[129] Das vierte Buch.

Die erste Fabel.
Vom Wolfe, Fuchs und Esel.

Da man schrieb tausent und fünfhundert,
Dasselbig jar ward abgesundert
Von der andern zeit ganz und gar
Und gmacht zu einem gülden jar
Vom sechsten bapst, hieß Alexandern;
Teten vil leut nach Roma wandern,
Zu erlangen ablaß und gnad,
Wies der bapst ausgeschrieben hat,
Er wolt auftun die güldene pfort,
Die sonst an keinem andern ort
Denn zu Rom, in dem haubt der welt;
Ja wer es glaubt und dafür helt,
Ist bald erlöst von pein und schult;
Und wenns schon Gott nicht haben wolt,
So ist der bapst an Gottes stat
Und alln gwalt auf erden hat.
Dasselb vil leut allda bedachten
Und sich aus alln landen aufmachten,
Zu holen solch gnad und ablaß,
Auf daß ir selen wurde baß.
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Dasselb ward auch der fuchs gewar,
Lief bald zu einem wolfe dar,
Sprach: »Wir wölln uns zamen gesellen
Und uns einmal andechtig stellen,
Einst heben an zu werden from
Und ziehen auch hinauf nach Rom,
Büßen und beßern unser leben,
So werden uns die sünd vergeben.«
Da sprach der wolf: »Das dunkt mich gut.
Ein jederman jetzt buße tut,
Und so vil leut nach Roma laufen,
Da sol vil ablaß sein zu kaufen:
Ob wir auch hie auf diser erden
Wie unser eltern selig werden.«
Beschloßen da in einem sin,
Wurden bald reit und zohen hin.
Ein jeder nam mit seine hab,
Hut, ledersack und pilgerstab,
Zohen bei Nürmberg hin nach Schwabach.
Ein esel sie am weg ersach,
Er sprach: »Gott grüß euch, lieben brüder!
Ich sihe wol, daß sich jetzt ein jeder
Zu beßern denkt und buß zu treiben;
Wo würd ich armer sünder bleiben?«
Mit seufzen schlug er an sein brust
Und sprach: »Mich frißt der sünden lust.«
Da sprach der fuchs: »Ei, tu auch buß!
Du bist vil baß denn wir zu fuß.
Wilt dich beßern und werden from,
So kum und zeuh mit uns gen Rom.«
Der esel sich nicht lang besan,
Er nam die bittfart mit in an,
Gumpet und warf sein sack darnider,
Sprach: »Lig da, ich kum nicht bald wider.«
Sie zohen zamen alle drei
Ubers Lechfeld, Augspurg fürbei,
Neben Landsburg das gebirg hinan,
Welchs man vil meilen sehen kan.
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Auf welsch seins die alpes genant,
Den curtesanen wol bekant,
Die umb prebenden litigirn,
Zu Roma in rota agirn.
Sie stiegen einen berg hinan;
Zum fuchs der wolf reden began,
Fragt in, ob er nit müde wer.
Er sprach: »Ich bin erlegen schier;
Wil diß gebirg noch lenger wern,
Wolt ich lieber den tot begern.
Mein kurzen bein und enger schrit
Reimen sich zu hohen bergen nit.
Du und der esel habt nit zu klagen;
Ich sterb bei euch e dreien tagen.
Wolt, daß ich het daheim gebeicht;
Wer weiß, ich het leicht gnad erreicht.
Die reis mich schier gereuen hat.
Er nem den willen für die tat.
Ich halts dafür, wenn wir es wagten,
Einr dem andern die sünde klagten,
Es solt wol sein so angenem,
Als ob einer gen Rome kem.
Wie dunkt euch hie, herr Eisengrim?«
Der wolf sprach: »Geb dazu mein stimm
Und hab michs auch wol zu erwegen,
Ich bin vorwar auch schier erlegen.«
Er sprach: »Herr Heinz, was dunkt euch gut?«
Der esel sprach: »Was ir beid tut,
Dabei wil ichs auch bleiben lan.
Ich bin ein ungelerter man,
Ir seit der schrift vil baß erfarn.
Wenn wir den weg möchten ersparn
Und wurden doch der sünden los,
Es wer vorwar ein vorteil groß.
Ich wolt mich warlich bald besinnen,
Die zerung tut mir doch zerrinnen,
Mein seckel gunt zu werden spitz,
Auch ist des tags so große hitz
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Und wechst kein gras hie bei dem weg;
Drumb hungers halben schier erleg.
So machts ir beide, wie ir wölt,
Ich wil euchs haben heimgestellt.«
Da sprach der fuchs: »Es ist nichts wert,
Daß einr unnütz sein gelt verzert.
Die glerten sagen jetzund frei,
Daß nur ein lauter fürwitz sei,
Daß man gen Rom sanct Jacob lauft
Und vor sein gelt den reuel kauft
Und holt nicht mer denn müde bein.
Ja, wenn ich jetzund wer allein,
Ee ich ein fuß solt weiter ziehen,
Vor disem stein wolt nider knien
Und laßens sein im vatican,
Oder die trepp sanct Lateran,
Den großen pfeiler Adriani
Und termi Diocletiani,
Belle videre, sanct Peters platz,
Engelburg und des bapsts pallaz,
Agon Tyber, beim campoflor,
Maria rotunda und maior,
Die steinen pferd in monte caval,
Die großen arcus triumphal,
Die marmorsteinen ponte Sixti,
Das coemeterium Calixti,
Bei sanct Alex die steinen sonnen,
Und bei sanct Paul die drei brunnen,
Das eren pferd, gegoßen bild,
Den Arnum und den Tibrim wild,
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Morphorium und den Pasquill,
Davon man teglich sagt so vil:
Ob ich dasselb nit alles sech,
Wolt gern wißen, was daran leg,
Wurd gleich so lange darnach leben,
Als wern mir dsünd zu Rom vergeben.«
Da sprach der wolf: »Ich halts fürs best,
Daß ein jeder von sünden leßt.
Wo einr sich beßert und wird from,
Ist gleich so vil, gieng er gen Rom.«
Und sprach: »Herr Reinhart, setzt euch nider,
Hört mir die beicht, ich hörs euch wider.«
Der fuchs setzt sich, sprach: »Liebes kind,
Sag an, was hastu tan für sünd?«
Der wolf sprach: »Vatter, ich bekenn
Und mich für einen sünder nenn:
Ich hab gesündet oft und vil,
Wie ich euch jetzt erzelen wil.
Ich hab vil schaf und lemmer zrißen,
Auch oftmals küh und kelber bißen,
Der zickel und der jungen schwein
Must ich mich understen allein;
Die ochsen, pferd und große stier
Waren zu stark alleine mir;
Wenn ich ir einen gdacht zu fellen,
Nam ich mein bruder zum gesellen.
Der gäns hab ich nicht vil betrogen,
Die meisten sein mir stets entflohen.
Sunst hab ich mich oft must erwegen
Meins lebens in dem schnee und regen;
Mich hat gejagt gar mancher baur:
Damit mir ward mein leben saur.
Was ir mir setzen wölt zur buß,
Vor die sünd willig tragen muß.«
Der fuchs sprach: »Draus ich merken mag,
Daß dich fürwar kein guter tag,
Sonder die not und hunger trieben:
Werst villeicht lieber ligend blieben.
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Doch wil ich dir zur buß jetzt setzen,
Dein fuß soltu hinfürder netzen,
Der fisch im waßer dich ernern,
Hinfurder an die tier nit kern.
Was im waßer und hart dabei
Findest, das sei dir alles frei;
Was an dem ufer auf drei schritt
Kreucht, weiter soltu greifen nit,
Es sei ein krebs oder sunst ein al,
Iß für ein lamb, so bkumt dirs wol;
Hab reu und leid, beßer dein leben,
Stee auf, dir sein dein sünd vergeben!«
Da sprach der fuchs: »Herr wolf, ich bit,
Verschmeht mich armen sünder nit!
Hört mir die beicht, mich reut mein sünd,
Ob ich auch gnad erlangen künt.
Ich bin ein großer sünder zwar;
Man kennt mich wol, das ist auch war.
Ich hab mein leben so verzert
Und in gar großem kummer gnert,
In dreien tagen oft kaum ein hun,
Ein gans oder sunst ein capun,
Darüber oft mein leben gwagt:
Das sei euch, lieber vatter, klagt.«
Da sprach der wolf: »Lieber Reinhart,
Umbsunst ist euch nit grau der bart;
Bei mir ichs wol abnemen sol,
Daß einem kranken ist nicht wol.
Wir müßen bkennen, ich und ir,
Wir sind vorwar zwei arme tier.
Daß ich euch solt die speis verbieten,
Wißt euch wol selb dafür zu hüten,
Was euch schadt, daß ir das nit eßen,
Und eur gesundheit nit vergeßen.
So tut und folget meiner ler,
Beßert eur leben und tuts nit mer!«
Da sprach der esel: »Lieber herr,
Wolt, daß ich auch der sünd los wer.
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Mein schuld ich euch bekennen muß:
Bit, seid mir gnedig mit der buß.
Ich hab mein zeit in bösen tagen
Zubracht, holz, seck und waßer tragen,
Mein leib gefüllt mit bonenstro,
Meins lebens bin nit worden fro.
Einsmals wolt eßen leckerbißen:
Meim treiber warn sein schuh zerrißen,
Darin het er frisch heu gestopft,
Hab ich im aus den schuhen geropft,
Welchs mir auch ward gar ser verkert,
Mein haut mit einem knüttel bert.
Dabei könt merken und verstan,
Daß nit war allzu wol getan.«
»O«, sprach der wolf, »du großer sunder,
Daß du noch lebst, das nimt mich wunder!
Ja, sag ich dir, es möcht villeicht,
Du werst gestorben ungebeicht,
Damit der absolutz entborn,
So werst mit leib und seel verlorn.
Die sünd hat lang in dir gewült.«
Der esel sprach: »Habs wol gefült;
Wird mir jetzt an der seelen baß,
Fürwar, hinfurter ichs wol laß.«
Er sprach: »Mag dich nit absolviern,
Wil mich den casum lassen lern.
Herr Reinhart, hört, was hie vorhanden,
Den casum hab ich nie verstanden.
Des bapsts penitenciarius
Solt hie kaum finden gnugsam buß
Und in der sach gründlich bericht,
Des künt sich gnug verwundern nicht.«
Da sprach der fuchs: »Ich hab die schrift
Durchgründt, befinde, daß sichs trifft
Beid im drecket und dreckental,
In Clementin und überall:
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Mit iren glosen und den summen
Hierin zugleich überein kommen,
Ein schwer sentenz im übersagen,
Die er für seine sünd muß tragen.
Was hilfts, daß man die sach verblümt?
Er ist mit leib und sel vertümt,
Jedoch sein sel durch zeitlich tot
Errettet wird aus hellscher not.
Die recht sagen: wo er bleibt leben,
Wird ganz und gar dem teufel geben;
Ist beßer, daß er sterb am leib,
Und daß die sel behalten bleib.«
Vor in must sich der esel bucken,
Zerrißen in zu kleinen stucken.
Der Herr spricht: hüt euch vor den leuten,
Die zu euch kommen in schafsheuten
Und sich ganz schäfisch zu euch stellen,
Als obs freundschaft beweisen wöllen!
Dieselben euch am erst betriegen,
Mit guten worten stets verliegen,
Wie hie dem esel auch geschehen.
Dabei zu merken und zu sehen,
Was da sei freundschaft in der not.
Zwen hund sein stet des hasen tot.
Es wird auch hie fein abgemalt,
Wie der pfaffen beicht sei gestalt:
Wenn einr dem andern tet sein beicht,
So macht ers mit der buß gar leicht,
Einander bald die sünd vergaben,
Gleich wie die pferd einander schaben,
Strich mit dem fuchsschwanz über her;
Den armen leien machtens schwer,
Mocht leicht; wo einer übertrat,
So wars ein casus reservat,
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Ward er nicht in den ban getan,
So must er sich sonst schinden lan
Und tanzen, wie sie im fürpfiffen.
Mit dem netz gar gut fisch ergriffen,
Und macht in stets die küchen vol,
Wie wirs jetzt wißen allzu wol.
Und wöllen Gott gar treulich bitten,
Daß er uns fürbaß wöll behüten,
Daß sie uns mit irm fischegarn
Fürbaß nit sollen überfarn,
Den wolf und fuchsen nit mer hören,
Daß uns nit wie den esel betören.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 1. Vom Wolfe, Fuchs und Esel. 1. Vom Wolfe, Fuchs und Esel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8F83-5