Die sechsundsiebzigste Fabel.
Vom alten Weib und iren Megden.

Ein altes weib die het vil megd,
Die sie stets zu der arbeit regt,
Des nachtes umb den hanenkrat
Musten sie all aufsteen drat,
Ein stund drei oder vier vor tag,
Wenn sonst ein jeder ruhe pflag.
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Dasselb verdroß die faulen secke,
Daß man sie tet so früe aufwecke,
Warfen die schuld auf den haushan,
Sprachen: »Als unglück gee in an!
Es tagt dem schelmen allzeit fru,
Drumb muß man sehen, wie man tu.«
In dem die frau zur kirchen gieng,
Die jüngste magd den haushan fieng,
Die ander nam den armen tropf
Und hau im ab da seinen kopf:
»Ist gut, daß wir dich mögen fellen;
Du wirst nicht mer den seiger stellen,
Daß man uns wecke, wie man pflag:
Hinfort schlafen wir biß mittag.«
Half aber nicht ir listig trug,
Die frau war inen vil zu klug.
Als sie sahe, daß der haushan war
Hinweg und auch vorkommen gar,
Ein ander list sie bald erdacht,
Weckt die megd bald umb mitternacht,
Gedacht: ich wil euch das wol machen,
Daß ir des scherzs nicht mer solt lachen!
Mancher entleuft eim kleinen schaden
Und tut ein größern auf sich laden,
Dem regen oft entlaufen tut
Und senket sich ins waßers flut.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 76. Vom alten Weib und iren Megden. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8FF8-E