Die sechsundfunfzigste Fabel.
Wie Sanct Peter wolte Gott sein.

Sanct Peter mit dem Herren Christ
Hat vil gewandert, wie man list,
Allhie auf erden hin und wider,
Das jüdisch lant fast auf und nider.
Da sich vil seltzam red begaben,
Davon sie oft geschwatzet haben,
Daß Petrus auch den guten man
Mit mancher frag hat gfochten an.
Gleich wie das gmeine sprichwort sagt,
Daß oft ein narr gar vil mer fragt
Von großen sachen und geschichten,
Denn zehen weisen könten brichten.
Dergleich aus seinem tummen sin
Fragt er also ins wild dahin,
Daß sich hat under andern fragen
Auch dise folgend zugetragen,
Daß Petrus sprach: »Meister, ich bitt,
Du woltest mirs versagen nit
Und bis zur antwort unbeschwert
Des, das ich dich jetzt fragen werd«,
Und sprach: »Wenn ich der welte stend
Betracht vom anfang bis zum end,
Da findt sich so vil herzeleit,
Unordnung, ungeschicklichkeit,
[282]
Des widerwillens und des zanks,
Vil abergunst und des undanks,
Vil laster, schand und große sünd;
Erdenkt auch teglich neue fünd.
Die armen tut die herrschaft schetzen,
Mit zoll und zinsen übersetzen.
Dagegen ist der kaufman klug,
Mit falscher war und großem trug
Sein nehsten bscheißt und überzeucht.
Der handwerksman die arbeit fleucht
Und nert sich oft mit bösen tücken.
Der baur zu land mit schelmenstücken
Der herrschaft ungehorsam sein.
Ein jeder meint, er seis allein,
Vor den die welt nur sei geschaffen.
Dazu leßt sich auch niemand strafen
Mit keinem bösen noch mit guten,
Mit drauung Gottes zorn und ruten.
Es beßert sich noch weib noch man:
Ein jeder gibt ein lachen dran,
Daß, wenn ich solchs als überleg,
In meinem herzen oft beweg
Und sihe, daß nit wil beßer werden,
Verdreußt mich zwar, auf diser erden
Lenger zu leben, solchs zu sehen.
Wenns nit dermaleinst solt geschehen,
Daß dus soltst strafen oder richten,
Wolt ich mich wol dazu verpflichten,
Wenns gen solt nach dem willen mein,
Ich schlüg mit beiden feusten drein,
Und gar in einen haufen stürzen:
Damit wolt allen jamer kürzen.
Drumb nimt mich wunder, weil du bist
Gott selber und der ware Christ,
Der himel, erd, beid nacht und tag
Geschaffen hat und als vermag,
Hast allen gwalt in deinen henden,
Köntest in einem hui als wenden
[283]
Und sihst doch solcher bosheit zu,
Was jeden glüst, daß er das tu.
Darneben lerst uns, daß wir söllen
Zu Gott all uns vertrauen stellen,
Und daß mans halt und dafür acht,
Daß er hab alles dinges macht,
Was gschiht in himel und auf ert,
Und nichts geschehe on als gefert,
Sondern, wie ers hab decerniert,
Als werd volnbracht und ausgefürt.
Daraus denn folgt, wie sichs auch findt,
Daß fast auf ert all menschen kind
Nit glauben, sonder dafür halten,
Gott laß die welt nur selber walten,
Wie sie nur wil, und hab nit acht,
Was jederman hie niden macht.
Und zwar, wenn ich recht sagen solt
Und man michs nit verdenken wolt,
Brecht man mich selb leichtlich dahin,
Daß mir auch wüchs ein solcher sin,
Daß Gott der welt vergeßen het,
Gült im gleich vil, was man hie tet.
Es hielten auch vil weiser heiden,
Die sonst nit waren unbescheiden,
Gott het nur acht der großen ding
Und sehe gar nichts auf das gering,
Und daß er etwan wer dieweil
Leicht über etlich hundert meil
Geschiffet übers Caspier mer,
Odr in die Muscow gezohen wer.
Es stet warlich jetzt wol so wüst,
Weil jeder tut, was in gelüst.
Ja lieber, wenn du selber soltst
Recht sagen und bekennen woltst,
So würdest auch wol sagen das,
Daß die welt zu regieren baß
Solt sein, weil sie in iren gang
Ist bracht, denn da sie im anfang
[284]
Aufs neu zu schaffen ganz und gar
Und in ir form zu bringen war,
Als himel, erd mit aller zier,
Als gwechs, fisch, vogel, mensch und tier,
Aus nicht als vorher kommen must,
Und hat in nur ein wort gekost.
Drumb dunkt mich zwar, daß das regieren
Der welt wer fein hinaus zu füren
Mit wenig müe, fein in der still,
Daß jeder nicht tet, was er wil.
Gleich wie ein großes schönes schiff
Wird gbaut dorthin aufs waßer tief
Mit langer zeit und großem gelt,
Daß sichs verwundert alle welt,
Und wers nur siht, der großn arbeit
Und schweren last: doch wenns ist reit,
So ists ein man allein, ders lenkt
Und fürts, wo er nur hin gedenkt.
Vil beßer wer die ganze welt,
Weil sie ist reit und als bestellt
Von dir, der du als dings hast macht,
Und als so weit ist durch dich bracht,
Fein zu regiern in irem schwang,
Daß man den zaum ließ keim zu lang.
Denn weil du selb bist Gottes sun,
Wer dirs vor allem wol zu tun;
Auch drumb bist rab vom himel kummen
Der welt zum heil, zum nutz und frummen,
Daß du all dises übel straftest,
Den frommen recht und frieden schafftest.
Drumb wundert mich kein ding so ser,
Weil daß du bist als dings ein herr,
Lest dennoch solches als geschehen
Und magst so durch die finger sehen.«
Drauf antwort im der Herre Christ
Und sprach: »Peter, vorwar, du bist
Ein seltzam man mit deinem tun
Und mit den worten vil zu kün.
[285]
Hastu nit oft von mir gehort,
Daß du Gottes werk und sein wort
Solt bleiben lan in seiner maßen,
Ungemeistert, ungtadelt laßen?
Denn sein wort, werk und seine wunder,
Beid in gemein und in besunder,
Sein unerforschlich zu erfinden,
Keim menschen müglich auszugründen.
Drumb denk in auch nit weiter nach,
Sein dir zu spitzig und zu hoch,
Sondern denk, wie ich dir wol er
Hab gsagt von disen dingen mer,
Mein vatter ist vil anderst gsinnt,
Nit wie auf erd der menschen kind
So kurzsinnig und abergünstig,
Rachgirig, zornig und inbrünstig,
Sondern barmherzig, gnedig, gütig
Ueber die sünder und langmütig.
Von dem nur eitel gnad herfleußt,
Sein regen miltiglich ausgeußt
Beid über bösen und die frommen,
Der sonnen schein leßt auch rab kommen
Ueber die guten und gerechten,
Auch welch seim willen widerfechten;
Wil nit, daß bald jetzt hie auf erden
Vom himel als gestraft sol werden.
Neben dem weizen leßt aufgen
Das unkraut, und das bleibe sten
Biß zu der ernt, da wird entpfan
Ein jeder nach der tat sein lon.
Jetzt laß dein urteiln und dein sorgen
Ob dem, das dir ist gar verborgen.
Denn wer sich in fremd werbung flicht,
Der er mag haben kein bericht,
Der müt sich umb unnötig sach,
Er pflügt den sant und mißt die bach,
Eim ziegel wil die röt abreiben
Und fleißig in das waßer schreiben,
[286]
Umbsonst ein schwarzen moren wescht
Und gar ein fremde glut auslescht.
Wern finger in alle löcher steckt,
Muß förchten, daß ern oft befleckt.
Drumb rat ich dir, daß du dich nicht
Zu weit steckest in Gottes gricht,
Weil du der ding bist unerfarn,
Gar vil zu toll und jung von jarn.
Wenn ich die warheit reden tar,
Dörft ich sagen, und ist auch war:
Wenn du die ganze welt soltst jetzt
Nach deim verstand, weisheit und witz
Regieren auch nur einen tag,
Was solt sich da vil großer klag
Von allen creaturn erheben,
Und du auf als soltst antwort geben,
Da soltstu finden, was du suchtst,
Daß du zu solchem ampt nicht tuchtst.«
Da antwort im sanct Peter wider,
Sprach: »Lieber meister, bin ich bider,
Wolstu mir nur so vil nachgeben,
Das regiment einst an zu heben,
Zu herrschen einen tag vergünnen,
Denn soltstu sehen, ich würds wol künnen.«
Da sprach zu im der Herre Christ:
»Weil du denn so vorwitzig bist
Und wilt dich ja nit lan bereden,
So bin ichs heut mit dir zu freden,
Und heb bald an jetzt disen morgen
Himel und erden zu versorgen,
Sorg für all creatur zu tragen,
Daß niemand hab über dich zu klagen.
Hiemit gib ich dir allen gwalt
In himel, erd, doch der gestalt,
So bald die sonn zu nacht get nider,
Daß du mirs regiment gebst wider.«
Da ward sanct Peter fro und sprach:
»Weil du mir solchs gibst alles nach,
[287]
Zum zeichen gib mir deinen stab,
So weiß ich, daß ichs alles hab.«
Da gab ern im, und giengen beid
Mit einander über jen heid.
Bald kamens in ein dörflin klein;
Ein arme frau saß an eim rein,
Die het nit mer denn eine geiß,
Die trieb sie nach irs mans geheiß
Zum dorf hinaus ins grüne gras,
Daß sie sich da mocht weiden baß,
Wie man dem vieh gemeinlich tut,
Und sprach: »Ge! daß dich Gott behüt!«
Da hub bald an der Herre Christ,
Sprach: »Petre, weil du Gott jetzt bist,
So hat dir dise frau zu gbieten,
Daß du ir heut der geiß must hüten.
Sihe, daß du vorwendst allen fleiß
Und dich als einen Gottbeweis!«
Sanct Peter ward wol halber schellig;
Jedoch weil ers im hat gefellig
Erst laßen sein und drumb gebeten,
Must er das göttlich ampt vertreten.
Drumb sich halb willig drein begab
Und nam zu handen seinen stab;
Der geiß er folget hinden nach,
Die stieg bald auf die berge hoch
Die scharfen felsen auf und nider,
Lief durch die wälde hin und wider,
Da war kein auen, felt noch wisen,
Da nit die geiß tet umbher bisen
Durch stauden, büsch und kleine hecken;
Oft in dornbüschen blieb bestecken,
Draus ers bein hörnern ziehen must,
Daß er ward oft schier gar entrust
Und bald verlorn het all sein waffen,
So vil macht im die geiß zu schaffen,
Blieb auch ungeßen all den tag,
Daß er vor hunger schier erlag;
[288]
Drumb er der geiß auch flucht gar oft,
Begirlich nach dem abend hofft.
Als sich die sonn begunt zu neigen,
Damit den abent anzuzeigen,
Die baurn vom acker zohen ein,
Wolt er auch nit der hinderst sein;
Die geiß der frauen wider bracht.
In seinem sinn also gedacht:
Es bleib ein Gott auch, wer da wil!
Lieber bin ich ein armer gsell,
Mit meiner fischerei mich neren,
Denn mich mit solcher sorg beschweren.
Ich sehe wol, wenn einr hat vil kü,
So hat er auch dabei vil mü.
Groß herrn groß sorge haben müßen;
Mein lust wil ich nit mer so büßen.
Drauf im der Herr zu antwort gab,
Sprach: »Diß für deinen vorwitz hab!
Denn so gets zu in aller welt,
Keinem sein ampt und stant gefellt.«
Drumb ists auch war fast überal,
Der narren ist kein end noch zal,
Wie Salomon der könig sagt
Und alle welt darüber klagt.
Ein jung gsell kam zu einem apt,
Bat, daß er in ins kloster kappt.
Der apt fragt, ob er dschrift verstünt,
Odr ob er sonst ein handwerk künt;
Sonst nem er keinen in den orden.
Sprach: »Bin nit dazu ghalten worden,
Daß man mich het lon etwas leren;
Jedoch wüst ich wol zu regieren,
Daß als mit fleiß wurd ausgericht.«
Da sprach der apt: »Ich darf dein nicht.
Jederman hie regieren wil;
Der meister hab ich vil zu vil.«
Was jeder siht in allen sachen,
Das kunt er allzeit beßer machen;
[289]
Wurds im abr in die hand gegeben,
Wust nit, wo ers solt erst anheben.
Auch ist die welt so klug und spitzig,
So neugirig und so vorwitzig,
Daß als richten und tadlen können,
Niemand sein ampt und ere gönnen.
Wer offentlich am weg wil bauen,
Da jederman mag frei zuschauen,
Der muß sichs lan verdrießen nicht,
Daß jederman darüber richt.
Der Cicero sagt disen Spruch
Am neunten brief im ersten buch:
»Vil leut richten leicht aus vorwitzen,
Wenns mich in eren sehen sitzen,
Haben nur aufs auswendig acht,
Auf dises lebens er und pracht,
Und ergern sich etlich daran,
Daß mancher mir der er nit gan.
Aber die sorg des gmeinen nutzs
Und bschwerung des römischen schutzs,
Die mich drückt und im herzen krenkt,
Ist selten einr, der das bedenkt.«
Drumb laß dich nit dein wan betriegen;
Bedenk nur stets dein unvermügen.
All menschlich kreft sein eitel, nichtig;
Niemand zu seinem ampt ist tüchtig.
Woltstu alln creaturn gebieten
Und kanst nit einer geiß recht hüten?
Drumb bleib ein jeder bei der erden,
Denk nit mer, denn er ist, zu werden,
Tracht, daß er recht sein ampt versorg
Und nichts auf einen andern borg,
Sehe auf die leng seinr eigen füß,
So wird im auch diß leben süß.
Wer dise lere wol kan faßen,
Der wird im leichtlich gnügen laßen
An seim ampt, wenn ers wol wird künnen,
Und seinem nehsten nichts misgünnen.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Zweiter Theil. Das vierte Buch. 56. Wie Sanct Peter wolte Gott sein. 56. Wie Sanct Peter wolte Gott sein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8E25-3