Zufällige und sogleich entworfene Gedanken, bey einem Spatzier-Gange

Minerva ginge jüngst aufs bunte Weisen-Feld,
Und sahe Ceres Pracht, die Seegens-schwangren Aecker,
Sie sagte zu sich selbst: das sind die Lust-Erwecker,
Hier freuet sich der Baur, der Bürger und der Held.
Sie satzte sich darauf an eine klare Quelle,
Und sprach: Ist Echo nicht allhier mein Sprach-Geselle?
Nachdem sie dieß gesagt, so wande sie sich um,
Und sah zur rechten Hand die werthen Caritinen/
Sie grüßten selbige mit Ehrfurchtsvollen Mienen.
Wie? sprach sie, find ich euch in Ceres Eigenthum?
Ihr liebsten! setzet euch, ich will euch etwas fragen,
Ihr solt mir euren Spruch und eure Meinung sagen.
Aglaja! sage mir: Ist die Gelehrsamkeit
In einem höhern Werth als ein beredtes Wesen?
Worauf dieselbe sprach: Wer Weisheit auserlesen
Den Ehren Könige, sie lassen weit und breit,
Von vielen Orten her, gelehrte Männer hohlen,
Und haben ihren Staat denselben anbefohlen.
Es wird des Königs Thron durch diese unterstützt:
Denn ein Gelehrter kan auch andre glücklich machen,
Wofern er ihnen lehrt die ihm vertraute Sachen,
Und treulich offenbahrt was Staats Ministern nützt.
Gelehrter Leute Witz ist jedermann beliebet,
So, daß sich Herz und Geist denselben übergiebet.
Und sterben sie, so ist ihr Name doch nicht todt,
Man lässet ihnen Denk- und Ehren-Maale bauen,
Drum sind sie freylich auch vor edel anzuschauen.
Allein Beredsamkeit reißt auch aus vieler Noth:
Seht Abgesandte an, wenn sie gleich viel verstehen,
Und doch nicht Redner sind, wie schlecht die Sachen gehen.
Ein Lehrer, der den Kern der Weisheit in sich hat,
Ist aber nicht geschickt dieselbe vorzutragen;
Kan denn der Schüler wohl von Nutz und Wachsthum sagen?
Wie kan ein Advocat, der bald von Reden matt,
Und arm an Worten wird, den Gegner widerlegen,
Und seines Richters Sinn zum guten Schluß bewegen?
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Was kan ein Redner nicht, vor Vortheil nach sich ziehn?
Hat einer gleich nicht viel gelernet und studiret,
Wofern er Mundwerk hat, und guten Einfall spühret:
So muß sein Glück und Wohl trotz dem Gelehrtsten blühn:
Warum? Er weis sein Thun bey nur vorhandnen Fällen,
Nachsinnlich darzuthun und an das Licht zu stellen.
Man liebt und ehret den, der fertge Lippen hat.
Fürwahr, ich weis fast nicht bey sogestallten Sachen
Den Schluß, wie sichs gebührt, nach Billigkeit zu machen,
Es findet immer noch der Zweifel bey mir statt.
Jedoch noch eins! Sind schon gelehrt- und kluge Männer
Nicht von Demosthens Art und Svada Freund und Kenner:
So sind der Federn Zahl und Finger in dem Stand
Zu zeigen, was der Mund nicht kan geschickt erzehlen;
Der Mund verschweigts; der Kiel kan solches nicht verhehlen,
Und macht es oftermahls nachdrücklicher bekannt:
Drum wenn Beredsamkeit nicht bey Gelehrten wohnet,
So schadet es doch nicht, weil Hand und Feder frohnet.
Die Bücher werden ja aufs theuerste bezahlt,
Den Perlen gleich geschätzt, und heilig aufgehoben,
So, daß die Nachwelt muß und kan Gelehrte loben,
Weil jedem ihr Verdienst in Aug und Antlitz strahlt.
Ich ehre sie zugleich, und will noch dieß berühren:
Wer beyderley besitzt, den muß man zweyfach zieren.
Minerva nahm hierauf, Thalien bey der Hand,
Und warf die Frage auf: Mein! sage steht der Wille
Vor Klugheit und Verstand als wie ein Sclave stille?
Was meinst du, sieget wohl der herrliche Verstand?
Die Antwort folgte gleich: Sucht jemand was zu richten,
So pflegt er erst bey sich zu sinnen und zu dichten.
Er fragt sich, bey sich selbst: Ist dieß zu meinem Nutz?
Bringt mir auch diese That das Glück und Wohlergehen?
Da muß bey dem Verstand der Untersuch geschehen,
Und dieser fasset denn den Willen in dem Schutz;
Befindets der Verstand vor gut, so wirds vollzogen;
Wo nicht, so kriegt der Will', mit Recht, den Scheide-Bogen.
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Verstand ist Herr und Haupt, der Wille ist sein Knecht,
Wer ist, dem dieser Satz und Schluß zuwider wäre:
Daß nur dem Herrn die Macht und Würde zugehöre,
Was der Verstand erkennt/ das ist dem Willen recht.
Der Wille ist gebeugt, und der Verstand obsieget,
Was Wunder, daß der Will die Lorbern hier nicht krieget.
Gesetzt, es käm jemand und sagte mir ins Ohr:
Der Rhein lief auf den Berg und auf die höchsten Hügel;
Der Schnee wär kohlen-schwarz und hätte Adlers-Flügel;
Das Eisen schwebte stets im Wasser hoch empor;
Die Bienen könten nicht verwesen noch vermodern.
Gesetzt, man wolte nun den Beyfall von mir fordern:
So gäb ich solchem Wind bey weiten kein Gehör:
Warum? denn mein Verstand kan solches nicht begreifen,
Es will der Widerspruch die Sinnen überhäufen.
Alleine, wenn man mir hierbey zuwider wär,
Es spräch ein Mächtiger und Grosser dieser Erden
Zu mir: Bejahe das; sonst must du Asche werden!
Die Furcht des Marters-Pein; der angedrohte Todt
Bewegten mich darzu, daß ich mit gutem Willen
Solch Zeug bejahete, und spräch: Man kans erfüllen;
Doch aber der Verstand besorgt sich keiner Noth,
Er glaubt das alles nicht. Drum ist gar leicht zu schliessen,
Daß der Verstand nur siegt; Der Wille liegt zu Füssen.
Hier schwieg Thalia still, Minerva fuhre fort,
Sah Euphrosinen an, und sprach: Hör was ich sage!
Sind denn die Narren klug: Erörtre diese Frage!
Sie sagte: Freylich ist dieß wohl ein wahres Wort:
Man stell nur einen Narrn zu liebenden Personen,
Er wird, wenn man ihn fragt, die Wahrheit wohl nicht schonen.
Setzt ferner einen Narrn zu dem, der Böses liebt,
Er wird gewiß sein Thun mit allen seinen Werken,
Auf die genauste Art erlauschen und bemerken:
Dann glaube, daß er dir vollkommne Nachricht giebt.
So trift das Sprichwort ein: Die Kinder und die Narren
Sehn bloß der Wahrheit nach, und hätten sie zwölf Sparren.
[512]
Ja auch der größte Narr, der noch so närrisch scheint,
Der ganz umnebelt ist, von Tollheit und von Rasen,
Kan auf gewisse Art doch mit der Klugheit spasen,
Es wird nach meinem Sinn der David hier gemeint:
Derselbe war einmahl zu Gath am Königs-Hofe,
Kaum sah ihn Herr und Frau, wie auch der Knecht und Zofe.
So schrie man alsobald: Daß muß der David seyn,
Von dem der Weiber-Chor mit höchst-erfreuten Zungen,
Ein frohes Sieges-Lied vor dem in Reihen sungen!
Drum stellt er sich so närrisch; jedoch nur bloß zum Schein.
Wodurch ihn denn das Glück in seine Flügel nahme,
Und er auf diese Art der Todes-Noth entkame.
Wie mancher stellt sich närrsch um etwas zu vollziehn?
Die List, der tolle Wuth ist sein Habit und Kappe,
Er denkt, wenn ich nur was durch Raserey erschnappe
So frag ich nichts darnach; kan nur mein Glücke bliehn.
Der ungereimte Sinn und Narren gleiches sprechen,
Betrügt, besiegt und kan die allerklügsten schwächen.
Noch weiter: Mancher hat auch eine Missethat
Gethan und ausgeübt, weshalber das Verbrechen
Der Richter mit Verhaft und Tode sucht zu rächen,
Und läßt kein Zeichen sehn, daß Lindrung und Genad
Vor sein verübtes Werk zu merken, und zu hoffen:
Er wird von Furcht und Harm in seiner Noth betroffen;
So thut er, als obs ihm recht sehr zu Herzen ging,
Als ob er würklich schon in melancholschen Orden,
Und in der Narren-Zunft ein wahres Mitglied worden,
Vermeint, daß er dadurch was Linderung empfing:
Gedenkt durch diese List dem Kerker zu entgehen,
Und hoft, es würde nicht so übel um ihn stehen.
Minerva fiel ihr drein, und sagte: Höret auf!
Ihr Wehrten! euer Wort und Spruch hat mich vergnüget,
Weßhalber meine Huld gedoppelt auf euch lieget.
Wohlan! ich schreibe nun, und nehme meinen Lauf
Von dieser Quelle fort, noch Pindus hohen Spitzen.
Drauf fuhr sie in die Höh, und ließ das Kleeblat sitzen.
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Vermischte Gedichte. Zufällige und sogleich entworfene Gedanken. Zufällige und sogleich entworfene Gedanken. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ADC2-5