61. Auf ihren Abschied

1727.


Eile, hieß es einst bey mir, grüsse zween erlauchte Helden.
Sage diesen Aufgewekten, was sie ohnedem gewußt,
Aber, was den Seligen nimmer gnugsam anzumelden:
Dem Gecreutzigten zu dienen sey die größte Fürsten-Lust.
Also geht die Reise fort, ob sie gleich beschwerlich schiene,
Eine unerkante Führung leitet mich nach Rudelstadt,
Da ich schleunig weiter will, hört's Sophie Wilhelmine,
Herzog Ernsts durchlauchtge Tochter, die daselbst den Fürsten hat.
Suchet ihr, so redet sie, Seelen, die den Heiland lieben,
Ich bin Christian Ernstens Schwester auf die ein und andre Art,
Jesus hat Sein Gnaden-Werk lange schon bey mir getrieben,
Und sich meinem armen Herzen als ein Freund geoffenbart.
Herzogin! versetzt' ich drauf: Man hat allemal gesaget
Daß die Fürstin dieses Landes eine fromme Fürstin sey;
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Aber, ich gestehe gern, daß ich wenig drum gefraget,
Wegen der bey vielen Grossen eingerißnen Heucheley.
Jesus, unser Landes-Herr, forderte von Seinen Streitern,
Allem, allem, abzusagen. Wen Er anders finden wird,
Den wird zur Vergeltungs-Zeit Seine Majestät zerscheitern,
Ob er hier ein Fürst gewesen, oder aber nur ein Hirt.
Das ist wahr! erwiderte die durchlauchtige Sophie,
Aber meynet ihr, daß Jesus, der Geringen ihr Patron,
Nicht zuweilen auch ein Herz aus der Zahl der Edlen ziehe,
Und aus Gnaden würdig mache der geehrten Dornen-Kron:
So und so, erzehlte sie, hat mich Seine Treu gebunden,
Diß und jenes hat mein Herze vor und nach der Angst gefühlt,
Und nun ruht mein Innerstes in des theuren Heilands Wunden,
Da indeß die Welt mir immer nach der äussern Ruhe zielt.
Drauf begab ich mich den Hof in der Ehrenburg zu grüssen,
Christian Ernst, den lieben Prinzen, auch von Angesicht zu sehn,
Kaum daß wir uns angeblikt, lagen wir zu Jesu Füssen,
Und verbanden uns von neuem unter Seinem Creutz zu stehn.
Ich begleitete den Prinz bis in Saalfelds werthe Mauren,
Da bezeugete die Fürstin, daß sie auch des Sinnes sey;
Aber unser Aufenthalt konte hier nicht lange dauren,
Christian Ernsts Durchlaucht'ge Schwester ruft uns ungesäumt herbey.
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Kurz: Nach einer theuren Schrift, 1 da ihr ganzer Sinn erscheinet,
Eilte Gott mit dieser Seele zu der frohen Ewigkeit.
Wäre sie betrübt gewest, hätten wir vielleicht geweinet;
Aber sie war unsrer Zukunft auf das herzlichste erfreut.
Sie befahl uns alsobald Jesum mit ihr anzuflehen,
Und nach einer kleinen Stille ward ihr Mund recht aufgethan,
Viel von ihrem ganzen Lauf im Gespräche durchzugehen;
Bald nach diesem Schwan-Gesange hub der Kampf des Todes an.
Alle andren lagen hier unter traurigster Vermischung
Vorgedrungner Thränen-Ströme und erbärmlichen Getöns;
Aber sie lag voller Trost, in beständiger Erfrischung,
Voller Ruhe, voller Hoffnung eines sel'gen Wiederseh'ns.
Ihres theuren Bruders Herz, welchen sie nebst mir ernennet,
Mitgehülfen, ja auch Zeugen ihres letzten Kampfs zu seyn,
Stund in einer Fassung da, die ihr nicht begreiffen könnet,
Denen solch ein Hingang furchtsam, und der Abschied scheint als Pein.
Wilhelmine wolte sich viele Stunden nicht mehr regen,
Mund und Auge war geschlossen, (wies am Ende geht, so gings;)
Wahrlich, sprach ich, Jesus kan besser, als wir alle, pflegen;
Da ward los das Band der Zunge: Jesus, sprach sie, allerdings!
Darum brach ich freudig aus: Wohl ist mir, o Freund der Seelen!
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Redte von dem Weyhnacht-Liede: Sey gelobet Jesu Christ.
Und der Umstand schikte sich, Jesu Liebe zu erzehlen,
Alles stund in Herz-Bewegung, wies bey Sterbe-Betten ist.
Unsrer Herzogin ist wohl; waren damals meine Worte.
Laßt uns über dieser Sache voller Ueberlegung seyn;
Jeder, so zugegen ist, dringe durch die enge Pforte,
Dann, so dringt er, wie die Fürstin, auch zur Ruhe Gottes ein.
Und bey der Gelegenheit denen Seelen recht zu nützen,
Weil sie eine Kranke sahen, die auf gutem Grunde stand,
Theilt' ich Rothens Sätze mit, von der Seelen falschen Stützen, 2
Die oft bis zur Hölle halten, und dann gehn sie durch die Hand.
Kaum, daß ich den Fuß versetzt, und nach Ebersdorf gediehen,
Schryen schon die Leutenberger: Ach! die Herzogin ist hin;
Mir schrieb Herzog Christian Ernst von der theuresten Sophien:
Gestern hat sie überwunden durch des Lammes Blut-Gewinn.
Stirb! Du dieser Zeitlichkeit längstens abgestorbnes Herze!
Oder, daß ich besser rede; Leb in alle Ewigkeit!
Deine letzte Lehr an mich, unter vielem Leibes-Schmerze,
Soll mir zur Erinn'rung dienen, meine ganze Lebens-Zeit:
Ich, so sprach sie einst zu mir, glaube, daß ihr Jesum liebet,
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Aber euer Ruf ist grösser, als ihr in der Wahrheit liebt,
Weil ihr euch noch fleißiger im Vernunfts-Bedenken übet,
Als ihr das beherzte Zeugnis dieses theuren Heilands übt.
Hundert Worte bleiben so in die Herzens-Gruft verriegelt,
Die, bey wenigerm Bedenken, sich im Segen offenbart,
Eine Seele, welche sich nicht in Eigenheit bespiegelt,
Liebet den gewissen Fortgang ihrer Absicht nicht so zart.
Sie bekennet, weil sie glaubt, sucht die Stunden einzuhandeln,
Stößt sich lieber vor die Stirne, ehe man sie träge spür.
Also hat mich Gott gelehrt, leb ich, will ich also wandeln.
Die das hörten, die erstaunten. Wer ist diese: Wer sind wir?
Dieser Abschied bleibet uns in das treue Herz geschrieben,
Dem Durchlauchtgen Friedrich Anton werd' er auch hier eingeätzt;
Theurer Fürst, wie wird sie einst ihre Wilhelmine lieben,
Wenn sie ihren treuen Wandel allen Ernstes fortgesetzt.
Haben sie doch Gott geliebt, und darüber schon gelitten,
Ehe Gott den Regiments-Stab ihnen in die Hand gereicht,
Lagen sie doch vor dem Herrn, um Barmherzigkeit zu bitten,
Ehe wir am Kranken-Lager unsre Knie vor Gott gebeugt.
Noch ein einig Wort an dich, Christian Ernst, des Herren Streiter,
Kein Held flicht sich mehr in Händel, als zu seinem Kampfe dient.
König Jesus führe dich auf der Kreutz-Bahn immer weiter,
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Bis dein Geist vor Ihm erscheine, bis auch dein Gebeine grünt.
Liebt, ihr frommen Fürsten! liebt, wie Sophie Wilhelmine
Ihren Seelen-Bräutgam liebte, der sie itzo schon erquikt,
Dienet, wie die Sterbende wolte, daß man Christo diene,
Eilet, daß ihr eure Schafe aus der Wölfe Rachen rükt!
Ich will meinen grossen Herrn nach, wie vor, in Demuth preisen,
Menschen-Furcht und alles andre, was uns auf die Letzte nagt,
In des Ueberwinders Kraft immer weiter von mir weisen,
Bis ich das Triumphs-Lied singe: So gewonnen, wie gewagt!

Fußnoten

1 Sie hatten mit Ihro Durchl. Dero Herrn Bruder eine sehr gesegnete Correspondenz, da sie dann in dem letzten Schreiben überaus frölich von der Gnade zeugten.

2 Dieses ist der Auszug einer sehr gründlichen Predigt des Herrn Past. Rothens, von denen Umständen, womit sich die Seelen, unter falscher Hoffnung und Befriedigung, von dem einigen Gut abhalten.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 61. Auf ihren Abschied. 61. Auf ihren Abschied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B834-1