[100] Das dritte Buch.

Die (1) Einteilung.


Indem Simson sich bemühete die Unlust seines Hertzens zu vertuschen / vertuschete / ja verminderte sich zugleich sein Grol. Indem die Flamme seines Zornes sich dämpfete / begunte das Feuer der Liebe wieder zu flakkern. Bei dem Scheine desselben erschien ihm diejenige / derer Schönheit sein Hertz verstrükket. Sie schien ihm bald traurig / bald fröhlich zu sein. Ja es klung ohn Unterlaß in seinen Ohren / als sagte sie: ›Wo bist du / Simson? Wo bleibest du? wohin hat dein Zorn dich getrieben?‹

(2) Auf diesen Klang schlug die Lohe seiner Liebe wieder durch den gantzen Simson hin. Er ward vol Unruhe. Er fand keine bleibende Stätte. Alles war ihm zu änge. Er konte im Hause nicht tauren. Bald ging er auf das Feld. Bald begab er sich in das Läger. Bald stieg er auf einen Hügel des Gebürges / da er seinTimnat von ferne beaugen konte. Bald kahm er wieder nach Hause. Aber er fand nirgend / was er suchte. Nirgend fand er / was ihn beruhigen konte.

(3) Gleichwohl stellete er sich soviel / als er konte /fröhlich. Seine Eltern solten nichts an ihm märken. Er befahrete sich / wan sie ihn etwan unruhig erblikten /sie möchten die Uhrsache solcher Unruhe von ihm auszuforschen suchen. Und eben darüm trachtete er seine Sinnen auf andere Gedanken zu lenken. Ja darüm ging er abermahl aus. Er besuchete die nächsten Nachbahren; und unter diesen einen alten Man /der üm die Zeit seiner Gebuhrt bei seinen Eltern gedienet. Eben den baht er / ihm einige Begäbnisse seiner jungen Zeit zu erzehlen. Sonderlich aber begehrte er alles / was sich vor seiner Gebuhrt / auch üm dieselbe / was seinen Selbstand anging / märkwürdig zugetragen / ausfürlich zu wissen.

(4) Dieser guhte Greus / der in seinem Leben viel erfahren / [101] trug ein sonderliches Belieben dem Sohne seines ehmahligen Herrn hierinnen zu wilfahren. Er war froh / daß er ihm dasselbe / dessen sein Hertz vol war / erzehlen solte. Und zu dem Ende fing er seine Erzehlung alsobald folgender gestalt an.

(5) »Mit deiner Gebuhrt« / sagte der Alte / »ging es gantz wunderlich zu. Ein Wunder war es / daß sie ein Engel verkündigte. Ein Wunder war es / daß Du von einer Unfruchtbaren / und darzu zimlich Betagten soltest empfangen werden. Ein Wunder war es / daß eine solche / die noch nie empfangen / oder gebohren hatte / Dich gebähren solte. Und darüm urteilete man nicht ohne Grund / daß Du / in deinem Leben / selbst Wunderbar sein soltest. Ja daher erwuchs die Hofnung /die man hatte / Du würdest ein Wunderman werden: Du würdest / als ein Wunderheld / mit wunderwürdigen Tahten / Dich wunderbar machen; wie du auch schon zu tuhn angefangen. Ich wil mehr sagen: wan es deiner Mutter nicht were zuvor verkündiget worden /daß du Israel erlösen soltest; so hette man doch /aus solchen so vielen Wundern / unschweer urteilen können / der Höchste habe Dich darzu ersehen.

(6) Diese deine Mutter hatte mit deinem Vater schon eine geraume Zeit im Ehstand gelebet / und gleichwohl kein Kind weder gebohren noch empfangen. Es fehlete beiden an der Liebe nicht. Deine Mutter liebete deinen Vater hertzlich. Sie war allezeit wilfärtig ihm die schuldige Ehpflicht zu leisten. Auch lies es dein Vater hierinnen nicht mangeln. Ja er brante gleichsam für Liebe. Beide waren begierig die süßen Früchte des Ehstandes zu erlangen. Aber deine Mutter war unfruchtbar. Sie empfing nichts. Sie gebahr nichts / als lauter Schmertzen / so wohl für sich selbst / als für deinen Vater: der deswegen nicht wenig bekümmert war.

(7) Sie trachtete zwar diesen ihren lieben Ehgatten von solcher seiner Bekümmernis / die ihr weit mehr /als ihre eigene Unfruchtbarkeit / zu Hertzen ging / mit den allerkräftigsten Trostworten so wohl / als den allerersinlichsten Liebesbezeigungen / abzulenken. Aber es war alles vergebens. Aller Trost war ümsonst. Und ie mehr Liebe sie ihm blikken lies / ie trauriger ward er. Ja die allersüßesten Ergetzlichkeiten / die [102] sie ihm anzutuhn suchte / schienen ihm nur bitter und herbe zu sein.

(8) Bei so unglüklicher Liebe rief sie auch ohn unterlaß zu GOtt. Sie seufzete / sie flehete / mit Weinen / und Bähten / den HErren an. Sie baht Ihn: Er möchte doch diese Schmaach der Unfruchtbarkeit von ihr nehmen: Er möchte sie doch endlich einmahl mit Leibesfrüchten segnen: und wan Er sie ja unfruchtbar sterben zu laßen belieben trüge; so möchte Er ihr so wohl / als ihrem deswegen betrübtem Ehgatten / Geduld verleihen / undihre Schmertzenlindern. Dieses Mittel / indem sie ihre Zuflucht zum HErren nahm /war auch in Wahrheit das allerkräftigste. Der HErr erhörete sie / und gab ihr / was ihr Hertz wünschte.

(9) Als sie sich einesmahls / ihrer Gewohnheit nach / allein im Felde befand / und die Angst ihres Hertzens vor GOtt ausschüttete; da erschien ihr / üm den Mittag / unversehens ein Engel. Auf den ersten Anblik erschrak sie. Sie zitterte für Furcht. Er aber sprach zu ihr: Fürchte dich nicht: ich komme von GOtt: ich bin ausgesant dir eine fröhliche Bohtschaft zu bringen. Dein Gebäht ist erhöret. Bisher bist du unfruchtbar gewesen. Bisher hast du nichts gebohren. Aber von nun an wirst du befruchtet werden. Du wirst einen Knaben gebähren. Ja du wirst Schwanger / und von dir wird ein Sohn gebohren werden; ein solcher Sohn / dem kein Scheermesser auf das Heupt kommen sol. Darüm hüte dich hinfort für aller unreinen Speise / die deinem Sohne wird verbohten sein. Enthalte dich auch / gleichwie er tuhn sol / des Weines / und anderen starcken Getränckes. Dan der Knabe wird sein gantzes Leben lang ein Verlobter GOttes sein. Und unter diesem Ehrennahmen / wird GOtt ihn in das Handbuch seiner Liebsten einverleiben. Ja Er wird /durch ihn / Israel aus der Filister Hand zu erlösen anfangen.

(10) Deine Mutter ward hierüber so vol Freude /daß sie zur stunde hinlief / und deinem Vater alles /was ihr begegnet / erzehlete. Sie gedachte / durch diese so fröhliche Zeitung / ihm den Unmuht zu benehmen. Aber weil sie denselben / der ihr erschienen /als einen überaus schönen und holdsäligen [103] Jüngling beschrieben / argwähnete dein Vater zuerst / es möchte vielleicht ein wohllüstiger Jüngling gewesen sein /den die Schönheit deiner Mutter / die dazumahl überaus schon war / irgend betöhret. Ja er zog sie selbst in Verdacht / als hette sie sich etwan in ihn verliebet. Und darüm heuffete sich bei ihm / aus Liebeseifer /durch die Unruhe / die daher entstund / der Unmuht noch vielmehr.

(11) Die guhte Frau / die des Vaters Angebohrenheit in diesem Stükke wohl wuste / märkte solches von stunden an. Daher geriet sie / im fortreden / mit Vorbedacht wieder auf die Erscheinung des Engels. Den nennete sie nunmehr einen Man GOttes / dessen Gestalt ihr angeschienen / wie eines Engels / fast erschröklich; also daß sie ihn nicht fragen dürfen /woher er kähme / oder wohin er gedächte. Auch hette er ihr seinen Nahmen nicht offenbahret.

(12) Durch diese nähere Erklährung wolte sie ihrem Ehherrn die argwähnischen Schwahnsfedern /die er aus ihren vorigen Worten bekommen / wieder ausrupfen. Sie wolte ihn auf bessere Gedanken bringen. Und solches ging auch dermaßen wohl an / daß er seinen gefasten Argwahn zur stunde sinken lies /und deine fromme Mutter aus andern Augen anzusehen begunte.

(13) Gleichwohl verlangte er dessen / was er vernommen / eine gewissere Versicherung zu haben. Und darüm baht er den HERRN: Er möchte geruhen denselben / der seiner Frauen erschienen / noch einmahl erscheinen zu laßen. Er selbst wolte von ihm vernehmen / wie sein Sohn / dessen Gebuhrt er verkündiget / solte erzogen werden: damit er / in dessen Erziehung / alles / was dem Willen GOttes gefällig /auf das genaueste beobachten könte. Dieses war der Anhang seiner Bitte: der zu dem Ende geschahe /damit es scheinen möchte / er sei nirgend anders üm bekümmert / als die vorgeschriebene Lebensweise seines Sohnes selbsten / aus dem Munde des Engels / zu erfahren.

(14) Er stund im Zweifel / ob deine Mutter / als ein Weibesbild / das gemeiniglich unachtsamer / als die Mansbilder / zu sein pfleget / die Worte des Engels auch eigendlich genug eingenommen. [104] Ja er hatte die Einbildung / sie möchte sich in Beschauung der so schönen Englischen Gestalt vielleicht dermaßen vertieffet haben / daß sie mehr auf dessen jugendliche Schönheit / als den Verstand seiner Reden / achtung gegeben. Und also beredeten ihn seine Gedanken so weit / daß er Weiblichen Worten allein nicht trauen durfte: zuvoraus in solchen Dingen / welche die Verordnung GOttes / darinnen fast ieder Buchstab wil beobachtet sein / betrafen.

(15) Nicht lange darnach erhörete GOtt dieses Gebäht. Gegen den Abend erschien der Engel deiner Mutter zum zweiten mahle. Und dieses geschahe wieder auf dem Felde / in Abwesenheit deines Vaters. Aber sie lief eilend nach Hause. Sie rief deinen Vater / selbst mit dem Engel / der so lange verzog / zu reden. Da vernahm er eben dasselbe / was er von deiner Mutter vernommen. Da erfuhr er in der Taht / daß ihre Erzehlung mit den Worten des Engels eintraf.

(16) Dieser berichtete deinen Vater / auf dessen Nachfrage / was des Knabens Tuhn / und Lebensweise sein solte. Er wiederhohlete den Göttlichen Befehl. Er zeigete noch einmahl an: daß der Knabe nicht essen / noch trinken solte / was aus dem Weinstokke kähme. Er solte keinen Wein / noch anderes starke Getränke trinken; dadurch die Vernunft des Menschen ertränkt / und die Hoheit seines Gemühtes erseufet würde. Er solte nichts Unreines essen. Ja er solte für allem / was er seiner künftigen Mutter gesagt / sich hühten. Alles / was er ihr gebohten / solte er halten.

(17) Dein Vater wuste noch nicht / daß dieser Man GOttes ein Engel des HERREN sei. Er hielt ihn für einen Priester / oder Weissager. Darüm baht er ihn auf eine Schlachtgabe zu gaste. Er wolte nicht undankbar sein. Er wolte seine Dankbarkeit zu erweisen / ein Ziegenböklein schlachten. Aber der Engel entschuldigte sich. Er gab ihm zu verstehen / daß seine Speise nicht Menschenspeise sei. Er werde vom Ziegenböklein nicht essen. Wolte er aber demHERRN / mit einer Brandgabe danken; so wolte er bleiben. Er wolte die Hand selbsten mit anschlagen.

[105] [107](18) Hierauf begehrte dein Vater des Engels Nahmen zu wissen; eben wie Moses ehmahls des HErren. Und solches täht er darüm: damit er ihn preisen möchte / wan die Zeit der Erfüllung seiner Reden herbei kähme. Aber es schien fast / als sei der Engel nicht wohl zu frieden / daß dein Vater so tief und vorwitzig fragte. Gleichwohl gab er ihm seinen Nahmen verdekter Weise zu verstehen. Und ob er sich schon stellete / Er wolle denselben nicht sagen; so sagte er ihn doch / indem er sagte: Er heisse Wundersam.

(19) Er ging auch in Wahrheit mit der Brandgabe /die dein Vater auf einen Fels gelegt hatte / recht wunderlich üm. Ja er täht alles viel wunderlicher / als die Priester. Dan er lies Feuer aus dem Felsen springen; wie zur Zeit Gideons: welches deinen Eltern / die zusahen / und bähteten / auf die angehörete so tröstliche Verheissung / ein sichtbarliches Gnadenzeichen war / das ihren Glauben kräftiglich stärkete. Auch fuhr er selbst / in und mit der Lohe des Feuers / nach dem Himmel zu.

(20) Indem er sich nun hierdurch wesendlich als einen Englischen Geist zeigete / beglaubigte er zugleich dasselbe / was er geweissaget. Und also verschwand er vor ihren Augen / und lies sie vol verwunderns zurük. Aber wie die Lohe / samt dem Engel /nach dem Himmel zu aufstieg; so stieg auch zugleich ihr Gebäht mit hinauf / und GOttes Segen dagegen herunter.

(21) Hieraus ward dan dein Vater gewahr / daß es ein Engel gewesen. Und darüm entsatzte sich sein Hertz. Furcht und Zittern überfiel ihn. Auch sank er /mit deiner Mutter / zur Erden nieder. Ja er war Furchtsamer / und in seinen Gedanken verwirreter /als sie: weil er denselben / den doch sein Sin für einen Engel hielt / GOTT nennete: weil er ihm einbildete / nun müste er sterben / nachdem er GOtt gesehen.

(22) Er erinnerte sich / bei dieser Begäbnis dessen /was GOtt ehmahls selbsten zu unsrem GesetzgeberMoses gesagt: ›Kein Mensch könte GOtt sehen /und leben.‹ Und eben daher rührete seine Furcht. Eben daher entspros in ihm die Einbildung / er sei nunmehr gewislich des Todes. Es ist auch in Wahrheit GOtt und Mensch ein sehr ungleicher Zeug. Alle Menschen seind Sünder. GOtt aber ist der Sünder Feind. [107] Alle Menschen seind gantz unheilig. GOtt dagegen ist die Heiligkeit selbst.

(23) Weiber seind sonsten gemeiniglich blöder und verzagter von Ahrt / als die Männer. Aber deine Mutter erwiese / bei hiesiger Begäbnis / das Gegenspiel. Sie war ungleich muhtiger und behertzter / als dein Vater. Und dieses würkte vermuhtlich in ihr die übermäßige Freude / welche sie aus der Englischen Verkündigung empfangen. Sie war vielleicht darüm so muhtig; weil sie / eine fröhliche Kindermutter zu werden so gewisse Versicherung bekommen. Und in Betrachtung dessen / sprach sie ihrem schier halb entlebtem Ehgatten / zusamt dem Muhte / das Leben wieder ein. Sie führte ihm zu Gemühte: wan GOtt Lust gehabt hette sie zu töhten / so hette Er / wie Er getahn /ihr Gebet nicht erhöret / noch ihnen solche Wunderfreude verkündigen laßen: ja Er würde dieses alles /mit so märklichen Gnadenzeichen / nicht bekräftiget haben.

(24) Was GOtt zusagt / das hält Er gewis. Er kan nicht trügen. Seinen Worten folget die Taht. Deine Mutter ward Schwanger. Die Unfruchtbarkeit befand sich befruchtet: und als die Zeit der Gebuhrt herbei gekommen / traht die Frucht glüklich zu lichte. Da wardest Du gebohren. Da brachstdu aus derselben Höhle / darinnen Gottes Almacht Dich gebildet / hervor. Da erblikte Dich dieselbe Sonne / die künftig deiner herlichen Heldentahten Zuschauerin sein solte. Da erschienestdu / mit weinenden Augen / vor den Augen der Welt; derer Ohren Du künftig / durch das Gerüchte deiner siegenden Tapferkeit / erfüllen soltest.

(25) So warest Du wunderbar auch selbst in deiner Gebuhrt. Ja du warest ein rechtes Wunderkind: dessen Gebuhrtstag / weil deine Heldentahten Ausgebuhrten der Almacht sein solten / der Almächtige selbst bestimmet. Straks in deiner Kindheit liessestdu / über Menschliche Gewohnheit / ein Mänliches Alter blikken. Es war nichts / was Kindisch ist / in alle deinem Tuhn / in alle deinem Wesen.

(26) Die Großmühtigkeit sahe Dir aus den Augen. Die Tapferkeit erblikte man in deinen Gebährden. Die Kühnheit / die Unverzagtheit / die Geschikligkeit leuchtete aus alle deinem [108] Tuhn. Du erschrakest vor nichts. Du fürchtetest Dich vor nichts. Die Stärke deiner Arme nahm von Tage zu Tage mehr und mehr zu. Es schien / als weren die Siegsgepränge mit Dir gebohren: indem Du unerschroken allen / die Dich nur ansahen / ein unvermeidliches Schrökken einjagtest.

(27) Nun segne Dich der Gott Israels / der Dich bisher gesegnet / noch ferner. Er erhalte Dich. Er stärke Dich. Er erleuchte Dich. Ja Er befestige Dich endlich / wie Er verheissen / zu unsrem Erlöser. Dieses wünschet / darüm flehet / darnach seufzet und verlanget sein bedrängtes Volk / mit wehmühtigem Hertzen.«

(28) Mit diesem Wunsche schlos der Alte seine Reden. Mit diesem Anhange versiegelte er gleichsam seine Worte. Auch war er wilfärtig noch mehr zu erzehlen. Er wolte dem Simson zugleich seines Stamvaters / des Dans / Begäbnisse / die ihm ausführlich bekant waren / eröfnen. Aber Simson konte noch mochte sich von seinen / wiewohl unruhigen / Gedanken / die auf seine Liebste noch immerzu gerichtet blieben / so lange nicht abmüßigen. Und darüm nahm er Uhrlaub von seinem Freunde. Darüm begab er sich an einen gantz einsamen Ort im Gebürge / solchen seinen Gedanken üm so viel unverhinderter nachzuhängen.

(29) Menschliche Gemühter / die aus unglüklicher Liebe unruhig / trachten ins gemein nach ruhigen Oertern. Sie seind gern in der Stille. Sie suchen die Einsamkeit. In Einöden zu leben ist ihr Wohlleben. Und indem sie also von aussen nach Ruhe trachten / scheinen sie gleich als lüstern zu sein die Unruhe von innen zu mehren: indem sie begehren auswendig in Stille zu leben / wollen sie gleichsam das Getümmel von innen ergrössern. Ich wil sagen: sie suchen gleichsam mit vorbedachte / durch euserliche Ruhe /durch auswendige Stille / die innerliche Unruhe / die inwendigen Stürme / nicht anders / als weren es die allersüssesten Ergetzungen / nur heftiger / nur geschäftiger zu machen / oder doch zum wenigsten zu unterhalten.

(30) Simson suchte / in solcher seiner Gemühtsunruhe / einen ruhigen / stillen / einsamen /öden / und gantz unbewohnten [109] Ort. Er begab sich in eine Gegend des Gebürges / da kein Mensch hinkahm / zum wenigsten kein Getümmel der Menschen gehöret ward: damit er von seiner Unruhe / die er ihm /weil sie von der Liebe herrührete / gleich als mit Zukker überzogen zu sein einbildete / nicht verhindert /noch in seinen Liebesgedanken gestöhret würde.

(31) Alhier war es / da ihm die Liebe seine Liebste wohl gar in tausenterlei Gestalten vorbildete. Alhier war es / da sie sein Hertz auf eben so vielerlei Ahrt ümbildete. So lang und so stark ist die Kette der aufrichtigen Liebe / damit sie zwei Hertzen zusammengefesselt / daß sie auch selbst über Berg und Tahl /über See und über alles hinlanget / und durch keine Zwischenweite voneinander gerissen zu werden vermag. So behände / ja so durchdringend ist der Geist einer geliebten Schönheit / daß ihn keine leibliche Verhinderung aufhält mit seinen Strahlen selbst dahin zu schüssen / da dem Auge / durch die Entlegenheit /sein Absehen entzogen wird.

(32) Simson hatte sich hierher / einig und allein zu leben / begeben. Aber er war eben so wenig allein und einig / als er kurtz zuvor bei dem guhten Alten gewesen. Er hatte ihm eingebildet / an diesem öden und einsamen Orte die rechte Einsamkeit zu finden. Er hatte verhoffet alhier von allen Menschen entfernet zu sein. Er hatte gedacht nirgend ruhiger und stiller /als alhier / seinen Gedanken nachzuhängen. Aber er befand sich / in allen diesen Gedanken / in allen diesen Einbildungen / nicht wenig betrogen.

(33) Ie verborgener und einsamer er nunmehr / in diesem Schlaufwinkel / zu sein vermeinete / ie mehr und eher erschien ihm der verfolgende Geist seiner Liebsten. Ie weiter er von ihr entfernet war / ie näher und öfter stund eben derselbe vor seinen Augen. Ja sie selbst spielete fort und fort in seinen Gedanken. Uberal / wo er sich hin begab / war sie bei ihm. Nirgend verlies sie ihn; ungeachtet dessen / daß er sie verlaßen. Nirgend gestattete sie seinem Hertzen einige Ruhe. Ihrer Augen Pfeile verfolgeten ihn überal. Uberal erneuerten sie seine Wunden; die kurtz zuvor schier aufgehöret zu bluhten. Ja sie ritzten alle die Alten /welche sich zu schlüßen schienen / wieder auf.

[110] (34) Aus diesen neuen Wunden keumete und scheumete die Reue / die ihm seinen Vorsatz / als unbesonnen und zum höchsten schädlich / aufrükte /endlich hervor. Endlich reuete es ihn / daß er sich von seiner Liebsten gesondert: es war ihm leid / daß er sie verlaßen. Ja es verdros ihn / daß er sich dadurch aller Ergetzligkeiten / die ihn ehmals würklich / itzt aber nur scheinbarlich / erfreueten / verlustig gemacht. Diese Scheinbilder / diese Traumerscheinungen /diese Schattengemälde / welche die Einbildung ihm itzund nur vormahlete / hatten das Wesen / hoch das Vermögen der bei ihr selbsten wahrhaftig genossenen Lust keines weges. Darüm rieten ihm seine Gemühtsneugungen das Gedächtnis der empfangenen Beleidigung aus seinem Hertzen gantz zuvertilgen /und das Märkmahl einer ewigen Undacht darinnen aufzurichten.

(35) Dem Rahte folgete die Taht. Wie ein Vater sein Kind hähtschelt / so hähtschelte / so zährtelteSimson nunmehr auch mit seiner Liebe. Er gab ihr so viel Raumes / daß sie sich in sein Hertz gantz wieder einnistelte. Alles vorgegangene war vergessen. Er gedachte nun an nichts / als diese seine aus der Loderasche der Alten / wie der Sonnenvogel / wieder jung gewordene Liebe zu streicheln. Und also muste die sonst unüberwindliche Rachbegierde der Liebesbegierde gewonnen geben. Also muste derselbe / der sich beleidiget befand / seine Beleidigerin / die nunmehr unter dem Schirme der Liebe stund / selbst / als eine Göttin ehren.

(36) Ein Beleidigter / der seine Ehre verletzt siehet / wird sonst schweerlich versühnet. Wan aber die Beleidigung von Frauen / als so schwachen Werkzeugen / herrühret / zuvoraus von einer Geliebten; alsdan ist niemand so unbescheiden / daß er nicht durch die Finger sehe. Eine Leue / dem die Grimmigkeit doch angebohren / lesset seinen Grim auf ein zahrtes und schmächtiges Spielhündlein / das ihn etwan anklaffet / nimmermehr aus. Wan aber ein starker und gewaltiger Jagthund ihn anlauffet / dan ergrimmet er / ie grösser der Hund ist / ie heftiger. Schier eben also güßet sich unser Zorn zwar auf einen Man aus / der unsere Ehre verletzet. Aber der Schwächligkeit [111] eines Frauenbildes / ob es uns schon noch so sehr beleidiget / begegnet er solcher gestalt / daß man ihn kaum märket.

(37) Dieses Vorrecht scheinet dem Weiblichen Geschlächte / sonderlich wan es unter der Schirmdekke der Liebe lauert / gleichsam angeerbet zu sein. Diese Freiheit hat es unter allen vernünftigen Völkern / auch wohl den Wilden selbst / voraus / daß man seinen Fehltritten mit Bescheidenheit und gar gelinde begegnet. Ja es leget uns / so oft die Strahlen der Schönheit mit unterspielen / selbst einen solchen Gewaltzwang auf / daß wir Freigebohrne zu sein gar vergessen müssen.

(38) Nachdem nun Simsons Hertz solcher gestalt vorbereitet war / daß es allen Grol hatte fallen laßen; da überredete ihn die Liebe / die nun wiederüm seine Gesetzgeberin war / seinen vorigen Schlus zu widerrufen. Ja sie zwang ihn denselben / durch einen Neuen und Gegenschlus / gantz zu vernichtigen. Und also entschlos sich Simson zu seiner bisher verlaßenen Liebsten wiederzukehren. Auch seumete er solches zu tuhn nicht lange. Die Liebe trieb ihn zu eilen. Sie hielt ihm vor: imfal er länger verzöge / die Verlaßene möchte diesen Schimpf rächen. Sie möchte sich irgend mit einem andern verehligen. Hierzu könte sie leichtlich einen finden. Hierzu könte sich leichtlich einer aus den dreissig Brautjunkern verstehen.

(39) Weil er nun wohl wuste / daß sie ihm seine Entfernung / als eine von ihm empfangene Schmach /hoch genug aufmutzen würde; so entschlos er sich zugleich vor ihr mit einer Versühngabe zu erscheinen. Und zu dem Ende nahm er ein Ziklein mit sich. Dieses solte den Unwillen / den sie irgend auf ihn geworfen / wieder versühnen. Dieses solte bei derselben /die sich durch ihn beleidigt zu sein beklagte / verhoffentlich zu viel würken / daß er ihre vorige Gnade wiedererlangte.

(40) Hierdurch gab Simson ein unfehlbares Zeichen der Aufrichtigkeit seiner Liebe von sich: indem er dieselbe / die ihn so hoch beleidiget / gleichwohl noch liebete: indem er sie so hertzlich liebete / daß er solcher seiner von ihr empfangenen Beleidigung nicht allein vergaß / sondern auch sie selbst durch sich beleidiget zu sein gleichsam bekante; weil er sie itzund /durch eine Versühngabe / zu befriedigen suchte.

[112] (41) In dergleichen Verstande wird dieser Entschlus vom Ziklein / das Simson seiner Liebsten mitzubringen gedachte / gemeiniglich erklähret: wiewohl es / nach meinem Urteile / eher das Ansehen hat / als hette das Ziklein eine Versühngabe nicht sowohl für seinen / als ihren Misschlag sein sollen. Ja es scheinet / als hette Simson sie / als eine Verbrächerin / die sich nicht so sehr an ihm / als an seinem Gotte / versündiget / indem sie sein Gebot / das er den Ehleuten vorgeschrieben / gebrochen / hierdurch aussühnen wollen.

(42) Und also war diese des Simsons Liebe ein rechtes Vorspiel der Liebe des eingebohrnen Sohnes GOttes: der auch dieselbe Erlösung / die Simson /der eingebohrne Sohn des Manoah / den Kindern Israels zu guhte / begonnen / in der Fülle der Zeit an uns allen volzogen. Ja sie war ein rechtes Vorbild der Liebe des Heilandes der Welt: zu dessen VorbildeSimson selbsten erkohren zu sein schien. Sie war ein recht ähnlicher lebendiger Vorris oder Entwurf der Göttlichen Wunderliebe; die sich ie und ie / mit vollen Ströhmen / über das gantze Menschliche Geschlecht ausgegossen.

(43) Simsons Hertz hing nach einer Braut: die wolte / solte / und muste er haben / es kostete / was es wolte. Diese suchte er in der Frembde / bei den Heiden; die nicht seines gleichen / noch seines Glaubens waren. Sein Vater stund diese ungleiche Heurraht zu. Er war selbsten der Freuwärber. Aber die Braut lies sich verleiten. Sie ward ihm Untreu. Sie schwatzte sein Geheimnis aus. Was er ihr / aus Liebe / vertrauet / verriet sie. Hierdurch entstund bei ihm ein Grol /doch mehr gegen die Verführer der Braut / als gegen sie selbst. Jene musten / durch die Haut ihrer Landsleute / das Gelaak bezahlen. Diese ging frei aus. Nur ein Zeit lang verlies er sie. Zu so gelinder Rache bewog ihn die Liebe: die auch endlich seinen Grol so gar vertilgete / daß er ihr Verbrächen verziehe: daß er das Leid / das er ihr deswegen angetahn / bereuete: daß er eilete sich wieder zu ihr zu nahen. Ja er trachtete sie selbst / als eine Uberträhterin des Götlichen Gesetzes / bei GOtt auszusühnen.

(44) Gleicher gestalt hing unsrem Heilande das Hertz nach einer Braut: die wolte / solte / und muste ihm werden / wan [113] er auch schon Guht / Muht / und Bluht / ja Leib und Leben darbei aufsetzen müste. Diese suchte Er nicht im Himmel / sondern auf Erden: nicht unter den Eingebohrnen / sondere unter den Fremden: nicht unter den Engeln / sondern unter den Menschen: nicht unter den Heiligen / sondern unter den Sündern. Eine Ausländerin / eine mit Sünden beflekte wolte Er haben. Wir waren die Ausländische Liebichen / die seinen Augen / wie häslich / wie unflähtig / wie unrein wir waren / gefielen. In eine so gar ungleiche Heurraht bewilligte sein Himlischer Vater. Ja Er lies selbst üm die Braut wärben. Und was mehr ist / Ihn / seinen einigen Sohn / selbst schikte Er nach der Braut zu; die ihm die HöllischenFilister schon im Paradiese zur Untreue verreitzet: die der Teufel ihm schon dazumahl abspänstig gemacht. Und darüm schien es auch / als hette Er sie angegeben / als hette Er sie verlaßen. Aber seine liebe war so brünstig / daß Er seinen Gnadenentzuk bereuete; daß Er ihr alles vergab / und seine Rache nur über ihre Verführer ausgos. Er liebete die Abtrünnige gleichwohl. Ja Er liebte sie so hertzlich / daß Er sie heimzuhohlen selbst den Himmel verließ: daß Er sie selbst auf Erden besuchte / und was mehr ist / ihre gantze Schuld auf sich nahm / ja sich selbst seinem Himmlischen Vater zur Versühngabe für ihre Mishandlungen / in seinem bitteren Leiden am Kreutze darstellete.

(45) Aber wie wenig Simsons Ehliebste sich üm die Liebe ihres Ehgatten bekümmerte / so wenig bekümmern wir uns üm die Liebe Desselben / der die Liebe selbsten ist: den wir doch / als unsern Himlischen Breutigam / unendlich lieben solten. Wan wir GOttes wunderbare Menschenliebe bedenken / müssen wir in Wahrheit erröhten / daß unsere Gegen- und GOttesliebe / ob wir schon mit allen unsern Kräften /uns darzu schikken / gleichwohl so klein ist / daß sie /in Vergleichung mit jener / nicht einmahl als ein Sandkörnlein gegen den grössesten Berg / zu sein scheinet. Wie vielmehr solten dan dieselben erröhten /derer Liebe gegen Gott so gar lau / und so gar schläferig ist / daß sie nicht das geringste Zeichen darvon blikken laßen.

[114] (46) Ach! wie selig würde der Mensch sein / wan er mit solcher Liebesbrunst zu seinem Schöpfer sich nahete / als ein Verliebter einem nichtigen Geschöpfe nacheilet! Ach! wie sälig und übersälig würde derselbe sein / der in GOttes Nachfolge gleich so eifrig / als in Nachtrachtung der irdischen Schätze / sich finden liesse! Ach! wie sälig und mehr als sälig würden wir sein / wan wir unserem Himlischen Seelenbreutigam nur mit der helfte der Liebe / die Er uns erwiesen / begegneten! Aber wir seind gantz undankbare Liebichen. Wir seind nur ungetreue Breute. Wir schlachtenSimsons Braut.

(47) Diese war wandelbahrer als der Mohn / unbeständiger als das Wetter / veränderlicher als die Rattenheidexe: die alle Farben annimt / ohne die zwo Farben / der Aufrichtigkeit / und der Schaam. Von der Aufrichtigkeit in der Liebe wuste sie nicht. Auch schähmete sie sich nicht Treuloß zu werden. Die Kreutlein der Liebe / Vergismeinnicht /und Ielängerielieber / welche sie ihrer Ehpflicht erinnern sollen / waren aus ihrem Hertzen und Brautkrantze zugleich verbannet. Einen lies sie wandern / und buhlete mit dem andern.

(48) Kaum hatte Simson den Rükken gewant /da gedachte sie schon auf eine frische Hochzeit. Itzund / da er üm ihrentwillen vol Angst war / küssete sie / in voller Ergetzligkeit / einen neuen Breutigam. Itzund / da auch die tiefsten Schlaufwinkel seines verliebten Hertzens ihres süßen Andenkens vol waren /gedachte sie nicht einmahl an seinen Nahmen / ich schweige an seinen Selbstand.

(49) Eben so wetterwendisch / eben so betrüglich /eben so treuloß und unverschähmt seind auch wir gegen unsern Himlischen Breutigam. Der zugespitzte kaum scheinbare Mohn blinket auch in unsrem Brautwapen. Unser Liebeszeichen ist auch die Rattenheidexe. Das Kreutlein oder Blühmlein Vergismeinnicht / das unser Breutigam so vielmahls selbst in unser Hertz gepflantzet / haben wir darinnen / ach leider! allezeit verwelken laßen. Vom andern / Ielängerielieber wissen wir gar nichts. Ja wir seind gantz Abtrünnig worden. Und hierzu hat uns verführet der Teufel / die Welt / und unser [115] eigenes Fleisch. An stat dessen / daß JESUS unser Breutigam sein solte / seind wir / ach weh! des Teufels Braut worden.

(50) Diesem neuen Breutigam lauffen wir nach; indem wir den Fleischlichen Lüsten folgen. Mit diesem tantzen wir; indem wir uns / mit der Welt / in den zeitlichen Ergetzligkeiten vertieffen. Dazumahl / da unser Himlischer Breutigam üm unsert willen in der heftigsten Leidens- und Todes-angst war / ümhälseten wir / durch allerlei Wohllüste / den Höllischen: da Er für uns den allerschmählichsten Tod / darzu wir ihn selbst verrahten / ja den wir Ihm selbsten antähten /am verfluchten Holtze des Kreutzes ausstund / ehreten wir / indem wir seiner spotteten / den Teufel: da Er unserer bei seinem Himlischen Vater / mit einer so hertzlichen Vorbitte / gedachte / kahm uns nicht einmahl seine große Liebe / damit Er uns bis in den Tod liebete / ja sein so liebreicher Nahme JESUS kaum anders / als Ihn zu lästern / in die Gedanken.

(51) Hieraus siehet man / wie eigendlich wir / dieder Himlische Simson / JESUS / des Großen GOttes Sohn / zu seiner Braut auserkohren /der treubrüchigen Braut des Irdischen Simsons uns ähnlichen. Ich hette schier gesagt / desNärrischen Simsons: weil er / in dieser seiner Liebe / den närrischen Lichtflügen nachzuäffen schien; welche das Licht dermaßen lieben / daß sie /ob sie schon keiner Gegenliebe geniessen / dannoch üm dessen Flamme so lange herüm flattern / bis sie /von derselben ergriffen / jämmerlich verbrant werden.

(52) Ihm selbst ein Schmertzenmeer der Trähnen /mit einem gewaltigen Seufzersturme / zu erregen / als wolte man sein Hertz dadurch seiner Liebsten / die fremder Trähnen und Seufzer nur spottet / zuschiffen laßen / ist eben so viel / als wolte man sich in einen vor Augen schwebenden Schifbruch begeben. Zuviel verderbt das Spiel: zuvoraus in einer solchen Liebe /die mit keiner Gegenliebe vergolten wird.

(53) Wan es der Großen Zeugemutter aller Dinge schon müglich sein könte alle Schönheiten des Frauenzimmers der gantzen Welt in ein einiges Frauenbild / wie es jenem Mahler müglich war die selben aller Krotonischen Jungfrauen [116] in sein Götzenbild der Liebe / zusammen zu bringen; so were es doch eine große Tohrheit in der Liebe desselben so gar volkömlich schönen / zuvoraus wan es / an Gegenliebe stat / des Verliebten nur spottete / elendiglich verschmachten /oder wol gar verzweifeln wollen.

(54) Ich wil mehr sagen: weil ein solcher Aus- und Zusammen-Zug so vieler der ausbündigsten Schönheiten / der überdas auch eben so eitel und eben so flüchtig / als eine Einzele / sein würde / nirgend zu finden; so tuht ein Verliebter noch viel töhrichter /wan er der gemeinen Einzelen Schönheit einer widerspänstigen Liebsten / mit euserstem Verluste seiner Gemühtsruhe / so gantz vergeblich nacheilet; indem er dasselbe / was er an der einigen so hoch schätzet und liebet / bei tausend andern eben so guht / ja oftmahls wohl besser zu finden vermag.

(55) In diesem Liebespiele solten wir billich den Weibsbildern / die in der Kunst zu lieben gemeiniglich viel schlauer seind / als wir / ihre Liebesränke /damit sie andern begegnen / zuvor ablernen / ehe wir uns selbst mit ihnen einliessen: weil es in alwege viel besser ist / mit fremder Schaden klug / als mit eigenem zugleich arm zu werden. Weibesbilder vergaffen sich meistenteils niemahls an einem allein. Ihr Auge fället allezeit auf viele. Sie haben derer / welche sie lieben / die Mänge. Ja sie werfen allen / alle verpflichtet zu machen / ihre Liebesblikke zu. So werden ihnen alle geneugt; wo nicht alle ihre Liebhaber bleiben müssen.

(56) Daher achten sie es nicht viel / wan sie etwan einen / den sie zum Liebsten erwählet / darvon verlieren. Diesen Verlust ersetzen sie bald mit einem andern / aus denen so vielen / die sie schon in Bestallung gebracht. Reisset sich dan auch dieser aus ihrem Liebesnetze loß / so komt an den dritten die Reihe. Ja sie gehen mit ihrem Jägergarne so lange fort / bis sie denselben / der sich zu ihrem Leibeignen willig ergiebet / auf allen Seiten bestrükket.

(57) Weil nun die Weiber im Liebeshandel so verschlagen seind / so ist es fürwahr ein Wunder / daß die Männer / durch die Liebe / sich dermaßen betöhren laßen / daß sie einem widersinnischen[117] Weibsbilde / das sie lieben / ohne Genos einiger Gegenliebe / mit Gefahr Witz und Verstand zu verlieren / so beständig / bis zur Halsstarrigkeit zu / nachlauffen. Ja es ist ein Wunder / daß sie nicht auch / wie jene / nur achtloß und überhin lieben: daß sie ihre Liebe / wan die eine Liebste widerwillig bleibet / oder ihnen die Schüppe giebet / nicht straks auf eine willigere und beständigere lenken. Aber es scheinet / wo es nicht vielmehr die lautere Wahrheit selbsten ist /daß die Großmühtigkeit und Beständigkeit dem Mänlichen Geschlächte mehr / als dem Weiblichen angebohren; und daß dieses dagegen / wie es kleinmühtiger ist / indem es sich von etwas leichtlicher abschrökken lesset / also auch / wo nicht gemeiniglich /doch meisten teils unbeständiger und leichtsinniger sei.

(58) Ein Weibesmensch / ein weiches Mensch. Es ist auch auf das höchste weich und zahrt in allem /was in und an ihm ist. Haut und Fleisch hat es gemeiniglich viel weichlicher / und das Gebeine zährter /als wir. So ist auch zährtlicher und behänder / mit allen seinen Gliedern / der gantze Leib. Zuvoraus hat es ein weiches und weichendes Gemüht: welches so weichlich und zahrt ist / daß es zur Ab- und Er-weichung viel eher / als das Mänliche / zu bringen. Dieses weichet / mit allem / was in ihm sich reget und beweget / gar leichtlich bald hier- bald dort-hin. Daher komt es / daß die lieblichste Gemühtsneugung / die Liebe / bei ihm so weich und zahrt ist / daß sie eben so bald ab- als zu-weichet; daß sie sich zerren und ziehen lesset / wohin und wie oft es der Sinligkeit beliebet.

(59) Eben so weich und zahrt ist auch der Sin selbsten / mit alle seinem Anhange: indem er von einem Dinge so plötzlich auf das andere weichet / daß er oftmahls keinen Augenblik festen Stand hält. Ja die Sprache selbst ist weichlich und zahrt. So ist auch aller Klang und Laut / den der Mund giebet. Weich und zart sein auch alle Verrichtungen / die von Weibsbildern herrühren.

(60) Weil nun diese Weichligkeit / oder vielmehr Schwächligkeit der Weibsbilder / als der schwächsten Werkzeuge des Schöpfers / sie gegen die Mansbilder zu rechnen / Simson [118] ohnezweifel wohl erkante; so schien es / als wolte er darüm seiner Ehliebsten die Ehre geben der wenigste zu sein / und sein Haupt in ihren Schoß zu legen. Aber der gute Simson wuste vielleicht noch zur Zeit nicht / daß er nit nur mit einem Weichlichen / sondern auch gar mit einem Ehrlosen leichtfertigen Schandweibe zu thun hatte; die albereit / mitten in der Hochzeit / ja vielleicht da sie im Brautbette noch nicht warm geworden / den geulen Blik ihrer unkeuschen Augen auf einen neuen Breutigam schüßen laßen. Ihm war noch nicht bekant / daß sie sich an einem seiner Hochzeitknechte vernarret /und ihm / in seinem Abwesen / schon beigeleget worden.

(61) Unzüchtigen Weibern / derer Keuschheit auf Steltzen gehet / ist dieses Laster gemein / daß ihnen anderer Geschikligkeit und Leibesgestalt allezeit mehr gefället / als ihres Ehgatten. Mit einem allein wird ihre Begierde nie gesättiget. Allezeit suchen sie einen andern / so bald sie den ersten ins Netze gebracht: indem sie ihnen einbilden / es sei unnöhtig denselben / den sie / durch betrügliche Liebe / schon fest gemacht / noch weiter zu lokasen. Lesset er dan hierüber seinen Unwillen märken / und kehret eine Zeit lang den rükken; so werden sie froh / daß sie zu dem Ekel /den sie auf ihn geworfen / auch Gelegenheit bekommen ihre neue Buhlschaft / Liebe darf ich sie bei solchen Frauen / weil alhier das Zeichen der Tugend mangelt / nicht nennen / unverhindert und mit scheinbarem Fuge fortzusetzen.

(62) Die himlische Sonne hatte kaum drei Stunden geschienen / als unser Sonneman gantz ermüdet zu Timnat ankahm / auf Hofhung in den Armen seiner Haussonne wieder auszuruhen. Die Schnitter waren eben in voller Arbeit den Weitzen abzuärnten /als er vor dasselbe Haus gelangte / da er bei seiner Ehliebsten einer reichen Aernte der süßen Früchte des Ehstandes zu geniessen gedachte. Diese hatte / schon auf der Reise / die Einbildung ihm dermaßen lieblich vorgemahlet / daß er / als von einem Liebesteine gezogen / mit flüchtigen Füßen darnachzu eilete. Seine Gedanken waren auch auf nichts anders gerichtet / als auf die Schönheit seiner lieben Braut: derer Bildnis /durch oft wiederhohlte Betrachtung / so tief in sein[119] Hertz eingedrükt stund / daß es einen andern Eindruk anzunehmen nicht vermochte.

(63) Nunmehr gedachte sein Hertz sich mit dem Hertzen derselben / von welcher er sich eine Zeit lang entfernet / aber nicht gäntzlich geschieden / wieder aufs neue zu verknüpfen. Nunmehr gedachte er das Band der Liebe / welches durch den Zornsturm erschlappet und aufgegangen / durch eine gantz erneuerte Liebe wieder zu befestigen. Ja er war froh / daß durch diese neue Hochzeit der Ehfriede / den die erste gestöhret / wieder aufs neue solte gebohren / und alle seine bisher verlohrene Lust / durch tausend Küsse /wieder ersetzet werden.

(64) In solchen freudigen Gedanken / bauete er ihm selbst einen Himmel vol Geigen; eine Schauburg vol ergetzlicher Aufzüge; einen Siegeswagen vol prächtiger Siegeszeichen. Ja sein Hertz / das sich nunmehr aller Unlust und aller Pein entsetzet sahe / tantzete für Freuden / und hüpfete für Wonne: und indem er in das Haus traht / bildete es die allerlieblichsten anmuhtigsten Worte / mit denen der Mund / seine Liebste zu grüßen / sich schon in die schönsten und zierlichsten Falten setzte. Kurtz / er war so vol Freude / so vol Wonne / daß die Zeichen darvon sich in allen seinen Gebährden / ja selbst an seiner gantzen Leibesgestalt scheinbarlich euserten.

(65) Aber alle diese Freudenzeichen veränderten sich bald in Trauerzeichen. Sein eingebildeter Sieg verschwand in einem nuh. Das Verhängnis hatte ihn dermaßen verdrehet / daß er einen andern damit prangen sahe. Einander lag in denen Armen / darinnen er zu ruhen gedachte. Einander genos derselben Ergetzligkeiten / die ihm seine Hofnung zu geniessen versprochen. Ach! wie geschwinde verschwanden dieselben Glüksäligkeiten / die er aus lauteren Sinbildern zusammengefüget! Ach! wie plötzlich entzogen sich dieselben Freudenaufzüge / die in bloßen Schatten bestunden! Ach! wie so gar eilend warden vereitelt die prächtigen Schaubühnen / die auf so eiteln Stützen sich stützten!

(66) Sobald er in das Vorhaus gelanget / begab er sich straks nach demselbigen Orte zu / da er sein irdisches Paradies zu [120] finden vermeinte. Von stunden an eilete er nach der Schlafkammer zu / da er seine Liebste selbst im Bette zu überraschen gedachte. Flugs sprang / ja flog er fort. Er klopfte nicht einmahl an. Aus Erleubnis der Ehlichen Freiheit / grif er alsobald an die Klinke der Tühre / mit dem Vorsatze sie unverhuhts aufzuklinken. Aber er fand sie verrügelt. Ein vorgeschobener Schützel verboht ihm den Eingang. Hierzu kahm auch endlich der Schwiegervater /der ihn gar darvon abzog.

(67) Hieraus vermärkte Simson unraht. Er sahe wohl / was die Glokke geschlagen. Nun erkante er erst / daß ihn das Uhrwerk seiner Sinne betrogen. Darüm zog er es anders auf. Er stellete den Lauf seiner Gemühtsneugungen nach einem andern Triebe. Er veränderte seinen Schlus. Und das muste sein. Noht brach Eisen. Nohtwendig muste er ümsatteln; weil ihm dieser Rit mislungen. Nohtdrünglich muste er andere Gedanken fassen / als er vernahm / daß man ihn /als einen Fremdling / ja schier als einen Dieb anzuschnautzen begunte.

(68) Es kahm ihm seltsam vor / daß derselbe / der ihm selbst seine Tochter zum Weibe gegeben / ihn fragete: ›Was er alda suchete? Was er begehrete? ja was vor einer er were?‹ Zuerst beantwortete er zwar diese Fragen nur mit Lachen: indem er sie für Schertzfragen aufnahm. Aber als er den Ernst sahe /und hören muste / ›daß er alda nichts verlohren; daß er sich wegpakken solte; daß man seiner nicht nöhtig hette‹: da ward er so bestürtzt / daß er eine guhte Weile verstummete; daß er zur Widerrede kein Wort zu machen vermochte.

(69) Endlich erhohlte er sich gleichwohl. »Ich suche« / sagte er / »was mein ist. Ich begehre / was mir zugehöret. Ich bin deiner Tochter Man. Ich bin es / dem das Recht zukomt sein Ehweib zu suchen.« Und ob er schon dreuete dieses sein Ehrecht mit Gewalt zu behaupten; so muste er doch erfahren / daß seine Dreuung nur fruchtloß ablief. Dan der Alte versetzte zur stunde: ›er habe sein Recht selbst verschertzet: er sei selbst schuld daran / daß seine Tochter nun nicht mehr sein Ehweib sein könte. Sie sei schon einem andern verheurrahtet. Er habe sie einem seiner Spielgenossen gegeben: weil er aus seinem verstohlenen und so plötzlichem Abreisen / da er [121] [123]sie nicht einmahl des geziemten Abschiedes gewürdiget / anders nicht vermuhten können / als daß er sie / aus Gramschaft /gäntzlich verlaßen.‹

(70) Auf diese so böse Zeitung erboßete sichSimson der maßen / daß in einem Augenblikke sein gantzes Wesen entstellet ward. Bald erblaßete er / wie eine Leiche. Bald ward er feuerroht / wie ein Kalekutischer Hahn. Feurige Strahlen schossen ihm aus den Augen. Aus den aufgeblasenen Naselöchern fuhr ein hitziger Dampf. Aus dem Munde brach ein erschrökliches Unwetter hervor. Ein iedes Wort / das er auslies / klung als ein Donner / prasselte wie ein Donnerschlag / zerschmetterte schier wie ein Donnerkeul / die Hertzen aller / die es höreten.

(71) Seine Augenbrähmen übersich ausgespannet /seine Stirne himmelwärts aufgeruntzelt / schienen zur Rache den Himmel aufzufordern. Die Füße stampfeten gegen den Erdbodem / als wolten sie dessen Einwohnern / die ihn beleidiget / den Krieg ankündigen. Ja es schien / als were nunmehr Zorn und Grim /Wuht und Grausamkeit bei ihm allein eingekehret; als hetten sie ihn zu ihrer eigenen Wohnung erkohren.

(72) Und also sahe man in Simsons Hertzen /darinnen kurtz zuvor die Esse der Liebe feuerte / den Gluhtofen des Zornes hitzen. Also stund in derselben Schmiede / da kurtz zuvor die Pfeile der Liebe geschmiedet warden / der Amboß des Grimmes / desselben Rüstung zu schmieden / aufgerichtet. Ja ich darf wohl sagen / daß die Göttliche Vorsehung selbst hierinnen / zur Schmiedung ihrer wider den Ubermuhtder Filister bestimten Waffen / den Blasebalk zu bewegen / und den Hammer zu führen eben itzund begonnen. Itzund schien die Zeit gebohren zu sein /da Simson das Werkzeug sein solte das bedrängte Volk Gottes aus der Heiden Dienstbarkeit zu erlösen.

(73) Der armsälige Greus / so bald er ein so grimmiges Antlitz erblikte / zitterte für Furcht / und böbete für Schrökken. Kein einiges Glied an seinem Leibe stund stil. Alle bewegten sich / wie Espenblätter. Das Hertz selbsten bukte für Angst. Es schien / als wan ihn der Schlag gerühret; da er den Donner [123] seines Mundes / das Sturmblasen und Zornschnauben seiner Nase / mit dem Blitze seiner Augen / vernahm: aus denen gantz erschrökliche Wetterstrahlen / gantz abscheuliche Feuerflammen / als aus zwo Feuerspeienden Bergöfnungen / auf ihn zu geflogen kahmen; nicht anders / als wolten sie ihn zur Stunde verschlingen. Er entsetzte sich für den grausamen Dreuungen / welche den Filistern ihren endlichen Untergang ankündigten. Er erschrak für so heftigen Zornworten / vor denen die Grundfeste des Filisterlandes selbst gleichsam erschütterte.

(74) Weil er nun sich besorgete / Simson möchte die Flammen seiner Wuht am allerersten über ihn /und sein Haus selbsten ausstürtzen; so fing er an mit gantz gelinden kleinlautenden Seiten sich hören zu laßen. Er veränderte den vorigen rauen und harten Tohn in einen gantz sanften und leisen. An stat der vorigen scharfen und hulprigen Worte gab er nunmehr gantz weiche / gantz glatte / ja gantz samtene. Er wolte den erzürneten / den ergrimmeten / den schon halb wühtenden Simson / den er kurtz zuvor lieber gar aus dem Hause geschlagen / itzund in eine weiche Sänfte setzen. Ja er wolte denselben / den er / durch Unbescheidenheit / erboßet / nun wieder / durch einen Friedensvorschlag / begühtigen. Und also vermeinte er das Ungewitter / das er wider sich aufgezogen zu sein befahrete / eh es mit Zorngüssen über ihm auszubrächen anfinge / von seinen Grentzen abzuleinen.

(75) Zu dem Ende schlug er ihm auch seine jüngere Tochter zur Ehe vor. Die solte des wiedergetroffenen Friedens Unterpfand sein. Die wolte er zur Bürgin setzen / daß der Friedensvergleich unverletzt solte gehalten werden. Ja damit er sein Augenmärk üm so viel eher erreichen möchte / geriet er auch auf diesen Fund. Er fügte hinzu: daß sie viel schöner sei / als die ältere.

(76) Eine so ausbündige Schönheit / vermeinte er /würde die Mitlerin sein den Streit zu schlichten. Sie würde / vertraute er / das Zornfeuer / das in Simsons Busem flakkerte / blüschen. Auch were dieses Artzneimittel gewislich das kräftigste gewesen seines Eidams so heftigen Gemühtstrieb zu hintertreiben /wan aus ihm die Liebesseele nicht schon so gar verflogen [124] gewesen / daß der gantze Simson eine Behausung der Zorngeister geworden.

(77) Diese reitzeten ihn unaufhörlich zur Rache. Alle gühtige Handlungen rieten sie ab. Sie verstopften seine Ohren dermaßen / daß kein Friedensanbot hinein konte. Hingegen löseten sie seine Zunge zu lauter trotzigen Rachworten. Und also ging nichts / als Krieg / als Rache / mit einem erschröklichen Waffengeschrei / aus seinem Munde. »Meine Waffen« / rief er überlaut / »seind schon geschärfet zum Kriege. Mein Arm ist schon ausgerekket der Filister Ubermuht zu rächen. Meine Faust rühret sich schon /durch meine Tapferkeit beseelet / mit ihnen das Garaus zu spielen. Die gerechte Sache / die ich nunmehr wider sie habe / macht mich behertzt. Ich wil ihr Land mit gantzen Schaaren der Erschlagenen besäen / und mit gantzen Ströhmen ihres Bluhtes tüngen. Ich wil eine Verwüstung unter ihnen weit und breit anrichten. Dieses wil ich tuhn / und nichts anders.«

(78) Als er hierauf ein wenig geschwiegen / fing er / mit etwas eingezogener Stimme / wieder an. »Sie dürfen sich« / sagte er / »über kein Unrecht beschweeren. Sie dürfen mir die Schuld ihres Verderbens nicht zumässen. Sie selbst haben es / durch ihren Frefel / ihnen über den Hals gezogen: indem sie mich derselben beraubet / mit der ich / durch Liebe / verknüpfet war / und üm derentwillen ich dieses Volk /weil sie daraus entsprossen / bisher geehret / ja selbst geliebet / und ihm nichts Böses / ob ich schon gern gewolt hette / zufügen konte. Weil mir aber solche meine Wohlneugung / mit dem eusersten Undanke /vergolten worden; so ist es billich / daß ich zürne /daß ich mich und mein Volk zu rächen trachte.

(79) In diese Rache schlüße ich mein Volk mit ein: weil ich dessen Schmaach / die ihm dieses heilloseFilistervolk von so vielen Jahren her antuht / zu rächen schon vor meiner Gebuhrt vom Himmel versehen / und nachmahls auch hierzu mit einer ungemeinen Stärke begabt bin. Und also wil ich / bei dieser Gelegenheit / nicht so wohl meine sonderbare / als meines Volks algemeine Schmaach zu rächen suchen. Ich wil euren Hochmuht dämpfen. Ich wil eure Hofahrt stürtzen. [125] Ich wil euren Trotz zerträhten. Ich wil lauter Niederlagen / lauter Zerstöhrungen unter euch anrichten. Und dieses wil ich itzund zu tuhn beginnen.«

(80) Den Worten folgete straks die Taht. Eine gantz fremde Weise zu rächen / die ihm sein verworrener Sin am ersten eingab / nahm er vor. Niemahls /gleube ich / ist ein so wunderseltsamer Kriegesrank /des Feindes Land zu veröden / und ihn aller Lebensmittel auf einmahl zu berauben / erdacht worden / als dieser war. Niemahls / so lange die Welt gestanden /hat Menschliche Vernunft dergleichen Verwüstung ersonnen / viel weniger einiges Auge der Menschen erblikket.

(81) Simson begab sich in das nächste Gebürge. Alda machte er Anstalt zur Fuchsjagt. Diese ward ohne Spührhunde / ohne Stöber / ohne Windspiele /ohne Netzen / oder anderes Jägerzeug verrichtet. Simson war Jägermeister und Jägerknecht zugleich. An stat der Jagthunde musten ihm seine Hände zum Fangen dienen. Diese verrichteten alles allein. Die Gegend befand sich rund herüm vol Fuchslöcher /und diese vol Füchse. Aus denen / nachdem er das Erdreich / durch seine große Stärke / weit genug voneinander gerissen / zog er einen nach dem andern hervor. Alle warteten seiner. Keiner / wie listig und rüstig er sonsten war / getrauete sich zu entlauffen. In wenig Stunden täht er eine Fangst von drei hunderten: die er allezusammen / einen nach dem andern / in einer fünsteren Berghöhle versperrete.

(82) Man hette gewis wohl sagen mögen / daß er die Fuchsahrt / durch einen so reichen Fang / in derselben gantzen Gegend gar vertilget. Ja es schien ein Wunder / wo nicht gar ungleublich zu sein / daß er / in einem solchen kleinen Landbegriffe / so eine große Mänge dieser Tiere / bloß mit den Händen /ohne Jägerzeug und Jagthunde / ja noch darzu in so kleiner Zeit fangen können: zuvörderst wan man ihre von Gebuhrt eigene List und Geschwindigkeit betrachtet. Und eben darüm urteilen wir / daß die Almacht GOttes selbst diesem Jäger die Hand gebohten; gleichwie sie sonsten / in allen seinen wüchtigen Verrichtungen / getahn. Auch ist dieses nichts neues: weil man dergleichen schon zu Noah Zeiten [126] erfuhr; dem eben dieselbe Almacht GOttes ie sieben Paar von allen reinen Tieren des gantzen Erdbodems / und ie eines von den Unreinen fangen half / sie / in seinem Kasten / vor dem Verderben der Sündfluht zu bewahren.

(83) Sobald er seine Zahl vol hatte / nahm er einen nach dem andern / und band sie zu paaren bei den Schwäntzen zusammen. Zwischen iedes paar Schwäntze hing er einen feurigen Brand / den er mit einer Schnur fest machte. Mit diesen / so zu reden /Feuerwägen lies er die vorgespanneten Füchse lauffen / daß Feuer in die ümliegenden Felder zu führen. Sie hatten zum fortjagen keines Antreibers / auch keiner Peitsche nöhtig. Die Hitze des Feuers war ihnen Antreibers genug; ja selbst ihre Peitsche: zuvoraus wan sie / mit stähtigem und ängstigem hin und wieder schwänken der Schwäntze / dadurch sie die Gluht von sich wegzuwedeln und abzuwehren gedachten / das Feuer der Bränder immer mehr und mehr anweheten /ja solchergestalt brennen und flammen machten / daß es alles / was es antraf / in den liechten Brand setzte.

(84) Von dieser des Simsons wunderlichen Ahrt die feindlichen Länder durch Feuer zu veröden /darf ich schier sagen / daß die Holländer den Fund ihrer Brandschiffe / dadurch sie die feindlichen Kriegsfluhten anzuzünden und jämmerlich einzuäschern pflegen / zu unserer Väter Zeit abgesehen. Dan wie Simson / vermittelst solcher seiner Feuerwägen / der Filister Kornfelder / und Weinberge weit und breit in den Brand brachte; so bringen diese / durch ihre Feuerschiffe / welche sie unter die Feindlichen Kriegsfluhten lauffen laßen / derselben Schifsmacht / wo sie anstoßen / in vollen Brand. Ja beide führen / jene durch flüchtige Füchse fortgezogen / diese durch den Wind fortgejagt / den Feinden /zu ihrem Verderben / das verschlündende Feuer zu.

(85) Nachdem nun Simson seine sotahnig zu paaren aneinander gefesselte Gefangene loß gelaßen; da gab es ein recht lustiges Schauspiel. Sie vermeinten alle zusammen der Freiheit zu geniessen. Daher lieffen sie auch so flüchtig / als hetten sie die Eigenschaft der flüchtigen Flammen bekommen / und als würden sie von Windspielen gejagt / über strumpf und stiel [127] hin. Aber indem sie also hastig fortlieffen /warden sie garzubald gewahr / daß sie / durch solchen ihren Lauf / mehr nach dem Tode / dan nach dem Leben der Freiheit zueileten: Indem sie das Band märkten / damit zween und zween zusammengebunden sich befanden; da märkten sie zugleich / in was für einen gefährlichen Irgarten sie gerahten: zumahl als sie noch darzu die brennende Hitze des hintersich her schleppenden Feuers fühleten.

(86) Von dieser suchte sich einieder zu befreien. Einieder wolte derselben entfliehen. Alle zusammen trachteten ihr zu entlauffen. Und also wolte der eine der gepaarten hierhin / der andere dorthin. Der eine sprang auf die rechte: der andere lenkte sich auf die linke. Der eine blieb auf geraden Wege: der andere geriet auf den Zwerchweg. Und also stelleten sie sich schier eben an / als ehmahls die Sonnenrosse / welche durch ihren unerfahrnen jungen Fuhrman übel gelenket / die rechte Spuhr verliessen / und bald auf / bald nieder / bald gerade zu / bald in die kwähre fortranten. Aber indem einieder solcher gestalt vom Lauffe seines Gesellens abwich / warden sie alle stutzig. Alle musten stilhalten / indem der eine nicht wolte geschleppet sein / und der andere das Schleppen flohe.

(87) Doch dieses Stilhalten tauerte nicht lange. Der feurige Brand trieb sie / als eine scharfe Spisruhte /bald wieder fort. Ja er vertrieb gar bald / mit so heissen Schmitzen / ihr widerspänstiges Wesen. Und also geriet iedes uneinige Paar wieder in seine vorige Vereinigung. Also lieffen sie allezumahl wieder bei paaren fort. Ja sie ranten oder flogen vielmehr / als die Feuerpfeile / aus Furcht verbrant zu werden / durch das gantze Feld hin: indem ein iedes Paar einen sonderlichen Strich hielt. Ja sie nahmen nicht so viel Weile / nur einmahl nach ihrem so ungestühmen Stachel / der sie so heftig stach / sich ümzusehen: damit sie nicht etwan aufgehalten würden die Zeit ihrer Erlösung von so unerträglicher Angst zu verseumen.

(88) Wan wir hiesige Begäbnis der dreihundert Füchse Simsons bei dem Lichte des Urteils was näher beschauen; so finden wir ein recht ähnliches Vorbild jener dreierlei Geistlichen Schwärmrottender Jüden: nähmlich der Fariseer / Saduzeer /[128] und Esseer. Diese drei Fuchsahrten lies der himlische Simson / JESUS / unser Seelenbreutigam / in das Jüdische Kirchenfeld lauffen / wie der irdische Simson die seinigen in das Feld derFilister / solches zu veröden: weil ihm dieJüden / wie jenem die Filister / seine Braut treuloß / verrähterisch / und abspänstig gemacht / ja selbst einem Fremden gegeben. Sie verödeten es auch / mit ihren Schwärmereien / dermaßen / und brachten es endlich so weit / daß die Hauptstadt Jerusalem / gleichwie der verstoßene Breutigam ihr selbsten gedreuet / im Römischen Feuer / wie Simsons Brauthaus / weil dort eben / als hier / der Fadem zum Verderben gesponnen worden / jämmerlich auffliegen muste.

(89) Ja ich darf wohl sagen / daß durch Simsons Füchse nicht allein die Jüdischen Schwärmfüchse / sondern auch alle diejenigen / damit unser Seelenbreutigam nachmahls die Kristenheit selbsten / so oft sie seine Breutgamsliebe und Breutgamsstimme verschmähet / zu strafen pflegen /vorgebildet worden. Ich meine das listige Rottengeschmeusse / die betrüglichen Kätzer / die falschen Lehrer / die Irgeister / welche durch die Felder der Kristenheit / mit ihren falschen dampfenden Lichtern eben also herümschwärmen / als Simsons Füchse / durch die Felder der Filister / mit ihren Feuerbrändern.

(90) Simsons Füchse hatten lange langhährichte Schwäntze: diese Schwärmfüchse haben einen langen und breiten Anhang. Jene waren alle mit den Schwäntzen / darzwischen feurige Bränder staken /eine Verderbung anzurichten / zusammen gekuppelt und vereiniget; iedoch nicht einig im Lauffen: diese seind gleichesfals uneins im Lauffe der Lehre / in ihren Meinungen / und doch auch einig und zusammengekuppelt; indem sie allesamt einerlei Ziel haben / nähmlich die Menschen zu verführen / und zu verderben. Jene waren listig / betrüglich / und verschlagen: diese seind ebenmäßig also; indem sie ihre Lügen und Betrügereien so arglistig zu bemänteln wissen / daß sie auch die Auserkohrnen / wan es GOtt zuliesse / verführen möchten.

[129] (91) Dieser Geistlichen Schwarmfüchse / dieser betrüglichen Rottengeister ist auch noch itzund die gantze Kristenwelt überal vol. Dan darfür / daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen / damit sie sälig würde / hat ihr GOtt / jenes großen Heidenlehrers Weissagung wahr zu machen / so kräftige Irtühmer / zur Strafe / zugesandt / daß sie der Lügen mehr / als der Wahrheit gleubet. Und diese Strafe schleppet auch zugleich das Angstfeuer ihrer Gewissen / wie Simsons Füchse die feurigen Bränder /mit sich / daß sie verzweiflen müssen / wie Judas /der den Breutigam selbsten verriet. Ja es folget ihr endlich wohl gar das ewige höllische Feuer gleich als auf den Hakken nach.

(92) Weil nun / durch die Sonnenhitze / das Getreidicht der Filister eben so weit gereiffet war /daß es teils schon abgeschnitten lag / teils auch schon in Mandeln / teils noch auf dem dürren Halme stund; so fassete es den Brand / den diese Brandfüchse weit und breit herümschleppeten / gar leichtlich. Und also stund / in wenig Stunden / die gantze Gegend rund herüm in vollem Feuer: indem die Flammen dermaßen geschwinde fortlieffen / daß es schien / als hetten sie mit den Füchsen üm die Wette lauffen wollen. Ja sie kahmen ihnen an etlichen Oertern auch selbsten zuvor; also daß viele diesei armen Tierlein erfahren musten / daß sie sich / ihnen selbst zum Verderben /zu Brandstiftern und Mordbrennern gebrauchen laßen: indem sie mitten in der Gluht / welche sie auf allen Seiten umgab / ihr Leben jämmerlich einzubüßen gezwungen warden. Auch war es den übrigen ein großes Glük / wan sie mit der versängten nakten Haut dem wühtendem Feuer entschnapten.

(93) Es war gantz erschröklich anzusehen / wie das Feuer alles / was es ergrif / so uhrplötzlich auffraß. Noch erschröklicher war es anzuhören / wie die fortschüßende Flammen / eben als eine gewaltige durch irgend einen Tam gebrochene Wassersfluht / auf den Feldern hinkullerten und bullerten. Es rasselte und prasselte nicht anders / als ob ein geharnschtes Kriegesheer im Anzuge begriffen: als hörete man das stampen und trampeln / das puffen und tösen der Rosse. Es brummete [130] und summete nicht anders / als ob man irgend in der ferne ein donnern der Geschütze vernehme. Ja es gaben die grimmige Flammen ein solches abscheuliches Getöhne von sich / daß denen / die es anhöreten / die Haut schauerte / die Haare zu Berge stunden.

(94) In solcher algemeinen erbärmlichen Einäscherung / lies der grausame Rachen dieser heishungrigen Gluht / in der gantzen Gegend keinen Ort unangetastet / als wo er nichts / das ihm dienete / zu verschlingen fand. Ja er weidete seine Begierde selbst in den Weinbergen. Er sog den Saft / als gantz verdurstet /aus den Weinstökken so wohl / als aus den Trauben: davon er nichts mehr übrig lies / als die Asche. Er machte sich endlich auch an die Oehl- Mandel- und Feigen-beume. Diese verzehrte sein Schlund bis auf den ausgedürreten Stam: der nur allein / mit etlichen dikken Aesten / wiewohl gantz erschwartzet / stehen blieb.

(95) Als die benachbarten Filister diese so erschrökliche Feuersbrunst sahen / entsetzten sie sich dermaßen / daß sie nicht wusten / ob sie warten / oder lauffen solten. Etliche / denen der Muht noch nicht gantz entfallen / kahmen herzu das Feuer von ihren Grentzen abzuwehren. Aber sobald sie / in der nähe /die so plötzlich fortlauffenden grimmigen Flammen erblikten / und derselben so abscheuliches greuliches bullern höhreten; da überfiel sie die Furcht dermaßen / daß sie auf nichts anders gedachten / als nur ihr Leben zu retten. Sie vermeinten auch nicht anders /als ob / in selbiger Gegend / die Hölle / durch die Erde hin / einen so großen Ris gemacht / daß aus ihrem Abgrunde selbst das ewige Zornfeuer herauf gestiegen / den Erdkreus zu veröden.

(96) Andere / die den so gar geschwinden Fortlauf der Flamme beobachteten / bildeten ihnen ein / der erzürnete Himmel selbst habe sein leichtes Feuer über das Filisterland / gleichwie er ehmahls überSodoma und Gomorra brennenden Schwefel und Pech regnen laßen / herab gestürtzet / dasselbe zu verderben. Ja es fielen von diesem so unverhuhts entstandenem Brande / weil dessen Anstifter und Uhrhöber noch [131] [133]nicht bekant war / so viel unterschiedliche Meinungen / daß niemand wüste / welcher man gleuben solte.

(97) Simsons Schwiegervater / und treuloß gewordene Ehliebste schaueten dem noch immerzu fortwühtendem Brande / der gar bis an Timnat hinan sich ausstrekkete / selbsten / mit eben so großer / ja wohl weit grösserer Bestürtzung / auch zu. Ja sie märkten zur stunde / was die Glokke geschlagen. Zusehens bekahmen sie Schwahnsfedern. Ihr böses Gewissen plagte sie straks. Sie wusten sehr wohl / was für Böses sie verübet.

(98) Ihnen war noch in frischer Gedächtnis / wessen sich Simson / den sie zum höchsten erzürnet /verlauten laßen. Daher konten sie leichtlich vermuhten / daß / üm ihrer Mishandlung willen / ihr Vaterland in solches Verderben gerahten. Sie konten ihnen die Rechnung leichtlich machen / daß Simson seine gedreuete Rache / durch dieses Rachmittel / zu volziehen begonnen. Und eben darüm reuete sie itzund ihr begangenes Verbrächen. Darüm waren sie in unaussprächlicher Angst. Ja sie befahreten sich ieden Augenblik / diese Rache werde sie auch treffen: der Tod werde bei ihnen zu ärnten nuhn einkehren: nun werde er seine Sense / seine Sichel auf sie zükken.

(99) Es war erbärmlich anzusehen / wie Simsons gewesene Liebste sich so gar kläglich gebährdete. Die härtesten Steinritzen / ich schweige Menschliche Hertzen / hetten über ihr so heftiges Wehleiden zum Mitleiden mögen bewogen werden. Die Angst / welche sie fühlete / war unaussprechlich. Ja sie war so groß / daß sie / als eine / die alle Sinne verlohren / selbsten nicht wuste / was sie täht. Bald schlug sie / mit harten Schlägen / vor ihre Brust. Bald wand und rang sie die Hände. Bald fuhr sie mit denselben in das Haar: welches sie unbarmhertziger Weise zerzausete. Aber indem die Hände solcher gestalt geschäftig waren / stunden Mund und Zunge /gleich als ersteinet / eine guhte Weile / gantz stille. Eine lange Zeit gab sie keinen Laut von sich. Und da sich endlich die gantz erblassete / wo nicht gar erstarrete Lippen zu regen begunten / [133] kahm doch anders nichts heraus / als / mit einer ohnmächtigen halberstorbenen Stimme / nur dieses: »o Simson! Simson!«

(100) Nicht wenig entstellet befand sich auch ihr neuer Ehman / als einer / der an ihrem Verbrächen die meiste Schuld hatte. Er war es / der sie zur Untreue /zur Verrähterei am ersten beredet. Er war es / der sie dem Simson selbsten abspänstig gemacht. Er war es / der ihm das Seinige so tükkisch / so betrüglich /so muhtwillig entwendet. Und hierdurch hatte er sein gantzes Vaterland in ein solches Unheil gestürtzet. Darüm war er auch / indem er ein so schmertzliches Leidwesen seiner begangenen Untaht wegen empfand / in voller Unruhe. Sein Hertz / welches als zwischen zwei Bretern eingeklämmet lag / weissagte ihm selbsten nichts Guhtes. Er fürchtete sich / man würde deswegen ihn zur Strafe ziehen Er befahrete sich / es würde sein Leben kosten. Er besorgete sich / die erzürneten Filister würden ihren erlittenen Schaden / den er veruhrsachet / von ihm fordern.

(101) Bei schon begonnener Rache kömt die Reue zu spähte. Viel zu spähte war es / daß diese Verbrächer ihr so grobes Verbrächen zu bereuen gedachten / da sie das Strafschwert schon an die Gurgel gesetzt sahen. Sie hatten ihr Vaterland / und sich selbst in Jammer und Noht gebracht: und hieraus sich zu retten war nun kein Raht zu finden. Nunmehr half kein härmen / kein kärmen / kein weinen / kein wimmern /noch wimmerleichen. Sie waren einmahl vom Himmel selbst zum endlichen Untergange verurteilet: und wider dieses Urteil vermochten sie nicht zu rechten. Ein Höheres zu hohlen / weil dieses das Höchste war / stund nicht in ihrer Macht. Der Ausspruch des höchsten Gerichtstuhles war schon geschehen: und dieser konte nicht widerrufen werden.

(102) Weil nun der Rauch und Schmauch dieser Feuersbrunst die gantze Luft bis schier an den Himmel erfüllete / konten auch die weitentlegnesten daraus von der grösse derselben / wiewohl ihr Auge sie selbst nicht zu erreichen vermochte / leichtlich urteilen. Diese gerieten Anfangs in die Gedanken / daß etwan das Irdische Feuer sich / mit dem Himlischen zu streiten / auf einmahl und an einem Orte so [134] heuffig versamlet: und daß es zu dem Ende einen so mächtigen Vortrab seiner dikken Dämpfe nach dem Himmel zu voran geschikt / damit jenes verhindert würde die Heersmacht seiner Strahlen herunter zu senden.

(103) Endlich erschol der Ruf dieser traurigen Einäscherung durch alle ümliegende Länder und Städte. Niemand aber wuste / wer sie gestiftet / als der Stifter und Uhrhöber selbst / und die ihn darzu veruhrsachet. Der eine legte die Taht auf diesen / der andere auf jenen. Einieder riet nach seinen eigenen Gedanken. Iedoch erriet keiner sobald den schuldigen Tähter.

(104) Etliche wähneten zugleich / daß dieses Unheil / weil es so gar groß / von keiner Menschlichen Hand herrührete. Sie gaben vor / es sei eine Würkung des Glüksfalles; es sei irgends von ohngefähr geschehen: indem sich etwan die untererdischen Berggewächse / die eine sonderliche Feuerahrt in ihrem Busem hägeten / von selbsten entzündet.

(105) Andere stunden in den Gedanken / es möchten vielleicht die Hürten / eine neue und frische Weide für das Vieh zu bekommen / das alte verdorrete Graß irgendwo angezündet haben: da dan das Feuer zugleich das Getreidicht auf den Feldern ergriffen / und einen so großen Brandschaden angerichtet. Die meisten aber schrieben es / als ein Strafübel / der Hand GOttes zu; der hierdurch den Filistern seinen Zorn blikken laßen.

(106) Bei so ungleichen und irrigen Wahngedanken verlangten sie gleichwohl alle miteinander den rechten Uhrhöber zu erfahren. So vorwitzig oder vielmehr aberwitzig ist das Menschliche Gemüht vielmahls in dergleichen Ausgrüblungen / daß es sich zum öftern eher üm den Anstifter des Ubels / als üm dessen Verhinderung und Abwendung bekümmert. Wir forschen gemeiniglich lieber dem Tähter nach /der uns das Verderben brauet / als daß wir solches /weil es noch Zeit ist / abzuwehren bemühet sein solten. Ja wir wähnen / wan wir nur denselben gefunden / ob das Verderben schon allenthalben die Oberhand genommen / daß wir alsdan / wo nicht zur Rettung /dannoch zum Troste / für uns einen großen Fund getahn.

(107) Die Vermuhtungen gerieten gar stark auf den einigen [135] Simson. Und diesen gleubete man üm so viel eher / als man gewis wuste / daß ihn sein Schwiegervater so unbilliger Weise seiner Ehfraue beraubet /und sie einem andern gegeben: indem man leichtlich gedenken konte / daß er / durch diese Schmach angereitzet / zu solcher Rache sich entschlossen. Aber wie ein einiger Man ein solches so großes Land / das die Wuht vieler tausend Feinde / mit geringerem Verluste / zu sättigen genug gewesen / in so wenigen Stunden zu verheeren vermocht / konten sie nicht begreiffen. Gleichwohl ward es / auf scharfes Nachfragen / kund /daß diese Vermuhtungen den rechten Tähter getroffen.

(108) Nachdem nun die Filister / durch solche Kundschaft / in ihren Vermuhtungen sich vergewissert sahen; da schrieben sie von Stunden an einen algemeinen Landtag aus. Die Landsbohten eileten ihre Befehle zu verrichten. Nicht weniger hasteten sich alle fünf Kreusfürsten am bestirnten Orte zu erscheinen. Dieser war Timnat / der Springbrun /daraus die Feuersfluht / die das Land überschwämmet / ihren ersten Uhrsprung gewonnen. Alhier war es / da sich schier alle des Filisterlandes Einwohner versandeten. Ja selbst die Weiber lieffen dahin / dasselbe Weib zu sehen / das ein so großes Landverderben angerichtet.

(109) Die Sache / die man alhier abhandlen solte /war wüchtig. Sie betraf alle Filister. Sie ging das gantze Filisterland an. Darüm muste freilich auf aller Filister zustimmen / der Schlus gemacht werden. Weil Simson der Tähter war / der ihnen einen so unersetzlichen Schaden zugefüget; so ging ihr gantzer Zorn anfangs nur auf ihn. Auf ihn / stimmeten die meisten / solte man seinen Zorn ausgüßen. An ihm solte man sich rächen. Ihn wolten sie in Stükke zerreissen. Ihn wolten sie mit Feuer verbrennen / ja wohl gar lebendig brahten.

(110) Aber diesen Stimmen des Gemeinen Völkleins / das / seiner Unbesonnenheit und Unvorsichtigkeit nach / gemeiniglich obenaus / und nirgend an denket / widersprachen die Vornehmsten; welche was vorsichtiger waren / und der Sache Beschaffenheit /mit reifferem Urteile / nachdachten. Sie meinten: ›es sei gantz nicht rahtsam sich wider einen solchen / [136] dessen unüberwindliche Tapferkeit / aus dem Gerüchte seiner Heldentahten / man überal kennete / zu streuben: es sei nichts töhrichter / als wider Simsons übermenschliche Stärke / die alles / was ihr aufstiesse / zerschmetterte / die Waffen zu ergreiffen: ja es sei anders nicht / als den endlichen Untergang ihm selbst über den Hals zu ziehen / wan man sich unterfinge die Großmühtigkeit eines solchen Heldens / der mit so vielen Siegen schon prangete / Kampf anzubieten.‹

(111) Hierzu fügten sie noch dieses: ›Simsons bloße Stimme / so oft er sie ergrimmet ausliesse / sei so durchdringend und so mächtig / daß dieselben /welche sie höreten / für Furcht böben / und für Schrökken erzittern müsten. Nur eines seiner Worte /im Zorne gesprochen / hette mehr Kraft seine Widerfechter in die Flucht zu jagen / als ein mächtiges Kriegesheer. Ja der Schal allein seines Nahmens / den man irgendwo nennen hörete / sei nicht weniger erschröklich / als ein Donnerschlag / und nicht weniger kräftig / als ein Donnerkeul. Und eben darüm solte man sich wohl bedenken / ehe man wider einen solchen Wunderman einige Feindsäligkeit ausliesse; ungeachtet dessen / daß er sich zuerst wider sie feindsälig er wiesen.‹

(112) Auf solche der Vornehmsten so einhällige Stimmen stund endlich der Vorsitzer im algemeinen Stahtsrahte selbst auf. Dieser / weil er im Ansehen das meiste galt / und die meiste Macht hatte / drung auch am meisten durch. Er brachte die unbesonnene Gemeine vollend auf die Spuhr eines gesünderen Urteils. ›Es sei schweer‹ / sagte er / ›wider den Stachel zu läkken. Es sei gefährlich wider einen flügenden Donnerkeul / der alles / was er nur anrührete / zerschmetterte / sich zu rüsten. Eben so schweer / und eben so gefährlich sei es / den gezörgeten / und erzürneten Simson / dessen wunderstärke Stachels genug / und er selbsten Donnerkeules genug were /noch mehr zu zörgen. Sie wüsten sehr wohl / was für Hertzeleid / ja was für Schmaach ihm etliche Filister zugefüget: welches ihn dan dermaßen geschmertzet / daß sein rechtfärtiger Grim sich in den Grentzen der Schuldigen nicht halten können / sondern gantz zaumloß über alle zugleich ausgestürtzet.

[137] (113) Vielmehr‹ / fuhr er fort / ›solten sie / durch solche seine Schmertzen / zum billigen Mitleiden / als zu einer so gefährlichen Rache / bewogen werden. Vielmehr solten sie ihn zu begühtigen / als noch heftiger zu erzürnen suchen. Vielmehr solten sie seinen empfangenen Schimpf / als ihre von ihm deswegen empfangene Beleidigung / zu rächen trachten. Viel mehr solten sie dieselben / welche die Beweguhrsache zu solcher Beleidigung gewesen / als den Beleidiger selbst / zur Rache ziehen. Die Wurtzel des Baumes /der giftige Früchte trüge / müste man billich ausrotten. Simsons treuloses Ehweib were derselbe Baum / der den Filistern so giftige Früchte getragen: drüm solte man sie / samt ihrem Anhange / aus diesem Volke nur straks ausrotten. Ja hette sie / wie die Taht selbsten bezeugte / durch ihr Feuriges Gift /die geschehene Feuersbrunst veruhrsachet; so solte /ja müste sie / zur Strafe / samt ihrem gantzen Hause /billich mit Feuer verbrant werden.‹

(114) Alle diese aus einem reiffen Urteile geflossene Bewegreden vermochten so viel / daß der Gemeine Man / mit einhälligem Zurufe / sie alsobald guthies. Einieder rief mit lauter Stimme: man solte das verrähterische Weib verbrennen. Alle schrieen zugleich: »weg! weg mit dieser Verrähterin! Weg! weg mit dem ehrlosen verrähterischen Hauffen! weg! weg zum Feuer mit allen denselben / die unser Vaterland in ein so gar verderbliches Feuer gestürtzet.«

(115) Nicht nur die Männer liessen diese Rachstimmen hören. Die Weiber selbst stimmeten mit ein. Kein einiges war unter der gantzen Mänge / welches das Ehr- und Gott-lose Weib nur mit einem Worte zu entschuldigen / oder zu beklagen sich vernehmen lies. So erbittert war die gantze Gemeine / daß alle Männer / und Weiber / auch die Jungfrauen selbst ihr den allerschmählichsten Tod anzuthun einmühtiglich begehrten. Ja das Rachschreien / das Straferufen war so groß / daß es durch die gantze Stadt Timnat hin klung / und die Luft selbsten bis schier an die Wolken erfüllete.

(116) Und also ward endlich der Schlus gemacht /und vor den Ohren aller Filister / die zugegen waren / öffendlich abgelesen. Dieser lautete ohngefähr also: ›Weil Simsons [138] treuloses Ehweib ihren Ehman verrahten / ja noch darzu / auf guhtheissen ihres Vaters / mit einem andern sich verehliget / und hierdurch den neulich entstandenen Landverderblichen algemeinen Feuerschaden den Filistern über den Hals gezogen; so solte sie / andern zur Abscheu /als eine Verrähterin / Ehbrächerin / und Brandstifterin / samt ihrem Vater / und neuem Ehmanne / Simsons grimmigen Rachzorn zu besänftigen / in ihrem eigenen Hause verbrant werden.‹

(117) Ein solches Urteil bekahm diese Frau: welche / durch die Flucht für dem Feuer / sich selbst ins Feuer stürtzte. Ein solcher Glüks- oder vielmehr Unglüks-fal war ihr bescheeret / daß sie / die kurtz zuvor dem gedreueten Feuer / durch Verrähterei / entflohen /itzund eben darüm zur Feuerstrafe verurteilet ward. Und dieses muste so wohl / als jenes / durch ihre selbst eigene Landsleute geschehen. Wie jene sie mit Feuer gedreuet / imfal sie ihnen / ihres Ehgattens Heimligkeit zu verrahten / nicht würkliehe folge leistete; also verurteilten sie diese / weil sie solches getahn / zum Feuer.

(118) So geriet dan diese drängsälige Tröpffin /durch eben das Mittel / ins Verderben / durch welches sie dasselbe zu vermeiden getrachtet. Wir Sterbliche scheinen im Unglükskreuse dieser Welt dermassen eingesperret zu sein / daß uns das Unglük / eben als ein bällender Hund / ie ämsiger wir bemühet seind ihm zu entlauffen / ie heftiger verfolget. Ja ob wir schon noch so fleissig nach einiger Auskunft suchen /wissen wir doch keine zu finden / als die uns endlich der Todt anweiset.

(119) Dieser / und niemand anders zeiget uns die änge Tühre zum Ausgange / zur Ausflucht aus hiesigem Unglükskreuse; ja er ist dieselbe selbst / die uns /imfal wir / durch Fromsein / darnach streben / in die immerwährende Glüksäligkeit einführet. Dieser weiset uns den Hafen / ja bringet uns selbsten dahin; da wir / aus der ungestühmen Unglükssee dieser Sterbligkeit erlöset / im ewigen Glüksleben endlich anländen. Dieser allein ist es / der uns / aus dem Irgarten dieses zeitlichen Elendes / dieser irdischen Trübsalen / in das Paradies des ewigen Wohllebens / der Himlischen Freuden einleitet.

(120) Nachdem nun gemeldtes Urteil ausgesprochen / und [139] öffentlich abgelesen war; da erhub sich unter der Mänge des Volkes von stunden an ein so großes Getümmel / daß die Fünffürsten solches zu stillen genug zu tuhn fanden. Der gemeine Man wolte straks hinlauffen die Verurteilten zu verbrennen. Ihr Haus wolte man straks anzünden. Straks solte die zuerkante Strafe volbracht werden. Und zu dem Ende kahmen die Weiber / etliche mit Feuerbrändern / andere mit Reisholtze / noch andere mit Strohe / das Feuer anzulegen / schon herzu gelauffen.

(121) Weil sich aber der Stahtsraht besorgete / der angelegte Brand möchte / bei solcher Unordnung / die bestimten Grentzen überschreiten / und die andern Heuser mit angreiffen; so liessen die Fünffürsten dem Volke gebieten / die verurteilten in ihrem Hause / mit starken Wachen / bis auf die Volziehung des Urteils zu bewahren. Dieses Haus stund zwar gantz allein /und von andern abgesondert. Gleichwohl befand es sich schier mitten in der Stadt. Daher hetten die flügende Feuerfunken auf eines oder wohl mehr von den ringst ümherliegenden Gebeuen leichtlich fallen / und sie zugleich anstekken können.

(122) Hierbei ward auch / das tobende Völklein üm so viel eher zu befriedigen / öffendlich ausgerufen: daß der Stahtsraht den folgenden Tag zur Volziehung des Urteils bestimmet; da sich dan einieder / der Amteshalben gegenwärtig sein müste / derselben bei zuwohnen solte gefast halten. Ja man lies auch zugleich den Verurteilten ansagen: daß sie sich gegen künftigen Tag zum Tode bereiten / und alle dieselben / die nicht im Urteile begriffen / von stunden an / vor dem Stahtsrahte zu erscheinen / aus dem Hause schaffen solten.

(123) Unter diesen Armsäligen war des verurteilten Weibes Mutter / und jüngere Schwester / eine Jungfrau von ohngefähr sechszehen Jahren. Jene ward zum allerersten vor den Stahtsraht / sie zu unterfragen / gebracht. Weil sie nun selbsten straks bekante / daß sie die zweite Ehbrächerische Heurraht ihrer verurteilten Tochter mitbewilliget; so lies man sie / bis auf weiteres Bedenken / gefänglich einziehen.

(124) Hierauf führete man gleichesfals die Tochter hinein: welche / weil sie über die maße schön war /aller Augen und [140] Gemühter auf sich zog. Der Leib stund / mit einer mittelmäßigen Länge / gantz gerade /gantz schlank / und mit allen seinen Gliedern / überaus wohlgebildet / in die Höhe geschossen. Die Farbe seiner reinlich-glatten / und zährtlich-weichen Haut befand sich / über die Gewohnheit der daselbigen Landesahrt / gantz weis / wie der erstgefallene reineste Schnee. Nur die Lippen waren mit einer anmuhtigen Rubienfarbe / so auch die Wangen mit einer lieblich-zahrten Röhte recht zierlich überröhtet. Ja diese so ausbündige Leibesschönheit verschönerte das itzige / bei so betrübtem Zustande des Väterlichen Hauses / entstandene trübselige klägliche Wesen noch vielmehr.

(125) Ein solches Wesen / welches ohne das auch überaus züchtig und schamhaftig war / machte sie itzund üm so viel angenehmer; indem es die schönen in so schönem Leibe wohnenden Tugenden augenscheinlich darstellete. Niemand unter allen / welche sie sahen / konte die traurigen / doch auch zugleich lieblichen schwartzbraunen Augen / die unaufhörlich mit Trähnen flössen / ohne sonderliches Mitleiden anschauen. Aus diesen so schönen / so liebsäligen Augen / daraus / als aus zwei Hertzensfenstern / die Unschuld / mit so vielem ihrem Geschwister / leibhaftig hervorblikte / schlos der gantze Stahtsraht zur stunde / daß sie am Verbrächen der Ihrigen kein Anteil hette. Und darüm war niemand / der / sie zu unterfragen / nur die Gedanken bekahm.

(126) Aber sie warden alle zum höchsten bestürtzt / als sie die erste war / die zu reden anfing; indem sie solches mit eben so hertzentzükkenden demühtigen Gebährden / als wehmütiger gantz kläglich-beweglicher Stimme verrichtete. Weil sie vernommen / daß man ihre Mutter gefänglich einziehen lassen; so baht sie gantz inständig / ihr diese Gnade zu erweisen /daß sie derselben / in ihrem Gefängnisse / teils Geselschaft / teils Handreichung tuhn möchte. Solches erheischete / fuhr sie fort / ihre kindliche Liebe. Hierzu verpflichtete sie die Treue / welche sie derselben /unter derer Hertzen sie gelegen / auch bis zum Tode selbst / zu leisten schuldig. Sie begehrte / schlos sie ihre Reden / kein anderes Glük / als dasselbe / darzu der Himmel ihre Mutter bestimmet.

[141] (127) Uber diese so gar große / so gar ungewöhnliche Tugend einer so jungen Bluhme waren alle / die im Stahtsrahte saßen / zum höchsten verwundert. Einieder priese sie überlaut. Einieder rühmete sie über die maße. Einieder erhub sie schier bis in den Himmel / von dannen sie auch / die Sterblichen su besäligen /gekommen. Aber niemand konte / noch wolte zulaßen / daß eine so fürträfliche Schönheit ihren helleuchtenden Glantz in ein fünsteres Gefängnis gleichsam verstekken / und den Augen der Welt entziehen solte. Sie sei würdiger / sagten sie ingesamt / in Fürstlichen Schlössern zu wohnen / als daß man ihr / bei einer alten Mutter zu eralten / und in einem düsteren Loche verdüstert zu werden / gestatten solte.

(128) Der älteste Fünffürst selbsten / der dazumahl Obervorsitzer war / redete mit gantz beweglichen leutsäligen Worten ihr zu. Er bemühete sich die Trübsälige von einem so unziemlichen schädlichem Vorsatze zu einem ziemlichem / und ihrer Schönheit und Tugend mehr anständigem zu bewegen. Ja weil er Kinderloß war / boht er ihr endlich selbsten an / sie an Tochter stat anzunehmen. Weil sie / fuhr er fort /der Himmel so unglüklich gemacht / daß sie ihres Vaters und ihrer Mutter verlustig sein müste: so schien er sie gleichwohl itzund wieder zu beglükken; indem er ihn zu dieser Entschlüßung bewogen / daß er ihr Vater / und seine Gemahlin ihre Mutter sein solte.

(129) Dieses des Fünffürsten so gnädiges Erbieten anzunehmen trachteten zugleich alle die andern sie zu bereden. Einieder hielt ihr vor: sie solte bedenken /was für ein Glük es sei aus einem gemeinen Bürgerlichem in den Fürstenstand erhoben zu werden. Sie solte behertzigen / wie lieb der Himmel sie hette; der sie nur darüm so unglüklich gemacht zu haben schien / damit er sie in ein viel grösseres Glük versetzen möchte. Den solte sie / durch Verweigerung solches Glük anzunehmen / ja nicht erzürnen. Eine Gnade des Himmels zu verschmähen / sei eben so viel / als ihn ungnädig begehren. Seine Gühte zu veiwerfen / sei nicht anders / als ihn ungühtig machen wollen. Und auf solche Widerwilligkeit folgete die gewisse Strafe.

(130) Aber alle diese Bewegreden waren vergebens. Alle [142] Rahtsmittel / alle Vorschläge von ihrem Vorsatze sie abzuziehen schlug sie sämtlich in den Wind. Ihr Gemüht blieb unbeweglich / ihr Vorsatz unveränderlich. ›Sie wolte / noch könte‹ / sagte sie /›ihre Mutter nicht verlaßen; zuvoraus weil ihr Glüksfal in einen so gar elenden Jammerstand sie versetzet. Sie wolte / ja müste mit ihr Guhtes und Böses ausstehen. Im allerfünstersten Gefängnisse würde dannoch ihre Tugend leuchten. Ja sie würde vielmehr leuchten / wan man ihr vergönte diese Treue / diese Liebe / wie sie gäntzlich beschlossen / ihrer Mutter zu erweisen. Der Himmel / der solches befohlen / würde deswegen über sie nicht zürnen. Vielmehr Gnade würde sie / indem sie also seinem Befehle gehorchte /von ihm erlangen. Hingegen müste sie seiner Strafe gewärtig sein; so fern sie / seinem Willen zuwider /ihre Mutter / in ihrer Noht und Trübsal verliesse / und ihrer / bei irgend einem wohllüstigem Leben / vergäße.‹

(131) Der Obervorsitzer fing hierauf wieder an zu reden. Wieder war er bemühet diesen Vorsatz ihr aus dem Sinne zu schwatzen. Unter andern gab er zu vernehmen: man wolte ihr alles / was sie auch immermehr bitten würde / sofern es ihr könte zugestanden werden / unverweigerlich zustehen. Nichts / ja gar nichts / was sie begehrte / wolte man ihr versagen. Nur allein vom Gefängnisse solte sie stil schweigen. Hierein zu gehen würde man ihr nimmermehr gestatten. Er für sein teil sei entschlossen / ihr lieber sein halbes Fürstentuhm / wan sie ihn darüm anlangete /abzuträhten / als in eine solche Bitte zu willigen. Ja sie solte versichert sein vom Stahtsrahte noch vielmehr zu erhalten. Aber daß sie sich des Glüks / oder vielmehr Unglüks ihrer Mutter teilhaftig machte /würde sie nimmermehr erhalten.

(132) Endlich / als man sahe / daß sie so gar fest auf ihrem Vorsatze verharrete / schlug man ihr noch dieses vor: sie solte dan / weil sie ja sonsten üm nichts anders zu bitten gesonnen / üm die Freiheit ihrer Mutter bitten. Auch dieses solte man ihr nicht abschlagen. Ihre große Tugend allein würde solches erhalten. Auf ihr begehren / und ihr zu liebe / ja zum troste / wolte man ihre Mutter von stunden an loß laßen. Von stunden [143] an solte sie ihrer Haft und ihres Gefängnisses entschlagen sein.

(133) Auf diesen so angenehmen / als unvermuhteten Vorschlag / fiel sie vol Freuden vor dem Stahtsrahte zur Erde nieder. Sie dankte Demselben für solche seine so hohe / so übermäßige Gnade; darüm sie Ihn / aus eigenem Antriebe / nicht anlangen dürfen. Weil sie aber / dessen sich zu unterfangen / von Ihm selbst gleichsam angetrieben würde; so könte sie anders nicht tuhn / als seinem so gühtigen Befehle gehohrsamen. Und dieses bezeugte der allerdemühtigste Fußfal / den sie itzund verrichtete: darzu sie zugleich diese gantz untertähnige Bitte fügte / daß man ihr dieselbe Gewährung / die man ihr so mildgühtig selbsten angebohten / widerfahren zu laßen gnädig geruhen wolle. Imfal man solches tähte / und ihre liebe Mutter aus ihrer Verhaftung loß liesse / würde sie nicht allein fröhlicher wieder aufstehen / sondern auch ihr gantzes Leben dem Stahtsrahte zum Eigentuhme wiedmen.

(134) Eben bei Schlüßung dieser Reden / kahm die Mutter selbst / die man hohlen zu laßen unterdessen ausgeschikt / in den Stahtssaal geträhten. Wie froh über diese Ankunft die Tochter war / ist nicht zu beschreiben. Sie sprang eilend auf / und lief ihr entgegen. Selbst im beisein so vieler Fürsten und Herren /fiel sie ihr üm den Hals / und empfing sie mit lauter Freudenküssen: die auf beiden Seiten mit vielen Freudenträhnen vermischt warden. Ja sie gebährdete sich nicht anders / als hetten sie einander in langer Zeit nicht gesehen.

(135) Nach volendeten diesen unterlichen Freudenbezeugungen / bedankte sich die Jungfrau gegen den Stahtsraht abermahl / daß er ihrer Mutter / auf ihr Bitten / die Freiheit wiedergeschenket. Auch baht sie zugleich / ihr nicht zu verargen / daß sie / aus übermäßiger kindlicher Liebe / deß Ansehens / und der Ehre /welche sie ihrer Obrigkeit zu geben schuldig / beinahe vergessen: indem sie / in ihrer Gegenwart / sich nicht entzogen ihrer Mutter mit solchen Liebesbezeugungen / die anderswo sich besser geziemet / so überflüßig zu begegnen.

(136) Weil nun / mit dem Abende / die Zeit herbei kahm / da der Stahtsraht scheiden solte / ward zu berahtschlagen nichts [144] mehr vorgenommen / als wie man diese Jungfrau / samt ihrer Mutter / in Sicherheit bringen möchte. Man besorgete sich / das gemeine Völklein / wan es der Mutter Entschlag erführe / würde darwider murren. Man befahrete sich / es möchte dadurch zum Aufstande bewegt werden. Man befürchtete sich / es möchte sich unterfangen an beiden einige Gewalttähtigkeit zu verüben. Und darüm sahe man für guht an sie heimlich an des Obervorsitzers Hof zu senden: da sie / weit genug von aller Gefahr / in Sicherheit leben / und das traurige Schauspiel / bei Einäscherung ihres Hauses / und Hinrichtung der verurteilten Ihrigen / nicht sehen könten.

(137) Hierzu ward dan die nächstkünftige Nacht bestimmet; weil die Volziehung des Urteils am folgenden Tage geschehen solte. Straks ward des Obervorsitzers Reisewagen / darinnen sie sitzen solten /angespannet. Seine Diener / welche sie zubegleiten befehl bekahmen / musten zur stunde sich färtig machen. Es ging alles gantz hastig zu. Alles muste schleunig geschehen. Und also schieden diese zwo Armsäligen von Timnat. Also verliessen sie / mit dieser Stadt / ihr unglükliches Haus / welches in wenig Stunden / zusamt den ihrigen / verbrant zu werden bestirnt war.

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TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Romane. Simson. Das 3. Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AEA6-E