Die achtzehnte Fabel.
Vom Hund und Löwen.

Zu einem löwen kam ein hunt,
Scherzweis mit im reden begunt
Und sprach: »Herr löw, mich wunder nimt,
Ich bitt, sagt mir, woher es kümt,
Daß ir berg, tal lauft auf und nider
Durch manche wildnus hin und wider,
Und seid zerrißen und zerhudelt,
Beregnet und mit kat besudelt,
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Dazu verhungert und verschmacht;
Noch lauft ir teglich auf die jagt.
Seht, wie bin ich so glat und schon,
Das verdien ich mit müßiggon,
Iß fleisch und brot, so vil ich mag,
Und schlaf oft wol den ganzen tag.«
Da sprach der löw: »Du bist nit weis,
Wiewol du ißt die beste speis,
So bistu doch zu allen stunden
An eine ketten hart gebunden,
Wirst oft mit prügeln wol zuschlagen:
Das must von deinem herrn vertragen,
Mit fuchsschwenzen und augendienst
Du deines herren huld gewinst;
Damit macht dir dein leben saur,
Bist eigen wie ein liflendich baur.
So lauf ich bloß und frei daher
Durch alle hecken ongefer;
Von augendienern weiß ich nicht,
Die eßen mancherlei gericht,
Davor den herrn die meuler schmieren.
Dasselb laß ich mich gar nicht irren,
Davor iß, was der lieb Gott gibt:
Was ich nit hab, entfellt mir nit.
Mein freiheit ist mir lieber zwar
Denn dein gut leben, glaub fürwar.«
Man list, daß in den alten jaren
Auch eigen leut auf erden waren,
Die man verkauft umb gelt und gut,
Wie man noch in vil landen tut.
Man bringt moren aus Africa,
Verkauft sie in Hispania,
In Italien überall,
Zu Lissabon in Portugal.
Die bringt man nacket, frau und man,
Wie ichs daselbst gesehen han.
Aus Samigeten, Littauen, Reußen
Fürt man die leut in Poln und Preußen,
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Zu verkaufen umb gringes gelt.
In Schweden sichs der maßen helt,
Sie bringen die Finnen zu verkaufen
Zu Rige und Revel mit großen haufen.
In Lifland sind die bauren so eigen,
Daß, wenn sich einer tut erzeigen
Widerspennig, mit laufen dreut,
Bald man im einen fuß abheut.
Daselbst müßen all bauren gleich
Von kind zu kind dienen ewiglich.
Fast über ganz Sarmatiam
Biß in Türkei und Phrygiam,
Gest, Sauromate, Muscabite,
Tartern, Walachen und frechen Scythe,
Biß ans gebirg Hyperborim,
Riphei, am waßer Thanaim,
Denselben kreis ganz rund umbher,
An Pontum und ans Caspier mer,
Das sind allsam unbendig leut.
Darumb muß mans mit dienstbarkeit,
Mit tyrannei zemen und zwingen
Und mit schlegen zur arbeit dringen.
In teutschen landen (muß bekennen)
Weiß man dieselben nit zu nennen;
Denn in Westphalen und in Schwaben
Daselbst sie eigen leute haben,
Wiewol derselben sind gar wenig.
Ich halts darfür, daß sie abtrennig
Und widerstrebig gewesen sind,
Wie man in den historien findt.
Darumb die oberkeit für zeiten
Hat solche bürd denselben leuten
Aufgelegt, sie zu underhalten
Und über sich sie laßen walten.
Es ist aber ein herter zwang,
Daß der mensch ungern, on sein dank
Muß eigen sein und undertan
Und mag nit, wo er wil, hingan.
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Weil wir der gburt einerlei leut,
Im gsetz den jüden Gott gebeut,
Daß sie ir mägd und eigen knechte
Nach irem gsetz und gschriebnen rechte
Im jubeljar solten frei laßen
Unghindert ziehen ire straßen.
Freiheit ist gar ein edel kleinot:
Wol dem, der sie mit frieden hat.
Ob er schon nit hat vil dabei,
Es ist im gnug, daß er sei frei.
Darumb halt ichs hie mit dem löwen,
Der wolt nicht seine freiheit geben
Für des hunds gute faule tag,
Weil er da an der ketten lag.
Drumb, wie das sprichwort melden tut:
Freiheit get für all zeitlich gut.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Waldis, Burkhard. 18. Vom Hund und Löwen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8D1E-0