Als Herr Kunad nach Verlangen den verdienten Doctor Ring von Hygäens hohen Händen in dem Ger-Athen empfing; So ergrif den Kiel und schrieb was auf diesem Blat zu sehen, und so gut es dazumal wolte von der Feder gehen

Den 18ten des Christmonats 1734.


[338]
Als jüngst der grosse Fürst der Musen auf seinem Berg ein Fest beging,
Und da sein Volk, die reinen Dichter aufs allerzärtlichste empfieng;
So liessen sie ein schönes Lied, zu ihres Herzogs Ruhm erschallen,
Daß ihm, wie sonsten allemahl besonders herzlich wohlgefallen.
Drauf kam die Warheit zu dem Felsen, mit einen fast behenden Schrit,
Und brachte zwey bewährte Zeugen, die Zeit und dieErfahrung mit.
Die Warheit schlug die Hände ein, und sprach mit sehr betrübten Mienen:
Ich wäre warlich nicht, o Fürst! vor deinem Angesicht erschienen,
Wenn mich darzu die Noth nicht triebe. Ach! deine Kinder sind mir feind,
Denn, wenn nur wo ein Fest der Ehren, und Tag der Würdigkeit erscheint;
So singen sie so gleich ein Lied, worbey sie mich recht schnöd vergessen,
Und mir zu meiner Herzens-Quaal viel Thränen aus den Augen pressen.
Zieht nur ein Edler in das Lager, (desselben Schönheit anzusehn,)
Und kommt zurück; so heist es: dieser kan als ein Held nach Hause gehn.
Geht, mancher, ach Gott weis es wie! in Gottes Schaaf-Stall zu den Heerden;
So heist es doch: Gott rufte ihn, und muß auch so besungen werden.
[339]
Ja wer die Biebel kaum durchblättert, heist doch ein solcher weiser Mann,
Der auch die allerschwersten Fragen mit schwacher Müh erörtern kan.
Wenn Themis öfters mit Gezwang muß einen in dem Hut erblicken;
Heists doch: Der kan den Schöppen-Stul durch seine Wissenschaft beglücken.
Ja! kan er nur von Acten sprechen: so fügt man wohl die Worte bey:
Daß dieser nun ernennte Doctor eine Ictus und Mecenas sey.
Dringt einer sich Hygänen auf, und lässet sich Herr Doctor nennen,
Der doch noch niemahls dargethan, wie Fieber, Friesel, Gicht und Brennen,
Zu forschen, oder zuzernichten, zu dämpfen und zu tilgen sey;
So macht man doch von seinen Wissen durch Vers und Reim ein groß Geschrey.
So handelt man auch ebenfals an denen Festen der Magister,
Da setzt man ihre Wissenschaft und Weisheit in ein Zeit-Register.
Wie bin ich nicht zum Fremdling worden, wenn man die Leichen-Carmen schreibt,
Da man die Heucheley aufs höchste, zu meinen größten Schmerzen treibt!
Vereinget sich aus Eitelkeit, und nicht aus rein und edlen Triebe
Ein Paar; so singt man doch darbey: Der Himmel pflanzte eure Liebe.
[340]
Die Jesabel muß Sarah heisen, und Cain muß ein Habel seyn.
Ach weh! ich kan kein Wort mehr sprechen, die Trähnen mischen sich darein.
Ach! so beleidget mich dein Volk; und fesselt mich mit schweren Banden!
Hilf Himmel! meine Herrlichkeit, und Majestät wird fast zu schanden!
Drum bitt ich Herzog der Poeten, gieb deinen Söhnen ein Gebot,
Daß sie mich fürchten, lieben, ehren, alsdenn so schwindet meine Noth.
Die Warheit schwieg vor Traurigkeit, die Zeugen schwuren bey dem Namen
Des Fürsten, der ihr Wort gehört, der Vortrag wäre Ja und Amen.
Drauf hube ein beredter Dichter mit diesen Worten also an:
Die Wahrheit sucht uns zu verdammen, da sie doch nicht erweisen kan,
Daß uns dergleichen nicht erlaubt, und dir o Fürst! zuwieder wäre.
Nein Warheit! dieser Einhalt lief ganz wieder unsre Pflicht und Ehre.
Die Freyheit, die wir längst besessen, die läßt uns nicht in Seilen ruhn,
Was wären wir sonst vor Poeten, wenn wir nicht dieses dörften thun?
Die Warheit rief: Ich habe recht. Die Dichter sagten auch desgleichen.
Drauf sprach der Herzog! meinem Wort und Ausspruch sollen beyde weichen.
[341]
Ich liebe dich, o Warheit! herzlich, und meine Kinder gleich also,
Deshalber mach ich dich und jene zugleich durch meinen Entschluß froh.
Ich hab den Meinigen erlaubt zu singen, was sie nur vermögen,
Drum werd ich ihnen heute nicht den Grund zu engern Schranken legen.
Du weist ja wie das Sprichwort lautet: Es wird niemahlen was erwehnt,
Man habe denn von deinen Gütern doch etwas mit darzu gelehnt.
Singt nun mein Volk und schreibet was; so wird sich ja darbey was zeigen,
So deinen Aug und Herzen gleicht: und dieses nim vor dich zu eigen.
Das andre so darzu gesetzet, das laufet in die Dicht-Kunst ein,
Und dieß gehöret mir und ihnen, und wird es auch hinfüro seyn.
Drum sey vergnügt. Jedoch ich will dich jetzo noch weit mehr ergötzen,
Eil nach dem Ger-Athen und schau, wie man mit Meditrinens Schätzen
Den Edlen Kunad heute schmücket, man trägt ihm Hut und Mantel vor,
Und hebet ihm vor vielen andern mit sonderbarer Lust empor.
Darbey wird mein geliebtes Volk auch mit vergnügten Lippen singen,
Und nichts von Schmeicheln oder Scherz wird sich in dessen Lieder dringen.
[342]
Hör den Gesang, du wirst dich freuen, dieweil es dich nachWunsch verehrt,
Und deine Würdigkeit und Ehre auch nicht das minderste versehrt.
Die Warheit war damit getröst, und sprach: dein Schluß kan mich vergnügen,
Und meine vorge Traurigkeit ersticken, stillen und besiegen.
Sie gieng darauf mit ihren Zeugen, und sah daselbsten offenbar,
Daß dieses Fürsten Wort warhaftig: und weil ihr Geist ermuntert war;
So rief sie und ihr treues Paar: Herr Doctor dich bekrön das Glücke!
Nach diesen Worten wichen sie von diesem Ort vergnügt zurücke.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Gedichte. Poetische Rosen in Knospen. Lob- Ehren- und Glückwünschende Gedichte. Als Herr Kunad den verdienten Doctor Ring empfing. Als Herr Kunad den verdienten Doctor Ring empfing. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ACF5-C