Vierter Gesang

1.
Der Paladin beginnt nun seine Traumgeschichte
Wie folget: »Was du auch, mein guter Scherasmin,
Von dem, was ich dir itzt berichte,
Im Herzen denken magst, so ist's doch kein Gedichte,
Daß ich, Gott sei es Dank! noch stets an Leib und Sinn,
So wie du hier mich siehst, ein reiner Jüngling bin.
Nie hat vor diesem Tag in meinem ganzen Leben
Mein unbefangnes Herz der Liebe Raum gegeben.
2.
Es waren zwar der schönen Jungfraun viel
An meiner Mutter Hof, und an Gelegenheiten,
Die einen Knaben leicht zur Tändelei verleiten,
Gebrach es nicht, zumal beim Pfänderspiel:
Da gab's wohl manchmal auch ein Strumpfband aufzulösen
Allein der schönste Fuß ließ meine Phantasei
[211]
In stolzer Ruh; und wär's Genevrens Fuß gewesen,
Es war ein Fuß, mehr dacht ich nicht dabei.
3.
Daß ich von Kindheit an so viele offne Busen
Und bloße Schultern sah, mocht auch mit Ursach sein.
Gewohnheit gleicht in diesem Stück Medusen,
Und für das Schönste selbst verkehrt sie uns in Stein.
Allein, was half mir's, frei geblieben
Zu sein bis in mein zweimal zehntes Jahr?
Auch meine Stunde kam! Ach, Freund! mein Schicksal war
Im Traum zum ersten Mal zu lieben.
4.
Ja, Scherasmin, nun hab ich sie gesehn,
Sie, von den Sternen mir zur Siegerin erkoren;
Gesehen hab ich sie, und, ohne Widerstehn,
Beim ersten Blick mein Herz an sie verloren.
Du sprichst, es war ein Traum' Nein, Mann! ein Hirngespenst
Kann nicht so tiefe Spuren graben!
Und wenn du tausendmal mich einen Toren nennst,
Sie lebt, ich hatte sie, und muß sie wieder haben.
5.
O hättest du den holden Engel doch
Gesehn wie ich! – Zwar, wenn ich malen könnte,
Ich stellte sie dir hin, so glühend wie sie noch
Vor meiner Stirne schwebt, und bin gewiß, sie brennte
Dein altes Herz zu einer Kohle aus.
O daß nur etwas mir geblieben wär, das Leben
Von ihr empfing! ach! nur der Blumenstrauß
An ihrer Brust! was wollt ich nicht drum geben!
6.
Denk dir ein Weib im reinsten Jugendlicht,
Nach einem Urbild von dort oben
Aus Rosenglut und Lilienschnee gewoben;
Gib ihrem Bau das feinste Gleichgewicht;
Ein stilles Lächeln schweb auf ihrem Angesicht,
Und jeder Reiz, von Majestät erhoben,
Erweck und schrecke zugleich die lüsterne Begier:
Denk alles, und du hast den Schatten kaum von ihr!
[212] 7.
Und nun, sanft angelockt von ihren süßen Blicken,
Dies holde Weib, das nur die Luftgestalt
Von einem Engel schien, an meine Brust zu drücken,
Zu fühlen, wie ihr Herz in meines überwallt,
Ist's möglich, daß ich vor Entzücken
Nicht gar verging? – Nun komm, und sprich mir kalt,
Es war ein Traum! Wie schal, wie leer und tot ist neben
So einem Traum mein vorigs ganzes Leben!
8.
Noch einmal, Scherasmin, es war kein Schattenspiel
Im Sitz der Phantasie aus Weindunst ausgegoren!
Ein unbetrügliches Gefühl
Sagt mir, sie lebt, sie ist für mich geboren.
Vielleicht war's Oberon, der sie erscheinen ließ.
Ist's Wahn: o laß ihn mir! die Täuschung ist so süß!
Doch, nichts von Wahn! Kann solch ein Traum betrügen
O so ist alles Wahn! so kann die Wahrheit lügen!«
9.
Der Alte wiegt sein zweifelreiches Haupt,
Wie wenn man euch ein Wunderding erzählet,
Wovon ihr nichts im Herzen glaubt,
Wiewohl euch Grund es wegzuleugnen fehlet.
»Was denkst du?« fragt der Ritter. – »Das ist's just
Was mich verlegen macht«, versetzt der Unverliebte,
»Ich hätte freilich wohl zu manchem Einwurf Lust;
Allein was hälf's am End, als daß ich euch betrübte?
10.
Nur, vor der Hand, weil euer fürstlich Wort
Euch einmal gegen Karl verbindet,
So, dächt ich, setzten wir den Zug nach Bagdad fort.
Vielleicht daß unterwegs der Zauber wieder schwindet;
Vielleicht daß Oberon dabei sein Bestes tut,
Und unversehens sich die Traumprinzessin findet.
Inzwischen, lieber Herr, tut euch die Hoffnung gut,
So hofft! Man macht dabei zum mindsten rotes Blut.«
11.
Weil dies der Knappe spricht, steht mit gesenkter Stirne
Der Ritter da; denn plötzlich hatte sich
[213]
In seinem liebeskranken Hirne
Die Szene umgekehrt. »Ach«, spricht er, »täusche mich
Nicht auch mit falschem Trost! Feindselige Gestirne
Sind über mir. Was kann ich hoffen, sprich!
Der Sturm, der sie von meiner Brust gerissen,
Läßt, leider, mich zu viel von meinem Schicksal wissen.
12.
Entrissen ward sie mir! Noch streckt sie aus der Flut
Die Arme gegen mich – noch stockt vor Angst mein Blut
Und ach! wie an den Grund mit Ketten
Geschmiedet, stand ich da, ohnmächtig sie zu retten!«
»Das war im Traum«, spricht Scherasmin, »wofür
Euch ohne Not mit schwarzer Ahnung grämen,
Ein Traum läßt nie von Art. Das beste, glaubet mir,
Ist's, sich daraus nur was uns freut zu nehmen.
13.
Daß euch im Traum ein wohl gewogner Geist
Die künftge Königin von euerm Herzen weist,
Das hat er gut gemacht! So etwas läßt sich glauben,
Und kurz, wir nehmen's nun für bare Wahrheit an.
Allein den Strom, den Wirbelwind, die Schrauben
An Hand und Fuß, die hat der Traum hinzu getan.
Mir selbst ist oft in meinen jüngern Jahren,
Wenn mich der Alp gedrückt, dergleichen widerfahren.
14.
Da, zum Exempel, läuft ein schwarzer Zottelbär,
Indem ich wandeln geh, der Himmel weiß woher,
Mir in den Weg; ich greif im Schrecken nach dem Degen
Und zieh, und zieh – umsonst! Ein plötzlich Unvermögen
Strickt jede Sehne mir in allen Gliedern los;
Zusehens wird der Bär noch siebenmal so groß,
Sperrt einen Rachen auf so gräßlich wie die Hölle;
Ich flieh und ängstge mich, und kann nicht von der Stelle.
15.
Ein andermal, wenn ihr von einem Abendschmaus
Nach Haus zu gehen träumt, bei einem alten Gaden 1
Vorbei; auf einmal knarrt ein kleiner Fensterladen,
Und eine Nase guckt heraus
[214]
So lang als euer Arm. Ihr sucht, halb starr vor Schrecken,
Ihr zu entfliehn, und vorn und hinten stehn
Gespenster da, die ins Gesicht euch sehn,
Und feurge Zungen weit aus langen Hälsen recken.
16.
Ihr drückt in Todesangst euch seitwärts an die Wand
Die gegenüber steht – und eine dürre Hand
Fährt durch ein rundes Loch euch eiskalt übern Rücken,
Und sucht an euch herum, euch da und dort zu zwicken.
Ein jedes Haar auf eurm Kopfe kehrt
Die Spitz empor, zur Flucht ist jeder Weg verwehrt,
Die Gasse wird zusehends immer enger,
Stets frostiger die Hand, die Nase immer länger.
17.
Dergleichen, wie gesagt, begegnet oft und viel;
Allein, am End ist's doch ein bloßes Possenspiel,
Das Nachtgespenster sich in unserm Schädel machen;
Die Nase samt der Angst verschwindet im Erwachen.
Ich dächt an euerm Platz dem Ding nicht weiter nach,
Und hielte mich an das, was mir der Zwerg versprach.
Frisch auf! Mir ahnet was! Es müßte übel enden,
Wenn wir die Dame nicht in Bagdad wiederfänden.«
18.
Bei diesem Worte springt der Ritter, angeweht
Von frischem Mut, empor, als hätt ihm nichts geträumet.
Der Morgenluft entgegen wiehernd, steht
Sein Renner schon gesattelt und gezäumet.
Er schwingt sich auf, und wie er aus dem Feld
Zurücke schaut, verschwunden ist das Zelt:
In einem Wink erhob sich's aus dem Rasen,
In einem Wink war alles weggeblasen.
19.
Sie zogen nun dem Lauf des hohen Euphrats nach,
Von Palmen und Gebüsch vorm Sonnenstrahl geborgen,
Durchs schönste Land der Welt, stillschweigend, keiner sprach
Ein Wort, wiewohl's an Stoff zum Reden nicht gebrach;
Denn jeder war vertieft in andre Sorgen.
Die reine Luft, der angenehme Morgen,
[215]
Der Vögel Lustgesang, des Stromes stiller Lauf,
Weckt beider Phantasie aus leisem Schlummer auf
20.
Der Ritter sieht in ihrem Zauberspiegel
Nichts sehenswert als das geliebte Bild.
Er malt die Göttin sich auf seinen blanken Schild,
Erklimmt auf ihrer Spur des Taurus schroffsten Hügel,
Steigt, sie erfragend, bis in Merlins furchtbars Grab,
Bekämpft die Riesen und die Drachen,
Die um das Schloß, worin sie schmachtet, wachen,
Und kämpfte sie der ganzen Hölle ab.
21.
Indessen er, in eingebildeter Wonne,
Die schwer errungne Braut an seinen Busen drückt,
Sieht unvermerkt ans Ufer der Garonne,
Wo er als Kind den ersten Strauß gepflückt,
Von Euphrats Ufern weg der Alte sich verzückt.
»Nein«, denkt er, »nirgends scheint doch unsers Herrgotts Sonne
So mild als da, wo sie zuerst mir schien,
So lachend keine Flur, so frisch kein andres Grün!
22.
Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand,
Sei immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor allen dir gewogen,
Fühlt überall nach dir sich heimlich hingezogen,
Fühlt selbst im Paradies sich doch aus dir verbannt;
O möchte wenigstens mich nicht die Ahnung trügen,
Bei meinen Vätern einst in deinem Schoß zu liegen!«
23.
In solcher Träumerei schwindt unvermerkt der Raum
Der sie von Bagdad trennt, bis itzt die Mittagshitze
In einen Wald sie treibt, der vor der Glut sie schütze.
Noch ruhten sie um einen alten Baum,
Wo dichtes Moos sich schwellt zum weichen Sitze,
Und Oberons Pokal erfrischt den trocknen Gaum;
Als, eben da er sich zum dritten Male füllet,
Ein gräßliches Geschrei in ihre Ohren brüllet.
[216] 24.
Sie springen auf. Der Ritter faßt sein Schwert
Und fleucht dahin, woher die Zetertöne schallen!
Und sieh! ein Sarazen zu Pferd,
Von einem Löwen angefallen,
Kämpft aus Verzweiflung noch, erschöpft an Kraft und Mut,
Mit matter Faust. Schon taumelt halb zerrissen
Sein Roß, und wälzt mit ihm in einem Strom von Blut
Sich um, und hat vor Angst die Stange durchgebissen.
25.
Grimmschnaubend stürzt der Löw auf seinen Gegner los,
Aus jedem Blick schießt eine Feuerflamme.
Indem fährt Hüons Stahl ihm seitwärts in die Wamme.
Der Tiere Fürst, den solch ein Gruß verdroß,
Erwidert ihn mit einer langen Schramme,
Nach der des Ritters Blut aus tausend Quellchen floß:
Hätt Angulaffers Ring nicht über ihm gewaltet,
Ihn hätt auf Einen Zug der Löw entzwei gespaltet.
26.
Herr Hüon rafft, was er an Kraft vermag,
Zusammen, (denn sein Tod blitzt aus des Löwen Blicke)
Und stößt sein kurzes Schwert mit Macht ihm ins Genicke.
Vergebens schwingt sich noch der Schweif zu einem Schlag,
Von dem, wofern der Ritter nicht zurücke
Gesprungen wär, er halb zerschmettert lag;
Vergebens dräuet noch die fürchterliche Tatze;
Ein Streich von Scherasmin erlegt ihn auf dem Platze.
27.
Der Sarazen (den reichen Steinen nach,
Die hoch auf seinem Turban blitzen,
Ein Mann von Wichtigkeit) schien noch vor Angst zu schwitzen
Die Ritter fahren ihn am Arme ganz gemach
Den Bäumen zu, in deren Schirm sie lagen;
Man reicht zur Stärkung ihm den goldnen Becher dar,
Und auf Arabisch spricht der Alte: »Herr, fürwahr,
Ihr habt dem Gott der Christen Dank zu sagen!«
28.
Mit scheelem Auge nimmt der Heid aus Hüons Hand
Den Becher voll, und wie er an der Lippen Rand
[217]
Ihn bringt, versiegt der Wein, und glühend wird der Becher
In seiner Faust, der innern Schalkheit Rächer!
Er schleudert ihn laut brüllend weit von sich,
Und stampft, und tobt, und lästert fürchterlich.
Herr Hüon, dem es graut ihm länger zuzuhören,
Zieht sein geweihtes Schwert, den Heiden zu – bekehren.
29.
Allein, der Schalk, der übermannt sich hält,
Hat keine Lust zur Gegenwehr zu stehen;
Wie ein gejagter Strauß läuft er ins nahe Feld,
Wo beide Pferd im Grase weiden gehen.
Risch schwingt er sich auf Hüons Klepper, faßt
Ihn bei der Mähn, und mit verhängten Zügeln
Rennt er davon, in solcher Angst und Hast,
Als säß er zwischen Sturmwindsflügeln.
30.
Das Abenteur war freilich ärgerlich;
Allein was half's, dem Lecker nachzulaufen?
Zum Glücke war ein Ding, das einem Maultier glich,
Im nächsten Dorf und wenig Geld zu kaufen.
Das arme Tier, durchsichtiger als Glas,
Schien kaum belebt genug, bis Bagdad auszureichen;
Doch däucht's dem Alten noch auf dessen Rückgrat baß
Als seinem Herrn zu Fuße nachzukeichen.
31.
So setzten beide nun nach dem gewünschten Port
Den ritterlichen Zug so gut sie konnten fort.
Der Sonnenwagen schwebt schon an des Himmels Grenzen,
Auf einmal sehen sie, von fern im weiten Tal,
Gekrönt mit Türmen ohne Zahl,
Der Städte Königin im Abendschimmer glänzen,
Und, durch ein Paradies von ewig frischem Grün,
Den breiten Strom des schnellen Tigers fliehn.
32.
Ein wundersam Gemisch von Schrecken und Entzücken,
Geheime Ahnungen, und fremde Schauer drücken
Des Ritters Herz, da ihm der Schauplatz auf sich tut,
Wo mehr sein Wort und angestammter Mut
[218]
Als Karls Gebot, ihn treibt ein Wagstück zu bestehen,
Wovon kaum möglich ist ein besser Ziel zu sehen
Als jähen Tod. Gewiß war immer die Gefahr,
Doch schien sie nie so groß als da sie nahe war.
33.
Er sieht mit ihren goldnen Zinnen,
Gleich einer Götterburg, in furchtbar stolzer Pracht
Der Emirn Burg, den Thron, der Asien zittern macht,
Und spricht zu sich: »Und Du, was gehst du zu beginnen?«
Er stutzt. Doch bald stärkt wieder seine Sinnen
Des Glaubens Mut, der ihn so weit gebracht,
Und eine Stimme scheint ihm leise zuzuwehen,
Er werde die er liebt in jenen Mauern sehen.
34.
»Auf«, ruft er, »Scherasmin, spann alle Segel auf!
Du siehst das Ziel von meinem langen Lauf;
Wir müssen Bagdad noch vor dunkler Nacht erreichen.«
Nun geht's im schärfsten Trott, daß Roß und Reiter keichen.
Der Knapp gießt seinem Tier mitleidig etwas Wein
Aus Oberons Becher auf die Zunge:
»Da«, spricht er, »trink, du guter treuer Junge,
Der Becher trocknet nicht für deines gleichen ein.«
35.
Er hatte Recht. Kaum saugt des Maultiers Zunge
So lechzend als ein ausgebrannter Stein
Den süßen Tau des Zaubergoldes ein,
So schießt mit allbelebendem Schwunge
Ein Feuerstrom durch Adern und Gebein;
Von neuer Kraft gespannt, erfrischt an Herz und Lunge,
Läuft's, einem Windspiel gleich, mit ihm davon,
Und eh der Tag erlischt sind sie in Babylon.
36.
Noch irrten sie in seinen ersten Gassen
Unkundig in der Dämmrung hin und her,
Als Fremde, die sich bloß vom Zufall leiten lassen:
Da kam des Wegs von ungefähr
An ihrem Stab ein Mütterchen gegangen,
Mit grauem Haar und längst verwelkten Wangen.
[219]
»He Mutter, seid so gut«, schreit Scherasmin sie an,
»Und weiset uns den Weg zu einem Han. 2«
37.
Die Alte bleibt gestützt auf ihre Krücke stehen,
Und hebt ihr wankend Haupt, die Fremden anzusehen.
»Herr Fremdling«, spricht sie drauf, »von hier ist's ziemlich weit
Zum nächsten Han; doch, wenn ihr müde seid
Und wenig euch genügt, so kommt in meine Hütte;
Da steht euch Milch und Brot, und eine gute Schütte
Von frischem Stroh zu Dienst, und Gras für euer Vieh;
Ihr ruhet aus, und zieht dann weiter morgen früh.«
38.
Mit großem Dank für ihr gastfreundliches Erbieten
Folgt Hüon nach. Ihm däucht kein Lager schlecht,
Wo Freundlichkeit und Treu der offnen Türe hüten.
Die neue Baucis macht in Eil die Streu zurecht,
Wirft Quendel und Orangenblüten
Aus ihrem Gärtchen drauf, trägt fette Milch voll Schaum
Und saftge Pfirschen auf, und Feigen frisch vom Baum,
Beklagend, daß ihr jüngst die Mandeln nicht gerieten.
39.
Dem Fürsten dünkt, er hab in seiner Lebenszeit
Nie so vergnüglich Mahl gehalten.
Was der Bewirtung fehlt, ersetzt der guten Alten
Vertrauliche Geschwätzigkeit.
»Die Herren«, spricht sie, »kommen eben
Zu einem großen Fest.« – »Wie so?« – »Ihr wißt es nicht?
Es ist das einzge doch was man in Bagdad spricht:
Die Tochter unsers Herrn wird morgen ausgegeben.«
40.
»Des Sultans Tochter? Und an wen?«
»Der Bräutigam ist einer von den Neffen
Des Sultans, Fürst der Drusen, reich und schön,
Und auf dem Schachbrett soll ihn keiner übertreffen;
Mit Einem Wort, ein Prinz, den alle Welt
Der schönen Rezia vollkommen würdig hält.
Und doch – gesagt im engesten Vertrauen –
Sie ließe lieber sich mit einem Lindwurm trauen.«
[220] 41.
»Das nenn ich wunderlich«, versetzt der Paladin,
»Ihr werdet's uns so leicht nicht glauben machen.«
»Ich sag es noch einmal, eh die Prinzessin ihn
So nahe kommen läßt, umarmt sie einen Drachen,
Da bleibt's dabei! – Mir ist von langer Hand
Das Wie und Wann der Sache wohl bekannt.
Zwar hab ich reinen Mund gar hoch versprechen müssen
Doch, gebt mir eure Hand, so sollt ihr alles wissen.
42.
Es wundert euch vielleicht, wie eine Frau, wie ich,
Zu solchen Dingen kommt, die selbst dem Fürstenstamme
Verborgen sind und sonsten männiglich?
So wisset denn, ich bin die Mutter von der Amme
Der schönen Rezia, bei der sie alles gilt,
Wiewohl schon sechzehn volle Jahre
Verflossen sind, seit Fatme sie gestillt;
Nun merkt ihr leicht, woher ich manchmal was erfahre.
43.
Man weiß, daß schon seit Jahren der Kalif,
Auf seine Tochter stolz, nicht selten
An Festen, die er gab, sie mit zur Tafel rief,
Wo schöner Männer viel sich ihr vor Augen stellten.
Allein auch das weiß Stadt und Land,
Daß keiner je vor ihr besonders Gnade fand;
Sie schien sie weniger mit mädchenhaftem Grauen
Als mit Verachtung anzuschauen.
44.
Indessen ward geglaubt, sie könne Babekan
(So heißt der Prinz, den sich zum Tochtermann
Der Sultan auserwählt) vor allen andern leiden.
Nicht, daß beim Kommen oder Scheiden
Das Herz ihr höher schlug; ihn nicht mit Fleiß zu meiden
War wohl das Höchste, was er über sie gewann:
Allein, sie war doch sonst für niemand eingenommen;
Die Liebe, dachte man, wird nach der Hochzeit kommen
45.
Jedoch, seit einem Zwischenraum
Von wenig Wochen, hat sich alles umgekehret.
[221]
Seitdem kann Rezia den armen Prinzen kaum
Vor Augen sehn. Ihr ganzes Herz emporet
Sich, wenn sie nur von Hochzeit reden höret;
Und, was unglaublich ist, so hat ein bloßer Traum
Die Schuld daran.« – »Ein Traum?« ruft Hüon ganz in Feuer;
»Ein Traum?« ruft Scherasmin, »welch seltsam Abenteuer!«
46.
»Ihr träumte«, fährt die Alte fort,
Sie werd in Rehgestalt an einem wilden Ort
Von Babekan gejagt. Sie lief, von zwanzig Hunden
Verfolgt, in Todesangst herab von einem Berg;
Ihm zu entfliehen war die Hoffnung schon verschwunden!
Da kam ein wunderschöner Zwerg
In einem Phaëthon, den junge Löwen zogen,
In vollem Sprung entgegen ihr geflogen.
47.
Der Zwerg in seiner kleinen Hand
Hielt einen blühnden Lilienstengel,
Und ihm zur Seite saß ein fremder junger Fant 3,
In Ritterschmuck, schön wie ein barer 4 Engel;
Sein blaues Aug und langes gelbes Haar
Verriet, daß Asien nicht sein Geburtsland war;
Doch, wo er immer hergekommen,
Genug, ihr Herzchen ward beim ersten Blick genommen.
48.
Der Wagen hielt. Der Zwerg mit seinem Lilienstab
Berührte sie; stracks fiel die Rehhaut ab:
Die schöne Rezia, auf ihres Retters Bitten,
Stieg in den Wagen ein, und setzt' errötend mitten
Sich zwischen ihn und den, dem sich ihr Herz ergab,
Wiewohl noch Lieb und Scham in ihrem Busen stritten.
Der Wagen fuhr nun scharf den Berg hinan,
Und stieß vor einen Stein, und sie erwachte dran.
49.
Weg war ihr Traum, doch nicht aus ihrem Herzen
Der Jüngling mit dem langen gelben Haar.
Stets schwebt sein Bild, die Quelle süßer Schmerzen,
Bei Tag und Nacht ihr vor, und seit der Stunde war
[222]
Der Drusenfürst ihr unerträglich.
Sie konnt ihn ohne Zorn nicht hören und nicht sehn.
Man gab sich alle Müh die Ursach auszuspähn;
Umsonst, sie blieb geheim und stumm und unbeweglich
50.
Nur ihre Amm allein, von der ich, wie gesagt,
Die Mutter bin, wußt endlich Weg zu finden,
Das seltsame Geheimnis, das sie nagt,
Aus ihrer Brust heraus zu winden.
Allein ihr wißt, ob mit vernünftgen Gründen
Ein Schaden heilbar ist, der heimlich uns behagt,
Die arme Dame war sich selber gram, und wollte,
Daß Fatme dennoch stets dem Übel schmeicheln sollte.
51.
Indessen kam der Tag, vor dem so sehr ihr graut,
Stets näher. Babekan, um bei der spröden Braut
In beßre Achtung sich zu schwingen,
Ließ wenig unversucht; nur wollte nichts gelingen.
Sie war bekanntlich stets den Tapfern sehr geneigt,
Er hatte sich noch nie in diesem Licht gezeigt:
»Laß«, sprach er zu sich selbst, »uns eine Tat vollbringen,
Der Unempfindlichen Bewundrung abzuzwingen!«
52.
Nun setzte seit geraumer Zeit
Ein ungeheures Tier das ganze Land in Schrecken:
Es fiel bei hellem Tag in Dörfer und in Flecken,
Und würgte Vieh und Menschen ungescheut.
Man sagt, es habe Drachenflügel,
Und Klauen wie ein Greif und Stacheln wie ein Igel,
Sei größer als ein Elefant,
Und wenn es schnaube, fahr ein Sturm durchs ganze Land
53.
Seit Menschendenken war kein solches Tier erschienen
Auch stand ein großer Preis auf dessen Kopf gesetzt;
Allein weil jedermann den seinen höher schätzt,
Hat niemand Lust das Schußgeld zu verdienen.
Nur Babekan hielt's des Versuches wert,
Durch eine kühne Tat der Schönen Stolz zu dämpfen.
[223]
Er geht im Pomp zum Sultan, und begehrt
Vergünstigung, den Löwen zu bekämpfen.
54.
Und als ihm's der, wiewohl nicht gern, gewährt,
Bestieg er heute früh vor Tag sein bestes Pferd,
Und ritt hinaus. Was weiter vorgegangen Ist unbekannt.
Genug, er kam, zu gutem Glück,
Auf einem fremden Gaul, ganz leise, sonder Prangen
Und ohne eine Klau vom Ungeheur zurück.
Man sagt, er habe stracks, so bald er heim gekommen,
Sich hingelegt und Bezoar genommen.
55.
Bei allem dem sind nun mit unerhörter Pracht
Die Zubereitungen zum Hochzeitfest gemacht;
Unfehlbar wird es morgen vor sich gehen,
Und Rezia sich in der nächsten Nacht
In Babekans verhaßten Armen sehen. –
»Eh dies geschieht«, fuhr Hüon rasch heraus,
»Eh soll das große Rad der Schöpfung stille stehen!
Der Ritter und der Zwerg sind, glaubt mir, auch vom Schmaus.«
56.
Die Alte wundert sich des Wortes, und betrachtet
Genauer, was sie erst nicht sonderlich geachtet,
Des Fremden blaues Aug und langes gelbes Haar,
Und seinen Ritterschmuck, und daß er nur gebrochen
Arabisch sprach, und daß er schöner war
Als je ein Mann, der in die Augen ihr gestochen:
Das rasche Wort, das er gesprochen,
Und diese Ähnlichkeit! es däucht ihr sonderbar.
57.
Wo kam er her? warum? wer ist er? zwanzig Fragen
Zu diesem Zweck, die schon auf ihrer Zunge lagen,
Erstickte Hüons Ernst. Er tat als wäre Ruh
Ihm not, und legte sich auf seiner Streu zurechte.
Die Alte wünscht, daß ihm was Süßes träumen möchte,
Und trippelt weg, und schließt die Türe nach sich zu.
Allein wurmstichig war die Tür und hatte Spalten,
Und Vorwitz juckt das Ohr der guten Alten.
[224] 58.
Sie schleicht zurück, und drückt so fest sie kann
Ihr lauschend Ohr an eine Ritze,
Und horcht mit offnem Mund und hält den Atem an.
Die Fremden sprachen laut, und, wie es schien, mit Hitze;
Sie hörte jedes Wort; nur, leider! war kein Sinn
Für eine alte Frau von Babylon darin:
Doch kann sie dann und wann, zum Trost in diesem Leiden,
Den Namen Rezia ganz deutlich unterscheiden.
59.
»Wie wundervoll mein Schicksal sich entspinnt!
(Rief Hüon aus) Wie wahr hat Oberon gesprochen,
Schwach ist das Erdenvolk und für die Zukunft blind!
Karl denkt, er habe mir gewiß den Hals gebrochen;
Auf mein Verderben zielt sein Auftrag sichtlich ab,
Und blindlings tut er bloß den Willen des Geschickes:
Der schöne Zwerg reckt seinen Lilienstab,
Und leitet mich im Traum zur Quelle meines Glückes.«
60.
»Und daß (spricht Scherasmin) die Jungfrau, die im Traum
Das Herz euch nahm, gerade die Infante
Des Sultans ist, die Karl zu eurer Braut ernannte;
Daß alles so sich schickt, und daß auch Sie im Traum,
Wie ihr in sie, in Euch entbrannte,
So etwas glaubte man ja seinen Augen kaum!«
»Und doch«, spricht Hüon, »hat's die Alte nicht erfunden;
Den Knoten hat das Schicksal selbst gewunden.
61.
Nur wie er aufzulösen sei,
Da liegt die Schwierigkeit!« – »Mich sollte das nicht plagen«,
Erwidert Scherasmin, »Herr, darf ich ungescheut
Euch meine schlechte Meinung sagen?
Ich macht es kurz und schnitt ihn frisch entzwei.
Dem Junker linker Hand ließ ich den Luftpaß frei
Und dem Kalifen seine Zähne,
Und hielte mich an meine Dulcimene.
62.
Bedenkt's nur selbst, in ihrer Gegenwart
Die Zeremonie mit Kopfab anzufangen,
[225]
Hernach vier Backenzähn und eine Hand voll Bart
Dem alten Herren abverlangen,
Und vor der Nas ihm gar sein einzig Kind umfangen,
Bei Gott! das hat doch wahrlich keine Art!
Das Schicksal kann unmöglich wollen
Daß wir das Ziel uns selbst so grob verrücken sollen.
63.
Zum Glück, daß Oberon das Beste schon versah. 5
Das Hauptwerk ist doch wohl, dem Hasen
Von Bräutigam das Fräulein wegzublasen;
Und dazu hilft die schöne Rezia
Gewiß uns selbst, so bald sie von der Alten
Berichtet ist, das gelbe Haar sei da.
Mir liegt indessen ob, zwei frische Klepper, nah
Beim Garten des Serails, zur Flucht bereit zu halten.«
64.
»Herr Scherasmin, (versetzt der Ritter) wie es scheint,
Entfiel euch, daß ich Karln mein Ehrenwort gegeben,
Dem, was er mir gebot, buchstäblich nachzuleben?
Da geht kein Jot davon, mein Freund!
Was draus entstehen kann, das mag daraus entstehen!
Mir ziemt es nicht so was voraus zu sehen.«
»Im Fall der Not (erwidert Scherasmin)
Muß doch zuletzt der Zwerg uns aus dem Wasser ziehn.«
65.
Allmählich schlummerte der Alte unter diesen
Gesprächen ein. Von Hüons Augen bleibt
Der süße Schlaf die Nacht hindurch verwiesen.
Gleich einem Kahn auf hohen Wogen, treibt
Sein ahnend Herz mit ungeduldgem Schwanken
Auf ungestüm sich wälzenden Gedanken:
So nah dem Port; so nah, und doch so weit!
Es ist ein Augenblick, und däucht ihm Ewigkeit.

Fußnoten

1 Gaden, IV. 15. Ein uraltes Wort, dessen Gebrauch in Ober- und Niederdeutschland, und vornehmlich in der Schweiz, hier und da noch in verschiedenen aus einem gemeinsamen Begriff entspringenden Bedeutungen sich erhalten hat. In den Namen der gefürsteten Propstei Berchtoldsgaden und des Oberbayerischen Prämonstratenser-Stifts Steingaden ist Gaden eben das, was hausen, heim, zell in den Namen einer Menge von Klöstern in Österreich, Bayern und Schwaben. In der Bedeutung von Laden, Kammer, Scheune, Stall sagte man ehemals Würzgaden, Gadendiener, Speisegaden, und sagt noch itzt in der Schweiz Milchgaden, (Milchkeller) Käsegaden, Viehgaden, Heugaden. Für Stockwerk eines Hauses kommt es im Schwaben- und Sachsenspiegel u.b.a. und für Zimmer oder Gemach im Heldenbuche vor:

Da schloß die Küniginne

Drei Riegel vor das Gaden.

Eva war ein Gaden (Wohnsitz) aller weiblichen Tugend, sagte der zu seiner Zeit berühmte Prediger Joh. Matthesius noch im sechzehnten Jahrhundert. Man sollte dieses Wort (welches schon beim Ottfried und Willeram in der Form Gadum und Gegadame vorkommt) um so mehr zu erhalten suchen, da es ohne Zweifel eines von denen ist, die uns aus der ältesten Sprache, der gemeinschaftlichen Stamm-Mutter der Hebräischen, Phönizischen, Persischen und Celtischen, übrig geblieben sind. Denn es ist im Hebräischen gadar, einzäunen, im Punischen Gadir, Einzäunung, in Gades, dem alten Namen der Stadt Cadiz, und in dem Namen der Persischen Stadt Menosgada und der Burg Pasergada oder Persagadum, in der Gegend wo Cyrus den berühmten Sieg über den Astyages erhielt, unverkennbar. In unserm Gedichte scheint es hier, zumal im Munde Scherasmins, an seinem rechten Orte zu stehen, und eine kleine Ladenstube oder Kammer eines schlechten Häuschens in einer Winkelgasse zu bezeichnen.

2 Han, IV. 36. Eben das, was Karavan– oder Kirwan-Serai; große öffentliche Gebäude in den Muhamedanischen Ländern, wo Reisende, jedoch ohne Verpflegung, beherbergt werden.

3 Fant, IV. 47. »Ein fremder junger Fant.« – Dieses Wort wird hier für Jüngling gebraucht, und ist in so fern mit dem alten Worte Knapp (wovon Schildknapp, Bergknapp) gleichbedeutend. In Niedersachsen, wo es so viel als Knecht ist, wird es Fent ausgesprochen; im Isländischen lautet es Fant. Das Italiänische Fante ist damit vielleicht einerlei Ursprungs. Auch die Bauern (Pions) im Schachspiele werden in einigen Gegenden Fant oder Fänt genannt.

4 Bar, »schön wie ein barer Engel«, IV. 47. Ein veraltetes Wort, welches ehemals unter andern die Bedeutung von offenbar, augenscheinlich (manifestus, luculentus) hatte, und, in so fern dieser Begriff damit verbunden wird, in die Sprache der Dichter, (in welcher die Beiwörter größten Teils als Farben zu betrachten sind) wenigstens in die Sprache des komischen, scherzhaften und launigen Stils, aufgenommen zu werden verdient. Man hat es deswegen einer Person in den Mund gelegt, der es anständig ist, sich in einer, wo nicht niedrigen, doch weniger edeln Sprechart auszudrücken, als der Held des Stücks, oder der Dichter, wenn er selbst erzählt.

5 Versehen, IV. 63. Etwas versehen, d.i. schicken, verfügen, kommt in dieser veralteten Form und Bedeutung öfters in Luthers Bibel vor.

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TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Verserzählungen. Oberon. Vierter Gesang. Vierter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A6CB-F