Auf die in Amsterdam blühende Musa,

im Jenner 1736.


Ode.


Wach auf mein Geist! erweg und merke
Des grossen Schöpfers Wunder-Macht,
Und untersuche mit Bedacht
So viel dir möglich, ihre Stärke.
Doch sie ist unerschöpflich groß;
Ihr Wesen ist nicht zuergründen:
Und wer ihr Ende meint zufinden,
Der giebt sich in der Thorheit bloß.
Man spührt die Allmachts-Hand in Gärten und in Fluren,
Man findet ihre Kraft in allen Creaturen.
Da sieht das forschende Gesichte
Wohin sich nur sein Auge fügt,
Das, was es reitzet und vergnügt,
Erstaunend, und im vollen Lichte.
Was ehedessen Eden war:
Was man von Schönheit da gefunden,
Das sieht man noch zu diesen Stunden
Bald hier, bald dorten offenbar.
Laßt Eden, Eden seyn! auf andern schönen Auen;
Kan mans in kleinen sehn, wo nicht vollkommen schauen.
[515]
Wie? Ist nicht Tempens Lust-Gefülde
An Früchten und Gewächsen reich?
Wo kommt ihn leicht ein Garten gleich?
Hier ist die Höchste Hand sehr milde!
Dort trägt America ein Kraut,
Das von des Schöpfers Wundern zeiget.
Gleich wie Judäa auch nicht schweiget;
Es weißt was Gott vor Pflantzen baut.
Egypten, Africa und Europäens Höhen,
Die lassen dem Gesicht die schönsten Blumen sehen.
Wien, Franckreich, Welschland, Dreßden lehret,
Und zeiget uns sehr reichlich an,
Was hier die Wunderhand gethan,
Und wie sie ihre Wercke mehret.
Was läßt nicht Hollands Garten-Feld
Vor Pflanzen und vor Blüthen schießen?
Hier muß des Menschen Herze schließen?
Groß ist der Meister dieser Welt!
Geht nur nach Leiden hin! Ihr müsset ja gestehen,
Daß ihr die Aloe daselbst im Flor gesehen.
Wo sinnt ihr hin! Was vor Vergnügen
Treft ihr bey weisen Beeten an?
Wer denkt noch jetzo wohl daran,
Auf Florens Schooß vergnügt zu liegen?
Der Zephyr zürnt mit seiner Braut,
Und sondert sich von ihren Gränzen.
Wo will der Blumen Farbe glänzen?
Wo blühet jetzt ein rares Kraut?
Das Mahlwerk der Natur und was hervor gesprossen,
Das hat ein weises Grab verdecket und verschlossen.
[516]
Dieß ist wohl wahr; doch bleibt darneben
Die Allmacht Gottes unverletzt;
Sie kan dem, der sich dran ergötzt
Beständig neue Proben geben.
Geschicht was ausserordentlich,
So ist das Wunder desto grösser,
Man merkt des Schöpfers Weißheit besser,
Und unsre Ehrfurcht mehret sich.
Beweißt Gott seine Kraft und Wunderhand auf Erden,
So muß wenn er nur will aus Winter Sommer werden.
Dieß muß jetzt Amsterdam bezeugen,
Und aller Augen auf sich ziehn;/
Hier sieht man eine Pflanze blühn,
Die wenig hohen Häuptern eigen.
Der Tag der uns zwölf Monath bringt,
War kaum mit seinem Licht gekommen,
So hat man freudig wargenommen,
Wiewohl des Gärtners Wunsch gelingt.
Die Musa ein Gewächs und Pflanze seltner Schöne,
Vergnügt das Silber-Haar, und auch die muntre Söhne.
Ganz Holland hat in vorgen Tagen
Kaum einmahl ihre Blum gesehn,
Soll Deutschland ihren Flor gestehn,
So kan es nur von zweymahl sagen.
Europa kommt fast klagend ein,
Und murret über das Geschicke,
Daß ihr dieß sonderbahre Glücke
So wenigmahl soll wissend seyn.
Die Allmacht will im Glück bey diesen rauhen Zeiten,
Durch dieser Pflanze Pracht vor Amsterdam bereiten.
[517]
Ihr Augen! Was vor ein Vergnügen
Stellt euch nicht diese Musa dar?
Viel hundert Seelen nimmt man wahr,
Die sich zu ihren Zweigen fügen.
Hier steht man still; hier ruft man laut:
Was kan wohl dieser Schönheit gleichen?
Hier muß der größte Künstler weichen,
So sehr er auf sein Wissen baut.
Die Blumen, die sie trägt, sind von besondern Gaben,
Daher sie in der Welt den grösten Vorzug haben.
Des Salomonis Herrlichkeiten
Erreichten nicht der Lilien Pracht,
Die Hand die sie hervor gebracht
Weis ihren Adel anzudeuten.
In einen Garten können wir,
An unsers hohen Schöpfers Werken,
Die Grösse seiner Wunder merken.
O! welche Weißheit gleichet dir!
Kan eine Lilie nun dein Lob so sehr erheben;
So muß dir Hollands Frucht noch größre Ehre geben.
Zwar Ihr Gelehrten wolt jetzt fragen:
Was vor ein Baum die Musa sey?
Die Frag ist schwer und mancherley,
Und jeder meinet recht zu sagen.
Forscht immerhin und critisirt,
Ihr müsset doch mit mir bekennen,
Sie sey ein solches Werk zu nennen,
Das uns zum Lobe Gottes führt.
Ihr Wesen giebt die Kraft des Höchsten zu verstehen,
Und lässet uns ein Stück von seiner Allmacht sehen.
[518]

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TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Auf die in Amsterdam blühende Musa. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AD6A-F