[164] Die zwölfte Fabel.
Vom Bauren und wilden Schweine.

Es war ein wildes eberschwein,
Lief oft den baurn ins korn hinein,
Biß in der baur eins mals erhuscht
Und im ein or vom kopf abwuscht.
Zum andern mal kam er herwider:
Legt sich der baur beim zaun darnider,
Biß er den eber da erdappt
Und im das ander or abknappt.
Dennoch der eber widerkam.
Als das derselbig baur vernam,
Stellt er dem eber feindlich nach,
Mit einem schweinspieß in erstach,
Und bracht in in die statt seim herrn,
Und tet in mit dem wildpret ern,
Denn er die zeit wolt hochzeit machen;
Da mocht ern sieden, braten, kochen.
Er ward den gesten fürgetragen.
Der herr die köch mit fleiß tet fragen,
Wo blieben wer des ebers herz.
Der baur antwort on allen scherz
Und sprach: »Vorwar, ich darfs wol sagen,
Daß der eber bei all sein tagen
Kein herz im leib getragen hab,
Welchs dabei ist zu nemen ab,
Er war mir graten auf den acker,
Damit er mich auch machet wacker,
Daß ich erwüscht denselben torn
Und schneid im ab sein beide orn.
Dennocht kunt sich der narr nit maßen,
Mein habern ungefreßen laßen,
Biß ich in noch ein mal ergriff,
Mit dem schweinspieß ein liedlin pfiff.
[165]
Het er gehabt ein herz im leibe,
Denn het er gdacht: vorwar, ich bleibe
Aus dem habern; krigt mich der baur,
Er macht mir zwar den habern saur.
Darumb sag ich jetzt noch wie vor,
Daß der eber ein herzlos tor
Ist all sein lebenlang gewesen,
Wie ir habt hieraus zu erlesen.«
Mit solchen einfeltigen sachen
Tet er die gest da lachen machen,
Daß sie derselben torheit lachten,
Den baur gleich wie den eber achten.
Solch herzloser torechter leut
Findt man mit haufen noch wol heut,
Die so gar sinnlos und verrucht,
Daß man an in wol zweifeln mocht,
Ob sie ein herz hetten im leibe;
Denn sies so wüst und seltzam treiben,
Daß, wo sie oft gefallen sind,
Daselbst man sie zu mermaln findt,
Person und stett nicht können meiden,
Die sie oft bringt in not und leiden.
Eins mals ein baur ein ratsal gab
Und sprach: »Ein groben esel hab,
Hat in der schrift gar nit studiert,
Dennocht ist er vil baß gelert
Denn unser pfaff und sein caplan,
Wie ich mit warheit beweisen kan.«
Und sprach: »Ich hab daheim ein magt,
Die hat mir mer denn einmal gsagt,
Mit vilen umbstenden bericht,
Daß sie der pfarrner oft anficht,
Umb ire jungfrauschaft zu bringen
Und zu eim bösen leben dringen.
Und ist zu ir in stall geschlossen,
Darin ich in drei mal betroffen
Und in mit prüglen wol zerschlagen;
Hats aber niemand dörfen klagen.
[166]
Dennocht komt er oftmals herwider,
Biß ich in schlag zuletst darnider
Und im abhau ein arm oder bein.
Dem gleichen tut der helfer sein,
Dem gab ich auch ein backenschlag,
Daß er im kat am rücken lag,
Noch fürt in der teufel wider her.
Zum esel soltens gen in dler.
Der fiel ein mal bei einem steg;
Fort kan in nicht denselben weg
Bringen mit treiben und mit schlagen.
Des wegs wil er sich nit mer wagen.
Drumb ist er klüger denn die pfaffen,
Sind beid zwen narren und rechte affen.«
Es sagt Ovidius, der heid,
Von disen sachen guten bscheid:
»Wird der fisch einst vom angel gletzt,
Darnach aus forcht im stets fürsetzt,
Allzeit die speis nimmt forchtsam ein,
Meint stets, es steck ein angel drein.«
Ein lamb, welchs einst vom wolf verwundt,
Förcht sich darnach auch vor eim hund:
Weils nit versten kan, was im nutzt,
Fleuhts den, ders für dem wolfe schutzt.
Ein gbrechlich glid nit leiden kan,
Daß mans greif aufs gelindest an.
Und wer allzeit voll forchten stickt,
Fürm leren schatten oft erschrickt.
Also wens unglück überfleußt,
Oft mit giftigen pfeilen scheußt,
Dem ist allzeit im herzen leid
Und forcht ein künftig ferlichkeit.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. Fabeln. Esopus. Erster Theil. Das ander Buch. 12. Vom Bauren und wilden Schweine. 12. Vom Bauren und wilden Schweine. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8DFD-9