[244] Die fünfundvierzigste Fabel.
Von einem faulen Knechte.

Ein junger baurenknecht sich wolt
Vermieten umb ein gwissen solt.
Zu einem reichen meier kam;
Derselb in bald von stund annam,
Denn er bedörft elns starken enken,
Der sich ließ keine arbeit krenken.
Wie er in nun het angenomen,
Des lons halb überein warn komen,
Zum weinkauf gab er vier maß wein,
Damit die sach gewis solt sein.
Da sie nun etlich weil geseßen,
Der knecht sprach: »Hab noch eins vergeßen.
Wenn ir mich wolt des morgens wecken,
So dörft ir mir das ziel nit stecken
Und mich auftreiben also gach,
Sondern mir stets ein stund darnach
Schlafen und lenger ligen bleiben,
Und laßt mich nit so bald auftreiben;
Denn solchs ich für ein gwonheit hab
Und laß mirs auch nit bringen ab.«
Der meier sprach: »Dasselb nit schadt;
Ein jeder sein gebrechen hat,
Niemand ist allenthalben heil,
Denn ich hab auch ein sondern feil.
Wenn mich derselbig undernimt,
Von stund im kopf ein scheul ankümt,
So lauf ich wie in vollem saus
In alle winkel durch das haus
Und in den stall an alle end,
Klopf mit eim knüttel an die wend.
Doch kan man sich vor solchem wüten,
Wenn mans vorhin weiß, gar wol hüten.
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Drumb tu ich das zuvor jetzt sagen,
Daß du hernachmals nit dörfst klagen.«
Sie warn beinander etlich tag.
Der knecht seinr alten weise pflag:
Wenn man in schon zwei, dreimal weckt,
So ward er nit davon erschreckt;
Denn, wie man in dem sprichwort redt,
Ein fauler bub, ein warmes bet,
Dieselben sich nicht leichtlich scheiden,
Mögen einander gar wol leiden.
Darnachs auf einen abent gschach,
Zum selben knecht der meier sprach:
»Ge hin, von stund den pflug richt zu,
Auf daß wir morgen rechte fru
Hin auf den acker farn, zu pflügen,
Daß wirn hienehst beseen mügen!«
Des morgens weckt er in gar fru.
Er dacht: komm nach, zeit gnug dazu!
Kert sich wider in schlaf gar süß.
Der meier dacht: wo ichs nit büß,
So solt der knecht wol gar verderben,
Zuletst von großer faulkeit sterben.
Er sprach: »Ich muß michs auch nit schemen,
Mich meiner alten weis annemen.«
Erwischt ein Brügel jung von eichen,
Der vom hals tet zun fingern reichen,
Den knecht gar weidlich überschritt
Und sprach: »Es ist mein alte sitt!«
Da rief der knecht: »Herr, laßt mich leben!
Ich wil mein weis gern übergeben,
Damit ir euch auch solches maßt
Und fort von euer weis ablaßt.
Drumb macht, daß euch verget das toben,
So wil ich willig angeloben,
Wil forder allzeit frü aufstan:
Mein krankheit sol mich gar verlan.«
Es ward kein krankheit nie so schwer,
Wenns gleich das teglich fieber wer,
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Gicht, waßersucht, schwindl und rür,
Man findt stets gut arznei dafür.
Wenns nur bei zeiten wird vernommen,
Kan mans mit gutem rat vorkommen,
Daß man desselben wird entladen,
Benomen wird ein grdßer schaden.
So kan man auch der faulkeit raten
Und darf dafür kein kalbsfurz braten;
Man kan ein schlefrig faulen knaben
Mit einer brügelsuppen laben,
Mit ungebranter aschen reiben,
Leßt sich die faulkeit fein austreiben.
Wenn mans mit heseln saft erquickt,
So werdens zu der arbeit gschickt
Und von dem tiefen schlaf erweckt,
Daß in darnach das eßen schmeckt.
Solchs hat der meier wol gewist,
Weil er dem knecht sein krankheit büßt
Und im denselben fel benam,
Daß in darnach nit mer ankam.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 45. Von einem faulen Knechte. 45. Von einem faulen Knechte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8E3E-D