[2038] [1]1. Zugabe
Eine gelengentliche Erinnerung bey den so genanten Anhängen und Zugaben seit 1740.

1.

Diese Anhänge und Zugaben sind seit einigen jahren kein Gesangbuch mehr, sondern eine blosse Collection von Elegantien, Cantaten, Carminibus oder auch Hymnis.

Wer unsere singstunden iemals besucht hat, der weiß, daß wir in denselben keine bücher brauchen, daß das so genante Herrnhutische Gesangbuch wenigen unter uns mehr bekant ist, daß unser gesang allezeit eine connectirende suite von gedanken ist, die sich alle tage nach der materie verändert.


2.

Was die kinder-versgen und ihre ausdrükke betrift, so denken wir, so gut der Heilge Geist in dem alten Simeon hat wollen, σωτήριον, das kleine Heilandgen, sagen; so hat Johannes wohl gethan, daß er Lämmlein, unsre Alten, daß sie Jesulein, die Holländer, daß sie onze lieve Heerje, wie andere Väterle, und wir Papagen zum Vater etc. sagen.

Ich gestehe, daß dergleichen ausdrükke alle diejenigen choquiren, die sie ohne gefühl lesen; und drum würde ich sie gleichwol nicht so treuherzig in die Zugaben eingerukt haben, wenn sie nicht von unsern feinden vorher wären gedrukt worden, und zwar falsch, und mit erdichteten zusätzen oder geflissentlichen verkürzungen des sinnes.

Indessen könnts doch kommen, daß dergleichen herzlichkeiten sparsamer gebraucht würden: welches man keinem abgang der einfalt bey uns zuschreiben wolle; [1] sondern einer nöthigen einschikkung in die gegenwärtige böse zeit, da auch manche gute gemüther der einfalt nicht werth zu seyn scheinen, weil ihnen der greuel der menschen, die des armen rath schänden, und der einfältigen spotten, nicht greulich genug ist, und sie gegen solcher losen leute sophistereyen sich nicht mit ihrem herzen genug verwahren können, sondern erst allerley erklärung nöthig haben.


3.

Sind diese Anhänge und Zugaben keine verlags-bücher, als wogegen in der vorrede des ersten anhangsferiô protestiret ist. Daß sie aber itzt öffentlicher ausgegeben werden als zuvor, kommt daher, weil wir dahinter gekommen, daß sich gewisse gegner die mühe gegeben, wenn von einem buch kaum erst vier exemplarien unter den geschwistern seyn, eines davon an sich zu bringen, um es zu wiederlegen, ehe es noch bekant wird. Wir habens wol ein paarmal verhütet, aber wir haben gesehen, daß das une mer à boire, und also unmöglich ist; mithin lassen wirs also darauf ankommen.

Wir hätten dem publico unsere Elegantien nichtobtrudirt; wir mißgönnten sie ihnen aber auch nicht. Wer böse ist, sey immerhin böse! Es wird doch noch wol honnête und gute leute geben, denen das ein segen ist, daran sich andre zu schanden riechen und künsteln.

Wie wohl es bey unsrer alten abrede bleibt, daß wir dafür halten, es sey das wenige geld allemal zuviel, das jemand für diese sammlungen ausgibt, wenn er nicht au fait ist, und den schlüssel hat, sondern von einem jeden pfuscher erklärungen annehmen muß, die doch nicht besser gerathen können, als es der allemal schlechte genie der leute von dieser profession mit sich bringt, welche aufs höchste so viel erläutern, als wenn ein junger studente noten zum Lycophron macht, der allemal doch ein bißgen bequemer zu reden hat, weil die leute, denen er einen sinn affingiret, nicht mehr bey der hand sind.

[2]

Ich komme nun auf eine essentielle materie

Es werden seit einiger zeit lieder vom Ehe-stand in diesen piecen angemerkt, die so deutlich reden als die heilige Schrift; welches bisher ausser medicinischen und casual-schrifften nicht eben gewöhnlich gewesen; in unsern aber die jahre daher nur nicht observiret worden.

Der heilige Ehe-stand ist uns eine wahre religion, und in ansehung seines dem gemüth immer præsenten und doch nie ganz penetrablen antitypi, ein heiliges geheimniß, μέγα μυςήριον, sacramentum magnum. Wir schämen uns also nicht, seiner in gesellschaft der heiligsten materien zu erwehnen, und folgen der alten Bibel-maxime: nicht nur unsre theure Geschwister im heiligen Ehe-gesetz selbst, sondern auch unsere Jünglinge und Jungfern durch die venerable idéen der gestalt und geburt ihres ewigen Mannes und seiner und seiner mutter geheiligten glieder mit einem ehrerbietigen, obschon, was diese letztern betrifft, weiten undincurieusen respectu auf die ehe-liturgie, in der ihnen freylich nicht natürlichen, aber mit Jesu Blut erworbenen und geschenkten Agneia zu unterhalten.

Ubrigens handeln 1.) nicht alle lieder von dieser materie, die man, ausser uns, davor angibt. Es ist z.e. in dem liede: Wenn ich Ihn essen kan etc. der Ehe mit keinem wort erwehnet, auch kein gedanke drauf gewesen; sondern die rede ist vom Sacrament des Altars. 2.) Sind uns die eheliche glieder heilig und wichtig; nicht, wie es unsre und des Lamms bittere feinde ihren neben-menschen insinuiren wollen, mit fanatischen und heidnischen greuel-idéen; [denn da sind laut N. 1843, 19. der ledigen brüder und schwestern glieder sich ein versiegelt heiligthum, wie Dem, der in unsre verborgenste ταμεῖα (denn finstere winkel admittiren unsere häuser gar nicht) hinein siehet, am besten bekant ist] sondern darum, weil wir im ernst glauben, daß der Schöpfer [3] aller creatur ein männlichs glied an sich getragen, und in der person seiner heiligen mutter alle weibliche glieder auf ewig geheiliget, und das wort Schaam in ansehung dieser theuren glieder unter Christen aboliret hat. 3.) Wird unter der Seite oder Lende des Heilands keines wegs sein theures unterscheidungs-glied verstanden, sondern wie wir uns hundertmal ganz deutlich expliciren, der ort derPleura; können uns darinnen irren, wie ja die Christen noch nicht eins sind, auf welcher seite der stich geschehen, noch wie tief und weit. Es ist uns genug, daß er geschehen ist, und daß wir uns seiner ewig freuen, daß er das zeichen des Menschen-Sohns ist, welches auch die agnosciren werden, die ihn gestochen haben.

Es sind also freylich viele orte, wo man uns einen sinn in die Eh-materien officiose andichtet, ganz fremde damit: wir bitten aber unsere Geschwister, einen desto sorgfältigern und seligern gebrauch zu machen von denen stellen, wo sie diese materien offen da liegen sehen.

Denn wir machen kein geheimniß aus dieser seligen sache, und legen mit gewöhnlichen deutlichen worten keusche materien, nicht aber unter keuschen worten abominable idéen dar, wie die zoten-reisser und ihre commentatores, welche die texte aus der Bibel und die verse aus den liedern und carminibus zu verdrehen gewohnt sind; Leute, die man vor zwanzig jahren nirgends als in den bordellen oder doch sauff-gelagen vermuthete, die aber nun freylich zur schande und schmach unserer protestantischen Kirche auf Cathedern und Canzeln stehen, und ihre unflätige herz-winkel (deren fächer sie, von allen honnêten leuten ungehindert, ausziehen könten, wenn sie in ihren kammern blieben,) nun aufs theatrum der welt tragen, und diese böse schändliche gewohnheit, nachdem der rach-geist sich mit darein spielet, so weit treiben, daß sie die imagination armer jugend, die [4] in ihre hände fällt, occasione der Wunden Jesu, und der daraus bey uns deducirten heiligsten religions-idéen der Christen, auf die verfluchteste schand-götzen und ihreabominabelste gestalt führen, damit sie nur den objectis ihrer ewigen feindschaft etliche schand-reden mehr anhängen können.

Worüber einem die haare zu berge stehen, und manchen unter uns einfallen würde: Es ist genug, so nimm Herr meine seele, aus dieser verfluchten und wahrhaften Greuel-Zeit; wenn man nicht so viel tausend heranwachsen sähe, die uns trösten werden in unserer mühe, und ein zeichen sind, daß Gott der erde noch gnädig, und sie dieser Canaans-art und Ismaels-kindern 1. Mos. 9, 21. noch nicht abandonnirt ist.

Die werden an ihren personen und kindern zeigen, daß es denen kindern Gottes nicht einerley ist, die Jungfern zu einem schand-götzen führen, ihre glieder zu schänden, und unsere Knaben auf Jesu beschneidung weisen, ihre glieder zu heiligen.

Die welt hat diese neue race höchst-nöthig, wenn sie nicht noch endlich ganze nationen bekommen will, die bedaurungs-würdige spectacul von ihrer vorfahren sünden und greueln sind.

Schließlich werden bey unsern gelehrten brüdern, die des Luciani plaisanterien über den Apostel Paulum gelesen haben, die da wissen, wie die Rabbinen mit der person und umständen des Heilands selbst umgehen, und denen bekant was Porphyrius und andre seines gleichen über die heiligste handlungen der Christen, ja über die respectabelste texte der H. Schrift glossirt haben, die heutige Cynici wenig eindruk machen mit den schand-bildern, die sie der imagination darlegen; dafür hing unser Herr am Creuz. Die zuseher spotteten sein, auch die bey ihm hingen, bis die sonn auch ihren schein entzog solchen dingen. Die glücksellgen [5] gemeinen leute lesen unsere eigne schriften so wenig, daß ich nicht sorgen darf, daß sie ihre zeit mit fremden geschmier verderben werden.

Hätten gewisse theologi mit ihren gesetz-predigten besser reussirt, so hätten die medici und chirurgi weniger werk; und vielleicht wäre man ihrer methode gefolget: weil sie aber andern gepredigt und selbst verwerflich, und ihren zuhörern und oft eigenem hause nur zum gelächter worden; so wollen wir (an andern mitteln gar verzagt) sehen, wie weit wir mit dem Evangelio und mit der inculcirung der keuschheit kommen ἐν προσώπῳ Ιησοῦ Χριςε, durch die heilige gestalt Jesu, der gleich wie ein anderer mensch worden ist, und an geberden wie ein mensch erfunden.

Das kan niemanden helffen, der nicht an Ihn gläubt. Aber es ist eine infallible und probate cur für alles, was gläubt; und das ist uns genug. Seyd getrost und hoch erfreut, Jesus trägt euch, meine glieder! 1746.

[6]

Lutherus in Cap. 38. Gen. Tom. 4. Altenb. p. 234

Ich habe vor gesagt, wir müssen schier vor ein ieglich Capitel eine eigene Vorrede und beschönung machen; denn wir sind so zart, das wir nicht leiden zu reden noch hören von menschlicher geburt, und haben doch daneben getrieben, das greulich zu sagen ist. Es ist wahr, daß dis ist ein eben grob Capitel. Nun stehet es dennoch in der H. Schrift, und hats der H. Geist geschrieben, welcher ie so einen reinen Mund und feder hat, als wir, daß ichs nicht höher zu beschönen weiß dann also: hat iemand einen reinern mund und ohren denn Er, der mag es lassen stehen; hat Er sichs nicht gescheuet noch geschämet zu schreiben, wollen wirs uns nicht schämen zu lesen und hören.

Wollte Gott, wir hätten zucht und schaam gehalten, da wir sie halten sollten, und unzucht gemieden, wo man sollte! Also haben wirs in schein gewendet. Wo man aus noth davon reden sollte, haben wir geschwiegen, aber viel ärger getrieben. Und wiederum: der H. Geist weiß wohl, was er gemacht hat; so redet er auch von seiner creatur, wie es gehet. Wenn mans hin und her kehret, so sind wir geschaffen, frucht zu zeugen und zu tragen; dazu hat Er uns gegeben glieder, adern, flüsse, blut und fleisch. Wir machen daraus, was wir wollen, so müssen wir mann und weib bleiben, und die natur gehen lassen, wie sie gepflantzt ist. Da sind wir keusch und züchtig, wollen nichts davon hören; was man sonst treibt, da scherzt und lacht man davon: das ist die weltliche weisheit, die alle Gottes-ordnung verkehret.

Tom. 9. Altenb. in 39. Gen. p. 1203

– – – Der H. Geist hat lust an seinem geschäffts [7] und creatur. Wir aber, wenn wir dieselben ansehen, haben wir daran nicht allein keine sonderliche freude, sondern sind auch so gar verblendet, das wir die werke Gottes nicht sehen. – – – Der H. Geist zieret und ehret sein geschäfte, und hat lust dasselbe anzuschauen und zu rühmen.

Tom. 9. Altenb. in Cap. 19. Gen. p. 521

Solches erzwinget sich alles aus den umständen, welche der Juden Rabbini, oder, wie ich sie billicher nenne, Asini, nicht betrachten, sondern richten und urtheilen die Schrift allein aus ihren unflätigen gedanken und affecten, und sollen die, so also gesinnet sind, dafür lesen Ovidium, Martialem und dergleichen schändliche und unverschämte Poëten.

Tom. 9. Altenb. in Cap. 28. Gen. p. 855

– – – Vom Ehestand, welche lehre man in der Kirche behalten und fleissig treiben soll, darum daß der Ehestand nöthig und ehrlich ist. Denn nach der lehre des Evangelii und des glaubens, welches eigentlich die rechte lehre ist für die kirche, soll fürnemlich der Ehestand geehret und gelobet werden, und dasselbe auch um der ursache willen; dieweil die welt und das fleisch nicht verstehen, was der Ehestand sey, oder wie viel man davon halten soll. – – – – Derhalben ist in der Christlichen lehre, darinnen wir nach der lehre des Evangelii und des glaubens lehren, wie man sich in diesem leben gottselig und ehrlich halten soll, der Ehestand das erste und fürnemste stük; denn es ist der anfang und ursprung des ganzen lebens; und der teuffel setzet diesem stande nicht weniger zu, als der kirchen auch.

[8]

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Zugaben 1-4 zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 1. Zugabe. Erinnerung. Erinnerung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BB82-8