Sendschreiben an Ihro Hochgebohrenen Excellenz Herrn von Brühl

HERR!
ist es nicht zu viel, daß eine fremde Hand,
Daß jetzt ein Weibesbild, so dir ganz unbekannt,
Ein Schreiben an Dich schickt? Und deine Staats-Geschäfte
Zu unterbrechen sucht? Ich kenne deine Kräfte
Und deinen hohen Geist, und die Vollkommenheit,
So deine Seele schmückt, wodurch du allezeit
Sarmatens Könige und Sachsens Churfürst dienest,
Wodurch Du, Grosser Mann! auch lebest, blühst und grünest.
Dein Nahme ist berühmt. Wer ist wohl auf der Welt,
Dem Brühlens hoher Geist nicht in die Augen fällt?
Du hast den grossen Geist vom Anfang schon empfangen,
Du bist von Kindheit an mit Fürsten umgegangen;
So hast du früh genug die Staats-Kunst eingesehn.
Drum kan der König auch mit seinem Brühl bestehn.
Wer kennet nicht dein Amt und deine raren Gaben,
Die Dich, Galanter Herr! so hoch, so schön erhaben?
Du bist gelehrt und klug, drum hassest Du die Zunft
Der Männer, welche Witz, Kunst, Gaben und Vernunft,
Dem weiblichen Geschlecht durchaus bestreiten wollen,
Und meinen, daß wir nicht die Federn führen sollen.
Dein Geist hat jederzeit das Frauenvolk geliebt,
Das sich in Wissenschaft und edlen Sitten übt;
Der Weisheit folgt, sie ehrt, und sucht galant zu leben.
Galant- und Grosser Brühl! mein Herr! dieß ist es eben,
Was meine Feder reitzt, daß sie sich an Dich wagt,
Und dir an meiner statt durch Verse etwas sagt.
Drum, Hochgebohrner Herr! vergieb mein Unternehmen,
Ich bitt gehorsamlich, du wollst mich nicht beschämen,
Und mein Gesuch verschmähn. Gewahr mir meiner Bitt,
Geh zu den König hin/ und nimm das Päckgen mit,
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Das diesem Briefe folgt, und gieb es seinen Händen,
Und bitt, Er woll sein Aug in Gnaden darauf wenden.
Die Gnade, so du mir durch diesen Dienst erweist,
Werd ich mit Herz und Mund, Kiel, Dinte, Hand und Geist
Bis an den letzten Hauch hoch zu verehren trachten.
Du wollst mich deiner Gnad, dieß wünsch ich, würdig achten.

Den 5. Merz, 1737.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Zäunemann, Sidonia Hedwig. Sendschreiben an Ihro Excellenz Herrn von Brühl. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-ACC3-D