Unterschwellig für Euthanasie

Bonn veröffentlicht Umfrage über Einstellung zu behinderten Kindern

Von unserem Korrespondenten Hans Lerchbacher

Bonn, 12. Juni. Die Vorurteile gegen geistig behinderte Kinder sind in der Bundesrepublik noch sehr groß. Das Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, das die Diskriminierung dieser Kinder in einer Umfrage festgestellt hat, verband die Veröffentlichung der demoskopischen Ergebnisse am Montag mit einem Appell an die Bevölkerung, sich mehr als bisher um eine nüchterne und hilfsbereite Einstellung auch geistig behinderten Kindern gegenüber zu bemühen. ‘Auch der geistig Behinderte ist unser Mitmensch – er hat einen Anspruch darauf, entsprechend seinen durchaus vorhandenen Fähigkeiten von uns aufgenommen und in die Gemeinschaft integriert zu werden.’

Fast jeder vierte Bundesbürger hat, wie aus der Umfrage von Professor Helmut Bracken und Diplompsychologin Waltraud Cotanidid von der Marburger Universität hervorgeht, ‘Angst’ vor geistig behinderten Kindern. Zehn bis 23 Prozent der Befragten gaben zu, daß solche Kinder in ihnen negative Gefühle auslösen wie: Ablehnung, Entsetzen, Unheimlichkeit, Abscheu oder Angst. Dementsprechend niedrig ist die Hilfsbereitschaft gegenüber geistig behinderten Kindern. Zwar würden zwei von drei Befragten ihr eigenes Kind auch mit einem geistig behinderten Jungen oder Mädchen spielen lassen. Aber nur 3,5 Prozent würden ein behindertes Kind adoptieren.

Erstaunlich hoch ist der Prozentsatz der Befragten, die meinen, an der geistigen Behinderung eines Kindes seien die Eltern schuld.

Die Befragung von rund 1000 Bundesbürgern ergab ferner, daß offensichtlich eine unterschwellige Bereitschaft zur Euthanasie vorhanden ist. Die Frage, ob es gut sei, wenn ein geistig behindertes Kind früh sterben würde, wurde von 20 Prozent voll und weiteren 50 Prozent bedingt bejaht.

Alle Rechte liegen bei der Frankfurter Rundschau.


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TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Stereotype. B2 - Transkript. Geschichte-MMB. Hans Lerchbacher. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1BE-3