Die dreißigste Fabel.
Vom Arione und dem Delphin.

Aulus Gellius beschreibet diß
In seinen noctibus atticis,
Daß einer gnant was Arion,
Kunt spielen auf der harpfen schon
Und het erfarnheit künsten vil
Gelernt auf alle seitenspiel;
Derselben war er wol erfarn.
Aus Griechenland von Lesbo geborn,
Wont in Achaia zu Corintho
Bei dem könig Periandro.
Derselbig hielt von im gar vil
Umb seiner kunst und lieblich spiel:
Derhalb het er in lieb und wert.
Vom könig er einsmals begert,
Daß er hin in Italiam
Möcht schiffen und Siciliam.
Solchs erlaubt im der könig hoch,
Daß er in dieselben länder zoch,
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Auf daß er auch da wurd bekennt.
Er nam mit im sein instrument;
Weil er war klug und wol gelert,
Ward er daselben hoch geert.
Und sonderlich zu Siracusen
Tet er etlich monat behausen;
Darnach Roma, die große stadt,
Und das Welschland besehen hat.
Daselbs ward er geert und globt,
Mit großem gelt und gut begobt
Von keiser, könig, herrn und fürsten,
Die all nach seiner kunst tet dürften.
Sie gaben im gar reichen solt;
Jedoch zuletst er gerne wolt
Sich machen auf die widerfart.
Ein griechisch schiff da funden wart,
Welchs sich auch von Corintho nennt;
Der Arion die schiffleut kennt,
Dest lieber wolt er farn mit in.
Sie machten reit und furen hin.
Als sie nun kamen weit ins mer,
Der schiffman rüft sein boßleut her
Und sprach: »Da haben wir ein gast,
Den han wir jetzt gar wol gefaßt:
Dem wölln wir nemen sein gut und hab
Und werfen in ins mer hinab,
Auf daß er solches nit vermeldt:
Denn sein wir reich an gut und gelt.«
Als Arion nun merket das,
Daß im da nicht mocht werden baß,
Da gab er sich auch willig drein
Und sprach: »Nemt hin die güter mein,
Die wil ich euch ganz willig geben,
Daß ir mir laßt allein das leben,
Denn euch nit nützen mag mein blut,
Weil ir habt all mein hab und gut.
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Drumb bitt, wöllet mich leben laßen.«
Da bdachten sich die leut dermaßen,
Und seine bitt sie hoch bewegte,
Daß sie ir hand nit an in legten;
Sprachen zu im: »Du must doch sterben,
Deins lebens magst kein gnad erwerben;
Derhalben bald begib du dich
Hinab ins mer selb williglich.«
Als er nun merket keinen trost,
Dadurch er werden mocht erlost,
Bat, im zu erlauben so vil,
Daß er mit seinem seitenspiel
Zum teil möcht lindern seine bürd,
Daß im der tot dest leichter würd.
Dasselb die schiffleut im nachgaben,
Daß er ein wenig freud möcht haben.
Der Arion macht sich bereit
Und legt bald an sein bestes kleit,
Sein seitenspiel er fürher zoch,
Trat auf des schiffes bord so hoch
Und spielt des besten, so er mag,
Vom morgen an biß umb mittag,
Sang drein ein schönes klagelied;
Damit zuletst von dannen schied.
Als er am lieblichsten hofiert,
In seinen besten kleidern ziert,
Nam er sein harpfen auf den rucken
Und tet sich oben abher bucken,
Mit seinem spiel und süßen gsang
Hinab ins wilde mer da sprang.
Die schiffleut meinten nu, daß er
In den bülgen ersoffen wer.
Irn curs sie nach Corintho setzten,
Ir segel gegen wind aufhetzten.
Nun hört ein neu und großes wunder!
Als er nun sprang ins mer hinunder,
Hub sich ein gütig seltzam gschicht,
Welchs doch leichtlich zu glauben nicht.
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Ein delphin kam dorther geschwummen,
Wolt dem menschen zu hilfe kummen.
Der Arion het gern gefrist
Das leben, welchs natürlich ist,
Er trachtet, wie er in erwisch,
Und setzt sich oben auf den fisch.
Der trug in bald on alle schwer
Ueber das tiefe, wilde mer
Bei Tänas ins lakonisch land,
Setzt in daselben an den strand,
Wie er geziert in seiner wat,
Mit der harpfen und was er hat.
Von dannen zohe er gen Corinthum,
Kam für den künig Periandrum;
Von anbegin erzelt im gar,
Wies auf der reis ergangen war,
Und wie der delphin hoch gedacht
In frölich het zu lande bracht.
Der künig stellt im keinen glauben,
Wolt im auch fürbaß nit erlauben,
Daß er zun leuten möchte kommen,
Biß er het beßern bricht vernommen.
Die schiffleut kamen in den tagen;
Die fordert er und tet sie fragen,
Weil sie erst aus dem Welschland kemen,
Was neues sie daselb vernemen,
Und ob sie nit vernommen hetten
Den Arionem in den stetten.
Sie sprachen: »Herr künig, wir haben
Arionem, den edlen knaben,
Zu Rom in großen ern gesehen,
Welch woltat im daselb geschehen.
Er wird von allem volk gelobt
Und reichlich von den herrn begabt.«
Der künig ließ auftun die tür,
Da trat der Arion herfür
Also gekleidt herein gedrungen,
Wie er dort war vom schiff gesprungen.
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Mit schrecken nams die schiffleut wunder;
Die ließ der künig fürn hinunder,
Bald musten sie daselb entfahn
Für irn arbeit verdienten lon.
Hie ist zu sehen, daß man oft
(Des man sich doch gar nit verhofft)
Bei den wilden und frechen tieren
Mer gut und miltigkeit tut spüren
Denn bei den leuten, den ir herz,
Ir ganze leben, schimpf und scherz
Sunst niergen mer ist hingestellt
Denn auf das bös, verfluchte gelt;
Fragen nach keinem ding auf erden,
Denn wie sie mögen reich werden,
An welchen man zu aller frist
Nichts findt, das menschen ehnlich ist,
Denn daß sie haben menschengstalt,
In unmenschlichkeit werden alt.
Was underscheids zwischen den leuten
Und einem tier, wil ich euch deuten
Und ist zu sehen bei den hunden,
Dem Lazaro lecken die wunden;
Denselben het der reiche man
Nicht durch ein zaun gesehen an,
Und in so gar verachtet het,
Die brosem er im wegern tet,
So von dem tisch gefallen wern,
Welchs doch unmenschlich ist zu hörn.
Drumb werden auch am jüngsten tag
All creaturn füren ir klag
Uber die der woltat vergeßen,
Irs nehsten not in nit anmeßen:
Den wird die seligkeit gar teur,
Sie werden hin zum hellschen feur
Von Christo ewiglich verweist,
Und spricht: »Ir habt mich nicht gespeist,
Das ist, meiner elenden armen
Habt ir euch nit laßen erbarmen.
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Denn was ir habt denselben bweist,
Es werd gelestert oder gpreist,
Dasselb nem ich dermaßen an,
Als hett ir das mir selb getan.«
Darumb sehe hie ein jeder zu,
Daß er bei seinem nehsten tu,
Als er wolt selber von im han,
So mag er diser straf entgan.

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TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 30. Vom Arione und dem Delphin. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8D37-5