2. Der ordentliche Liebes-Proceß
1. Die Freyheit

Wol dem, der seinen Jungen Jahren
Die süsse Freyheit gönnen kan!
Er mag die zarten Kräffte spahren,
Und legt die Stunden besser an,
Als einer, der sich Tag und Nacht
Mit Liebes-Grillen müde macht.

2. Das erste Blickgen

Doch halt mein Geist, besinne dich,
Sieh auff, das Mädgen zeiget sich,
Du must es doch betrachten:
Ich hab es vormahls nicht gewust,
Man darff dergleichen Augen-Lust
In Warheit nicht verachten.

3. Die erste Liebe

Hätt ich das zuvor bedacht,
[112]
Daß ein Blickgen solche Macht
Gegen unsre Seelen hätte,
Ach, so gieng ich auffgericht,
Und mein Hertze läge nicht,
An der strengen Liebes-Kette.
Nun ist meine Freyheit hin,
Und ich muß den armen Sinn
An die eitle Schönheit binden:
Meine Freude ligt daran,
Ob ich bey der Liebsten kan
Liebe, Gunst und Gnade finden.

4. Die erste Bekandtschafft

Lustig, mein Liebgen das lernet mich kennen,
Sie lacht mich schon ein bißgen an;
Lustig, mein Hertze mag braten und brennen,
Wann ich mich hier erquicken kan:
Lustig, mein Kindgen, mein Engel, mein Liecht
Lässet sich küssen und wehret sich nicht.

5. Die Eyfersucht

Der Eifer, der möchte mich fressen,
So hat er mein Hertze besessen,
Ich bilde mir wunderlich ein,
Sie wäre mein Liebgen allein,
Und freuet mich, . ... aber,
Ein heimlicher Dieb,
Der hat sie auch lieb,
Und geht mir in Haber.

6. Der Liebsten Zorn

Mein schwacher Geist, so schick dich in die Trauer,
Dein süsses Kind sieht auß dermassen sauer,
Ein jeder Blick, dadurch sie sich bewegt,
Ist wie ein Blitz der mich zu Boden schlägt.
Ist diß der Lohn vor meine treue Liebe,
Daß ich mich nun biß auff den Todt betrübe?
Zu guter Nacht, du allerliebstes Hauß,
Ich seh es wohl, es ist vor dißmahl auß.

7. Die Versöhnung

Mein Liebgen, so hast du dich besser besonnen,
Und darff ich wieder zu dir gehn?
[113]
Hat endlich die Vnschuld dein Hertze gewonnen,
Und lernst du meinen Sinn verstehn?
Mein freundliches Hertzgen, versichre dich frey,
Ich bleibe dein Diener und ewig getreu.

8. Die vollkommene Besitzung

Mein Gemüthe sey verschwiegen,
Kanst du dich gleichwohl vergnügen
An der milden Freundlichkeit:
Zwey Personen müssen spielen,
Und hingegen unter vielen,
Wird die Freude leicht zerstreut.
Laß dich streichlen, laß dich küssen,
Darff es doch kein ander wissen,
Wann du nur versichert bist,
Daß dein Liebgen unter allen,
Dir zu Lieb und Wohlgefallen,
Stiller Gunst verbunden ist.
Laß dir sanfft die Hände trücken,
Spiele mit entzückten Blicken,
Itzund hast du noch die Wahl,
Drum so last die Jugend schertzen,
Und versencke deine Schmertzen,
In den süssen Rosenthal.

9. Die verloschne Liebe

Wir jungen Leute sind wohl Narren,
Wann uns die Liebe fressen will,
Da hat ein jeder einen Sparren
Zu wenig oder doch zu viel,
Ich habs versucht ein halbes Jahr,
Ich weiß, wie mir zu Muthe war.
Nun muß ich meiner selbsten lachen,
Daß wir uns solchen Kummer machen,
Ich lege lust und Eitelkeit
Zu meines Mädgens Füssen nieder,
Und suche die Gelegenheit,
So gar geschwinde wohl nicht wieder,
Ich halte mein Triumph-Geschrey,
Ich war verliebt, nun bin ich frey.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weise, Christian. Gedichte. Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken. Überflüssiger Gedancken siebendes Dutzent. 2. Der ordentliche Liebes-Proceß. 2. Der ordentliche Liebes-Proceß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-98C3-0