Sechster Gesang

1.
Kaum fing Aurora an die Schatten zu verjagen,
Und schloß dem Tag mit ihrer Rosenhand
Die Pforten auf, so hielt der Schwanenwagen,
Nicht weit vom seebespülten Strand
Von Askalon, im Schirm von hohen Palmenbäumen,
Auf einmal still. Ein sanfter Stoß
Weckt unser doppelt Paar, dies aus des Schlummers Schoß,
Und jenes aus der Liebe wachen Träumen.
2.
In süßem Schrecken bebt die Sultanstochter auf,
Indem zum ersten Mal, vom Morgen angestrahlet,
Das Weltmeer grenzenlos sich in ihr Auge malet.
Voll Wunders schweift in ungehemmtem Lauf
Der ausgedehnte Blick auf diesen Wasserhöhen;
Die Unermeßlichkeit scheint vor ihr aufgetan:
Doch, mitten in der Lust kommt sie ein Schaudern an,
Im Unermeßlichen sich selbst so klein zu sehen.
3.
Ein grauer Flor umnebelt ihren Blick.
»Wo bin ich?« ruft sie. Doch, Herr Hüon, der am Wagen
Mit offnen Armen steht ins Grüne sie zu tragen,
Bringt den verschwebten Geist schnell zu sich selbst zurück.
[247]
»Sei«, spricht er, »ohne Furcht, mein Leben,
(Indem er seinen Mund von Lieb und Sehnsucht warm
Auf ihren Busen drückt, den stille Seufzer heben)
Sei ohne Furcht, du bist in meinem Arm.«
4.
Mit Wonne fühlt sie sich itzt wieder ganz umgeben
Von ihrer Liebe, ganz in seinen Arm versenkt.
Und junger Efeu kann am Stamm nicht brünstger kleben
Als sie um seinen Leib die runden Arme schränkt.
So eilt er mit der süßen Beute
Den Palmen zu; setzt dann auf weiches Moos
Sie in den Schatten hin, sich selbst an ihre Seite,
Und tauschte seinen Platz um keines Sultans Los.
5.
Bald findet auch mit Fatme sich bei ihnen
Sein Alter ein, entschlossen, er und sie,
Bis auf den letzten Hauch dem lieben Paar zu dienen.
Kaum hatte Scherasmin im Grünen
Bei seinem Herrn, und Fatme nah am Knie
Der jungen Dame Platz genommen,
Schnell, wie ein Blitz der Phantasie,
Kam durch die Luft der schöne Zwerg geschwommen.
6.
Aus seinen Augen brach durch sanft bewölkten Gram
Der Freundschaft mildes Licht, und als er näher kam,
Sahn sie ein Kästchen, dicht besetzt mit Edelsteinen,
In seinem linken Arm wie eine Sonne scheinen.
»Freund Hüon«, sprach der Geist, »nimm dies aus meiner Hand,
Wiewohl dich Karl dazu ausdrücklich nicht verpflichtet:
Wenn du ihn wiedersiehst, so dien es ihm zum Pfand,
Daß du, was er begehrt, buchstäblich ausgerichtet!«
7.
Ihr merkt, (wiewohl in Rezias Gegenwart
Nicht schicklich war es laut zu offenbaren)
Daß des Kalifen Zähn und Bart,
In Baumwoll eingepackt, in diesem Kästchen waren.
Es hatte, während daß der Sultan noch erstarrt
In seinem Lehnstuhl lag, von Oberons unsichtbaren
[248]
Trabanten einer sich behend ans Werk gemacht,
Und alles, ohne Scher und Pelikan, vollbracht.
8.
»Eilt nun«, so fuhr er fort, »bevor euch nachzujagen
Der Sultan Zeit gewinnt! Dort auf der Reede liegt
Ein Schiff, das ohne Harm in sechs bis sieben Tagen
Mit euch bis nach Lepanto fliegt;
Dort findet ihr, so bald ihr angekommen,
Ein andres schon bereit, das nach Salern euch bringt;
Und dann, so schnell als Lieb und Sehnsucht euch beschwingt,
Geraden Wegs den Lauf nach Rom genommen!
9.
Und tief, o Hüon, sei's in deinen Sinn geprägt:
So lange bis der fromme Papst Sylvester
Auf eurer Herzen Bund des Himmels Weihung legt,
Betrachtet euch als Bruder und als Schwester.
Daß der verbotnen süßen Frucht
Euch ja nicht vor der Zeit gelüste!
Denn wisset, daß im Nu, da ihr davon versucht,
Sich Oberon von euch auf ewig trennen müßte.«
10.
Er sagt's, und seufzt, und stiller Kummer schwillt
In seinem Aug; er heißet sie ihm nahen,
Und küßt sie auf die Stirn; und als sie aufwärts sahen
Zerfloß er wie ein Wolkenbild
Aus ihrem Blick. Der goldne Tag verhüllt
Sein Antlitz; traurig rauscht's, wie Seufzer, durch die Palmen
Und Land und Meer scheint, dumpf und tief erstillt,
In trübem Duft gestaltlos zu verqualmen.
11.
Ein seltsam Weh, ein stilles Bangen drückt
Das holde Paar; sie sehn mit blassen Wangen
Einander an; im offnen Mund erstickt
Was jedes sprechen will; sie wollen sich umfangen,
Und ein geheimes Graun hält ihren Arm. Allein
In einem Pulsschlag stürzt der dumpfe Nebel nieder,
Lacht alles wie zuvor in goldnem Sonnenschein,
Und Mut und Freude kehrt in ihre Herzen wieder.
[249] 12.
Sie eilen nach dem Schiff, und finden's, hoch erfreut,
Zur Reise schon versehn und zierlich eingerichtet
Durch ihres Schützers Gütigkeit.
Ein frischer Landwind weht, der Anker wird gelichtet,
Das Seevolk jauchzt. Die Barke, vogelschnell,
Durchschneidet schon mit ausgespannten Flügeln
Die blaue Flut; die Luft ist rein und hell,
Und glatt das Meer um sich darin zu spiegeln.
13.
Sanft wiegend schwimmt, gleich einem stolzen Schwan,
Das Schiff dahin, zum Wunder aller Söhne
Des Ozeans, auf kaum gefurchter Bahn.
»So eine Fahrt hat noch kein Mensch getan«,
Rief jeder aus. Der Ritter und die Schöne
Stehn, Arm in Arm geschlungen, Stunden lang
Auf dem Verdeck, und schaun; und jede neue Szene
Ist Opium für ihren Liebesdrang.
14.
Und wenn sie in die unabsehbarn Flächen
Hinaus sehn, wo in Luft der Wellen Blau zerrinnt,
Fängt Hüon an von seinem Land zu sprechen,
Wie schön es ist, wie froh darin die Leute sind,
Und wie von Ost zum West die Sonne
Doch auf nichts Holders scheinen kann
Als auf die Ufer der Garonne;
Und alles dies beschwört sein alter Lehensmann.
15.
Dem hüpft das Herz, so oft er seinem lieben
Gascogne Hymnen singen kann!
Die schöne Rezia, wiewohl ihr dann und wann
Viel Worte unverständlich blieben,
Horcht unverwandt; denn das, wovon ihr nichts entgeht,
Was mit unsäglichem Behagen,
So neu ihr's ist, ihr Herz unendlich leicht versteht,
Ist – was ihr Hüons Augen sagen.
16.
Ein sanfter Druck der warmen Hand,
Ein Seufzer, der das volle Herz entladet,
[250]
Ein leiser Kuß, der Rosenwang entwandt,
Und, o ein Blick, in Amors Tau gebadet,
Was überzeugt, gewinnt und rührt wie dies?
Was geht so schnell, trotz dem behendsten Pfeile,
Von Herz zu Herz, trifft so gewiß
Den Zweck, und macht so wenig lange Weile?
17.
In Seelgesprächen dieser Art
Verlor das Wortgespräch sich stets bei unsern beiden.
Oft schlichen sie, um Zeugen zu vermeiden,
In ihr Gemach, und standen da gepaart
Am offnen Fenster, oder saßen
Auf ihrem Sofa. Doch, auch dann nicht ganz allein;
Die Amme wenigstens muß stets zugegen sein;
Denn Hüon selber bat ihn nie allein zu lassen.
18.
Noch immer widerhallt der schreckenvolle Ton
Des strengen »laßt euch nicht gelüsten«
In seinem Ohr; »denn wißt«, sprach Oberon,
»Daß wir uns sonst auf ewig trennen müßten.«
Wie meinte das der Geist? Es war ein tiefer Sinn
In seinem Blick, der immer ernster, immer
Bewölkter ward; ach! Tränen schwammen drin,
Und sein Gesicht verlor den sonst gewohnten Schimmer.
19.
Dies schwellt mit Ahnungen des guten Ritters Herz.
Er traut sich selbst nicht mehr; der Liebe leichtster Scherz
Erweckt die Furcht, ob Oberon ihn verdamme.
Indessen frißt die eingeschloßne Flamme
Sich immer tiefer ein. Die Luft, worin er lebt,
Ist Zauberluft, weil Rezia sie teilet;
Ihr Atem weht darin, ihr holder Schatten schwebt
Um jeden Gegenstand, auf dem sein Auge weilet.
20.
Und, o Sie selbst glänzt ihn im Morgenlicht,
Im Abendrot, im sanften Schattentage
Des Mondes an. In welcher schönen Lage,
In welcher Stellung reizt ihr Nymphenwuchs ihn nicht?
[251]
Der Schleier, der vor allen fremden Augen
Sie dicht umhüllt, fällt im Gemach zurück,
Erlaubt sogar dem furchtsam kühnen Blick
Sich, Bienen gleich, in Hals und Busen einzusaugen.
21.
Er fühlt die süße Gefahr. »O, soll es möglich sein,
Du Schönste«, ruft er oft, »bis Rom es auszuhalten,
So wickle dich in sieben Schleier ein!
Verstecke jeden Reiz in tausend kleine Falten;
Laß über dieses Arms lebendges Elfenbein
Die weiten Ärmel bis zur Fingerspitze fallen,
Und ach! Freund Oberon, vor allen
Verwandle bis dahin mein Herz in kalten Stein!«
22.
Es war, wiewohl ihm oft die Kräfte schier versagen,
Des Ritters ganzer Ernst, den Sieg davon zu tragen
In diesem Kampf. Es däucht' ihn groß und schön
Das schwerste Abenteur der Tugend anzugehn, 1
Schon groß und schön, es nur zu wagen,
Und zehnfach schön und groß, es rühmlich zu bestehn.
Allein, die Möglichkeit so einen Feind zu dämpfen,
Der immer stärker wird, je mehr wir mit ihm kämpfen?
23.
Nichts ist, was diesem Feind so bald gewonnen gibt,
Als bei der Schönen, die man liebt,
Sich dem Gefühl stillschweigend überlassen.
Zum Glück erinnert sich Herr Hüon seiner Pflicht,
Nach ritterlichem Brauch, sich mit dem Unterricht
Der Sultanstochter zu befassen.
Denn ach! das arme Kind lag noch im Heidentum,
Und glaubt' an Mahomed, unwissend zwar warum.
24.
Der Ritter, sie von dieser Pest zu heilen,
Eilt was er kann, (die Liebe hieß ihn eilen)
Sein Bißchen Christentum der Holden mitzuteilen.
An Eifer gab er keinem Märtrer nach;
Er war an Glauben stark, wiewohl an Kenntnis schwach,
Und die Theologie war keineswegs sein Fach;
[252]
Sein Pater und sein Credo, ohne Glossen,
In diesen Kreis war all sein Wissen eingeschlossen.
25.
Doch was vielleicht an Licht und Gründlichkeit
Der Lehre fehlt, ersetzt des Lehrers Feuer:
Herr Hüon, standsgemäß ein Feind von Wörterstreit,
Handhabt das Werk gleich einem Abenteuer,
Und was er glaubt, beschwört er hoch und teuer,
Erbötig, dessen Richtigkeit
Dem ganzen Heidentum mit seinem blanken Eisen
Zu Wasser und zu Land handgreiflich zu erweisen.
26.
Groß ist in des Geliebten Mund
Der Wahrheit Kraft; das Herz, voraus mit ihm in Bund,
Horcht ihm mit Lust und lehrbegiergem Schweigen.
Was ist so leicht zu überzeugen
Als Liebe? Ein Blick, ein Kuß ist ihr ein Glaubensgrund.
Die Schöne, ohne sich in Fragen zu versteigen,
Glaubt ihrem Hüon nach, und macht in kurzer Zeit
Ihr Kreuz an Stirn und Brust mit vieler Fertigkeit.
27.
Das heilge Bad der Christen zu empfangen
Stand nun (wie unser Held in seiner Einfalt meint)
Ihr weiter nichts im Weg. Ihr ist's, um vor Verlangen
Zu brennen, schon genug, daß er darnach zu bangen 2
Und jedes Augenblicks Verzug zu hassen scheint.
Ein Jünger Sankt Basils, ein großer Heidenfeind,
Der sich im Schiffe fand, wird leicht gewonnen, ihnen
Für die Gebühr hierin mit seinem Amt zu dienen.
28.
Die schöne Rezia, die nun Amanda hieß
Seitdem sie in den Christenorden
Getreten war, gewann nicht nur das Paradies,
Sie schien dadurch sogar noch eins so schön geworden.
Allein von Hüon wich zur Stunde sichtbarlich
Sein guter Geist. Es war, im Taumel des Entzückens,
Des Herzens und des Händedrückens
Kein End. Umsonst zerwinkt der treue Alte sich;
[253] 29.
Vergebens stellt sich Fatme gegenüber:
Der gute Paladin in seinem Seelenfieber
Vergißt des Zwergs, der Warnung, der Gefahr.
Der Alte hätte sich zu Tode winken können,
Die Wonn, in die er ganz versunken war,
Sie, deren Kuß nun Engel selbst ihm gönnen,
Zu drücken an sein Herz, Amanda sie zu nennen,
Umnebelt seinen Blick, berauscht ihn ganz und gar.
30.
Auch Rezia, seitdem sie von Amanden
Den Namen eingetauscht, glaubt freier von den Banden
Des Zwangs zu sein, ist nicht mehr Rezia, vergißt
Nun desto leichter Königswürde,
Hof, Vaterland, und kurz, was nicht Amanda ist.
Die Rückerinnerung, die sonst wie eine Bürde
Zuweilen noch an ihrem Nacken hing,
Fiel mit dem Namen ab, den sie im Tausch empfing.
31.
Sie ist nun ganz für Hüon neu geboren,
Gab alles, was sie war, für ihn,
Gab einen Thron um Liebe hin,
Und fühlt' in seinem Arm, sie habe nichts verloren.
Sie gab sich weg, und ist Amande, nun
Für Liebe nur, durch Liebe nur zu leben,
Hat in der Welt nichts andres mehr zu tun,
Nichts andres zu empfangen noch zu geben.
32.
Der wackre Scherasmin, der das verliebte Paar
In solcher Stimmung sieht, erschrickt vor ihren Blicken.
Er wird darin ich weiß nicht was gewahr,
Das lüstern ist verbotne Frucht zu pflücken.
Ein Zeuge drückte sie, das sah er offenbar.
Sie küßten sich, so bald er nur den Rücken
Ein wenig kehrt, so rasch, so durstiglich, 3
Und wurden rot, so bald sein Auge sie bestrich.
33.
Im Spiegel seiner eignen Jugend
Sieht er nur allzu gut was beide nicht mehr sahn;
[254]
Sieht, einer Motte gleich, die unerfahrne Tugend
Sich ahnungslos der schönen Flamme nahn.
Wie lieblich zieht der Glanz, die sanfte Wärme an!
Durch ihre Unschuld selbst betrogen
Umtaumelt sie das Licht in immer kleinern Bogen,
Und plötzlich ach! verbrennt sie ihre Flügel dran.
34.
In dieser Not läßt der getreue Alte
(Mit Fatmen ingeheim zu diesem Zweck vereint)
Nichts unversucht, was ihm ein Mittel scheint,
Daß wenigstens bis Rom des Ritters Weisheit halte;
Ihm fällt bald dies bald jenes ein,
Sie zu beschäftigen, zu stören, zu zerstreun;
Zuletzt schlägt er, da alle Mittel fehlen,
Zur Abendkürzung vor, ein Märchen zu erzählen.
35.
Ein Märchen nennt' er es, wiewohl es freilich mehr
Als Märchen war. Ihm hatt' es ein Kalender
Zu Basra einst erzählt, als er die Morgenländer
Nach seines Herren Tod durchirrte, lang vorher,
Eh in die Kluft des Libans aus den Wogen
Der stürmevollen Welt er sich zurückgezogen:
Und da es itzt in ihm gar lebhaft sich erneut,
Glaubt er, es sei vielleicht ein Wort zu rechter Zeit.
36.
Und so beginnt er denn: »Vor etwa hundert Jahren
Lebt' an den Ufern des Tessin
Ein Edelmann, an Weisheit ziemlich grün,
Wiewohl sehr grau an Bart und Haaren;
Von Podagra und Gicht, der späten bittern Frucht
Zu viel genoßner Lust, fast täglich heimgesucht;
Ein Hofmann übrigens, galant und wohl erfahren,
Und in der Kriegeskunst der Minne wohl versucht.
37.
Dem war, nachdem er lang sein sündliches Vergnügen
Daran gehabt, im Hagestolzenstand
Auf Amors freier Bürsch Berg auf Berg ab im Land
Herum zu ziehn, und, wo er Eingang fand,
[255]
Bei seines Nächsten Weib zu liegen;
Ihm, sag ich, war zuletzt der Einfall aufgestiegen,
Den steifen Hals, noch an des Lebens Rand,
Ins sanfte Joch der heilgen Eh zu schmiegen.
38.
Mit viel Geschmack und wohl verkühltem Blut
Sucht er ein Kind sich aus, wie er's zu Tisch und Bette,
Zu Scherz und Ernst, gerade nötig hätte,
Zumal zur Sicherheit; ein Mädchen, fromm und gut,
Unschuldig, sittsam, unerfahren,
Keusch wie der Mond und frei von aller eiteln Lust,
Jung überdies, pechschwarz von Aug und Haaren,
Von Farbe rosenhaft, und rund von Arm und Brust.
39.
Von allen drei und dreißig Stücken,
Womit ein schönes Weib, sagt man, versehen ist,
Hätt er kein einzigs gern an seiner Braut vermißt,
Am wenigsten das Aug, in dessen Feuerblicken
Ein feuchtes Wölkchen schwimmt, die kleine weiche Hand,
Die Lippen, die dem Kuß entgegen schwellen,
Das runde Knie, der Hüften schöne Wellen,
Und unter sanftem Druck den süßen Widerstand.
40.
Der gute alte Herr, beim Kauf so schöner Ware,
Vergaß nur Eins – die fünf und sechzig Jahre,
Die seinen Kopf bereits mit Schnee bestreun.
Zwar macht' er, aus geheimer Vorempfindung,
Ausdrücklich zum Beding der ehlichen Verbindung,
Sie sollte reizvoll, warm, und alles das, allein
Für ihn, und kalt wie Eis für jeden andern bleiben:
Allein, wer wird für Sie die Klausel unterschreiben?
41.
Rosette tat's. Rosette war ein Kind,
War auf dem Land, dem Veilchen gleich, im Schatten
Verborgen aufgeblüht, war froh und leicht gesinnt,
Und sah in ihrem künftigen Herrn und Gatten
Nichts als den Mann der sie zur großen Dame macht,
Ihr reiche Kleider gab und tausend schöne Sachen,
[256]
Die Kindern, wie sie war, bei Tage Kurzweil machen;
An andres hatte noch ihr Herzchen nie gedacht.
42.
Die Hochzeit ward demnach mit großer Pracht vollzogen.
Der edle Bräutgam, zwar ein wenig steif und schwer,
Stapft 4 an Rosettens Hand gar ehrenfest einher,
Und wähnt sein Taufschein hab um zwanzig ihn belogen.
Was Augen hat läuft scharenweis herbei
Den prächtgen Kirchgang anzustaunen;
Ein stattlich Paar! hört man zu beiden Seiten raunen;
Sie gleichen sich – wie Januar und Mai.
43.
Rosettens Unschuld war (wie in dergleichen Fällen
Gewöhnlich ist) des alten Gangolfs Stolz:
Er schien am zweiten Tag vor hohem Mut zu schwellen,
Und schritt einher gerader als ein Bolz.
Es war der letzte Trieb von einem dürren Holz!
Die Übel, die sich gern zu grauer Liebe gesellen,
Begannen bald bei ihm sich reichlich einzustellen;
Je wärmer Röschen ward, je mehr ihr Alter schmolz.
44.
Indes verdoppelt er auf andre Art die Proben
Von seiner Zärtlichkeit, beschenkt sie täglich schier
Mit neuem Modekram, mit Spitzen, schönen Roben,
Juwelen, kurz, mit allem was er ihr
An Augen ansehn kann. Es koste was es wolle,
Was ihr Vergnügen macht, das ist für ihn Genuß;
Er fordert nichts dafür als höchstens einen Kuß;
Mit Einem Wort, er spielt die – Alten-Mannes-Rolle.
45.
Rosette, jugendlich vergnügt mit ihrem Los,
Spart auch dagegen nichts den Alten zu vergnügen
Nach seiner Art; setzt sich auf seinen Schoß
So viel er will, und läßt auf seinem Knie sich wiegen,
Läßt aus Gefälligkeit ihn tändeln wie er kann,
Pflegt seiner, liebevoll, in seinem Unvermögen;
Und, wandelt ihn (wie oft) die Schlafsucht an,
Darf er sein schweres Haupt auf ihren Busen legen.
[257] 46.
So lebten sie in Eintracht manches Jahr
Zusammen, keusch und treu wie fromme Turteltauben,
So treu ergeben Sie, und Er so voller Glauben,
Daß jedermann dadurch erbauet war.
Der gute Mann vergaß bei ihren Scherzen
Sein Podagra und seine Rückenschmerzen,
Und seinetwegen bloß beklagt' in ihrem Herzen
Die junge Frau sein zehntes Stufenjahr.
47.
Allein, es kam; und ach! zu ihrem großen Leide,
Ein Übel kam mit ihm auf Gangolfs graues Haupt,
Das seiner liebsten Augenweide
Den armen Greis auf lebenslang beraubt.
Nie wird er wieder sich an ihren Blicken sonnen,
Nie wieder sehn dies reizende Oval,
Wovon zu Engeln und Madonnen
So mancher Maler gern die sanften Züge stahl!
48.
Wer sollt ihm nun die lange Zeit vertreiben,
Dem armen blinden Mann, hätt er Rosetten nicht?
Was würd aus ihm, wär's ihr nicht süße Pflicht,
Untrennbar Tag und Nacht an ihn geklebt zu bleiben,
Ihm immer Arm und Augenlicht
Zu leihn, für ihn zu lesen und zu schreiben,
Zu fragen was ihm fehlt, und, quälet ihn die Gicht,
Mit leichter warmer Hand ihm Knie und Fuß zu reiben?
49.
Rosette, immer sanft, gefällig, mitleidsvoll,
Entrichtet ohne Zwang und Murren
Der Ehstandspflicht auch diesen schweren Zoll;
Aufmerksam stets, (wiewohl bei seinem Knurren
Ihr heimlich oft die Gall ein wenig schwoll)
Daß ja ihr Alter nichts zu klagen haben soll.
Zum Unglück fing er itzt, trotz ihrem guten Willen,
In seinem Sorgestuhl die schlimmste aller Grillen.
50.
Der ärgste Feind, der je sich aus der Hölle schlich
Die Sterblichen zu necken und zu quälen,
[258]
Fuhr in den armen Mann, und plagt' ihn jämmerlich.
Alt, schwach und blind, wie konnt er sich verhehlen,
Rosette sei, so sehr sie einem Engel glich,
Doch nur ein Weib? Konnt's an Versuchern fehlen?
Die Welt ist rings umher von offnen Augen voll,
Und ach! das Auge blind, das sie beleuchten soll!
51.
So jung, so schön, so ganz aus lauter Liebeszunder
Gewebt, wer kann sie sehn und nicht vor Sehnsucht glühn?
Wo sah man je so frische Wangen blühn?
Je Augen funkelnder und Lilienarme runder?
Zwar ist sie tugendhaft; sie wird ja freilich fliehn:
Doch, wenn sie auf der Flucht nun glitschte? wär es Wunder?
Der Grund, worauf sie flieht, ist hell geschliffner Stahl,
Und ach! die Einmal fällt, die fällt für allemal.
52.
Selbst ihre Tugenden, ihr sanftgefällig Wesen,
Ihr leichter Sinn, stets froh und guter Ding,
Was sonst an ihr das liebste ihm gewesen,
Die holde Scham sogar, womit sie ihn umfing,
Und was ihm sonst von ihren tausend Reizen,
Entschleiert und verschönt, sein Seelenspiegel weist,
Das alles hilft itzt nur dem Argwohn, der ihn beißt,
Sich in sein wundes Herz noch tiefer einzubeizen.
53.
Der Sklaverei, worin das gute junge Weib
Seit dieser Zeit verlechzt, ist keine zu vergleichen.
Stets angeschnallt an seinen siechen Leib,
Darf sie ihm Tag und Nacht nicht von der Seite weichen.
Mißtrauisch aufgeschreckt von jedem leisen Wort,
Trägt er die Augen nun an seinen Finger-Enden,
Und Nachts liegt eine stets von seinen knotgen Händen
Bald da, bald dort auf ihr, aus Furcht sie schleich ihm fort.
54.
So sanft Rosette war, so fiel doch solch Betragen
Ihr schwer aufs Herz. Er nennt es Liebe zwar:
Allein sie sah zu wohl nur, was es war,
Und fing, anstatt sich fruchtlos zu beklagen,
[259]
Zu überlegen an. So neben einem Mann
Von siebenzig, mit Gicht und Stein beladen,
Durchs Leben, wie durch einen Sumpf, zu waden,
Und noch gequält dazu, däucht ihr ein harter Bann.
55.
Gar vieles, was sie sonst geduldig übersehen,
Scheint in dem Licht, worin sie jetzt es sehen muß,
Höchst widerlich und gar nicht auszustehen.
Sein Zärtlichtun ist jetzt ihr herzlichster Verdruß,
Sein Scherz unleidlich plump, und ekelhaft sein Kuß;
Wagt er noch mehr, so möchte man vergehen!
Und sie, o grausam! sie ist jung und schön für ihn,
Und was ihm unnütz ist, muß sie sich selbst entziehn!
56.
Und was entschädigt sie? Der Stadt gesellige Freuden,
Tanz, Schauspiel, alles das ist ihr verbotne Frucht!
Von niemand wird ihr altes Schloß besucht;
Als gingen Geister drin, scheint jeder es zu meiden.
Ein großer Garten, hoch mit einer Maur umfaßt,
Ist alles was sie hat – im Kreis sich zu bewegen;
Zum Träumen kann sie da an einen Baum sich legen,
Und dann sogar ist ihr der blinde Mann zur Last.
57.
Ein junger Edelknecht, in Gangolfs Schloß erzogen
Und über seinen Stall gesetzt,
Wird itzt zum ersten Mal betrachtenswert geschätzt.
Er hatte zwar schon lange sich verwogen,
Mit schmachtender Begier die Dame anzusehn,
Und oft gesucht ihr's mündlich zu gestehn,
Doch, da sie stets dem Anlaß ausgebogen,
Auch wieder ehrfurchtsvoll zurücke sich gezogen.
58.
Jetzt aber, da Verdruß und Gram
Und lange Weil bei Tag, und noch langweilgers Wachen
Bei Nacht, Zerstreuungen ihr zum Bedürfnis machen,
Kein Wunder, daß sie jetzt die Sache anders nahm.
Es däucht ihr hart, in ihren schönsten Tagen
So gänzlich allen, Trost des Lebens zu entsagen;
[260]
Und Walter, dessen Blick nun wieder Mut bekam,
War unermüdet, sich zum Tröster anzutragen.
59.
Sein Eifer wächst je mehr er Raum gewinnt.
Er fleht; sie weigert sich: doch unvermerkt entspinnt
Sich ein Verständnis zwischen ihnen,
Wovon die Augen bloß die Unterhändler sind;
Denn Gangolf war nicht an den Ohren blind,
Und öfters kann ein Ohr für hundert Augen dienen.
Der Alte spitzt die seinen gleich und lauscht
Wenn von Rosettens Kleid nur eine Falte rauscht.
60.
Ein solcher Zwang verkürzt die Komplimente
Des Widerstands, und in sehr kurzer Zeit
Sind Walter und die Dame schon so weit
Daß nur die Frage ist, wie man sich nähern könnte?
Von ihrem Drachen, den sein Husten Tag und Nacht
Nicht ruhen läßt, gebannet und bewacht,
Was wird die junge Frau ersinnen,
Um etwas Raum und Zeit für Walter zu gewinnen?
61.
Not schärft den Witz. Indem sie hin und her
Auf Wege denkt, erwählt, verwirft, im besten
Viel Schwierigkeiten sieht, fällt ihr von ungefähr
Ein Birnbaum ein mit stufengleichen Ästen,
Der, an der Rasenbank im Garten, wo sich rund
Um einen Marmorbrunnen Hecken
Von Myrten ziehn, hoch überhangend stund,
Den Schattensitz vor Sonnenglut zu decken.
62.
Zu diesem anmutsvollen Ort,
Den laue Lüftchen stets umfliegen,
Pflegt oft, zur Sommerszeit, wenn alles lechzt und dorrt,
Mit seinem Weibchen sich der Alte zu verfügen,
Um an des Brunnens kühlem Bord
Ein Stündchen oder zwei auf ihrem Schoß zu liegen –
Zum Garten hat jedoch den Schlüssel er allein,
Und außer ihm und ihr kam keine Seel hinein.
[261] 63.
Was nun zu tun, den Schlüssel zu bekommen,
Den stets im Unterkleid der Alte bei sich führt?
Der wird beim Schlafengehn ganz sachte weggenommen,
Und, während daß der Mann sein Ave psalmodiert,
In Wachs gedrückt, sodann am nächsten Morgen
Der Abdruck unvermerkt in Walters Hand gespielt,
Und ein Postskript dazu, das ihm den Baum empfiehlt;
Das übrige wird Walter schon besorgen.
64.
Nun, was geschah? Es war ein schöner warmer Tag
Zu End Augusts, als unsern blinden Alten
Die Sonne lockt, wie er zuweilen pflag,
Die Mittagsruh im Myrtenrund zu halten.
›Komm, meine Taube‹, spricht zu seinem andern
Ich Der graue Tauber, ›komm, mein Röschen, führe mich
Zu jenem stillen Grund, wo, seit er uns verbunden,
Der Gott der Eh so oft uns Arm in Arm gefunden.‹
65.
Rosette winkt, und Walter schleicht voran;
Die Gartentür wird leise aufgetan
Und wieder zugemacht; dann geht es an ein Fliegen
Dem Brunnen zu; der Birnbaum wird erstiegen,
Und, wo der breitste Ast sich sanft gebogen krümmt,
Des Weibchens Thron im dichtsten Laub bestimmt.
Der Alte kommt indes, mit ungewissen Tritten,
An seines Röschens Arm allmählich angeschritten.
66.
Weil nun der Mund beinah das einzge blieb,
Das noch, in viel und mancherlei Gebrechen,
Ihm Dienste tat, so war, von seiner Lieb
Und von dem Paradies des Ehstands ihr zu sprechen,
Gewöhnlich das, womit er ihr die Zeit vertrieb.
Er rnischte dann, vielleicht sie zu bestechen,
Von ihren Reizungen viel Poesie hinein,
Und meistens kam ein Stück von Predigt hinter drein.
67.
Aus diesem Ton war's unterwegs gegangen,
Und, da sie glücklich nun beim Brunnen angelangt,
[262]
(Wo, wie ihr wißt, der schöne Birnbaum prangt)
Da hatte Gangolf auch, nachdem er ihr die Wangen
Gestreichelt, und (wiewohl vom Husten stark geplagt)
Viel Zärtliches und Süßes vorgesagt,
Die Predigt eben angefangen,
Die ihr im Angesicht des Birnbaums schlecht behagt.
68.
›Ist‹, sprach er – da er so, die Stirn an ihrer Brust,
Im Schatten bei ihr saß, und an dem runden, weichen
Atlaßnen Arm sanft auf und ab zu streichen
Nicht müde ward – ›ist wohl der Unschuld unsrer Lust,
Der Ruh, dem süßen Trost, dem alle Freuden weichen,
Dem Glück geliebt zu sein, geliebt und sich bewußt
Man sei es würdig – kurz, dem was du fühlen mußt
Wenn du mich liebst, ein Glück auf Erden zu vergleichen?
69.
O sprich, mein Röschen‹, – hier begann
Der alte Herr noch zärtlicher zu streicheln –
›Doch rede frei und ohne alles Heucheln,
(Denn einer höret uns, den niemand täuschen kann)
Darf sich auch wohl dein armer blinder Mann,
Der dich so zärtlich liebt, darf sich dein Gangolf schmeicheln,
Daß du ihn wieder liebst? daß er dein Alles ist,
Dein ganzes Herz erfüllt, wie du sein Alles bist?
70.
Zwar freilich, wollten wir die alten Sagen schätzen,
Wär einem Mann nichts minder zu verzeihn,
Als an ein Weib sein ganzes Herz zu setzen,
Zu baun auf ihre Treu, zu trauen ihrem Schein.
Längst lehrten uns, aus Tonnen und von Thronen,
Der Narr Diogenes, die weisen Salomonen,
Es sei des Weibes Herz kein zuverlässig Gut,
Und ihrer List nichts gleich als ihre Wankelmut.
71.
Nichts von den weltlichen Geschichten
Zu sagen, sehn wir nicht sogar das heilge Buch
Den Ruhm der Weibertreu von Anbeginn vernichten?
Kam auf die Menschheit nicht durchs erste Weib der Fluch?
[263]
Von seinen Töchtern ward der fromme Lot betrogen;
Die Kinder Gottes selbst, schon vor der großen Flut,
Verbrannten sich, von Weibern angezogen,
Die Fittiche an ihrer strafbarn Glut.
72.
Die Delilan, die Jaeln, Jesabellen
Und Bathseban, und wie ihr Name heißt,
Ist unvonnöten dir im Reihen aufzustellen,
Wiewohl die Schrift sie nicht der Treue halben preist:
Doch diese Judith, die den tapfern, frommen, alten
Feldmarschall Holofern erst in die Arme schlingt,
Erst liebetrunken macht, und dann ums Leben bringt,
Wer kann dabei der Tränen sich enthalten?
73.
Wär aber auch der Weiber größte Zahl
An Lastern noch so reich, an Tugend noch so kahl,
Dir, meine Einzge, Auserwählte,
Dir, meines Alters Trost und meiner Augen Licht,
Dir trau ich's zu, du bliebst getreu an deiner Pflicht,
Und fehltest nicht, wenn auch die beste fehlte.
Dein Gangolf, der so rein, so treu dich liebt,
Wird, o gewiß! von dir so grausam nie betrübt?‹
74.
›Wozu‹, versetzt mit schuldbewußten Wangen
Die junge Frau, und zieht den Schwanenarm,
Womit sie um den Gürtel ihn umfangen,
Mißmutig weg – ›wozu‹, versetzt sie rasch und warm,
›All diese Litanei? Womit in meinem Leben
Hab ich dazu Gelegenheit gegeben?
Wie? soll ich glauben, daß dein Herz an meiner Treu
Nur einen Augenblick zu zweifeln fähig sei?
75.
Unglückliche! ist dies für alle meine Liebe
Zuletzt der Lohn? Wem gab ich ganz mich hin,
Der Unschuld ersten Kuß, der Jugend erste Triebe,
Wer hatte sie? – Und ach! daß ich zu zärtlich bin,
Ist mein Verbrechen nun! Ein Herz ist ihm verdächtig
Das keinen andern kennt, für ihn nur stärker schlug!
[264]
Hoffärtger, hast du nicht an diesem Sieg genug,
Auch quälen mußt du mich? O grausam! niederträchtig!‹
76.
Hier hielt sie ein, als ob der übermäßige Schmerz
Die Stimm in ihrer Brust erstickte;
Und schluchzend fiel der Greis ihr um den Hals und drückte
Das treue Weib reumütig an sein Herz.
›O weine nicht, mein Liebchen, o verzeihe
Was Liebe nur gefehlt! Ich wollte nicht Verdruß
Dir machen; o verzeih, und gib mir einen Kuß!
Bei Gott! ich zweifle nicht an meines Röschens Treue!‹
77.
›So seid ihr!‹ sprach Rosett, indem sie seinem Kuß
Sanft sträubend sich entzog, ›so seid ihr Männer alle!
Erst lockt ihr uns so schmeichelnd in die Falle,
Und habt ihr uns, macht ruhiger Genuß
Statt frischem Blut bei euch nur böse Galle.
Weh dann der armen Frau, die euch befriedgen muß!
Das Flämmchen selbst, das ihr so eifrig angeblasen,
Gibt euch zum Argwohn Stoff, und macht euch heimlich Rasen.‹
78.
Der gute Mann, den sehr zur ungelegnen Zeit
Sein Hüftweh überfällt, weiß seinem armen Leibe
Sonst keinen Rat, als dem getreuen Weibe
Beteurungen zu tun von seiner Zärtlichkeit,
Und daß der Schatten nur von Argwohn himmelweit
Von seinem Herzen sei und bleibe.
Somit bestätigt denn der neue Friedensschluß
Von beiden Teilen sich mit einem süßen Kuß.
79.
Das wackre Ehpaar sank, aus Leerheit oder Fülle
Des Herzens, wie ihr wollt, in eine tiefe Stille.
Rosette seufzt. Der Alte fragt, ›warum,‹
›Nichts‹, sagt sie wieder seufzend, und bleibt stumm.
Er dringt in sie. ›Sei unbesorgt, mein Lieber,
Es ist ein Lüstern nur, und geht vielleicht vorüber.‹ –
›Ein Lüstern? – Ich versteh! – Wie glücklich machtest du
Mein Alter noch!‹ – Sie schweigt und seufzt noch eins dazu.
[265] 80.
›Da hätten wir die Frucht von deinem kalten Baden‹,
Fuhr Gangolf fröhlich fort. ›Sag an! es könnte dir,
Wenn du's verhieltst, und dem Verborgnen schaden!‹
›O!‹ spricht sie, ›sähest du den schönen Birnbaum hier,
So frisch von Laub, so strotzend voll beladen
Mit reifer goldner Frucht! die Äste brechen schier!
Ich sagte nichts, aus Furcht du möchtest zürnen,
Allein – ich gäb ein Aug um eine dieser Birnen!‹
81.
›Ich kenn ihn wohl, den Baum; er trägt im ganzen Land
Die beste Frucht‹, versetzt der gute Blinde,
›Doch, sprich, wie machen wir's? Kein Mensch ist bei der Hand,
Es ist ein Erntetag, das ganze Hofgesinde
Im Feld zerstreut – der Baum ist hoch, und ich
Bin schwach und blind – O wäre nur der Bengel
Der Walter hier!‹ – ›Mir fällt was ein, mein Engel,
Wir brauchen niemand sonst‹, spricht sie, ›als dich und mich.
82.
Wärst du so gut, und wolltest mit dem Rücken
Nur einen Augenblick fest an den Stamm dich drücken,
So wär's ein leichtes mir, hier von des Rasens Saum
Dir auf die Schulter mich zu schwingen;
Von da ist's vollends auf den Baum
Zum ersten Ast zwei kleine Spangen kaum;
Ich bin im Klettern und im Springen
Von Kindheit an geübt – gewiß, es wird gelingen.‹
83.
›Von Herzen gern‹, versetzt der blinde Mann;
›Und doch, mein Kind, wenn du zu Schaden kämest?
Es bräch ein Ast? was könnt ich Armer dann
Zu deinem Beistand tun? – Wie, wenn du dich bequemest
Zu warten?‹ – ›Sagt ich nicht, daß ich nicht warten kann?
Ich sehe wohl, daß du des kleinen Diensts dich schämest;
Um alles wollt ich dir nicht gern beschwerlich sein!
Und doch, wer sieht uns hier? Wir sind ja ganz allein!‹
84.
Was war zu tun? Es konnte leicht das Leben
Von einem Erben gar bei dieser Lüsternheit
[266]
Gefährdet sein; kurz, halb mit Zärtlichkeit
Halb mit Gewalt, muß Gangolf sich ergeben.
Er stemmt sich an, hilft selbst dem Weibchen auf,
Und vom geduldgen Kopf des guten alten Narren
Schwingt sich Rosette frisch zum lüftgen Sitz hinauf,
Wo ihrer, unterm Laub, verstohlne Freuden harren.
85.
Nun saß von ohngefähr, da alles dies geschah,
Auf einer Blumenbank, dem guten blinden Alten
Vorüber, Oberon, um mit Titania,
Der Feenkönigin, hier Mittagsruh zu halten:
Indes die zephyrgleiche Schar
Der Elfen, ihr Gefolg, zerstreut im ganzen Garten
Und meist versteckt in Blumenbüschen war,
Um schlummernd dort den Mondschein zu erwarten.
86.
Unsichtbar saßen sie, und hörten alles an,
Was zwischen Mann und Frau sich eben zugetragen.
Zum Unglück, daß sie auch die Birnbaumsszene sahn!
Dem Elfenkönig gab dies großes Mißbehagen.
›Da‹, sprach er zu Titanien, ›sieht man nun
Wie wahr es ist, was alle Kenner sagen!
Was ist so arg, das nicht, um sich genug zu tun,
Ein Weib die Stirne hat zu wagen?
87.
Ja wohl, Freund Salomon, bekennt dein weiser Mund
Ein einzler Biedermann wird immer noch gesehen;
Doch wandre einer mir ums weite Erdenrund
Nach einem frommen Weib, er wird vergebens gehen!
Siehst du, Titania, im Birnbaum dort versteckt
Das ungetreue Weib des blinden Mannes spotten?
Sie glaubt sich in der Nacht, die seine Augen deckt,
So sicher als in Plutons tiefsten Grotten.
88.
Allein, bei meinem Thron, bei diesem Lilienstab,
Und bei der furchtbarn Macht, die mir das Reich der Elfen
Mit diesem Zepter übergab,
Nichts soll ihr ihre List, nichts seine Blindheit helfen!
[267]
Nein, ungestraft in Oberons Angesicht
Sich ihres Hochverrats erfreuen soll sie nicht!
Ich will den Star von Gangolfs Augen schleifen,
Und auf der frischen Tat soll sie sein Blick ergreifen!‹
89.
›So willst du das?‹ versetzt mit raschem Sinn
Und Wangen voller Glut die Feenkönigin;
›So soll mein Schwur dem deinen sich vermählen!
So schwör auch ich, so wahr ich Königin
Des Elfenreichs und deine Gattin bin,
Es soll ihr nicht an einer Ausflucht fehlen!
Ist Gangolf etwa ohne Schuld?
Ist Freiheit euer Los, und unsers nur Geduld?‹
90.
Doch, ohne sich an ihren Zorn zu kehren,
Macht Oberon, was er geschworen, wahr.
Berührt von seinem Lilienstabe, klären
Sich Gangolfs Augen auf, verschwunden ist der Star.
Erstaunt, entzückt beginnt er aufzuschauen,
Sieht hin, und schüttelt sich als führ ein Wespenschwarm
Ihm in die Augen, sieht, o Himmel! soll er trauen?
Sein treues Röschen, ach! in eines Mannes Arm!
91.
Es kann nicht sein! er hat nicht recht gesehen;
Ihn blendete das lang entwohnte Licht;
Unmöglich kann sich so das beste Weib vergehen!
Er schaut noch einmal hin – Das nämliche Gesicht
Durchbohrt sein Herz. ›Ha‹, schreit er, wie besessen,
›Verräterin, Sirene, Höllngezücht,
Du scheuest dich vor meinen Augen nicht
Der Ehr und Treu so schändlich zu vergessen?‹
92.
Rosette, wie vom Donner aufgeschreckt,
Fährt ängstlich auf, indem mit einem Zauberschleier
Ein unsichtbarer Arm den blassen Buhler deckt.
›Was für ein seltsam Abenteuer
Stellt‹, denkt sie, ›just in diesem Nu, so sehr
Zur Unzeit, das Gesicht des alten Unholds her?‹
[268]
Doch, nach dem Wort der Königin der Elfen,
Fehlt ihr's an Witze nicht, sich aus der Not zu helfen.
93.
›Was hast du, lieber Mann?‹ ruft sie herab vom Baum,
›Was tobst du so?‹ – ›Du fragst noch, Unverschämte?‹
›Ich Arme! wie? du gibst dem Argwohn Raum?
So lohnst du mir, daß mich dein Notstand grämte,
Daß ich, da nichts mehr half, durch schwarzer Kunst Gewalt
Mit einem Geist in Mannsgestalt
Um dein Gesicht zu ringen mich bequemte,
Und, dir zu Lieb, im Kampf den rechten Arm mir lähmte?
94.
Was Dank verdient, machst du sogar zu Schuld,
Und schämst dich nicht mir solch ein Lied zu singen?‹
›Ha‹, schrie er, ›hier verlör Sankt Hiob die Geduld!
Was ich gesehen nennst du ringen?
So möge mir dies neu geschenkte Licht
Des Himmels Wunderhand bewahren,
Und du, treuloses Weib, mögst du zur Hölle fahren,
Wie mir ein ehrlich Wort zu deiner Tat gebricht!‹
95.
›Wie?‹ ruft sie aus, ›so kann mein Gangolf sprechen?
Weh mir! ach! zu gewiß muß etwas, was es sei,
An meinem Zauberwerk gebrechen;
Dein Aug ist offenbar noch nicht von Wolken frei!
Wie könntst du sonst mit solchen harten Reden
Dein treues Weib zu morden dich entblöden?
Dein Sehen kann kein wahres Sehen sein;
Es ist das Flimmern nur von ungewissem Schein.‹
96.
›O daß es möglich wär mich selbst zu hintergehen!‹
Spricht Gangolf; ›wohl dem Mann den nur ein Argwohn plagt!
Ich Unglückselger hab's gesehen!
Gesehen was ich sah!‹ – ›Dem Himmel sei's geklagt!
Ward je ein Weib unglücklicher geboren?
(Schreit die Verräterin mit einem Tränenguß)
O daß ich diesen Schmerz noch überleben muß!
Mein armer Mann hat den Verstand verloren!‹
[269] 97.
Und welcher Mann von zärtlichem Gemüt
Verlör ihn nicht, trotz allen seinen Sinnen,
Der Tränengüsse aus so schönen Augen rinnen
Und eine solche Brust von Seufzern schwellen sieht?
Der Alte kann nicht länger widerstehen:
›Gib dich zufrieden, Kind, ich war zu rasch, zu warm;
Verzeih, und komm herab in deines Gangolfs Arm,
Es ist nun sonnenklar, ich hatte falsch gesehen!‹
98.
›Da hörst du's nun!‹ spricht zu Titania
Der Elfenfürst, ›was er mit Augen sah
Schwemmt eine Träne weg! Dein Werk ist's; triumphiere!
Doch hör auch nun den heiligsten der Schwüre!
Ich glaubte mich geliebt, und fand mein Glück darin.
Es war ein Traum – Dank dir, daß ich entzaubert bin!
Hoff nicht ein Tränchen werd auch mich umnebeln können,
Von nun an müssen wir uns trennen!
99.
Nie werden wir, in Wasser noch in Luft,
Noch wo im Blütenhain die Zweige Balsam regnen,
Noch wo der hagre Greif in ewig finstrer Gruft
Bei Zauberschätzen wacht, einander mehr begegnen.
Mich drückt die Luft in der du atmest! Fleuch!
Und wehe dem verrätrischen Geschlechte
Von dem du bist, und weh dem feigen Liebesknechte
Der eure Ketten schleppt! ich haß euch alle gleich!
100.
Und wo ein Mann in eines Weibes Stricken,
Als wie ein taumelnder lusttrunkner Auerhahn,
Sich fangen läßt, und liegt und girrt sie an,
Und saugt das falsche Gift aus ihren üppgen Blicken,
Wähnt, Liebe sei's was ihr im Schlangenbusen flammt,
Und horcht betört der lächelnden Sirene,
Traut ihren Schwüren, glaubt der hinterlistgen Träne,
Der sei zu jeder Not, zu jeder Qual verdammt!
101.
Und bei dem furchtbarn Namen sei's geschworen
Der Geistern selbst unnennbar bleiben muß,
[270]
Nichts wende diesen Fluch und meinen festen Schluß:
Bis ein getreues Paar, vom Schicksal selbst erkoren,
Durch keusche Lieb in Eins zusammen fließt,
Und, probefest in Leiden wie in Freuden,
Die Herzen ungetrennt, auch wenn die Leiber scheiden,
Der Ungetreuen Schuld durch seine Unschuld büßt.
102.
Und wenn dies edle Paar schuldloser reiner Seelen
Um Liebe alles gab, und unter jedem Hieb
Des strengesten Geschicks, auch wenn bis an die Kehlen
Das Wasser steigt, getreu der ersten Liebe blieb,
Entschlossen, eh den Tod in Flammen zu erwählen,
Als ungetreu zu sein selbst einem Thron zu Lieb:
Titania, ist dies, ist alles dies geschehen,
Dann werden wir uns wiedersehen!‹
103.
So sprach der Geist und schwand aus ihrem Blick.
Vergebens lockte sie mit liebevoller Stimme,
Nachfliehend, ihn in ihren Arm zurück!
Nichts kann des raschen Worts, das er in seinem Grimme
Gesprochen, hätt er gleich es selber nun beweint,
Nichts kann ihn seines Schwurs entbinden,
Bevor, nach dem Beding, der ganz unmöglich scheint,
Zwei Liebende, wie er's verlangt, sich finden.
104.
Seit dieser Zeit hat bis zu unsern Tagen
Sich Oberon in eigener Gestalt
Nie mehr gezeigt, und (wie die Leute sagen)
Bald einen Berg, bald einen dicken Wald,
Bald ein verlaßnes Tal zu seinem Aufenthalt
Gewählt, wo Liebende zu stören und zu plagen
All sein Vergnügen ist: und daß er nur für euch
Das Gegenteil getan, ist einem Wunder gleich.«
105.
Hier endigte der Alte mit Erzählen;
Und Hüon nimmt Amanden bei der Hand:
»Wenn«, spricht er, »nur ein Paar getreu verliebter Seelen
Zu Oberons und Titaniens Ruhe fehlen,
[271]
So schwebt des Schicksals Werk an der Vollendung Rand.
War er's nicht selbst, der uns so wunderbar verband,
Er, sonst der Liebe Feind, hat uns in Schutz genommen:
Die Proben – O die laßt je ehr je lieber kommen!«
106.
Amande legt an Antworts-Statt
Des Jünglings Hand ans Herz mit seelenvollen Blicken.
Ihr, die so viel für ihn getan, gegeben hat,
Was blieb ihr noch mit Worten auszudrücken?
Und eine Szene von Entzücken
Erfolgt daraus, wobei der gute Scherasmin
Des schönen Märchens Frucht, trotz allem seinem Nicken,
Auf einmal zu verlieren schien.
107.
Zwar noch verbarg der Unschuld keuscher Schleier
Den Liebenden die wachsende Gefahr,
Und ihre Zärtlichkeit ergoß sich desto freier,
Je reiner ihre Quelle war.
Nie war ein junges Paar in Liebessachen neuer;
Doch eben darum hing ihr Los an einem Haar.
Ihr ganzes Glück auf ewig zu zerstören,
Braucht's einen Augenblick, worin sie sich verlören!

Fußnoten

1 Angehen, VI. 22. So viel als unternehmen, beginnen; eine sehr alte Bedeutung dieses Wortes, deren Gebrauch durch Hagedorns Beispiel (in der Fabel vom Löwen, der mit seinem Bilde im Brunnen fechten will) hinlänglich gerechtfertigt ist:

Und fordert ihn heraus den Zweikampf anzugehen.

Poetische Werke, II. 8. 239. nach der Hamb. Ausgabe von 1769.

2 Bangen, nach etwas bangen, VI. 27, statt, mit bänglicher Ungeduld nach etwas verlangen, ein neu gewagtes Wort, welches sich selbst durch die Welt helfen mag, wenn es kann. Ob es nicht in alten Zeiten schon üblich gewesen, davon finden wir zwar keine Spur; aber wie wenig sind auch die noch vorhandenen Überbleibsel aus den Zeiten der Minnesänger teils gekannt, teils benutzt!

3 Durstiglich, VI. 32 nach einer veralteten Oberdeutschen Form von Nebenwörtern, welche in inniglich, ewiglich, wonniglich u.a. wenigstens in der Dichtersprache sich noch erhalten hat. Luther gebraucht das Wort dürstiglich in seiner Übersetzung der Bibel mehrmals, um den höchsten Grad einer leidenschaftlichen Begierde auszudrücken; als I Mos. 34, 25 die Brüder der Dina gingen in die Stadt Sichems dürstiglich und erwürgten alles was männlich war, und – Sprichw. Salom. 14,5. »ein falscher Zeuge redet dürstiglich Lügen«. In diesem Sinne wird es hier gebraucht.

4 Stapfen, einher stapfen, VI. 42 ein veraltetes aber malerisches Wort, für stark und fest auftreten.

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TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Verserzählungen. Oberon. Sechster Gesang. Sechster Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A641-5