Der lapidare Ton täuscht: Hinter der Umbenennung des vormaligen DVS in Deutscher Behinderten-Sportverband e.V., die Eberhard Rosslenbroich hier in einem knappen Schreiben dem Bundesarbeitsministerium mitteilt, steckte ein jahrzehntelanger interner Konflikt. Zahlreiche kriegsversehrte Sportler bezeichneten sich selbst bewusst als ‘versehrt’, um sich von jenen Menschen abzugrenzen, deren Beeinträchtigung nicht ursächlich auf eine Kriegsverletzung zurückging. Zudem assozierte die Mehrheit der Versehrtensportler mit der Bezeichnung ‘behindert’ auch Menschen mit geistiger Behinderung, deren Integration in den meisten Vereinen zu dieser Zeit noch abgelehnt wurde. Die Titeländerung des Bundesverbandes glich einer symbolischen Öffnung des organisierten Behindertensports für alle Menschen mit Behinderung.

In der Praxis gelang dieser sprachpolitische Wandel jedoch nur allmählich. Zahlreiche Landesverbände und ihnen angeschlossene Vereine verabschiedeten sich nur zögerlich und oft nur nach heftigen Debatten von der Selbstbezeichnung ‘versehrt’. Im Rückblick erscheint dieser Streit um Begrifflichkeiten als Folge widerstreitender Selbstbilder und asymmetrischer Machtverteilungen im Behindertensportverband. Während die über 1975 hinaus auf Funktionärsebene dominante Gruppe kriegsversehrter Männer auf ihrem traditionellen Selbstverständnis als ‘versehrt’ beharrte, konnten sich meist jüngere, zivilbehinderte Menschen mit diesem Begriff nicht identifizieren. Die Umbenennung ist daher Markstein eines längerfristigen generationellen Umbruchs und sich mithin wandelnder Identitätskonstruktionen.

Literaturhinweise:
  1. Sebastian Schlund: "Behinderung" überwinden?. Organisierter Behindertensport in der Bundesrepublik Deutschland (1950-1990), Frankfurt/Main 2017.

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TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Freizeit. D6 - Kommentar. Geschichte-MMB. Sebastian Schlund. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1DA-3