2301. Gebet nach etlich und dreyßig-tägiger Seefahrt nach Engeland

Mel. Bleib uns, o Lamm etc.


1.

Ich kans nicht länger lassen, dein herz einmal zu fassen, und meinen itzgen schmerz in dein herz 'nein zu sagen, und meine noth zu klagen, du kennst sie, allerliebstes Herz.

2.

Es hieß, wir sollten reisen, wie du uns lassen weisen, in diesem gnaden-jahr; dein selges pilger-völklein, wohin vom zeugen-wölklein [2199] schon was voraus gezogen war.

3.

Wir fuhren auf der Maasse ganz fröhlich unsre strasse, als creuz-luft-vögelein; wir sahn des meeres wellen, und dachten der gesellen, die vor uns so gefahren seyn.

4.

Wir freuten uns von weiten auf so viel seligkeiten da in Red Lion Square 1; doch wie wir fuhrn am besten, so kam der wind von Westen, und trieb uns bis vor Briel hieher.

5.

Heut sind es schon fünf wochen, daß wir ununterbrochen in dem reviere sind: wie könte das geschehen, wenn du nicht selbst ließst stehen so lange den contrairen wind.

6.

Zwar wenn ich mich besinne, wie's so von anbeginne mit der Gemeine geht, daß manch ding in den zeiten, durch die wir itzo schreiten, noch nicht am rechten flekgen steht.

7.

So hat es ja wol gründe, daß ich ein bißgen finde, warum du so gethan; doch für dergleichen schäden laß dein herz mit dir reden, sie sind dein creutz-lohn die's versahn.

8.

Der kummer ging zu ende, ich fiel in deine hände, als dein arm sünderlein; du konntst dich nicht entbrechen mir wieder zu versprechen: ins Ganze solls kein schade seyn.

9.

Doch warum sind die stunden der thränen nicht verschwunden, da all's in ordnung war; der Pathmus währt noch länger, darüber wird mir bänger, und der mit mir versperrten schaar.

10.

Wir sitzen zwar in frieden, und du hast uns beschieden manch gnaden-flämmelein, und du bist uns so nahe, als wie man dich kaum sahe in irgend einer Orts-Gemein.

11.

Man siehet hier kein herzel, das nicht dein wunden-kerzel wahrhaftig fühlbar hat; und wenn wir auch gleich stöhnen, und uns nach England sehnen, sind wir doch selig in der that.

12.

Und ich in meinem theile, ich hab in dieser weile gar viel mit dir geredt: war etwa das die sache, daß du zu deiner mache mich hergebracht an diese stätt.

13.

Ja, ja, ich habs gefühlet, [2200] wohin dein herze zielet. Wie manche thränelein hat dein fuß nicht bekommen, wenn mir das herz entglommen von deinem inngen nahe-seyn.

14.

Ich, dein betrübter sünder, der schwächste deiner kinder, kroch zu dir arm und klein, da wars um dich geschehen, du mustest freundlich sehen, und küßtst und segnetst mich von neu'n.

15.

Ich fühl dein treues herze, du mir in freud und schmerze so nahes Lämmelein. Gelt! du willst nicht mehr klagen, hast auch nichts mehr zu sagen, darauf gewartet müßte seyn.

16.

Nach diesem blik der wunden, so hofft ich alle stunden, daß du würdst lassen wehn ein lieblichs Ostenwindgen, daß wir in zwanzig stündgen die Brittsche-küste könnten sehn.

17.

Drum komme ich aufs neue, ich kenne deine treue, mein Lämmlein, sage mir, fünf wochen sind vergangen, eh wir dahin gelangen, was sollen wir in dem revier?

18.

Den fremden, die so hier sind, wer du bist, und wer wir sind erzehln, das war mein plan. Nun sind wir wol zu rande, ich denke mit verstande, ich denke (hoff ich) wie mein Mann.

19.

Wenn du auch zwey drey seelen nimmst in die wunden-höhlen bey der gelegenheit, ists uns zwar ein vergnügen; doch darum hier zu liegen han dreyßig pilger schwerlich zeit.

20.

Was soll ich also sagen? Dich kan ich nicht verklagen, du stellst die uhr der zeit: es warn in ewigkeiten auch diese Kirchen-zeiten schon aufgeschrieben und bedeut.

21.

Ist noch was zu erinnern im äussern und im innern? ist dir das schiff nicht recht? so sag ich deinem herzen voll wehmuth und voll schmerzen, ach Herr Herr! zeig es deinem knecht.

22.

Ein glaubens-volles bitten brächt' uns mit starken schritten, auch ohne wind, hinein; du kennst nur meine triebe, ich halt es mit der liebe, der wunder-glaube ist nicht mein.

23.

Doch soll es uns gelingen, soll uns dis schifflein bringen in den bestimmten Sund, so laß so winde wehen, daß wir das ende [2201] sehen, das sag ich dir von herzens-grund.

(Und gleich darauf buxirte man das schiff aus der Maaß, welches bey allem contrairen winde in wenig tagen vor Gravesende ankerte.)

24.

Noch eins: an deiner seiten laß du mich durch die zeiten vicissitudinum geschwind und selig gehen, bis ich den tag kan sehen, da sichs nicht mehr so dreht herum.

25.

Da soll es besser klingen, da will ich nicht mehr singen: Kyrie eleison! da soll man von mir hören zu deiner wunden ehren ein Lammes-lied im höhern ton.

26.

Indessen leucht uns immer, daß uns nicht nur ein schimmer von deinen wunden bleib; nein, daß wir allzeit spüren deins blutes circuliren durch unser herz und seel und leib.

Fußnoten

1 So hieß die damalige wohnung der Brüder.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Zugaben 1-4 zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 3. Zugabe. 2301. Gebet nach etlich und dreyßig-tägiger Seefahrt nach Engeland. 2301. Gebet nach etlich und dreyßig-tägiger Seefahrt nach Engeland. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B636-F