliges und Unauslöschliches betrachtete erste Liebe, der er durchaus nur in der Reihe der Irrthümer und der Selbsttäuschungen ihren Platz anweisen wollte.

Denn er erklärte geradezu, es gehöre zu den Chimären des Menschen, und insbesondere der Frauen, an die Ewigkeit einer ersten Liebe zu glauben, und man müsse den Schwachen, irgend eines Stabs Bedürftigen auch diesen Wahn nicht rauben, da man ihnen nicht leicht eine Entschädigung dafür geben könne.

Aber bei Mann und Weib sei die erste, zweite, dritte Liebe gewöhnlich ein Fehlgriff, der sich bitter bestrafe, wenn das Herz nicht [148] Kraft genug habe, sich aus Banden leise zurückzuziehen, die alles Glück stranguliren würden, wolle man sie nur aus Pflichtgefühl enger noch zusammen knüpfen. Denn, fuhr er fort, wie der junge Adler seine Flügel prüft, und, vom Instinkt getrieben, von mütterlichem Nest hinwegflattert, um bald den Wipfel eines Baums, bald ein sonniges Thal zu erreichen, so strebt auch der jugendliche Sinn zu jener Vereinigung, die ihm Vollendung dünkt. Doch des jungen Adlers Versuche mislingen oft, denn ehe ihm die Flügel nichtrecht gewachsen sind, können sie ihn nicht mit Sicherheit tragen. So auch die Liebe des Menschen. Jene feste, dauernde, treue Liebe, die unser eigentlichstes, wahrstes Glück gründet, kann nur aus sogenannter Untreue hervorgehen, wie der Phönix der Fabel sich aus der Asche empor hebt. Denn erst nach mehreren Versuchen weiß das Herz, was es bedarf zur Erwiederung seiner innigsten Gefühle. Früher wirkte Zufall, Stimmung, misverstandene Sinnlichkeit und Wunsch, die innere Leere ausgefüllt zu sehen, auf unsere Wahl, und wir reichen voreilig dem Wesen, das uns entgegen tritt, die Hand, und wähnen nun, der ganze dunkle Raum der Zukunft müsse sich in ein blühendes Paradies verwandeln. Doch – nach und nach werden die goldenen Illusionen zu Flittergold,[149] das rauschend von verwelkten Kränzen abfällt – wir finden uns getäuscht und täuschen wieder, indem wir gewaltsam uns zum Worthalten von Dingen zwingen wollen, die sich eigentlich gar nicht versprechen lassen. Endlich ist der Freiheit Kleinod wieder errungen, und vorsichtiger wagen wir den zweiten Versuch; denn darin gleicht das Herz dem Taucher, der doch wieder ins Meer hinabstürzt, wenn er gleich mehrere Muscheln heraufgebracht hat, in denen keine Perle war. Finden wir auch hier nicht dies Echo eines vollharmonischen Gemüths in der Brust, der wir zum zweitenmal die Krone des Lebens reichten – nun so schrecken die Mistöne, die wir vernehmen, uns schon leichter wie das erstemal, der dritten Liebe zu, und so fort und immer fort, bis wir endlich finden, was uns noth thut, oder bis wir auch verzagen, und zweifeln müssen, daß es auf Erden existirt.

Ich glaube gern, daß Sie diese schönen Erfahrungen aus der Wirklichkeit, oder vielmehr aus ihrem eigenen Leben entlehnt haben, unterbrach ihn die Gräfin, und begreife nun um so leichter, woher es kommt, daß sich die meisten Männerherzen so abnutzen, daß sie nur in Trümmern und einzelnen Bruchstücken, oder wie eine Münze, an der das Gepräge verwischt ist, das Ziel erreichen.

[150] Die Herzen, deren Gepräge sich verwischen, antwortete der Gesandte lachend, sind nur Fleischklumpen, von der warmen Blutwelle zu thierischen Funktionen, nicht zu jener höheren Sehnsucht getrieben, die ja eigentlich nur allein die Ursache des sogenannten männlichen Wankelmuthes ist. Wie die frische Quelle sich ewig erneut, so viel auch aus ihr geschöpft wird, so – nur immer mehr gereinigt durch das Sandbad der Erfahrung – ist auch ein reich ausgestattetes liebefähiges Herz, habe es sich auch noch so oft vorher, vom Wahn verblendet, hingegeben.

Uebrigens will es denn doch auch verlauten, daß die so hoch gerühmte weibliche Beständigkeit schon vom Anfang der Welt an gar manchen Anfechtungen, nicht nur unterworfen gewesen, sondern aucherlegen ist, und daß besonders bei Ihrem Geschlecht sich der alte Satz bewährt, daß – wenn die Sonne untergegangen, dann die Sterne zu flimmern beginnen, c'est à dire, wenn ich eine freie Uebersetzung dieser Behauptung hinzufügen darf: wenn der Geliebte abwesend, oder heimgegangen ist, wie die Herrnhuther zu sagen pflegen, so fangen auch geringere Subjekte an zu interessiren – sind überall als Lückenbüßer und um den Triumphwagen der Damen desto rascher zu ziehen, gar nicht überflüssig und unwillkommen.

[151] Die Gräfin wollte schlechterdings dies nicht zugestehen. Doch fand sie, daß sie mit sehr ungleichen Waffen gegen ihren Widersacher kämpfe, indem er, der schlaue Diplomatiker, vermöge seines Berufs, schon gewohnt sei, sich und Andere durch allerhand glänzende Scheingründe sophistisch zu bestechen, und die Wahrheit – wenn auch nicht geradezu zuverläugnen, doch so zu verdrehen, daß sie am Ende alles Andere, nur nicht Wahrheit, sei. Sie foderte die übrigen anwesenden Damen auf, sie doch nicht allein sich aufopfern und den Märtyrertod für den Ruhm ihres Geschlechts sterben zu lassen, sondern ihr beizustehen. Alle aber fanden ihre Angelegenheiten in den besten Händen.

So wandte sie sich zuletzt denn an Alexander. Sie, den ich heute zu meinem Ritter erwählt habe, sagte sie, dessen Pflicht es ist, jeden Unglimpf zu rächen, der mir widerfährt – können Sie so ruhig anhören, wie man uns arme wehrlose Frauen, und vor allen mich, ihre Stellvertreterin, kränkt und verläumdet? Wenn Sie auch nicht meine Farbe tragen, so heben sie doch wenigstens ritterlich den Handschuh auf, den dieser durch die dritte, vierte Hand liebende Held mir so höhnend zuwirft!

Gewiß, gnädige Frau, antwortete er, es ließe sich für keine schönere Veranlassung eine [152] Lanze brechen, und sie finden mich hier, wie immer, zu Ihrem Dienste bereit. Ich erkenne und ehre die weiblichen Tugenden viel zu sehr, um Beständigkeit, eine der herrlichsten derselben, zu bezweifeln, und mein eigenes Gefühl, ich darf sagen, meine eigene Erfahrung hat schon früher in mir gewagt, den Beschuldigungen Sr. Excellenz zu widersprechen. Denn, was bei dem weniger zart organisirten Mann möglich ist: die Gewalt des ersten unauslöschlichen Eindrucks sich fürs ganze Leben zu bewahren – wie sollte dies nicht bei den Frauen noch weit natürlicher und unerläßlicher seyn – bei ihnen, deren Gemüth der geweihte Tempel einer jeden Gottheit ist, die wir Unschuld, Treue, Reinheit und Liebe nennen? Und wir – hier berührte sein funkelnder Blick schüchtern im Vorüberstreifen Erna, die sogleich verlegen die großen Augen senkte – wir denken, wenn uns einmal eine Sonne warm und wahrhaft durchglüht hat, ewig an den schönen Strahl zurück, und bemerken weder Nebensonnen noch Sterne, wenn sie auch noch so hell glänzen.

Nun fürwahr, unterbrach ihn die Gräfin mit der ihr eigenen Art zu scherzen, indem sie aufstand, ritterliche Galanterie traute ich Ihnen zu, mir beizustehen, nicht aber, daß Sie, von Ihren Gefühlen und Erfahrungen unterstützt, [153] ein Lobredner der Beständigkeit werden, und sie sogar unter die Eigenschaften des männlichen Charakters, und des Ihrigen insbesondere zählen würden. Das übertrifft meine Erwartung, und die diplomatische Excellenz wird sich nun gewiß auch ohne Blutvergießen für überwunden erklären. Daher darf ich jetzt auf einen ehrenvollen Rückzug denken, da die Mitternachtstunde ohnehin nach einer weisen häuslichen Polizeieinrichtung die letzte seyn sollte, die man außer dem Bette zubringt.

Heiter wie man zusammen gewesen war, ging man auseinander, und Alexander nahm, als den letzten Gewinn dieses reichhaltigen Tages, die Einladung des Gesandten mit auf den Weg, so oft er nur immer selbst wolle, seinen Besuch zu wiederholen.

20
XX

Daß er – wiewohl mit all' der Bescheidenheit, die dem seingebildeten Manne ziemt – von dieser Erlaubnis Gebrauch machte, versteht sich von selbst, und da die Anmuth seiner Persönlichkeit und der feine Tact fürs Schickliche, der ihm angeboren war, ihn wirklich zu einem sehr angenehmen Gesellschafter machte, durfte er bald keinen [154] Tag mehr im Hause des Gesandten fehlen, ohne sich vermißt, um die Ursach befragt und aufgesucht zu sehen.

Mächtiger noch als diese freundlichen Veranlassungen zog ihn die eigene Neigung und die Wunderkraft an, die durch Erna's Schönheit eine so unwiderstehliche Gewalt über ihn übte. Immer fester webten sich die Zauberfäden, die ihn an sie fesselten, und je mehr er Gelegenheit hatte, sie im engen häuslichen Kreise zu beobachten, wo das Gemüth sich freier als in großen geräuschvollen Zirkeln entschleiert, oder wenigstens sich öfterer unwillkührlich verräth, je mehr bestärkte sich die Ueberzeugung in ihm, daß die liebenswürdigen Eigenschaften ihres Charakters die Reize ihrer Gestalt und die seltene Ausbildung ihrer Talente noch übertrafen.

Zwar schien sie, ihm gegenüber, sich unerschütterlich fest innerhalb der sich streng vorgezeichneten Gränzlinie einer vorsichtigen, selbst kalten Zurückhaltung erhalten zu wollen; aber ihr Wesen, in dem jede Regung Ausdruck der reinsten Natur und der Wahrheit war, konnte nur mühsam und doch nicht täuschend erkünsteln, was sie nicht empfand.

Wenn zuweilen sein Auge plötzlich sie faßte, schien eine rührende Wehmuth in dem ihrigen zu schwimmen, und zarte Theilnahme, die sich [155] durch eine stete leise Achtsamkeit auf alles, was er sagte und that, verrieth, bewies ihm, daß eine geheime Stimme – ihr selbst vielleicht kaum vernehmbar – für ihn in ihrem Busen sprach.

Daß der öftere Wechsel ihrer Farbe, wenn er ihr insbesondere nahte, oder vorzugsweise sie unvermuthet anredete, eher aus einer Aufwallung des Wohlwollens als der Abneigung oder des Unwillens entstand, durfte er, wenn er wahr gegen sich selbst seyn wollte, nicht bezweifeln.

Denn sie duldete seine Bemühungen um sie, wenn sie sich auch Mühe gab, sie scheinbar zu übersehen. Sie wich nicht scheu zurück, wenn er sich mit der eifrigen Gewandheit, als gälte es einen Thron zu erobern, herbei drängte, den Platz neben ihr am Theetisch oder bei der Tafel zu erhaschen, und hatte ihn irgend einmal Konvenienz oder Klugheit gezwungen, dies süße Ziel seines täglichen Strebens einem Anderen zu überlassen, so dünkte ihn eine unbefriedigte Stimmung in ihr und ein leiser Anstrich von Schwermuth in ihren Zügen es zu beklagen. Wie die Sonnenwende die Blüthe ihres Antlitzes stets dem Strahle entgegen neigt, in dem allein sich die erhöhte Kraft ihres Daseyns spiegelt, so war alsdann auch ihre Aufmerksamkeit nur ihm zugewandt, so viel nämlich [156] feiner Weltton und gesellige Rücksichten es nur immer gestatteten.

Gleichwohl, wenn auch alle diese kleinen verrätherischen Kennzeichen eines nicht unbefangenen Herzens ihm Muth gaben, einer förmlichen Erklärung näher und immer näher zu rücken, so vermochte doch schon die zarteste Aeußerung seiner Gefühle, sobald er ihr Worte zu leihen wagte, sie sichtbar zu verschüchtern, und statt einen Schritt vorwärts dadurch auf der Bahn seiner Hoffnung zu gelangen, fand er sich immer um mehrere dadurch zurückgesetzt.

Durch solche Erfahrungen gewitzigt, hüthete er sich wohl, ihr irgend eine Schmeichelei zu sagen, aber unvermerkt wurde sein Ton gegen sie herzlich, und dies schien ihr nicht zu misfallen, ja sie erwiederte sogar zuweilen, wenn es ohne Beziehung auf sich selbst geschehen konnte, die trauliche Innigkeit, mit der er sich an sie anschloß, indem sie mit warmem Antheil ihm zuhörte, und in das, was er erzählte oder behauptete, einging. So wie er aber ihre mild erweichte Stimmung benutzen wollte, sie in ein näheres, heißer von ihm ersehntes Interesse zu ziehen, schien der finstere Genius der Vergangenheit sich wieder zu regen, und mit seinen eiskalt beschattenden Fittigen jeden hellen, freundlichen Eindruck in ihr zu verlöschen. Sie zog sich alsdann, [157] ihm ausweichend, gleichsam in sich selbst zurück, und träumend, sinnend, trauernd, als bemühe sie sich vergebens, die Widersprüche eines dunklen Schicksals zu lösen, dauerte es lange, ehe die genaueste Wachsamkeit auf sich selbst von seiner Seite sie wieder in das vorige ruhige Gleis des freundlich unbefangenen Umgangs zurückbrachte.

Deshalb aber verzagte er keineswegs. Nicht mit stürmender Hand, das fühlte er wohl, durfte er dem mit dem heiligsten Flor bedeckten Geheimnis ihres Lebens seinen Schleier entreißen. Von selbst mußte er dereinst fallen, wenn eine immer nähere Bekanntschaft mit ihm sie nach und nach überführt hatte, daß seine Fehler gebessert, seine Tugenden nicht mehr zufällig, sondern auf die sichere Basis fester Grundsätze gestützt waren, und da er sich wirklich besser fühlte, und auf dem Wege, es mit jedem Tag mehr zu werden, so rückte sein nicht auf Eigendünkel, sondern auf das Bewußtseyn seines moralischen ihm zurückgegebenen Werths gegründetes Selbstvertrauen das schöne Ziel, wo er sie sein nennen dürfe, in keine allzu ferne Zukunft hinaus.

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21
XXI

So sehr er, hier nicht aus Wohlwollen, sondern lediglich um seines Vortheils willen, sich bemühte, Augusten nach und nach wieder mit sich zu versöhnen, um sie für seine Wünsche zu gewinnen, da eine solche Fürsprecherin ihm die ersprießlichsten Dienste zu leisten im Stande gewesen wäre, so wenig wollte es ihm doch gelingen.

Sie fuhr fort, ihn als einen Menschen zu behandeln, den sie ganz durchschaut, und mit Recht ihr Zutrauen und ihre gute Meinung entzogen hatte. In ihrem Liebling Erna fühlte sie sich damals so empfindlich beleidigt, daß sie ihm weit eher die ihr selbst zugefügte Kränkungen verziehen haben würde, als den Schmerz, dies fromme, reine, schuldlose Opferlamm seines Leichtsinns und seiner Härte so hinwelken zu sehen, daß nur nach und nach Zeit, Vernunft, Religion und die abwechselnden Zerstreuungen weiter Reisen ihr den Becher körperlicher Genesung zu reichen vermochten.

Nun ahnete sie freilich im menschlichen Gemüthe jene tief verborgene göttliche Kraft, welche fähig ist, den Gefallenen wieder aufzurichten, und den Verirrten auf den rechten Weg zurück zu leiten; aber Erkenntnis, Reue und fester Wille, und vor allem Wahr heit des Charakters, [159] schienen ihr die unerläßlichen Erfordernisse, durch die selbst der tief Gesunkene sich wieder zu erheben im Stande sei. Hier aber, ihm gegenüber, der einst ein so grausames Spiel mit dem edelsten Herzen getrieben, konnte sie bei aller Güte ihres selbst so reinen Sinnes sich kein anderes Urtheil abzwingen, als daß er auch jetzt nur auf dem faulen Morast der Lüge das Gebäude seiner sinnlichen Wünsche zu erreichen strebe, und jeder lichte Strahl, der als Zeuge einer geläuterten Gesinnung aus seiner veredelten Seele blitzte, schien ihrem Unglauben an ihn ein täuschendes Irrlicht, auf Sümpfen erzeugt, unfähig mit seinem falschen Schimmer das Leben ihrer Erna zu verklären, sondern nur vom listigen Betrug ausgesandt, ihren frommen Sinn von Neuem zu verlocken.

Sie verhielt sich daher mit unbestechlicher Strenge immer in den abgemessenen Formen kalter Höflichkeit gegen ihn, und versagte gern ihm auch diese, wenn es zuweilen unbeobachtet geschehen konnte. Denn der Ruf seines Leichtsinns und seiner Frivolität, den selbst die verbreiten halfen, die seine vorzüglichen geselligen Eigenschaften an ihm schätzten und seinen Umgang suchten, verglichen mit ihren früheren Erfahrungen, mit seinem eigenen Geständnis, daß erReligion nur als ein Phantom betrachte, das Volk[160] zu schrecken, und daß der Schein ihm die Wirklichkeit jeder Tugend aufwiege, alles dies bei der selbst erprobten Gabe, sich so täuschend zu verstellen, daß sie ihn einst für einen sehr guten Menschen gehalten hatte, flößte ihr neben dem unüberwindlichsten Mistrauen auch den entschiedensten Widerwillen gegen ihn ein.

So gelang es ihm auch nicht, sich mit Linovsky zu befreunden, woran ihm freilich im Ganzen weit weniger lag, da der tiefe Ernst desselben, seine oft schwermüthigen Ansichten und seine Zurückgezogenheit von allen rauschenden Freuden des Lebens ihn eher zurückstießen, als anzogen. Aber da er nicht bezweifeln konnte, daß Auguste ihm eine üble Meinung von ihm beigebracht, so hätte er sich gern den Triumph gewährt, sie durch eine genauere Bekanntschaft zu entkräften und in Wohlwollen umzuwandeln. Als jedoch mehrere Versuche, den Sonderling gegen sich umzustimmen, vergebens blieben, gab er die Idee, sich ihm nähern zu wollen, auf, und begegnete ihm mit derselben wortkargen Gleichgültigkeit, die von Linovsky's Seite das einzige Resultat seiner freundlichen Zuvorkommenheit gewesen war.

Die Bemerkung, daß Erna gerade dann am herzlichsten gegen ihn war, wenn Auguste oder Linovsky, schroff und unzugänglich wie der Felsen [161] im Meer, seine gefällige Annäherung aufnahmen, war ihm ein tröstlicher Beweis, daß sie das ungünstige Vorurtheil gegen ihn nicht mit ihnen theile, ja es misbillige, daß sie es nicht einmal der näheren Untersuchung werth zu halten schienen, um davon zurückzukommen.

Oft ruhte ihr holder ausdrucksvoller Blick bittend auf Augusten, als wolle er sie anflehen, das Zurückstoßende ihres Benehmens gegen ihn zu mildern – oft suchte sie durch ein freundliches Wort, das sie an ihn richtete, den Unmuth in ihm wieder zu verlöschen, den die stets abgezirkelte, fast geringschätzige Förmlichkeit ihrer Freundin nothwendig in ihm erregen mußte. Er fühlte sich reichlich durch dieses leise, aber wohlthuende Bestreben ihrer alles Bittere so gern lindernden Güte entschädigt, und wagte sie für mehr als dies, für das Zeichen eines individuellen, innigeren Antheils zu halten, den er sich immer mehr zu erlangen und zu verdienen bemühte. Um die ihm Abgeneigten bekümmerte er sich bald eben so wenig, als sie sich um ihn.

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22
XXII

So waren zwei Monate vergangen, die glücklichsten und bedeutungsvollsten seines Lebens – durch Hoffnung gewürzt, wenn gleich oft durch Sehnsucht vergiftet, die sich noch so fern von ihrem Ziele fühlte. Sein Inneres glich einem tiefen Meere, in dessen Schooße – wenn auch die Oberfläche oft glatt und still das Bild des Himmels auf den geebneten Wellen trägt – doch eine ewige Bewegung gährt, die jeder leise Hauch von außen schäumend und tosend aufwühlen kann. Er befand sich in einer steten Reizbarkeit, alle seine Gedanken nur auf einen Punkt concentrirt – alle seine Wünsche nur einen Gegenstand umschlingend. Bisher war Freiheit das Element seines Daseyns gewesen, und alles Bedingende ihm verhaßt wie Kettengerassel, und jetzt – o wie schmachtete er nach den heiligen Banden, die ihn zu Erna's ewigem Eigenthum weihen, die ihn an die selige Beschränkung eines stillen häuslichen Lebens knüpfen sollten!

Gleichwohl, so deutlich er fühlte, daß es ihm nicht möglich sei, den Zustand dieser Ungewißheit ferner zu ertragen, so würde er doch vielleicht noch lange mit seiner Erklärung gezögert haben, wenn ihn nicht einst ganz unvermuthet die Gräfin bei Seite genommen, ihm zu vertrauen, [163] daß morgen Erna's Geburtstag sei, den sie mit einem Ball zu feiern gedenke, der ihr aber lediglich als Impromptü erscheinen solle. Ihm war, als riefe jetzt die Stimme seines Schicksals mit unwiderstehlicher Allmacht ihm zu: Laß diesen Tag, der sie einst der Erde gab, entscheiden, ob sie für dich geboren wurde!

In welchem Aufruhr seines ganzen Wesens brachte er die Nacht zu, die diesem Tage vorausging! Schlaflos warf er sich auf seinem Lager umher, an den baldFurcht, als gräßlich drohende Erscheinung, baldHoffnung, als milder Genius seiner dunklen Zukunft, ihm vorüber schwebte. Der erste Schein der Frühe rief ihn auf und hinaus ins Freie. Es war ein kalter Märzmorgen. Blinkender Reif ruhte wie ein weißes Leichentuch auf der Erde, und die blätterlosen Bäume streckten, gleich starren Gerippen, ihre nackten Zweige in die nebelhauchende Luft. Alexander empfand wenig von dem frostigen Einfluß der Atmosphäre. In ihm loderte eine Glut, die sich an dem Altar der heiligsten Sehnsucht entzündete, und die ihn wärmte, als wandele er unter den brennenden Strahlen der Juliussonne einher. Sonderbar erschüttert war sein Gemüth, und ein gar anderer Geist als sonst schien durch die Natur zu wehen, und ihn so innig mit allen winterlichen Erscheinungen zu befreunden, als sei [164] es Fülle des Lenzes, die mit Blüthenhauch ihn umschmeichele.

Jetzt regte der Morgenwind seine Fittige, flammend erhellte sich der Osten, und ein herrliches Morgenroth wandelte der Sonne voran, die die Nebel zerstreute. Ihm war so wunderbar zu Muth – mit Wehmuth kämpfend athmete seine beklommene Brust gleichwohl mit vollen Zügen ein frisches, freudiges Gefühl des Daseyns ein. Die glanzumsäumten Wolken zogen wie goldene Träume über ihn hin, und das ferne Jenseits, dessen Schwelle das Grab ist, erschien ihm hinter der purpurnen Pforte des Morgens, alle Schauer der Unsterblichkeit in seiner ernsten Gedankenfülle erweckend. Ein seit seinen Knabenjahren durch Leichtsinn und frivole Zerstreuungen gebannter Geist, der Geist des Gebets, zog heiligend in seine Seele, und belebte ihre öde Tiefe mit frommen Vorsätzen und würdigen Entschlüssen. Thränen stiegen in sein Auge, und sich selbst das Gelübde ablegend, gut und immer besser zu werden, ging er wieder zu Haus, die Empfindungen, die sich in ihm regten, in einen Brief an Erna zusammen zu fassen.

»Ich würde mein Unrecht verdoppeln, wenn ich es zu verringern strebte,« schrieb er. »Daher bekenne ich es frei, Erna! daß die Vergangenheit, wie eine rächende Nemesis, [165] neben mir durchs Leben geht, und mich bitter mahnt an die Vergehungen meiner unbesonnenen Jugend.«

»Ich habe Sie einst beleidigt, und gewaltsam von meinem Herzen verscheucht. Meine Bestimmung wollte, daß mir erst spät der Werth in seiner ganzen himmlischen Klarheit erschiene, der Sie jetzt in meiner Ueberzeugung zu der Ersten und Einzigsten Ihres Geschlechts erhebt. Aber Erna – ich halte mich an die Worte, die Sie einst aus dem Innersten Ihrer Seele sprachen, und die seitdem die Losung meiner stillen Träume, der Grund meiner seligsten Hoffnungen geworden sind. Die Liebe überwindet alles, und vergiebt alles! Sie haben mich einst geliebt, als ich dies Glück noch nicht verdiente. Jetzt, wo ich es in seinem ganzen Umfang erkenne, und mich nach ihm sehne, als nach dem einzigen Himmel, den es für mich auf Erden giebt, jetzt – ich beschwöre Sie bei unserem beiderseitigen Glück, das – so flüstert mir eine innere Stimme zu – nur gemeinschaftlich bestehen kann – seyn Sie nicht härter, als jener milde Ausspruch, der mich, wie eine Zauberformel, über den düstern Abgrund verzweiflungsvoller Hoffnungslosigkeit erhob – geben Sie mir ein Zeichen, daß Sie mich nicht verwerfen, daß Sie mir erlauben, Ihre Hand durch innige [166] Liebe und Treue zu verdienen – und machen Sie auf diese Weise Ihren Geburtstag mir zu einem zwiefachen Festtag für mein ganzes Leben!«

23
XXIII

Kaum konnte er seine Ungeduld zügeln, bis die Zeit, die ihm nie so langsam, als gerade heute zu schleichen schien, die Stunde herauf führte, wo es die Schicklichkeit erlaubte, Erna seinen Glückwunsch und zugleich diesen Brief zu überbringen.

Denn er selbst wollte ihn ihr übergeben – keiner fremden Hand das Blatt vertrauen, das die Veranlassung der Entscheidung über seine ganze Zukunft werden mußte. Wie diese ausfallen werde – er wagte nicht, sich es klar und deutlich zu denken. Ihm war, als risse er in frechem Uebermuth den Schleier von einem Heiligenbilde, wenn er mit kühn der Zeit vorgreifenden Wünschen und Hoffnungen in das Dunkel seines Schicksals dränge. Kindlich fromm, und dem Himmel vertrauend, der ja in die Tiefe seiner Seele zu blicken vermochte, und den Ernst des Entschlusses kannte, die Geliebte verdienen zu wollen, erwartete er Erna's Ausspruch – aber menschlich wars, daß er in zitternder Ungewißheit [167] bangte, und daß er sich nach dem Augenblicke sehnte, der ihn von dieser Quaal befreien werde.

Er überschaute die duftende Reihe seiner blühenden Gewächse, um durch Blumen, diese zartesten aller Gaben, ihren Tag ehrerbietig zu verherrlichen; aber alle schienen ihm gemein und unwürdig, um zur Feier desselben zu dienen, bis eine Daphne durch ihren süß berauschenden Duft ihn fest hielt, und neben ihr ein Rhododendrum ponticum mit seinen reichen Blüthenbüscheln in der schönsten Farbenpracht sein Auge auf sich zog. Von jeder derselben, eben so selten als schön in ihrer Art, wählte er die vollste, jugendlichste Blüthe, und sie, während er hinging, an seinem Herzen vor dem Frost der noch rauhen Luft bergend, erbat er sich von Gott als ein geistiges Zeichen für seine Wünsche, sie den Abend auf dem Ball an dem ihrigen blühen zu sehen.

Er hörte beim Eintritt in das Haus des Gesandten, daß das Fräulein auf ihrem Zimmer sei.

Noch nie war es ihm gelungen, dies Heiligthum zu betreten – aber oft schon hatte eine süße Sehnsucht ihn mächtig dahin gezogen, oft seine glühende Phantasie sich träumend innerhalb der Wände versetzt, die so glücklich waren, sie in ihren einsamen Stunden zu umgeben. Er [168] hatte auch wohl dann und wann den Muth gehabt, wenigstens den Versuch wagen zu wollen, ob es nicht möglich sei, in ihr stilles, ihm so bedeutungsvolles Asyl einzudringen – aber immer wars, als werde ihre Schwelle von unüberwindlichen Geistern bewacht, die ihm auf mancherlei Weise den Zutritt wehrten. Heute aber fühlte er die Kraft in sich, jedem Hindernis Trotz zu bieten. Und hätten feurige Drachen den Eingang gehüthet – ritterlich würde er sich durchgeschlagen, und dem mächtigen Zug gefolgt haben, der in der exaltirten Aufregung seines ganzen Wesens ihm den Gang zu ihr als den Weg seines eigentlichen Berufs zeigte.

Ein Bedienter meldete ihn an. Er sei willkommen, war die freundliche Antwort. Es war eilf Uhr Vormittags, und Erna allein. Sie saß in einem einfachen Morgenkleid, das schöne Haar nachläßig geordnet, auf dem Sopha der Thür gegenüber, und erhob sich, als er sie öffnete, sanft, jedoch nicht ohne einen kleinen Anstrich von Verlegenheit, ihn zu begrüßen.

Im zarten Wechsel ihrer Farbe, in der hold ihm entgegen geneigten Stellung und in der liebreichen Verwirrung des unsicher von ihm abgleitenden und auf die Erde sich senkenden Blicks sprach ihn ein geheimer, Muth erweckender Antheil [169] an, denn er fühlte, so könne sie keinen Fremden, keinen Gleichgültigen empfangen.

Mächtig dadurch gehoben, näherte er sich ihr, ihr seinen Glückwunsch auszusprechen, und die Blumen ihr zu überreichen. Da auf einmal ward es dunkel vor seinen Augen – das frische Roth seiner Wangen verlor sich in Todesblässe – seine Kniee bebten, und hätte er nicht schnell nach dem Tisch gegriffen, sich auf ihn, der eine Scheidewand zwischen ihm und Erna bildete, stützend – wer weiß, ob er nicht niedergeschmettert durch die Gewalt eines ungeahneten Eindrucks umgesunken wäre!

Denn die Gräber schienen sich ihm aufgethan zu haben, und feierlicher Ernst, so wie bitterer Vorwurf im stummen, strafenden Blicke schauten von der Wand über dem Sopha die Portraite seiner Tante und der Frau von Willfried, in Lebensgröße und täuschender Aehnlichkeit, auf ihn herab.

Was ist Ihnen? fragte Erna besorgt, als sie sein Zittern bemerkte. Er vermochte nichts zu erwiedern. Aengstlich leitete sie ihn zu dem Sopha, und ihm einen Flacon reichend, und eiligst aus ihrer kleinen Hausapotheke stärkende Tropfen herbeiholend, bemühte sie sich auf die liebreichste Weise ihm beizustehen.

Ihm that es so wohl, sie so theilnehmend [170] um sich beschäftigt zu schen. Seinen verworrenen Sinnen dünkte diese Scene ein Vorausgenuß der Zukunft, wo eheliches Beisammenleben die Geliebte auch in häuslicher Sorge freundlich um ihn bemühen werde, und diese selige Vorstellung rief seine Lebensgeister kräftiger zurück, als der Liquor es vermochte, den sie ihm eingab.

Er schützte eine Anwandelung von Schwindel, vielleicht weil er zu rasch gegangen sei, als Ursach des plötzlichen Nichtwohlbefindens vor, das ihm angewandelt sei, und da er die furchtbar mahnenden Bilder jetzt im Rücken hatte, ermannte er sich, sich dem Entzücken hingebend, mit Erna allein zu seyn, und aus ihrem sorgsam bekümmerten Benehmen so erquickliche Hoffnungen schöpfen zu dürfen.

Schon zog er – die Blumen hatte sie bereits freundlich angenommen – das verhängnisvolle Blatt aus seinem Busen, um es hinzuzufügen, als ein Geräusch im Vorzimmer entstand, die Thüren stürmisch aufgerissen wurden, und die Gräfin, von der Gesandtin begleitet, herein trat, Erna glückwünschend zu umarmen, und sie für den Abend zu sich einzuladen.

Sehr bewegt, und fast der Fassung beraubt, hielt Erna den Brief noch in der Hand, doch strebte sie, ihn den Blicken der Kommenden zu verbergen, und auch dies, daß sie ein Geheimnis [171] mit ihm theilen zu wollen sich herabließ, schien ihm ein seinen Glauben aufmunterndes Kennzeichen der zu hoffenden Erhörung.

Aber schon hatte die überlebhafte Gräfin es wahrgenommen. Vermuthlich ein Gedicht zur Feier dieses schönen Tages! rief sie aus, das versiegelte Papier schalkhaft fixirend. O lassen Sie uns Alle daran Theil nehmen, Erna! Lesen Sie uns vor! Von dieser Seite kannte ich unseren Freund noch nicht. Ich wußte freilich längst, daß er, uns Frauen gegenüber, wenn von seinen Gefühlen die Rede war, manches zu er dichten im Stande sei, aber das geschah immer in Prosa; wie er dichtet, ist mir noch fremd.

Es ziemt mir nicht, versetzte Erna mit gezwungenem Lächeln, der Neugier Preis zu geben, was Zutrauen in meine Hände niederlegte. Wenn es ein Gedicht ist, darf nur der Dichter entscheiden, ob ein größeres Publicum als das, das er sich erkohren, es hören soll.

Durch das unzeitige Dazwischenkommen der Gräfin aus allen seinen Himmeln gestürzt, konnte Alexander sich des bittersten Verdrusses nicht erwehren.

Für Sie allein ward geschrieben, was dieses Blatt enthält, erwiederte er, und sich stumm verbeugend verließ er das Zimmer, da ein sehr [172] richtiges Gefühl ihm sagte, daß – einmal verscheucht – die vorhergehende beglückende Stimmung eben so wenig wiederkehren werde, als das vorhin durch die Gunst des Zufalls erlangte einsame Zusammenseyn mit Erna.

24
XXIV

Mit unschlüssigem, aber freundlichen Wesen geleitete ihn Erna, der Höflichkeit gemäß, bis halb zur Thüre, und der Ausdruck in ihren Zügen, als er sie zum letztenmal ins Auge faßte, überzeugte ihn still und tröstlich, daß er ihrer Discretion, so wie überhaupt ihrer Gesinnung, vertrauen dürfe.

Er kehrte nun in seine Wohnung zurück, ruhiger zwar als er sie verlassen hatte, wiewohl noch nicht weiter vorwärts gekommen, als vorher.

Indeß – das Geheimnis seines Herzens war ausgesprochen – er selbst hatte es der Entscheidung der Geliebten unterworfen – er durfte daher nicht zweifeln, daß sie bald erfolgen werde. Aus Furcht, den zarten Blüthenstaub von seinen Hoffnungen zu blasen, enthielt er sich gewaltsam alles Grübelns – aber mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte er auf jeden [173] Fußtritt, der seinem Zimmer nahte, immer erwartend, ein willkommener Bote werde ihm das ersehnte Ja, oder wenigstens die Weisung bringen, selbst zu kommen, um es von den Lippen der erröthenden Braut zu vernehmen.

Aber umsonst. Die zögernden Stunden, durch lange Erwartung gedehnt, glitten im Schneckenschritt an ihn vorüber, und keine Kunde von ihr erfreute seine Einsamkeit.

Auf dem Ball wird sie dir antworten, sprach er zu sich selbst, den stürmischen Aufruhr seines Gemüths durch mühsam aufgesuchte Trostgründe beschwichtigend. Es war zu viel, von der weiblichen Schüchternheit zu verlangen, sie solle ohne alle Ueberlegung, ja sogar mit dem Anschein einer Uebereilung das Wort aussprechen, das Liebe und Innigkeit sich erst verdienen muß, wie die Tapferkeit den Lorbeer, der den Helden schmückt. In ihrem Blick werd ich mein Urtheil lesen – und, o die sonnige Milde, die er diesen Morgen noch mir ins Herz strahlte, als sie mich krank wähnte, berechtigt mich fest zu halten an der freudigsten Zuversicht!

Kaum dämmerte der Abend, so kleidete er sich zum Ball an, und ob er gleich gewöhnlich erst öffentlich erschien, wenn alles versammelt war, und man ihn längst vermißt hatte, so ließ ihm heute doch die Unruh keine Rast, und er [174] war der erste Ankömmling im weiten, noch nicht einmal völlig erleuchteten Saale. Selbst die Gräfin, sonst eine sehr aufmerksame Wirthin, fehlte noch, da die Stunde, wo sie mit Recht erst ihre Gäste erwarten durfte, noch nicht geschlagen hatte.

Er verbot den Bedienten, ihr seine Ankunft zu melden, und setzte sich in eine Fenstervertiefung, wo die weiten, faltenreichen Drapperien der seidenen Fenstergardinen ihm eine Art von Einsamkeit mitten im Gewühl geschäftiger Zurüstungen gewährten.

Endlich fingen die Wagen an zu rollen, und fröhliche Gruppen füllten den Saal und die angränzenden Gemächer – sie aber, die sein Auge mit schüchternem Verlangen suchte – sie sah er nirgends, und als es endlich immer lauter und gedrängter um ihn her ward, verließ er seinen Schlupfwinkel, sich unter die Menge zu mischen.

Da begann der Tanz, aber ohne Erna, die doch bestimmt war, die Königin des Festes zu seyn.

Die Gräfin schien verstimmt. Noch hatte er sich ihr nicht genähert, da wurde sie ihn gewahr, und sagte, mismuthig an ihn vorüberstreichend: Denken Sie, wie fatal es mir geht! Ich verfehle ganz den Hauptzweck, den ich hatte, [175] Erna einen frohen Abend zu bereiten. Sie hat absagen lassen.

Noch war er halb betäubt von dieser ihn schmerzlich befremdenden Nachricht, da mahnte ihn ein süßer aromatischer Duft an der Daphne würzige Blüthe. Er kannte die Schätze aller Treibhäuser der Residenz, und wußte, daß diese liebliche Pflanze in keinem derselben jetzt blühend existire. Wars ein Wunder, wenn er, trotz dem, was er so eben gehört, Erna's Nähe, wiewohl seinen Augen noch verborgen, vermuthete. Wie die Gletscher, von der untergehenden Sonne zum letztenmal bestreift, in sanftem Rosenlicht erglühen, um dann aufs Neue zu erblassen, von nächtlichem Schatten umhüllt, so wärmte eine zarte Hoffnung noch einmal sein bebendes Herz, um es täuschend der Verzweiflung Preis zu geben.

Denn was glich der Empfindung, die sein glühendes Blut in einen fröstelnden Eisstrom verwandelte, als der verrätherische Duft näher und näher kam, und er – an Fräulein Mariane Lahnberg's vergilbtem Busen seine liebevoll erzogenen, einem so schönen Zweck geweihten Pflegekinder, die Daphne neben ihrem strahlenden Gefährten, den Rhododendron erblickte?

Seiner nicht mächtig drängte er sich zu ihr hin, und: wie kommen Sie zu diesen Blumen? [176] war die nicht sehr freundliche Anrede, mit der er ihren zuvorkommenden Gruß erwiederte.

Höhnisch grinzte ihn Mariane an, und sagte: wir machten vor dem Ball eine Visite bei der *schen Gesandtin. Da lagen diese Blumen auf dem Tische, von denen Fräulein Willfried uns sagte, daß sie ein ihr aufgedrungenes Geschenk, und ihr höchst zuwider seien, so sehr sie auch sonst Blumen liebe. Als ich sie nun lobte, und den armen Dingern das Wort redete, sie möge ihnen nicht entgelten lassen, aus welcher unangenehmen Hand sie vielleicht kämen, bot sie mir sie an, wiewohl sie hinzufügte, sie wage es kaum, da ihre Absicht gewesen sei, sie zum Fenster hinaus zu werfen. Ich aber kehrte mich nicht daran, und nahm sie. Finden Sie sie nicht schön?

Knirschend blieb Alexander ihr die Antwort schuldig. Das ist zu viel! rief er aus, fest mit seiner Hand seine Augen verdeckend, vor denen sich alle Gestalten um ihn her zu verwirren begannen.

Um Gotteswillen, schrie Mariane, was ist Ihnen? Ich habe doch wohl nicht etwan eine Indiscretion begangen? Ich beschwöre Sie, sagen Sie niemand, was ich Ihnen eben erzählte, es könnte Verdrus geben. Ich bin nun einmal [177] so ein albernes aufrichtiges Ding, daß ich schlechterdings immer die Wahrheit sagen muß.

Ohne weiter auf sie zu hören, rannte er fort, und kam in einem Zustande in seine Wohnung zurück, der fast dem Wahnsinn glich.

Seine Leute, ihn nicht so früh vermuthend, waren ausgegangen, und nur Benedikt, sein Reitknecht, ein grundehrlicher, treuherziger Bursch, der alle ihm gegebenen Aufträge aufs pünktlichste besorgte, und mit der größten historischen Treue darüber berichtete, war zur Aufsicht des Hauses zurückgeblieben.

Erschrocken leuchtete er seinem Herrn in das todtenbleiche Gesicht, ängstlich vor ihm herschreitend, ihm das Zimmer zu öffnen. Und als Alexander hier, ohne ein Wort zu sagen, sich mit stieren Blicken auf den Sopha warf, blieb er verlegen vor ihm stehen, und wußte selbst nicht, ob jetzt der schicklichste Augen blick sei, von den während seiner Abwesenheit sich ereigneten häuslichen Vorfällen zu sprechen. Indeß, seine Liebe zur Pünktlichkeit siegte über die Furcht, seinen ihm ganz unheimlich vorkommenden Gebieter vielleicht in tiefen Gedanken zu stören, und schüchtern langte er von dem Marmorsimms des Kamins einen Brief, der von einem Bedienten des *schen [178] Gesandten mit dem Bedeuten überbracht worden sei, daß es keiner Antwort bedürfe.

Ein wirksameres Mittel hätte Benedikt nicht auftreiben können, seinen fast zu Marmor erstarrten Herrn von Neuem zu beleben. Wie der Verschmachtende die letzte Kraft, die ihm übrig blieb, anstrengt, den Becher zu erreichen, in den ihm Labung und Rettung quillt, so ergriff Alexander mit zitternder Hast den Brief, ihn an sich reißend, als könne durch ihn die Quaal seines Innern sich lindern, und noch alles, alles gut werden.

Gleichwohl betrachtete er doch erst, ehe er das Siegel brach, die Aufschrift, sich einen Moment an der zierlichen Frauenhand weidend, die sie geschrieben. Noch nie hatte er Erna's Schriftzüge gesehen; aber ein milder Geist, der Geist der Hoffnung, schien sie zu beseelen, und neu gestärkt und ermuthigt öffnete er nun den Brief und las folgendes:

»Ersparen Sie meiner Freundin die unangenehme Nothwendigkeit, Ihnen eine abschlägliche Antwort er theilen zu müssen, indem Sie Sich mit meiner Versicherung begnügen, daß Erna's Hand auf ewig für Sie verloren ist.

Auguste

[179]
25
XXV

Als ohngefähr nach einer halben Stunde Alexander sich wieder deutlich besinnen konnte, fand er sich von den Armen des treuen Benedikt umfaßt, der ihm ein Glas Wasser ins Gesicht gegossen, und so aus seiner dumpfen, ohnmachtähnlichen Betäubung ins Leben zurückgerufen hatte.

Ihm war, als erwache er aus einem taumelnden Rausche. Er fühlte sich angegriffen, aber doch nüchtern und fähig, zu überlegen und zu handeln.

Gott sei gelobt, daß der Herr Rittmeister doch wieder bei sich sind, rief der nun etwas beruhigte Benedikt aus, dem Schweistropfen auf der Stirn und Thränen im Auge standen. Ich dachte immer, Sie würden mir unter den Händen sterben! Hätt ich doch man lieber den fatalen Brief in den Kamin geschmissen, statt ihn drauf zu legen, da er, Gott weiß, was für Teufeleien enthält, die den Herrn Rittmeister so außer sich brachten!

Bei Erwähnung des Briefs wurde es vor Alexanders Sinnen immer heller und heller, wiewohl in schneidender Klarheit. Er hielt ihn noch krampfhaft zusammengeknittert in der Hand, und entfaltete ihn von Reuem, ihn – wie er sich einbildete – noch einmalruhig zu überlesen.

[180]

Dies wollte nun zwar nicht gehen, denn jeder Buchstabe schien ihn mit Basiliskenblick anzuschauen, und ihn dünkte, als knisterten blaue Schwefelflammen aus jeder Zeile, mit spitzen, brennenden Zungen an seinen tödlich verwundeten Herzen leckend; aber er rief gewaltsam alle Kraft des Willens, die dem Manne zu Gebot steht, auf, und sagte sanft und gefaßt zu Benedikt: Sorge, daß ich ungestört bleibe diese Nacht, mein guter Junge, denn ich habe zu thun, und muß allein seyn. Um Mitternacht bringe mir eine Flasche Rheinwein.

Hierauf winkte er mit der Hand gegen die Thür, und so ungern auch der treue, noch immer leise besorgte Diener ihn verließ, so war er doch an zu strengem Gehorsam gewöhnt, um sich nicht augenblicklich zu entfernen.

Als er mit dem Schlag zwölf Uhr herein trat, fand er seinen Herrn sehr beschäftigt, mehrere Schränke auszuräumen, Papiere theils zu ordnen, theils zu verbrennen, und Geld abzuzählen.

Sehr mäßig trank er von dem Weine, den Benedikt ihm gebracht hatte, und befahl ihm, mehrere Sachen, die er bezeichnete, in einen Koffer zu packen, und alsdann, so wie der Tag anbrechen werde, verschiedene Rechnungen zu bezahlen, und andere Aufträge auszurichten, die [181] er unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihm anvertraute.

Gegen Morgen war alles still und pünktlich nach seinem Willen geordnet. Da warf er sich unausgekleidet auf den Sopha, und schlummerte einige Stunden, dann ging er zu dem Chef seines Regiments, und bat um augenblicklichen Urlaub zu einer höchst nothwendigen Reise. Er erhielt ihn, erhob von seinem Banquier eine bedeutende Summe Geldes und die nöthigen Wechsel, entließ reich beschenkt seine übrigen Leute, außer Benedikt, dessen anhängliche Treue er schon oft erprobt hatte, und ehe noch jemand aus dem Kreise seiner Bekannten seine Absicht ahnete, lag die Residenz bereits hinter ihm im Nebel der Entfernung.

Frankreich, Italien und die Schweiz waren die Länder, nach denen sein unstäter, der tiefsten Schwermuth preisgegebener Sinn zuerst strebte.

Da aber sein erbetener Urlaub nicht einmal zu einem flüchtigen Durchstreichen, noch weniger zu einem ruhigen Kennenlernen derselben hingereicht haben würde, und es sein entschiedener Vorsatz war, nie, oder doch nur unter ganz veränderten Umständen, wieder in die Heimath zurückzukehren, so sandte er das Gesuch um seinen Abschied an die Behörde ein, um – so sehr er [182] auch seine Militairverhältnisse geliebt hatte – frei und unabhängig über sich selbst und über seine Zeit verfügen zu können. Ungern ertheilte man ihm diesen, da er von jeher, ächt martialisch denkend und handelnd, an Leib und Seele Soldat war, seinem Regiment durch den regesten Diensteifer, so wie durch die Liberalität seiner Gesinnung und den Glanz seines bedeutenden Vermögens Ehre gemacht hatte, und alle seine Cameraden ihn brüderlich liebten. Um daher nicht alle Ansprüche an ihn aufzugeben, stellte man ihn à la suite an, und ungehindert folgte er nun dem Zuge, der – aus seiner unbefriedigten Sehnsucht sich entwickelnd – ihn durch den größten Theil Europa's trieb.

[183]

Drittes Buch

1
I

Obgleich die mit einer ewigen Abwechselung verbundenen Zerstreuungen auch auf Alexanders Gemüth ihre erheiternde Wirkung, wenigstens momentan, nicht verfehlten, so fühlte er doch sehr bestimmt, daß das Schicksal des unheilbaren Kranken, der unter südlicheren Zonen und an fremden Heilquellen Linderung sucht und hofft, und allenthalben nur sein Elend findet, auch das seinige sei.

Eine fremde, dunkle Macht war, seit die Hoffnung es verlassen hatte, schauerlich in sein Leben getreten, und statt, wie sonst, mit offener, leicht empfänglicher Seele sich den vor ihm aufblitzenden Freuden der Welt hinzugeben, drängte ein düsterer, verschlossener Ernst, ihm die Nichtigkeit aller irrdischen Genüsse zeigend, ihn [184] tief in sich selbst zurück, und machte, daß er sich mitten unter den Herrlichkeiten der Natur und Kunst, die ihn umgaben, wie ein Gespenst unter den Ruinen des Tempels erschien, der einst von ihm dem Glücke geweiht, und nun – von der Hand des Schicksals auf ewig zertrümmert war.

Denn der tief in ihm noch brennende Schmerz der Vergangenheit machte ihn gleichgültig gegen die Reize der Gegenwart, und sein Gemüth hatte unwillkührlich eine Asthenie ergriffen, die es zum todten Meere umschuf, das keine Ausflüsse hat, sondern nur über fließt, wenn ungewöhnliche Ereignisse es in Bewegung setzen oder Orcane es aufwühlen. Das Ungewöhnliche aber vermied ihn, weil seine die Flügel senkende Phantasie es nicht suchte, und die Melancholie, deren finsterer Schatten wie eine schwarze Wolke über sein Leben zog, ihm jedes fröhliche Ergreifen des Zufalls verleidete.

Indessen bewährte die Zeit auch an ihm ihre lindernde, wenn gleich nicht heilende Kraft. Anfangs hatten ihn die herrlichsten Gegenden und die erhabensten Naturschönheiten eben so kalt gelassen, als führe sein Weg ihn durch die Lüneburger Haide oder über die eintönigen Sandstrecken der Mark; aber nach und nach erwärmte sich sein starrer Blick, und ruhte mit Wohlgefallen auf [185] den Wundern reich ausgestatteter Gefilde, in deren Reizen er sich für Augenblicke losgebunden von allem fühlte, was ihn sonst so schmerzlich an die niedere Dornenbahn seines dürftigen Lebens fesselte. Er wußte sich wieder in stiller Einsamkeit die geheimen Hierogliphen der Natur zu deuten – das flammende Abendroth redete ihn wieder an wie sonst, nur in einer anderen, ernsteren Sprache – die murmelnden Bäche flüsterten ihm wieder dämmernde Träume zu – die Wasserfälle sangen Wiegenlieder seinem Schmerz, und die rauschenden Haine wehten Kühlung in die Tiefe seines verwundeten Busens. Nur mit der Erinnerung war er dem Schein nach für immer zerfallen. Denn wenn sie zuweilen, wie sie zu thun pflegt, ihn leise beschlich in den Stunden des Alleinseyns, lächelnd den Spiegel ihm vorhaltend, aus dem das Bild der Vergangenheit ihn begrüßte – dann war es um den schwer errungenen Gleichmuth geschehen – grau und verwischt lag das Daseyn vor ihm, dessen innerste Wurzel zerstört war – stechende Eisschauer zitterten wieder durch die schnell auflodernde Fiebergluth seines Innern – des Lebens unendliches Weh legte sich von Neuem, gleich einer erdrückenden Last, auf seine schwer geängstete Brust, und der leise Trost der sanft beschwichtigenden [186] Natur war dann auf lange für ihn verloren.

Deshalb hüthete er sich auch sorgfältig vor allen Nachrichten aus der Heimath, da sie ihn nicht erheitern, sondern nur aufs Neue verletzen konnten. Er schrieb und empfing keine Briefe, als solche, die zur Fortdauer seiner physischen Existenz in ökonomischer Rücksicht nöthig waren, und Zahlen statt der Gefühle machten den Inhalt derselben aus.

Die Wintermonate brachte er stets in irgend einer bedeutenden Stadt zu, schloß sich auch wohl an deren gesellige Kreise an, doch nur wie einer, der von der Bühne abgetreten ist, und mit den Maschinerieen bekannt, und nicht mehr geblendet von dem auf Effect berechneten Schein, zwischen den Coulissen hindurch einen frostigen Blick auf das bunte Treiben wirft, in dessen Mitte er einst eine so lebendige Rolle spielte. So waren vorzüglich, seit jenem Wendepunkt seines Lebens, der ihn von allem Frohsinn geschieden hatte, die Damen, denen er sonst so gern im Allgemeinen wie im Einzelnen huldigte, Gegenstände der höchsten Gleichgültigkeit für ihn, und so manches Netz auch, von zarter Hand gewebt, strebte, den schönen Fremdling zu fangen, so war doch jene Höflichkeit, die die feine Sitte fodert, der einzige [187] Tribut, den er selbst den verführerischten Reizen brachte.

Weit mehr als sie und ihre anmuthigen Bestrebungen, ihn zu fesseln, zog ihn die Kunst mit ihrem stillen wundervollen Wirken an. Ihm lag freilich die Ahnung fern, die manchem Menschen in ihr sein höchstes Princip erblicken läßt. Er betrachtete sie nur als Mittel, den Schmerz der unendlichen Sehnsucht zu mildern, der Wermuth in jeden Tropfen Lust, Seufzer in jeden freudigen Laut ihm mischte. Vermittelst seines regen Anschauungs- und Auffassungsvermögens führte sie seiner Seele Gedanken und Bilder zu, welche die Nachtgestalten wenigstens auf kurze Zeit verdrängten, die mit eiserner Beharrlichkeit sonst ihren Platz dort genommen hatten, und auf den lichten Schwingen der Harmonie erhub er sich zuweilen über das grauenvolle Dunkel um ihn her, in das ferne Geisterreich der Töne – oder er fühlte sich durch die Meisterwerke der plastischen Kunst und der Malerei für Momente ihm entrückt.

Nur der Poesie wollte es nicht glücken, den Einfluß auf seinen umhüllten Sinn zu erlangen, den mancher Leidende, durch sie getröstet und gestärkt, ihr über sich einräumt. Denn sie berührte mit ihrem magischen Stabe seine Wunden nicht lindernd, sondern sie von Neuem zum Bluten [188] reizend, und rief eine Menge Erscheinungen, die traumähnlich in ihm dämmerten, zu einem krampfhaften Leben in ihm auf.

Er scheute daher die Möglichkeit, daß ihr geheimer Zauber den Ton in der Tiefe seines Gemüthes treffen könne, der als bang erschütternde Dissonanz leichter zu erregen, wie alsdann zu vertilgen war, und da sie nur Reflexe seiner untergesunkenen Hoffnungen, seiner schmerzlich begrabenen Wünsche in die camera obscura seiner Brust zu werfen vermochte, so wählte er als das sicherste Mittel, sich vor jeder unsanften Berührung dieser Art zu schützen, daß er gar nichts, als höchstens – die Zeitungen las.

In einer derselben, die der Zufall ihm in die Hand führte, fand er die Anzeige, daß der *sche Gesandte seinen bisherigen Aufenthalt verlassen, und einen andern diplomatischen Posten an einem nordischen Hofe erhalten habe.

Diese Nachricht machte einen seltsamen Eindruck auf ihn. Ob er sich es gleich nicht eingestehen mochte, so hatte es ihm doch in seinen stillen Träumen ein wehmüthig süßes Gefühl gewährt, sich Erna zuweilen in alle den ihm bekannten Beziehungen und Umgebungen zu denken. Nun war sie fort – denn er durfte nicht bezweifeln, daß sie ihrer Freundin nicht auch nach ihrer neuen Bestimmung gefolgt sei, und ihm ermangelte [189] der feste Punkt, an den er sich halten durfte, um ihre reizende Erscheinung sich zu vergegenwärtigen. Denn wenn auch seitdem sein Blick und seine Phantasie sich oft nach Norden richtete, so war es ihm doch, als tappe er in einem wüsten Labyrinth, wo der leitende Faden ihm fehlte, um mit seinen Gedanken bis zu ihr hin zu dringen.

Freilich – ihm selbst öffnete ihre Entfernung den Weg wieder zu der nun schon seit länger als vier Jahren verlassenen Heimath, denn nie, das hatte er sich vorgesetzt, wollte er sie betreten, so lange er fürchten mußte, ihr je wieder zu begegnen.

Vielleicht aber würde er, an das zerstreute Umhertreiben auf den Heerstraßen nun gewöhnt, noch lange nicht daran gedacht haben, zurückzukehren, wenn nicht dumpfe Gerüchte von den kriegerischen Zurüstungen seines Vaterlandes sein Ohr erreicht, und die politischen Verhältnisse den Ausbruch baldiger Feindseligkeiten ihm als wahrscheinlich dargestellt hätten.

Da schien es ihm doch, als sei es besser, die im unnützen Wanderleben sich zersplitternden Kräfte dem Dienste seines Königs zu weihen, und seiner plötzlich aus ihrer Lethargie erwachten Einbildungskraft dünkte das Wirbeln der Trommeln, das Wiehern der Rosse, die energische Sprache [190] der Kanonen, und das zu blutiger Arbeit sich ermunternde Leben ein seinen innersten Bedürfnissen recht angemessenes Spiel.

Er beschloß also, zurückzureisen, und sich um eine neue militairische Anstellung zu bewerben. Mancher Beneidenswerthe, sprach er leise zu sich selbst, kann den Wahnsinn in verfehlter Liebe finden – mancher den heilenden Tod – – – mir wird das Schlachtfeld ihn gewähren.

2
II

Mit einem ganz eigenen Schauer von Wehmuth betrat er die Gränze seines Vaterlandes wieder. Stiller war es freilich in ihm geworden, seit er sie vor fünftehalb Jahren überschritten hatte, um das bittere Gefühl des Verschmähtseyns in weite Ferne zu tragen –heller aber nicht. In tausend schimmernden Farben ging ihm die Vergangenheit auf, und alle wie aus langem Schlummer erwachenden Erinnerungen seiner ersten, lebensfrohen Jugend mahnten ihn an den schmerzlichen Contrast zwischen einst undjetzt.

Und doch, so heiter er auch damals in der Fülle sorglosen Leichtsinns seine Tage dahin scherzte, hätt' er nicht zu ihr zurückkehren mögen, wenn es in seiner Kraft gestanden hätte, die [191] Kluft hinwegzutilgen, die zwischen damals und seiner blüthenlosen, entblätterten Gegenwart lag.

Denn in dem Schmerze abgewiesener Liebe, der, wie griechisches Feuer, unauslöschlich brennt, war ihm erst des Lebens tiefe Bedeutung aufgegangen, und in der kurzen, aber reichen Zeit seines Umgangs mit Erna hatte sich ihm ein nie vorher geahneter Himmel der reinsten Seligkeit erschlossen, so daß auch noch jetzt in seiner umnachteten Seele die Vorstellung des höchsten Glücks neben der Trauer lag, es verfehlt zu haben.

Die Poststraße führte ihn über Bellevüe, wo er einst einen unvergeßlichen Wintertag an ihrer Seite verlebte. Damals starrte die Natur, in die Fesseln des Winters eingeengt, ihn frostig an; aber einen warmen, seligen Lenz trug er im Busen, von der milden Sonne der Hoffnung verklärt. Jetzt lächelte ihm alles frisch und grün im Schmuck des hohen Sommers zu – doch in ihm, wie winterlich verödet! – Er riß sich gewaltsam los von diesen herben Vergleichungen, und bemühte sich, an gleichgültige Dinge zu denken, um sein aufgewiegeltes Herz wieder zu der stumpfen Ruhe zurückzubringen, die nun einmal der wohlthätigste Gemüthszustand war, den das dürftige Geschick ihm gönnte. Denn ihm mangelte Neigung und Entschluß, um mit Bestimmtheit [192] Pläne für seine Zukunft zu entwerfen, da dem Menschen, der nichtzurück blicken mag oder darf, leicht auch die Lust fehlt, seine Kräfte vorwärts zu richten, und er in ein müdes sich Gehenlassen, statt des Handelns, verfällt.

Da scheuchte ihn plötzlich ein Zufall aus dieser hinbrütenden Halbbewußtlosigkeit auf.

Ein Rad seines Wagens nämlich lief ab, und der im vollen Trab fahrende Postillon vermochte die Pferde erst anzuhalten, als der Wagen bereits umgefallen und zerbrochen war, und Alexander mehrere schmerzhafte, wenn gleich nicht gefährliche Verletzungen am Kopfe erhalten hatte.

Sie waren gerade am Ende jenes Tannenwaldes, dessen unverwelkliches, mit Schnee vermischtes Grün ihn damals, als er Erna im Schlitten fuhr, symbolisch in seinem Innern zum Hoffen ermuntert hatte.

Er beschloß, während Benedikt mit dem Postillon sich bemühte, den Wagen wieder aufzuhelfen und in einigermaßen fahrbaren Stand zu bringen, zu Fuß nach dem nah gelegenen Sorgenfrei zu gehen, um die Theilnahme seines Jugendfreundes, der es bewohnte, anzusprechen, und durch einen Verband mit Essig oder Wein das Schwellen der erhaltenen Quetschungen zu vermindern.

Als er das heitere, wohlgebaute Haus auf [193] seiner sanften Anhöhe erblickte, glühten eben die Fenster so feurig vom abendlichen Sonnenstrahl beglänzt, als wollten innere Flammen hervorlodern. Sanfte Lüfte säuselten in den blühenden Linden, die es wie ein dunkler Kranz umgaben, und trugen den lieblichen Duft, der ihm wie ein Gruß des Willkommens entgegen wehte, weit umher. Als er näher kam, bemerkte er allenthalben eine sorgsamere Cultur als vormals. Das ist der eigenthümliche Segen der Häuslichkeit, dachte er bei sich selbst. Der Mensch ist nicht geboren, um unstät und flüchtig durch die Welt zu pilgern. Hat er sich erst ein Asyl gegründet, das ihn schützt vor den Stürmen des Lebens, so gewinnt er es bald lieb, und schmückt es, wie das Kind seine Puppe. Er nimmt dann die engen Schranken, die ihn umbauen, unter der freundlichen Hülle nicht wahr, mit der sein Fleiß sie umgiebt, und dankbar – dankbarer als die Menschen – ist der Boden, den man mit Sorgfalt pflegt. –

Unter hohen Blumenstauden, die sich von dem frischen, kurz gehaltenen Rasen eines freien Platzes erhoben, saß ein herrlicher Knabe und spielte. Eine Glorie von blonden Locken umwallte sein liebliches Gesicht, und mit großen braunen, sonnenklaren Augen schaute er ihm voll herzgewinnendem Vertrauens entgegen.

[194] Alexander konnte kein nur einigermaßen liebenswürdiges Kind sehen, ohne sich innig zu ihm hingezogen zu fühlen. Er beugte sich herab zu dem Kleinen, der etwas über drei Jahre alt schien, und küßte ihn auf die freie, offene Stirn, ihn fragend, ob sein Vater zu Hause sei?

Vater nicht, antwortete der Knabe, aber Mutter. Willst du hin? Ich will dich zu ihr bringen. –

Die gepflückten Blumen in seinem aufgeschürzten Gewand bergend, raffte er sich auf, ihm ohne Schüchternheit die kleine Hand bietend, um ihn nach dem Hause zu führen, dessen Flügelthüren offen standen.

Außer der veränderten inneren Einrichtung, fiel ihm ein höherer Grad von Ordnung, als er je in diesem Hause wahrgenommen, beim Eintritt auf, und eine gewisse einfache, aber dem Auge wohlthuende Eleganz sprach ihn auf eine höchst angenehme Weise an, und verbürgte den richtigen Sinn seiner Bewohner für alles Edle und Schöne der äußeren Form.

Der Kleine stieß eine nur angelehnte Thür auf, und Alexander trat in ein Zimmer, wo eine schlanke, jugendliche weibliche Gestalt neben einer grün umhangenen Wiege saß, einen Säugling auf dem Schoos haltend, der in süßer Behaglichkeit [195] lächelnd und lallend mit ihren braunen Locken spielte.

Sie hatte ihr Haupt tief herab über das Kind gebeugt, daher konnte Alexander nicht sogleich ihre Züge erkennen; aber das schöne Haar, und die über allen Ausdruck zierlichen Füßchen, welche in ihrer vermeinten unbeobachteten Einsamkeit etwas vorgestreckt auf einem Schemel ruhten, wirbelten im plötzlich erwachten Sturm einer unbändigen Leidenschaft die wunderbarsten Reminiscenzen aus seiner tiefsten Seele herauf.

In diesem Augenblick rief der Knabe: Mutter, da ist ein fremder Mann! Sie wandte das Gesicht zu ihm hin, und vom Blitz der schrecklichsten Gewisheit getroffen, blieb Alexander wie gelähmt vor ihr stehen, denn – heiliger Gott! – es war Erna.

3
III

Sie schien vor dem Blick zu erbeben, den er auf sie schleuderte. Der brennendste Haß, die tiefste Geringschätzung, und eine Stimmung, in der es ihm nicht schwer geworden wäre, das blutigste Verbrechen zu begehen, spiegelte sich als Wiederschein der wilden Gährung, die in seinem Innern Statt fand, in seinem Antlitz ab.

[196] Doch – nur einige stumme Minuten ihr gegenüber, und er fand sich wieder.

Wie schön war sie nicht in dieser schweigsamen, demüthigen Haltung, vor der Wuth erzitternd, die sein Anblick ausdrückte, und doch, vom Gefühl der Mutterwürde gestärkt, ihm furchtlos in das flammende Auge schauend. So rein und edel hatte selbst Raphael seine Madonna nie gedacht. Der rosige Duft kräftiger Jugendfrische auf ihren Wangen war einer sanft verklärenden Blässe gewichen, und die kindliche Heiterkeit, die sonst wohl ihre Züge anregte, einem stillen, seelenvollen Ernst, der aber durch die unaussprechlichste Güte gemildert ward.

Schweigend waren die ersten Augenblicke des Wiedersehens ihnen vorübergegangen – jetzt aber faßte sich Alexander, und redete sie an.

Verzeihen Sie, gnädige Frau – – denn so muß ich Sie jetzt wohl nennen, sagte er bitter, daß ein Unfall, der mich nicht weit von hier getroffen, mich ohne die Ahnung, daß ich Ihr Haus betrat, hierher führte. Ich glaubte meine ehemaligen Bekannten noch hier zu finden – allein ich habe mich geirrt, wie ich sehe.

Nicht in dem, was Sie zu finden meinten, versetzte Erna. Sie sind bei Ihren ehemaligen Bekannten, denn Sie sind bei mir.

Das möchte um so unangenehmer für uns [197] beide seyn, erwiederte Alexander, unfähig, seiner herben Stimmung zu gebieten. Doch Erna nahm gelassen diese unartige Aeußerung hin, und rügte sie nicht. Sie bemerkte gerade jetzt, daß er verwundet und ihres Beistandes bedürftig sei. Eilig rief sie daher die Wärterin des Kindes, übergab ihr den Säugling, und bemühte sich mit der sanftesten Theilnahme, zu erforschen, wo es ihm weh thue, um ihm lindernd und nützlich zu seyn.

Er war sehr erschöpft von dem inneren Aufruhr, den Haß und Neid, zwei ihm sonst so fremde Leidenschaften, bei der Vorstellung, daß Erna vermählt sei, in ihm erregt hatten. Gleichwohl wollte er doch, ohne alle Hülfe anzunehmen, seinen Weg zu Fuß nach der sehr nah gelegenen Stadt fortsetzen – allein Erna glaubte dies bei seinem psychisch und physisch gereizten Zustand nicht zugeben zu dürfen.

Als nun ihre freundlichen Bitten finster von ihm abgewiesen wurden, und er fest auf seinem Vorsatze beharrte, öffnete sie die Thür eines Nebenzimmers. So gewähren sie es diesen, wenn auch nicht mir, daß ich für Ihre Erholung sorgen darf, sagte sie, und er erblickte jene Bilder wieder, die die Züge seiner Tante und der Frau von Willfried so treu bewahrt hatten – aber mit ganz anderem Ausdruck, als sie ihn [198] einst erschütterten, wie er an Erna's Geburtstag sie zuerst sah, schauten sie ihm jetzt entgegen. Damals schien Unwille, Vorwurf des begangenen Unrechts und Verachtung in ihren stillen Blicken zu glühen – jetzt lächelten sie ihn beide mitleidig an, als wollten sie in tröstender Milde sagen: Alles ist vergeben, denn das bittere Leiden, das eine Folge deines Leichtsinns war, hat uns mit dir versöhnt.

Er fühlte sich überwältigt. Weich geworden wie ein Kind, konnte er kaum der Rührung seines Herzens wehren, hervorzubrechen – auch Erna war tief bewegt. Wie Thau im Kelche einer Blume, so funkelten Thränen in ihren Augen – aber sie wandte sich hinweg und trocknete sie leise, ihm diesen Anblick entziehend, der ihn nur noch tiefer erschüttert hätte. Sie schien zu ahnen, ja sogar in gewisser Hinsicht zutheilen, was in ihm vorging. Indessen machte gerade dies innige Verstehen seiner Gefühle sie schüchterner als vorher, ihr Schranken anweisend, die das Bewußtseyn ihrer Pflichten sie zu überschreiten warnte.

Sie ordnete alles an, was seine Pflege erforderte, aber sie legte nicht selbst Hand an, so weh es ihr auch that, ihrem Kammermädchen ein Geschäft überlassen zu müssen, das sie gewiß linder und schonender verwaltet hätte.

[199] Ihrem Zureden und Bitten nachgebend, hatte Alexander Platz auf einem Ruhebett genommen. Es fanden sich mehrere ziemlich tiefe Verletzungen am Kopfe – seine Schmerzen wurden heftiger, und durch ein Wundfieber noch vermehrt, das ihn von Zeit zu Zeit convulstvisch schüttelte. Erna suchte, von seinen Leiden sichtbar ergriffen, ihm durch Hausmittel momentan Erleichterung zu verschaffen, sandte aber sogleich einen Boten nach der Stadt, einen Chirurgus holen zu lassen, der ihn kunstmäßiger und wirksamer als weibliche Erfahrung zu behandeln im Stande sei.

Duldsam und mild geworden, unterwarf sich Alexander jetzt allem, was sie verfügte. Es that ihm wohl, sie an seinem Lager sitzen zu sehen, denn aus ihrer Nähe quoll der heilendste Balsam, den es für sein bis zum Tode verwundetes Gemüth gab. Ihr gegenüber gewährte es ihm die feinste Schwelgerei der Sinne, so wie den höchsten Genuß der Seele, sich in ihr Anschauen zu vertiefen, und durstig nach so langem Entbehren jeden ihrer Blicke einzusaugen. Ruhe ist der Charakter der Gottheit – nur leise und unmerklich mit Leiden verschmolzen, thronte sie auf ihrer verklärten Stirn, und Reinheit des Sinnes strahlte in ihrem himmlischen Auge, das – ihn über irrdisches Sehnen erhebend – sanft seine stürmende Brust beruhigte.

[200] Er fand sie aber sehr verändert, wenn er sie mit dem Bilde verglich, das ihm von ihr gefolgt war während dieser Jahre der Trennung. Denn nicht mehr die blendende, blühende Schönheit, sondern ein dem Unsichtbaren näher als den Freuden der Welt angehörendes, durch ernste Selbstverläugnung geläutertes, durch stillen Schmerz vertieftes Wesen stand vor ihm in einer nicht mehr auf gemeiner Erde einheimischen Gestalt.

Und doch schien ihre freundliche Demuth sie ohne Murren an den niedern Dienst des rauhen Lebens zu knüpfen, und eine fromme Ergebung, die aus allem hervorstrahlte, was sie that und sprach, sie mit den Mängeln des irrdischen Berufs zu versöhnen.

Ob sie wohl glücklich im ehelichen Bunde ist? fragte er sich selbst. Der Frieden, der auf ihrer Stirne thronte, bejahte scheinbar seine Frage –scheinbar nur, denn nicht der Glückliche allein, auch der kann ihn erringen, der durch Glauben an ewige Hoffnungen gestärkt, sich über alle Dornen seiner Bahn hienieden erhebt, ob er gleich ein mühseliges Leben des Entbehrens und der Entsagung führt.

Es war ihm unmöglich, nach dem Namen ihres Gatten zu fragen. Wer es auch sei – hassen mußte er ihn, das fühlte er sehr bestimmt, hassen um so glühender, je mehr [201] seine Beobachtungen ihn überzeugen würden, daß Erna ihn liebe.

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IV

Sehr bald indessen riß ihn die Ankunft des glücklichen Gemahls aus dem ungewissen Grübeln, wer es wohl seyn könne, denn nachdem man den raschen Galop eines Pferdes vernommen, trat – Herr von Linovsky ins Haus.

Aengstlich und athemlos, das bemerkte Alexander durch die offenstehende Thür des Nebenzimmers, eilte er auf Erna zu.

Um Gotteswillen, was ist geschehen? rief er ihr entgegen. Ich erfuhr unterwegs, daß du eilig nach einem Wundarzt geschickt habest – ich will doch nicht hoffen, daß dir oder den Kindern etwas zugestoßen ist?

Ruhig sagte Erna: Weder die Kinder noch ich bedürfen seines Beistandes, aber einen Freund von uns hat nicht weit von unserm Hause ein Unfall betroffen, der zwar, dem Himmel sei Dank, nicht bedeutend ist, aber dessen Behandlung denn doch meine wenigen medicinischen Kenntnisse übersteigt. Herr von Norbeck – sie zeigte, als sie seinen Namen nannte, durch die offene Thür nach dem Ruhebett im angränzenden[202] Zimmer, auf welchem er lag – Herr von Norbeck wurde durch den Umsturz seines Wagens am Kopfe verletzt, und um seinen schmerzlichen Zustand sobald wie möglich gründlich zu lindern, hab ich, so schnell ich nur vermochte, nach ärztlicher Hülfe gesendet.

Alexander sah Linovsky bei Erwähnung seines Namens erblassen, und es war, als träte eine unangenehme Erinnerung finster vor sein Gedächtnis. Auch dauerte es einige Minuten, während er sich mit Erna in leisem Gespräch in eine Fenstervertiefung zurückgezogen hatte, wohin sein Blick ihm nicht folgen konnte, bis er zu seinem Lager trat und ihm, als einen der Höflichkeit nicht gern dargebrachten Zoll, einige halb unverständliche Worte von dem Vergnügen, ihn wieder zu sehen und von der Freude, daß sein Haus gerade das nächste bei dem sich ereigneten Unfall gewesen sei, um ihm als Zufluchtsort dienen zu können, zumurmelte.

Alexander stellte sich kränker als er war, um diese Gemeinplätze nur nicht beantworten zu müssen. In Linovsky's frostigen Mienen, und den feindseligen Blicken, mit denen er ihm gegenüber stand, spiegelte sich ein Theil seiner eigenen Gesinnung, und der herbeigerufene Wundarzt, der eben herein trat, unterbrach sehr willkommen die [203] Spannung dieses nicht wohlthuenden Beisammenseyns.

Erna hatte bereits Charpie und Leinwand zum Verband zurecht gelegt. Nachdem sie den Chirurgus sorglich gefragt, was er noch außerdem bedürfe, um dem Leidenden recht zu nützen, entfernte sie sich, vor dem Anblick der Sonde erschreckend, die er aus seiner Instrumententasche hervorzog. Sie warf, als sie, von Linovsky begleitet, hinweg ging, noch einen Blick so voll innigem Mitleids und rührender Theilnahme auf Alexander, daß dieser wie durch Tropfen eines himmlischen Elixirs seine gesunkenen Kräfte gehoben fühlte, und es ihm ein freudiges Spiel ward, sich nun den schmerzhaften Untersuchungen des Arztes zu unterwerfen.

Der Wechsel so stürmender, die innerste Lebenskraft aufreibender Gemüthsbewegungen machte mehr noch als seine Wunden seinen körperlichen Zustand bedenklich. Ein heftiges Fieber wüthete in seinem Blute, und der Arzt erklärte, daß einige Tage der tiefsten Ruhe durchaus erst dem Versuch vorausgehen müßten, ihn nach einem anderen Aufenthalt zu bringen.

Nicht gern ließ sich Alexander dies gefallen. Die widerwärtige Ueberzeugung, Linovsky unwillkommen zu seyn, die sein abstoßendes Betragen [204] ihm aufgedrungen hatte, beleidigte seinen Stolz, und machte, daß er trotz Erna's wohlthuender Nähe sich hinweg sehnte.

Und selbst diese Nähe, die ihm den Pfeil des Schmerzes nur immer tiefer in die gespaltene Brust drückte, mußte sie ihm nicht, den Eindruck ihrer Liebenswürdigkeit immer unauslöschlicher machend, das Loos der Mücke, die das Licht umflattert, in seinem Schimmer sich wärmen will, und, von der gefährlichen Flamme in Asche verwandelt, dahin sinkt, als Sinnbild seines eigenen Schicksals, im Spiegel der Zukunft zeigen?

Alle seine Einwendungen wurden jedoch durch den Ausspruch des Arztes, daß er ohne Gefahr der Verschlimmerung seines Zustandes nicht hinweg gebracht werden könne, widerlegt, und da Erna ihn mit der ihr eigenen, lieblichen, herzgewinnenden Weise bat, sich doch zu gedulden, und ihr die Freude zu gönnen, durch ihre Pflege zu seiner Erholung beitragen zu dürfen, auch Linovsky, nachdem er sich etwas gesammelt hatte, eine etwas wohlwollendere Außenseite zeigte, als vorher, so ergab er sich, wiewohl ein unglückweissagendes Gefühl in seiner Seele ihn mahnte, daß schleunige Flucht heilsamer für ihn als Bleiben sei.

Denn immer neue, immer achtungswerthere und anziehendere Eigenschaften entfalteten sich in [205] ihrem stillen Thun und Wirken, das er als Hausgenosse unbeobachtet übersehen konnte, und zwar nicht um dadurch glänzen zu wollen, sondern unwillkührlich wie die Blume ihren Duft ausströmt, verbreitete sie allenthalben, wohin ihr milder Einfluß drang, Ruhe, Anmuth und den Zauber gefälliger Ordnung.

Es war ihm immer höchst lächerlich und widerlich gewesen, wenn er ein weibliches Geschöpf die häuslichen Geschäfte mit Geräusch und Anmaßung verrichten, und sich etwas darauf einbilden sah, eine gute Hausfrau zu seyn.

Die meisten dieser dahin gehörigen Dinge sind denn auch so mechanisch, daß selbst der gewöhnlichste Verstand sie begreifen kann – warum sollte es der Eigenliebe schmeicheln, sie zu wissen? Sie sind ferner so nothwendig, daß sie sich als materielle Basis des Lebens nicht entbehren lassen, und es gereicht den Frauen entweder zur Schande, oder doch gewiß zum Nachtheil, unerfahren in ihnen zu seyn. Aber die Fertigkeit, ihr Haus und die ihnen anvertraute Einnahme gut zu verwalten, giebt ihnen noch keinen Anspruch auf Bewunderung; denn sie ist nur die Ausübung einer untergeordneten, wiewohl unerläßlichen Pflicht, der vor Allem der Schleier sanfter Bescheidenheit ziemt.

Wie ganz anders als so viele Frauen, die er [206] in dieser Hinsicht beobachtet hatte, erschien das leise, anspruchlose Walten Erna's, die die Seele ihres Hauses war.

Mit ernster Güte wußte sie ein zahlreiches Dienstpersonal zur Punktlichkeit und Ordnung anzuhalten. Sie war geliebt von allen, und zugleich gefürchtet, weil die Achtung, die sie einflößte, jeden nichts so sehr als die Möglichkeit, ihr zu misfallen, scheuen ließ. Mit sicherm, aber ruhigem Blick ging sie in jedes Detail der Haushaltung ein, sorgte für alles, dachte an alles, und fand auch die geringste Kleinigkeit ihrer Aufmerksamkeit nicht unwerth, weil alles nützen kann, scheint es auch noch so unbedeutend. Dabei war sie stets gleicher Laune, seufzte und klagte nie über viele Geschäfte, oder gab durch Klirren der Schlüssel, Thürenzuwerfen und eine bis zum ängstlichen Abmühen getriebene Thätigkeit zu erkennen, wie viel auf ihr laste. Immer gut und sorgsam angezogen, immer aufgelegt zu interessanter Unterhaltung, immer ruhig und Zeit habend, obgleich nichts versäumt ward, schien eine weise, jedoch nicht pedantische Ueberlegung alle ihre Handlungen zu ordnen, so daß wie Glieder einer Kette, eine regelmäßig und still in die andere griff.

Auch als Mutter, ein Verhältnis, das er nicht ohne den herbsten Schmerz sich auszudenken [207] vermochte, stand sie ausgezeichnet vor tausend Frauen, die er kannte, und selbst vor denen, die er vorzüglich in dieser Würde ehrte, da, die himmlische, sich selbst vergessende Liebe, mit der sie die Kinder ihres Herzens umsing, mit jenem Ernst verbindend, der aus der Festigkeit des Willens: nur ihr wahres Wohl als Zweck sich vorsetzend, und sie eben deshalb keineswegs verziehend, hervorgeht.

Otto, der älteste Knabe, war nicht allein von der Natur begünstigt, sondern durch den reinen Einfluß des mütterlichen Wirkens bereits zu einer Höhe der Liebenswürdigkeit und Ausbildung gebracht, die selten schon in diesem zarten Alter sich zeigt.

Gehorsam, als die Hauptbasis aller guten Kinderzucht, Bescheidenheit Genügsamkeit, Selbstbeherrschung – alle jene Tugenden, die den, der sie besitzt, um so lieblicher zieren, je öfterer der Mensch sie in sich und Anderen vermißt, waren die sorgsam gepflegten Keime, die Erna in seine junge Seele gepflanzt hatte, und jede Beschäftigung mit ihm, der sie stets wie ihr Schatten umgab, entwickelte seine noch mit Nacht umhüllten Begriffe, und prägte durch Lehre und Beispiel gleich kräftig das Gute und Schöne in sein kindliches Herz.

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5
V

Weniger klar ließ sich erkennen, was sie als Gattin war – oder vielleicht raubten ihm die Leidenschaften, die stets in ihm in Bewegung geriethen, wenn er sie von dieser Seite betrachtete, die nöthige Unbefangenheit des Urtheils, um sie in einer Beziehung zu durchschauen, welche ihm die schmerzlichste von allen war.

Sie begegnete Linovsky mit einer Achtung, die sich durch ein immerwährendes Bestreben, seine Zufriedenheit zu erlangen, ausdrückte. Aber wenn diese auch offenbar das höchste Ziel ihrer Wünsche schien, so mischte sich doch kein gleichsam unwillkührlich entschlüpftes Zeichen eines innig liebend ihm zugewandten Gefühls in die gefällige Milde und Aufmerksamkeit, mit der sie, ihn als ihren Herrn und Gebieter ehrend, sich ganz nach seinen Winken und Willen richtete.

Zog sie wirklich aus der verhängnisvollen Urne des Schicksals, oder vielmehr aus eigner Wahl ein Loos nach ihrem Herzen, so mußte Ruhe, fast möcht er sagen Kälte, der Grundton ihres Wesens seyn, das fern von aller Exaltation einer leidenschaftlichen Gluth sich nur innerhalb der Gränzlinie gemäßigter Empfindung regte. Ihre Vernunft, so wie ihre Pflicht unterwarfen sie Linovsky unbedingt, und sich ihm ganz unterordnend, [209] war er ihr in der Würde des Hausvaters stets die erste Instanz, die über ihre Handlungen entschied – aber als Gemahl und Vater ihrer Kinder genoß er – oder verbarg sie ihm aus Schonung die Aeußerungen einer wärmeren Gesinnung? – nur jenes allgemeine, freundliche Wohlwollen, das ihre reine Seele für alles beseelte, was sie umgab.

Ob sie nun ihren Mann wirklich liebe, und ob überall in die reiche Mitgift, die sie von der Natur empfangen, auch die Fähigkeit mit einbegriffen sei, mit ganzer, voller, glühender Seele lieben zu können – er wußte es nicht – aber das fühlte er bestimmt, ihn würde als Erna's oft beneideter Gatte dies an sich verdienstliche Streben nach Pflichterfüllung, ohne jenen Grad der Herzenswärme, der die eigentliche Weihe eines liebenden Bundes ist, nicht befriedigt haben.

Dem Anschein nach eine glückliche Frau, geehrt, geliebt von einem allgemein geachteten Manne, dessen bedeutender Rang (er war Nachfolger des *schen Gesandten geworden) ihr eine ausgezeichnete Stelle im bürgerlichen Leben anwies, dessen eigenes Vermögen, verbunden mit dem ihrigen, alle Sorgen des Lebens wie mit goldenem Zauberstab verbannte – rings um sich eine paradiesische Umgebung, als Mutter zweier, wie aus einer Schaar von Engeln entlehnter [210] Kinder, und an Augusten eine Freundin habend, die im verjährten Besitz ihres vollen Vertrauens mit fast mütterlicher Liebe an ihr hing, und als Hausgenossin ihr stets zur Seite war – jung und schön, und überall gefeiert – was konnte ihr zu wünschen übrig bleiben?

Und doch mischte sich zuweilen der Schatten einer rührenden Schwermuth in die sanft gemäßigte Heiterkeit ihres Wesens, nie in eine Klage ausbrechend, aber doch im stillen Sinnen, im feucht verklärten Schimmer des umwölkten Auges, im leisen Seufzer sich verrathend, der ihren Busen hob.

Sie schien in solchen Momenten der Erde, auf der sie wandelte, nicht mehr zu gehören, und scheuchte sie dann ein Geräusch, eine plötzliche Anrede, oder sonst irgend ein Anspruch des Lebens aus den Träumen empor, in die sie nur allzugern versank, so bedurft' es eines Augenblicks, ehe sie sich wieder fand, und der weichere Ton ihrer Stimme, das Bittende ihres Blicks, die verdoppelte freundlich sich aufopfernde Milde ihres Benehmens flehte gleichsam um Vergebung, daß ihr Geist schon losgerissen von allen irrdischen Banden, in unbekannte Regionen sich verloren hatte.

Auguste, welche am Tage seiner Ankunft abwesend gewesen war, schien Alexandern, so wie [211] er ihr, ein feindseliges Andenken bewahrt zu haben. Da der Familienkreis sich sehr oft theilnehmend um sein Schmerzenslager versammelte, und man sich bemühte, die Pflichten der Gastfreiheit in ihrem ganzen Umfang zu erfüllen, so konnte auch sie sich nicht ausschließen. Doch ihr streng fortdauernder Ernst, ihm gegenüber, wurde durch kein Zeichen irgend eines wohlwollenden Antheils gemildert, und auch er bemerkte, ohne sich weiter um sie zu bekümmern, mit einem stummen Vergnügen, das fast der Schadenfreude glich, die Verwüstungen, die der Zahn der Zeit während der Jahre, seitdem er sie nicht gesehen, in ihrer früher schon verblühten Gestalt hervorgebracht hatte.

Endlich, nach mehreren Tagen, erlaubte ihm der Arzt, wieder in die Luft zu gehen, und sich hinaussehnend in den frischen duftigen Sommermorgen, benutzte Alexander auf der Stelle diese Erweiterung der ihm bisher so eng gezogenen Gränzlinie seines Verhaltens.

Langsam wandelte er auf Benedikt gestützt (denn er fühlte sich sehr matt) im Garten umher, bis die süßen Töne eines einfachen Liedes, das Erna ohne alle Begleitung sang, ihn – um keinen Laut desselben zu verlieren – dem Hause wieder näherte.

Die nach dem Garten gehenden Fenster waren[212] durch Rebengewinde halb verschleiert. Eins derselben stand offen – aus ihm drang der himmlische Wohllaut, der durch das Ohr geradezu den Weg zu seiner Seele fand. Leise schlich er heran, um unbemerkt die Sängerin zu hören, vielleicht gar sie zu sehen. Aber wie theuer büßte er dies Verlangen!

Versteckt vom dunkeln Grün der Weinranken erreichte sie allerdings sein suchendes Auge, aber in einer Situation, die, alle seine Gefühle stürmisch aufregend, ihn in einen Abgrund voller Flammen stieß.

Sie befand sich in ihrem Schlafgemach. Im nachläßigen Morgenkleide, das sich wie eine Hülle frisch gefallenen Schnees um sie anschmiegte, jede Form verrathend, ohne jedoch die zarteste Sittsamkeit zu beleidigen, das schöne Haar noch ungeordnet, in langen Locken sie umwallend, hielt sie den Säugling auf ihrem mütterlichen Schooße, ihm die Nahrung zu reichen, auf welche der Mensch durch den Wink der Natur in der Schöpfung des Weibes eine so heilige Anweisung erhalten hat. Lächelnd ließ oft der Kleine den blendenden Busen los, um mit den großen braunen, Erna so nah verwandten Augen zu ihr aufzublicken und ihren Tönen zu lauschen. Wenn sie dann das Haupt zu ihm herab bog, und ein Kuß der heiligsten Mutterliebe ihren Gesang [213] unterbrach, faßte er die süße Quelle seiner Labung wieder, und erneuerte abwechselnd mit ihr dies kosende Spiel, von welchem Erna nicht ahnete, daß ein fremder Zeuge es beobachten könne.

Nachdem sie verschiedene Melodieen, theils innig mit dem Kinde ihres Herzens beschäftigt, theils sicht bar sich in das Gebiet ernster und tiefer Gedanken verlierend, leise vor sich hingesungen hatte, ging sie auf einmal in die über, die wie ein Schwert der schärfsten Erinnerung in Alexanders Seele schnitt:


Doux enfant Jesus! sang sie,
Donne moi le Saint Esprit
Et toutes les vertus
De ta mère Marie, Marie, Marie!

Ach, welche versunkene Welt, damals, als er zuerst diesen einfachen Gesang von ihr vernahm, noch voll blühender Hoffnungen, und jetzt so verödet, that sich von Neuem vor ihm auf, den bittersten Schmerz als Echo dieses Liedes weckend! –

Er konnte nicht länger bleiben – sein laut klopfendes Herz würde ihr seine Gegenwart verrathen, der Sturm der wildesten Gefühle in ihm ihn zu irgend einer Raserei hingerissen haben. Seltsam stritten sich die feindseligsten Empfindungen in ihm mit der weichen Wehmuth seines Busens. Er haßte, er verabscheute sie – und in demselben Augenblick war er sich doch am hellsten [214] der unauslöschlichen Liebe bewußt, die siegreich ihre Macht an ihn bewährte, und die, wie er klar erkannte, kein Verhältnis jemals zu vertilgen im Stande sei. Wie dem in Todesgefahr Kämpfenden ein dunkler Instinct oft den Weg zur Rettung zeigt, so rief es laut in ihm: Fort – fort aus diesem Zauberkreise – fort, sobald als möglich!

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VI

Er schwankte in sein Zimmer zurück, und warf sich auf sein Lager. Da faßte er den Entschluß, noch heute das Haus zu verlassen, wo die Wunden seines Herzens, statt still zu vernarben, täglich bluten mußten, und je brennender der Eindruck war, den der erlauschte Anblick der Geliebten in einer so verführerischen Situation auf seine Seele gemacht hatte, je mehr sah er ein, wie sehr es Noth that, so schnell wie möglich den Versuch zu wagen, ob er zu verdrängen sei.

Als daher nach einer Stunde Erna, wie gewöhnlich, völlig gekleidet aus ihrem Zimmer trat, ihm einen guten Morgen zu bieten, und nach seinem Befinden zu fragen, erwiederte er ohne Aufschub ihren freundlichen Gruß mit der Erklärung, daß er die erhaltene Erlaubnis des Arztes, [215] die Luft wieder genießen zu dürfen, auf das endliche Verlassen dieses gastfreien Aufenthalts ausdehnen wolle, indem er vielleicht schon zu lange ihre Güte durch eine Pflege gemisbraucht habe, die er nun nicht mehr bedürfe, so süß sie ihm auch sei. Er habe daher Anstalten getroffen, sich in die Stadt bringen zu lassen, und bitte sie, seinen innigen Dank für ihre unvergeßliche Freundlichkeit und Milde, und – sein Lebewohl anzunehmen.

Erna schien betroffen. Verlegen, da ihr keine Gründe einfielen, ihn zurückzuhalten, machte sie ihn leise darauf aufmerksam, daß es Linovsky befremden werde, ihn nicht mehr zu finden.

Dieser, der sein diplomatisches Büreau in der Stadt hatte, und jeden Morgen dort seinen Geschäften widmete, war bereits in aller Frühe dahin gegangen. Aber Alexander erwiederte, daß er den ersten Ausgang, welchen er sich in der Stadt erlauben dürfe, benutzen werde, um auch ihm den Dank für seine gütige Aufnahme, den er ihm schuldig sei, persönlich darzubringen, und daß er sie ersuche, ihn einstweilen ihrem Gemahl bestens zu empfehlen, und seine plötzliche Entfernung mit manchen unvorhergesehenen Umständen zu entschuldigen, die ihn unerwartet jetzt nöthigten, sich von einem so liebenswürdigen Zirkel zu trennen.

[216] Erna war bewegt, aber sie wandte nichts mehr gegen seinen fest ausgesprochenen Vorsatz ein, sondern drückte ihn nur in wenigen, aber herzlichen Worten aus, wie leid es ihr sei, seine Pflege nicht vollenden zu sollen, und daß sie hoffe, er werde eben so sorgsam über sich wachen, als wenn ihr Auge noch sein Thun und Treiben beobachten könne.

Der kleine Otto aber, der sich mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit an ihn geheftet hatte, und fast nicht mehr von seiner Seite gekommen war, wollte seine Abreise durchaus nicht zugeben. Weinend und bittend hing er an ihm, und aller Trost des baldigen Wiedersehens, den seine gerührte Mutter ihm zuflüsterte, alle Versprechungen lockenden Spielzeugs, das Alexander ihm bei seinem nächsten Besuch mitzubringen gelobte, konnte seine heißen Thränen, seine schmerzlichen Klagen nicht stillen.

Ergriffen von der warmen Anhänglichkeit des Knaben, hob Alexander ihn auf, und drückte, sanft ihn beschwichtigend, ihn an seine Brust. Indem schaute er Erna an – ihr Blick traf wie ein zündender Blitz den seinen. Ein unaussprechlicher Ausdruck von Wehmuth, Innigkeit und mühsam bezwungener Trauer glänzte in ihm, bis Perlen wie lichter Thau sich um die funkelnden Sterne sammelten, die er nun nicht mehr sehen [217] sollte, und die allein des Daseyns Nacht ihm zu erleuchten vermochten. –

Da konnte er seinen Gefühlen nicht länger gebieten. Der Wagen, den Benedikt aus der Stadt gebracht hatte, hielt vor der Thür, und mahnte ihn an die Nähe des unvermeidlichen Scheidens. Er gab der Mutter ihr weinendes Kind, und als sie noch einmal im flehenden Tone tieferschütterter Theilnahme ihn bat, doch sich recht zu schonen, und seine Wunden gut zu pflegen, schlug er sich heftig an die Stirn, indem er ausrief:diese werden wohl heilen, die im Herzen abernie! – Mit diesen Worten eilte er hinweg, sich in den Wagen werfend. Unwillkührlich, wie es schien, war Erna ihm bis zur Hausflur gefolgt, und als er noch einen Moment verweilen mußte, da Benedikt's Sorgsamkeit sich es nicht nehmen ließ, ihn gegen seinen Willen auf das vorsichtigste zu umhüllen, um ihn gegen alle rauhen und stoßenden Bewegungen des Wagens zu verwahren, erblickte er sie in einen Sessel hingesunken, ihr liebes Antlitz mit ihrem Tuche bedeckt, und Otto, dessen kindliche Aufmerksamkeit nun von seiner Entfernung abgezogen, sich zu ihr hingewandt hatte, und der, noch immer weinend, sich bemühte, an ihr emporzuklettern.

In diesem Augenblick, der ihn den letzten [218] Ueberrest besonnener Fassung raubte, hieb der Kutscher zum Glück auf die Pferde, die ihn in raschen Trab von dannen zogen. Ihm war, als erwache er aus einem Traume, und als habe das Verhängnis die Zügel ergriffen, und lenke mit jener geheimnisvollen Macht, der nichts widersteht, ihn gerade in der Secunde vom Rande des Abgrundes hinweg, in der er nahe daran war, sich selbst zu vergessen.

7
VII

Daß seine Gesundheit unter diesen neuen Erschütterungen litt, war natürlich. Sehr erschöpft und dumpf betäubt kam er in der Stadt an, und es dauerte mehrere Tage, ehe er von dem Stillstand auf dem Weg der Genesung sich zu weiterem Fortschreiten erholte.

Als er wieder einige Kraft gewann, sollte sein erster Besuch wirklich ein Opfer der Höflichkeit seyn, und Linovsky gelten. Er freute sich, ihn nicht zu treffen, da er gern den Anblick des Beneidenswerthen vermied – und doch zuckte es mit allen Regungen der bittersten Empfindlichkeit und der Eifersucht durch seine Seele, als man ihm sagte: er sei bereits nach seinem Landhaus – folglich zu Erna – zurückgekehrt.

[219] Er beschloß nun, die ihm bestimmte Zeit der Gräfin zu widmen, und ging zu ihr. Noch hatte er niemand von seinen ehemaligen Bekannten begrüßt, und daher war seine Zurückkunft so verschwiegen geblieben, daß seine Erscheinung die Gräfin jetzt eben so überraschte, als erfreute.

Hilf Himmel! rief sie ihm entgegen, was für ein gespenstisches, wunderbares Wesen sind Sie doch geworden! So plötzlich und spurlos aus unserer Mitte zu verschwinden – man weiß nicht wohin? – und eben so unerwartet wieder aufzutreten, man weiß nicht woher? – das ist ein Räthsel, das Sie mir durchaus lösen müssen, da mein eigener Scharfsinn es nicht vermag.

Alexander parirte als ein geübter Wortfechter die Stöße ab, mit denen ihre Fragen seinem leicht verletzlichen Innern weh thaten. Statt sie zu beantworten, bat er sie, da er in dem sonst so bekannten Kreise gewissermaßen fremd durch seine lange Abwesenheit geworden sei, ihn wieder ein wenig zu orientiren, ehe er sich ihm von Neuem anschlösse, und sie führte bereits mit geläufiger Zunge alle bedeutenden Veränderungen, die indessen vorgefallen waren, an ihm vorüber, als ein neuer zu dem diplomatischen Corps gehörender Ankömmling, Baron H...., gemeldet und angenommen wurde.

Erst seit sehr kurzer Zeit war er bei dem hiesigen[220] Hofe accreditirt, und die Gräfin – scherzhaft wie immer – suchte bereits sein Urtheil über das bunte Tulpenbeet der Damen zu erforschen, das – wie sie bei der letzten Cour bemerkt haben wollte – er mit genau prüfendem Kennerblick gemustert habe.

Mit der Feinheit eines Hofmanns sprach der Baron seine Meinung behutsam aus, und es schwellte Alexander's Herz mit wehmüthig freudigen Regungen, als er, leicht über die blühende Schönheit mehrerer jungen Frauen und Mädchen hinweggleitend, den interessanten Ausdruck und die Anmuth und Lieblichkeit Erna's rühmte, der er, obgleich ihre Reize mehr zu rühren als zu blenden geeignet seien, den Vorzug vor allen übrigen einzuräumen schien.

Ohne eben kränklich auszusehen, fügte er hinzu, ist in dieser seelenvollen Physionomie doch ein so mit Leiden vertrauter Zug enthalten, daß man von ihr mit Marmontel sagen möchte: on sent bien, que l'amour à passé par là.

Die Lebhaftigkeit der Gräfin gestattete nicht, daß das Gespräch lange bei einem Gegenstand verweilte. Gern hätte Alexander – wenn gleich aus dem Munde eines Fremden – noch mehr über Erna gehört; allein nach einigen flüchtigen Minuten empfahl sich der Baron schon wieder, und nun stand er nicht an, diesen ihm so interessanten [221] Faden wieder aufzufassen, und die Gräfin geradezu zu fragen: ob der Ausdruck einer leisen verschwiegenen Schwermuth, den auch er, während seines kurzen Aufenthalts bei ihr, in ihrem Wesen wahrgenommen habe, wohl wirklich auf einen geheimen Kummer deute, oder ob er vielleicht, ohne innere Beziehung, nur zufällig sei?

Lieber Freund, versetzte die Gräfin, Erna ist nicht allein in der Fülle der Vollkommenheit ihrer Eigenschaften, sondern auch in ihren Fehlern eine seltene und sonderbare Erscheinung.

Verschlossen wie das Grab, dringt höchstens der Blick ihrer milzsüchtigen Auguste, kein anderer, in das streng umhüllte Heiligthum ihres eigentlichen Gefühls, und was ich Ihnen daher mittheilen kann, sind blos Vermuthungen, Beobachtungen und Combinationen, zu denen sie mir keineswegs den Schlüssel gab.

Sie hat Linovsky wohl nur geheirathet, weil man von allen Seiten ihr seinen Werth pries, weil Auguste ihn als ein Muster männlichen Verdienstes anerkannte, weil er sich dringend um sie bewarb, und – weil sie wirklich nichts gegen ihn einzuwenden vermochte.

Vielleicht hat sie auch geglaubt, ihn zu lieben – ich weiß es nicht – genug, sie gab ihm freiwillig aus Ueberzeugung, aus Vernunft, aus tiefgegründeter Achtung ihre Hand, und hat sich [222] auch gewiß in seinem Charakter nicht geirrt – aber gleichwohl schien doch mit dem Hauch, der das bräutliche Ja von ihren Lippen entführte, ihr jugendlicher Frohsinn und die unbefangene Heiterkeit ihrer Stimmung zu verschwinden.

Dazu kam noch, daß sein Hang zur Eifersucht sie, um nicht sowohl den Hausfrieden, als ihm die wohlthätige Stille eines nicht durch Leidenschaften aufgewühlten Gemüths zu erhalten, bald von allen geselligen Kreisen isolirte, den Hof ausgenommen, wo denn nun freilich die mächtig gebietenden Verhältnisse es wollen, daß sie sich dann und wann einmal zeigt.

Um vielleicht eine schonende Hülle über die männliche Tirannei zu werfen, mit der seine Anmaßungen fodern, daß sie nur für ihn, und für keinen Genuß des Daseyns außer ihm lebe, bewog sie ihn, das Landhaus Sorgenfrei zu kaufen, dessen Lage ihr schon früher sehr gefallen.

Dort richtete sie sich häuslich ein, und so sehr auch die Nähe der Stadt einen ausgebreiteten Umgang begünstigen würde, so scheuchte doch bald die finstere Gemüthsart ihres Gatten alle Besuchenden, vorzüglich männlichen Geschlechts, zurück, so daß immer vereinzelter, immer einsamer der stille Weg ihres Berufs sie von den Freuden der Welt entfernt, und blos auf Mann und Kinder und Augusten beschränkt.

[223] Selbst ich, die ich doch so oft in das Haus des *schen Gesandten kam, und sie daher genauer kenne, als die meisten Uebrigen der hiesigen Gesellschaft, sehe sie nur selten, weil ich es nicht verbergen kann, daß ich dem eigensüchtigen Menschen, der uns so viel Liebenswürdigkeit entzieht, um sie egoistisch ganz allein zu genießen, recht von Herzen gram bin.

So klar nun auch ihr häusliches Leben scheint, daß man wähnt, in seine innersten Verhältnisse wie in einen Spiegel hineinschauen zu können, so will es mich doch selbst bei den nur höchst sparsamen Besuchen, die ich mir gestatte, dünken, als ob ein Wurm an ihrem Innern nage, den nur Frömmigkeit, Selbstbeherrschung und eine exemplarische Pflichterfüllung beschwichtigen. Aber ob Unzufriedenheit mit ihrer Lage, ob irgend eine geheime Neigung, oder körperliche Kränklichkeit – an die ich zuweilen bei dem zu frühen Erbleichen ihrer frischen Jugendblüthe wohl glaube – die Ursache ist – das kann ich nicht entscheiden, da ihr kaltes, schroffes Schweigen auch dem theilnehmendsten Forscher nicht entgegen kommt.

Hat Erna vielleicht, fragte Alexander leise, ihrem Gemahl je Gelegenheit gegeben, eifersüchtig zu seyn!

Das nicht, erwiederte die Gräfin. Selbst die giftigste Verläumdung würde nicht im Stande [224] seyn, auch nur einen Schein von Schuld auf ihren tadellosen Wandel zu werfen. Aber es geht ihm, wie dem Geizhals, der seinen köstlichen Diamant lieber in den Kasten verschließt, als ihn im Strahl der Sonne schimmern läßt, weil er meint, als verlöre er durch das bunte Farbenspiel, das Andere entzückt, an seinem inneren Werthe. Auguste ist die einzige Person, deren Nähe um Erna der Mysanthrop freundlich duldet, da sie ganz für ihn eingenommen ist, und sich auch gewiß willig als Cerberus leihen würde, wenn es einer solchen Kreatur bedürfte, um ein Elisium zu bewachen. Da aber dies Elisium sich durch eigene Strenge und Würde schützt, folglich nie für ihn zum Tartarus wird, so spielt sie statt der Rolle einer auflauernden Duenna nur die einer Freundin im Hause.

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VIII

Diese Skizze von Erna's Leben und Verhältnissen gab Alexandern reichen Stoff zum Nachdenken mit nach Hause, und ließ ihn zugleich Linovsky's frostigen Empfang nicht als individuelle Abneigung, sondern nur als eine allgemeine Wirkung des unglücklichen Hanges zur Eifersucht erblicken, der sein Daseyn trübte, und – statt ihn auszuzeichnen, [225] ihn nur nichtausgeschlossen hatte.

Dies flößte ihm Muth ein, eine Pflicht des Wohlstandes zu erfüllen, und sobald er sich nur völlig erholt hatte, durch einen Besuch in Sorgenfrei Erna sowohl als ihrem Gemahl zu zeigen, wie dankbar durchdrungen er von ihrer Höflichkeit und Güte sei.

Er wählte absichtlich dazu einen Nachmittag, um Linovsky nicht zu verfehlen, weil er seinem mistrauischen Sinn keinen Anlaß zu dem Verdacht geben wollte, als habe er Erna irgend etwas allein zu sagen.

Die Familie befand sich auf der Hausflur, die an Eleganz mit den Zimmern wetteifernd, als ein solches gebraucht wurde. Um den Theetisch versammelt, an welchem Erna präsidirte, Otto neben ihr, der kleine Wunibald auf einem Kissen zu ihren Füßen liegend, Auguste mit Arbeit beschäftigt, und Linovsky ein Buch in der Hand, aus welchem er vorzulesen geschienen hatte, stellte die kleine Gruppe, die sein scharfes Auge schon in der Ferne durch die weit geöffneten Glasthüren übersehen konnte, wirklich ein lieblich anziehendes Bild häuslicher Eintracht und häuslicher Freuden dar.

Als sein Wagen vorfuhr, und man ihn erkannte, stand Linovsky auf, ihm entgegenzugehen. Da Alexander ihm sogleich als hauptsächlichen [226] Grund seines Kommens den vergeblichen Versuch anführte ihn in der Stadt aufzufinden, um ihm doch endlich persönlich auszudrücken, wie innig verbunden er sich ihm für seine gastfreie Aufnahme fühle, so war der Empfang weniger steif und kalt, als er befürchtet hatte. Wie erstaunte er aber, als er die Stufen heraufstieg, und Erna von ihrem Platz verschwunden sah. Eine leise Ahnung durchbebte sein Inneres, daß sein Anblick sie nicht deshalb verscheucht habe, weil er ihr gleichgültig sei.

Endlich kam sie wieder. Eine sanfte Röthe hatte sich über ihre Wangen ergossen – sie war jedoch die einzige verrätherische Andeutung eines aufgeregten Gemüths, denn wie immer thronte der Friede auf ihrer Stirn, die Ruhe in ihrem Lächeln. Theilnehmend, aber mit vorsichtiger Zurückhaltung, erkundigte sie sich nach seiner Gesundheit, freute sich, ihn wiederhergestellt zu sehen, und zog sich dann zu Augusten zu rück, ihn dem ausschließlichen Gespräch mit Linovsky überlassend.

Der kleine Otto hatte ihn mit stürmischer Freude begrüßt. Mehr noch als Peitsche, Steckenpferd, Trommel und Bilderbuch, und was die bunte Mannichfaltigkeit des mitgebrachten Spielzeugs noch sonst enthielt, schien die Wiederkehr des Freundes ihn zu entzücken, und [227] diese seltene, uneigennützige Anhänglichkeit, diese tiefe Innigkeit des Gefühls in einem Kinde, hatte etwas so unbeschreiblich Rührendes, daß es begreiflich war, Erna davon erschüttert zu sehen.

Auch Linovsky, stolz auf das Vatergefühl, das ihm dieser Knabe zueignete, bewährte durch eine immer milder sich Alexandern zuwendende Freundlichkeit die alte Erfahrung, daß nichts sicherer die Herzen der Eltern gewinnt, als das Wohlwollen, das man ihren Kindern schenkt.

Denn Alexander erwiederte so von ganzem Herzen die Liebkosungen des Kleinen, sprach sich so warm und unverholen über seine herrlichen Anlagen, über sein tiefes Gemüth aus, daß Linovsky erfreut, von den Lippen eines Fremden bestätigt zu hören, was die eigene Ueberzeugung ihm oft zugeflüstert hatte, ein inniges Behagen an der Gerechtigkeit fand, die seinem Otto widerfuhr.

Da nun noch überdem Alexander's kühner, freier, vom Leben gehärteter, und vom Schmerz geläuterter Sinn sich streng innerhalb der Schranken einer Vorsicht erhielt, die das Mistrauen eher einzuwiegen als zu erwecken vermochte, indem er Erna durchaus keine andere Aufmerksamkeit erwies, als die, die die allgemeine Höflichkeit der Frau vom Hause zu widmen pflegt, so schien es wirklich, als sey er Linovsky'n ein willkommener Gast, und indem er ihn bat, zum Abendessen [228] zu bleiben, äußerte er zugleich recht verbindlich, daß es ihn freuen werde, ihn öfterer zu sehen.

Auguste hatte den eingeschlummerten Wunibald zu seiner Wiege getragen, und war nicht wiedergekehrt – ein Brief, der Linovsky'n gebracht wurde, nöthigte ihn, sich auf eine Viertelstunde zu entfernen, um ihn zu beantworten – jetzt also fand sich Alexander mit Erna allein, da Otto, der schön wie ein Liebesgott zwischen beiden stand, seines zarten Alters wegen für keinen Zeugen zu rechnen war.

Gleichwohl herrschte ein tiefes Schweigen zwischen ihnen; denn zu voll gedrängten Gefühls waren diese Augenblicke, um den Anfang einer gleichgültigen Unterhaltung zuzulassen.

Da ermannte sich Erna, und indem sie aufstand und ans Fenster trat, bat sie ihn als einen erfahrenen Botaniker und Blumisten um Rath über die Behandlung eines erkrankten Myrthenbäumchens, das sie, trotz aller Pflege, zu verlieren fürchtete.

Er betrachtete es genau, und beugte sich tief zu ihm nieder, doch mehr, um die Bewegung zu verbergen, in der er war, als um seinen eigentlichen Zustand zu untersuchen. Eine unbeschreibliche Wehmuth überfiel ihn im Bewußtseyn verlorenen Lebensglücks. Es wird sich wieder erholen, sagte er dumpf. Denn welche Jugend [229] hat nicht dürres Reis und welke Blüthen –welchen Glücklichen hienieden sproßt die Myrthe in ungestörter Heiterkeit? Ein wenig frische Erde wird ihm wohl thun – – in ihr liegt Heilkraft für alle Krankheiten. –

Da sah ihn Erna an mit einem Blick, dessen reine Klarheit, obwohl von Mitleid getrübt, ihn hoch empor über allen irrdischen Kummer hob. Wie Blumen Labung uns entgegenduften, so drang der goldene Frieden der Unschuld, ihn moralisch erquickend, aus ihrer Seele in die seine, und beschwichtigt schwiegen seine Schmerzen, als ihre sanfte Rede wie milder Balsam in seine Wunden floß.

Doch nur momentan dauerte diese linde Befriedigung seines Innern. Diese schwermüthigen Aeußerungen habe ich nicht hervorrufen wollen, sagte sie mit freundlichem Ernst. Auch sind sie Ihrer Natur eigentlich fremd, die sich ja immer zum Frohsinn hinneigte. Warum sollte sie ihn jetzt verläugnen? O halten Sie ihn fest – er ist eine so starke, sichere Stütze in den Stürmen des Lebens!

Tief erschüttert ergriff sie Alexander's dunkel glühender Blick. Dieser Rath kommt von Ihnen? antwortete er bitter. In der That, das muß mich befremden. Wollen Sie meines gemishandelten Gefühls noch spotten? Wer mir [230] die Stütze raubte – darf mir noch rathen, sie festzuhalten?

Norbeck! ich beschwöre Sie, nicht diesen Ton! unterbrach ihn Erna. Er entfernt uns von dem Wege, auf dem ich gern neben Ihnen durchs Leben ginge, und auf dem allein ich es darf. Lassen Sie der Vergangenheit ihren Schleier, und ehren Sie gleich mir in allem, was er verhüllt, eine höhere Fügung, der der Mensch geduldig gehorchen muß.

Wie? rief Alexander aufs höchste aufgeregt, wollen Sie mich zur Gotteslästerung verleiten? Menschliche Willkühr, menschliche Unversöhnlichkeit soll ich, statt über ihre Härte mich zu beklagen, noch mit kindlicher Unterwerfung als einen Rath der Vorsehung betrachten, die alle ihre Geschöpfe zum Glück berief, und auch mich nicht ausgeschlossen haben würde, wäre die jugendliche Uebereilung meines so oft und bitter bereueten früheren Betragens einer mein ganzes Leben vergiftenden Strafe entgangen?

Ja, fuhr er fort, ich habe damals, als das Glück Ihres Besitzes mir zugedacht war, es für unverträglich mit den lockenden Freuden der Freiheit gehalten, in denen ich schwärmte, und die ich in thörichter Verblendung für das höchste Gut auf Erden hielt – – ich habe unedle Mittel ergriffen, es von mir abzulehnen, indem ich [231] selbst meinen moralischen Werth verkleinerte, um die Ueberzeugung hervorzubringen, als sei mein Charakter unwürdig, es zu erlangen. Leichtsinn, Unbesonnenheit rissen mich hin – und in der damals noch unentwickelten Knospe konnte ich nicht ahnen, welche Blüthe des Himmels, die meinen Lebensweg verschönert hätte, ich von mir stieß.

Aber als ich Sie nun wieder sah, und eine glühende unaussprechliche Leidenschaft mich jetzt eben so wahrhaft zu Ihnen hinzog, als früherer Irrthum mich von Ihnen entfernte – ach – da konnte eine Reue, wie sie ja selbst den Himmel versöhnt, das racherfüllte Herz eines Mädchens nicht erweichen, und von seiner Unbarmherzigkeit zu unauslöschlichem Elend und ewigem Darben verdammt, soll ich noch für höhere Fügung halten, was meinem Daseyn alle Jugend, meiner Zukunft jede Hoffnung raubte! –

Thränen stürzten aus Erna's Augen. Ihre bittende Stellung und die tiefe Wehmuth ihrer Züge schien ihn um Schonung anzuflehen – aber er wand sich ab von ihr, seinen Sinn nur noch mehr zu verhärten, indem er sich selbst ihrem rührenden Anblick entzog. Ueberzeugt, daß er sich allein am ersten wiederfinden werde, und daß ihre Nähe ihn nur noch mehr reize, entfernte sie [232] sich, und nahm den kleinen Otto mit sich, der nicht aufhören konnte zu fragen, weshalb der fremde Mann – so nannte er Alexandern – so bös auf Mama sei?

9
IX

Wirklich erreichte Erna ihren Zweck. Denn als er sie nun neben sich vermißte, und die Unsicherheit des jeder Ueberraschung blosgestellten Orts bedachte, wo er sie so leicht in ihren ohnehin so beengten ehelichen Verhältnissen hätte auf das bitterste durch seine Heftigkeit compromittiren können, verschwand sein Zorn vor dem lebhaften Gefühl seines Unrechts, und so gern er auch auf der Stelle das Haus verlassen hätte, in welchem ihm so wehe und doch wiederum so wohl war, so schien es ihm doch eine unerläßliche Bedingung der Möglichkeit seiner Entfernung, erst ein Wort der Verzeihung von ihren Lippen mit sich hinwegzunehmen.

Nach einigen Momenten, in denen er sich völlig zu sammeln strebte, kam Linovsky wieder zu ihm, verwundert, ihn so ganz allein zu finden. Er fragte seinen Bedienten, wo seine Frau sei, und erfuhr, daß sie den kleinen Otto zu Bett bringe. Ob er sich gleich sehr höflich gegen [233] Alexandern entschuldigte, daß man ihn so unachtsam verlassen habe, so schien es ihm doch nicht unangenehm, zu bemerken, daß Erna so ganz und gar keine ausgezeichnete Notiz von ihrem Gaste zu nehmen schien, und sich in ihren gewöhnlichen häuslichen Beschäftigungen durch ihn keineswegs stören ließ.

Erst bei'm Abendessen kam sie wieder zum Vorschein. Beschämt vermochte Alexander Anfangs den Blick nicht zu ihr zu erheben, und als er es endlich über sich gewann, schärfte die milde Trauer, die mit ihrem gewöhnlichen Ernst verschmolzen war, noch das Bewußtseyn, wie sehr er sich an ihr vergangen habe, und er sehnte sich, ihre Vergebung und in ihr die Beruhigung zu erflehen, die er schmerzlich in seinem Busen vermißte.

Doch so wohl sollte es ihm heute nicht werden. Obgleich sie an der Unterhaltung den Antheil nahm, den ihre Pflicht als Hausfrau von ihr foderte, so mischte sich doch eine gewisse, Ehrfurcht gebietende Strenge in ihren Ton, so wie in ihre Haltung, die seine fernen Schranken von ihr ihm sehr entschieden anwies.

Je zurückgezogener und kälter sie sich aber gegen ihn benahm, je freundlicher war Linovsky, der, indem Alexander von seinen Reisen erzählte, den geistigen Nachhall froher Erinnerungen genoß, [234] und auf diese Weise manchen Berührungspunkt fand, der ihm seinen Umgang um so angenehmer machte, da er sich durch ihn nicht von der Seite beunruhigt fühlte, wo er am leichtesten zu verwunden war.

Er wiederholte daher beim Abschied recht herzlich die Bitte, bald wieder zu kommen, und erwiederte einige Tage darauf Alexander's Besuch, um ihn zum folgenden Mittag auf Sorgenfrei einzuladen, wo, wie er sagte, er die Bekanntschaft einiger interessanten Fremden machen werde.

Wie willkommen war Alexandern nicht die ihm gegebene Gelegenheit, sich Erna wiederum zu nähern. Zwar hoffte er nicht auf die Gunst eines unbelauschten Gesprächs mit ihr, die, wenn auch der Zufall sie ihm freundlich gewähren würde, ihr Ernst und ihre Festigkeit doch gewiß ihm verweigert hätte. Aber der Entschluß, ihr schriftlich auszusprechen, was er litt, erleichterte sein schwer beladenes Gemüth, und in dem Geschäft, ihr zu schreiben, fand er Linderung seiner Quaalen.

Wenden Sie Sich nicht unversöhnlich von dem Unglücklichen ab, begann sein Brief, der neben dem tiefen Schmerz, Sie auf ewig verloren zu haben, nicht noch Ihren Unmuth zu ertragen im Stande ist.

Kaum darf ich es wagen, auf eine Zeit hinzudeuten, [235] deren Erinnerung Ihnen nur bittere Gefühle, mir nur die heiße Gluth der Schaam darbietet. Es ist die Zeit unserer ersten Bekanntschaft – und ob es gleich schonender für uns beide wäre, sie in schweigende Vergessenheit zu begraben, so muß ich ihrer doch noch einmal erwähnen, wenn ich den einzigen Zweck erreichen will, der mir unter den Trümmern meines Daseyns noch des Strebens werth scheint, versöhnt nämlich mit Ihnen und bemitleidet von Ihrem Herzen auf immer von Ihnen zu scheiden, wenn mein Beruf mich – und vielleicht bald – zur blutigen Thätigkeit des Kriegs, und – – ich darf wohl hoffend und sehnend hinzufügen – zum Tode ruft. Ja, ich beschwöre den Schatten der Vergangenheit, wenn auch nicht mich rechtfertigend, doch mich entschuldigend, vor Sie zu treten. Werfen Sie einen Blick der unpartheiischen Prüfung auf meine erste Jugend, die mich ohne Grundsätze, ohne Festigkeit, ohne eine leitende Hand, die mich vom Abgrund der Verführung zurückgehalten hätte, in das betäubende Gewühl der großen Welt stieß, und mich bei lebhaftem, leicht gereiztem Gefühl allen Gefahren schlechter Gesellschaft, allen Lockungen glänzender Zerstreuungen Preis gab.

Früh hatte ich meine Aeltern verloren, und nur wie ein immer undeutlicher werdender Traum [236] dämmerte das Andenken der Lehren meiner frommen Mutter in meiner Seele, um bald von dem wüsten Treiben eines geräuschvollen Lebens verdrängt, obgleich nicht völlig verlöscht zu werden.

Die Verhältnisse meines Standes, und das Vermögen, dessen Gebrauch, oder vielmehr Misbrauch mir von einem allzunachsichtigen Vormund schon sehr früh gestattet wurde, bahnte mir die gefahrvollsten Wege, und ich gerieth in Verbindungen, die in meinen Augen dem Heiligen seine Glorie, der Reinheit ihren Glanz, der Unschuld ihren Schleier entrissen.

Das Leben in seinen tausendfachen Gestaltungen zu beobachten, und es in seinen leisesten Nüancen zu belauschen, schien mir allein der Aufmerksamkeit werth, und da ich viel Unwürdiges unter frommer Hülle entdeckte, dünkte ich mich mitten in der Frivolität eines wenigstens nicht durch Heuchelei befleckten Lebens weniger strafbar und verächtlich, als so mancher, der gleisnerisch den Schein beobachtend, mit Ansprüchen auf äußere Tadellosigkeit ein wohlgegründetes Recht auf innere Geringschätzung verband.

So fand ich oft alle Laster mit der strengsten Ausübung religiöser Gebräuche vereinigt. Dies machte mein Urtheil einseitig, und erklältete mich gegen alle Form, aber Gott starb dennoch nicht in meinem Herzen, wenn auch mein Betragen [237] ihn oft zu verläugnen schien. Aus den bunten Erfahrungen, die ein immerwährender Rausch mich sammeln ließ, bildete ich mir ein System der Lebensphilosophie, das, wie ich meinte, meiner Individualität am genauesten angepaßt war, und das mir genügte, indem es jede Foderung der Moral ausschloß, und es mir als vernünftig darstellte, die Blüthen freier Jugendlust nicht mit den scharf einschneidenden Faden der Pflicht in Straus oder Kranz zu winden, wie die kalte Gewohnheit verjährter Gebräuche es wollte.

So im vollen Brausen aller Leidenschaften, die Freiheit als höchstes Gut betrachtend, und noch nicht übersättigt durch die zügellosen Genüsse, die sie mir bot, lernte ich Sie kennen, und früher noch die Absicht meiner Tante, uns zu verbinden.

Gewöhnt an die schimmernde Koketterie eitler und blendender Modedamen, hätten nur die schlauen Intriguen einer solchen mich damals unmerklich in den Netzen der List und der Verstellung verstricken können, um mich zu einer immerwährenden Verbindung zu bewegen. Der hohen Einfalt, der stillen Würde Ihres Charakters und seiner oft an's Aengstliche gränzenden Schüchternheit gelang es nicht, mich zum Opfer meiner Freiheit zu verleiten, da der geheime Götzendienst der Eitelkeit in meinem Innern keine Nahrung fand, und [238] mir der Sinn noch verschlossen war, der das tiefe und heilige Gemüth hätte erkennen können, das in solchen Zügen sich offenbart.

So bebte ein leiser Schauer in mir vor der strengen, schmucklosen Wahrheit Ihrer Gesinnung so wie Ihres Wandels unwillkührlich zurück, und so wenig die Raupe ihr künftiges Schmetterlingsdaseyn zu ahnen im Stande ist, eben so wenig ahnete auch ich, daß spätere Zeiten, mit der Erkenntnis Ihres ganzen Werths, die bitterste Reue, mein Glück leichtsinnig verscherzt zu haben, in mir erwecken würden.

Um den Zorn meiner Tante nicht durch Widerspruch zu reizen, beschloß ich, indem ich mich leichtsinniger und verdorbener stellte, als ich war, Ihre gute Meinung von meinem Charakter zu zerstören, ohne die – das wußte ich wohl – eine so fromme Gesinnung, wie die Ihrige, sich nie zu einer Verbindung auf ewig entschlossen haben würde.

Der Erfolg rechtfertigte meine teufelische List. Sie wandten sich mit Abscheu von einem Menschen weg, der es frei bekannte, daß er ohne Religion und Grundsätze sei, und der dem Heiligen, was Ihre Seele verehrte, Hohn sprach. Dies unwürdige Spiel noch durch die erheuchelte Betrübnis krönend, mit welcher ich meiner Tante klagte, daß Sie mein Herz verschmäht, meine Hand verworfen hätten, kehrte ich, froh den[239] Fesseln des Ehestandes entronnen zu seyn, in das seelenlose Geräusch der großen Welt zurück, das mich damals fester anzog, als alle Bilder eines reinen häuslichen Glücks in der Perspective meiner Zukunft.

Mit bitterem Schmerz, mit nagender Reue war ich mein eigener Ankläger. Darf ich – zur Wahrheit nun zurückgekehrt und durch unauslöschliches Weh versöhnt mit ihr, die ich einst so freventlich verletzte, jetzt auch mein Vertheidiger seyn? –

Nicht lange dauerte der Rausch fort, der mein besseres Selbst umfing. Bald erkannte ich die Nichtigkeit der Freuden, denen ich nachgejagt war, und die Sehnsucht nach einem höheren Glück, als das schale Einerlei eines immer zerstreuten Lebens mir bot, wandte mich ab von dem betretenen Wege, um mich einem besseren zuzuführen.

Aber ach, um mit Freudigkeit auf ihm fortzuwallen, hätt' ich einer leitenden Hand bedurft! Vergebens streckte ich die meinige aus – kalt, nicht von meinen Leiden bewegt, nicht von meiner Innigkeit ergriffen, nicht durch meine Reue erweicht, zog sichdie von mir zurück, die allein mir hätte die Paradiese des Lebens öffnen können.

Indessen – ich klage Sie nicht der Härte [240] an, Erna, ohne Sie zugleich zu entschuldigen. Sie kannten mich zu wenig, um das Bild des Frevlers, das noch dunkel im Hintergrunde Ihrer Seele ruhte, von dem Bilde des Gebesserten, im Prüfungsfeuer des Entbehrens Geläuterten, sich selbst klar Gewordenen zu trennen.

Denn daß mein Herz, diese Wohnung des regsten Gefühls, und – als ich auf Sie Verzicht leisten mußte – der wühlendsten Verzweiflung, dennoch nicht wieder zurücksank in den Abgrund früherer Vergehungen, aus denen das geistige Vermögen besserer Erkenntnis mich erhoben, daß ich mitten im Dunkel einer ewigen Hoffnungslosigkeit mich rein erhielt, als winke Ihr Besitz mir als Lohn aus der Ferne – das ists, worauf ich stolz bin, denn dies Bewußtseyn löscht den Schatten aus, den meine früheren Fehler auf die Vergangenheit werfen, und eben so wenig wie der Himmel den zerknirschten Sünder zurückstößt, der reuig aus den Labyrinthen weltlicher Verführung zu einem edleren Wandel zurückkehrt, eben so wenig fühl' ich mich jetzt mehr durch meinen moralischen Werth von den besten Menschen auf Erden geschieden – folglich stehe ich auch Ihnen nahe, denn in herber Entsagung und unerschütterlicher Willenskraft hab' ich die Stufen erklimmt, die zuIhrer Höhe hinauf führen.

[241] Und nun, zurückgekehrt in die Gegend, wo Sie athmen, doch ohne es zu ahnen – durch Zufall – wenn es anders Zufälle giebt – in Ihr Haus versetzt, ohne es zu wissen oder zu wollen, ist die ganze Kraft der Leidenschaft, die Sie mir eingeflößt haben, wieder in mir emporgeflammt, so eifrig auch mein jahrelanges Streben war, sie durch Vernunft, Zerstreuung und die abkühlende Erinnerung gekränkten Stolzes und verschmähter Liebe zu ersticken. Sie wiedersehen und alles von Neuem zu empfinden, was ich einst empfand, als ich an Ihren Besitz das höchste Ziel meiner Wünsche knüpfte, war eins. Denn obgleich die Erfahrungen des Lebens nach und nach den Charakter abschleifen, wie der immer kreisende Umschwung von tausend und abermal tausend Wellen endlich den scharfen Kiesel glatt spült, so macht ein Herz, das wahrhaft geliebt hat, doch eine Ausnahme von dieser sonst so sicheren Regel, und der unheilbare Schmerz des meinigen überzeugt mich, daß mein Gefühl für Sie ewig eben so glühend bleiben wird, als die Hoffnungslosigkeit unüberwindlich ist, die uns scheidet.

Diese Gewißheit in der tief verwundeten Brust, fragen Sie mich um den Zweck dieser Zeilen? – Ach – weiß ich ihn selbst? Ich habe Sie beleidigt, als ich das Schweigen brach, das Ehrfurcht [242] für die Verhältnisse der Gattin und Mutter mir hätte auferlegen sollen – ich habe mit der ganzen Bitterkeit der Erkenntnis meines verlorenen Lebens die sanfte Milde zurückgewiesen, mit der Sie die Gährung meines Innern zu besänftigen strebten, und mit aller Ungerechtigkeit leidenschaftlicher Entrüstung die ganze Schuld meines Elends auf Ihr weiches Gemüth gewälzt – – das ists, was ein innerer Drang mich abzubitten und abzubüßen zwingt.

Denn ich weiß es ja – Sie waren es nicht allein, die mein Urtheil bestimmte, sondern die, die es aussprach, hat unläugbar den größten Antheil an der Entscheidung desselben, da sie den Einfluß misbrauchte, den Gewohnheit und die verjährte Anhänglichkeit Ihres kindlichen Herzens ihr einräumen. Ich sehe ein, Auguste ist Ihnen lieber als ich, und Sie mögen Recht haben, wenn Sie in ihr die mütterliche Freundin ehren, die Ihre Kindheit pflegte und eine stets theilnehmende Zeugin Ihrer Schicksale blieb. Aber lassen Sie mich in der Zahl Ihrer Freunde nicht mit ihr in einer Klasse stehen – ich nehme eine geringere für eine Auszeichnung an. Denn ich verabscheue sie als den feindseligen Dämon, der mein Daseyn vergiften half, indem sie, meinen Charakter keiner näheren Prüfung würdigend, ihn nur durch das gefärbte Glas der Partheilichkeit [243] betrachtete. Sie haßt mich im Geheim, und findet den Grund dazu wohl nur in sich – denn von einer einzigen Uebereilung, die ein gebessertes Leben wieder gut zu machen sich bemühte, konnte sie ohnmöglich die Veranlassung entlehnen, mit unversöhnlicher Rachsucht Ihren Entschluß zu meinem Nachtheil zu leiten und meine Existenz in eine unwandelbare Hölle umzuschaffen.

Und nicht mich allein treffen die Folgen dieses heimtückischen Einwirkens. Auch Sie, Erna! – ja ich bin mit wehmüthigem Stolz davon überzeugt – auch Sie würden glücklich an meiner Seite gewesen seyn. Daher ist sie mir hier und in der Ewigkeit verantwortlich für Ihren Frieden – denn wenn ich Ihnen und Linovsky gegenüber stehe, fühle ich es klar, auch Sie hat ihr kalt verwerfendes Gemüth um den Himmel betrogen, den gegenseitige Liebe gewährt.

Doch nun genug. Mir bleibt nichts mehr im Leben zu wünschen und zu hoffen übrig, als daß Sie Sich herablassen werden, über meine Zukunft zu entscheiden.

Schon habe ich, da die politische Lage der Dinge und die kriegerischen Rüstungen meines Vaterlandes uns den nahen Ausbruch gerechter Feindseligkeiten erwarten lassen, dem König meine Dienste angeboten, und das Versprechen einer zweckmäßigen Anstellung erhalten. Aber diese [244] trübe Zwischenzeit, welche noch diese Erwartung von der Erfüllung des Verlangens trennt, das sich in mir nach beschwichtigender Thätigkeit sehnt – wie soll ich sie ausfüllen, Ihnen so nahe?

Soll ich Sie meiden, oder fortfahren, Sie zu sehen? Soll ich, zu ewigem Schweigen verdammt, mich zwingen, stumm neben Ihnen den Schmerz Ihres unersetzlichen Verlustes zu ertragen, den jeder Blick, auf Sie gerichtet, mir erneuert – oder darf ich dem wunden Herzen Luft machen, und – ohne die Strenge Ihrer Grundsätze zu beleidigen, es zuweilen aussprechen, was ich leide, um in Ihrem Mitleid – ein Gefühl, das selbst die reinste Tugend nicht verbietet – den einzigen Balsam zu finden, der mir Linderung zu geben vermag?

Denn, Erna! die Blume, die man nicht brechen darf, um sie an seinem Busen zu tragen – sie wird nicht durch die Thränen entweiht, mit denen Wehmuth sie benetzt. Entscheiden Sie – denn im Kampf mit mir selbst und mit den Dornen meines Schicksals traue ich, unsicher schwankend, dem eigenen Ausspruch nicht, und folge willig, wie einem höheren Gesetz, dem, was Ihre bessere Einsicht über mich verhängt. Und vor allem – senken Sie durch einen Blick der Güte, durch ein Wort der Vergebung den Frieden wenigstens wieder in meine zerrissene Seele, [245] den es in Ihrer Macht steht, mir zurückzugeben – damit zu dem Schmerz, den zu dulden ich verurtheilt bin, sich nicht noch der Vorwurf gesellt, Ihren Unwillen verschuldet zu haben.

10
X

Ziemlich spät machte er sich am anderen Tage auf den Weg, der erhaltenen Einladung zu folgen, hauptsächlich aber: sein eigener Briefträger zu seyn.

Er fand die Gesellschaft schon versammelt, und Erna, zierlich geputzt, und ihre Gäste mit Geist und Lebhaftigkeit unterhaltend, empfing ihn höflich, aber ohne alle, weder freundliche noch unfreundliche, Auszeichnung.

Er fand sie heute so hlühend, daß ihre Schönheit ihn im Rosenschimmer der Gesundheit überraschte. Ein ganz eigener Glanz funkelte zauberisch in ihrem Auge – aber so sehr ihn auch der Anblick ihrer Reize gleich warmem Sonnenschein entzückend durchdrang, so schmerzte es ihn doch, daß diesmal auch nicht der leiseste Wechsel ihrer Farbe ihm verrieth, daß seine Erscheinung irgend einen Eindruck auf sie mache.

Man schien nur auf ihn gewartet zu haben, um sich zu Tische zu setzen. Alexander wählte [246] seinen Platz so, daß er die im Auge hatte, die er im Herzen trug, und sie scharf beobachtend, glaubte er endlich wahrzunehmen, daß die Munterkeit, die sie scheinbar beseelte, nur eine erkünstelte sei, die sie nicht ohne innere Anstrengung als eine Pflicht der Hausfrau übte.

Als am Nachmittag die Gesellschaft sich in dem Garten zwanglos zerstreute, gelang es ihm sie einen Augenblick allein zu sprechen.

Schüchtern, bewegt, mit dem vollen, warmen Ton der Liebe, die den geliebten Gegenstand gekränkt zu haben fürchtet, redete er sie an, und bat um die Erlaubnis, ihr in dem Brief, den er ihr übergab, sein ganzes Herz darlegen zu dürfen.

Sie zögerte ein wenig, ihn anzunehmen. Doch als er die Versicherung hinzufügte, daß er nichts en halte, was ihr strenges Pflichtgefühl zu beleidigen im Stande sei – als er betheuerte, daß er, völlig resignirt auf jede Hoffnung des Glücks, nur Ihre Entscheidung über sein künftiges Benehmen gegen sie sich erbitte – und daß er keineswegs in der Absicht, irgend etwas dadurch zu gewinnen, sondern blos um sich eben sowohl anzuklagen als zu rechtfertigen, die Vergangenheit noch einmal, zum letztenmal, vor ihr ausgebreitet habe, um durch ihren Rath geleitet, nur das Betragen zu wählen, das weder ihrem inneren [247] noch äußeren Frieden gefährlich zu werden drohe, nahm sie ihn hin, ihn uneröffnet zu verbergen.

Das Wort: zum letztenmal, ist entscheidend für mich, sagte sie leise; denn es entschuldigt mich allein, daß ich eine so geheimnisvolle Art, sich mir mitzutheilen, begünstige. Zum letztenmale denn will ich mit Ihnen in jene Zeit zurückschwärmen, die unwiederbringlich dahin ist, und in der wir nichts mehr zu ändern vermögen – – dann aber richten Sie gleich mir Ihr Auge muthig in die Zukunft, und gönnen mir die Freude, Sie in ihr gleichsam ein neues, froheres Leben beginnen zu sehen.

Alexander wollte der Rührung nicht nachgeben die ihn erschütterte. Um sich daher die Fassung zu erhalten, die bei einer leicht möglichen Unterbrechung ihres Gesprächs ihm so nöthig war, erwiederte er nichts, sondern sprach ihr nur die Freude aus, sie heute so ungewöhnlich woh zu sehen.

Mit einem wehmüthigen Lächeln blickte Erna ihn an, und leicht mit ihrem Tuch über de rosige Wange streifend, antwortete sie: Also haben diese tauben Blüthen auch Sie getäuscht? Linovsky sieht mich ungern so bleich, wie ich nun einmal bin, weil seine Besorgnis mich dann gleich krank vermuthet. Ihm zu Ehren prange ich zuweilen [248] mit erborgter Farbe, und vorzüglich, wenn er einen frohen Kreis um sich versammelt hat, damit ich nicht, einem bereits abgeschiedenen Schatten gleich, störend unter den Lebendigen erscheine.

Wie? so fühlen Sie Sich wirklich krank? unterbrach sie Alexander betroffen.

Nicht eben krank, aber matt und müde, versetzte sie ruhig. Schon seit längerer Zeit – ich darf es Ihnen wohl bekennen – ist mir das Leben selbst in seinen heiligsten Beziehungen so nichtig erschienen, daß es mich nicht Wunder nimmt, wenn mein Gemüth mitten im Genuß der reichsten Güter darbt. Wie eine Pflanze, in harten, ungewohnten Boden versetzt, trauert und welkt, mag auch Thau und Regen sie erfrischen und Sonnenwärme sie linde anstrahlen, so bietet auch mir die Erde keine Nahrung für meine Sehnsucht, keine Befriedigung des inneren Bedürfnisses, keine Gewährung der Ideale, die – vielleicht erträumt und nirgends in der Wirklichkeit existirend – doch so lebhaft vor meiner Seele schweben, als hätte ich sie einst gefunden, oder würde ihnen noch begegnen.

Doch, setzte sie einlenkend hinzu, als habe ihr reges Gefühl sie unwillkührlich über die Schranken weiser Zurückhaltung hinübergeführt, wozu enthülle ich Ihrem fröhlichen Sinn, der [249] das Leben nur erst, geprüft und geläutert und seinen wahren Werth erkennend, ergreift, um es zu genießen, die Schattenseite meiner Ansichten? Vergeben Sie mir – nur die Hoffnung, ein besonnener, unserer würdige Umgang werde uns in reiner tadelloser Freundschaft einander nähern, konnte mich, die sonst gegen jedermann Verschlossene, so geschwätzig machen.

Und diese Hoffnung, die Sie nicht täuschen soll, da sie sich auf die Kraft meines Charakters und auf die Festigkeit meines Willens gründet, versetzte Alexander bewegt, verleiht mir das Recht, schon jetzt auszusprechen, daß die Wehmuth Ihres Wesens ein Echo in meinem Innern findet, das der Schmerz geheiligt hat. Nicht der frohe, lebensmuthige Jüngling steht vor Ihnen, den Sie einst in der Zeit seiner Verirrungen kannten, sondern der ernst gereifte Mann, der bis über die Gränze des irrdischen Lebens hinaus das Bild seiner verfehlten Wünsche als das Höchste sich bewahrt, was ihm das Daseyn zu bieten vermochte. Glauben Sie, ich könnte noch hoffen? könnte vielleicht Plane entwerfen für die entblätterte Zukunft, die vor mir liegt, der arabischen Wüste gleich, in der kein Labequell rieselt, der brennenden Schwüle Erquickung zu versprechen?

Erna wurde sichtbar gerührt. Sie suchte abzubrechen, und schlug das schöne Auge aufwärts, [250] wo mit lautem Geschrei eine Schaar Zugvögel über ihr dahinbraußten.

Seid mir gegrüßt in Euerer Höhe, Ihr geflügelten Pilger, die Ihr so fröhlich von dannen zieht, Euerem Süden entgegen! sagte sie. Ach, wer mit Euch reisen könnte, in das schöne Land, zu dem Ihr hinstrebt! –

Wünschen Sie das? fragte Alexander.

Nun ja, erwiederte sie verlegen, denn selten steht ja der Mensch auf einem Punkte, von dem er sich nicht hinwegsehnt. Doch sind es eigentlich nicht die irrdischen Fittige, nach denen ich verlange – jene höheren dehnen sich in mir, als wollten sie die schwache Brust zersprengen, die empor tragen ins Land der Verheißung, zum Vater der Liebe.

Sie sah ihn bei diesen Worten so hell und klar an, als wolle sie seinen Sinn erheben, wie ihre ahnenden Hoffnungen. Alexander konnte nichts erwiedern – thränenschwer schlug er die Augen nieder, und wandte sich in die Einsamkeit, da in demselben Moment Menschen ihnen nahten, die seine Stimmung weder zu begreifen noch zu schonen verstanden.

[251]
11
XI

Es wurde ihm an diesem Tage keine einsame Minute der Unterhaltung mehr mit Erna. An den Spieltisch gepflanzt, mußte er sich zwingen, seine Aufmerksamkeit für die geringfügigsten Dinge und für die unbedeutendsten Menschen, die an seiner Parthie Theil nahmen, wach zu erhalten, und nur selten durfte ein durstiger Blick zu ihr hinüberstreifen, die ruhig und in der ganzen Würde und Hoheit ihres Charakters, mit alle der milden Güte, die ihr eigen war, die Pflichten der Wirthin im Allgemeinen ausübte, ohne sich scheinbar um Einzelne ihrer Gäste auszeichnend zu bekümmern.

Als nun die späten Abendstunden zur Trennung auffoderten, und Alexander zwischen Erna und einigen anderen Damen die Verabredung treffen hörte, morgen gemeinschaftlich die Oper besuchen zu wollen, wagte er mit dem leisen Wort des Abschiedes, das er ihr zuflüsterte, die Frage zu verbinden, ob er sich dann an sie anschließen dürfe, um – sei es auch im störendsten Gewühl – sie wieder zu sehen?

Erna besann sich einen Augenblick in scheinbarer Unentschlossenheit, die eine liebliche Röthe auf ihre bleichen Wangen trieb. Dann aber faßte sie sich, gleichsam in ihrem Innern die Kraft [252] zu einem freien, nicht durch Convenienz bedungenen Entschluß auffindend, und indem sie freundlich sein Lebewohl erwiederte, setzte sie mit Würde hinzu, daß sie sich freuen werde, ihm dort zu begegnen.

In tiefes Nachdenken versunken, kehrte Alexander nach der Stadt zurück, und lange noch hielten ihn die ungebändigten Wünsche, Hoffnungen, Zweifel und Besorgnisse wach, die von Erna's Bild ausströmten, das seine Seele so lebhaft im innersten Heiligthum derselben trug.

Nein! so benimmt sich die Gleichgültigkeit nicht, rief er endlich aus, nachdem er unter unsäglichen Quaalen ihr ganzes Betragen gegen ihn durchgegangen war, und jedes ihrer Worte prüfend auf die bebende Wagschaale der Furcht und des Unglaubens erwogen hatte. Jener Funke, der am frühen Morgen ihrer Jugend in ihr Herz fiel, und später mir durch beleidigten Stolz und gekränkte Empfindlichkeit wiederum verlöscht schien – er glimmt noch fort, von meiner Treue genährt, von meiner Ausdauer flammender als je ins Leben zurückgerufen. Und gewiß, mir sagen es die seligen Ahnungen, die meinen Busen schwellen, sie wird mich einst noch lieben, wie ich sie liebe – ja sie liebt mich schon, und die Stunde ist nicht mehr fern, in der sie es mir bekennen wird.

[253] Unglücklicher! fuhr er fort, als während einer langen Pause trübes Nachdenken wiederum die Blüthen seiner Hoffnung zu knicken drohte – wie darfst du zu erlangen träumen, was so hoch und unerreichbar über dir steht, daß selbst dein mächtigstes Streben sich nicht zu ihm emporschwingen kann? Vergebens sehnst du dich, den Tempel deines Glücks zu betreten, dessen Himmelsglanz dir trunken winkt – ach – Schreckenbilder bewachen seine Schwelle, und wehren dir den Eingang! Ihre Tugenden sind es, ihre Pflichten, denen sie ja das ganze blühende Daseyn geopfert hat – ihnen wird sie auch Dich zum Opfer bringen und selbst als Opfer fallen!

Dumpfer Schmerz, wie er ihn niemals nagender empfunden, raubte ihm bei dieser Vorstellung fast die Besinnung, und um seine Marter noch zu erhöhen, trat wie der sichtbare Kakodämon seines Schicksals Linovsky's verhaßte Gestalt vor sein inneres Auge, ihn, gleichsam mit dem Hohngelächter der Hölle auf den übermüthigen Lippen, daran zu mahnen, daß er, er es sei, der die Herrliche besitze, und daß – wenn sie auch mit dem Gefühl des verlorenen, seiner Blüthen beraubten Lebens neben ihm wandele – sie doch eben so unbedingt sein Eigenthum sei, wie nur immer eine Sklavin ihrem Tyrannen gehört.

Haß, Neid und Ingrimm in der kochenden [254] Brust, fand er, es sei in Zukunft eine Aufgabe über seine Kräfte, den Gegenstand seiner Liebe neben dem seines bittersten Hasses, und diesem letzteren unterwürfig zu sehen. Hätte es ihm nur möglich geschienen, auf den Zauber ihrer süßen Nähe Verzicht zu leisten, er würde im Gefühle tobender, knirschender Eifersucht auf der Stelle das Gelübde ausgesprochen haben, des verhaßten Nebenbuhlers Haus nie wieder zu betreten.

Gleichwohl zählte er, unfähig sich die herbe Prüfung einer strengen Entsagung aufzulegen, jede einzelne Stunde, die noch trennend zwischen dem nächsten ihm beschiedenen Wiedersehen stand, und als das Opernhaus geöffnet wurde, war er einer der Ersten, der in einer Loge, welche das Ganze zu übersehen gestattete, Platz nahm, um weder ihr Kommen, noch das Glück, sich ihr nähern zu dürfen, zu verfehlen.

Endlich, die Symphonie rauschte bereits, erschien sie mit mehreren Begleiterinnen, und nahm in einer Loge ihm gegenüber Platz.

Ehrerbietig grüßte er sie aus der Ferne, und als der erste Act vorüber war, wagte er es, sich den Damen zu nähern, und ganz zuletzt auch an sie, die seine zarte Scheu zu verstehen schien, einige Worte der innigsten Theilnahme, mit denen er nach ihrem Befinden fragte, zu richten.

Mit der freundlichen Erwiederung, daß ihr [255] wohl sei, zog Erna einen Brief hervor, den sie ihm ohne alle geheimnisvolle Umhüllung mit der Bitte übergab, ihn gelegentlich an seine Adresse zu besorgen.

Sie wandte sich hierauf von ihm ab, und in ein eifriges Gespräch mit einer ihrer Nachbarinnen gerathend, schien es, als habe sie von jetzt an keinen Blick mehr für ihn. Gepeinigt durch diese Wahrnehmung zog er sich daher, aus Furcht, ihr durch sein Bleiben zu misfallen, in seine Loge zurück. Doch ehe er sie noch erreicht hatte, konnte er nicht umhin, an dem flackernden Schein eines Wandleuchters auf der übrigens dunkeln, unbemerkten Gallerie die Aufschrift zu lesen, und als er sie an sich gerichtet fand, erbrach er das Siegel mit fröhlicher Hast, und folgende Worte begegneten seinen sehnsuchtsvoll spähenden Blicken:

Daß ich Sie angehört habe, und daß ich Ihnen antworte, ist der erste Schritt, der mich von dem streng mir vorgezeichneten Wege meiner Pflicht verlockt. Ich beschwöre Sie, lassen Sie es zugleich den letzten seyn, und stören Sie den stillen Wandel nicht, der mich zur Ruhe – dem einzigen Ziele, nach dem ich streben darf – hinleitet.

Gewiß, auch ohne das erschütternde Geständnis, das Sie fodern, würden Sie nicht daran [256] zweifeln können, daß ich Ihnen längst vergeben habe. Mein Betragen hat es Ihnen gesagt, wenn ich den stummen und mild gewordenen Empfindungen meiner Brust auch keine Worte verlieh. Daher ehren Sie die vertrauenvolle Offenheit, mit der ich es jetzt auch ausspreche, und betrachten Sie die Versicherung, daß ich Sie achte, als einen Zuruf, der aus Gräbern kommt, frommen Frieden in Ihr Gemüth zu flüstern – nicht als einen irrdischen Laut, der noch zu irgend einer Hoffnung berechtigen könnte.

Wenige sind der Erfahrungen, die ich auf meinem Wege sammelte, aber in diesen wenigen reichte mir meine ernste Bestimmung den Kern des Lebens, und wenn ich ihn gleich bitter fand, so erwuchs mir doch daraus der Vortheil, alles übrige nur als dämmernden Schein, als traumähnliche Entwürfe betrachten zu lernen, mit denen der Mensch wie mit Seifenblasen spielt.

Nur selten gestattete ich mir einen Rückblick auf die weit zurückgewichene Küste der Vergangenheit, deren Nebel mein frühestes Morgenroth verschlangen, aber mit Andacht trug ich, was ich einst gewünscht, geglaubt hatte, in meinem Herzen, und meiner Kraft und meinem festen Willen vertrauend, durfte ich es wagen, einen Bund zu schließen, dessen Heiligkeit mich tief durchschauerte, wenn ich den ganzen Umfang [257] seiner Ansprüche an mich auch noch nicht kannte.

Durch schwere Kämpfe bin ich gegangen, habe mich oft erschlafft in allen Triebfedern meines Seyns gefühlt – habe nur durch bang bestandene Prüfungen mir die Ergebung errungen, die nach vielem Schmerzesaufruhr erst die Seele läutert, und todeswund und todesmatt erschein' ich mir am Ziele – nicht durch Sieg gekrönt, aber doch durch das Bewußtseyn gehoben, daß ich immer that, was ich für recht hielt.

Auch ferner wird es noch mein ernstes Bestreben seyn, es zu thun. Ich ehre Linovsky als meinen Gemahl, dem ich mit Zutrauen die Leitung meines Schicksals übergeben habe – ich liebe ihn, als den Vater meiner Kinder, und dieses aus dem Anerkennen seines Werths und meiner vollsten Achtung hervorgehende Gefühl ist wenigstens dauerhafter, als der flüchtige Rausch, mit denen die erste Jugend so oft sich und Andere täuscht. Daher spreche ich zu Ihnen als seine Gattin, die – so weit es sich mit ihren Pflichten vereinigen läßt – Ihre Freundin seyn will. Doch niemals mehr sei zwischen uns die Rede von Empfindungen, denen wir uns sonst hätten überlassen dürfen, die aber jetzt der ernste Spruch der Verhältnisse uns auf ewig verbietet. Lassen Sie uns das Vergangene vergessen, [258] oder – denn Unmögliches darf ich nicht fodern – wenigstens nie wieder erwähnen. Kommen Sie zuweilen zu uns, doch mit der Vorsicht und Schonung, die das reizbare Gefühl meines Mannes verlangt, der sich so leicht in einer auch nur geahneten Beeinträchtigung seiner Rechte an mein ausschließliches Wohlwollen verletzt sieht. Enge nur und häuslich, Wenigen geöffnet, ist unser Kreis, aber überwinden Sie, um völlig einheimisch in ihm zu werden, die Abneigung gegen Augusten, die – wenn sie auch einst in ihrer Strenge zu weit ging – doch nur die beste Absicht hatte, die ja so oft menschlichen Irrthümern zum Grunde liegt. Dann werden wir Alle Ihr Hinzutreten zu uns als einen Gewinn betrachten, der aus Ihrer Bekanntschaft sich entwickelte, und ohne Blick und Urtheil von außen, ohne den Vorwurf des inneren Richters zu scheuen, der auch das Verborgene prüft, dürfen wir Theil an einander nehmen, und uns freuen, daß wir einander fanden, um uns nie wieder zu verlieren.

Und sollte der schöne Beruf, dem Sie Sich widmen, die Unabhängigkeit des Vaterlandes vertheidigen zu wollen, Sie früher als sich dieser freundlich von mir entworfene Plan realisiren läßt, auf die Bahn kriegerischer Thätigkeit rufen – sollte – denn dunkel ist die Zukunft – der [259] blutige Lorbeer, den Sie zu brechen Sich sehnen, nur fallend Ihnen werden, mit Ihrem Tode erkauft – dann – o Alexander! das Leben ist vergänglich, aber ewig bleibend das Höhere in der menschlichen Brust – dann wird Ihre Freundin, Ihre Schwester Ihnen für den Rest der eigenen Tage, und noch weiter hinaus, ein treues und inniges Andenken bewahren.

12
XII

In der tiefsten Bewegung las Alexander diese Zeilen. Dann, in seine Loge zurückkehrend, und versunken in das Meer der vielfach in ihm aufgeregten Gefühle sich in einem Winkel derselben niedersetzend, ging das Geräusch um ihn her ihm verloren; denn es vermochte nicht seinen inneren Sinn zu berühren, da seine ganze Seele sich in den Gedanken an Erna und in ihren Anblick versenkt hatte.

Da saß sie ihm gegenüber, ruhig, streng, mit Würde sich behauptend, und in dem so leise athmenden Busen nagte verheerend jede Lebenskraft, der Wurm der Hoffnungslosigkeit, der Reue, der umsonst bekämpften Liebe.

So wenigstens erklärte er sich den Geist ihres Briefs, der zugleich ihr Gemüth ihm aufschloß. [260] Schon hienieden durch tausend Schmerzensstunden zum fleckenlosen Engel verklärt, konnte er sie nicht ohne einen leisen, aber jedes Gefühl veredelnden Schauer betrachten, und doch sprach seine Sehnsucht glühender wie jemals, und die Welt schien ohne sie ihm ein weites Grab.

In ihrem Anschauen vertieft, das selbst bei dem Erbleichen ihrer sonst so strahlenden Schönheit durch den magischen Geist so anziehend war, der tief, doch still aus dem Innersten ins Innerste drang, überraschte es ihn, plötzlich mitten in der Vorstellung die Thüre ihrer Loge öffnen und ihr ein Billet überreichen zu sehen, das offenbar eine große Sensation bewirkte.

Erna hatte es nämlich kaum gelesen, als sie aufstand, einige Worte zu ihren Nachbarinnen sprach und dann in ihren Shawl sich hüllend verschwand.

Welche Ungeduld brannte in Alexander's Seele, ehe er erfuhr, ob eine Sendung trauriger oder gleichgültiger Art sie abgerufen. Waren ihre Kinder vielleicht plötzlich erkrankt? – Aber nein – dann würde die Ruhe, mit der sie schied, ihr nicht treu geblieben seyn; denn in der Mutterliebe verrieth ihr fest beherrschtes Wesen ja einzig, daß sie auch durch leidenschaftliche Hingebung an das Leben geknüpft sei.

Sobald es mit einiger Schicklichkeit geschehen[261] konnte, ohne sich allzusehr das Ansehen einer unberufenen Neugierde zu geben, trat Alexander in den Kreis, der mit ihrer Entfernung allen seinen Zauber verloren hatte, und indem er, den vor Augen gehabten Vorgang ignorirend, sich an die Gräfin wandte, fragte er, ob Frau von Linovsky vielleicht nicht wohl geworden sei, da er sie nicht mehr an ihrer Seite erblicke.

Ach nein, versetzte diese lächelnd, ihr ist ganz wohl, und ich kann mich unmöglich überwinden, das, was ihr begegnet ist, zu den Unannehmlichkeiten zu zählen, die uns zuweilen die üble Laune des Schicksals bietet. Ihr Herr und Gemahl benachrichtigte sie in einem Billet von der Ankunft eines Courriers, der ihn von Seiten seines Souverains nach **** zum Congreß bescheidet, und schon diese Nacht auf unbestimmte Zeit abzureisen zwingt. Um daher noch der Ehegenossin die gehörigen Verhaltungsregeln vorzuschreiben, vielleicht ihren Kerker noch enger zu umgränzen, als da, wo sein Despotenauge seine Schranken bewacht, berief er sie schnurstracks nach Hause. Ich wünsche ihm im Geiste eine glückliche Reise, und hoffe, man werde die gleichsam bisher von einem Drachen bewachte Dulderin nun endlich einmal in seiner Abwesenheit genießen dürfen.

Diese Nachricht that Alexandern wohl; denn [262] nicht ohne bitteren Neid und Groll vermochte er auf Erna's reinem Hausaltare Linovsky'n als den Götzen zu erblicken, der jedes Opfer der Aufmerksamkeit und Unterwürfigkeit als ein Recht foderte, oder als eine Pflicht in Anspruch nahm.

Er verließ das Schauspielhaus; denn dunkle Entwürfe, Pläne und Träume drängten sich in ihm, und winkten ihn aus den Disharmonieen, die jetzt selbst der Wohllaut für ihn bildete, hinaus in die Einsamkeit des nächtlichen Dunkels. Er rannte, ohne sich selbst klar bewußt zu seyn, was eigentlich in ihm vorging, durch einige Straßen, und blieb vor dem Hause stehen, in welchem Linovsky's diplomatisches Büreau sich befand.

Alles war hell erleuchtet, und drinnen in der größten Thätigkeit begriffen. Ob diese Mauern auch sie umschlossen – er wußte es nicht – aber eine ganz eigene Gewalt hielt ihn fest, und er blieb gegenüber in einer Vertiefung stehen, um die Dinge, die da kommen sollten, abzuwarten.

Da wurde der Reisewagen herausgeschoben. Daß du ihn nimmer zurückbringen möchtest! war der christliche Wunsch, mit welchem Alexander ihn begrüßte, und mit einer unbeschreiblichen inneren Genugthuung sah er die schweren Koffer hinaufheben, die dem Anschein nach die Bürgschaft einer langen Entfernung übernahmen.

Jetzt fuhr auch Erna's Wagen vor. Kutscher [263] und Bediente, ihre Herrschaft erwartend, unterhielten sich von den neuesten Begebenheiten, und flüsterten einander unverhohlen die Freude zu, nun eine Zeitlang des strengen Regiments ihres Haustyrannen entrückt, und der milden Obhut der gnädigen Frau übergeben zu werden.

Es machte ihm Vergnügen, Linovsky'n auch hier nicht geliebt zu sehen; denn gern hätte er die an Haß gränzende Abneigung, die er selbst gegen ihn empfand, in jeder anderen menschlichen Brust als ein Echo seiner eigenen Gesinnung angetroffen. Endlich, nach langem Zögern, öffnete sich die Hausthür. Erna, von ihrem Gemahl begleitet, trat heraus. Die letzten Worte des Abschieds, die er zu ihr sprach, klangen fast wie Verweise oder Befehle. Sie erwiederte wenig. Nur unmerklich neigte sie sich dem Kuß entgegen, mit dem er sein Lebewohl begleitete. Das Geräusch der kommenden Postpferde verschlang den Rest der Unterhaltung – sie stieg ein – und es war Alexandern, als falle ein Centner von seiner Brust, als er durch die sternenhelle Nacht sie dahinfahren sah.

[264]
13
XIII

Es war am anderen Tag Alexander's Absicht keineswegs, sogleich, ohne alle dem Zartgefühl wohl anstehende Zurückhaltung, sich zu Erna's Einsamkeit hindrängen zu wollen. Ein Spiel des Zufalls und der Zerstreuung lenkte jedoch seinen Spazierritt unwillkührlich in die Gegend hin, wo sie wohnte, und ehe er es noch ahnete, fand er sich in ihrer Nähe, und von ihr, die mit ihren Kindern in der offenen Hausthür saß, bereits gesehen.

Es war daher jetzt unvermeidlich, sie zu begrüßen. Sie nahm ihn mit der ruhigen Haltung auf, die ein reines Bewußtseyn, verbunden mit festen Grundsätzen, gewähren, und gleich weit entfernt, ihn mit ausgezeichneter Zuvorkommenheit wie mit Zurücksetzung zu behandeln, war in der zwar interessanten, aber keineswegs sie individuell berührenden Unterhaltung, die sie einzuleiten wußte, auch nicht im mindesten die Rede von der Vergangenheit.

Alexander hatte von der Natur in seiner offenen, anmuthigen, Zutrauen erweckenden Bildung jenen glücklichen Empfehlungsbrief empfangen, der unwillkührlich die Herzen gewinnt, und der besonders durch den Zauber einer geheimen unerklärlichen Sympathie auf die Knospe zarter [265] Kinderliebe wirkt, die sich so gern im Schimmer ächten Wohlwollens erschließt.

Gleich im ersten Moment der Bekanntschaft hatte sich Otto schon mit der innigsten Neigung an ihn angeschmiegt. Jetzt lächelte auch der kleine, noch nicht jährige Wunibald ihm mit besonderer Freundlichkeit zu, und ließ sich selbst aus dem Arm der Mutter willig in den seinigen nehmen. Mit Rührung betrachtete er den süßen, in gesunder Lebensfülle aufquellenden Knaben, der – wie Otto mit den schönen Augen seiner Mutter ausgestattet – Wehmuth und vergebliche Wünsche in seine Seele blickte, und unter Liebkosungen ihn schaukelnd und mit ihm spielend stahl sich mitten unter dem Anschein ungetrübter Heiterkeit eine Thräne über seine Wange, die – nicht ungesehen von Erna – zur Erde fiel.

Mit dem Theetisch erschien auch Auguste. Das Gespräch lenkte sich auf Litteratur. Alexander erwähnte einiger neuen Erzeugnisse derselben, die gerade Aufsehen machten. Erna kannte sie noch nicht, und sein Vorschlag, sie ihr zu bringen und vorzulesen, wurde ohne Weigern von ihr angenommen. Beim Abschied bestimmte man den folgenden Tag schon zur Ausführung dieses Vorsatzes, und so wurde sein tägliches Kommen sehr bald eine ganz natürlich scheinende und im Hause nicht befremdende Erscheinung.

[266] Diese Stunden des Beisammenseyns, die bei dem glühendsten Interesse der Herzen für einander doch niemals sich gestatteten, dieses Interesse durch Worte zu berühren, waren die glücklichsten, welche Erna sowohl als Alexander jemals erlebt hatten.

Jener himmlische Zustand schlummernder Leidenschaften und schweigender Begierden, der das Wesen der Unschuld ist, wiegte an Erna's Seite Alexander's stürmisches Gemüth in die wohlthuende Stille des Friedens, und schuf ihm einen Traum von Glück, der wenigstens stets so lange dauerte, wie seine Anwesenheit bei ihr. In der göttlichen Offenbarung ihres hohen inneren Gehalts öffnete sich ihm eine Welt, wie sie sonst wohl nur dem Seligen sich erschließt, wo die marternde Sehnsucht schwieg, und das brennende Verlangen sich befriedigt fühlte, und wo es ihm klar ward, daß auch ihre Freundschaft ein Gut sei, groß genug, die Liebe aller anderen Frauen der Erde aufzuwiegen. Das entzauberte Saitenspiel seiner Heiterkeit, bisher nur in grellen Mistönen erklingend, stimmte sich allmählig wieder rein. – Ruhe, jene unerläßliche Basis alles Guten und Schönen, kehrte in seine Seele zurück, und versöhnte ihn mit dem Leben, das vorher aller seiner Kränze beraubt, jetzt wieder seine strahlende Lichtseite in der reinen Vertraulichkeit [267] ihm zukehrte, welcher Erna ihn würdigte.

Auch Erna gab sich ganz und innig den tadellosen Freuden dieses Umgangs hin, wenn gleich der geheime Kampf mit sich selbst, und das unnatürliche Ertödten ihrer lebhaftesten Gefühle leise und unvermerkt ihre Lebenskraft aufrieb.

Früher hätte sie wohl der grundlosen Eifersucht ihres Gatten das Opfer gebracht, Alexandern aus ihrer Gegenwart zu verbannen – aber jetzt – die Welt lag so tief und nichtig unter ihr, und ihr Scheideblick auf das ihr im Nebel hinschwindende Leben war zu erhaben, um mit irrdischer Sorge noch auf den kleinlichen Regungen gehässiger Leidenschaften zu verweilen – jetzt fand sie sich stark und selbstständig genug, sich über die Vorurtheile hinwegzusetzen, die wie ein giftiger Mehlthau auf ihre Freudenblüthen zu fallen drohten. Es war ihr unbezweifelt gewiß, daß ihr Einwirken auf Alexander ihn zu einem höheren Standpunkt erhoben, daß ihre Achtung und ihr Vertrauen den wilden Schmerz seiner Brust gestillt, ihn geadelt, gleichsam geheiligt hatte. Wie hätte sie diese Früchte ihres sanften Strebens aufgeben können, um einer Grille genug zu thun, die ihr reines Gewissen tief verachten mußte? Sie glaubte nicht, das Linovsky, sie kennend – es begehren werde – aber wäre es auch, so [268] fühlte sie doch bestimmt, dies sei der Punkt, wo weibliche Schwäche und Nachgiebigkeit sich zu weiblicher Kraft ermannen, und jedem vom leeren Schein hergenommenen Grund der Misbilligung kühn und unerschüttert begegnen müsse.

Nicht leichtsinnig und gedankenlos, sondern ernst erwägend schaute sie in die Zukunft, und läugnete sich die Wahrheit nicht ab, daß eine Neigung, wie die ihrige zu Alexandern, streng bekämpft werden müsse, um sich nicht selbst Gesetz zu werden. Daher versagte sie ihr jede Aeußerung, die sie hätte verrathen und seine freundlich eingelullten Hoffnungen wieder aufwecken können. Aber da die Stunden, die sie neben ihm verlebte, rein waren, und – schon längst vergangen, noch die himmlische Glorie einer Erinnerung trugen, die sie an keine verletzte Pflicht, an keine Entweihung ihrer Würde als Gattin und Mutter mahnte, so hätte es ihr Verrath an der Freundschaft geschienen, den einmal ihres Zutrauens werth Gefundenen einer einseitigen Laune Preis zu geben, die nur aus ungegründetem Argwohn hervorging.

[269]
14
XIV

So waren mehrere Wochen still und friedlich in harmlosen Mittheilungen vergangen, in denen beide Ersatz für höheres, ihnen versagtes Glück fanden, da erschien plötzlich das Gespenst, das den unschuldsvollen Genuß verscheuchte, der bisher die Würze ihrer Einsamkeit gewesen war.

Linovsky nämlich kehrte zurück an den heimischen Heerd, dessen reine Flamme er zwar nicht entweiht, aber doch für eine höhere Gottheit glühend fand. Ihn empfing die Gattin mit der Achtung, die sie ihrem Gemahl, dem Vater ihrer Kinder, schuldig war, aber auch mit dem ganzen Stolz des durch keine Schuld befleckten Bewußtseyns und mit der Kälte des den irrdischen Verhältnissen nicht mehr angehörenden Gefühls. Mit alle der Eigensucht, die sich stets allein strebte in Erna's Kreise geltend zu machen, geschärft durch Mistrauen und Eifersucht, und vielleicht durch Ohrenbläsereien bereits gereizt, forschte er nach allen kleinen unbedeutenden Vorgängen während seiner Abwesenheit.

Erna, zu lauter zur Lüge, verhehlte Alexander's öftere Besuche nicht. Sie hatte es zu lebhaft empfunden, daß es ihrer Nähe, ihrer vertraulichen Hinneigung beschieden war, ihn aus der Tiefe muthloser Verzweiflung zu erheben, und [270] auf eine Stufe zu sich heraufzuziehen, auf der sie ihn frei und ohne Erröthen vor aller Welt bekennen durfte. Auch hatte sie schon längst in ihrem Innern, ohne Grausen, den ernsten Flügelschlag des nahenden Engels vernommen, der ihr die Pforte eines besseren Lebens zu öffnen versprach. Tief lagen daher unter ihr alle feindseligen Urtheile der Verläumdung und der alles Gute abläugnenden Zweifelsucht, und fest entschlossen, ihrer Pflicht getreu zu bleiben, war sie eben so entschieden, sich nicht zu versagen, was mit ihr bestehen konnte.

Sie übersah daher mit ruhigem Gleichmuth die nicht laut ausgesprochene Misbilligung Linovsky's, die aber doch in mancher bitteren Anspielung und in mancher höhnischen Seitenbemerkung sich darüber äußerte, daß sie Alexandern einen näheren Zutritt gestattet hatte, als dem gleichgültigen Bekannten geziemt.

Als er nun aber selbst erschien, ahnungslos, welche plötzliche Dazwischenkunft ihn jetzt auf einmal aus seinem Himmel stürzte – als sie in den Zügen ihres Mannes die feindselige Bitterkeit des im Verborgenen glimmenden Grolles wahrnahm, der nur einer geringen Veranlassung von Außen bedurfte, um unheilbringend und zerstörend hervorzubrechen, als sie den an Verachtung gränzenden Trotz bemerkte, den Alexander seinem [271] kühlen, kaum höflichen Benehmen entgegensetzte, da fand sie, von bangen Ahnungen ergriffen, sich zur Verhüthung ärgerlicher Auftritte verpflichtet, lieber Verzicht auf die höchste, letzte Freude ihres Lebens zu leisten, als die Furie der Zwietracht entflammen zu helfen, und Gefahren herbeizuführen, vor deren bloßen Möglichkeit sie schon erzitterte.

Sie beschloß daher unwiderruflich bei sich selbst, durch eine offene und ruhige Vorstellung Alexandern zu veranlassen, daß er seine Besuche einstelle, da sie Linovsky'n offenbar so misfällig waren. Doch ehe sie noch den unbeobachteten Augenblick fand, den sie sich zu einer kurzen Unterredung wünschte, brach der Ungestüm des Eifersüchtigen die Gelegenheit vom Zaun, seinem Unmuth Luft zu verschaffen, und den unwillkommenen Gast für immer zu entfernen.

Der kleine Otto nämlich hatte nur mit Schüchternheit dem finstern Vater sich genaht, und blöde und frostig die Liebkosungen erwiedert, mit denen er beim Wiedersehen seinen Erstgeborenen ans Herz drückte.

Wie ganz anders war der Empfang, den Alexander fand. Freudig hereinstürmend, auf seine Kniee kletternd und ihn mit beiden Armen umklammernd, als wolle er ihn nimmer wieder loslassen, schien es wirklich, als sei Linovsky [272] dem Knaben ein Fremder, und als ruhe jetzt erst das liebende Kind am Busen seines Vaters.

Düster rief Linovsky den Kleinen von Alexander's Schooße zu sich. Er gehorchte, aber nicht aus Neigung, sondern sichtbar nur aus Furcht vor dem Zorn, den er bereits in des Vaters Augen funkeln sah, und obgleich losgerissen von dem lieben, freundlichen Freund, blieben seine Blicke doch unverwandt mit dem seelenvollsten Ausdruck der zärtlichsten Anhänglichkeit an ihm hängen, wenn auch Linovsky's Arme, gleich einem beängstigenden Gefängnis, ihn umschlossen, und jede seiner Bewegungen hemmten.

Hast du mich lieb, mein Kind? flüsterte Linovsky zu dem goldenen Lockenkopf sich herabbeugend.

Ja, ach ja! antwortete der Kleine ängstlich. Erst die Mutter, hernach Norbeck, und dann Dich.

Linovsky erbleichte bei diesem naiven Geständnis. Zürnend setzte er den Knaben nieder, der sogleich wieder zu Alexandern zurückstrebte. Aber ihn heftig beim Arm fassend und seitwärts schleudernd, sprang jetzt der Vater, seiner Wuth nicht mehr gebietend, auf.

Ich hätte gehofft, Du würdest mein Andenken lebendiger in des Kindes Herzen erhalten haben, sprach er nach einer Pause mit Bitterkeit zu [273] Erna. Aber, was in Dir selbst augenscheinlich nur allzuschnell unterging, um neuen Gegenständen Platz zu machen – wie könnte es eine festere Dauer in einem so zarten Gemüthe finden, das von Pflicht und Recht noch keinen Begriff hat.

Erna's blasses Gesicht überzog sich mit einer flammenden Röthe, aber sie schwieg, weil sie fühlte, jede Erklärung in diesem Augenblick, sei sie auch noch so rechtfertigend, könne den Zwist, den sie zu vermeiden suchte, nur um so schleuniger entzünden.

Sie rief den weinenden Otto zu sich, der durch die rauhe Begegnung seines Vaters aufs Gesicht gefallen war und blutete, und indem sie ihn, ohne Parthei gegen Linovsky zu nehmen, tröstete, und die Schuld seines Fallens auf seine eigene Ungeschicklichkeit schob, band sie ein Tuch um seine verletzte Stirn, und schickte ihn fort zu Augusten.

Auch Alexander war aufgestanden. Sein Blut kochte – alle bösen Geister des Zorns, der Rache und der Vertilgungssucht wachten blutdürstig in seinem Herzen auf, und sehnten sich, nicht blos zu knirschen, sondern zu handeln. – Doch Erna's Anblick, die still in ihren Leiden den rührenden, Ruhe gebietenden Blick auf seine herausfodernden Augen heftete, entwaffnete ihn wieder, [274] aber er empfand, daß die schnellste Entfernung nöthig sei, um sich in einer wenigstens dem Anschein nach friedlichen Stimmung zu erhalten.

Er griff daher nach seinem Hute. Mit beleidigender Hast zog Linovsky bei diesem Zeichen des nahen Gehens an der Klingel, und befahl dem hereintretenden Bedienten, Herrn von Norbeck's Pferd vorzuführen. Hierauf ging er ohne Abschied in ein Nebenzimmer, wo er, die Thür hinter sich werfend, sich verschloß.

15
XV

Stumm stand Erna jetzt Alexandern gegenüber. Sein Gesicht brannte, von der Gluth innerer Empörung geröthet, ein convulsivisches Zittern flog durch seinen ganzen Körper, und krampfhaft hatte er, ohne es selbst zu wissen, beide Fäuste geballt.

Da nahte ihm die Geliebte, dem Engel des Friedens gleichend, dessen Blick Vergebung, dessen Lächeln Versöhnung ist, und seine starre Hand fassend und sie innig drückend rief sie ihn, durch dies noch nie vorher von ihr empfangene Zeichen ihrer Gunst, aus dem Schwefelpfuhl ohnmächtiger Wuth wieder zur Besinnung und zur Besänftigung empor.

[275] Sie konnte nicht sprechen, denn zu beklemmt war ihre Brust von dem Schmerz über die Kränkung, die er erlitten, vom Vorgefühl der nahen, unvermeidlichen, und – wie die Weissagung ihres Herzens ihr zuflüsterte – ewigen Trennung, und von der dunkeln Perspective in die freudenlose Zukunft an der Seite eines rauhen, ungerechten Mannes, der nach dieser Scene das höchste Gut, das er bisher in ihr besessen, ihre Achtung nämlich, verloren hatte.

Nach Fassung ringend, sah sie ihm lange unverwandt in die Augen – da wurde ihr plötzlich leichter – ihre Blicke schimmerten, wie himmlische, trostverheißende Sterne, ehe sie in milden Thränen hinthauten, und in diesen Thränen fand sie Linderung, fand sie sich selbst und ihre Kraft wieder.

Wir müssen uns trennen, mein theuerer Freund, sprach sie; denn kein Opfer darf mir zu schwer seyn, wenn es die Beschwichtigung des Mannes gilt, dem ich mit allen seinen Fehlern nun einmal zugesellt und ihn zu ehren und zu schonen verpflichtet bin. Möchte das Vereinsamte meines künftigen Lebens durch die Ueberzeugung erheitert werden, daß Sie auch mit Nachsicht auf diese Stunde zurückblicken, und ohne Groll aus einem Kreise scheiden wollen, in dem ich Ihnen [276] ewig ein treues Andenken bewahre. Leben Sie wohl!

Sie ward immer bleicher – mit halb geschlossenen Augen senkte sich ihr Blick vorwärts – Alexander fürchtete, daß eine Ohnmacht sie anwandle, und fing sie in seinen Armen auf. Da ruhte ihre kalte Wange einen flüchtigen Moment an seinem flammenden Antlitz, und seiner selbst nicht mehr mächtig, bis zur Verwegenheit berauscht von einem nie als möglich geträumten Glück, das so unmittelbar auf die tiefste Erschütterung der gehässigsten Gemüthsbewegungen folgte, wagte er es, seine glühenden Lippen auf ihren Mund zu drücken.

Du liebst mich, Himmlische! rief er aus; o ich hab es immer geahnet, geglaubt, und mit allen Kräften meiner Seele gewünscht. Wie kann ich je verzagen, nun ich den Trost dieser Gewisheit mit mir nehme – wie kann ich jemals murren, wenn die Erinnerung dieser Stunde mein früh verblichenes Leben mit ihrem Wiederschein verklärt?

Da ermannte sich Erna, und wand sich los aus seinen Armen. In stiller Hoheit stand sie vor ihm da, selbst in der Milde der Wehmuth, die sie umfloß, ihn in die Schranken der strengsten Ehrfurcht zurückweisend, die seine Kühnheit überschritten hatte. Leben Sie wohl! sagte sie [277] noch einmal, leise und tief gefühlt, ihm mit der Hand den letzten Abschied zuwinkend – leben Sie wohl! sagte auch er, und stürzte hinaus. – Da trat sie ans Fenster, ihn wegreiten zu sehen, und als der Hufschlag seines Rosses nun verhallte, und seine Gestalt wie auf Sturmwindsflügeln ihren Augen entrückt war, da wehrte sie den häufiger hervorquellenden Thränen nicht. Denn es war ihr klar geworden, diese Liebe, die sie nur ungern sich selbst gestand, sei die Wurzel, wie die Blüthe ihres Lebens – das Prisma ihrer Jugend nun zerbrochen – und hinter drohenden Gewitterwolken der letzte Glanz verschwunden, der ihr Loos vergoldete.

16
XVI

So im Innersten erregt, dem Schmerze Preis gegeben, ohne Kraft, selbst ohne Willen, ihn zu verbergen, fand sie Linovsky, als er, von Alexander's Entfernung überzeugt, die Thür wieder öffnete, um zu ihr zurückzukehren.

Sein heißes Blut hatte sich in der Einsamkeit abgekühlt, er war wieder zu sich gekommen, und hatte eingesehen, daß es Unrecht sei, Erna zu verdammen, da doch nur der kurze Maasstab vorgefaßter Meinung und die übereilten Irrthümer [278] seines Mistrauens ihn gegen sie erbittert hatten.

Ob er gleich den, Alexandern so freundlich gewährten Zutritt, durch nichts entschuldigen zu können glaubte, so sehnte sich doch sein Herz, die zu tief Gekränkte, durch den Ausbruch seines Unmuths bereits bitter Bestrafte wieder zu versöhnen, und er nahte ihr jetzt wirklich in dieser friedlichen Absicht, als der Anblick ihres stummen, unverschleierten Grams und ihrer Thränen ihn von Neuem zu einem Verdacht aufreizte, der ihn bis zur Wuth empörte.

Gilt diese Fluth, die Deinen Augen entströmt, Deinem Hausfreunde? fragte er still ergrimmt, oder meinst Du vielleicht durch das Bitterkleesalz der Thränen die Flecken hinwegwaschen zu können, die Dein Ruf, so wie wahrscheinlich Dein Bewußtseyn durch diesen Umgang erhalten hat?

Erna, durch den Ton, so wie durch den Sinn seiner Worte schmerzlich verwundet, fühlte ihre Stimmung schnell aus der weichsten Wehmuth in Erbitterung übergehen. Sie fand es indeß unter ihrer Würde, etwas auf den schneidenden Hohn zu erwiedern, der ihr Herz zerriß, und nur als er, da sie ihr Angesicht von ihm abwandte, von Neuem vor sie trat, sie wiederholt um Antwort auf seine Fragen zu mahnen, versetzte[279] sie, daß sie für solche Fragen keine habe, und daß er eher an seinen Zweifeln als an ihr habe zweifeln sollen. Als sie dies mit dumpf erloschener, beinahe lautloser Stimme gesagt hatte, sank sie ohnmächtig zu seinen Füßen nieder.

Indessen war Alexander zur Stadt zurückgekehrt. Bilder der hohen himmlischen Lust, die die Erinnerung in ihm erweckte, Erna in seinen Armen gehalten und sie an seine Brust gedrückt zu haben, wechselten mit der schrecklichen Vorstellung, sie nun nicht mehr zu sehen, ja, sie nicht einmal glücklich zu wissen, da der Hausaltar, den sie als Opferlamm schmückte, durch Härte und rohen Argwohn entwürdigt war. Für einen Augenblick wollte eine selige Hoffnung in ihm aufdämmern. War es doch nicht unmöglich, und in dem Staate, wo er lebte, sogar leicht, Bande wieder aufzulösen, die durch unglückliche Verhältnisse das Glück der Ehe strangulirten, statt es zu befestigen. Aber auch nur einen Augenblick dauerte die glückliche Verblendung des Wahns, der eine solche Möglichkeit ihm vorspiegelte. Denn ach, er kannte Erna, und wußte, sie würde eher den Tod der Märtyrerin an Linovsky's Seite, als getrennt von ihm, die Schmach der Bundbrüchigkeit und des befleckten Bewußtseyns wählen.

Mehrere Tage sperrte er sich – allem unzugänglich[280] – in seine Wohnung ein, und seine treuen Diener, die einzigen Wesen, welche Gelegenheit hatten, ihn zu beobachten, glaubten ihn oft an der Schwelle, die in das verworrene Gebiet des Wahnsinns hinüberführt, so ungleich war sein Betragen, bald eine excentrische Fröhlichkeit, bald die tiefste Schwermuth ausdrückend, wie eben die Gedanken und Gefühle in seinem Innern sich durchkreuzten.

Endlich beschloß er wieder auszugehen. Er sann auf Thätigkeit, die ihn zerstreuen, auf irgend einen Zweck, der ihn von dem Schauplatz des einst besessenen, nun so grausam gestörten Glückes entfernen könne. Denn er sah wohl ein, daß bei einem leicht möglichen Zusammentreffen mit Linovsky, trotz der Festigkeit, mit welcher er sich selbst gelobt hatte, Erna's Ruhe und ihren Willen zu ehren, eine Reibung zwischen ihnen entstehen müsse, die alsdann nur ein blutiger Kampf zu stillen im Stande seyn werde.

Aber noch hatte die dumpfe Gährung in der politischen Welt, welche Krieg drohte, kein entscheidendes Resultat hervorgebracht. In langsamen Zurüstungen und weit aussehenden Vorbereitungen zersplitterte sich der thatenlustige Geist der Zeit, und ungeduldig sah das Heer, so wie das Volk, dem endlichen Ausbruch baldiger Feindseligkeiten entgegen.

[281] Diese Erwartungen mit ganzer Seele theilend, und unstät bemüht, die Zeit bis zu ihrer Erfüllung so gut wie möglich zu tödten und zu kürzen, nahm sich Alexander eines Tages vor, zur Gräfin zu gehen.

Zwar hatte ihr Umgang eben keinen sonderlichen Reiz für ihn, da ihre Heiterkeit nicht kindlich spielend, wie er es an Frauen liebte, sondern oft stechend und durch Ironie verwundend war; aber die Hoffnung zog ihn mit magnetischer Kraft zu ihr hin, vielleicht bei ihr ein Wort von Erna zu hören. Denn es schien ihm, als sei er jetzt auf einem Punkt gekommen, wo er nun nicht länger Nachricht von ihr entbehren könne.

Er begegnete, als er sich zu ihr begeben wollte, unter dem Portal des Hauses Frau von Lahnberg mit ihrer Tochter, die eben von ihr kamen, und ihn mit vielen freundlich seyn sollenden Verzerrungen ihrer ohnehin nicht lieblichen Gesichtszüge becomplimentirten.

Durch Combinationen und Nachforschungen war er nach und nach dahinter gekommen, daß der bittere Verdrus, den ihm einst Mariane, seinen Erna geschenkten Rhododendron und die Daphne an der Brust, bereitete, nur durch ein Gewebe boshafter Lügen entstanden sei, wodurch ihre Misgunst den reichen und blühenden Bewerber [282] von Erna ab, und wo möglich auf sich zu lenken strebte, indem sie jene Blumen, so wie das Geheimnis ihrer Herkunft blos ihrer Zudringlichkeit, nicht Erna's Geringschätzung seiner Gabe verdankte.

Seitdem hatte er weder Mutter noch Tochter eines Wortes wieder gewürdigt, und mit kalter Höflichkeit ihre zuvorkommende Begrüßung erwiedernd, ging er auch jetzt stumm an ihnen vorüber.

Wie erstaunte er aber, als er die Gräfin in der lebhaftesten Gemüthsbewegung, und zugleich im Begriff, auszugehen fand.

Ah, sind Sie es? rief sie ihm entgegen, nun Gott sei Dank, so erhalte ich wohl früher als durch mich selbst Aufschluß über die räthselhaften Begebenheiten, die mich quälen, und an die ich nicht eher glauben kann, bis ich sie auf eine Art bestätigt höre, die mir keinen Zweifel mehr gestattet. Was macht Erna?

Das eben glaubt' ich von Ihnen zu erfahren, erwiederte Alexander, ich sah sie lange nicht.

Und auf welche Weise sahen Sie sie zuletzt? unterbrach ihn die Gräfin, ihre heftig gereizte Lebhaftigkeit nicht mehr im Zaume haltend. Man sagt, wie mir eben Lahnbergs erzählten, daß Linovsky sie kürzlich in einem tête à tête mit einem Liebhaber überrascht, und sogar entdeckt [283] habe, daß sein unschuldiger dreijähriger Knabe bereits als Postillon d'amour gebraucht worden sei – daß er, Mutter und Kind mishandelnd, auf Scheidung sinne, und öffentlich dem fluche, der, das heilige Recht der Freundschaft misbrauchend, ihm seinen Himmel stahl.

Wie vom Blitz getroffen, stand Alexander stumm und starr, bis er in namenlosem Schmerz erbebte. Denn nicht nur die Ruhe, auch den Ruf der angebeteten Frau verunglimpft zu sehen, die so engelrein vor seiner Seele stand, raubte ihm den letzten Rest des inneren Friedens, der sich auf den Glauben stützte, daß wenigstens der Schleier des tiefsten Geheimnisses, ihrem Zartgefühl so wohlthätig, den Mangel ihres häuslichen Glücks bedecke.

Man sagt! fuhr er stürmisch auf, dies heillose Wort ist die giftigste Natter des geselligen Lebens, der feige Hinterhalt der Verläumdung, die die eigenen Erfindungen unter dieser Aegide dreist verbreitet. Daß sehr Viele einem solchen: man sagt, blinden Glauben beimessen, wundert mich nicht. Aber wie konnten Sie, Gräfin, einem bloßen feindseligen Gerücht Ihr Ohr leihen, und an Ihrer Freundin zweifeln?

Ich zweifele nicht an ihrem Werth, versetzte die Gräfin, aber – ungern spreche ich es vor einem Herrn der Schöpfung aus, was ein feiner [284] Menschenkenner schon vor Jahrhunderten von der Mehrzahl meines Geschlechtes behauptete: Gebrechlichkeit, dein Nam' ist Weib! – Eine frühe Jugendliebe, die unter der Asche um so beharrlicher fortglimmt, da sie nicht in lichten Flammen auflodern durfte, eine misvergnügte Ehe, nur von der Vernunft, nicht vom Herzen geschlossen – grundlose, und darum eben doppelt ermüdende, doppelt beleidigende Eifersucht, die der Gemarterten jeden freien Aufblick ins Leben wehrt – alles dies kann wohl am Ende selbst einen Engel von seinen himmlischen Höhen auf eine glatte irrdische Bahn herabführen, auf der das Straucheln so leicht ist. Und so viel ist unbezweifelt wahr, daß man Erna sehr krank zur Stadt brachte – freilich unter dem Vorwand, dem Arzte näher zu seyn. Aber aus vielen einzelnen Umständen läßt sich doch mit Sicherheit auf ein Misverständnis, wo nicht auf eine gänzliche Entzweiung zwischen ihr und Linovsky schließen.

Diese Nachricht beraubte Alexandern seiner ganzen Fassung. Die Maske indifferenten Gleichmuths, hinter welcher er strebte, zu verbergen, was in seiner Seele vorging, entfiel ihm, und weder die Gluth seiner Neigung, noch seine Angst mehr verhehlend, beschwor er die Gräfin, nachdem er ihr den wahren Vorgang der Sache mitgetheilt [285] hatte, ihm hülfreich zu seyn, und ihm Kunde von Erna's wirklichem Zustande zu verschaffen.

Eigentlich sollt' ich mich zu nichts verpflichten, sagte sie, da ich Ihr Vertrauen nur dem Schrecken und der Ueberraschung verdanke. Ich will es jedoch so genau nicht nehmen, und da mich selbst darnach verlangt, mich von dem Befinden der armen Kreuzträgerin zu überzeugen, so erwarten Sie hier meine Zurückkunft, und lassen Sie mich jetzt sogleich meinen schon früher gehabten Vorsatz, sie zu besuchen, ausführen.

Sie eilte bei diesen Worten hinweg, und allen Martern der Ungewisheit Preis gegeben, blieb Alexander zurück.

17
XVII

Zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, hörte er nach einer quaalvoll durchseufzten Stunde den Wagen der Gräfin zurückkommen.

Er trat ihr bis ins Vorzimmer entgegen, aber dort, wo er sie von ihren Leuten umgeben fand, durfte er sich keine andere Frage erlauben, als die, die sein forschender Blick an ihre schmerzlich ergriffenen Züge und an die Spuren der Thränen that, die er in ihren Augen bemerkte.

[286] Endlich waren sie allein, und nun warf sich die Gräfin erschöpft und weinend in den Sopha.

Es ergreift mit doppelter Gewalt, wenn man Menschen, die sonst stets die scherzhafte Seite des Daseyns auffassen, und nur dem Frohsinn und dem Lachen sich gewidmet haben, plötzlich von tiefer Betrübnis durchdrungen sieht. Wie um so heftiger erschütterte es jetzt Alexandern, die Gräfin so zu erblicken, da ihr Schmerz ihm auch ohne Worte das Todesurtheil der Geliebten zu verkünden schien.

Reden Sie, rief er mit dem Ungestüm der namenlosesten Seelenmarter, sprechen Sie das Entsetzliche nur aus! Erna – ich ahne es – ist verloren – sie ist todt.

Nein, versetzte die Gräfin, sich sammelnd, noch ist sie es nicht, aber bald, fürchte ich, wird die Vermuthung Ihrer Furcht wie eine prophetische Weissagung sich bestätigen. Ich habe sie sehr krank gefunden, und wie sie im Leben ein holdes Beispiel der Tugend war, so könnte man auch jetzt von ihr zu sterben lernen.

Sie erzählte ihm nun, daß Erna von einem schleichenden Fieber ergriffen, in einem Zustande der äußersten Ermattung sich befinde, der dem Arzte wenig Hoffnung, sie zu retten, gebe. Nur noch der Schatten ihrer ehemaligen Gestalt, sei sie auch in der Blässe des nahenden Todes [287] durch ihre sanfte Geduld, ihre fromme Ergebung noch immer eine der anmuthigsten, herzgewinnendsten Erscheinungen, die, nicht vom Farbenschmelz der äußeren Blüthe abhängig, den Stempel einer höheren Abkunft in den verklärten Zügen tragend, flüchtig über die Erde hinweg der besseren Heimath entgegen schweben. Linovsky behandele sie jetzt mit zarter Schonung. Sein düsterer Gram spreche deutlich die Sorge aus, sie zu verlieren, und Erna begegne seinem achtungsvollen Betragen mit aller Dankbarkeit eines liebenden, mit aller Milde eines versöhnten Gemüths. So freundlich sie aber auch ihren Besuch aufgenommen habe, so sei sie doch aufrichtig genug gewesen, ihr die Bitte auszusprechen, ihn nur äußerst selten zu wiederholen, da eine durch keines Fremden Dazwischentreten gestörte Einsamkeit die einzige Bedingung der Ruhe und Zufriedenheit ihres Gatten sei.

Dieser Nachsatz erhöhte Alexander's Schmerz, denn ach, galt dieser Wunsch schon der Freundin, wie um so viel weiter mußte er ihn von ihr verbannen,ihn, den in Linovsky's Augen eine so schwere Schuld belastete, der als der Störer seines häuslichen Glücks in so tiefem Schatten vor seiner Seele stand! Je leidender er sie wußte, je mächtiger fühlte er sich hingezogen zu dem Kreise, wo sie lebte und litt, und[288] der schauderhafte Gedanke der Möglichkeit, ja sogar der Wahrscheinlichkeit, um nicht Gewißheit zu sagen, sie für immer zu verlieren, kämpfte mit schmerzlicher Gewalt mit allen den Hindernissen, die sich dem kühnen Wagstück, sie noch einmal zu sehen, entgegen stellten.

Doch, sich den Vielen anzuschließen, die wenigstens durch Nachfragen nach ihrem Befinden eine blos conventionelle Theilnahme ausdrückten, konnte ihm selbst Linovsky's feindselige Gesinnung nicht wehren, und er war überzeugt, daß selbst der Groll seiner Eifersucht in diesen, ach seine Sehnsucht so drückenden Schranken, die er sich anwies, die Gesetze der Höflichkeit ehren müsse, die eine solche bescheidene Aeußerung des wärmsten Antheils wenigstens zu dulden ihn verpflichteten.

Jeden Morgen mußte daher der treue Benedikt hingehen, um im Namen seines Herrn die sorgsamste Kunde einzuziehen, wie sie die Nacht zugebracht habe, und ob noch kein Schimmer von Genesung die dunkeln Wolken seiner Furcht erhelle. Aber ach – jeden Morgen kam er wieder, ihm durch die Nachricht, daß die Kranke immer mehr dahin schwinde, den Pfeil des Schmerzes tiefer in die Brust zu stoßen!

[289]
18
XVIII

So war der Spätherbst herangekommen. Seine Stürme hatten die Haine entblättert, seine Regengüsse die Spuren der letzten Blumen hinweggetilgt, und öde und winterlich, wie in Alexander's Herzen, sah es ringsumher in der Natur aus.

Ohne Zweck und Ziel, nur um der inneren Angst zu entrinnen, oder vielmehr um sie zu betäuben, rannte er zuweilen stundenlang durch die Straßen, und so führte ihn der Zufall auch einst an ein Gewächshaus vorüber, hinter dessen hohen Glasfenstern sich die bunteste Blüthenfülle des Sommers vor dem zerstörenden Einfluß des Frostes geflüchtet zu haben schien.

Wehmüthig, wie die Träume einer längst verschwundenen Kindheit, begrüßte ihn bei diesem Anblick seine alte Neigung zu der Pflanzenwelt wieder, und er trat hinein, durch die Magie der Unschuld, die unsichtbar im zarten Duft der Blumen weht, die schwarzen Geister der Schwermuth in seiner Seele zu beschwören.

Wirklich erheiterte es ihn für Momente, wie durch die Berührung eines Zauberstabs, der rauhen Jahrszeit entrückt und mitten in den reichsten Ueberfluß einer wärmeren Zone sich versetzt zu sehen.

[290] Gleich alten, ihm lange aus den Augen entschwundenen Bekannten lächelte er dem reichen Kranze zu, der von blühenden Stauden und Blumen sich um ihn schloß, und wie jeder seiner Gedanken mit dem an Erna verschmolzen war, und selbst die heterogensten Gegenstände ihn an sie erinnerten, so gedachte er auch hier bei dem frischen, kraftvollen Leben, das rings um ihn her grünte und duftete, an sie, die Früh-Verwelkende, der vielleicht eine sorgsam getroffene Auswahl unter diesen Blumen eine momentane Freude auf ihrem Krankenbette gewähren könne.

Wie gern hätte er, da er auf andere Weise gezwungen war, gegen sie zu verstummen, die Blumensprache des Orients jetzt benutzen mögen, um in dem Strauß, den er für sie band, seinen Schmerz und seine Sehnsucht auszusprechen, aber zartere Rücksichten, als die gegen sich selbst, ließen ihn unter der Menge nur die wählen, deren milderer Duft nicht narcotisch auf ihre ergriffenen Nerven zu wirken drohte. Einige so schöne Rosen, wie sie kaum der reichste Sommer erzieht, verbunden mit Erna's Lieblingsblume, der unscheinbaren, aber Erquickung ausströmenden Reseda, waren am Ende alles, was seine Vorsicht nach einer strengen Prüfung nicht verwarf.

Er trug seine Gabe zur Gräfin, die die einzige Vermittlerin war, durch deren Hülfe er [291] hoffen durfte, sie in Erna's Hände zu bringen, und er fand sie – gerührt durch die beklommene Angst seines Herzens, die sich in jedem Worte, in jedem Seufzer verrieth – sogleich willig, seinen Auftrag zu übernehmen. Er küßte die Blumen zum Abschied, die nun bald an ihrem Busen duften sollten, und schämte sich der männlichen Thräne nicht, die auf sie herabrollte. Bewegt nahm die Gräfin sie aus seiner Hand. Sie geben Ihren Rosen, was ihnen noch fehlte, sagte sie, auf die Thränen deutend; das ist der Morgenthau, den kein Treibhaus erzeugt. Ja, versetzte er dumpf und leise, der Morgenthau, der der Verkündiger eines ewigen Schmerzes ist.

Nicht mehr erschüttert von dem Wechselfieber banger Furcht und tröstender Hoffnung, wie früher, erwartete er die Zurückkunft der treuen Freundin; denn er wußte wohl, sie hatte ihm nur die Bestätigung seiner bangen Ahnung, nur die traurigste Gewißheit des nahenden Verlustes, der ihm drohte, zu bringen.

Gleichwohl konnte seine Phantasie, durch inneres Grauen vor diesem Schreckenbilde geschützt, sich Erna's Tod nicht, als so bald erfolgend, ausmalen, daß nicht noch manche Kunde von ihr die letzten Lichtstrahlen in sein dann verdunkeltes Leben zu werfen vermöchte.

Als daher die Gräfin, in Thränen gebadet, zurückkehrte, [292] und durch die lakonischen Worte: nun hab ich Erna zum letztenmal gesehen! die Wurzel so wie den Gipfel alles Seyns in ihm tödtend zerschnitt, da war ihm, als habe er zum erstenmal in die Ruinen seiner Zukunft geblickt – als sei die dürre Wüste seines Lebens ohne sie jetzt erst in ihrer ganzen schrecklichen Einsamkeit vor ihm geöffnet worden.

Theilnehmend suchte die Gräfin ihn zurückzuhalten, als er hinwegstrebte, aber umsonst. Mußte sie selbst doch sich eingestehen, daß keine Besänftigung seines Kummers, keine Linderung seiner Angst in ihrer Macht stehe. Auch bedurfte ihr eigenes Gemüth der Ruhe, um sich von dem erschütternden Anblick der Leiden ihrer nun von den Aerzten aufgegebenen Freundin zu erholen. Daher ließ sie ihn gehen, und er stürzte hinaus, und rannte, von den Furien eines wüthenden Schmerzes gegeißelt, zweck- und sinnlos im Freien umher.

19
XIX

Es war ein trüber Novembertag. Voll melancholischen Ernstes senkte sich die schwer bewölkte Himmelsdecke, Nebel aushauchend, auf ihn hernieder – kein Sonnenstrahl durchdrang das [293] Grau der Wolken – finster und verödet, wie in seiner Seele, sah es rings umher in der Natur aus.

Lange schweifte er, düster vor sich hinstarrend, umher, bis sein Weg sich dem Kirchhofe näherte, der außen vor der Stadt in einem dunkeln Kranz von Flieder so manchen seiner Bekannten, seiner Freunde sogar, einschloß.

Da, im Innersten fast convulsivisch ergriffen, warf er sich auf einen Stein am Eingang nieder, und seine heiße Stirn an das kalte Gitter der Pforte lehnend, rief er verzweiflungsvoll aus: Also hier soll ich Dich künftig suchen, Dich, die Du wie ein schönes Meteor meinem armen Leben nur glühtest, um so früh zu erlöschen? Hier auf dem feuchten Kirchhof, in den frostigen Gewölben des Todes, in gräßlicher Einsamkeit wird bald Deine Wohnung seyn! – –

Indem hallten traurig die langsamen Pulse der Abendglocke zu ihm herüber. Es war, als ob diese Töne seine Besinnung weckten, seinen Geist ermuthigten, und einen Entschluß in ihm aufriefen, den er faßte, als sei er ihm von oben eingegeben.

Noch lebt sie, sprach er zu sich selbst, und was heute noch nicht unmöglich ist, sie zum letztenmal zu sehen, und den Abschiedsgruß des hinscheidenden Engels zu empfangen, wehrt mir bereits [294] der nächste Morgen, der vielleicht schon über ihrer Leiche aufgeht. Alle Bedenklichkeiten, die die Spannung zwischen Linovsky und ihm seinem Wunsch entgegenstellten, alle Hindernisse, die den ungestörten Augenblick, nach dem er sich sehnte, zu unterbrechen drohten – – sonst ihm so wichtig und zurückstoßend scheinend – kamen ihm jetzt leicht zu überwinden und nichtig vor.

Er raffte sich auf und ging. Ihm war, als habe der Vorsatz, sich zu ihr hinzudrängen, und sie, allen Schwierigkeiten zum Trotz, wieder zu sehen, sei es auch zum letztenmale, die Welt um ihn her verändert – als knüpfe ihn wieder ein glühender Antheil an die Erde, als wehe eine andere Lebensluft als vorher, neuen Muth und neue Kraft in seine ermattete Seele.

Als er in die Stadt zurückkehrte, hatte sich die Dämmerung bereits in Dunkelheit verwandelt. Wie Mistöne, die seinen Schmerz verhöhnten, drang das Kutschengerassel der zerstreuungssüchtigen Menge, die dem Theater zueilte, in sein Ohr. Mühsam wand er sich hindurch, und erreichte die Straße, wo Erna wohnte. Er stellte sich ihrem Haus gegenüber, um sein ungestüm klopfendes Herz erst wieder zu einiger Ruhe zu zwingen. Tiefe Wehmuth bemächtigte sich seiner, und lösete den tobenden Aufruhr seines Innern in [295] mildes Zagen und Trauern auf. Ach – da schimmerte bleich das Licht, das ihre Leiden beschien – vielleicht, dachte er, sind morgen schon diese Fenster dunkel – unwiderstehlich trieb ihn dieser Gedanke an, zu eilen, und ohne auf die abmahnende Stimme der Ueberlegung zu hören, betrat er entschlossen die ihm heilige Schwelle.

Hier schien bereits des Todes grauenvolles Schweigen zu herrschen. Alles war öde und still, wie in einem Grabe. Vergebens sah er sich nach irgend einem menschlichen Wesen um, das Erna seine Nähe hätte verkünden können, denn er befürchtete mit Recht das Nachtheilige einer plötzlichen Ueberraschung bei ihrer Schwäche. Endlich trat Auguste leisen Schrittes aus einem der Gemächer.

Erschrocken, als habe sie ein Gespenst erblickt, fuhr sie zurück als sie ihn erkannte. Sie hier? flüsterte sie bebend, und vermochte nichts weiter zu sagen; denn mit furchtbarem Ernst und völlig entschieden, seinen Willen durchzusetzen, trat Alexander ihr näher.

Ja, ich bin hier, sprach er, mit dem Rechte, das der Schmerz mir giebt. Ich muß Erna noch einmal sehen. Bringen Sie, ich beschwöre Sie darum, bringen Sie mich nicht um den unersetzlichen Moment des letzten Abschieds, wie [296] Ihr unversöhnlicher Groll mich einst um das ganze Glück meines Lebens brachte! Ich möcht' es Ihnen jetzt schwerer verzeihen, als damals, und es ist gefährlich, dem Verzweifelnden eine Bitte zu verweigern.

Sie sollen sie sehen, erwiederte Auguste in einem milden, begütigenden Tone; denn theils ergriff sein Anblick sie in der wilden Verworrenheit des Sinnes, in der er vor ihr stand, mit grausenerregender Ahnung dessen, was er in dieser Stimmung fähig sei, theils wollte sie so dicht vor dem Gemach der Kranken jede lautere Aeußerung verhüten.

Sie drängte ihn daher in ihr Zimmer, wo sie noch immer zitternd, ihn, sich erst zu fassen und zu erholen, bat.

Doch Alexander wehrte heftig das sanfte Zureden ab, mit dem sie ihn zu beruhigen suchte. Ihre Beredsamkeit, sagte er bitter, vermag nichts über mich. Schlimm genug, daß diese einst Erna von dem Wege verlockte, auf dem sie glücklich geworden wäre, und glücklich gemacht hätte. Doch – das ist vorüber – aber sparen Sie das gleißnerische Bemühen, mich vielleicht anderen Sinnes machen zu wollen – die Augenblicke sind kostbar – führen Sie mich hin zu Erna!

Da ermannte sich Auguste. Daß ruhige Vernunft,[297] und der heiße Wunsch, eine würdige Wahl möge das Loos meiner Freundin sichern, strenger über Sie urtheilte, als die Liebe, die ich nicht mehr in Erna's Brust ahnete, da sie sich in tiefer Verschlossenheit barg – ist das ein Verbrechen, das Sie so hart zu rügen berechtigt sind? fragte sie. Sie können Ihr früheres Betragen nicht entschuldigen, und es war nur die gerechte Nemesis, die Ihre Strafe dictirte. Mich trifft kein Vorwurf als der, daß ich nicht an die Besserung eines Menschen glaubte, dessen Ruf eben so nachtheilig, als früher seine eigenen Geständnisse, von seiner tiefen Verdorbenheit sprach. Doch lassen wir das! Hab ich geirrt, indem ich strebte, Erna's Schicksal die Richtung zu geben, ach, so büße ich hart genug durch den Anblick ihres Vergehens, der mir bitterer ist, als der eigene Tod mir wäre!

Der Thränenstrom, der bei diesen Worten ihren Augen entstürzte, besänftigte Alexandern einigermaßen. Doch sagte er nichts, sie zu trösten und aufzurichten, sondern erneuerte ungestüm sein schon früher ausgesprochenes Verlangen.

Sie werden gewiß der Schonung, die die Leidende bedarf, nicht Ihre Wünsche unbedingt voransetzen, antwortete Auguste. Ihr Anblick, erschien er ihr unerwartet, könnte leicht den ohnehin nur noch matt glimmenden Funken ihres Lebens [298] verlöschen. Daher, wenn es Ihnen nicht genügt, sie durch die Glasthür eines Nebenzimmers zu sehen, muß ich Erna durchaus erst vorbereiten.

Alexander beschwor sie, nicht damit zu zögern. Sie öffnete also einen Allcoven, der an das Krankenzimmer stieß, und hieß ihn behutsam eintreten. Leise verschob sie die seidene Gardine von der Glasthür, die ihn nur noch von Erna schied, und er erblickte sie dicht neben sich auf ihrem Lager.

20
XX

Das lang entbehrte Glück ihrer Nähe, ach, wie hob es seine Brust in schmerzlichen Athemzügen – wie drängte seine ganze Sehnsucht sich ihr entgegen, die in unbewußter Ruhe sein gedachte, ohne zu ahnen, wie dicht sein Herz neben dem ihrigen schlug.

Still in ihren Leiden, in mondheller Blässe lag sie da, in den gefalteten Lilienhänden die Blumen haltend, die er ihr gesendet hatte. Sie war abgezehrt, aber nicht entstellt. Denn ihr Wesen schien frei von der Angst, der sonst sterbliche Naturen am Rande ihres Daseyns unterliegen, und tiefer Friede drückte sich in dem Scheideblick [299] aus, mit dem sie noch auf dem dahin schwindenden Leben verweilte. Träumen süßer Erinnerung hingegeben, erhob sie oft ihr sanftes Auge, und es war, als ob das Anschauen der Welt, die sich in ihrem Innern bewegte, ihren Blicken höheren Glanz, ihrem Lächeln innigere Freudigkeit verliehe. Völlig angekleidet, schien es, als habe nur eine tiefe Ermattung sie zum Ausruhen vermocht, nicht der Kampf mit dem nahenden Tode sie auf das Sterbebette hingestreckt.

Da trat Auguste zu ihr hinein. Zärtlich forschte sie mit einer fast mütterlichen Sorgsamkeit nach Erna's momentanem Zustand, leitete dann von den Blumen, die Alexander's Gabe waren, die Rede auf ihn selbst, und fragte sanft, ob sie, wenn er wünsche, sie zu sehen, ihm wohl einen kurzen Besuch gestatten wolle?

Erna wurde sichtbar durch diese Frage erschüttert. Sie richtete sich auf – ein freudiger Schrecken zitterte bei'm Klange des geliebten Namens durch alle ihre Nerven, und in ihren Zügen schimmerte die selige Verklärung des Danks zu Gott über die Möglichkeit, ihn noch einmal zu sehen, die sie still gewünscht, aber nie gehofft, und noch weniger jemals ausgesprochen hatte.

O, wenn er vielleicht hier ist, so säume nicht, ihn mir zu bringen! sagte sie. Meine [300] Augenblicke sind gezählt, und mehr als irgend ein Mensch ahnen kann, sehn' ich mich, ihn noch einmal zu sprechen.

Als Alexander diese Worte vernahm, konnte er sich nicht länger zurückhalten. Er öffnete die Thür, die ihn von ihr trennte, und warf sich stumm an ihrem Lager nieder, ihre Hand mit seinen Küssen und Thränen bedeckend.

Erna schaute ihn an mit einem Blicke, in dem ihre ganze Seele lag. So seh ich Dich doch noch einmal wieder, ehe ich sterbe, sprach sie, und in himmlischer Ruhe des Bewußtseyns, das mir durch keinen Vorwurf diesen heiligen Moment verbittert. Denn daß ich Dich geliebt habe – Dich allein auf Erden – das wird Gott verzeihen, da ich muthig strebte, mich rein zu erhalten im Kampfe zwischen Neigung und Pflicht. Mein Alexander! So dicht an der dunkeln Pforte stehend, die hinüber führt ins Land der Vergeltung, wo jedes schwere Opfer sich belohnt, und wo ich nicht vor mir selbst zu erschrecken brauche, oder vor dem, dessen Rechte ich gekränkt haben würde, hätt' ich meinem Herzen gefolgt – da darf ich Dir es frei bekennen, daß Du der Abgott meiner Seele warst, daß mein erstes, erwachendes Gefühl, so wie das letzte, das nun bald der Tod verlöscht, nur Dich umfaßte. Und auch jenseits noch! Ja, fest, wie ich an [301] die Fortdauer eines höheren Daseyns glaube, glaub' ich auch an die Dauer einer Liebe, in der allein ich erst, als sie mir klar wurde, die ganze Tiefe meines Wesens, den ganzen Umfang meiner geistigen Kraft erkannte.

Starr vor sich niederblickend, betäubt durch den wonnevollen Schmerz dieses Geständnisses am Rande des Grabes, das, die Geliebte zu verschlingen, sich bereits geöffnet hatte, hörte Alexander ihr zu.

So geh voran, Du Himmlische! da uns hienieden das Glück nicht lächeln wollte, sprach er, geh voran in eine bessere Heimath – ich folge Dir bald!

Da ergriff Erna mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit seine Hand, und drückte sie fest an das immer schwerer schlagende Herz. Ja, ich gehe voran, und werde Deiner warten, sagte sie; aber gelobe mir, mein Geliebter, mir nicht eher zu folgen, ehe Gottes Wille, nicht der rasche Entschluß des Lebensüberdrusses und der Verzweiflung, Dein Ziel steckt.

Alexander beugte sich herab auf ihre Hand, und flüsterte leise, in seinem Schmerz verloren: Du willst es – ich werde Dir gehorchen.

Und nun laß uns scheiden! fuhr sie fort. Trage das Leben, wie ein Mann, und gedenke oft dieser Stunde, der ersten und zugleich der [302] letzten, die das Band meiner Zunge lösete, und mir gestattete, Dir zu bekennen, wie theuer Du mir bist. Und wenn dereinst – ach, das Schicksal hat kein Mutterherz! – wenn meine Kinder – – noch sind sie unter der Obhut ihres Vaters, in dem Schutz, den ihnen die Natur anwies; aber die Verhältnisse der Menschen sind so wechselnd und schwankend – wenn sie einst verlassen und einsam wären im engen kalten Leben, o dann, Alexander, liebe in ihnen ihre Mutter noch fort – nimm Dich ihrer an, sei ihr Freund, ihr Rathgeber, ihr zweiter Vater. – Betrachte sie immer als das heilige Vermächtnis Deiner Erna. Gelobst Du mir auch dies?

Er erwiederte: ich gelobe es!

Und nun empfange meinen letzten Abschiedsgruß, sprach sie, den innigen Segen eines Herzens, das Dich liebte bis in den Tod! Ich werde meinem Gatten nicht verhehlen, daß ich Dich sah, aber ungern möcht ich, daß er Dich hier fände. Denn erst mein Grab wird friedlich wieder vereinen, was das Leben so feindselig geschieden hat. Daher erhalte mir die ungestörte Stille, die ich bedarf, um mich zu sammeln, und mein Gemüth würdig zu dem feierlichen Schritte vorzubereiten, der mich aus dieser mangelhaften Welt in eine bessere führt.

Sie verhüllte bei diesen Worten ihr Antlitz, [303] als wollte sie ihren Augen wehren, ihn länger anzuschauen. Noch einmal bebte der innige Druck ihrer Hand durch sein ganzes Wesen – dann winkte sie ihm zu, sich zu entfernen, und dumpf, in tonloser Betäubung, ohne sich dagegen aufzulehnen, oder irgend etwas zu erwiedern, folgte er gehorsam diesem stummen Befehle.

Und als am andern Morgen Benedikt wie gewöhnlich hingegangen war, nach dem Befinden der Kranken zu fragen, kam er wieder mit der Nachricht, die ihm Auguste ertheilt hatte: Ihr sei jetzt recht wohl, denn bereits um Mitternacht sei sie verschieden.

Er scheute sich, seinem Herrn diese Schreckensbotschaft zu bringen; aber zu seiner Verwunderung nahm sie Alexander gefaßt, ja sogar in stiller Freundlichkeit des Gemüths auf, ohne scheinbar von ihr ergriffen zu werden.

Denn mit jener stillen Zufriedenheit, mit welcher man den Piloten auf hohem Meere in seinem leichten Kahn mit den Wellen kämpfen und dann in einen sichern Hafen sich retten sähe, betrachtete er das letzte heilige Asyl, in das sie sich geflüchtet hatte, und das nicht mehr düster ist, sobald der Mensch nur die dunkle Schwelle erst überschritten hat, die dahin führt. Das Gefühl, aus welchem sich ihm die höchste Wonne so wie der bitterste Schmerz entwickelt hatte, erlosch [304] nicht mit der irrdischen Flamme ihres Daseyns – es glühte fort in seiner Seele, und veredelte seinen Charakter immer mehr. Als bald darauf der Krieg endlich ausbrach, kämpfte er tapfer mit für die Freiheit und Unabhängigkeit seines Vaterlandes. Es war ihm wohl oft, als ob ein tiefes, lechzendes Sehnen ihn in den wildesten Sturm der Gefahren trieb – als wenn eine leise Hoffnung ihm zuflüsterte, dort, in blutiger Schlacht, werde sein Leben sich enden. Dann aber vernahm er jedesmal Erna's liebkosende Stimme, die ihm gebot, den Tod nicht zu suchen, und in stiller Ergebung sein Loos zu tragen. Seufzend unterwarf er sich der höheren Bestimmung, die vermittelst ihrer Wünsche ihn zu leben zwang, und so viel er des kriegerischen Lorbers auch brach, so war er doch stets nur muthig, nicht tollkühn, und milde Menschlichkeit stand, durch die Erinnerung an Erna ihm immer gegenwärtig, selbst im tobendsten Gefecht, an seiner Seite.

Als der Friede ihn endlich in die Residenz zurück führte, hatte neben vielen Bewohnern derselben, ein bösartiges Nervenfieber auch Linovsky hinweggerafft.

Alexander, eingedenk der letzten Bitte, die Erna an ihn that, suchte sich Einfluß in die Erziehung ihrer Kinder zu verschaffen, und es gelang [305] ihm. In der herrlich sich entwickelnden Blüthe ihrer Anlagen, und in dem rührenden Nachhall mütterlicher Güte und Reinheit, der oft in ihren jungen Seelen ihm erklang, ging ihm ein neuer Lebensfrühling auf. Treu übte er die Pflichten, die das Vertrauen der Geliebten ihm so heilig übertrug, und es war als ob ihr Segen geistig ihn umschwebte, wenn er mit väterlicher Innigkeit für die Kinder ihres Herzens sorgte. So schien die Welt ihm nicht verödet. Auf eigenes Glück Verzicht leistend, hatte er doch einen Zweck gefunden, der seinem Daseyn Bedeutung gab, und ihm alle Kräfte seiner Seele widmend, blieb sein Gemüth, in dem Erna's Bild unauslöschlich wohnte, stets ein Tempel für das Heilige und Höhere im Leben.

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TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Romane. Erna. Erna. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D757-1