Die dreiunddreißigste Fabel.
Vom Pferd und Esel.

Eins mals ein Pferd gebunden stund
Und het ein schönen zaum im mund;
Der war mit gülden buckeln bschlagen.
Auf seinem rücken tet es tragen
Ein blanken sattel, schön geziert,
Ein rosdecken mit gold durchschniert.
Es riß den zügel bald entzwei
Und lief hinweg mit großem gschrei.
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Da kam ein esel on gefer
Mit seiner last langsam daher.
Das pferd fraß das gebiß mit schaum,
Sah zorniglich und sprach: »Gib raum!
Wer hat dich solche mores glert,
Daß du nicht weichst eim solchen pferd?
Geh weg, gib raum, oder wil dich schlagen,
Daß dich ir sechs von hinnen tragen.«
Der esel erschrack von dem schnurren,
Gab raum und dorft auch nit einst murren.
Das pferd lief, was es des leibes möcht,
Zu letst sichs on gefer verrücht.
Des ward sein herr von stund gewar,
Nam im die schöne rüstung gar,
Verkaufts dem furman in den karren:
Der wolt damit hinweg faren.
Das sahe der esel, lief bald zu,
Sprach: »Grüß dich, freund, wie sihstu nu?
Wo ist das gülden und seiden zier?
Der sehe ich jetzund keins an dir.
So, lieber freund, so gets auf erden,
So muß hoffart gestrafet werden.«
Vil leut im glück sich so erheben,
Können noch zil noch maße geben.
Wenns glück am höhsten bricht herfür,
Denn helt das unglück vor der tür.
Welche das glück hat hoch erhaben,
Dieselben zu besorgen haben,
Wenn sich das glückrad schnell umbkert;
Denn werden sies mit schaden glert,
Daß größer unglück nicht ist zurlesen
Denn sagen: ich bins wol ehe gewesen.
Zu dem unglück komt denn noch eins,
Ist erger denn der andern keins,
Daß man im unfall wird belacht
Von den, die man zuvorn veracht.
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Drumb laß dich nit eins solchen glüsten,
Wider den armen dich zu rüsten:
Unfall müßen wir gewarten all:
Wer steht, sehe zu, daß er nicht fall.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 33. Vom Pferd und Esel. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8EEC-7