Ein Sendschreiben

Gelehrter Edelmann
Hochwerthgeschätzter Freund!
Du denkest warlich falsch, wenn deine Seele meint,
Ich zörnte, weil dein Brief so spät zurück gekommen,
Und eingelaufen ist. Ich habe nun vernommen,
Woran die Ursach liebt. Ich glaube deinem Wort,
Die Zeit ist warlich kurz, sie eilt und flieget fort.
Kaum eh wirs uns versehn, so sind die Tages Stunden
Mit aller unsrer Müh und Arbeit schon verschwunden.
Wohl dem, der seine Zeit recht einzutheilen weiß!
Wohl dir, daß du beym Buch und Pult mit Müh und Schweiß
Die Tage hinterlegst! Ich würde dirs verdenken,
Wenn du mir einen Brief in Reimen würdest schenken,
Wodurch vielleicht ein Dienst der Themis unterblieb,
Und dein Geist nicht das Amt der Weisheit eifrig trieb.
Wie? hängt dein Saytenspiel bestäubet an der Wand?
Fühlt deine Brust hierdurch so starken Widerstand?
Soll deine liebe Frau so ganz verlassen heisen?
O. – – kanst du dich ihr wohl so scharf entreisen?
Verzeihe meinen Scherz, der meinem Kiel entfährt.
Wie aber werde ich aus deinem Brief belehrt,
Daß dein bedrängter Fuß auf Dornen müsse gehen,
Und du – – – nur Unruh müssest sehen?
Was schreibst du? Zwar die Noth und Last ist allgemein,
Sie schliesset niemand aus. Man bilde sich nicht ein,
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Daß jemand auf der Welt von Kreutz und bösen Tagen,
Von Trübsal und von Angst nicht etwas könte sagen.
So wenig als das Feld von Ungestüm befreyt,
Und angefochten bleibt; so wenig kan die Zeit
Die unser Fuß durchläuft, von lauter Freude wissen,
Wir trinken unsern Trank und nehmen unsre Bissen
Gar oft mit Thränen ein. Kein Mensch ist auf der Welt,
Dem nicht die Allmachts-Hand den Kreutz-Kelch zugestellt.
Doch wer ihn herzhaft trinkt, und ist getrost in allen,
Den läßt die ewge Huld doch nie in Leiden fallen.
Es ist ein köstlich Ding, in seiner Jugend-Zeit
Die Trübsal, so uns drückt, das bittre Herzeleid,
Recht standhaft auszustehn und mit Gedult zu tragen.
Wie aber hör ich dich in deinem Schreiben klagen?
Beweintest du mein Haus, gieng dir Sidonia
Und wer ihr zugehört, jüngst so empfindlich nah?
Hat dir, Hochwerthester: mein Schmerz das Herz durchdrungen,
Ist wahr? daß du, wie ich, der Hände Paar gerungen,
Und uns beklaget hast? du kanst zwar meinen Schmerz
Und hochbetrübten Geist/ und abgemattes Herz
Bey unsrer Feuers-Glut und Noth gar wohl erwegen.
Jedoch, wie du schon weißt, hat uns des Höchsten Seegen
Und Allmacht wunderbar, da wir es kaum gedacht,
Erhalten und beschützt, und aus der Noth gebracht.
Ach! einmahl hat uns schon das Feuer aufgerieben,
Jetzt aber, Gott sey Lob! sind wir verschont geblieben.
Wie du dein Vaterland jüngsthin beweinet hast;
So hab ich gleichfals auch ein Klag-Lied abgefaßt,
Um meine Vaterstadt auch thränend zu besingen.
Muß dir und mir ein Lied zu unserm Schmerz gelingen?
Dein Mitleid, Edler Freund! nehm ich mit Freuden an,
Und danke dir davor, so rein ich immer kan.
Dein schön und frommer Wunsch bringt gleichen Wunsch zurücke.
Ich wünsche dir davor des Himmels Gnaden-Blicke;
Die Allmacht schütze dich und segne Amt und Stand,
Und bringe deinen Fuß in ein gelobtes Land.
Noch eins, Geehrtester! (hier will ich gar nicht scherzen)
Herr B – – freuet sich gewiß von ganzem Herzen,
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Wenn er dich sprechen kan, er ist ganz ausser sich,
Wenn er an dich gedenkt, er glaubet festiglich,
Du seyst der liebste Freund, den er nur jemahls funden;
Dein Zuspruch und dein Gruß labt ihn zu allen Stunden.
Hochwerther! soll ich dann in unserm Ger-Athen
Dich nicht einmahl bey mir bewirthen oder sehn?
Soll B – – dieses Glück so oft und viel geniessen;
So hoff ich, wirst du auch Sidonen einst begrüssen.

Den 15. Nov. 1736.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Vermischte Gedichte. Ein Sendschreiben [2]. Ein Sendschreiben [2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AD98-7