[7] Geehrter Leser!

Ich bin endlich dahin gebracht worden, daß ich meine überflüssige Gedancken in die Welt ausfliegen lasse. Zwar, wenn ich solche vor guten Freunden hätte behalten können, wäre ich nimmermehr auff die Unbarmhertzigkeit gerathen, so viel Bogen unschuldig Papyr dadurch zu verklecken. Denn ich lebe der Zuversicht, ob ein anderer, meine überflüssigen Einfälle weiß oder nicht weiß, so wird es nicht viel zu bedeuten haben. Jedennoch weil ich zum Uberfluß sehen und erfahren müssen, daß die geringen Sachen von unterschiedenen Liebhabern nicht allein abgeschrieben, sondern auch, wie zu geschehen pfleget, offtermals verändert und verrücket werden; Als habe ich nit Umbgang nehmen wollen, denselben ihre alte Gestalt wieder zu geben: wie etwan eine sorgfältige Mutter ihr ungestaltes Kind nit gerne weiter beflecken und verstellen lässt, sondern vielmehr dahin trachtet, damit es bey der natürlichen und ursprünglichen Beschaffenheit erhalten werde. Ein jedweder unpartheyischer Richter wird hierinn meiner Mütterlichen Affection vergeben, und wo ich meiner Frucht gar zu günstig gewesen bin, solches die Menschliche Schwachheit entschuldigen lassen, als welche in der Liebe am ehesten sündigen kan. Sonst werden es die Umbstände leicht geben, daß ich in der so genannten Lindenstadt wohne, und die Mund-Arth, so mich offtermals, wider mein Wissen, in den Nacken schlägt, kan mein Vatterland nicht verbergen. Fliessen die Reime nicht wohl, so bin ich vor eins kein Poete, und vors andere, seh ich viel, die es schlimmer machen, wenig die es besser treffen. Die Teutschen Virgilii und Horatii sollen entweder noch gebohren werden, oder sie verbergen ihre Schrifften noch, und der müste ein blöd Gesichte haben, der sich, durch die Sterne unsrer Zeit, wolte verblenden lassen. Was die vielfältigen Nahmen und andere Rätzel betrifft, so werden die jenigen, die es angeht, die Außlegung schon machen. Ich, meines theils, habe etliche allbereit vergessen; Und etliche darff ich nicht verrathen. Vor meinen Verräthern fürchte ich mich nicht: [8] dann vielleicht bin ich ihrer Spitzfindigkeit zu gering, oder zum wenigsten bleib ich anderweit unangefochten, wann sie an diesen leichten Papyr ihre Lust büssen. Und also mag ich mich nicht rechtfertigen, ich mag auch keine Freunde anführen, als wann sie mir durch übriges Anhalten den Ermel zurissen hätten. Es gehe mir nun schon, wie es gehen soll, und weil ich meinen heimblichen Zweck erhalten habe, ist diß mein Trost, daß der Zehende nicht weiß, wie ich heisse. Altershalben wil ich es noch erleben, daß manch einfältiges Hertze soll in Verdacht gezogen werden, als wann es darbei gewesen wäre. Ich stehe in zwischen als ein Apelles hinter der Tafel, und lasse die Leute nach Belieben urtheilen. Werd ich getroffen, so wil ich mich schämen, wo nicht, so wil ich lachen; Aber keines von beyden werde ich vor den Leuten thun.

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TextGrid Repository (2012). Weise, Christian. Gedichte. Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken. Geehrter Leser!. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-98EA-9