[257] 26. Der Kuß

1784.


Du Kleine, willst du gehen?
Du bist ein Kind!
Wie wolltest du verstehen,
Was Küsse sind?
Du warst vor wenig Wochen
Ein Knöspchen bloß;
Nun thut, kaum ausgebrochen,
Das Röslein groß!
Weil deine Wange röter
Als Äpfel blüht,
Der Augen Blau wie Äther
Im Frühling glüht;
Weil deinen Schleier hebet,
Ich weiß nicht was,
Das auf und nieder bebet:
Das meinst du, das?
Weil kraus wie Rebenringel
Dein Haupthaar wallt,
Und hell wie eine Klingel
Dein Stimmchen schallt;
Weil leicht, und wie gewehet,
Ohn' Unterlaß
Dein schlanker Wuchs sich drehet:
Das meinst du, das?
Ich sahe voll Gedanken
Durch junges Grün
In blauer Luft die blanken
Gewölkchen ziehn;
Da warfst du mich, du Bübin,
Mit feuchtem Strauß,
Und flohst wie eine Diebin
Ins Gartenhaus.
[258]
Nun sitz' und schrei im Winkel,
Und ungeküßt,
Bis du den Mädchendünkel
Rein abgebüßt!
Ach gar zu rührend bittet
Dein Lächeln mich!
So komm, doch fein gesittet,
Und sträube dich!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Voß, Johann Heinrich. Gedichte. Oden und Lieder. 26. Der Kuß. 26. Der Kuß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-88EF-F