[329] Zehnter Gesang

1.
Schon sinkt der Tag, und trauernd wirft die Nacht
(Ach! nicht vertraulich mehr in süßer Herzensfülle
Von Liebenden und Freunden zugebracht)
Mitleidig ihre trübste Hülle
Ums öde Eiland her, wo aus der tiefen Stille
Nun keinen Morgen mehr der Freude Lied erwacht;
Nur ein Verlassener von allem was er liebet
Der Pflichten schrecklichste durch stilles Dulden übet.
2.
Ihn hört Titania, in ein Gewölk verhüllt,
Tief aus dem Wald herauf in langen Pausen ächzen,
Sieht den Unglücklichen in stummer Angst verlechzen,
Und wendet sich von ihm. Denn, ach! vergebens schwillt
Ihr zartes Herz von innigem Erbarmen.
Ein stärkrer Zauber stößt mit unaufhaltbarn Armen
Sie weg von ihm; und wie sie überm Strand
Dahin schwebt, blinkt vor ihr ein Goldreif aus dem Sand.
3.
Amanda hatte ihn, im Ringen mit den Söhnen
Des Raubes, unvermerkt vom Finger abgestreift.
Die Elfenkönigin, indem sie ihn ergreift,
Erkennt den Talisman, dem alle Geister frönen.
»Bald«, ruft sie freudig, »ist das Maß des Schicksals voll!
Bald werden wieder dich die Sterne mir versöhnen, Geliebter!
Dieser Ring verband uns einst; er soll
Zum zweiten Mal zu meinem Herrn dich krönen!«
4.
Inzwischen hatte man im Schiff, mit großer Müh,
Amanden, die in Ohnmacht lag, ins Leben
Zurück gerufen. Kaum begonnte sie
Die schweren Augen trostlos zu erheben;
So fiel vor ihr der Hauptmann auf die Knie,
Und bat sie, sich dem Gram nicht länger zu ergeben:
»Dein Glück ist's«, sprach er, »bloß, wovon ich Werkzeug bin;
In wenig Tagen bist du unsre Königin.
[330] 5.
Besorge nichts von uns, wir sind nur dich zu schützen
Und dir zu dienen da: dich, Schönste, zu besitzen
Ist nur Almansor wert, der dir an Reizen gleicht.
Er wird beim ersten Blick in deinen Fesseln liegen;
Und, glaube meinem Wort, du wirst ihn mit Vergnügen
Zu deinen Füßen sehn.« Der Hauptmann spricht's, und reicht
(Um allen Argwohn, den sie hegen mag, zu stillen)
Ein reiches Tuch ihr dar, sich ganz darein zu hüllen.
6.
»Der ist des Todes, (fährt er fort,
Mit einem Blick und Ton, der alles Volk an Bord
Erzittern macht) der je des Frevels sich verwäget
Und seine Hand an diesen Schleier leget!
Betrachtet sie von diesem Augenblick
Als ein Juwel, das schon Almansorn angehöret.«
Er sagt's, und zieht, damit sie ungestöret
Der Ruhe pflegen kann, kniebeugend sich zurück.
7.
Amanda, ohne auf des Räubers Wort zu hören,
Bewegungslos, betäubt von ihrem Unglück, sitzt,
Die Hände vor der Stirn, die Arme aufgestützt
Auf ihre Knie, mit starren, tränenleeren,
Erloschnen Augen da. Ihr Jammer ist zu groß
Ihn auszusprechen, ihn zu tragen
Ihr starkes Herz zu zart. Ach! diesen letzten Stoß
Erträgt sie nicht! Sie sinkt, doch sinkt sie ohne Klagen.
8.
Sie schaut nach Trost sich um, und findet keinen; leer
Und hoffnungslos, und Nacht, wie ihre Seele,
Ist alles, alles um sie her;
Die ganze Welt verkehrt in eine Mörderhöhle!
Sie starrt zum Himmel auf – auch Der
Hat keinen Trost, hat keinen Engel mehr!
Am Abgrund der Verzweiflung, wo sie schwebet,
Steht noch der Tod allein, der sie im Sinken hebet.
9.
Mitleidig reicht er ihr die abgezehrte Hand,
Der letzte, treuste Freund der Leidenden! Sie steiget
[331]
Hinab mit ihm ins stille Schattenland,
Wo aller Schmerz, wo aller Jammer schweiget;
Wo keine Kette mehr die freie Seele reibt,
Die Szenen dieser Welt wie Kinderträume schwinden,
Und nichts aus ihr als unser Herz uns bleibt:
Da wird sie alles, was sie liebte, wiederfinden!
10.
Wie ein verblutend Lamm, still duldend, liegt sie da,
Und seufzt dem letzten Augenblick entgegen:
Als, in der stillen Nacht, sich ihr Titania
Trost bringend naht. Ein unsichtbarer Regen
Von Schlummerdüften stärkt der schönen Dulderin
Matt schlagend Herz, und schläft den äußern Sinn
Unmerklich ein. Da zeigt sich ihr im Traumgesichte
Die Elfenkönigin in ihrem Rosenlichte.
11.
»Auf!« spricht sie, »fasse Mut! Dein Sohn und dein Gemahl
Sie atmen noch, sind nicht für dich verloren.
Erkenne mich! Wenn du zum dritten Mal
Mich wieder siehst, dann ist, was Oberon geschworen,
Erfüllt durch eure Treu. Ihr endet unsre Pein,
Und wie Wir glücklich sind, so werdet Ihr es sein.«
Mit diesem Wort zerfließt die Göttin in die Lüfte,
Doch wehen, wo sie stand, noch ihre Rosendüfte.
12.
Amand erwacht, erkennt an ihrem Duft
Und Rosenglanz, die nur allmählich schwanden,
Die göttergleiche Frau, die in der Felsengruft,
Gleich unverhofft, ihr ehmals beigestanden.
Gerührt, beschämt von diesem neuen Schutz,
Ergreift ihr Herz mit dankbarlichem Beben
Dies Pfand von ihres Sohns und ihres Hüons Leben,
Und beut mit ihm nun jedem Schicksal Trutz.
13.
Ach! wüßte sie, was ihr (zu ihrem Glücke)
Verborgen bleibt, wie trostlos diese Nacht
Ihr unglückselger Freund, mit siebenfachem Stricke
An einen Eichenstamm gebunden, zugebracht,
[332]
Wie bräch ihr Herz! – Und Er, vor dessen Augenblitze
Nichts dunkel ist, der gute Schutzgeist, weilt?
Er steht, am Quell des Nils, auf einer Felsenspitze,
Die, ewig unbewölkt, die reinsten Lüfte teilt.
14.
Den ernsten Blick dem Eiland zugekehrt,
Wo Hüon schmachtet, steht der Geisterfürst, und hört
Sein Ächzen, das aus tiefer Ferne
Zu ihm herüber bebt, – schaut nach dem Morgensterne,
Und hüllt sich seufzend ein. Da nähert, aus der Schar
Der Geister, die teils einzeln, teils in Ringen,
Ihn überall begleiten und umschwingen,
Sich einer ihm, der sein Vertrauter war.
15.
Erblassend, ohne Glanz, naht sich der Sylphe, blickt
Ihn schweigend an, und seine Augen fragen
Dem Kummer nach, der seinen König drückt;
Denn Ehrfurcht hält ihn ab die Frage laut zu wagen.
»Schau auf«, spricht Oberon. Und mit dem Worte weist
In einer Wolke, die mit ausgespanntem Flügel
Vorüber fährt, sich dem bestürzten Geist
Des armen Hüons Bild als wie in einem Spiegel.
16.
Versunken in der tiefsten Not,
An seines Herzens offnen Wunden
Verblutend, steht er da, verlassen und gebunden
Im öden Wald, und stirbt den langen Martertod.
In diesem hoffnungslosen Stande
Schwellt seine Seele noch das zürnende Gefühl:
»Verdient ich das? verdiente das Amande?
Ist unser Elend nur den höhern Wesen Spiel?
17.
Wie unteilnehmend bleibt bei meinem furchtbarn Leiden,
Wie ruhig alles um mich her!
Kein Wesen fühlt mit mir; kein Sandkorn rückt am Meer
Aus seinem Platz, kein Blatt in diesen Laubgebäuden
Fällt meinetwegen ab. Ein scharfer Kiesel wär
Um meine Bande durchzuschneiden
[333]
Genugsam – ach! im ganzen Raum der Zeit
Ist keine Hand, die ihm dazu Bewegung leiht!
18.
Und doch, wenn meine Not zu wenden
Dein Wille wär, o Du, der mich dem Tod so oft
Entrissen, wenn ich es am wenigsten gehofft,
Es würden alle Zweig in diesem Wald zu Händen
Auf deinen Wink!« – Ein heilger Schauder blitzt
Durch sein Gebein mit diesem Himmelsfunken;
Die Stricke fallen ab; er schwankt, wie nebeltrunken,
In einen Arm, der ihn unsichtbar unterstützt.
19.
Es war der Geist, dem Oberon die Geschichte
Des treuen Paars im Bilde sehen ließ,
Der diesen Dienst ihm ungesehn erwies.
Der Sohn des Lichts erlag dem kläglichen Gesichte.
»Ach!« rief er, inniglich betrübt,
Und sank zu seines Meisters Füßen,
»So strafbar als er sei, kannst du, der ihn geliebt,
Vor seiner Not dein großes Herz verschließen?«
20.
»Der Erdensohn ist für die Zukunft blind«,
Erwidert Oberon, »wir selbst, du weißt es, sind
Des Schicksals Diener nur. In heilgen Finsternissen,
Hoch über uns, geht sein verborgner Gang;
Und, willig oder nicht, zieht ein geheimer Zwang
Uns alle, daß wir ihm im Dunkeln folgen müssen.
In dieser Kluft, die mich von Hüon trennt,
Ist mir ein Einzigs noch für ihn zu tun vergönnt.
21.
Fleuch hin, und mach ihn los, und trag ihn auf der Stelle,
So wie er ist, nach Tunis, vor die Schwelle
Des alten Ibrahim, der, nahe bei der Stadt,
Die Gärten des Serails in seiner Aufsicht hat.
Dort leg ihn auf die Bank von Steinen,
Hart an die Hüttentür, und eile wieder fort:
Doch hüte dich ihm sichtbar zu erscheinen,
Und mach es schnell, und sprich mit ihm kein Wort.«
[334] 22.
Der Sylphe kommt, so rasch ein Pfeil vom Bogen
Das Ziel erreicht, bei Hüon angeflogen,
Löst seine Bande auf, beladet sich mit ihm,
Und trägt ihn, über Meer und Länder, durch die Lüfte
Bis vor die Tür des alten Ibrahim;
Da schüttelt er von seiner starken Hüfte
Ihn auf die Bank, so sanft als wie auf Pflaum.
Dem guten Ritter däucht was ihm geschieht ein Traum.
23.
Er schaut erstaunt umher, und sucht sich's wahr zu machen:
Doch alles was er sieht bestätigt seinen Wahn.
»Wo bin ich?« fragt er sich, und fürchtet zu erwachen.
Indem beginnt, nicht fern von ihm, ein Hahn
Zu krähn, und bald der zweite und der dritte;
Die Stille flieht, des Himmels goldnes Tor
Eröffnet sich, der Gott des Tages geht hervor,
Und alles lebt und regt sich um die Hütte.
24.
Auf einmal knarrt die Tür, und kommt ein langer Mann
Mit grauem Bart, doch frisch und rot von Wangen,
Ein Grabscheit in der Hand, zum Haus heraus gegangen;
Und beide sehn zugleich, was keiner glauben kann,
Herr Hüon seinen treuen Alten
In einem Sklavenwams – der gute Scherasmin
Den werten Herrn, den er für tot gehalten,
In einem Aufzug, der nicht glückweissagend schien.
25.
»Ist's möglich?« rufen alle beide
Zu gleicher Zeit – »Mein bester Herr!« – »Mein Freund!«
»Wie finden wir uns hier?« – Und, außer sich vor Freude,
Umfaßt der alte Mann des Prinzen Knie, und weint
Auf seine Hand. Ihn herzlich zu umfangen
Bückt Hüon sich zu ihm herunter, hebt
Ihn zu sich auf, und küßt ihn auf die Wangen.
»Gott Lob«, ruft Scherasmin, »nun weiß ich daß ihr lebt!
26.
Was für ein guter Wind trug euch vor diese Schwelle,
Doch zum Erzählen ist der Ort hier nicht geschickt;
[335]
Kommt, lieber Herr, mit mir in meine Zelle,
Eh jemand hier beisammen uns erblickt.
Auf allen Fall seid ihr mein Neffe Hassan, (flüstert
Er ihm ins Ohr) ein junger Handelsmann
Von Halep, der die Welt zu sehn gelüstert,
Und Schiffbruch litt, und mit dem Leben nur entrann.«
27.
»Ja, leider! blieb mir nichts«, seufzt Hüon, »als ein Leben
Das keine Wohltat ist!« – »Das wird sich alles geben«,
Erwidert Scherasmin, und schiebt sein Kämmerlein
Ihm hurtig auf, und schließt sich mit ihm ein.
»Da«, spricht er, »nehmet Platz«; bringt dann auf einem Teller
Das Beste, was sein kleiner Vorratskeller
Vermag, herbei, Oliven, Brot und Wein,
Und setzt sich neben ihn, und heißt ihn fröhlich sein.
28.
»Mein bester Herr, daß wir, nach allen Streichen
Die uns das Glück gespielt, so unvermutet hier
Zu Tunis, vor der Hüttentür
Des Gärtners Ibrahim uns finden, ist ein Zeichen,
Daß Oberon ganz unvermerkt und still
Uns alle wiederum zusammen bringen will.
Noch fehlt das Beste; doch, zum Pfande für Amanden,
Ist wenigstens die Amme schon vorhanden.«
29.
»Was sagst du?« ruft Herr Hüon voller Freuden.
»Demselben Ibrahim, dem ich bedienstet bin,
Dient sie als Sklavin hier«, erwidert Scherasmin.
»Wie wird das gute Weib die Augen an euch weiden!«
Drauf fängt er ihm Bericht zu geben an,
Was er in all der Zeit gelitten und getan,
Und was ihn, unverrichter Sachen,
Bewogen, von Paris sich wieder wegzumachen.
30.
Und wie er ihn zu Rom in Lateran gesucht,
Und, seiner dort viel Wochen ohne Frucht
Erwartend, unvermerkt sein Bißchen Geld verzettelt,
Darauf, mit Muscheln ausstaffiert,
[336]
Sich durch die halbe Welt als Pilger durchgebettelt,
Bis ihn sein guter Geist zuletzt hierher geführt,
Wo Fatme, die er unverhofft gefunden,
Auf beßre Zeit mit ihm zu harren sich verbunden.
31.
»Zum Glück ist immer unversehrt
(Setzt er hinzu) das Kästchen mitgezogen,
Das euch der schöne Zwerg zu Askalon verehrt;
Denn, wie ich sehe, Horn und Becher sind entflogen.
Verzeiht mir, lieber Herr! ich traf den wunden Ort;
Es war nicht hübsch an mir so frei heraus zu platzen:
Die Freude, daß ich euch gefunden, macht mich schwatzen;
Allein, ihr kennt mein Herz, und weiter nun kein Wort!«
32.
Der edle Fürstensohn drückt seinem guten Alten
Die Hand, und spricht: »Ich kenne deine Treu,
Sollst alles wissen, Freund! ich will dir nichts verhalten;
Allein, vor allem, steh in Einem Ding mir bei.
Das Kästchen, das du mir erhalten,
Ist an Juwelen reich. Denkst du nicht auch, es sei
Am besten angewandt, mir eilends Pferd und Waffen
Und ritterlichen Schmuck in Tunis anzuschaffen?
33.
Es sind zwölf Stunden kaum, seit eine Räuberschar
Amanden mir entriß, mir, der am ödsten Strande
Allein mit ihr und unbewaffnet war.
Sie führen sie vielleicht in diese Mohrenlande,
Nach Marok oder Fez, gewiß nach einem Platz,
Wo Hoffnung ist, sie teuer zu verkaufen:
Allein kein Harem soll mir meinen höchsten Schatz
Entziehen, sollt ich auch die ganze Welt durchlaufen.«
34.
Der Alte sinnt der Sache schweigend nach.
»Die Gegend, wo ihr euch mit Rezia befunden,
Ist also wohl nur wenig Stunden
Von hier entfernt?« – »Nicht daß ich wüßte«, sprach
Der junge Fürst; »vielleicht sind's tausend Stunden:
Mich trug, unendlich schnell, ich weiß nicht wer,
[337]
(Doch wohl ein Geist) aus einem Wald hierher,
Wo mich das Räubervolk an einen Baum gebunden.«
35.
»Das hat«, ruft jener aus, »kein andrer Arm getan
Als Oberons.« – »Ich selber«, spricht der Ritter,
»Ich trau ihm's zu, und nehm's als ein Versprechen an,
Er werde mehr noch tun. So bitter
Die Trennung ist, so schreckenvoll das Bild
Des holden Weibs in wilden Räuberklauen;
Dies neue Wunder, Freund, erfüllt
Mein neu belebtes Herz mit Hoffnung und Vertrauen.
36.
Der müßte ja ganz herzlos, ganz von Stein,
Und ohne Sinn, und gänzlich unwert sein
Daß sich der Himmel seinetwegen
Bemühe, (hätt er auch von dem die Hälfte nur
Erfahren, was mir widerfuhr)
Wer Kleinmut und Verdacht zu hegen
Noch fähig wär. Es geh durch Feuer oder Flut
Mein dunkler Weg, ich halte Treu und Mut.
37.
Nur, lieber Scherasmin, wenn's möglich ist, noch heute
Verschaffe mir ein Schwert und einen Gaul.
Zu lang entbehr ich beides! – an der Seite
Der Liebe zwar – doch itzt, in dieser Weite
Von Rezia, däucht mir mein Herzblut stehe faul
Als wie ein Sumpf, bis ich die schöne Beute
Den Heiden abgejagt. Ihr Leben und mein Glück,
Bedenk es, hängt vielleicht an einem Augenblick.«
38.
Der Alte schwört ihm zu, es soll an ihm nicht liegen
Des Prinzen Ungeduld noch heute zu vergnügen.
Doch unverhofft hält seines Eifers Lauf
Am ersten Abend schon ein leidiger Zufall auf
Denn Hüon fühlte von so viel Erschütterungen,
Die Schlag auf Schlag gefolgt, auf einmal sich bezwungen,
Und brachte, matt und glühend, ohne Ruh,
Die ganze Nacht in Fieberträumen zu.
[338] 39.
Die Bilder, die ihm stets im Sinne lagen,
Beleben sich; er glaubt mit einem Schwarm
Von Feinden sich ergrimmt herum zu schlagen;
Dann sinkt er kraftlos hin, und drückt im kalten Arm
Die Leiche seines Sohns; bald kämpft er mit den Fluten,
Hält die versinkende Geliebte nur am Saum
Des Kleides noch; bald, selbst an einen Baum
Gebunden, sieht er sie in Räuberarmen bluten.
40.
Erschöpft von Grimm und Angst stürzt er aufs Lager hin
Mit starrem Blick. Dem treuen Scherasmin
Kommt seine Wissenschaft in dieser Not zu Statten.
Denn dazumal war's eines Knappen Amt
Die Heilkunst mit der Kunst der Ritterschaft zu gatten.
Ihm war sie schon vom Vater angestammt,
Und viel Geheimes ward auf seinen langen Reisen
Ihm mitgeteilt von Rittern und von Weisen.
41.
Er eilt, so bald der schöne Morgenstern
Am Himmel bleicht, (indes bei dem geliebten Herrn
Als Wärterin sich Fatme emsig zeiget)
Den Gärten zu, worin noch alles ruht und schweiget;
Sucht Kräuter auf, von deren Wunderkraft
Ein Eremit auf Horeb ihn belehret,
Und drückt sie aus, und mischet einen Saft,
Der binnen kurzer Frist dem stärksten Fieber wehret.
42.
Ein sanfter Schlaf beginnt schon in der zweiten Nacht
Auf Hüons Stirne sich zu senken.
Mit liebevoller Treu gepfleget und bewacht,
Und reichlich angefrischt mit kühlenden Getränken,
Fühlt er am vierten Tag so gut sich hergestellt,
Um sich, so bald der Mond die laue Nacht erhellt,
In einem Gärtnerwams, womit man ihn versehen,
Mit Scherasmin im Garten zu ergehen.
43.
Sie hatten in den Rosenbüschen,
Nah an der Hütte, noch nicht manchen Gang getan,
[339]
So kommt die Amme (die, was Neues aufzufischen,
Sich oft dem Harem naht) mit einer Zeitung an,
Die kräftger ist als irgend ein Laudan 1
Des Kranken Blut und Nerven zu erfrischen:
Es sei, versichert sie, beinahe zweifelsfrei
Daß Rezia nicht fern von ihnen sei.
44.
»Wo ist sie? wo?« ruft Hüon mit Entzücken
Und Ungeduld, auffahrend – »Hurtig! sprich!
Wo sahst du sie?« – »Gesehn?« erwidert Fatme, »ich?
Das sagt ich nicht; allein, ich lasse mich zerstücken
Wenn's nicht Amanda ist, die diesen Abend hier
Gelandet. Höret nur, was die Minute mir
Die Jüdin Salome, die eben
Vom innern Harem kam, für ganz gewiß gegeben.
45.
›Kurz‹, sprach sie, ›vor der Abendzeit
Ließ auf dem hohen Meer sich eine Barke sehen;
Sie flog daher mit Vogelsschnelligkeit,
Die Segel schien ein frischer Wind zu blähen.
Auf einmal stürzt aus wolkenlosen Höhen
Zickzack ein feurger Strahl herab,
Und mit dem ersten Stoß, den ihm ein Sturmwind gab,
Sieht man das ganze Schiff in voller Flamme stehen.
46.
An Löschen denkt kein Mensch in solcher Not.
Das Feuer tobt. Vom fürchterlichsten Tod
Umschlungen, springt aus seinem Flammenrachen
Wer springen kann, und wirft sich in den Nachen.
Der Wind macht bald die von dem Schiffe los,
Treibt sie dem Ufer zu; doch, eine Viertelstunde
Vom Strand, ergreift den Kahn ein neuer Wirbelstoß,
Und stürzt ihn um, und alles geht zu Grunde.
47.
Die Leute schrein umsonst zu ihrem Mahom auf,
Arbeiten, mit der angestrengten Stärke
Der Todesangst, umsonst sich aus der Flut herauf:
Nur eine einzge Frau, die sich zum Augenmerke
[340]
Der Himmel nahm, entrinnet der Gefahr,
Wird auf den Wellen, wie auf einem Wagen,
Ganz unversehrt, und unbenetzt sogar,
Dem nahen Ufer zugetragen.
48.
Von ungefähr stand mit Almansaris
Der Sultan just auf einer der Terrassen
Des Schlosses, die hinaus ins Meer sie sehen ließ,
Erwartungsvoll den Ausgang abzupassen.
Ein sanfter Zephyr schien die Frau herbei zu wehn.
Doch, um sich nicht zu viel auf Wunder zu verlassen,
Winkt itzt Almansaris, und hundert Sklaven gehn
Bis an den Hals ins Meer, der Schönen beizustehn.
49.
Man sagt, der Sultan selbst sei an den Strand gekommen,
Und habe sie, von einem Idschoglan 2,
Der aus dem strudelnden Schaum bis zur Terraß hinan
Sie auf dem Rücken trug, selbst in Empfang genommen.
Man konnte zwar nicht hören was er sprach,
Doch schien er ihr viel Höfliches zu sagen,
Und, weil's an Zeit und Freiheit ihm gebrach,
Sein Herz ihr, wenigstens durch Blicke, anzutragen.‹
50.
Wie dem auch sei, dies ist gewiß,
(Fährt Fatme fort) daß sich Almansaris
Der schönen Schwimmerin gar freundlich und gewogen
Bewiesen hat, und ihr viel Schönes vorgelogen,
Wiewohl der Fremden seltner Reiz
Ihr gleich beim ersten Blick Almansors Herz entzogen;
Und daß sie ein Gemach bereits
Im Sommerhaus der Königin bezogen.«
51.
Angst, Freude, Lieb und Schmerz, malt, wahrend Fatme spricht,
Sich wechselsweis in Hüons Angesicht.
Daß es Amanda sei, scheint ihm, je mehr er denket,
Je minder zweifelhaft. Es zeigt sich sonnenklar,
Daß Oberon, wiewohl noch unsichtbar,
Die Zügel seines Schicksals wieder lenket.
[341]
»Wohlan denn, Freunde, ratet nun,
Was meinet ihr? was ist nunmehr zu tun?«
52.
»Dem Sultan mit Gewalt Amanden zu entreißen,
Das würde Roland selbst nicht wagen gut zu heißen«,
Erwidert Scherasmin; »wiewohl es ratsam ist,
Uns ingeheim, auf alles was geschehen
Und nicht geschehen kann, mit Waffen zu versehen.
Doch vor der Hand versuchen wir's mit List!
Wie, wenn ihr, da ihr euch doch nicht des Grabens schämet,
Bei Ibrahim als Gärtner Dienste nähmet?
53.
Gesetzt, er macht auch Anfangs Schwierigkeit,
Er sieht euch schärfer an, und schüttelt
Sein weises Haupt; mir ist dafür nicht leid:
Ein schöner Diamant hat manches schon vermittelt.
Laßt diese Sorge mir, Herr Ritter! Zwischen heut
Und morgen sehn wir euch, trotz aller Schwierigkeit,
Zu einem Gärtnerschurz betitelt; 3
Das weitre überlaßt dem Himmel und der Zeit.«
54.
Der Vorschlag däucht dem Ritter wohl ersonnen,
Und wird nun ungesäumt und klüglich ausgeführt.
Der alte Ibrahim ist bald so gut gewonnen,
Daß er den Paladin zum Neffen adoptiert,
Zu seinem Schwestersohn, der von Damask gekommen,
Und in der Blumenzucht besonders viel getan;
Kurz, Hüon wird zum Gärtner angenommen,
Und tritt sein neues Amt mit vielem Anstand an.

Fußnoten

1 Laudan, X. 43. Laudanum, eine aus Opium zubereitete Armei von der Erfindung des berühmten Paracelsus, steht hier für jedes andere Kordial.

2 Idschoglan, X. 49. Name einer Art von Pagen des Türkischen Hofes, die im dritten Hofe des Serail neben dem Divan wohnen, und in vier Odas oder Klassen abgeteilt sind, von welchen die vierte unmittelbar zur Bedienung der Person des Sultans bestimmt ist. Vermöge einer den Dichtem immer zugestandenen Freiheit wird hier vorausgesetzt, daß ungefähr dieselbe Einrichtung auch am Hofe des Königs von Tunis Statt gefunden habe.

3 Betitelt, mit einem rechtsgültigen Grunde (titulo juris) zum Anspruch an etwas versehen, X. 53; »zu einem Gärtnerschurz betitelt«, statt berechtigt, ist in dieser Bedeutung neu gestempelt.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Verserzählungen. Oberon. Zehnter Gesang. Zehnter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A66B-9