17. Elegie

An zwei Schwestern.


September 1773.


Liebe Mädchen, was quält ihr mit trostverlangender Klage
Mein zu fühlbares Herz?
Wäre Trost bei mir? – dort sitzt ja noch immer mein B[oie],
Stumm, mit geheftetem Blick!
[185]
Ach! mir blutet ja selbst, zwar nicht um die Schwester, mir blutet
Um die Freundin mein Herz!
Du, o Blume des Himmels, du, überschwenglich von jeder
Weiblichen Tugend bestrahlt!
Gottes Wohlgefallen! und meine Freundin! du starbest,
Niemals erblicket von mir? –
Ach! nun weiß ich, warum in den seligen Stunden des Tiefsinns,
Wenn, am vertrauten Klavier,
Ganz mein schwärmender Geist in dem Himmel des ersten Erblickens,
In dem geflügelten Gruß,
Und in den Labyrinthen der Wonnegespräche vertieft war;
Unter der eilenden Hand
Dann triumphierendes Jauchzen die goldenen Saiten durchrauschte,
Wie ein wallendes Meer:
Ach! nun weiß ich, warum so oft der irrende Finger
Im wehklagenden Ton
Sich verlor, ein Seufzer sich hob, und stillbethränet
Hing am Monde mein Blick!
Himmlische Freundin, wenn einst, mit deinem Bruder, ein Frühling
Hin, wo du schlummerst, mich führt;
Und du am heitern Abend, um deinen grünenden Hügel,
Oder im schattigen Gang,
Welchen du liebtest, mit irrem Schritt, und gebrochnen Reden,
Deine Geliebten erblickst:
Wird nicht dann, (vergönn' es ihr, Gott!) ein plötzliches Säuseln,
Oder ein fliegender Glanz,
Meiner schaudernden Seele verkünden, daß unter Jehovahs
Palmen die Freundschaft noch daur't?
Ja! sie dauret! Was braucht's Erscheinung? Die edlere Freundschaft
Wandelt zur Ewigkeit mit!
O streut rötliche Blumen, ihr zärtlichen Schwestern und Brüder,
Blumen der Lieb' auf ihr Grab;
[186]
Eine Blume der Freundschaft für mich, die in trauriger Ferne
Selber ich streuen nicht kann!
Aber weint nicht so laut, ihr zärtlichen Schwestern und Brüder!
Streut, nur schluchzend, sie hin!
Dann entweicht in die Laube, von stillen Sternen behorchet,
Und vom seufzenden West!
Und klagt leise Klage, daß nicht des leidenden Vaters
Starrende Melancholei
Ihr von neuem erweckt; daß nicht die lindernde Zähre
Jener, die mütterlich traurt,
Wieder versiege; noch laut und händeringend der Witwer
Fodre sein Weib und sein Kind!
Geht zu ihnen, o Mädchen, und sagt, mit thränendem Lächeln:
Gott, der die Tugend belohnt,
Rief an dem Tage des Segens, an welchem er Klopstock sandte,
Sie zu dem himmlischen Fest!
Jetzo lehrt sie, umrauscht von duftenden Bäumen des Lebens,
(Sonst nur der Engel Geschäft!)
Ihre morgenrötliche Tochter die Keime der Weisheit,
Und den gelallten Psalm!
Oftmal pflückt sie auch Blumen für uns, und forscht von dem Seraph,
Der sie zur Freundin erkor,
Ob's noch lange daure? Dann rinnt die selige Wehmut
Ihr auf den werdenden Kranz!

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TextGrid Repository (2012). Voß, Johann Heinrich. Gedichte. Oden und Elegien. 17. Elegie. 17. Elegie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8898-4