Die fünfunddreißigste Fabel.
Vom Wolf und Fuchs.

Der wolf mit rauben samlen tet,
Daß er ein weil zu freßen het,
Und trugs zusamen in sein loch.
Der fuchs wards gwar und spürt im nach:
Er fand in ligen bei dem as,
Da faulenzen vor vollem fraß;
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Er sprach: »Wie ligst so ausgespreit?
Steh auf, lauf mit mir aufs gejeit.«
Der wolf des fuchses list merkt wol,
Sprach: »Weiß nicht, wie ichs machen sol;
In meinem leib bin ich ser krank,
Drumb lig ich hie on meinen dank.
Wöllest für mich die Götter bitten,
Daß sie mich aus der krankheit retten.«
Der fuchs gieng hin; es tet im zorn,
Daß sein anschlag war gar verlorn,
Gedacht: es sol also nicht bleiben!
Er sahe den hirten frü austreiben,
Den redt er an und sprach: »Mein freund,
Gut neue mer ich dir verkünd.
Es wont ein wolf in jenem loch,
Leit dort gestrecket wie ein bloch,
Vor vollem fraß ganz faul und treg:
Den hastu in eim hui hinweg,
So bald du kumst mit deinen hunden,
Ir fünf dir nicht entlaufen kunden.«
Der hirt den wolf umbringen tet;
Von stund er in gefangen het.
Das sahe der fuchs an für das best,
Legt sich wider ins wolfes nest;
Als, was der wolf het vor geraubt,
War im zu eßen gar erlaubt,
Macht sich frölich ein kleine zeit.
Bald het ein end auch seine freud:
Am andern tag der hirt auch kam,
Den fuchs gleich wie den wolf aufnam.
Ein schendlich ding ists umb den haß,
Tut schaden über alle maß;
Doch ists oft dem der gröste schad,
Der neid und haß erreget hat.
Wer einen stein wirft über sich,
Fellt auf in selb gemeiniglich.
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Wer seinem nehstem ein gruben grebt,
Darf selbs wol, daß man in draus hebt.
Gott schafft, daß neithart und untreu
Sein eigen meister erst gereu.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 35. Vom Wolf und Fuchs. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8EFC-3