Ode

Amphora coepit

Institui, vertente rota cur urceus exit?

Ihr stillen Tiefen, denen mein Geist sich oft
Betrachtend nähert, Tiefen der Ewigkeit,
Geheimnisvolle dunkle Gründe,
Wo die Gedanken so gern versinken,
[40]
Seid mir gegrüßet! Festliche Ewigkeit,
Ich fühl, ich fühl es, daß ich unsterblich bin.
Ihr Engel, ach! ihr Seher Gottes,
Lächelt mir euerm Freund entgegen!
Die höchste Hoffnung welche der Seraph wagt
Ist mir gegeben, bin ich von Staube gleich.
Ich bin ein Christ. O mein Messias,
Auch für mich hast du den Thron erobert.
Die Mitternächte, die wie unendlich sonst
Mich schrecken würden, hellet mein Glaube auf,
Ich seh durch ungemessne Räume
In die Versammlung der Auserwählten,
Der Sänger Gottes, die Dich, o Menschenfreund,
O Gott Erlöser, die dich mit Augen sehn;
Ich sehe namenlose Freuden
Auf den Gefilden des neuen Himmels.
Hat wohl mein Engel sanft, im Vorübergehn,
Mein Aug berühret? Welche Entzückungen
Umglänzen mich! Wie ungleich allem
Was ich vorher mit Entzückung ehrte.
Bin ichs auch selber? O wie erbebt mein Geist,
Wie lieblich bebt er unter der süßen Last
Der hohen schwellenden Gedanken,
Welche den werdenden Engel bilden!
Fleug, meine Seele, einen behendern Flug
Als Seraphs Schwingen, fleug die Gefilde durch,
Die, voll von Gott der sich enthüllet,
Sich unermeßlich vor dir eröffnen.
Wer dürft es wagen, ohne Vermessenheit
So groß zu hoffen? Ohne Vermessenheit
Darf es der Christ. Der nennt den Himmel
Und die Äonen sein altes Erbe.
[41]
Unsterblichs Leben, Abgrund von Hoffnungen,
Was fehlt der Seele, welche dich glauben darf?
Dort wird dies Leben sich entwickeln,
Dorten wird was ich hier Unglück nannte
Zu Jubel werden. Ach! wie beruhigt mich
Die süße Hoffnung! O wie zerfließt mein Herz
In Vorempfindung meiner Wonne –
Freunde, dort werd ich euch wiederfinden.
Ihr die ich liebe, die ihr mir ähnlich seid,
Wie ich, gefühlvoll für die harmonische
Erhabne Tugend, ach dort eil ich
Euch mit verbreitetem Arm entgegen!
Dort drückt dein Antlitz, denkender Br[eitinger]
Dem Cherub ähnlich Eifer für Wahrheit aus,
Dort lächelt meines B[odmers] Auge
Mir mit belohnendem Blick entgegen.
Auch du, Philokles, – du, mein geliebter H[eß]
Du auch, du Sipha unsrer verdorbnen Zeit!
Und du mit Daphnens schöner Unschuld
Redlicher Sch[inz] wirst mich da umarmen.
Dann schau ich um mich, denn mein verlangend Herz
Fühlt daß du fehlest – aber nun kommst du auch
Herbei, o zärtliche Melissa,
Und dein gefühlvolles Aug weint Freude.
Mit holdem Lächeln führet Irene dich,
Wie triumphiert Sie daß Sie dich wiederfand!
Wie segnet sie die teure Stunde
Da Ihr auf Erden zuerst euch fandet!
Auch jene Stunde, die mir so festlich ist,
Da mich euch beide Sariel suchen hieß;
Und jede goldene Minute
Die wir der Weisheit und Freundschaft weihten.
[42]
Itzt wird die Freundschaft, welche die Tugend band,
Die schönste Neigung unter den Sterblichen,
Zu Lieb erhöhet, wie die Engel
Wie sich die Geister im Äther lieben.
Du auch, Ismene, öffne den holden Arm,
Du sanfte Unschuld! lächle mir wieder zu,
Wie an des Neckars grünen Ufern,
Wo die platonische Weisheit lauschte.
Doch wer ist diese, welcher die Seraphim
Da sie vorbeigeht, wundernd entgegensehn,
Ihr Blick ist Unschuld, die sich fühlet,
Zärtlich und lächelnd ihr ganzes Wesen.
Wie klopft mein Herze! was für Empfindungen
Was für Entzückung! – ach! so empfand ich einst
Für Eine nur! – ja, ja, sie ist es.
Könnte mein Herze sie wohl verkennen?
Du bist's, Serena, laßt mich, ihr Freundinnen!
Sie ist, sie ist es! Ach! sie ist wieder mein!
Laß mich der neuen Liebe Tränen
Von der hellglänzenden Wange küssen.
O weine nicht mehr! Schönste der zärtlichen
Geliebten Seelen, die ich auf Erden fand,
Mit namenlosen Sympathien
Mit mir verbunden und mir die gleichste.
Ach! mehr als Liebe, war es, o Göttliche
Viel mehr als Freundschaft, was ich für dich empfand,
Komm, laß uns von den Engeln lernen
Namen dem hohen Gefühl zu geben.
Auch warst du schöner als sonst die Seelen sind,
Die, ihres Ursprungs Hoheit uneingedenk,
In Staub verhüllt, entstellt und dämmernd,
Geistlos, nur sinnliche Reize atmen.
[43]
Der Himmel wußt es, solche Empfindungen
Drückt keine Liebe, keine Umarmung aus;
So wie ich dich, Serena, liebte,
Konnte kein Sterblicher mehr dich lieben.
Sei ganz Entzückung! Kein labyrinthisches
Verborgnes Schicksal trennt uns, o Freundin, mehr,
Sieh diese Paradies' uns winken,
Sieh die Äonen die um uns schimmern!
Sei mir gegrüßet, himmlische Ewigkeit,
In welche Freuden läßt du hinübersehn!
Empfangt uns, amaranthne Lauben,
Englische Lauten, ertönt von Liebe!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Gedichte. Gedichte. Jugendgedichte. Ode [4]. Ode [4]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A675-2