16.

Maria war von lichtem Scheine,
Sie hatte ein lieb Gesicht.
Das wußten die Burschen am ganzen Rheine –
Maria wußte es nicht.
Sie setzte sich unter die alte Linde,
Sie wand einen vollen frischen Kranz,
Aus Rosen machte sie ein Gewinde
Und sprach: »Nun denk ich an meinen Franz.
Nun denk ich an die stille Stunde,
Wo zuerst er aus dem Walde trat,
Wie er mich drüben im Wiesengrunde
Um meine blaßblaue Schleife bat;
Wie er mich in die Dorfesschenke
An seinem Arm geführt zum Tanz,
Und wie wir getanzt – ach Gott, ich denke,
Ich denke nur immer an meinen Franz.
An meinen Franz! Wie im schmucken Kleide
Als Soldat er vor die Tür gesprengt,
Wie er geküßt meine Lippen beide
Und von Gold mir diesen Ring geschenkt;
Und wie er am Roß mich emporgehoben,
Das Auge voll Tränen ganz,
Wie die Waffen geklirrt und die Reiter stoben
Hinweg – und hinweg mein Franz!
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Und wie ich die langen Winternächte
In Kummer verlebt und immer gedacht:
Wo er weilen möcht, ob er mein gedächte –
Bis zum Rhein man die blutige Locke gebracht.
Bis alle kamen – nur nimmer der eine!« –
Da ward sie still, ihr entsank der Kranz.
Aufrauschte die Erle im nahen Haine,
Und sie weinte um ihren toten Franz.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weerth, Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Die Liebe. 16. [Maria war von lichtem Scheine]. 16. [Maria war von lichtem Scheine]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9783-A