[I][II][III][IV][1]
Der Freischütz.
Von
Friedrich Kind.
Zweite Auflage.
Leipzig,
bei Georg Joachim Göschen, 1822
.
[2][3]
Der Freyschütz.
Oper in drei Aufzügen.
In Musik gesetzt

von
Carl Maria von Weber.

[4]

Personen.

  • Ottokar, böhmischer Fürst.
  • Cuno, fürstlicher Erbförster.
  • Agathe, seine Tochter.
  • Annchen, eine junge Verwandte.
    • Caspar, erster Jägerpursch.
    • Max, zweiter
  • Samiel, der schwarze Jäger.
  • Ein Eremit.
  • Kilian, ein reicher Bauer.
  • Brautjungfern.
  • Jäger und Gefolge.
  • Landleute und Musikanten.
  • Erscheinungen.
  • (Die Zeit: Kurz nach Beendigung des dreißig -
    jährigen Krieges.)


Erster Aufzug.


Erster Auftritt.



Waldgegend mit einer Eremiten-Wohnung. Neben
dieser ein Altar von Rasen. Hinter ihm ein [Kreuz] oder
Heiligenbild, ganz von weißen Rosen umblüht.

Eremit,


vor dem Altar knieend.

Allerbarmer! Herr dort oben!

Dir, den Sonn’ und Sterne loben,

Sey auch in der Einsamkeit

Deines Knechtes Herz geweiht!


Er faltet die Hände und stützt betend sein Gesicht auf
den Altar. Pause, von Musik ausgefüllt. Dann richtet er
sich, wie aus einer Entzückung, erschrocken in die Höhe.

Welch ein Gesicht! –

O Herr der Welt, gestatt’ es nicht! –

[6]
Ich sah – noch jetzt ergreift mich
Schauern –

Ich sah den Feind im Dunkeln lauern,

Mit tückisch-freud’gem Angesicht.

Er streckte – ha! wie mir das Herz noch
graust! –

Er streckte seine Riesenfaust

Nach einem unbefleckten Lamm.

Agathe war’s! – Nach ihrem Bräutigam

Lauscht’ er mit gier’gen, wilden Blicken,

Als woll’ er seinen Fuß umstricken;

Im düstern Antlitz Spott und Hohn,

Erfaßt’ er seine Rechte schon – –


Mit brünstiger Andacht.

Herr! vernimm des Greises Flehen!

Laß den Frevel nicht geschehen!

Schirm’, o Herr, der ewig wacht,

Vor des Bösen Trug und Macht!


Er steht auf und geht einige Schritte vorwärts.


Was war das? Ist mir doch, als wär
ich begraben gewesen und nun zurückgegeben
dem Lichte! Ich lebe einfach und mein Lager
ist hart; kalt schleicht das Blut in den Adern [7]des Greises – dann kommen Gesichte von
Gott! – All’ ihr Heiligen! seit drei Tagen
sah ich Agathen nicht, und schon zeichnet das
Glöckchen der Clause sich auf jenen Büschen ab
und verkündet das Herannahen des Abends. –
Dort – täuschen mich nicht die Augen – ja,
sie ists!


Zweiter Auftritt
.


Der Eremit. Agathe mit einem Milchkruge,
Annchen trägt ihr ein Körbchen nach und giebt es ihr
beim Auftreten.

Agathe,
zu Annchen.

Hab’ Dank!


Annchen ab.

Eremit.


Sey mir gesegnet, meine Tochter! Du
bliebst lange aus – 


Agathe.


Ihr seyd doch wohl, ehrwürdiger Vater? [8]Ich wär schon gestern oder vorgestern gekommen;
aber dieses Obst, das ich für euch aufbewahrt
hatte, wollte nicht früher reifen. Da nehmt
es, und dieß Brot und dieß Krüglein Milch.
Andere Labung darf ich Euch ja nicht bringen.


Eremit.


Die Früchte sind auserlesen. Du sorgst
für mich, wie eine Tochter.


Agathe.


Ich liebe Euch auch nach meinem Vater am
meisten.


Eremit.


Wär’ das wahr, was würde dein Max
dazu sagen?


Agathe.


Ei – das ist etwas Andres – ich sprach
von kindlicher Liebe. Ihr scherzt mit mir;
Ihr seyd ungewöhnlich heiter.


[9]
Eremit,
vor sich.

Wie sehr irrt sie! – Laut. Dein Max ist
doch wohl? 


Agathe.


Vollkommen – nur daß ihm vor dem Pro -
beschusse bange ist, den er morgen ablegen soll.


Eremit.


Ich habe davon gehört. Hast du keine
trübe Ahnung?


Agathe.


Zu Zeiten wohl – wenn mich Max so
schwermüthig ansieht!


Eremit.


Es thut meinem Herzen weh, deine Heiter -
keit auch nur auf Augenblicke zu verscheuchen.
Dennoch kann ich dir nicht verhehlen –


Agathe.


O sprecht, ehrwürdiger Vater! Was von
Euch kommt, wird stets zu meinem Heil dienen.


[10]
Eremit.


Ich kenne die eigentliche Gefahr nicht, die
dir und deinem Verlobten droht; doch hat
mich ein Gesicht besorgt gemacht.


Agathe,
ängstlich.

Was erschien Euch?


Eremit.


Gesichte deuten gewöhnlich die Zukunft nur
in ungewissem Halbdunkel an; auch das meinige
war dieser Art. Doch fühle ich mein Herz,
wenn ich dich ansehe, beklommen.


Agathe.


So laßt mein und Maxens Glück doppelt
Eurem frommen Gebete empfohlen seyn. Nicht
wahr, Ihr erfüllt diesen Wunsch?

Eremit.


Ich bin nur ein schwacher Mensch, aber
meiner Vorbitte könnt Ihr gewiß seyn.


[11]
Agathe.


So bin ich voll Hoffnung –


Eremit.


Bewahre treu die Reinheit deines Herzens,
so wird der Allmächtige dich bewahren!


Agathe.


Lebt denn wohl, ehrwürdiger Vater! und
vergeßt unserer nicht in Eurer Andacht.


Eremit.


Gott mit dir, meine Tochter! Agathe geht.
Er ruft ihr nach.
Agathe!


Agathe.


Habt Ihr mir noch etwas zu sagen?


Eremit.


Eine innre Stimme ruft mir zu, dich
heute nicht ohne Gegengabe zu entlassen. Die -
ser Rosenstock, dessen erstes Reißlein meinem
Vorgänger ein Pilger aus Palästina mitbrachte, [12]ist wunderlieblich empor gewachsen. Jeden
Frühling blüht er aufs reichste; ich sammle
und presse die Blätter, und die Landleute
schreiben dem Rosenwasser wunderbare Schutz-
und Heilkräfte zu. Nimm denn einige dieser
Rosen als Brautgeschenk meiner väterlichen
Liebe!



Er bricht Rosen ab, fügt sie in einen Strauß zusammen,
und übergiebt sie ihr am Schlusse des folgenden Zwei -
Gesangs.

Nimm hin des Freundes Gabe,

Geweihet, keusch und rein!

Agathe.

Vor aller meiner Habe

Soll sie mir theuer seyn!

Eremit.

Wird sich die Blüthe senken,

Sollst du dabei gedenken:

Was irdisch ist, vergeht!

Agathe.

Ich will der Blätter wahren,

[13]
Daß noch in späten Jahren

Erinn’rung mich umweht!

Eremit.

Auch sollst du nicht vergessen:

Man muß die Rose pressen,

Eh Heilung sie gewährt –

Agathe.

So wird zu reinern Freuden

Das Menschenherz durch Leiden

Geläutert und geklärt!

Eremit.

Nimm hin, des Freundes Gabe,

Geweihet, keusch und rein!

Agathe.

Vor aller meiner Habe

Soll sie mir theuer seyn!


Der Eremit in die Einsiedlerwohnung, Agathe durchs
Gebüsch ab.
*)
Note: *) Diese zwei Einleitungsscenen sind hier für die
Leser
aus der ersten Handschrift hergestellt und nicht mit
componirt. Die Aufführung beginnt mit der folgen -
den Scene.
[14]

Dritter Auftritt.


Platz vor einer Waldschenke, die geräumig, doch blos
mit Schoben gedeckt ist
. Max sitzt allein im Vorgrunde
an einem Tische, vor sich den Krug. Im Hintergrunde eine
Vogelstange, von Volksgetümmel umgeben. Böhmische
Bergmusik. In dem Augenblicke, als die Gardine aufgeht,
fällt ein Schuß, und das letzte Stück einer Sternscheibe
fliegt in Splittern herunter.

Volk.


Ah! ah! – brav! Herrlich getroffen!
Jubel und Geklatsch.


Max,


bis jetzt die geballte Faust vor der Stirn, schlägt heftig auf
den Tisch.


Glück zu, Bauer!


Chor der Landleute,


unter rauschender Musik, indem die Stange herabgelassen wird.

Victoria! Victoria! der Meister soll leben,

Der wacker dem Sternlein den Rest hat
gegeben!

Ihm gleichet kein Schütz’ von fern und
von nah!

Victoria! Victoria! Victoria!

[15]
Max.


Immer frisch! Schreit! schreit! – stampft
mit der Büchse auf den Boden und legt sie an einen Baum.

War ich denn blind? Sind die {Sennen} dieser
Faust erschlafft?



Es hat sich ein Zug geordnet. Voran die Musikanten,
einen Marsch spielend. Dann Bauerknaben, die das letzte
Stück der Scheibe auf einem Degen, und mancherlei neues
Zinngeräth als Gewinn tragen. Hierauf Kilian, als
Schützen-König, mit Blumenstrauß und Ordensbande,
worauf die von ihm getroffenen Sterne befestigt sind.
Schützen mit Büchsen, mehre mit Sternen auf Mützen und
Hüten, Weiber und Mädchen folgen. Der Zug geht herum
und alle, die bei Max vorbeikommen, deuten höhnisch
auf ihn, verneigen sich, flüstern und lachen. Zuletzt bleibt
Kilian vor ihm stehen, wirft sich in die Brust und
singt:

Schau’ der Herr mich an als König!

Dünkt Ihm meine Macht zu wenig?

Gleich zieh’ Er den Hut, Mosje!

Wird er? frag’ ich – He? He? He?

Chor

wiederholt die letzte Zeile.
Kilian.

Stern und Strauß trag’ ich vorm Leibe,

[16]
Cantors Sepherl trägt die Scheibe; 

Hat Er Augen nun, Mosje? 

Was traf er denn? – He? He? He?

Chor,

wie oben.
Kilian.

Darf ich etwa Eure Gnaden

’s nächste Mal zum Schießen laden?

Er gönnt andern was, Mosje!

Nun, Er kommt doch? He? He? He?

Chor,
wie oben.

Max


springt auf, zieht den Hirschfänger und faßt Kilian bei
der Brust.


Laßt mich zufrieden oder –!


Getümmel, auf Max eindringend.

[17]

Vierter Auftritt.



Die Vorigen. Cuno, Caspar und
mehre Jäger mit Büchsen und Jagdspießen.

Cuno.


Was giebt’s hier? Pfui, dreißig über
einen! Wer untersteht sich, meinen Purschen
anzutasten?


Kilian,


von Max losgelassen, aber noch furchtsam.


Alles in Güte und Liebe, werther Herr
Erbförster! Gar nicht böse gemeint! Es ist
Herkommen bei uns, daß, wer stets gefehlt
hat, vom Königsschusse ausgeschlossen und
dann ein wenig gehänselt wird – alles in
Güte und Liebe.


Cuno,

heftig.


Stets gefehlt? Wer? wer hat das?


Kilian.


Es ist freilich arg, wenn der Bauer ein [18]mal über den Jäger kommt – aber fragt ihn
nur
selbst.


Max,


beschämt und verzweifelnd.


Ich kann’s nicht läugnen; ich habe nie
getroffen.


Caspar,

vor sich
.

Dank, Samiel!


Cuno.


Max! Max! ist’s möglich? Du, sonst
der beste Schütze weit und breit! Seit vier
Wochen hast du keine Feder nach Hause ge -
bracht, und auch jetzt – pfui der Schande!


Caspar.


Glaube mir, Camerad! es ist, wie ich
gesagt
habe. Es hat dir Jemand einen Waid -
mann gesetzt, und den mußt du lösen, oder
du triffst keine Klaue.


Cuno.


Possen!


[19]
Caspar.


Das meine ich eben. So etwas ist leicht
gemacht. Laß
dir rathen, Camerad! Geh
nächsten Freitag auf einen Kreuzweg, zieh’
mit dem Ladestocke oder einem blutigen Degen
einen Kreis um dich und rufe dreimal den
großen Jäger – –


Kilian.

Gott bewahr’ uns! Einen von des Teuf -
els Heerschaaren!

Cuno,

zu Caspar.

Schweig, vorlauter Bube! Ich kenne dich
längst. Du bist ein Tagedieb, ein Schlem -
mer, ein falscher Würfler – hüte dich, daß
ich nicht noch Aergeres von dir denke. Caspar
macht eine kriechende Bewegung, als wolle er sich entschul -
digen.
Kein Wort, oder du hast auf der Stelle
den Abschied! – Aber auch du, Max! siehe
dich vor! Ich bin dir wie ein Vater gewogen;
es freut mich
, daß der Herr Fürst Sohnes- -
Recht auf den Eidam übertragen will – aber
– wenn du morgen beim Probeschusse fehltest, [20]müßt’ ich dir doch das Mädchen versagen.
Wollt Ihr in der Irre herumlaufen?

Max.


Morgen! morgen schon!


Einige Jäger.


Was ist das eigentlich mit dem Probe -
schusse? Schon oft haben wir davon gehört. –


Kilian.


Ja, auch wir, aber noch hat uns Nie -
mand die rechte Bewandniß zu sagen gewußt.


Andere.


O erzählt’s uns, Herr Cuno!


Cuno.


Meinetwegen! Zum Hoflager kommen wir
noch Zeit genug. Setzt sich. Mein Urältervater,
der noch im Forsthause abgebildet steht, hieß
Cuno, wie ich, und war fürstlicher Leibschütz.
Einst trieben die Hunde einen Hirsch heran,
auf den ein Mensch angeschmiedet war; so [21]bestrafte man in alten Zeiten die Waldfrevler.
Dieser Anblick erregte das Mitleid des damali -
gen Fürsten. Er versprach demjenigen, wel -
cher den Hirsch erlege, ohne den Missethäter
zu verwunden, eine Erbförsterei, und zur
Wohnung
das nah gelegene Waldschlößchen.
Der wackere Leibschütz, mehr aus eigenem
Erbarmen, als wegen der großen Verheißung,
besann sich nicht lange. Er legte an und
befahl die Kugel den heiligen Engeln.
Der
Hirsch stürzte, und der Wilddieb war, obwohl
im Gesicht vom Dorngebüsch derb zerkratzt,
doch im übrigen unversehrt.


Weiber.


Gott sey Dank! der arme Wildschütze!


Männer.


Brav! brav! – das war ein Meisterschuß.


Caspar.


Oder ein Glücksfall, wenn nicht vielleicht
gar –


[22]
Max.


Ich möchte der Cuno gewesen seyn!



Starrt zu Boden und versinkt in sich selbst.
Cuno.


Auch mein Urvater freute sich sehr über
die Rettung des Unglücklichen und der Fürst
erfüllte in Allem seine Zusage.


Kilian.


So? Also davon schreibt sich der Probe -
schuß her, Nachbarn und Freunde! Nun weiß
man’s doch auch!


Cuno.


Hört noch das Ende! Es ging damals
wie jetzt, mit einem Blick auf Caspar, daß der böse
Feind immer Unkraut unter den Waizen säet.
Cuno’s Neider wußten es an den Fürsten zu
bringen, der Schuß sey mit Zauberei geschehen,
Cuno habe nicht gezielt, sondern eine Frei -
kugel geladen
.


Caspar.


Dacht’ ich’s doch! − Vor sich. Hilf zu,
Samiel!


[23]
Kilian,

zu einigen Bauern.

Eine Freikugel! – das sind Schlingen
des bösen Feinds; meine Großmutter hat mir’s
einmal
erklärt. Sechse treffen, aber die siebente
gehört dem Bösen; der kann sie hinführen,
wohin ihm’s beliebt.


Caspar.

Alfanzerei! Nichts als Naturkräfte!

Cuno.


Aus diesem Grunde machte der Fürst bei
der Stiftung den Zusatz, daß jeder von Cuno’s
Nachfolgern zuvor einen Probeschuß ablege,
schwer oder leicht, wie es der regierende Fürst
oder sein Abgeordneter anzubefehlen geruht.
Auch will es das Herkommen, daß der junge
Förster an demselben Tage mit seiner Erwähl -
ten getraut wird, die aber völlig unbescholten
seyn und im jungfräulichen Ehrenkränzlein
erscheinen muß. Doch genug nun!
Zu den Jä -
gern, die mit ihm gekommen.
Wir wollen uns wie -
der auf den Weg machen! du aber, Max! [24]magst noch einmal zu Hause nachsehen, ob
sämmtliche Treibleute angelangt sind. –
Nimm dich zusammen! – der Waidmann,
der dir gesetzt ist, mag die Liebe seyn. –
Noch vor Sonnenaufgang erwarte ich dich
beim Hoflager.


Max,

der erst bei Cunos Anrede aus seiner Zerstreuung zurückge -
kommen ist.
O! diese Sonne,

Furchtbar steigt sie mir empor!

Cuno.

Leid oder Wonne,

Beides ruht in deinem Rohr!

Max.

Ach, ich muß verzagen,

Daß der Schuß gelingt!

Cuno.

Dann mußt du entsagen!
 –
[25]
Caspar,


zu Max, mit bedeutungsvoller Heimlichkeit.

Nur ein keckes Wagen

Ists, was Glück erringt!

Max.

Agathen entsagen,

Wie könnt’ ich’s ertragen?

Doch verfolgt mich Mißgeschick –

Chor.

Seht, wie düster ist sein Blick!

Ahnung scheint ihn zu durchbeben –


Zu Max.

O laß Hoffnung dich beleben,

Und vertraue dem Geschick!

Max.

Weh mir! mich verließ das Glück!

Unsichtbare Mächte grollen,

Bange Ahnung füllt die Brust!

Caspar.

Mag Fortuna’s Kugel rollen;
[26]
Wer sich höh’rer Kraft bewußt,

Trotzt dem Wechsel und Verlust!

Cuno.

So’s des Himmels Mächte wollen,

Dann – trag’ männlich den Verlust!

Chor.

Nein! er trüg nicht den Verlust!

Cuno

faßt Max bei der Hand.

Mein Sohn, nur Muth!

Wer Gott vertraut, baut gut.


Zu den Jägern.

Jetzt auf! In Bergen und Klüften

Tobt morgen der freudige Krieg.

Chor der Jäger.

Das Wild in Fluren und Triften,

Der Aar in Wolken und Lüften

Ist unser, und unser der Sieg!

Chor der Landleute.

Laßt lustig die Hörner erschallen –

[27]
Chor der Jäger.

Wir lassen die Hörner erschallen –

Alle,
außer Max.
Wenn wiederum Abend ergraut,

Soll Echo und Felsenwand hallen:

Sa! Hussah, dem Bräut’gam! der Braut!


Cuno mit Caspar und den Jägern ab.


Fünfter Auftritt.



Die Vorigen ohne Cuno und sein Gefolge.

Kilian.


Ein braver Mann, der Herr Förster!
Aber nun kommt auch in den Schenkgiebel;
es wird schon recht dämmrig und schaurig.
Zu Max. Wir wollen gute Freunde bleiben,
wackerer Pursch! Ich gönne Ihm morgen das
beste Glück! Jetzt schlag’ er sich die Grillen
aus dem Kopfe, nehm’ Er ein Mädchen und
tanze Er mit hinein!


[28]
Max.


Ja, es wär mir, wie tanzen!


Kilian.


Nun, wie’s beliebt!


Er nimmt eine der Frauen; die Andern eben so. Böh -
mischer Walzer. Die
mehresten drehen sich tanzend in den
Schenkgiebel; die übrigen zerstreuen sich. Es ist düster
worden.

Sechster Auftritt.



Max allein. Späterhin Samiel, von beinah über -
menschlicher
Größe, dunkelgrün und feuerfarb mit Golde
gekleidet. Der große, mit einer Hahnfeder verzierte Hut
bedeckt fast das ganze schwarzgelbe Gesicht.

Max.
Nein, länger trag’ ich nicht die Qualen,

Die Angst, die jede Hoffnung raubt!

Für welche Schuld muß ich bezahlen?

Was weiht dem falschen Glück mein
Haupt?
 –
Durch die Wälder, durch die Auen

Zog ich leichten Muths dahin;

[29]
Alles, was ich konnt’ erschauen,

War des sichern Rohrs Gewinn.

Abends bracht’ ich reiche Beute,

Und als über eignes Glück,

Drohend wohl dem Mörder, freute

Sich Agathe’s Liebesblick.
 –
Hat denn der Himmel mich verlassen?


Samiel (fast ganz unbeweglich) tritt im Hinter -
grunde einen Schritt aus dem Gebüsche.

Die Vorsicht ganz ihr Aug’ gewandt?

Soll das Verderben mich erfassen?

Verfiel ich in des Zufalls Hand? –

Jetzt ist wohl ihr Fenster offen,

Und sie horcht auf meinen Schritt,

Läßt nicht ab vom treuen Hoffen:

Max bringt gute Zeichen mit!

Wenn sich rauschend Blätter regen,

Wähnt sie wohl, es sey mein Fuß;

Hüpft vor Freuden, winkt entgegen –

Nur dem Laub’ – den Liebesgruß. –

Doch mich umgarnen finstre Mächte;

Samiel schreitet mit großen Schritten im Hinter -
grunde über die Bühne.

[30]
Mich faßt Verzweiflung, foltert Spott!

O dringt kein Strahl durch diese Nächte?

Herrscht blind das Schicksal? Lebt kein
Gott?


Samiel schon ganz an der entgegengesetzten Seite, macht
bei dem letzten Worte eine zuckende Bewegung und ist ver -
schwunden.


Siebenter Auftritt.



Max. Caspar, herbeischleichend. Samiel,
größtentheils unsichtbar. Ein Schenkmädchen.
Caspar,


sobald Max ihn gewahr wird.


Da bist du ja noch, Camerad. Gut, daß
ich dich finde.


Max.


Horchst du schon wieder herum?


Caspar


Ist das mein Dank? Es fiel mir unter [31]wegs ein guter Rath für dich ein; aus treu -
meinendem Herzen stehle ich mich fort, laufe
mich fast außer Athem! – Ich kann’s, kann’s
nicht verschmerzen, daß du hier zum Spott
der Bauern worden bist. Teufel! die mögen
gelacht haben! ha ha ha! Aber, was hilfts?
Schlag’ dirs aus den Gedanken, Bruderherz!
Greift nach dem Kruge. Wie? was? Bier hast
du? das taugt nicht zum Sorgenbrecher! in
den Schenkgiebel rufend.
Wein! Wein! Zwei
Paßgläser! – Camerad! und kostete es mich
den letzten Heller, ich kann dich nicht so traurig
sehen! du mußt mit mir trinken! Das Geforderte
ist indeß von einem Schenkmädchen gebracht worden.
Laß
du ankreiden! –

Max.


Damit verschone mich! Mein Kopf ist
ohnedieß wüst genug. Legt den Kopf auf die Hände.

Caspar.


tropft geschwind aus einem Fläschchen etwas in das für
Max bestimmte Glas. Vor sich:

So Freundchen! da
brauchst du wenig! Gießt schnell Wein ein. Hilf,
Samiel! Samiel schaut mit dem Kopfe aus dem Gebüsch, [32]an welchem sie sitzen. Caspar erschrocken: Du da?
Samiel verschwindet.

Max,

auffahrend.


Mit wem sprachst du?


Caspar.


Ich? mit Niemand. Ich sagte: „So,
Freundchen!“ weil ich dir einschenkte.


Max.


Ich mag aber nichts!


Caspar.


Der Herr Förster soll leben! die Gesund -
heit deines Lehrherrn wirst du doch mit -
trinken?


Max.


So sey’s. Sie stoßen an und trinken.

Caspar.


Nun laß uns eins singen!
 – "Semper
fröhlich, nur halb selig, immerhin!" – [33]Max bezeigt seinen Unwillen. Das gefällt dir nicht?
Nun denn, ein andres!

Hier im ird’schen Jammerthal

Wär’ doch nichts, als Plack und Qual,

Trüg der Stock nicht Trauben;

Darum bis zum letzten Hauch

Setz’ ich auf Gott Bachus Bauch

Meinen festen Glauben!


Ei, du mußt auch mit singen!
 Trinkt.

Max.


Laß mich!


Caspar.


Jungfer Agathe soll leben! Wer die Ge -
sundheit seiner Braut ausschlüg, wär’ doch
warlich ein Schuft.


Max.


Du wirst unverschämt. Sie stoßen an und
trinken.

Caspar.

Eins ist Eins und Drei sind Drei!

[34]
Drum addirt noch Zweierlei

Zu dem Saft der Reben;

Kartenspiel und Würfellust

Und ein Kind mit runder Brust

Hilft zum ew’gen Leben!


Mit dir ist aber auch gar nichts anzufan -
gen! Trinkt.

Max.


Wie kannst du mir zumuthen, in so etwas
einzustimmen?


Caspar.


Unser Herr Fürst soll leben! Wer nicht
dabei ist, ist ein Judas!


Max.


Nun denn, aber dann auch keinen Tropfen
mehr! Sie stoßen an und trinken. Max weht sich mit
dem Hute Luft zu, und giebt sonst zu erkennen, daß ihm
heiß sey.

Caspar.

Ohne dieß Trifolium

[35]
Giebt’s kein wahres Gaudium

Seit dem ersten Uebel.
Fläschchen, sey mein A. B. C.
Mein Gebetbuch, Catherle,

Karte, meine Bibel!

Max,
aufspringend.


Bube! Agathe hat recht, wenn sie mich
immer vor dir warnt. Will fort. Man merkt ihm
von jetzt eine gewisse Heftigkeit an, einem leichten, aber
bösen Rausche gleich.

Caspar.


Wie kannst du auch gleich so in Harnisch
gerathen, Bruderherz? Ich diente noch als
Milchbart unter dem Altringer und Tilly, und
war mit beim Magdeburger Tanze; unterm
Kriegsvolke lernt man solche Schelmliedlein.
Die Dorfuhr schlägt; Max steht auf. Willst du schon
nach Hause?


Max.


Ja, es wird Zeit. Das schlug Sieben!


[36]
Caspar.


Zu Agathen? – Da weiß ich doch nicht
– du könntest sie erschrecken. Weißt du nicht,
daß sie auf einen Gewinn als gute Vorbedeu -
tung für morgen hofft?


Max.


Ach, die Arme! Und ich selbst! Morgen!


Caspar.


Bleib’ noch und laß dir rathen! Deshalb
hab’ ich dich eigentlich aufgesucht.
Dir könnte
gar wohl geholfen werden!


Max.


Mir geholfen?


Caspar,

geheimnißvoll.


Um dir ganz meine Freundschaft zu bewei -
sen, könnte ich dir unter vier Augen – –
Nicht umsonst habe ich gegen dich zuweilen ein
Wort fallen lassen – – Es giebt allerdings
gewisse geheime Kräfte der Natur, gewisse [37]unschuldige Jagd-Künste – Diese Nacht, wo
sich die Mondscheibe verfinstert, ist zu großen
Dingen geschickt! – Ein alter Bergjäger hat
mir einmal vertraut – 



Man sieht Samiel von Zeit zu Zeit lauschen, ohne
daß ihn die Sprechenden bemerken.

Max.


Du missest mir das Gift tropfenweiß zu –


Caspar.


Wie wär’s, Camerad, wenn ich dir noch
heute zu einem recht glücklichen Schusse ver -
hülfe, der Agathen beruhigte und zugleich Euer
morgendes Glück verbürgte?


Max.


Du fragst wunderbar. Ist das möglich?


Caspar.


Muth! Muth! Was die Augen sehen,
glaubt das Herz. Da, nimm meine Büchse!


Max.


Was soll ich damit?


[38]
Caspar.


Geduld! Er sieht nach dem Himmel. Zeigt sich
denn nichts? Schnell, indem er ihm das Gewehr giebt.
Da! da! Siehst du den Stößer dort?
Schieß!


Max.


Bist du ein Narr, oder glaubst du, ich
bins? Es ist ganz düster, der Vogel schwebt
wie ein schwarzer Punkt in der Luft, wol -
kenhoch über der Schußweite!


Caspar.


Schieß ins T – Schellobers Namen!
ha ha!


Max.


berührt wie im Zweifel den Stecher; das Gewehr geht los.
In demselben Augenblicke hört man ein gellendes Gelächter,
so daß sich Max erschrocken nach Caspar umsieht.

Was
lachst du? – Wie Fittige der Unterwelt
kreißt’s dort oben – Ein mächtiger Steinadler schwebt
einen Augenblick wirbelnd in der Luft und stürzt dann
todt zu Maxens Füßen.
Was ist das?


[39]
Caspar,


der ihn aufhebt.


Der größte Steinadler, den es giebt! Was
für Fänge! Und wie herrlich getroffen! Gleich
unterm Flügel, sonst nichts verletzt! Kannst
ihn ausstopfen lassen, Bruder, für ein Na -
turalien-Kabinet!


Max.


Aber ich begreife nicht – – diese Büchse
ist doch, wie jede andere –
 –

Caspar.


Victoria! das wird dich bei den Bauern
in Respect setzen! das wird Agathen erfreuen!
Rauft einige der größten Federn aus und steckt sie auf
Maxens Hut.
So, Camerad! dieß als Siegs -
zeichen!


Max.


Was machst du? – Wird mir doch ganz
schauerlich! – Was hast du geladen? Was
war das für eine Kugel?


[40]
Caspar.


Gar keine Kugel, Närrchen! Eine träch -
tige Blindschleiche! die trifft allemal.


Max.


Träum’ ich denn, oder bin ich berauscht?
So etwas ist mir noch nie begegnet! – Cas -
par! ich bitte dich, ich beschwöre dich – Faßt
ihn.
Caspar! ich bringe dich um – Sag’,
was war das für eine Kugel?


Caspar.


Bist du verwirrt vor Freuden? Ich
theile sie mit dir! Umarmt ihn. Nicht, Freund -
chen! das war ein Schuß? – Laß mich los!


Max

läßt ihn los.


Wo hast du die Kugel her? –


Caspar.


Nun, wenn du Vernunft annimmst –
– so sag’ mir – du, der wackerste Jäger,
bist du, oder stellst du dich nur so uner [41]fahren? Wüßtest du wirklich nicht, was eine
Freikugel sagen will?


Max.


Albernes Geschwätz!


Caspar.


Da lernt man’s doch besser unter dem
Kriegsvolke. Ha, ha! wie kämen die Scharf -
schützen zurecht, die ihren Mann aus dem
dicksten Pulverdampfe herausschießen? Oder
hast du nie nachgedacht, wie der Schweden -
könig, trotz seines Gollers von Elendshaut,
bei Lützen gefallen ist? Zwei silberne Kugeln
hieß es. Ja, ja, der Gescheidte kennt das!
Doch zu so etwas bedarfs anderer Künste,
als blos zu zielen und loszudrücken.


Max,


den Adler betrachtend.


Der Schuß ist unglaublich – in trüber
Dämmerung – aus den Wolken herabgeholt!
So wäre es doch wahr?


[42]
Caspar.


Zudem ist’s wohl zweierlei, einem armen
Erdensohne aus dem Hinterhalte das Lebens -
licht ausblasen, und sich eine Erbförsterei und
ein allerliebstes Mädchen erschießen!


Max,


vor sich selbst brütend.


Hast du noch mehr solche Kugeln?


Caspar.


Es war die letzte – sie haben gerade
ausgereicht.

Pause.

Max.


Bist du doch auf einmal so wortkarg! –
Ausgereicht! Wie verstehst du das?


Caspar.


Weil sie in dieser Nacht zu bekommen sind.


Max.


In dieser Nacht?


[43]
Caspar.


Ja doch! Drei Tage hintereinander steht
jetzt die Sonne im Schützen, und heut ist
der mittelste; heut’, wenn sich die Tage
scheiden, giebt’s eine totale Mondfinsterniß.
– Max! Camerad! Dein Schicksal steht
unter dem Einflusse günstiger Gestirne! Du
bist zu hohen Dingen ersehen! Heute, gerade
in der Nacht zuvor, ehe du den Probeschuß
thun, Amt und Braut dir gewinnen sollst,
wo du der Hülfe unsichtbarer Mächte so sehr
bedarfst, beut die Natur selbst sich zu deinem
Dienste!


Max.


Wohl! Mein Geschick will’s! – Schaff’
mir so eine Kugel! –


Caspar.


Mehr, als du brauchst! Aber bedarf der
Mann eines Vormunds?


Max.


Wie erlangt man sie?


[44]
Caspar.


Das will ich dich lehren. – Sey Punct
zwölf Uhr in der Wolfsschlucht!


Max.


Um Mitternacht – in der Wolfsschlucht?
– Nein! die Schlucht ist verrufen, und um
Mitternacht öffnen sich die Pforten der Hölle.


Caspar.


Pah! – Wie du denkst! – Und doch
kann ich dich deinem Unstern nicht überlassen
– ich bin dein Freund! ich will dir gießen
helfen.


Max.


Auch das nicht!


Caspar.


So mach’ dich morgen zum Landesgespött!
Verlier’ die Försterei und Agathen! – –
Ich bin dein Freund, ich will selbst für dich
gießen; aber dabei mußt du seyn!


[45]
Max.


Deine Zunge ist glatt – Nein, an
solche Dinge muß ein frommer Jäger nicht
denken!


Caspar.


Feigling! Also nur durch fremde Gefahr,
gäb’s anders dergleichen, möchtest du dein
Glück erkaufen; Glaubst du, dann wär deine
Schuld, gäb’ es dergleichen, geringer? Glaubst
du, diese Schuld, gäb’ es dergleichen, laste
nicht schon auf dir? Den Adler an den Fittigen
ausspreizend.
Glaubst du, dieser Adler sey dir
geschenkt?


Max.


Furchtbar, wenn du recht hättest!


Caspar.


Sonderbar, wie du fragst! – Doch Un -
dank ist der Welt Lohn. Ich will mir hier
einen Flederwisch abhauen, daß ich wenigstens
etwas davon trage. Haut einen Flügel ab. Drol [46]lig! um Agathen zu trösten, wagtest du den
Schuß; sie zu erwerben, fehlt es dir an
Herzhaftigkeit! Das würde sich das Wachs -
püppchen, das mich um deinetwillen verwarf,
schwerlich einbilden! Vor sich. Es soll gerochen
werden!


Max.


Elender! Muth hab’ ich –
 –

Caspar.


So bewähr’ ihn! Brauchtest du schon
eine Freikugel, so ist’s ja ein Kinderspiel,
welche zu gießen. Was dir bevorsteht ohne
diese Hülfe, kannst du aus deinen bisherigen
Fehlschüssen
leicht abnehmen. Das Mädchen
ist auf dich versessen, kann nicht ohne dich
leben; sie wird verzweifeln! Du wirst, allen
Menschen ein Spott, herumschleichen, viel -
leicht aus Verzweiflung – Drückt sich die Faust
in die Augen, als träte das Wasser hinein.
Schäme
dich, rauher Waidmann, daß du ihn mehr
liebst, als er sich selbst! Vor sich. Hilf zu,
Samiel!


[47]
Max.


Agathe sterben! Ich in einen Abgrund
springen! Ja, das wär’ das Ende! – Giebt
Caspar die Hand.
Bei Agathe’s Leben! ich
komme!



Samiel, der bei den letzten Worten hervorgelauscht
hat, nickt und verschwindet.

Caspar.


Schweig gegen Jedermann! Es könnte
dir und mir Gefahr bringen. Ich erwarte
dich!
 Glock zwölf!

Max.


Ich dich verrathen? – Glock zwölf! Ich
komme!


Schnell ab.
[48]

Achter Auftritt.


Caspar

allein,
höhnisch ihm nachsehend. Es ist indessen ganz dunkel
worden.
Schweig, schweig – damit dich Niemand
warnt!

Der Hölle Netz hat dich umgarnt,

Nichts kann vom tiefen Fall dich retten!

Umgebt ihn, ihr Geister mit Dunkel be -
schwingt!

Schon trägt er knirschend eure Ketten!

Triumph! die Rache, die Rache gelingt!


Auf der entgegengesetzten Seite ab.

[49]

Zweiter Aufzug.


Erster Auftritt.



Vorsaal mit zwei Seiteneingängen im Forsthause. Hirsch -
geweihe und düstre Tapeten mit Jagdstücken geben ihm ein
alterthümliches Ansehen und bezeichnen ein ehemaliges fürst -
liches Waldschloß
. In der Mitte ein mit Vorhängen be -
deckter Ausgang, der
zu einem Altan führt. Auf einer Seite
Annchens Spinnrad; auf der andern ein großer Tisch,
worauf ein Lämpchen brennt und ein weißes Kleid mit grü -
nem Band liegt.

Annchen


steht auf einer Leiter, hat das Bild des ersten Cuno’s wie -
der aufgehängt und hämmert den Nagel fest.

Agathe,


im Nachtkleid, bindet einen Verband von der Stirn.

Annchen.

Schelm! halt fest!

Ich will dir’s lehren!

Spukerein kann man entbehren

In solch altem Eulen-Nest.

[50]
Agathe.

Laß das Ahnenbild in Ehren!

Annchen.

Ei, dem alten Herrn

Zoll’ ich Achtung gern;

Doch dem Knechte Sitte lehren
,
Kann Respect nicht wehren –

Agathe.

Sprich, wen meinst du? welchem Knecht?

Annchen.

Nun, dem Nagel! Kannst du fragen?

Sollt’ er seinen Herrn nicht tragen,

Ließ ihn fall’n! war das nicht schlecht?

Agathe.

Ja, gewiß, das war nicht recht.

Annchen.

Das war warlich mehr, als schlecht! 

} zugleich.
Steigt herunter und setzt die Leiter weg.
[51]
Agathe.

Alles wird dir zum Feste,

Alles beut dir Lachen und Scherz –

O wie anders fühlt mein Herz!

Annchen.

Grillen sind mir böse Gäste.

Immer mit leichtem Sinn

Tanzen durchs Leben hin,

Das nur ist Hochgewinn –

Sorg’ und Gram muß man verjagen!

Agathe.

Wer bezwingt des Busens Schlagen?

Wer der Liebe süßen Schmerz?

Note: Der folgende Text von Annchen wurde von Weber gestrichen und hat keine musikalische Entsprechung. Er ist hier vermutlich irrtümlich stehen geblieben, denn die textliche Ergänzung von Agathe übernahm Friedrich Kind korrekt.
Annchen.
Die bezwingen Lust und Scherz!
Agathe.

Stets um den Geliebten zagen

Muß dieß ahnungsvolle Herz!

[52]
Annchen,


besieht sich das Bild.


So! nun wird der Altvater wohl wieder
ein Jahrhundertchen festhängen. Da oben
mag ich ihn recht gern leiden! Zu Agathen gekehrt.
Aber du hast das Tuch schon abgebunden?
Das Blut ist doch völlig gestillt?


Agathe.


Sey ohne Sorgen, liebes Annchen! Der
Schreck war das Schlimmste! – Wo nur
Max bleibt?


Annchen.


Nun kommt er gewiß bald. Herr Cuno
sagte ja bestimmt, daß er ihn noch einmal
heimsenden werde.


Agathe.


Es ist recht still und einsam hier –
 –

Annchen.


Unangenehm ist’s freilich, in einem sol [53]chen verwünschten Schlosse am Polterabende
fast mutterseelen allein zu seyn, zumal –
wenn sich so ehrwürdige längst vermoderte
Herrschaften, mir nichts, dir nichts, von den
Wänden herabbemühen. Da lob’ ich mir die
lebendigen und jungen! singt mit lebhafter Pan -
tomime.

Kommt ein schlanker Pursch gegangen,

Blond von Locken oder braun,

Hell von Aug’ und roth von Wangen,

Ei, nach dem kann man wohl schaun.
Zwar schlägt man das Aug’ aufs Mieder,

Tief verschämt, nach Mädchen-Art;

Doch verstohlen hebt man’s wieder,

Wenn’s das Pürschchen nicht gewahrt.

Sollten ja sich Blicke finden,

Nun, was hat auch das für Noth?

Man wird drum nicht gleich erblinden,

Wird man auch ein wenig roth.

Blickchen hin und Blick herüber,

Bis der Mund sich auch was traut!

[54]
Er seufzt: Schönste! Sie spricht: Lieber!

Bald heißt’s Bräutigam und Braut.

Immer näher, liebe Leutchen!

Wollt ihr mich im Kranze seh’n?

Nicht, das ist ein nettes Bräutchen,

Und der Pursch nicht minder schön?
Agathe,


die während des Liedchens angefangen hat, das Kleid mit
Bande zu besetzen
, fällt mit ein.

Und der Pursch nicht minder schön!
Annchen.


So recht! So gefällst du mir, Agathe!
So bist du doch, wie ich seyn werde, –
wichtig. wenn ich einmal Braut bin.


Agathe.


Wer weiß! Doch ich gönne dir’s von
Herzen, ist auch mein Brautstand nicht ganz
kummerlos. Besonders seit ich heute von dem
Eremiten zurückkam, hat mir’s wie ein Stein
auf dem Herzen gelegen. Jetzt fühle ich mich
um vieles leichter.


[55]
Annchen.


Wie so? Erzähle doch! Noch weiß ich
gar nicht, wie dein Besuch abgelaufen ist,
außer daß dir der fromme Greis geweihete
Rosen geschenkt hat.


Agathe.


Er warnte mich vor einer unbekannten,
großen Gefahr, welche ihm ein Gesicht offen -
bart habe.
Nun ist seine Warnung ja in
Erfüllung gegangen. Das herabstürzende
Bild konnte mich tödten!


Annchen.


Gut erklärt! So muß man böse Vorbe -
deutungen nehmen!
 Mein Vater war einst
ein tapferer Degen und sehr unzufrieden,
daß ichs nicht auch werden konnte. Er meinte,
man müsse die Furcht nur verspotten, dann
fliehe sie, und das wahre Sprüchlein, sich
fest zu machen, bestehe in den Worten: Ho -
lunke, wehre dich!

[56]
Agathe.


Die Rosen sind mir nun doppelt theuer,
und
ich will ihrer auf das treueste pflegen.


Annchen.


Wie wärs, wenn ich sie in die Nacht -
frische vor’s Fenster setzte? Es wird ohnedieß
Zeit, mich auszukleiden.


Agathe.


Thue das, liebes Annchen!


Annchen.


Aber, dann laß uns auch zu Bette gehn!


Agathe.


Nicht eher, bis Max da ist!

Annchen.


Hat man nicht seine Noth mit Euch Lie -
besleutchen!

Ab.

[57]

Zweiter Auftritt.


Agathe

allein.

Wie nahte mir der Schlummer,

Bevor ich ihn geseh’n?
 –
Ja, Liebe pflegt mit Kummer

Stets Hand in Hand zu gehn!

Ob Mond’ auf seinen Pfad wohl lacht!


Sie öffnet den Ausgang zum Altan und man sieht in
eine sternenhelle Landschaft hinaus
.

Welch schöne Nacht! –


Sie tritt in den Altan und erhebt mit frommer Rührung
die Hände.

Leise, leise,

Fromme Weise!

Schwing’ dich auf zum Sternenkreise.

Lied, erschalle!

Feiernd walle

Mein Gebet zur Himmelshalle! –
Hinaussschauend.
O wie hell die goldnen Sterne,
Mit wie reinem Glanz’ sie glüh’n!

Nur dort in der Berge Ferne
,
Scheint ein Wetter aufzuzieh’n.

[58]
Dort am Wald’ auch schwebt ein Heer

Düstrer Wolken dumpf und schwer. –

Zu dir wende
Ich die Hände,

Herr ohn’ Anfang und ohn’ Ende!

Vor Gefahren

Uns zu wahren, 

Sende deine Engel-Schaaren! –

Wieder hinausschauend.
Alles pflegt schon längst der Ruh;

Trauter Freund! was weilest du?

Ob mein Ohr auch ängstlich lauscht,

Nur der Tannen Wipfel rauscht,

Nur das Birkenlaub im Hain

Flüstert durch die bange Stille;

Nur die Nachtigall und Grille

Scheint der Nachtluft sich zu freu’n. –

Doch wie? Trügt mich mein Ohr?

Dort klingt’s wie Schritte –

Dort aus der Tannen Mitte

Kommt was hervor –
 –
Er ist’s! er ist’s!

[59]
Die Flagge der Liebe mag wehen!
Sie winkt ihm mit einem weißen Tuche.
Dein Mädchen wacht

Noch in der Nacht –

Er scheint mich noch nicht zu sehen –

Gott! täuscht das Licht

Des Mondes nicht,

So schmückt ein Blumenstrauß den
Hut. –

Gewiß, er hat den besten Schuß gethan!

Das kündet Glück für morgen an!

O süße Hoffnung! Neu belebter Muth!
 –
Alle meine Pulse schlagen,

Und das Herz wallt ungestüm,

Süß entzückt entgegen ihm!

Konnt’ ich das zu hoffen wagen? –

Ja, es wandte sich das Glück

Zu dem theuern Freund zurück,

Will sich morgen treu bewähren!

Ist’s nicht Täuschung, ist’s nicht Wahn? –

Himmel, nimm des Dankes Zähren

Für dieß Pfand der Hoffnung an!

[60]

Dritter Auftritt.



Agathe. Max, verstört und heftig eintretend.
Gleich nach ihm Annchen in Nachtkleidern.

Agathe.


Bist du endlich da, lieber Max!


Max.


Meine Agathe! Sie umarmen sich. Agathe tritt
still zurück, als sie statt des gehofften Straußes den Feder -
busch erblickt.


Max.


-
Verzeiht, wenn Ihr meinetwegen aufge -
blieben seyd. Leider komm’ ich nur auf wenig
Augenblicke –


Agathe.


Du willst doch nicht wieder fort? Es sind
Gewitter im Anzuge.


Max.


Ich muß! – Wirft den Hut auf den Tisch, daß [61]das Lämpchen von dem Federbusche ausgelöscht wird. Die
Gegend, in die man aus dem Altan hinaussieht, zeigt sich
schon in dunkler Beleuchtung.

Annchen.


Gut, daß der Mond scheint; sonst säßen
wir im Finstern. Schlägt Feuer und brennt das Lämp -
chen wieder an. Zu Max.
Wir sind ja recht lebhaft!
Vermuthlich getanzt?


Max.


Ja! ja! Vermuthlich!


Agathe,


furchtsam, mit allen Zeichen getäuschter Hoffnung.


Du scheinst übel gelaunt. Wieder unglück -
lich gewesen?


Max.


Nein! nein! Im Gegentheil!


Agathe.


Nicht? gewiß nicht?


[62]
Annchen
,
zu Max.


Was hast du gewonnen? Wenn’s ein Band
ist, Vetter! mußt du mir’s schenken. Bitte,
bitte! Agathe hat schon Bänderkram genug
von dir!


Agathe.


Was hast du getroffen, Max? Heute ist
mir’s von Wichtigkeit.


Max,


mit ängstlicher Verlegenheit.


Ich habe – ich war gar nicht beim Stern -
schießen!


Agathe.


Und sagst doch, du seyst glücklich gewesen?


Max.


Ja doch! wunderbar, unglaublich glücklich.
Sieh! Zeigt ihr mit solcher Heftigkeit den Federbusch
auf dem Hute, daß sie zurückfährt.
Den größten Raub -
vogel hab’ ich aus den Wolken geholt!


[63]
Agathe.


Sey doch nicht so hastig! du fährst mir in
die Augen –
 –

Max.


Vergieb! Bemerkt Blut an ihrer Stirn. Aber
was ist das? du bist verwundet, deine Locken
sind blutig – Um aller Heiligen willen, was
ist dir begegnet?


Agathe.


Nichts! so viel als nichts! Es heilt noch
vorm Brautgang. Sich sanft an ihn schmiegend.
Du sollst dich drum deines Bräutchens nicht
schämen!


Max.


Aber so sagt doch nur –
 –

Annchen.


Das Bild dort fiel herunter –
 –

Max.


Dort, der Urvater Cuno?


[64]
Agathe.


Wie bist du? Es ist sonst kein Bild hier.


Max.


Der wackere, gottesfürchtige Cuno?


Annchen.


Halb und halb war Agathe selbst Schuld.
Wer hieß ihr auch, schon nach sieben Uhr
immer ans Fenster zu laufen! Da ließ sich
doch kaum erwarten, daß du schon heim kämst.


Max.


Um sieben Uhr?


Annchen.


Du hörst’s ja! die Thurmuhr drüben im
Dorfe hatte kaum ausgeschlagen.


Max.


Seltsam! Vor sich.
 Um diese Zeit schoß ich
den Bergadler.


[65]
Agathe.


Du sprichst mit dir selbst. Was hast du?


Max.


Nichts! nichts auf der Welt!


Agathe.


Bist du unzufrieden mit mir?


Max,


mit steigender Verlegenheit.


Nein! wie könnt ich? – Ja denn! ich
bringe dir eine Bürgschaft meines wiederkeh -
renden Glücks – sie hat mich viel gekostet,
und du – du freust dich nicht einmal darüber.
Ist das auch Liebe?


Agathe.


Sey nicht ungerecht, Max! Noch weiß
ich ja nicht – so große Raubvögel, wie ich
diesen mir denken muß, haben immer was
Furchtbares. 


Annchen.


Das dächt’ ich nicht! Mir seh’n sie recht
stattlich aus.


[66]
Agathe,

zu Max.


O steh’ nicht so in dich gekehrt! Ich liebe
dich ja so innig. Solltest du morgen nicht
glücklich seyn, würdest du mir, ich dir ent -
rissen, o gewiß, der Gram tödtete mich!


Max.


Drum – eben darum – muß ich wieder
fort!


Agathe.


Aber was treibt dich?


Max.


Ich habe – ich bin noch ein Mal glück -
lich gewesen –


Agathe.


Noch ein Mal?


Max.


Ja doch! ja! ohne Agathen ansehen zu können.
Ich hab’ in der Dämmrung einen Sechzehnend [67]ner geschossen! der muß noch hereingeschafft
werden, sonst stehlen ihn des Nachts die -
Bauern.


Agathe.


Wo liegt der Hirsch?


Max.


Ziemlich weit – im tiefen Walde – bei
der Wolfsschlucht!


Agathe.

Wie? was? Entsetzen?

Dort in der Schreckensschlucht?

Annchen.

Der wilde Jäger soll dort hetzen,

Und wer ihn hört, ergreift die Flucht.

Max.

Darf Furcht im Hirn des Waidmanns
hausen?

Agathe.

Doch sündigt der, wer Gott versucht!

[68]
Max.

Ich bin vertraut mit jenem Grausen,

Das Mitternacht im Walde webt,

Wenn sturmbewegt die Eichen sausen,

Der Häher krächzt, die Eule schwebt –


Nimmt Hut, Jagdtasche und Büchse.

Agathe.

Mir ist so bang! o bleibe!

O eile, eile nicht so schnell.

Annchen.

Ihr ist so bang! o bleibe!

O eile, eile nicht so schnell!

Max,


nach dem Altan schauend, düster vor sich.

Noch birgt sich nicht die Mondenscheibe,

Noch strahlt ihr Schimmer dämmerhell;

Doch bald wird sie den Schein verlieren –

Annchen.

Willst du den Himmel observiren?

Das wär’ nun meine Sache nicht!

[69]
Agathe.

O, kann dich meine Angst nicht rühren? –

Max.

Mich ruft von hinnen – Wort und Pflicht!

Agathe und Annchen.

Leb wohl!

Max.

Leb wohl!

} zugleich.
er geht hastig fort und kehrt in der Thür noch einmal zurück.
Mit Wehmuth.

Doch hast du auch vergeben
,
Den Vorwurf? den Verdacht?

Agathe.

Nichts fühlt mein Herz, als Beben!

Nimm meiner Warnung Acht!

Annchen.

So ist das Jägerleben!

Nicht Ruh’ bei Tag und Nacht!

[70]
Agathe.

Weh’ mir! Ich muß dich lassen!

Annchen.

Such’, Beste, dich zu fassen!

Max,

düster.

Bald wird der Mond erblassen! –

Agathe und Annchen.

Denk’ an Agathe’s Wort!

Max,


den Hut tief in die Augen drückend.

Mein Schicksal reißt mich fort!


Zu verschiedenen Thüren ab.

[71]

Vierter Auftritt.



Furchtbare Schlucht, größtentheils mit Schwarzholz be -
wachsen, von hohen Gebirgen rings umgeben. Von einem
derselben stürzt ein Wasserfall. Der Vollmond scheint bleich.
Zwei Gewitter von entgegen gesetzter Richtung sind im
Anzuge. Weiter vorwärts ein vom Blitz zerschmetterter,
ganz verdorrter Baum, inwendig faul, so daß er zu glim -
men scheint. Auf der andern Seite, auf einem knorrigen
Aste eine große Eule mit feurig rädernden Augen. Auf
andern Bäumen Raben und anderes Waldgevögel.

Caspar,


ohne Hut und Oberkleid, doch mit Jagdtasche und Hirsch -
fänger, ist beschäftigt, mit schwarzen Feldsteinen einen
Kreis zu legen, in dessen Mitte ein Todtenkopf liegt. Einige
Schritte davon der abgehauene Adlersflügel, Gießkelle und
Kugelform.

Stimmen


unsichtbarer Geister von verschiedenen Seiten.
Milch des Mondes fiel aufs Kraut –

Uhui!

Spinnweb’ ist mit Blut bethaut –

Uhui!

Eh’ noch wieder Abend graut –

Uhui!

[72]
Ist sie todt, die zarte Braut!

Uhui.

Eh’ noch wieder sinkt die Nacht,

Ist das Opfer dargebracht.

Uhui! Uhui! Uhui!


Fünfter Auftritt.



Die Uhr schlägt ganz in der Ferne dumpf Zwölf. Der
Kreis von Steinen ist vollendet. Als der zwölfte Schlag
fällt, reißt Caspar den Hirschfänger heftig heraus
und stößt ihn in den Todtenschädel – Bald darauf
Samiel.

Caspar


erhebt den Hirschfänger mit dem Todtenkopfe und ruft:

Samiel! Samiel! erschein’!

Bei des Zaub’rers Hirngebein!

Samiel! Samiel erschein’!


er stellt beides wieder in die Mitte des Kreises. Unterirdi -
sches Getös. Ein Felsen spaltet sich. Samiel wird
in dem Spalt sichtbar.
Caspar wirft sich vor ihm
nieder.

[73]
Samiel.

Was rufst du mich?

Caspar,

kriechend.

Du weißt, daß meine Frist

Schier abgelaufen ist –

Samiel.

Morgen!

Caspar.

Verlängre sie noch einmal mir –

Samiel.

Nein!

Caspar.

Ich bringe neue Opfer dir –

Samiel.

Welche?

[74]
Caspar.

Mein Jagdgesell, er naht – 

Er, der noch nie dein dunkles Reich
betrat!

Samiel.

Was sein Begehr?
 –
Caspar.

Freikugeln sind’s, auf die er Hoffnung
baut –

Samiel.

Sechse treffen, sieben äffen.

Caspar.

Die siebente sey dein! 

Aus seinem Rohr lenk’ sie nach seiner
Braut; 

Dieß wird ihn der Verzweiflung weih’n,

Ihn und den Vater –

Samiel.

Noch habe ich keinen Theil an ihr!

[75]
Caspar,

bange.

Gnügt er dir allein?

Samiel.

Das findet sich!

Caspar.

Doch schenkst du Frist? und wieder auf
drei Jahr
,
Bring’ ich ihn dir zur Beute dar?

Samiel.


Es sey. – Bei den Pforten der Hölle!
Morgen – Er oder du!



Dumpfer Donner vom Echo wiederholt. Samiel ver -
schwindet. Auch der Todtenkopf mit dem Hirschfänger ist
verschwunden und an dessen Stelle sieht man einen kleinen
Heerd mit glimmenden Kohlen, dabei einige Reißbunde.

[76]

Sechster Auftritt.



Caspar steht auf und trocknet sich den Schweiß von
der Stirn. Bald darauf wird Max auf einem der Fel -
sen, dem Wasserfall gegenüber, sichtbar. Späterhin Er -
scheinungen
, die jedoch sämmtlich den Zauberkreis
nicht berühren
. Zuletzt Samiel.

Caspar,


als er sich umsieht und die Kohlen erblickt.


Trefflich bedient! Thut einen Zug aus der Jagd -
flasche.
Gesegn’ es Samiel! Er hat mir warm
gemacht! – Aber wo bleibt Max? Sollt’
er wortbrüchig werden? – Samiel, hilf! –


Er geht, nicht ohne Beängstigung, im Kreise hin und
her. Die Kohlen drohen zu verlöschen. Er knieet zu ihnen
nieder, legt Reiß auf und bläset an. Die Eule und andere
Vögel heben dabei die Flügel, als wollten sie anfachen.
Das Feuer raucht und knistert.
Max


beugt sich von einer Felsenspitze nach der Schlucht herunter.

Ha! – Furchtbar gähnt

[77]
Der düstre Abgrund! – welches Graun!

Das Auge wähnt

In einen Höllenpfuhl zu schau’n!

Wie dort sich Wetterwolken ballen!

Der Mond verliert von seinem Schein!

Gespenst’ge Nebelbilder wallen!

Belebt ist das Gestein,

Und hier – husch! husch!

Fliegt Nachtgevögel auf im Busch!
Rothgraue, narb’ge Zweige strecken

Nach mir die Riesenfaust! – 

Nein, ob das Herz auch graust,

Ich muß! Ich trotze allen Schrecken!


Er klettert auf dem Felsenpfade einige Schritte herab.

Caspar


richtet sich auf und erblickt ihn.


Dank, Samiel! die Frist ist gewonnen!
Zu Max. Kommst du endlich, Camerad? Ist
das auch recht, mich allein zu lassen? Siehst
du nicht, wie mir’s sauer wird! Hat das Feuer
mit dem Adlerflügel angefacht, und erhebt diesen im Ge -
spräch gegen Max.


[78]
Max,


nach dem Adlerflügel starrend, die Hand vor der Stirn.

Ich schoß den Adler aus hoher Luft;

Ich kann nicht rückwärts – mein Schick -
sal ruft! – –


Bleibt wieder stehen und blickt starr nach dem gegen über
stehenden Felsen.

Weh mir!

Caspar.


So komm doch! die Zeit eilt –
 –

Max.


Ich kann nicht hinab!


Caspar.


Hasenherz! Klimmst ja sonst wie eine
Gemse!


Max.


Sieh dorthin! Sieh!



Er deutet nach dem Felsen, welcher noch vom Mondlicht
beleuchtet ist. Man erblickt eine weißverschleierte Gestalt,
welche die Hände erhebt.

[79]
Was dort sich weißt,

Ist meiner Mutter Geist!

So lag sie im Sarg, so ruht sie im
Grab!
 –
Sie fleht mit warnendem Blick,

Sie winkt mir zurück.

Caspar,

vor sich.

Hilf, Samiel! Laut. Alberne Fratzen!
Ho haho! Sieh noch einmal hin, damit du
die Folgen deiner feigen Thorheit erkennest!


Die verschleierte Gestalt ist verschwunden. Man erblickt
Agathe’s Gestalt, mit aufgelösten Locken und wunderlich
mit Laub und Stroh aufgeputzt. Sie gleicht völlig einer
Wahnsinnigen, und scheint im Begriff, sich in den Was -
serfall herunter zu stürzen.
Max.

Agathe! – Sie springt in den Fluß!

Hinab! ich muß!


Die Gestalt ist verschwunden. Max klimmt vollends
herab. Der Mond fängt an sich zu verfinstern.

Caspar,

hönisch vor sich.

Ich denke wohl auch!

[80]
Max,


heftig zu Caspar.


Hier bin ich! Was hab ich zu thun? 


Caspar


wirft ihm die Jagdflasche zu, die Max weglegt.

Zuerst trink’! die Nachtluft ist kühl und
feucht. – Willst du selbst gießen?


Max.


Nein! das ist wider die Abrede.


Caspar.


Fasse Muth! Tritt in den Kreis! Er ist
eine eherne Mauer gegen Geistergewalt vom
Firmamente bis zum untersten Abgrund. –

Was du auch hören und sehen magst, verhalte
dich ruhig. Mit eigenem heimlichen Grauen. Käm’
vielleicht ein Unbekannter, uns zu helfen, wär’
es auch ein schwarzer Reuter auf schwarzem
funkensprühenden Roß
, was kümmert’s dich?
Kömmt Andres, was thut’s! So etwas sieht
ein Gescheidter gar nicht!


[81]
Max,

tritt ein.

O! wie wird das enden!


Caspar.


Umsonst ist der Tod! Nicht ohne Wider -
stand schenken verborgene Naturen den Sterb -
lichen ihre Schätze. Nur wann du mich selbst
zittern siehst, dann komm mir zu Hülfe und
rufe, was ich rufen werde. Sonst sind wir
verloren. Max macht eine Bewegung des Einwurfs.
Still! Die Augenblicke sind kostbar! – Der
Mond ist bis auf einen schmalen Strich verfinstert, Caspar
nimmt die Gießkelle.
Merk’ auf, damit du die
Kunst lernst. Er nimmt die Ingredienzien aus der
Jagdtasche und wirft sie nach und nach hinein.
Hier erst
d[as] Blei. – Etwas gestoßenes Glas von
zerbrochenen Kirchfenstern; das findet sich! –
Etwas Quecksilber! – Drei Kugeln, die
schon einmal getroffen! – Das rechte Auge
eines Wiedehopfs! Das linke eines Luchses! –
Probatum est! – Und nun den Kugelsegen!
In drei Pausen sich mit dem Kopfe gegen die Erde neigend.

Schütze, der im Dunkeln wacht!

Samiel, Samiel! hab’ Acht!

[82]
Steh’ mir bei in dieser Nacht,

Bis der Zauber ist vollbracht!

Salbe mir so Kraut, als Blei,

Segn’ es sieben, neun und drei,

Daß die Kugel tüchtig sey!

Samiel! Samiel! herbei!


Die Masse in der Gießkelle fängt an zu gähren und zu
zischen und giebt einen grünlich weißen Schein. Eine Wolke
läuft über den Mondstreif, daß die ganze Gegend nur noch
von dem Heerdfeuer, den Augen der Eule und dem faulen
Holze des Baums beleuchtet ist. Caspar gießt, läßt die
Kugel aus der Form fallen und ruft:
Eins! Das Echo
wiederholt;
Eins! Waldvögel kommen herunter, setzen
sich um den Kreis, hüpfen und flattern. Caspar zählt

Zwei! Echo wiederholt. Ein schwarzer Eber raschelt durchs
Gebüsch und jagt schnaubend vorüber. Caspar stutzt und
zählt;
Drei! Echo wie oben. Ein Sturm erhebt sich,
braust, bricht Wipfel der Bäume, jagt Funken vom Feuer
Caspar zählt ängstlich:
Vier! Echo wie oben. Man
hört Rasseln, Peitschengeknall und Pferdegetrappel. Vier
feurige funkenwerfende Räder rollen über die Bühne, ohne
daß man wegen der Schnelligkeit ihre eigentliche Gestalt
oder den Wagen gewahr werden kann. Caspar, immer
ängstlicher, zählt:
Fünf! Echo wiederholt. Hundegebell
und Wiehern in der Luft. Nebelgestalten von Jägern zu [83]Fuß und zu Roß, Hirschen und Hunden, ziehen in der
Höhe vorüber.

Wehe! Das wilde Heer! Furchtbarer Gesang:

Durch Berg und Thal, durch Schlund
und Schacht,

Durch Thau und Wolken, Sturm und
Nacht!

Durch Höhle, Sumpf und Erdenkluft!

Durch Feuer, Erde, See und Luft!

Jaho! Jaho! Wau! Wau!


Caspar: Sechs! Wehe! – Echo. Sechs!
Wehe! Der ganze Himmel wird schwarze Nacht, die
vorher mit einander kämpfenden Gewitter treffen zusammen
und entladen sich mit furchtbaren Blitzen und Donnern.
Platzregen fällt; dunkelblaue Flammen schlagen aus der
Erde; Irrlichter zeigen sich auf den Bergen. Bäume wer -
den prasselnd aus den Wurzeln gerissen; der Wasserfall
schäumt und tobt; Felsenstücke stürzen herab. Man hört
von allen Seiten Wettergeläut. Die Erde scheint zu wanken.
Caspar, zuckend und schreiend:
Samiel! Samiel!
Samiel, hilf! – Sieben! – Samiel! Echo:
Sieben! – Samiel!
Caspar wird zu Boden ge -
worfen.

[84]
Max,


gleichfalls vom Sturm hin- und hergeschleudert, springt
aus dem Kreise
, faßt einen Ast des verdorrten Baums und
schreit:
Samiel!


In demselben Augenblicke fängt das Ungewitter an, sich
zu beruhigen, an der Stelle des verdorrten Baums
steht
der schwarze Jäger, nach Maxens Hand fassend.
Samiel,


mit furchtbarer Stimme.


Hier bin ich!


Max


schlägt ein Kreuz und stürzt zu Boden. Es schlägt Eins.
Plötzliche Stille. – Samiel ist verschwunden. Caspar
liegt noch mit dem Gesicht zu Boden. Max richtet sich
konvulsivisch auf.

(Der Vorhang fällt.)

[85]

Dritter Aufzug.


Erster Auftritt.



Tag. Kurze Waldscene. Man hört hinter der Gardine
von Zeit zu Zeit Jagdmusik.

Zwei fürstliche Jäger. Späterhin Max
und Caspar. Zuletzt noch ein fürstlicher
Jäger
.

Erster Jäger.


Es ist herrliches Jagdwetter!


Zweiter Jäger.


Nimmermehr hätt’ ich das geglaubt; bis
gegen Morgen war ein Mordlärm!


Erster Jäger.


Besonders in der Waldschlucht soll ganz
und gar der böse Feind gehaust haben.


[86]
Zweiter Jäger.


Das ist ein für allemal seiner Großmut -
ter Lustwäldchen.


Erster Jäger.


Dort giebts Windbrüche! Mannsdicke
Stämme sind zersplittert wie Rohrstäbe, Rie -
sentannen strecken die Wurzeln gen Himmel.


Zweiter Jäger.


Ja, ja, man weiß schon, wer dort sein
Wesen treibt.


Erster Jäger.


Mit deinen Fratzen! laß uns gehen!


Max, etwas erhitzt, kommt mit Caspar.

Erster Jäger,


zu ihnen im Vorübergehn.


Guten Tag!


Zweiter Jäger


zieht vor Max den Hut.


Glück zu, Herr Expectant!


[87]
Max.


Gute Jagd!


Zweiter Jäger,


den ersten noch zurückhaltend und auf Maxen deutend.


Hör’, sey höflich gegen den! Das ist ein
Mordkerl! Er hat drei Schüsse gethan –
unser einer kann nicht so weit sehen, ge -
schweige denn treffen! Die Durchlaucht ist
ganz versessen auf ihn. Das Glücksrädchen
dreht sich wunderlich. Läuft’s so fort, kann
er noch Landjägermeister werden.


Erster Jäger.


Meinethalben! Komm!

Sie gehen.

Max
,
zu Caspar.


Gut, daß wir allein sind! – Hast du
noch von den Glücks-Kugeln? Gieb!


Caspar.


Das wär’ mir! Bedenk! Drei nahm ich, [88]vier für dich! Kann ein Bruder redlicher
theilen?


Max.


Aber ich habe nur noch eine! Der Fürst
hatte mich ins Auge gefaßt. Drei Schüsse
hab ich gethan zum Erstaunen. Was hast
du denn mit den Kugeln angefangen?


Caspar


nimmt zwei Elstern aus der Jagdtasche und wirft sie hinter
einen Busch.


Da sieh, nach den Elstern hab’ ich Zweie
verschossen
.


Max.


Bist du toll?


Caspar.


Es macht mir Spaß, so einen Galgen -
vogel herunterzulangen! Was kümmert mich
die ganze fürstliche Jagd?


Max.


So hast du noch Eine; gieb mir sie!


[89]
Caspar.


Daß ich kein Narr wär’! Ich noch eine
– du noch eine! Die heb’ dir fein auf zu
dem Probeschusse.


Max.


Gieb mir deine Dritte!


Caspar.


Ich mag nicht – –


Max.


Caspar!


Dritter Jäger

tritt ein;
zu Max.


Der Fürst verlangt Euch, aber augen -
blicklich! Es ist ein Streit entstanden, wie
weit Euer Gewehr trifft.
Ab.

Max.


Sogleich! Zu Caspar, dringend. Gieb mir die
Dritte!


Caspar.


Nein, und wenn du mir zu Fuße fielst –
!

[90]
Max.


Schuft!


Ab.
Caspar.


Immerhin! – Jetzt geschwind die sechste
Kugel verbraucht. Er [lädt]. Die siebente, die
Teufelskugel
, hebt er mir schon zum Probe -
schusse auf! Hahaha! Das Exempel ist
richtig. Wohl bekomm’s der schönen Braut!
– dort läuft ein Füchslein; dem die sechste
in den Pelz!
Legt im Abgehen an; man hört alsbald
außerhalb
den Schuß fallen.

[91]

Zweiter Auftritt.



Agathens Stübchen, alterthümlich, doch niedlich verziert.
An einer Seite ein kleiner Hausaltar, worauf in einem
Blumentopfe ein Strauß weißer Rosen
.

Agathe

allein,
bräutlich und blendend weiß, mit grünem Bande, gekleidet,
kniet an dem Altar, steht auf und wendet sich dann vor -
wärts. Mit wehmüthiger Andacht:

Und ob die Wolke sie verhülle,

Die Sonne bleibt am Himmelszelt!

Es waltet dort ein heil’ger Wille;

Nicht blindem Zufall dient die Welt!

Das Auge, rein und ewig klar,

Nimmt aller Wesen liebend wahr!

Für mich auch wird der Höchste sorgen,
Dem kindlich Herz und Sinn vertraut!

Und wär’ dieß auch mein letzter Morgen,

Rief mich sein Vaterwort als Braut;

Sein Auge, rein und ewig klar,

Nimmt aller seiner Kinder wahr!
[92]

Dritter Auftritt.



Agathe. Annchen, geschmückt, doch nicht mit
Blumen oder Zweigen
.

Annchen.


Ei, du hast dich dazu gehalten! – Aber
du bist ja so wehmüthig; ich glaube gar, du
hast geweint? Brautthränen und Frühregen,
sagt das Sprüchwort, währen nicht lange.
Nun, das weiß der Himmel, Regen genug
hat’s gegeben! Oft dacht’ ich, der Sturm
würde das alte Jagdschlößchen ganz über den
Haufen blasen!


Agathe.


Und Max war in diesem schrecklichen Wet -
ter im Walde! – Zudem habe ich so quälende
Träume gehabt.


Annchen.


Träume? Ich habe immer gehört, was
einen vor dem Hochzeittage träumt, muß man [93]sich merken. Solche Träume sollen, wie Laub -
frösche, das ganze liebe Ehestandswetter ver -
kündigen. Was träumtest du denn?


Agathe.


Es klingt wunderbar. Mich träumte, ich
sey in eine weiße Taube verwandelt und fliege
von Ast zu Aste. Max zielte nach mir, ich
stürzte; aber nun war die weiße Taube ver -
schwunden, ich war wieder Agathe, und ein
großer schwarzer Raubvogel wälzte sich im
Blute.


Annchen

klatscht in die Hände.


Allerliebst! allerliebst!


Agathe.


Wie kannst du dich nur über so etwas
freuen?


Annchen.


Nun, der schwarze Raubvogel – da hast
du ja die ganze Bescheerung! du arbeitetest noch
spät an dem weißen Brautkleide und dachtest [94]gewiß vor dem Einschlafen an deinen heutigen
Staat; da hast du die weiße Taube! du er -
schrakst vor den Adlerfedern auf Maxens Hute,
es schauert dir überhaupt vor Raubvögeln; da
hast du den schwarzen Vogel! Bin ich nicht
eine geschickte Traumdeuterin?


Agathe.


Deine Liebe zu mir macht dich dazu, liebes,
fröhliches Kind! Gleichwohl – hast du nie
gehört, daß Träume in Erfüllung gingen?


Annchen,

vor sich.


Fällt mir denn nichts ein, sie zu zerstreuen?
Laut, mit scheinbarer Ernsthaftigkeit und Furcht. Freilich,
Alles kann man
nicht verwerfen! Ich selbst
weiß da ein Grausen erregendes Beispiel.


Einst träumte meiner sel’gen Base,

Die Kammerthür’ eröffne sich,

Und – kreideweiß ward ihre Nase,

Denn näher, furchtbar näher schlich

Ein Ungeheuer
,
Mit Augen, wie Feuer,

[95]
Mit klirrender Kette – –

Es nahte dem Bette,

In welchem sie schlief – 

Ich meine die Base

Mit kreidiger Nase –

Und stöhnte, ach! so hohl! und
 ächzte, -
ach! so tief!
Sie kreuzte sich, rief,

Nach manchem Angst- und Stoßgebet:

Susanne! Margreth!

Und sie kamen mit Licht –

Und – denke nur? – und –

Erschrick mir nur nicht!
 –
Und – graus’t mir doch! – und –

Der Geist war – Nero – der Kettenhund!


Agathe wendet sich unwillig ab. Zärtlich.

Du zürnest mir? –

Doch kannst du wähnen,

Ich fühle nicht mit dir? –

Nur ziemen einer Braut nicht Thränen!

Trübe Augen,
Liebchen, taugen

Einem holden Bräutchen nicht.

[96]
Daß durch Blicke

Sie bestricke 

Und 
erquicke,
Alles um sich her entzücke,

Das ist ihre schönste Pflicht. –

Laß in öden Mauern

Büßerinnen trauern.

Dir winkt ros’ger Hoffnung Licht!

Schon entzündet sind die Kerzen

Zum Verein getreuer Herzen –

Holde Freundin, zage nicht!

Nun muß ich aber auch geschwind den
Kranz holen. Die alte Elsbeth hat ihn
eben aus der Stadt mitgebracht und ich ver -
geßliches Ding ließ ihn unten. Horch, da
kommen die Brautjungfern schon!


[97]

Vierter Auftritt.



Die Vorigen. Brautjungfern, in
ländlicher Feiertracht, doch gleichfalls ohne Kränze
und Blumen
.

Annchen,

im Abgehen.


Guten Tag, liebe Mädchen! Da, singt
immer die Braut an! Ich komme gleich
wieder.

Ab.

Eine Brautjungfer.

Wir winden dir den Jungfern-Kranz

Mit veilchenblauer Seide.

Wir führen dich zu Spiel und Tanz,

Zu Glück und Liebesfreude!

Alle,


einen Ringelreihn um Agathen tanzend.
Schöner, grüner Jungfernkranz!

Veilchenblaue Seide!

Eine Brautjungfer.

Lavendel, Mirt’ und Thymian,

Das wächst in meinem Garten;

[98]
Wie lang bleibt doch der Freiersmann?

Ich kann es kaum erwarten.

Alle,

wie oben.
Schöner, grüner Jungfernkranz u. s. w.

Eine Brautjungfer.

Sie hat gesponnen sieben Jahr

Den goldnen Flachs am Rocken,

Die Schleier sind wie Spinnweb’ klar,

Und grün der Kranz der Locken.

Alle,
wie oben.
Schöner, grüner Jungfernkranz u. s. w.

Eine Brautjungfer.

Und als der schmucke Freier kam,

War’n sieben Jahr verronnen;

Und weil sie der Herzliebste nahm,

Hat sie den Kranz gewonnen.

Alle.



wie oben.
Schöner, grüner Jungfernkranz u. s. w.

[99]

Fünfter Auftritt.



Die Vorigen. Annchen, mit einer zugebun -
denen runden Schachtel eintretend.

Annchen


fällt mit ein, indem sie die Schachtel in der Höhe hält.

Schöner, grüner Jungfernkranz u. s. w.


Nun, da bin ich wieder! Aber fast wär’
ich auf die Nase gefallen. Kannst du dirs
denken, Agathe? der alte Herr Cuno hat schon
wieder gespukt.


Agathe,

beklommen.


Was sagst du?


Annchen.


Daß ich über das alte Bild fast die Beine
gebrochen hätte. Es ist diese Nacht zum
zweitenmale von der Wand gefallen und hat
ein tüchtiges Stück Kalk mit herunter gebracht.
Der ganze Rahmen ist zertrümmert.


[100]
Agathe.


Fast könnt’ es mich ängsten! Er war der
Urvater unsers Stammes –


Annchen.


Du zitterst auch vor einer Spinne! In
einer so tollen Nacht, wo alle Pfosten krachen,
ist’s da zu verwundern? Auch führ’ ich wohl
keinen sonderlichen Hammer, und der alte Nagel
war ganz verrostet. Nun frisch! Noch einmal
das Ende des Liedchens! Sie schneidet den Bindfa -
den entzwei, knieet tändelnd vor Agathen nieder und über
reicht ihr die Schachtel.


Alle,


außer Agathen.

Schöner, grüner Jungfernkranz
 u. s. w.
Agathe


öffnet und fährt zurück.


Ach! Alle, außer Annchen, die noch knieet, fahren
gleichfalls erblassend zurück.

[101]
Annchen.


Nun, was ist denn?


Agathe
,

nimmt den Kranz heraus; es ist ein silberner Todtenkranz.

Annchen,

sehr erschrocken.


Eine Todtenkrone! – Himmel, das ist
aufspringend und ihre Verlegenheit verbergend. Nein,
das ist nicht zum Aushalten! da hat die alte
halbblinde Frau, oder die Verkäuferin, gewiß
die Schachteln vertauscht! Die Brautjungfern sehen
einander bedenklich an. Agathe blickt still vor sich nieder
und faltet die Hände.
Aber was fangen wir nun an?
Sie macht die Schachtel zu und verbirgt sie schnell. Weg
damit! Einen Kranz müssen wir haben!


Agathe.


Vielleicht ist dieß ein Wink von oben. Der
fromme Eremit gab mir die weißen Rosen so
ernst und bedeutend; windet daraus die Braut -
krone! Vor dem Altar und im Sarge mag die
Jungfrau weiße Rosen tragen. 


[102]
Annchen


nimmt die Rosen schnell aus dem Blumentopfe, schüttelt
das Wasser ab, verschlingt sie zu einem Kranze und setzt -
ihn Agathen auf.


Ein herrlicher Einfall! Sie verschlingen
sich von selbst und
stehen dir allerliebst! doch
nun laßt uns auch gehen! Unsere Begleiter
werden sonst ungeduldig – Singt! singt!



Die Brautjungfern und Annchen mit gedämpfter Stimme
im Abgehen.

Schöner, grüner Jungfernkranz u. s. w.

[103]

Sechster Auftritt.



Ganzes Theater. Eine romantisch schöne Gegend. An einer
Seite und in der Hälfte des Hintergrunds die fürstlichen
Jagdgezelte, worin vornehme Gäste und Hofleute, alle
Brüche auf den Hüten, bankettiren. Auf der andern Seite
sind Jäger und Treibleute gelagert, welche
gleichfalls schmausen; hinter ihnen Hirsche, Eber und an -
deres erlegtes Wildpret in Haufen aufgethürmt. Otto -
kar
im Hauptzelt an der Tafel; am untersten Platz
Cuno. Max, in Cuno’s Nähe, doch außerhalb des
Zelts, auf seine Büchse gestützt. Auf der entgegen gesetzten
Seite Caspar, hinter einem Baume lauschend. Zuletzt
Agathe, Annchen, der Eremit, die
Brautjungfern und ein Zug von Land -
leuten.

Chor der Jäger.

Was gleicht wohl auf Erden dem Jäger -
vergnügen?

Wem sprudelt der Becher des Lebens so
reich?

Beim Klange der Hörner im Grünen zu
liegen,

[104]
Den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht
und Teich,

Ist fürstliche Freude, ist männlich Ver -
langen,

Erstarket die Glieder und würzet das
Mahl;

Wenn Wälder und Felsen uns hallend um -
fangen,

Tönt freier und freud’ger der volle Pokal!

Jo hoho! Drallara!

Diana ist kundig, die Nacht zu erhellen
,
Wie labend am Tage ihr Dunkel uns kühlt;

Den blutigen Wolf und den Eber zu
fällen
,
Der gierig die grünenden Saaten durch -
wühlt,

Ist fürstliche Freude, ist männlich Ver -
langen u. s. w.


Anstoßen der Gläser und lautes Gejubel.

Ottokar.


Genug der Freuden des Mahls, werthe [105]Freunde und Jagdgenossen! und nun noch
zu etwas Ernstem. Ich genehmige sehr gern
die Wahl, welche Ihr, mein alter wackerer
Cuno! getroffen habt. Der von Euch er -
wählte Eidam gefällt mir.


Cuno. 


Ich kann ihm in Allem das beste Zeug -
niß geben, gewiß wird er sich stets beeifern,
Eurer Gnade würdig zu seyn.


Ottokar.


Das hoff’ ich. Sagt ihm, daß er sich
bereit halte! Cuno geht aus dem Zelte, spricht mit Max
und geht dann wieder hinein.

Caspar,

vor sich.


Wo bleibt nur das Döckchen? – Hilf,
Samiel! Klettert auf den Baum und sieht sich um.

Ottokar.


Wo ist die Braut? Ich habe soviel zu
ihrem Lobe gehört, daß ich auf ihre Bekannt -
schaft recht neugierig bin.


[106]
Cuno.


Nach dem Beispiel Eurer erlauchten Ah -
nen
wart Ihr immer sehr huldreich gegen
mich und mein Haus.


Max


hält die Kugel in der hohlen Hand und blickt starr auf sie hin.


Dich sparte ich auf – Unfehlbare! Glücks -
kugel! Aber du lastest jetzt zentnerschwer in
meiner Hand. 


Cuno.


Der Zeit nach muß meine Tochter bald
hier seyn. Doch wollt Ihr mir gnädig Ge -
hör schenken, Herr Fürst! so laßt den Pro -
beschuß vor ihrer Ankunft ablegen. Der gute
Pursch hat seit einiger Zeit, wo freilich die
Entscheidung seines Glücks immer mehr her -
annahete, ganz besondern Unstern gehabt.
Ich fürchte, die Gegenwart der Braut könne
ihn in Verwirrung setzen.


Ottokar,

lächelnd.


Er scheint allerdings für einen Waidmann [107]noch nicht kaltes Blut genug zu besitzen. So
lang’ ich ihn nur aus der Ferne beobachtete,
that er drei Meisterschüsse. Aber seit dem
Augenblicke, da ich ihn rufen ließ, hat er stets
gefehlt. 


Cuno.


Es steht nicht zu läugnen, und doch war
er früher stets der Geschickteste – 


Ottokar.


Wer weiß, Alter! obs uns Beiden am
Hochzeittage besser gegangen wäre! – Indeß,
alte Gebräuche muß man ehren! Zudem –
lächelnd und laut, daß es Max vernehmen soll. habt Ihr
ja noch einen ältern Jägerpurschen, Cuno!
dem, wenigstens den Jahren nach, der Vor -
zug gebührte.


Cuno.


Dieser – gnädigster Herr! – erlaubt
mir – 


Max,

vor sich.


Caspar hat vielleicht noch seine letzte Frei [108]kugel. Er könnte wohl gar – lädt hastig und stößt
die Kugel in den Lauf.
Noch einmal und nimmer
wieder!

Ottokar.


Nun, es ist blos, um das Herkommen zu be -
obachten, und meine Gunst zu rechtfertigen.
Tritt aus dem Gezelt. Gäste und Hofleute folgen. Die
Jäger erheben sich, treten auf die andere Seite u.s.w.

Wohlauf, junger Schütz! einen Schuß, wie
heut’ früh deine drei ersten, und du bist
geborgen! Nachdem er sich umgeschaut. Siehst du
dort auf dem Zweige die weiße Taube? Die
Aufgabe ist leicht. Schieß! 


Max


legt an. In dem Augenblicke, da er losdrücken will, tritt
Agathe mit den Uebrigen zwischen den Bäumen heraus,
wo die weiße Taube sitzt, und schreit:
Schieß nicht! Ich
bin die Taube! Die Taube flattert auf und nach dem
Baume, von welchem Caspar eilig herabklettert. Max
folgt mit dem Gewehr. Der Schuß fällt; die Taube fliegt
fort. Sowohl Agathe als Caspar schreien und sinken. Hin -
ter der erstern tritt der Eremit hervor, faßt sie auf
und verliert sich dann wieder unter dem Volke. Dieß alles
ist das Werk eines Augenblicks.

[109]
Einige.

Schaut! o schaut!

Er traf die Braut!

Andere.

Der Jäger stürzte vom Baum!

Noch Andere.

Wir wagen’s kaum,

Nur hinzuschau’n!

O furchtbar Schicksal, o Grau’n!

Chor.

Unsre Herzen beben, zagen!

Wär’ die Schreckensthat gescheh’n?

Kaum will es das Auge wagen,

Wer das Opfer sey, zu sehn.


Ottokar und seine nähern Umgebungen sind zu Agathen
geeilt; geringere Jäger zu Caspar. Agathe wird von Ann -
chen
, den Brautjungfern und einigen Landleuten im Vor -
grunde auf eine Rasenerhöhung gelegt. Alle sind um sie
beschäftigt. Max liegt vor ihr auf den Knieen.
[110]
Agathe,


aus schwerer Ohnmacht erwachend.

Wo bin ich?

War’s Traum nur, daß ich sank?

Annchen.

O fasse dich!

Max und Cuno.

Sie lebt!

Einige.

Den Heil’gen Preis und Dank! –

Sie hat die Augen offen! –

Einige,


die Caspar umstehen.

Hier, dieser ist getroffen,

Der roth vom Blute liegt –

Caspar,


sich krampfhaft krümmend.

Ich sah den Klausner bei ihr steh’n;

[111]
Der Himmel siegt!

Es ist um mich gescheh’n!

Agathe,


sich nach und nach erholend und aufstehend.

Ich lebe noch; der Schreck nur warf mich
nieder.

Cuno.

Sie athmet frei!

Max.

Sie lächelt wieder!

Agathe.

Mein Max.
Max.

Die süße Stimme ruft!
Caspar


erblickt Samiel, der, von den Uebrigen ungesehn, hinter
ihm steht.

Du, Samiel! schon hier?

[112]
So hieltst du dein Versprechen mir?

Nimm deinen Raub! Ich trotze dem Ver -
derben!


Er erhebt die geballte Faust drohend gen Himmel.
Dem Himmel Fluch! – Fluch dir!


Stürzt unter heftigen Zuckungen zusammen. Samiel ist
verschwunden.

Einige,


von Grausen ergriffen.

Ha! Das war sein Gebet im Sterben? 

Cuno.

Er war von je ein Bösewicht!

Ihn traf des Himmels Strafgericht!

Andere.

Er hat dem Himmel selbst geflucht!

Noch Andere.

Vernahmt Ihr’s nicht? Er rief den
Bösen –

Ottokar.

Fort! stürzt das Scheusal in die Wolfes -
schlucht!


Einige Jäger tragen den Leichnam fort;
[113]
Zu Max.
Nur du kannst dieses Räthsel lösen.

Wohl schwere Unthat ist gescheh’n!

Weh’ dir, wirst du nicht alles treu gesteh’n.

Max.

Herr! unwerth bin ich Eurer Gnade;

Des Todten Trug verlockte mich,

Daß – voll Verzweiflung, ich vom Pfade

Der Frömmigkeit und Tugend wich;

Vier Kugeln, die ich heut’ verschoß –

Freikugeln sind’s, die ich mit Jenem goß.

Ottokar,

zornig.

So eile, mein Gebiet zu meiden
,
Und kehre nimmer in dieß Land!

Vom Himmel muß die Hölle scheiden –

Nie, nie empfängst du diese reine Hand!

Max.

Ich darf nicht wagen,

Mich zu beklagen;

Denn schwach war ich, obwohl kein Böse -
wicht.

[114]
Cuno.

Er war sonst stets getreu der Pflicht –

Agathe.

Reißt ihn nicht aus meinen Armen!

Jäger.

Er ist so brav, voll Kraft und Muth –

Landleute.

O! er war immer brav und gut!

Annchen.

Gnäd’ger Herr! o habt Erbarmen!

Ottokar.

Nein! –
Agathe ist so fromm, so rein –
zu Max.

Hinweg, hinweg aus meinem Blick!

Dein harr’t der Kerker, kehrst du je zurück.

[115]
Eremit


tritt auf. Alle weichen ehrerbietig vor ihm zurück und be -
grüßen ihn demuthsvoll. Selbst der Fürst entblößt sein
Haupt.
Wer legt auf ihn so strengen Bann?

Ein Fehltritt, ist er solcher Büßung werth?

Ottokar.

Bist du es, heil’ger Mann!

Den weit und breit die Gegend ehrt?

Sey mir gegrüßt, Gesegneter des Herrn!

Dir bin auch ich gehorsam gern;

Sprich du sein Urtheil; deinen Willen

Will freudig ich erfüllen.

Eremit.

[War’s recht, auf einer Kugel Lauf

Zwei edler Herzen Glück zu setzen?

Und, unterliegen sie den Netzen,

Womit Verzweiflung sie umflicht,

Wer höb den ersten Stein wohl auf?

Wer griff in seinen Busen nicht?] *)

Note: *) Das Eingeschlossene bleibt bei der Aufführung weg.
[116]
Es finde nie der Probeschuß mehr statt!

Ihm, Herr!
Mit finsterm Blick auf Max.

der schwer gesündigt hat,

Doch früher reines Herzens war,

Vergönnt dafür ein Probe-Jahr,

Und bleibt er dann, wie ich ihn stets erfand,

Dann werde sein Agathe’s Hand!

Ottokar.

Dein Wort genüget mir!

Ein Höh’rer spricht aus dir.

Alle.

Heil unserm Herrn! Er widerstehet nicht
Dem, was der fromme Klausner spricht.

Ottokar.

Bewährst du dich, wie dich der Greis erfand,

Dann knüpf’ ich selber Euer Eheband!

Max.

Die Zukunft soll mein Herz bewähren!

Stets heilig sey mir Recht und Pflicht!

[117]
Agathe,

zu Ottokar.

O les’t den Dank in diesen Zähren;

Das schwache Wort genügt ihm nicht!

Eremit,

zu Ottokar.

Der über Sternen ist voll Gnade;

Drum ehrt es Fürsten, zu verzeih’n!

Cuno,

zu Max und Agathen.

Weicht nimmer von der Tugend Pfade,

Um Eures Glückes werth zu seyn!

Annchen,

zu Agathen.

O dann, geliebte Freundin, schmücke

Ich dich aufs neu zum Traualtar!

Eremit.

Doch jetzt erhebt noch Eure Blicke

Zu dem, der Schutz der Unschuld war!


Er knieet nieder und erhebt die Hände. Agathe, Cuno,
Max, Annchen und mehre des Volks folgen seinem
Beispiel.

[118]
Chor.

Ja laßt uns zum Himmel die Blicke erheben

Und fest auf die Lenkung des Ewigen bau’n;

Wer rein ist von Herzen, und schuldlos von
Leben,

Darf kindlich der Milde des Vaters ver -
trau’n!

[119]

Nachwort des Verfassers.

Diese für meinen Freund, Carl Maria von
Weber
, gedichtete Oper ward von mir im Früh -
jahre 1817. vollendet. Sie erschien auf der
Bühne zu allererst in Berlin am 18. Junius
1821. (als erste Oper in dem neuerbauten
Königl. Schauspielhause und unter eigener
Leitung des genialen Komponisten), sodann
in Wien am 3. Nov. 1821. (am Vorabende
vor dem Namensfeste der Kaiserin.) *)

Der Stoff ist bekanntlich aus einer Alt -
Böhmischen Volkssage entlehnt, und früher Note: *) Ueber die erste Aufführung in Dresden
(26. Jan. 1822.) habe ich in No. 46. und flg. der
Abendzeitung Einiges gesagt, was vielleicht
Bühnenvorstehern und Darstellern nützlich werden
kann.
[120]von meinem verstorbenen Jugend-Freunde
Apel (in dem von ihm und Fr. Laun
herausgegebenen Gespensterbuche I. Bdch.
Leipzig, bei Göschen 1810.), späterhin aber
von Gerle (unter der Aufschrift: Der
braune Jäger
, im Freimüthigen für
Deutschland
von Müchler und Sy -
manski
, 1819. N. 68.) als Erzählung
bearbeitet worden. Beide haben die Bege -
benheit in die jetzige, wenigstens in eine uns
näher stehende Zeit verlegt und den tragischen
Ausgang, nach welchem die Braut erschossen
und der Bräutigam wahnsinnig wird, beibe -
halten, welchen die Sage berichtet. Daß ich
sie in ein früheres Zeitalter zurückversetzt,
Personen hinweggelassen und hinzugefügt,
Mancherlei und vorzüglich den Ausgang für
die Oper
verändert habe, darüber wird
hoffentlich Niemand, der mit gehöriger Ur -
theilskraft im Allgemeinen, auch einige Er -
fahrung in Dingen dieser Art besitzt, mit
mir rechten.

Eben so wenig erwarte ich einen Vor [121]wurf darüber, daß ich das Böse bös geschil -
dert, daß ich dem Ruchlosen ruchlose Worte
in den Mund gelegt habe. Schiller hat
dieß in der Vorrede zur ersten Auflage seiner
Räuber (S. Schillers Werke b. Cotta,
1818. 3. Bdch.) sattsam gerechtfertigt, und
es liegt schon an sich klar am Tage, daß
kein Dichter wegen einzelner Charaktere, son -
dern nur wegen der Tendenz des Ganzen
verantwortlich gemacht werden kann. Sonach
wäre hierüber kein Wort zu verlieren gewesen,
gäb’ es nicht anjetzt einige sogenannte Kriti -
ker, die sich des verächtlichen Kunstgriffs nicht
schämen, einzelne Stellen aus dem Zusam -
menhange herauszureißen und das, was der
Dichter eine oder die andre Person, ihrem
wahren oder angenommenen Charakter gemäß,
sagen läßt, als vom Dichter selbst gesagt,
oder auch als Maßstab seines Dichterver -
mögens darzustellen. – Daß, für die
öffentliche Darstellung
, schein -
bar anstößige Stellen – wo es geschehen
kann, mit Zuziehung des Dichters – gestrichen [122]oder geändert werden, ist wegen der ganz
eigenen Wahlverwandtschaft Einiger, die unter einer großen Menge nicht fehlen können, – 
Schiller a. a. O. spricht von "Käfern, die
auch aus Perlen Unrath stören" – allerdings
anzurathen.

Zum Behuf der Aufführung in Wien
sind, sicherm Vernehmen nach, mancherlei
Abänderungen für unerläßlich gehalten wor -
den. Diese von fremder Hand geschehene Be -
arbeitung, deren Werth oder Unwerth ich in
der Entfernung nicht beurtheilen kann, war
es hauptsächlich, was mich bestimmte, diese
Dichtung schon jetzt dem Drucke zu übergeben.
Ich habe bei diesem aus der ersten Handschrift
einiges, späterhin zu Abkürzung des Ganzen
Hinweggelassene, namentlich die beiden ersten
Scenen, (ohne welche freilich der Eremit am
Schlusse ziemlich als ein deus ex machina
erscheint) für die Leser hergestellt, Ande -
res im Dialog gestrichen, verändert und hin -
zugefügt. Dieß schien mir um so zulässiger,
da ich aus Gründen des Rechts und der Kunst [123][ü]berzeugt bin, daß im Allgemeinen keine
Bühne berechtigt ist, irgend ein dramatisches
Werk deshalb, weil es gedruckt ist,
und so, wie es gedruckt ist, ohne Erlaub -
niß des Dichters oder dessen, auf den er sein
Recht übertragen, aufzuführen – eine Be -
hauptung, die ich vorlängst in gesellschaftlichen
Kreisen, wiewohl nicht ohne bedeutenden
Widerspruch Mancher, die das, was geschieht,
deshalb auch als mit Recht geschehend zu be -
trachten pflegen, verfochten habe. Erst seit -
dem bei Gelegenheit des Komischen Thea -
ters
von Adolph Bäuerle (vergl.
Wegweiser der Abendzeit. 1820. N. 28. vom
13. Julius) und des Marino Faliero
vom Lord Byron (vergl. Abendzeit. 1821.
N. 125. und 126.) diese Rechtsfrage nicht
blos öffentlich, sondern sogar in England (!)
zur Sprache gekommen, hat man sich geneigt
gefunden, gegen die Kraft eines (hiebei gar
nicht anwendbaren) Gewohnheitsrechts ein
wenig mißtrauisch zu werden. –

Möge schlüßlich diese anspruchlose, doch [124]mit Neigung ausgeführte Dichtung Andere zu
ähnlichen Bestrebungen ermuntern, der Oper,
wie sie der Deutsche verlangt, höhere Würde
zu verleihen, – was freilich nur dann zu hof -
fen steht, wenn man anfangen wird, eine
Oper, in der sich nicht Poesie und Musik als
zwei gleich geachtete und begünstigte Schwe -
stern die Hand bieten, für ein – wenn auch
noch so glänzendes – Ungeheuer anzusehen.

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TextGrid Repository (2015). Freischütz Digital. Release 0.8.0. textSources. freidi-librettoSource_D-tx2. FreiDi. Freischütz Digital; Detmold, Erlangen, Frankfurt, Paderborn. https://hdl.handle.net/11378/0000-0000-16DB-1