Ein ander Sendschreiben an Ihro Gnaden der Frau Oberhofmeisterin Fräulein Tochter

Mein Hochwohlgebohrnes Fräulein!
Gib der grossen Bitte statt,
Daß mein Brief ein holdes Auge von Dir zu gewarten hat.
Laß jetzt dein moralisch Buch auf dem Tische vor dir liegen;
Laß auch dein poetisch Werk, welches dir so viel Vergnügen
In dem innersten erwecket, unveröffnet vor dir stehn,
Such davor mein mattes Schreiben hold und gütig anzusehn.
Holdes Fräulein! ja mein Herz sagt mir, es wird dir gelingen,
Und mein Wünschen wird von dir deine Gunst zurücke bringen.
Ja wie könt es anders kommen, da die Großmuth in dir lebt,
Und die Tugend dich regieret, und die Klugheit dich erhebt,
Und die Höflichkeit dich schmückt. In den angenehmen Stunden
Die ich bey dir zugebracht/ hab ich alles dieß gefunden.
Sonsten sagt man: Welche Seele fromm und tugenhafft will seyn,
Soll nicht an den Höfen leben. Doch dieß trift bey dir nicht ein.
Deine theure Mutter-Hand die mir unverdient gewogen,
Hat dich klug und tugendhaft, fromm und sittsam auferzogen,
Sie hat dir durch ihr Exempel einen guten Weg gebahnt,
Und du hast, Geliebtes Fräulein, Ihr in allen nachgeahmt.
Was ist das vor eine Lust, wenn die Eltern nach Bemühen,
Und nach angewandtem Fleiß wohlgerathne Kinder ziehen;
Wenn sie ihren Lehren folgen, und die Bahn der Weisheit gehn!
Wer Beweiß von mir verlanget, mag mein Fräulein! auf dich sehn;
So wird er zufrieden seyn: Und wird frölich mit mir sagen:
Deines Namens Trefflichkeit müß man zu den Sternen tragen!
Weil du nun so wohl gegründet und in guten fest gesetzt,
So wird auch dein Herz nicht leichtlich von der Eitelkeit verletzt.
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Das Gestümmel dieser Welt und des Hofs kan deine Jugend
Von der edlen Weisheits-Bahn, und den Schranken wahrer Tugend
Nicht ableiten und verreitzen. Du bezeigst dich als ein Held,
Der stets auf der Wache stehet, und den Feind zurücke prellt.
Du führst mit dir selber Krieg, und bezwingest deinen Willen.
Also gehet Salomons Wort und Meinung ins Erfüllen,
Daß man dich als eine Heldin ihrer Regung nennen kan.
Wer so kämpfet, wer so sieget, hat das größte Werk gethan.
Hast Du deiner Herzogin deine Schuldigkeit bewiesen;
Den Prinzeßin aufgewart't, o! so gehest du nach diesen
Wieder in dein stilles Zimmer, und ergreifst ein schönes Buch,
Dieses ist dein Zeitvertreiber, der belustget dich genug.
Sitzen andre hier und dort und ergötzen sich mit Scherzen,
Spielen, tanzen, singen sie, so verlachst du dieß im Herzen.
Dein erleichter Geist verhöhnet diese niederträchtge Lust,
Du vergnügest dein Gemüthe; du erquickest deine Brust
An der Weisheit. Die Vernunft muß dir Hand und Seele führen,
Und dein Werk, und was du thust, schön mit ihren Schätzen zieren.
Wären alle Frauenzimmer doch von gleicher Eigenschaft,
Weise, klug, galant und redlich, höflich, keusch und tugendhaft,
So, wie du, vollkommnes Kind! o! so wär die Tugend lachen,
Daß man so ihr Reich vermehrt. Aber nein! in allen Sachen
Findt man gut und böse Arten, damit man den Unterschied
Zwischen denen Laster-Kindern und den Tugend Bildern sieht.
Schaut man dieß, so lernt man auch jene hassen und vermeiden,
Diese ehren, auf sie sehn, und den Geist an sie zu weiden.
Dieses muß ich auch betrachten, dieses weiß und thu ich auch,
Ich verehr dich in der Stille, u. nicht nach der Heuchler Brauch.
Stetig kömst du mir in Sinn, denn dein angenehm Bezeigen
Gegen jede, die dich sehn, macht dir alle Herzen eigen.
Edle Seele! wie vergnüget hab ich jüngst bis in die Nacht
Als wärs nur ein viertel Stündgen, meine Zeit mit dir vollbracht!
Klugheit, Tugend, Frömigkeit und ein hold und redlichs Wesen,
Kan man dir an Aug und Stirn, an Gestalt und Mienen lesen.
Stunden werden zu Minuten, wenn man bey dir sitzen kan,
Such ich dich mir vorzustellen, so vergnüg ich mich daran.
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Holde Zeit, wenn winkst du mir, daß ich bald das Glück geniesse,
Und Mein Fräulein! deine Hand, Mund und Wangen zärtlich küsse?
Deine schöne Eigenschaften fesseln mich und meinen Sinn,
Daß, wenn ich an dich gedenke, weiß ich selbst nicht, wo ich bin.
Wallte dorten Davids Herz, wenn er Jonathan erblickte,
Wenn er ihn aus Redlichkeit und aus Liebe an sich drückte;
O! so spührt ich gleiche Regung, da ich deinen Kuß bekam,
Und ich mit gebrochnen Worten gute Nacht u. Abschied nahm.
Liebe, Freud und Traurigkeit nahmen meinen Geist gefangen,
Fuhr mein Geist nachdem wohin, bist du allzeit mitgegangen.
Wie verlanget mich so herzlich dich bald wiederum zu sehn,
Und, Hochwohlgebohrne Freundin! höchtsvergnügt bey dir zu stehn!
Unterdessen lebe wohl! und erhalt mir deine Liebe,
Bis der Tod zu meinem Glück seine Wuth an mir verübe.

Den 4. Oct. 1737.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Vermischte Gedichte. Ein ander Sendschreiben [2]. Ein ander Sendschreiben [2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ADD9-4