6. Gedichte

Ueber den Umgang mit den Menschen.


Es ist wohl ausgemacht, und mehr als Sonnenklar,
Der Schöpfer habe nicht ein solches Menschenpaar
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In den so weiten Kreis der grossen Welt gesetzet,
Das sich an allem zwar, doch nicht an sich ergetzet.
Und vor einander sich aus blossem Eigensinn
Verstecket und verkriecht. Sein Zweck gieng wohl dahin,
Sie sollten beyderseits genaue Freundschaft schliessen,
Und durch den Umgang sich die Zeit daselbst versüssen.
Ein Mensch der stets das Licht nach Art der Igel scheut;
Den düstern Mauren nur sein mürrisch Antlitz weyht,
Vor allen Menschen flieht, allein und einsam bleibet,
Verdient nicht, daß man ihn zu rechten Menschen schreibet.
Was trägt es in der That uns nicht für Vortheil ein,
Wofern man täglich kann um seines gleichen seyn?
Der Umgang ist es bloß, der uns bey unserm Leben
Diejenige Gestalt und Bildung weis zu geben
Die uns zu Menschen macht. Ein toller Sauertopf,
Der vor den Menschen läuft, und seinen schweren Kopf
In düstre Winkel steckt, muß, wie wir merklich spüren,
Von unvernünftigen, ja gar von wilden Thieren,
Als die das Tagelicht, woran man sie gebracht,
Und unser Zuspruch auch fast halb vernünftig macht,
Sich recht beschämet sehn. Was wird es alles nützen,
Wenn wir aus Cedernholz uns Tisch und Stühle schnitzen,
Dem Gaumen wohl und sanft durch Leckerspeisen thun,
Auf einer Lagerstatt von weichen Federn ruhn,
Und um und neben uns nichts lebendes erblicken,
Das in der Einsamkeit kann unsre Seel erquicken?
Jedoch wenn man zugleich bey aller Herrlichkeit,
Die die Gesellschaft wirkt, den Umgang unsrer Zeit
So wie man soll bedenkt, so muß man auch bekennen,
Er sey nur leider mehr als halb verderbt zu nennen.
Die ächte Redlichkeit und alte Deutsche Treu,
Des Menschen schönster Schmuck, der Tugend Conterfey,
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Die vormals sonder Trug und auch in allen Stücken,
Die Bürger erster Welt einander liessen blicken,
Hat sich ganz unvermerkt von unserm Erdenkreis,
Nunmehr hinweg gemacht, so, daß man gar nicht weis,
Wo sie nach ihrer Flucht, die man gar bald entdecket,
Aus Zorn und Ungeduld sich habe hin verstecket.
Die Welt, betracht ich sie genau, kommt wahrlich mir
Als ein ohn Unterlaß besetzter Schauplatz für,
Wo man unzehlige sieht aus den Scenen kommen,
Die dies und jenes sich zu spielen vorgenommen.
Sie stellen, ists nicht wahr? oft die Personen vor,
Die sie doch gar nicht sind; ob gleich so Aug als Ohr,
Durch angenommen Schein, durch Minen und Gederben,
Tracht, Ansehn und Gestalt dabey betrogen werden.
Die Meisten kleiden sich in falsche Masken ein,
So oft der Umgang uns befiehlt um sie zu seyn;
Kein Künstler ist geschickt in seinen schönsten Bildern
Ein holder Angesicht, als ihres, abzuschildern.
Ihr Augenpaar, aus dem man sanfte Blicke liest,
Hat sich die Freundlichkeit zum Eigenthum erkiest;
Die Stirn ist aufgeklärt, erfüllt mit heitern Stralen,
Die Wangen muß vorher die Unschuld übermalen;
Ein ähnlich Gegenbild der wahren Redlichkeit
Zeigt sich in jedem Zug; ja es kommt gar so weit
Daß wenn man nach dem Schein das Urtheil fällen wollte,
Man sie für Gratien, für Engel halten sollte.
Wie süsse klingt der Ton der leisen Sprache nicht?
Wie glatt ist jedes Wort, so oft man mit uns spricht?
Das Herze scheint nicht mehr an ihrer Brust zu kleben,
Man siehet selbiges auf Zung und Lippen schweben.
Sie theilen uns sogleich die eine Helfte mit,
Wenn man das erstemal nur in ihr Zimmer tritt.
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Doch wenn wir denen nun die Freunde wollen heissen,
Die Larve so sie schmückt, von dem Gesichte reissen;
Da spührt man allererst, daß Glanz und falscher Schein
Dem faulen Holz bey Nacht ganz ähnlich wolle seyn;
Denn ob sich gleich der Schwan mit weissen Federn decket,
So weis man dennoch wohl was unter ihm verstecket.
Je freundlicher man uns im Umgang unterhält,
Je tückischer wird uns ganz heimlich nachgestellt.
Sie lächeln jeden an, da doch indeß mit Haufen,
Die bittre Galle will vor Unmuth überlaufen.
Ihr Händedrücken ist nur eitel Heucheley,
Die Worte klingen schön, das Herze flucht dabey.
Aus dem was sie gesagt, so schön es auch gewesen,
Muß man das Gegentheil, will man nicht fehlen, lesen.
Die schönste Wissenschaft nennt man oft leeren Dunst,
Nach Art der tollen Welt. Doch die Verstellungskunst
Die heisse nur ein Werk der allergrösten Weisen;
Ein jeder will sich hier als einen Meister preisen.
So häßlich und verfälscht trifft itzo jedermann
Die Menschen überall in ihrem Umgang an;
Soll dieses manchem nicht gerechten Anlaß geben,
An seinem Hause stets, den Schnecken gleich, zu kleben?
Nein; dies reicht noch nicht zu, des Tageslicht zu fliehn,
Und der Gesellschaft sich deswegen zu entziehn;
Wie selten würde der mit Menschen sprechen können,
Der wahren Freunden nur den Zuspruch wollte gönnen?
Wie man in Wälder schreyt; so ruft es wieder nach,
Schwatzt dir ein Heuchler vor, sag auch, was dieser sprach,
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Man muß des andern List mit Gegenlist berücken,
Und, wenn sich jener neigt, sich zehnmal tiefer bücken.
Ein Freund, wo Herz und Mund von gleicher Güte zeugt,
Verdienet, daß man ihm sein Lob auch nicht verschweigt;
Doch wo die Heucheley die Zunge sucht zu lenken,
Da muß man wiederum auf solche Sprache denken.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. 6. Gedichte. 6. Gedichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B0F9-5