Der mensch betrüb sich oder lach, ist er stets eitel, schlecht und schwach

O ihr krumme schlimme seelen,
wolt ihr euch lasterreich
nu mit diser welt vermählen?
bochet nicht auf eure stell,
dan die welt nur eine höll,
euch zu martern und zu quälen.
Wollet ihr ein weil nu leben
nach gebühr, so solt ihr
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alsbald nach dem himmel streben:
ist der himmel euch nicht lieb,
so seid ihr nicht wert, ihr dieb,
daß er euch sein liecht gegeben.
Lasset euch zu herzen gehen
was für freud, was für leid
immer in der welt zu sehen:
kan ein mensch auf disem meer
in so viler übeln heer
sicher und forchtlos bestehen?
Bis in das grab von der wiegen
muß alhie under müh
und elend der mensch sich biegen:
dan anfechtung, kreuz und not
ihn bis in den bittern tod
stets verfolgen und bekriegen.
Auch ist sein geburt so kläglich,
daß die plag, mit dem tag
gleich anfangend, kaum erträglich:
seine schwachheit und der schmerz,
tödtend seiner mutter herz,
seind empfindlich und unsäglich.
Wan durch schmerzen tief empfunden
er voll pein schwach und klein
die geburt nun überwunden,
wird er seinem stand gemäß
als ein übelthäter bös
eingewickelt und gebunden.
Wie oft muß, ihn zu geschweigen,
ihm mit fug ohn verzug
seine säugam hilf erzeigen
und den säugling von dem wust
reinigend, mit bloser brust
in der grösten kältin säugen!
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Nemend ihn bald auf bald nider,
sunst hilflos, auf der schoß
wieget sie ihn hin und wider,
bis er, weil ihr sorg und müh
reibet seine bein und knü,
stärket seine schwache glider.
Fanget er dan an zu gehen
auch die sprach nach und nach
(blöd und lisplend) zu verstehen:
ist sein gang und seine bit
halbe wort und halbe trit,
schwach zu reden, schwach zu stehen.
Seine kräften mit den jahren,
seine witz, seine hitz,
seine arbeit, müh, gefahren,
nemen mit einander zu,
allein nimmer ab die ruh,
nichts kan ihn für leid bewahren.
Alsbald seine tag nu blühen,
kan sein mut sich der wut
seiner jugend nicht entziehen?
groß ist dan sein unbestand
und er fällt in dise schand,
wan er will von jener fliehen.
Spielend mag er sich wol üben,
weil er noch ohn ein joch:
aber ihn mehr zu betrüben
reutet ihm auf einmal auf
aller lastern großer hauf,
bis daß er sich muß verlieben.
Alsdan under Amors wafen
taub und blind wie ein kind
könden ihn zwei augen strafen:
hofnung, trost, wollust, genuß,
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forcht, verzweiflung, zorn, verdruß
wollen ihn nicht lassen schlafen.
Kan er dises überwinden,
findet er noch vil mehr
trübsal und unglück dahinden:
ehrgeiz, geldgeiz, übermut,
hader, händel, zank und wut
wollen ihn zu schinden binden.
Kommet er dan fortgegangen,
daß das glück und die strick
aller laster ihn nicht fangen,
wird er aus der jugend saal
in der alten leut spital
schlim und liederlich empfangen.
Dan da kommen aufgezogen
kalte flüß für die küß,
die ihn unlangst jung betrogen:
zittrend werden händ und füß,
daß gicht, zipperlein und grüß
machen ihn krum und gebogen.
Und wan schon das alter ehrlich,
ist die ehr ihm doch schwer,
weil ihn alles ganz beschwerlich:
seine zähn nu fallen aus,
haupt und herz voll schnee und graus
malen alle ding gefährlich.
Ach, wie langsam er nu schreitet
weil die buß auf dem fuß
folgend allzeit ihn bestreitet!
alle hofnung ist dahin,
ach und weh ist sein gewin,
bis daß ihn der tod erbeutet.
Wie, wa, wan er auch mag leben,
jung und alt, warm und kalt,
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ihn die krankheiten umgeben;
schwachheit, sorgen, falsche freind
lügen, neid, verleumdung, feind
ihm verdrüßlich widerstreben.
Wie ein vogel durch sein fliegen,
wie ein pfeil in der eil
leichtlich kan das aug betriegen,
so schnell ist des menschen hab,
und sein schrit zu seinem grab
ist nicht weit von seiner wiegen.
Endlich muß er sein vermögen
als den raub in den staub
mit dem körper niderlegen.
also endet nu das spil,
daß weder lützel noch vil
kan ihn, kan er nu bewegen.
Wan man dan nicht kan verneinen,
daß alhie tausend müh
wider uns sich stets aufleinen:
solten wir von herzen grund
unser elend alle stund
nicht beklagen und beweinen?
Kan uns aber nichts klug machen,
sondern wir ohn gebühr
wollen lachen diser sachen:
ach! so lachet reich und arm,
lachet, daß es got erbarm,
eures elends selbs zu lachen!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weckherlin, Georg Rodolf. Gedichte. Gedichte. Der mensch betrüb sich oder lach. Der mensch betrüb sich oder lach. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9314-F