Jules Verne
Der Goldvulkan

1. Band

1. Kapitel
Erstes Kapitel.
Ein Onkel aus Amerika.

Am 17. März im drittletzten Jahre des vorigen Jahrhunderts gab der Briefträger bei seinem Dienstgange durch die Jacques Cartierstraße in Montreal in Nr. 29 einen an Herrn Summy Skim adressierten Brief ab.

Der Inhalt des Schreibens lautete:

»Der Notar Snubbin empfiehlt sich Herrn Summy Skim bestens und bittet ihn, wegen einer ihn betreffenden Angelegenheit möglichst bald in seinem Bureau vorzusprechen.«

Warum mochte der Notar wohl Herrn Summy Skim zu sehen wünschen? Wie jedermann in Montreal, kannte auch dieser den Notar Snubbin als einen vortrefflichen Mann, einen zuverlässigen und klugen Berater, der, ein Kanadier [5] von Geburt, das am meisten in Anspruch genommene juristische Bureau der Stadt leitete, dasselbe, dessen Vorsteher vor sechzig Jahren der berühmte Notar Nick – eigentlich Nicolas Sagamore mit Namen – gewesen war, jener huronische Notar, der sich voller patriotischen Eifers der traurigen Angelegenheit eines gewissen Morgaz angenommen hatte, die gegen 1837 ein so weitreichendes Aufsehen erregte. 1

Summy Skim erstaunte anfänglich ein wenig, als er das Schreiben des Notars Snubbin gelesen hatte, er machte sich aber sofort bereit, der Aufforderung zu folgen. Kaum eine halbe Stunde später hatte er den Bon-Secoursplatz überschritten und wurde in das Sprechzimmer des Notars eingeführt.

»Ah, guten Tag, Herr Skim,« sagte dieser aufstehend, »es ist mir eine Ehre, Sie zu begrüßen....

– Bitte.... ganz auf meiner Seite, antwortete Summy Skim, während er in der Nähe des Schreibtisches Platz nahm.

– Sie sind also der Erste, der gekommen ist, mein Herr Skim....

– Der Erste, sagen Sie, Herr Notar? Bin ich nicht der einzige, den Sie in Ihr Bureau bestellt haben?

– Ihr Vetter, der Herr Ben Raddle, antwortete der Rechtsgelehrte, hat einen mit dem Ihrigen gleichlautenden Brief erhalten.

– Dann darf es aber nicht ›hat‹, sondern es muß heißen ›wird ihn erhalten‹, erklärte Summy Skim. Ben Raddle befindet sich augenblicklich nicht in Montreal.

– Wird er denn bald zurückkehren? fragte Snubbin.

– Nach drei oder vier Tagen.

– Sapperment, das bedaure ich!

– Haben Sie uns denn eine so dringliche Mitteilung zu machen?

– In gewisser Beziehung, ja, antwortete der Notar. Doch.... nun ja.... ich werde Sie darüber aufklären und Sie teilen Herrn Ben Raddle nach seiner Heimkehr gefälligst mit, was ich Ihnen hier amtlich zu eröffnen habe.«

Der Notar setzte die Brille auf, durchblätterte einige auf dem Tische liegende Papiere und holte einen Brief daraus hervor. Ehe er ihn vorlas, stellte er aber noch die Frage:

[6] »Herr Raddle und Sie, Herr Skim, sind doch die Neffen des Herrn Josias Lacoste?

– Gewiß. Meine Mutter und die Ben Raddles waren dessen Schwestern, doch seit ihrem Ableben – es mag sieben bis acht Jahre her sein – waren alle Beziehungen zu unserm Onkel so gut wie abgebrochen. Damals kamen Vermögensfragen ins Spiel, er selbst hatte Kanada verlassen und war nach Europa gereist. Kurz, seit jener Zeit haben wir keine Nachricht von ihm oder über ihn erhalten und wissen deshalb auch nicht, was aus unserm Onkel geworden ist.

– Er ist gestorben, erklärte Snubbin. Ich habe soeben die Mitteilung über sein am 16. Februar erfolgtes Ableben erhalten.«

Obwohl alle Verbindungen zwischen Josias Lacoste und seinen nächsten Verwandten seit langer Zeit unterbrochen gewesen waren, fühlte sich Summy Skim von dieser Nachricht doch schmerzlich berührt. Sein Vetter Ben Raddle und er hatten weder Vater noch Mutter mehr; beide waren, als einzige Söhne, auf diesen leiblichen Verwandten beschränkt und Summy Skim war überzeugt, daß außer Ben Raddle und ihm von seiner nähern Familie nun keiner mehr übrig sei. Gewiß hatten sie wiederholt zu erfahren gesucht, was aus ihrem Onkel geworden sein möchte, da sie es immerhin bedauerten, daß er jedes Band zwischen sich und den beiden Neffen zerschnitten hatte. Sie hofften auch immer, ihn noch einmal wiederzusehen, und nun hatte der Tod diese Hoffnung endgültig vernichtet.

Der von Natur wenig mitteilsame Josias Lacoste hatte immer einen Hang zu Abenteuerlichkeiten gezeigt. Aus Kanada war er schon vor zwanzig Jahren fortgegangen, um sein Glück in fremder Welt zu suchen. Ein Hagestolz, besaß er ein bescheidnes väterliches Erbteil, das er durch Spekulation zu vermehren hoffte. Ob ihm das wohl gelungen war? Hatte er sich nicht vielmehr ruiniert bei seiner bekannten Neigung, leicht alles auf eine Karte zu setzen? Es war doch sehr fraglich, ob da seinen Neffen als einzigen Erbberechtigten auch nur noch Brocken von seinem einstigen Vermögen zufielen.

Im Grunde hatte Summy Skim nie an dergleichen gedacht und er schien auch jetzt nicht mehr daran zu denken, wo er nur bekümmert war, den letzten Verwandten verloren zu haben.

Snubbin störte seinen Klienten nicht, sondern wartete, daß dieser Fragen an ihn stellen sollte, die er zu beantworten bereit war.

»Unser Onkel ist also am 16. Februar gestorben, Herr Notar? fragte dieser.

[7] – Wie Sie sagen, Herr Skim, am 16. Februar.

– Das wäre demnach schon vor neunundzwanzig Tagen?

– Ganz recht. Es hat so langer Zeit bedurft, ehe die Meldung mich erreichte.

– Unser Onkel weilte damals also wohl in Europa.... tief drin in irgend einer entlegnen Gegend?

– Nein.... das nicht,« antwortete der Notar.

Er wies dabei gleich einen Briefumschlag vor, dessen Marken das Wappen Kanadas zeigten.

»Es handelt sich um einen Onkel aus Amerika, einen richtigen Onkel aus Amerika, wie die Europäer sagen, dessen Erben Sie beide sind. Nun gilt es nur noch zu wissen, ob dieser Onkel aus Amerika auch die klassischen Eigenschaften hatte, die man bei dieser Bezeichnung voraussetzt!

– Er befand sich also, fuhr Summy Skim fort, hier in Kanada, ohne daß wir etwas davon wußten?


Ein großer Freund des Fischfanges... (S. 12.)

– Jawohl, in Kanada, doch im entlegensten Teile der Dominion 2, fast an der Grenze, die unser Land von dem amerikanischen Alaska scheidet und mit der die Verbindung ebenso langsam wie beschwerlich ist.

– Sie sprechen wohl von Klondike, Herr Notar?

– Ja, von Klondike, wo Ihr Onkel sich etwa seit zehn Monaten niedergelassen hatte.

[8] – Seit zehn Monaten! wiederholte Summy Skim. Und als er damals auf dem Wege nach dem Minenbezirke durch Amerika reiste, ist es ihm nicht eingefallen, einmal wieder nach Montreal zu kommen, um seinen Neffen die Hand zu drücken!

– Ja, was glauben Sie? sagte dazu der Notar. Herr Josias Lacoste hatte es, wie tausende seinesgleichen, überaus eilig, in Klondike einzutreffen, ich möchte sagen, wie tausende von Kranken, die von dem Goldfieber ergriffen waren, das schon unzählige Opfer gefordert hat und noch weiter fordern wird. Aus allen Winkeln der Welt wälzt sich ja jetzt ein reiner Strom nach den Placers (den goldführenden Plätzen). Nach Australien kam Kalifornien, nach diesem das Transvaal an die Reihe; dem Transvaal folgte Klondike und nach Klondike werden es andre goldhaltige Länder sein und so bleibt es voraussichtlich bis zum Tage des Gerichtes.... ich meine natürlich des Jüngsten Gerichtes!«

Snubbin teilte Summy Skim nun alles mit, was er wußte.

Gegen Anfang des Jahres 1897 war Josias Lacoste mit der vollständigen Ausrüstung des Prospektors nach Dawson City, der Hauptstadt von Klondike, ge kommen. Seit Juli 1896 hatte sich nach der Entdeckung von Gold im Gold Bottom, einem Nebenflusse des Hunter, die Aufmerksamkeit jenen Gebieten zugelenkt. Im folgenden Jahre erschien auch Josias Lacoste an den Lagerstätten, wo schon eine Menge Goldgräber zusammengeströmt waren, die das letzte ihnen übrig gebliebne Geld für die Erwerbung eines Claims – einer beschränkten, [9] ausschließlich dem Besitzer zur Ausbeutung überlassenen Stelle – zu opfern bereit waren. Einige Tage nach seiner Ankunft wurde er schon Eigentümer des Claims Nummer 129, der am Forty Miles Creek, einem Nebenarme der großen, Kanada und Alaska verbindenden Wasserader, des Yukonstromes, lag.

Snubbin fügte dem weiter hinzu:

»Aus dem mir zugegangnen Schreiben des Gouverneurs von Klondike habe ich übrigens nicht den Eindruck gewonnen, daß dieser Claim bisher die von Herrn Josias Lacoste erhoffte Ausbeute geliefert hätte. Immerhin scheint es nicht so, als ob er schon erschöpft wäre, und schließlich hätte Ihr Onkel davon doch noch den erwarteten Gewinn gehabt, wenn ihn nicht der Tod überrascht hätte.

– Vor Armut und Entbehrung ist unser Onkel also nicht gestorben? fragte Summy Skim.

– O nein, der Brief erwähnt wenigstens nichts davon, daß er so weit heruntergekommen wäre. Er ist dem unter dem dortigen Klima so gefährlichen Typhus erlegen, dem ja so viele zum Opfer fallen. Als bei ihm die Vorzeichen der Krankheit auftraten, hat Herr Lacoste seinen Claim verlassen; gestorben ist er dann in Dawson City. Da man wußte, daß er aus Montreal stammte, hat der Gouverneur mich aufgefordert, seine Familie auszukundschaften und sie von seinem Heimgange zu unterrichten. Herr Ben Raddle und Sie, Herr Skim, sind in Montreal zu bekannt, und ich füge hinzu, zu ehrenvoll bekannt, als daß in mir hätte ein Zweifel aufkommen können, an wen ich mich zu richten hätte, und so habe ich Sie beide ersucht, in meinem Bureau von den Ihnen an dem Nachlaß des Verschiedenen zustehenden Rechten Kenntnis zu nehmen!«

Von zustehenden Rechten! Über Summy Skims Züge flog ein Lächeln melancholischer Ironie. Er vergegenwärtigte sich das Leben Josias Lacostes bei einem so schwierigen und mühsamen Unternehmen. Sollte er nicht seine letzten Hilfsmittel daran gegeben haben, diesen Claim und obendrein vielleicht, wie so viele unkluge Prospektoren, zu übertriebenem Preise zu kaufen? War er nicht gar verschuldet, zahlungsunfähig verstorben? Solchen Gedanken nachhängend, sagte Summy Skim zu dem Notar:

»Lieber Herr Snubbin, es wäre ja möglich, daß unser Onkel in mißlichen Verhältnissen die Augen geschlossen hätte. In diesem Falle – ich verbürge mich auch für Vetter Raddle, der keiner andern Ansicht sein wird – werden wir keinen Flecken auf dem Namen unsrer Mutter haften lassen. Sind deshalb[10] Opfer zu bringen.... wir werden nicht zaudern. Darum erscheint es mir geboten, baldigst ein Verzeichnis des Nachlasses aufzustellen....

– Da muß ich Sie unterbrechen, verehrter Herr Skim, fiel ihm der Notar ins Wort. Soweit ich Sie kenne, verwundern mich solche Gefühle bei Ihnen freilich nicht. Ich glaube aber auch nicht, daß es solcher von Ihnen angedeuteter Opfer bedürfen werde. Obwohl Ihr Onkel wahrscheinlich ohne Barvermögen gestorben ist, wollen wir nicht vergessen, daß er Eigentümer eines Claims am Forty Miles Creek war, und dieses Besitztum hat einen Wert, der jedenfalls genügt, alle Forderungen an seinen Nachlaß, wenn solche vorhanden wären, zu decken. Dieses Besitztum ist jetzt auf Sie und Ihren Vetter Ben Raddle zu gleichen Teilen übergegangen, da Sie die einzigen berechtigten Erben des Herrn Josias Lacoste sind.«

Snubbin setzte jedoch hinzu, es empfähle sich auf jeden Fall, mit einiger Vorsicht zu handeln. Das Erbe dürfe nur nach Regulierung und Kenntnisnahme des Nachlasses angetreten werden. Es sollten deshalb die Aktiva und die Passiva zusammengestellt werden und dann erst, wenn sie einen Überblick über die Sachlage hätten, brauchten sich die Erben zu entscheiden.

»Ich werde mir das Nötige angelegen sein lassen, Herr Skim, schloß er, und werde die zuverlässigsten Erkundigungen einziehen. – Doch, mein Gott, wer weiß?.... Ein Claim ist doch ein Claim, selbst wenn er bisher so gut wie nichts ergeben hat. Vielleicht bedarf es nur eines glücklichen Hiebes mit der Spitzaxt, die Tasche zum Überlaufen zu füllen, wie die Prospektoren sagen.

– Ganz recht, Herr Notar, antwortete Summy Skim, und wenn der Claim unsers Onkels einigen Wert hat, werden wir ihn zum besten Preise an den Mann zu bringen suchen.

– Natürlich, stimmte ihm der Notar bei, und ich hoffe, daß Sie darin mit Ihrem Herrn Vetter übereinstimmen.

– Darauf rechne ich von vornherein, erklärte Summy Skim. Ich kann mir nicht denken, daß Ben Raddle je zu der Idee kommen könnte, ihn selbst ausbeuten zu wollen.

– Ja, wer weiß das, mein Herr Skim? Herr Ben Raddle ist Ingenieur und ein unternehmender, kühner Mann. Er könnte sich doch versucht fühlen.... und wenn er nun zufällig hörte, daß der Claim Ihres Onkels nahe einer reichen Ader liege....

[11] – Ich stehe dafür ein, Herr Snubbin, daß er sich gar nicht die Mühe nehmen wird, ihn zu besichtigen. Übrigens muß er binnen zwei bis drei Tagen zurück sein. Wir werden die Sache besprechen und Sie dann ersuchen, das Nötige zu veranlassen, entweder bezüglich des Verkaufs des Claims am Forty Miles Creek oder, was ich für wahrscheinlicher halte, ob wir Veranlassung haben, für den ehrlichen Namen unsers verstorbenen Onkels einzutreten.«

Mit dieser pessimistischen Schlußfolgerung verließ Summy Skim das Bureau des Notars, wobei er seinen nächsten Besuch nach zwei oder drei Tagen in Aussicht stellte, und kehrte dann nach dem Hause in der Jacques Cartierstraße zurück, das er und sein Vetter gemeinschaftlich bewohnten.

Summy Skim war der Abkömmling eines angelsächsischen Vaters und einer franko-kanadischen Mutter. Seine Familie reichte nachweisbar bis zur Zeit der Eroberung (1759) zurück. In Unterkanada im Bezirke Montreal ansässig, besaß sie hier große, einträgliche Ländereien, Wälder, Felder und Wiesen, die den größten Teil des Familienvermögens bildeten.

Zweiunddreißig Jahre alt, etwas über mittelgroß, von angenehmem Gesicht und der kräftigen Konstitution des die freie Luft gewohnten Mannes, mit seinen blauen Augen und dem blonden Barte, erschien Summy Skim als das ebenso ausgesprochene wie sympathische Musterbild eines Franko-Kanadiers, Eigenschaften, die er von der Mutter ererbt hatte. Sorg los und ohne ehrgeizige Ansprüche, lebte er von dem Ertrage seines Besitztums, ein »Gentleman-Farmer« dieses von der Natur bevorzugten Bezirkes der Dominion. Ohne gerade beträchtlich zu sein, gestattete ihm sein Vermögen, seinen bescheidnen Neigungen zu huldigen, und nie hatte er das Verlangen gespürt, sein Vermögen zu vermehren. Ein großer Freund des Fischfangs, stand ihm das ganze hydrographische Netz der Nebenarme und Zuflüsse des St. Lorenzo zur Verfügung, abgesehen von den zahlreichen Binnenseen, die sich im nördlicheren Amerika finden. Als eifriger Jäger konnte er ferner seiner Liebhaberei unbeschränkt auf den weiten Ebenen und in den wildreichen Waldungen nachgehen, die den größten Teil dieser Gegend Kanadas bedecken.

Das nicht luxuriöse, aber komfortable Haus, das die beiden Vettern besaßen, lag in einem der ruhigsten Stadtviertel Montreals, außerhalb des Getriebes der Industrie und des Handels. Hier verbrachten beide, immer sehnsüchtig die Wiederkehr der schönen Jahreszeit erwartend, die in Kanada so rauhe Winterszeit, obwohl dessen Breitenlage der des mittleren Europa entspricht.

[12] Montreal, seit 1843 der Sitz der Regierung, hätte Summy Skim wohl Gelegenheit bieten können, sich in öffentlichen Angelegenheiten zu betätigen. Er war dazu aber von zu unabhängigem Charakter, hielt sich von den offiziellen Kreisen fern und verkehrte bei seinem Widerwillen gegen alle Politik auch niemals in der Gesellschaft hochstehender Beamten. Im übrigen fügte er sich gern der mehr scheinbaren als tatsächlichen Oberherrschaft Großbritanniens und hatte sich niemals an einer der Parteigruppen beteiligt, die eine Spaltung in die Dominion hineintragen. Kurz, er war ein Philosoph, der nach eignem Geschmacke zu leben vorzog und keinen Ehrgeiz irgendwelcher Art kannte.

Seiner Meinung nach mußte jede Veränderung seiner Lebensbedingungen belästigend und auf sein Wohlbefinden störend wirken.

Selbstverständlich hatte dieser Philosoph niemals an eine Eheschließung gedacht und dachte auch weiter nicht daran, obgleich schon zweiunddreißig Sommer über seinem Haupte dahingegangen waren. Ja, wäre ihm seine Mutter nicht entrissen – man weiß doch, wie es die Frauen lieben, kleine Enkel um sich zu sehen – hätte er vielleicht die nötige Anstrengung gewagt, sie mit einer Schwiegertochter zu beschenken. In diesem Falle hätte die betreffende Frau zweifellos die Neigungen Summy Skims geteilt. Unter den zahlreichen Familien Kanadas, die oft über zwei Dutzend Kinder zählen, hätte er, ob in der Stadt oder auf dem Lande, jedenfalls eine ihm passende einfache und gesunde Evastochter gefunden. Frau Skim war aber seit fünf Jahren – drei Jahre nach ihrem Gatten – verstorben und von da an hätte man unbesorgt darauf wetten können, daß ihren Sohn niemals Gelüste nach einer Ehe ankommen würden.

Sobald sich die Temperatur des rauhen Klimas von Montreal milderte und die frühzeitiger aufgehende Sonne die Rückkehr der schönen Jahreszeit verkündigte, trieb es Summy Skim, das Haus in der Jacques Cartierstraße zu verlassen. Er begab sich dann nach seiner zwanzig englische Meilen nördlich von Montreal gelegnen Farm Green-Valley am linken Ufer des St. Lorenzo. Hier nahm er dann sein Landleben wieder auf, das von der Unbill eines Winters unterbrochen gewesen war, der alle Wasserläufe in Eisesfesseln schmiedet und alle Ebenen mit einer dicken Schneedecke verhüllt. Dort befand er sich unter seinen Arbeitern, lauter braven, zum Teil schon seit einem halben Jahrhundert im Dienste seiner Familie ergrauten Leuten, die ihrem gütigen Herrn eine aufrichtige Zuneigung und unbeschränkte Ergebenheit entgegenbrachten, war ihr Herr doch immer freundlich und dienstbereit, selbst wenn er dazu die eigne Person [13] einsetzen mußte. Sein Eintreffen gab allemal Veranlassung zu lauten Freudenbezeugungen, wie sein Scheiden zu lebhaft geäußertem Bedauern.

Das Besitztum Green-Valley lieferte einen jährlichen Ertrag von dreißigtausend Francs, in die sich die beiden Vettern teilten, denn die Farm hatten sie eben so gemeinschaftlich behalten wie das Haus in Montreal. Hier wurde ein an Futtergewächsen und Getreide ertragreicher Boden kultiviert und zu dessen Ertrag kam noch der von den prächtigen Wäldern, die noch heute das Gebiet der Dominion, vorzüglich in ihrem östlichen Teile, weithin bedecken. Die Farm umfaßte eine Gruppe gut eingerichteter und wohlerhaltner Häuser, Schuppen, Ställe, Geflügelhöfe usw. und alle nötigen Geräte von bester Art, die allen Anforderungen der modernen Landwirtschaft genügten. Nahe dem Eingange zu einer großen Einfriedigung, die Rasenflächen und Baumgruppen umschloß, erhob sich ein größres Landhaus, das trotz aller Einfachheit jede Bequemlichkeit bot und dem Gutsherrn als Sommerwohnung diente.

Das war die Stätte, wo Summy Skim am liebsten weilte und wo auch Ben Raddle in der schönen Jahreszeit einige flüchtige Tage verbrachte. Wenigstens der Erstgenannte hätte sie mit keinem noch so fürstlichen Schlosse eines steinreichen Amerikaners vertauschen mögen. So bescheiden die Wohnung auch war, ihm genügte sie vollständig und er dachte weder an ihre Vergrößerung noch an eventuelle Verschönerungen, da er mit denen zufrieden war, deren Unkosten die gütige Natur allein trug. Hier verflossen seine Tage unter Jagdausflügen und seine Nächte unter friedlichem Schlummer.

Contentus sua sorte (mit seinem Lose zufrieden), wie es die Weisheit empfiehlt, fühlte sich Summy Skim reich genug durch den Ertrag seiner Ländereien, den er planmäßig und einsichtig zu verwerten verstand. Wenn er auch darauf achtete, sein Vermögen nicht zu verringern, so kam es ihm doch gar nicht in den Sinn, es vergrößern zu wollen. Um keinen Preis der Welt hätte er sich in irgendeins der unzähligen Geschäfte eingelassen, die Nordamerika immer in einer Art Spannung erhalten, wie kommerzielle und industrielle Spekulationen Eisenbahnen, Banken, Bergwerke, Schiffahrtsgesellschaften u. a. m. Nein! Dieser Weise hatte einen Abscheu gegen alles, was mit einem Risiko verknüpft oder Zufälligkeiten ausgesetzt war. Sich zu binden, einen guten Erfolg oder einen Fehlschlag hinzunehmen, sich auf Gnade und Ungnade Möglichkeiten ausgesetzt zu fühlen, die kein Mensch verhindern, keiner voraussehen kann, am Morgen mit dem Gedanken »Bin ich heute reicher oder ärmer als gestern?« aufzuwachen, [14] das wäre ihm zu widerwärtig erschienen und er hätte es dann vorgezogen, niemals einzuschlafen oder niemals aufzuwachen.

Zwischen den beiden Vettern bestand freilich ein sehr deutlicher Unterschied; gewiß waren sie beide von zwei Schwestern geboren und hatten sie französisches Blut in den Adern. Während Summy Skims Vater aber angelsächsischer Nationalität gewesen war, war der Ben Raddles ein geborner Amerikaner und zwischen dem Engländer und dem Yankee bestehen Unterschiede, die mit der Zeit immer mehr hervortreten. Wenn Jonathan und John Bull auch Verwandte sind, so sind sie das doch nur in entferntem Grade und diese Verwandtschaft scheint sich allmählich ganz verwischen zu wollen.

Ob die Verschiedenheit der Abstammung oder irgendwelche andre Ursache der Grund für die Ungleichheit ihrer Charaktere war, eins stand fest: daß die beiden, im übrigen einander warm zugetanen Vettern, die gewiß immer treu zusammenhielten, nicht dieselben Neigungen, dasselbe Temperament hatten.

Der etwas kleinere, braunhaarige und braunbärtige, um vier Jahre jüngre Ben Raddle betrachtete das Leben nicht unter demselben Gesichtswinkel wie sein Vetter Skim. Während der eine sich begnügte, als sorgenfreier Gutsherr zu leben und seine Ernten zu überwachen, verfolgte der andre eifrig die industrielle Entwicklung der Zeit. Nach Vollendung seiner Studien als Ingenieur war er schon bei einigen jener erstaunlichen Werke beteiligt gewesen, mit denen die Amerikaner sich durch die Kühnheit des Entwurfes und die Unverzagtheit der Ausführung über andre Nationen zu erheben trachten. Gleichzeitig stand sein Sinn auch nach Reichtum.... nicht nach dem bescheidnen Wohl stand unsrer mittelmäßigen Millionäre, sondern nach dem Goldstrome der Milliardäre Amerikas. Die fabelhaften Vermögen eines Gould, Astor, Vanderbilt, Rockefeller, Carnegie, Morgan und so mancher andrer, die hatten es ihm angetan. Er träumte stets von außergewöhnlichen Gelegenheiten, die einen wohl in wenigen Tagen sozusagen das Kapitol ersteigen lassen, ihn aber auch zuweilen in wenigen Stunden den tarpejischen Felsen hinunterstürzen. Und während Summy Skim, abgesehen von seiner jährlichen Übersiedlung nach Green-Valley, ein Feind von Ortsveränderungen war, hatte Ben Raddle schon viele Male die Vereinigten Staaten durchstreift, die Fahrt über den Atlantischen Ozean gemacht und einen Teil Europas besucht, ohne bisher jemals die bewußte »große Gelegenheit« beim Schopfe fassen zu können. Erst unlängst war er von einer weiten überseeischen Reise zurückgekehrt und seitdem gönnte er sich keine Minute Ruhe, sondern [15] lauerte immer auf das geträumte ungeheure Unternehmen, woran er sich beteiligen könnte.

Dieser Widerspruch ihrer Neigungen machte Summy Skim heimlich rechten Kummer. Er fürchtete immer, daß Ben Raddle sich einmal gezwungen sehen würde, ihn zu verlassen, oder daß er das mäßige Vermögen, das ihnen beiden Unabhängigkeit und Freiheit sicherte, durch ein abenteuerliches Unternehmen verschlungen sehen könnte.

Das bildete auch unablässig den Gegenstand des Gesprächs der beiden Vettern.

»Sage mir nur, Ben, bemerkte gelegentlich Summy Skim, wozu dient es, sich den Kopf zu zerbrechen über das, was du so pomphaft ›große Geschäfte‹ nennst?

– Das dient dazu, reich zu werden, sehr reich zu werden, Summy, antwortete Ben Raddle.


Als eifriger Jäger konnte er... (S. 12.)

– Ha, by God! Vetter, was hat einer davon, so reich zu sein? So viel braucht man doch nicht, in Green-Valley glücklich zu leben. Was würdest du denn mit so vielem Gelde anfangen?

– O, neue und noch bedeutendere Unternehmungen, lieber Vetter.

– Zu welchem Zwecke?

– Noch mehr Gold anzuhäufen, das ich dann zu noch umfänglicheren Geschäften verwenden würde.

– Und so weiter?

– Richtig.... und so weiter.

– Bis zum seligen Ende, nicht wahr? bemerkte Summy Skim ironisch.

– Bis zum letzten Atemzuge, Summy,« schloß Ben Raddle, ohne aus seiner Ruhe zu kommen, das Zwiegespräch, während sein Vetter, der nichts mehr zu erwidern wußte, verzweifelt die Arme zum Himmel emporstreckte.

[16]
Fußnoten

1 Diese Ereignisse sind in den »Außerordentlichen Reisen« in dem Romane »Die Familie ohne Namen« ausführlich geschildert.

2 Der offizielle Name Kanadas.

2. Kapitel
Zweites Kapitel.
Summy Skim wider Willen auf abenteuerlichem Pfade.

In seinem Heim angelangt, beschäftigte sich Summy Skim mit den ihm zunächst liegenden Aufgaben und Pflichten. Er mußte den Bekannten der Familie Mitteilung machen, sich für die Trauer ausrüsten und die kirchlichen Feierlichkeiten bestellen, die in der Parochie bei Todesfällen Sitte waren.

[17] Was die Ordnung der seinen Onkel persönlich betreffenden Angelegenheiter anging, war es noch Zeit, darüber mit Herrn Snubbin eingehend zu sprechen wenn die beiden Vettern sich über ihre Entschließung geeinigt hatten und der Notar im Besitze der telegraphisch verlangten Unterlagen war, die es ihm ermöglichten, über die Hinterlassenschaft ein Verzeichnis aufzustellen.

Ben Raddle kam erst nach fünf Tagen, am 21. März, nach Montreal zurück, nachdem er sich einen Monat in New York aufgehalten hatte, wo zwischen ihm und mehreren andern Ingenieuren das Riesenprojekt einer Brücke beraten worden war, die, den Hudson überspannend, die Metropole mit New Jersey verbinden sollte.

Ben Raddle hing mit allen Fasern seines Herzens an dieser Arbeit, die ja geeignet war, einen Ingenieur zu begeistern. Die Errichtung der Brücke schien jedoch nicht so nahe bevorzustehen. Wohl sprach man davon in allen Journalen und studierte man die Sache auf dem Papier, mindestens vergingen aber voraussichtlich ein, vielleicht zwei Jahre, ehe es zur Ausführung der Arbeit kam. Daraufhin eben hatte sich Ben Raddle zur Heimreise entschlossen.

Sein Ausbleiben war Summy Skim recht lang vorgekommen. Wie oft bedauerte er, den Vetter nicht zu seinen Anschauungen bekehren, ihn nicht veranlassen zu können, ein friedliches, sorgenfreies Leben der jetzigen aufreibenden Existenz vorzuziehen. Die Geschichte mit der Hudsonbrücke steigerte nur noch seine Beunruhigung. Beteiligte sich Ben Raddle bei der Ausführung dieses Projektes, so fesselte ihn das vielleicht jahrelang an New York und er, Summy Skim, würde dann allein sein in dem gemeinschaftlichen Hause und allein auch in Green-Valley.

Gleich nach dem Eintreffen des Ingenieurs meldete sein Vetter ihm das in Dawson City erfolgte Ableben ihres Onkels Josias Lacoste, der als einziges Vermögen den Claim Nummer 129 am Ufer des Forty Miles Creek im Gebiete von Klondike hinterlassen hatte.

Bei dem letzten Namen, der jetzt eben in aller Munde war, spitzte der Ingenieur die Ohren. Wahrscheinlich vernahm er nicht mit der schönen Gemütsruhe Summy Skims die Mitteilung, in Zukunft Eigentümer eines goldführenden Erdenfleckchens zu sein. Wie er darüber dachte, das sprach er im ersten Augenblicke übrigens nicht aus.

Bei seiner Gewohnheit, sich all und jedes gründlich zu überlegen, wollte er das auch jetzt tun, bevor er sich über die Angelegenheit äußerte.

[18] Vierundzwanzig Stunden genügten ihm, das Für und Wider abzuwägen, und beim Frühstück am nächsten Morgen interpellierte er ohne Vorrede Summy Skim, den er tief in Gedanken versunken fand.

»He, Vetter, begann er, wie wär's denn, wenn wir ein wenig von Klondike sprächen?

– Ja, wenn sich's nur darum handelt, ein wenig....

– Na, ein wenig oder auch viel, lieber Summy.

– Gut, wie es dir gefällt, mein lieber Ben.

– Der Notar hat dir die Eigentumsdokumente betreffs des Claims Nummer 129 wohl noch nicht vorgewiesen?

– Nein, antwortete Summy Skim, ich hielt es auch für nutzlos, davon Kenntnis zu nehmen.

– Na ja, daran erkenn' ich meinen herzensguten Summy! rief Ben Raddle lachend.

– Wozu sollte es dienen? entgegnete ihm Summy Skim. Mir scheint gar kein Anlaß vorzuliegen, sich wegen dieser Sache Scherereien zu machen. Es ist doch höchst einfach: Entweder hat der Nachlaß einigen Wert, dann werden wir ihn so vorteilhaft wie möglich veräußern, hat er aber – und das halte ich für weit wahrscheinlicher – keinen solchen, nun, so bekümmern wir uns um die ganze Sache nicht weiter.

– Ja, ja, du hast recht, stimmte ihm Ben Raddle zu. Doch uns treibt ja nichts.... so ein Placer.... man weiß doch manchmal nicht.... Man hält ihn für wertlos, für erschöpft.... und siehe da, ein Spitzaxthieb beschert dir ein Vermögen.«

Bei diesen Worten gab es Summy Skim einen recht schmerzlichen Stich.

»Nun, lieber Ben, sagte er, wärmer werdend, das müssen doch die Leute dort, die, die gegenwärtig die berühmten Goldfundstätten von Klondike ausbeuten, am allerbesten wissen. Ist der Claim am Forty Miles Creek überhaupt etwas wert, dann, ich wiederhole es dir, dann versuchen wir, ihn zum günstigsten Preise an den Mann zu bringen. Wie ist aber anzunehmen, daß unser Onkel Lacoste die Welt gerade verlassen haben sollte, wo er vielleicht im nächsten Augenblicke hätte Millionär werden können?

– Darüber müssen wir erst Klarheit haben, antwortete Ben Raddle. Der Beruf des Prospektors ist reich an derartigen Überraschungen. Man kann doch jede Minute eine glückliche Ader entdecken, das soll nicht etwa heißen, die Aussicht [19] auf einen Zufall, sondern sie, die Goldader selbst, die an Pepiten Überfluß hat. Jedenfalls gibt es, das wirst du ja nicht bestreiten, doch nicht gar so wenige Goldsucher, die sich wahrlich nicht zu beklagen haben.

– Jawohl, antwortete Summy Skim, einen auf hundert, auf tausend, vielleicht auf hunderttausend, und was haben sie darum für Sorge und Mühe, ich möchte hinzufügen, für Elend in Kauf nehmen müssen!

– Ach, das sind billige Redensarten, Summy, sagte Ben Raddle, nichts als Redensarten! Ich gebe da nichts auf die Schreibereien der Blätter, nein, ich halte mich an Tatsachen, nur an Tatsachen.«

Summy Skim erkannte, ohne sich darüber zu wundern, wo sein Vetter hinaus wollte; darum schlug er nochmals das frühere Thema an und die ewige Diskussion darüber begann von neuem.

»Sage mir, lieber Vetter, genügt die Erbschaft, die wir nach dem Ableben unsrer Eltern gemacht haben, uns wirklich nicht? Sichert dieses Erbteil nicht unsre Unabhängigkeit, unser Wohlbefinden? Wenn ich so zu dir rede, geschieht es, weil ich bemerke, daß du der Sache mehr Gewicht beilegst, als sie verdient. Ich bitte dich, sind wir denn nicht vermögend genug?

– Nein, niemals genug, solange man noch vermögender werden kann.

– Wenigstens wenn man nicht schon gar zu reich ist, Ben, so reich wie gewisse Milliardäre, die ebensoviele Unannehmlichkeiten wie Millionen haben und denen es, ihre Schätze zusammenzuhalten, jetzt mehr Mühe kostet als früher deren Erwerbung.

– O, nur gemach, nur gemach! erwiderte Ben Raddle, die Philosophie ist ja eine recht schöne Sache, mißbrauchen sollte man sie aber doch nicht. Du brauchst für mich auch nicht zu sagen, was ich ja selbst nicht sage. Es fällt mir nicht ein, zu erwarten, daß das Gold aus dem Claim unsers Onkels tonnenweise hervorquillt; über die Verhältnisse möchte ich mich aber wenigstens unterrichten.

– Natürlich werden wir das tun, lieber Ben, das ist ja schon ausgemacht, und gebe nur der Himmel, daß wir, wenn uns die verlangte Aufklärung zuteil geworden ist, nicht einer verfahrenen Sachlage gegenüberstehen und aus Rücksicht für unsre Familie zu deren Ordnung einspringen müssen. In diesem Falle habe ich dem Notar Snubbin schon zugesagt....

– Ja ja, daran hast du ganz recht getan, Summy, unterbrach ihn Ben Raddle. Mir erscheint es nur überflüssig, schon eine solche Zwangslage ins Auge [20] zu fassen, denn in eine solche kommen wir wahrscheinlich doch nicht. Wären Gläubiger vorhanden, so hätten sie sich gewiß schon gemeldet. Laß uns lieber von Klondike sprechen. Du kannst mir wohl glauben, daß ich nicht erst etwas von jenen Erzlagern zu hören brauche. Obwohl sie erst seit kaum zwei Jahren ausgebeutet werden, habe ich doch alles gelesen, was über deren Bodenschätze veröffentlicht worden ist, und ich sage dir, Dinge, die auch die waschechteste Gleichgültigkeit aufrütteln müßten. Nach Australien, Kalifornien und Südafrika hätte man ja annehmen können, daß unsre Erdkugel keine weitern Placers enthielte. Da kommt der plumpe Zufall und läßt in jenem Teile Nordamerikas, nahe den Grenzen von Alaska und der Dominion, doch noch neue entdecken, ja es scheint sogar, als ob die nördlichen Gebiete Amerikas in dieser Hinsicht allen übrigen voranstünden. Goldminen finden sich nicht allein in Klondike, sondern auch in Ontario, auf Michipicoton und in Britisch-Kolumbien, wo schon große Gesellschaften entstanden sind, wie die War Eagle, Standard, Sullivan Grup, Alhabarka, die Ferm, das Syndicate, der Sans-Poel, Cariboo, der Trail, die Georgi-Reed und noch manche andre, deren Aktien alle hoch über Nennwert stehen, ohne von den Silber-, Kupfer- und Manganminen, den Eisen- und den Kohlengruben zu sprechen. Was insbesondre Klondike angeht, so denke, Vetter Summy, an die Ausdehnung dieses goldhaltigen Gebietes, das zweihundertfünfzig Meilen (400 km) Länge ungefähr bei vierzig Meilen (64 km) Breite aufweist, und das allein innerhalb der Dominion, ohne von den Goldlagern in Alaska zu reden. Ist dort der Tätigkeit des Menschen nicht ein ungeheures Feld eröffnet, das größte vielleicht, das es überhaupt auf Erden gibt? Wer weiß denn, ob die Ausbeute jener Gegenden einst nicht Millionen, nein, Milliarden wertet?«

Ben Raddle hätte über derlei Dinge noch lange sprechen können, Summy Skim hörte darauf doch nur mit halbem Ohr. Mit den Schultern zuckend, begnügte er sich zu erwidern:

»Ich bitte dich, Ben.... das liegt ja auf der Hand.... Du hast Fieber!

– Was?.... Ich hätte Fieber?

– Ja, das unselige Goldfieber wie so viele andre, ein Fieber, das leider kein dreitägiges ist und das man nicht mit schwefelsaurem Chinin heilen kann.

– O, sei nur ganz ruhig, mein lieber Summy, antwortete Ben Raddle lächelnd. mein Puls schlägt nicht schneller als gewöhnlich. Ich würde mir auch [21] Vorwürfe machen, deine kostbare Gesundheit dadurch zu gefährden, daß ich dich der Berührung mit einem Fieberkranken aussetzte.

– Ach, ich.... ich bin geimpft, erwiderte Summy Skim in gleichem Tone, ich sehe aber mit Schmerzen – das kann ich dir nicht verhehlen – dich in hohle Träumereien verlieren, die zu nichts Gutem führen und dich nur ins Unglück stürzen können....

– Woran erkennst du das? fiel ihm Ben Raddle ins Wort. Vorläufig ist doch nur davon die Rede, die Sachlage gründlich kennen zu lernen und dann daraus so viel wie möglich Nutzen zu ziehen. Du glaubst natürlich, unser Onkel habe mit seinen Spekulationen kein Glück gehabt. Freilich ist es möglich, daß der Claim am Forty Miles Creek ihm mehr Schlamm als Goldkörner geliefert hätte. Vielleicht fehlte es ihm aber an den zur Ausbeutung unentbehrlichen Hilfsmitteln, vielleicht ging er nicht so planmäßig vor, wie es ein andrer....

– Ein Ingenieur getan hätte, nicht wahr, Ben?

– Gewiß, ein Ingenieur....

– Zum Beispiel du selbst?

– Warum nicht? antwortete Ben Raddle. Übrigens handelt es sich um eine solche Frage gegenwärtig noch gar nicht; jetzt gilt's nur, Aufklärung zu erhalten, weiter nichts. Wissen wir erst, wie es sich mit dem Werte des Claims verhält, so werden wir ja sehen, was ferner zu tun ist.«

Das Gespräch wurde hiermit abgebrochen. Gegen die Vorschläge Ben Raddles ließ sich ja im ganzen nichts einwenden, es war doch so natürlich, sich vor jeder weitern Entscheidung von der Lage der Dinge Kenntnis zu verschaffen. Daß der Ingenieur ein ernster, verständiger und praktischer Mann sei, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Dennoch beunruhigte und betrübte es Summy nicht weniger, seinen Vetter sich mit einem solchen Eifer auf eine Beute stürzen zu sehen, die sich seinem ehrgeizigen Streben so unvermutet darbot. Ob es ihm – Summy – wohl gelingen würde, ihn im Zaume zu halten? Jedenfalls wollte er sich nicht von Ben Raddle trennen. Ihre Interessen blieben gemeinschaftlich, was auch kommen mochte. Insgeheim wetterte er aber doch gegen den unseligen Einfall des Onkels Josias, dem Glücke in Klondike nachzujagen, wo nur Elend und Not seiner harrten, und er hegte den dringenden Wunsch, die verlangten Mitteilungen möchten so ausfallen, daß keine Veranlassung vorläge, der Angelegenheit weiter Folge zu geben.

[22] Am Nachmittage begab sich Ben Raddle ins Bureau des Notars und nahm hier Einsicht in die Besitzdokumente, die er vollkommen in Ordnung fand. Auf einem in großem Maßstabe ausgeführten Plan war die Lage des Claims Nummer 129 deutlich zu erkennen. Er befand sich zweiundvierzig Kilometer weit vom Fort Cudahy, einer von der Hudsonbai-Kompagnie gegründeten Ortschaft am rechten Ufer des Forty Miles Creek, eines der zahllosen Zuflüsse des Yukon, dieses mächtigen Stromes, der nach Bewässerung der westlichen Gebietsteile der Dominion ganz Alaska durchfließt und dessen in seinem Oberlaufe englische Fluten weiter stromabwärts amerikanisch geworden sind, seit jenes ausgedehnte Gebiet von Rußland an die Vereinigten Staaten abgetreten worden war.

»Sie haben hier wohl eine merkwürdige Eigentümlichkeit nicht bemerkt, Herr Notar, sagte Ben Raddle nach Besichtigung der Plankarte. Der Forty Miles Creek schneidet, ehe er in den Yukon mündet, den als Grenzlinie zwischen der Dominion und Alaska angenommenen hundertvierzigsten Meridian und dieser Längengrad fällt genau mit der Westgrenze unsers Claims zusammen, der also mathematisch an der gemeinschaftlichen Grenze der beiden Länder liegt.

– Ja ja, das stimmt, bestätigte Snubbin.

– Und diese Lage, fuhr Ben Raddle nach weiterer Prüfung des Planes fort, erscheint mir auf den ersten Blick als keine schlechte. Es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß der Forty Miles Creek von der Natur weniger begünstigt sei als der Klondikefluß oder sein Nebenzweig, die Bonanza, oder auch als die unbedeutenderen Zuflüsse, die Viktoria, der Eldorado und wie die übrigen so ergiebigen Rios heißen, die von den Goldgräbern so gesucht sind.«

Ben Raddle verschlang buchstäblich mit dem Blicke die wunderbare Gegend, deren hydrographisches Netz das kostbare Metall in so großer Menge mit sich führt, das Metall, das nach der Taxe in Dawson City die Tonne zwei Millionen dreihundertzweiundvierzigtausend Francs (1,873.600 Mark) wert ist.

»Verzeihen Sie eine Frage, Herr Raddle, begann da der Notar. Darf ich annehmen, daß es Ihre Absicht ist, den Placer des seligen Herrn Josias Lacoste selbst zu bearbeiten?«

Ben Raddle antwortete mit einer ausweichenden Bewegung.

»Wenn nun Herr Skim.... fuhr Snubbin fort.


»Eine merkwürdige Eigentümlichkeit...« (S. 23.)

– Summy hat sich darüber noch nicht aussprechen können, erklärte Ben Raddle sehr bestimmt, und ich.... ich halte meine Meinung darüber zurück, [23] bis wir alle erforderliche Aufklärung über die Sachlage haben.... wenn dann eine persönliche Besichtigung nötig erschiene....

– Könnten Sie wirklich daran denken, die weite Reise nach Klondike zu unternehmen? fragte Snubbin, den Kopf zurückwerfend.


Der Jacques-Cartierplatz in Montreal. - Der Markitag.

– Ja, warum denn nicht? Wie Summy auch darüber denken mag, meiner Ansicht nach ist die Sache doch einiger Bemühung wert. Einmal in Dawson City angekommen, würde man ja bald klar sehen lernen, und wenn sich's nur um den Verkauf des Claims, nur darum handelte, eine Schätzung seines [24] [27]Wertes zu gewinnen, meinen Sie, Herr Notar, nicht, daß es sich dazu empfähle, ihn aufgesucht zu haben?

– Erscheint Ihnen das wirklich so nötig? bemerkte Snubbin dazu.

– Gewiß, und wär's auch nur, um einen Käufer zu finden.«

Der Notar wollte eben antworten, er wurde daran aber durch den Eintritt eines Depeschenboten verhindert.

»O, wenn's nur das ist, sagte er nach der Entfaltung des Telegramms.... hier.... hier sehen Sie, was Ihnen die Beschwerden einer solchen Reise ersparen kann.«

Damit händigte der Notar seinem Klienten ein Telegramm ein, das aus der Zeit vor acht Tagen datiert und das nach seiner Beförderung von Dawson City nach Vancouver über die Telegraphenlinien der Dominion endlich in Montreal eingetroffen war.

Nach dem Wortlaute dieses Telegramms machte die Anglo-American Transportation and Trading Co. (Chicago-Dawson), ein amerikanisches Syndikat und bereits Besitzerin von sieben Claims, deren Bearbeitung ein gewisser Kapitän Healey leitete, für die Erwerbung des Claims Nummer 129 am Forty Miles Creek das feste Angebot von fünftausend Dollars, die sofort nach Eintreffen eines die Annahme dieses Gebotes zusagenden Telegramms nach Montreal abgesendet werden sollten.

Ben Raddle hatte die Depesche vor sich entfaltet und durchlas sie mit derselben Aufmerksamkeit wie vorher die Besitztitel.

»Nun, was sagen Sie dazu, Herr Raddle? fragte der Notar.

– Vorläufig gar nichts, antwortete der Ingenieur. Ist denn das ein angemessener Preis? Fünftausend Dollars für einen Claim in Klondike!

– Ich dächte, fünftausend Dollars wären eine ganz nette Summe.

– Es sind aber keine zehntausend, Herr Snubbin.

– Das ist freilich wahr. Ich vermute aber doch, daß Herr Skim....

– Summy wird stets meiner Ansicht sein, wenn ich sie mit guten Gründen unterstützen kann. Und wenn ich ihm auseinandersetze, daß diese Reise notwendig ist, wird er sie unternehmen, verlassen Sie sich darauf.

– Er?.... rief Snubbin, er, einer der glücklichsten, unabhängigsten Menschen, die je ein Notar in seiner Praxis angetroffen hat?

– Ja, wenn ich diesem Glücklichen, diesem Vorbilde von Unabhängigkeit aber beweise, daß er sein Glück, seine Unabhängigkeit noch verdoppeln kann....

[27] Übrigens, was wagen wir denn dabei?.... Die von jenem Syndikate gebotene Summe könnten mir doch allemal noch annehmen.«

Als Ben Raddle das Bureau verlassen hatte, schlug er, immer in Nachdenken darüber, welchen Entschluß er fassen sollte, den kürzesten Weg nach Hause ein. Vor der Wohnstätte in der Jacques-Cartierstraße angekommen, war er mit sich ins Reine gekommen und begab sich nun sofort nach der Wohnung seines Vetters.

»Nun, fragte dieser, hast du denn unsern Herrn Snubbin gesprochen?.... Gibt es etwas Neues?

– Etwas Neues, ja, Summy, und auch neue Nachrichten.

– Gute?

– Ganz vortreffliche.

– Hast du die Besitzdokumente durchgesehen?

– Wie sich's gebührt. Die waren in bester Ordnung. Wir sind mit Fug und Recht die Eigentümer des Claims Nummer 129.

– Na, das wird unser Vermögen auch arg vermehren, bemerkte Summy Skim lachend.

– Mehr, als du vielleicht denkst,« erklärte der Ingenieur ernst.

Damit überreichte Ben Raddle seinem Vetter die Depesche der Anglo-American Transportation and Trading Company.

»Das ist ja herrlich! rief dieser. Da wollen wir nicht zaudern. Laß uns den Claim dieser so kulanten Gesellschaft abtreten und das so schnell wie möglich!

– Warum denn für den Preis von fünftausend Dollars etwas abtreten, was möglicherweise viel mehr wert ist? erwiderte Ben Raddle.

– Ja, mein lieber Ben, ich dächte doch....

– Nein, nein, ich sage dir, so verfährt man in Geschäftsangelegenheiten nicht. Um eine Sache beurteilen zu können, muß man sie gesehen, mit den eignen zwei Augen gesehen haben.

– Du bestehst also noch immer darauf?

– Mehr als je. Bedenke doch, Summy: Wenn man uns dieses Kaufsanerbieten macht, geschieht das, weil man den Wert des Claims kennt und weil dieser Wert ein weit, weit höherer ist. Es fehlt ja nicht an andern käuflichen Placers längs der Rios oder in den Berggegenden von Klondike.

– Weißt du das so genau?

[28] – Und wenn eine Gesellschaft, fuhr Ben Raddle, unbeirrt durch diese Zwischenfrage, fort, die schon eine Anzahl Claims besitzt, gerade den unsrigen erwerben will, so hat sie nicht fünftausend Gründe, fünftausend Dollars dafür zu bieten, sondern zehn-, nein, hunderttausende.

– Nein nein, eine Million, zehn Millionen, hundert Milliarden, fuhr Summy ironisch fort. Wahrhaftig, Ben, du spielst nur so mit den Zahlen!

– Die Zahlen.... die Zahlen.... die bestimmen das Leben, mein Lieber, und mir scheint, du rechnest etwas zu wenig.

– Vielleicht weil du gar zu viel rechnest.

– Ich bitte dich, lieber Summy, ich spreche jetzt in vollem Ernste. Vorher zögerte ich noch wegen der Reise, seit dem Empfang dieser Depesche bin ich aber entschlossen, meine Antwort persönlich abzugeben.

– Was?.... Du willst wirklich nach Klondike reisen?

– Jawohl.

– Ohne noch nähere Mitteilungen abzuwarten?

– Ich werde mich schon an Ort und Stelle weiter unterrichten.

– Und mich willst du hier allein lassen?

– O nein, denn du wirst mich ja begleiten.

– Ich?

– Ja, du.

– Nimmermehr!

– O doch; die Sache geht ja uns beide an.

– Ich erteile dir die weitgehendste Vollmacht.

– Die nehme ich nicht an; ich bedarf deiner persönlichen Anwesenheit.

– Eine Reise von zweitausend Lieues?....

– Das nicht. Es sind ihrer ja nur zweitausendfünfhundert.

– Allgütiger Gott! Wie lange soll die wohl dauern?

– O, nur so lange wie nötig. Es könnte ja der Fall eintreten, daß unser Interesse es erforderte, nicht den Claim zu verkaufen, sondern ihn selbst auszubeuten.

– Auch das noch.... selbst ausbeuten? rief Summy ganz außer Fassung. Dann verginge darüber eingan zes Jahr....

– Oder auch zwei, wenn das angezeigt erscheint.

– Zwei Jahre! Zwei Jahre! wiederholte Summy Skim fast jammernd.

– Nun, was ist dabei? erwiderte Ben Raddle, wenn nun jeder Monat, jeder Tag, jede Stunde unser Vermögen vermehrte?

[29] – »Nein.... nein! Daraus wird nichts!« rief Summy Skim, der, sich zusammenduckend, in seinen Lehnstuhl niedersank wie einer, der entschlossen ist, nie wieder davon aufzustehen.

Er hatte es jedoch mit einem übermächtigen Gegner zu tun. Ben Raddle ließ ihn gewiß nicht aus seinen Fängen los, als bis er dem Vetter seine Zustimmung abgerungen hatte.

»Nun, was mich betrifft, Summy, schloß der Ingenieur, steht es fest, daß ich mich nach Dawson City begebe, und ich kann nicht glauben, daß du dich weigern solltest, mich zu begleiten. Du hast überhaupt hier viel zu lange still gesessen.... du mußt dir auch ein bißchen die Welt ansehen!

– O, entgegnete Summy, wenn ich dazu Lust verspürte, gäb' es in Amerika oder in Europa noch andre Gegenden zu besuchen. Jedenfalls würde ich den Anfang nicht damit machen, mich bis ins Herz jenes entsetzlichen Klondike zu verlaufen!

– Ach, das würdest du bezaubernd schön finden, wenn du dich erst überzeugt hättest, daß es mit Goldpulver bestreut und mit Goldklümpchen gepflastert ist.

– Ben, mein lieber Ben, flehte Summy Skim, du ängstigst mich, wahrhaftig, du erschreckst mich! Du willst dich da in eine Geschichte einlassen, die dir nur Gefahren und Enttäuschungen in Aussicht stellt.

– Das wird sich ja zeigen.

– Da ist zuerst dieser unselige Claim, der gewiß nicht so viel wert ist wie ein Gartenbeet mit Weißkohl drauf!

– So?.... Wie käme denn jene Gesellschaft dann dazu, uns mehrere tausend Dollars dafür zu bieten?

– Und wenn ich mir dann vorstelle, Ben, diesen lächerlichen Claim in einem Lande aufsuchen zu müssen, wo die Temperatur gelegentlich bis fünfzig Grad unter Null sinkt!

– O, da werden wir Feuer machen.«

Ben Raddle wußte auf alles eine Antwort. Die Angst seines Vetters rührte ihn nicht im mindesten.

»Aber Green-Valley, Ben; denkst du daran gar nicht?

– O, an Wild fehlt es nicht auf den Ebenen und an Fischen nicht in den Flüssen von Klondike. Du wirst da jagen und angeln in einem neuen Lande, das dir viele Überraschungen bereiten wird.

[30] – Aber unser Gesinde, unsre braven Landarbeiter, die uns doch erwarten, seufzte Summy Skim.

– Hätten die denn Ursache, unser Ausbleiben zu bedauern, wenn wir reich genug zurückgekehrt sind, ihnen andre Farmen zu errichten und den ganzen Bezirk anzukaufen?«

Summy Skim mußte sich am letzten Ende für besiegt erklären. Nein, allein konnte er seinen Vetter nun einmal nicht nach Klondike reisen lassen. Er würde ihn also begleiten, wär's auch nur, um ihn bald wieder zur Heimkehr zu veranlassen. Über die Telegraphenlinien der Dominion flog an demselben Tag eine Depesche an den Kapitän Healey, die dem Direktor der Anglo-American Transportation and Trading Company, Dawson City, Klondike, die demnächst erfolgende Abreise der Herren Ben Raddle und Summy Skim, der Eigentümer des Claims Nummer 129, anzeigte.

3. Kapitel
Drittes Kapitel.
Unterwegs.

Auf der kanadischen Pacificbahn können Vergnügungs- und Handelsreisende Auswandrer und nach Klondike gehende Goldsucher ohne Wagenwechsel, ohne die Dominion oder Britisch-Kolumbien zu verlassen, von Montreal nach Vancouver gelangen. Hier in der Hauptstadt Kolumbiens eingetroffen, haben sie verschiedne Wege, zu Lande, zur See oder auf Strömen, zur Auswahl und können da auch die verschiednen Beförderungsarten – Schiffe, Reitpferde, Wagen nebst einem Stück Fußwanderung – für einen großen Teil der Strecke kombinieren.

Nachdem nun die Reise beschlossen war, konnte Summy Skim alle Vorbereitungen dazu, die Besorgung aller Bedürfnisse für die Fahrt, die Wahl der Wege usw., seinem Vetter Ben Raddle überlassen. Das war ja recht eigentlich die Sache dieses ehrgeizigen, aber intelligenten Ingenieurs, des einzigen Anstifters dieses Unternehmens, dem dafür alle Verantwortlichkeit zufiel und der sie auch auf sich nahm.

[31] Vor allem andern erklärte Ben Raddle, daß die Abreise nicht verzögert werden dürfe. Es war besonders wichtig, daß die Erben Josias Lacostes zu Anfang des Sommers in Klondike waren, des Sommers, der diese hochnördlichen Landstriche, die schon an den Polarkreis grenzen, nur wenige Monate etwas erwärmt.


»Was?... Du willst wirklich nach Klondike reisen?« (S. 24.)

Als er die Zusammenstellung der auch für den Bezirk des Yukon gültigen kanadischen Berg- und Grubengesetze studierte, hatte er nämlich in deren neuntem Artikel folgendes gelesen:


Es war ein rührender Auftritt, als er von den braven Leuten Abschied nahm. (S. 39.)

[32] [35]»Jeder Claim fällt wieder dem Staate anheim, der in der schönen Jahreszeit nicht binnen fünfzehnmal vierundzwanzig Stunden in Bearbeitung genommen worden ist, wenn der Kommissar, der auch zu entscheiden hat, von wann an die schöne Jahreszeit zu rechnen ist, keine besondre Erlaubnis zum spätern Betriebsanfange erteilt hat.«

Die schöne Jahreszeit tritt aber, wenn sie nicht einmal vorzeitig beginnt, mit der zweiten Hälfte des Mai ein. Kam es dann binnen vierzehn Tagen nicht zu einer Bearbeitung des Claims Nummer 129, so fiel das Besitztum Josias Lacostes an die Dominion zurück und höchstwahrscheinlich verfehlte das amerikanische Syndikat nicht, der Behörde die Überschreiung der gesetzlichen Frist für den Arbeitsbeginn an dem Claim mitzuteilen, dessen Besitz sie zu erwerben trachtete.

»Du begreifst, Summy, erklärte Ben Raddle, daß wir uns da von keinem den Rang ablaufen lassen dürfen.

– Ich begreife alles, Ben, was du von mir begriffen zu sehen wünschest.

– Um so mehr, setzte der Ingenieur dazu, weil ich vollkommen recht habe.

– Das bezweifle ich ja gar nicht, Ben. Übrigens habe ich nichts dagegen, Montreal so bald wie möglich zu verlassen, damit wir desto früher wieder heimkehren.

– O, wir bleiben in Klondike nicht länger als nötig.

– Ganz meine Meinung, Ben. Wann soll es denn fortgehen?

– Am 2. April, erklärte Ben Raddle; nach zehn Tagen.«

Die Arme gekreuzt und den Kopf gesenkt, hatte Summy Skim stark Lust, »Was?.... So bald?« zu rufen. Er schwieg aber; darüber zu klagen, hätte doch nichts genützt.

Übrigens war es von Ben Raddle sehr richtig, als letzten Termin zur Abreise den 2. April bestimmt zu haben. Sein Kursbuch vor Augen, machte er sich zahllose Bemerkungen mit einer Menge Zahlen und mit solchen wußte er ja meisterhaft umzuspringen.

»Nach Klondike zu kommen, haben wir nicht einmal die Wahl zwischen zwei Wegen, sagte er, denn es gibt dahin nur einen einzigen. In Zukunft gelangt man nach dem Yukon vielleicht über Edmonton und das Fort Saint John und auch auf dem Peace River weiter, der im Nordosten Kolumbiens den Bezirk von Cassiar durchströmt....

[35] – Ah, eine sehr wildreiche Gegend, habe ich sagen gehört, unterbrach ihn Summy Skim, der gleich von den Freuden der Jagd träumte. Ja, warum schlagen wir diesen Weg nicht ein?

– Weil wir da von Edmonton aus vierzehnhundert Kilometer weit durch eine kaum bekannte Gegend über Land fahren müßten.

– So, so. Und welchen Weg hast du dann im Auge?

– Natürlich den über Vancouver. Hier hast du die genauen Zahlen, aus denen sich die Länge der Reisestrecke ergibt: von Montreal nach Vancouver sind's viertausendsechshundertfünfundsiebzig Kilometer und von da nach Dawson City noch zweitausendvierhundertneunundachtzig.

– Das wäre zusammen, murmelte Summy, der zu addieren begann: fünf und neun ist vierzehn, ich behalte eins im Kopfe, acht und acht gibt sechzehn, eins im Kopfe, sieben und vier sind elf, nochmals eins im Kopfe, und fünf und zwei macht sieben, also siebentausendeinhundertvierundsechzig Kilometer.

– Ganz richtig, Summy.

– Na, Ben, wenn wir dann ebensoviele Kilogramm Gold mit nach Hause bringen, wie wir Kilometer zurückgelegt haben werden....

– Das ergäbe – nach der Taxe von zweitausenddreihundertvierzig Francs das Kilogramm – sechzehn Millionen siebenhundertdreiundsechzigtausendsiebenhundertundsechzig Francs.

– Na na, murmelte Summy Skim, wenn wir nur die siebenhundertsechzig Francs mit nach Hause bringen!

– Was sagtest du, Summy?

– Ach, nichts, mein lieber Ben, gar nichts.

– Über eine solche Summe würde ich mich gar nicht wundern, fuhr Ben Raddle fort. Der Geograph John Minn behauptet ja, daß Alaska mehr Gold liefern werde als Kalifornien, dessen Ausbeute allein im Jahre achtzehnhunderteinundsechzig vierhundertfünf Millionen betragen hat. Warum sollte nun Klondike zu dem auf fünfundzwanzig Milliarden Francs geschätzten Goldvorrat der Erde nicht sein gutes Teil beitragen?

– Das kommt mir sehr wahrscheinlich vor, stimmte ihm Summy klugerweise bei. Zunächst heißt es aber, an die nötigen Reisevorbereitungen denken, lieber Ben. Da hinaus nach jenen seltsamen Ländern zieht man doch nicht mit einem Hemd zum Wechseln und zwei Paar Socken.

[36] – Darum ängstige dich nicht, Summy laß das nur meine Sorge sein. Du wirst in Montreal nur in den Bahnzug ein- und in Vancouver daraus auszusteigen haben. Unsre Reisebedürfnisse sind ja auch nicht dieselben wie die eines Auswandrers, der, wenn er auf gut Glück in ein fernes Land pilgert, eine Last der verschiedensten Dinge mitschleppen muß. Was wir brauchen, das ist schon vorhanden, das findet sich auf dem Claim unsers Onkels. Wir haben nur für die Beförderung unsrer Personen zu sorgen.

– Nun, das ist doch auch etwas! rief Summy Skim, die sind doch der Mühe wert, einige Vorsichtsmaßregeln zu treffen.... vor allem gegen die Kälte.... brrr.... mir ist's schon zu Mute, als wäre ich bis auf die Knochen zu Eis erstarrt!

– Ach, Torheit, Summy. Wenn wir in Dawson City eintreffen, ist ja die schöne Jahreszeit bestens im Gange.

– Mag sein, doch später folgt ihr auch die schlechte.

– Beruhige dich nur, tröstete ihn Ben Raddle. Auch im Winter wirst du keine Not leiden. Passende Bekleidung.... gute Ernährung.... ich sage dir, du kommst fetter nach Hause zurück, als du's bei der Abreise warst.

– Na, das verlange ich gar nicht, protestierte Summy Skim, der sich nun einmal in sein Schicksal ergeben hatte. Das sage ich dir: wenn ich auch nur um zwei Pfund zunehmen sollte, da ist's mein Ende!

– Scherze nur, Summy, scherze, so viel du willst, doch habe Vertrauen.

– Ja ja, ohne Vertrauen geht's gar nicht. Es ist also ausgemacht, daß wir am 2. April als El Doradosucher aufbrechen?

– Ja, die Zwischenzeit genügt mir für alle Vorbereitungen.

– Gut, Ben; da ich nun aber noch zehn Tage frei habe, werde ich sie auf dem Lande zubringen.

– Ganz nach Belieben, Herr Vetter, antwortete Ben Raddle, ich meine nur, gar so schön wird's in Green-Valley noch nicht sein.«

Summy Skim hätte darauf entgegnen können, daß die Witterung dort jedenfalls besser als die in Klondike sein würde. Er unterdrückte das aber und begnügte sich mit der Versicherung, es werde ihm ein großes Vergnügen gewähren, noch ein paar Tage unter seinen Pächtern zu weilen, seine Felder, auch wenn Schnee darauf läge, und die schönen, von Rauhfrost glitzernden Wälder wiederzusehen, die eisbedeckten Flüsse und das Schollentreiben im Sankt Lorenzo zu betrachten. Bei tüchtiger Kälte böte sich einem Jäger dann auch [37] Gelegenheit, ein gutes Stück Haar- oder Federwild zu erlegen, ohne von dem Raubzeug zu reden, von den Bären, Pumas und andern, die sich dort gelegentlich umhertreiben. Es sah fast aus, als wollte Summy Skim von allem Lebenden in jener Gegend Abschied nehmen.

»Du solltest mich eigentlich begleiten, Ben, sagte er.

– Meinst du wirklich? antwortete der Ingenieur. Wer befaßt sich denn dann mit unsren Reisevorbereitungen?«

Schon am nächsten Tage saß Summy Skim auf der Eisenbahn. Am Bahnhofe von Green-Valley fand er ein Geschirr mit einem Paar kräftiger Pferde und am Nachmittage traf er auf seiner Besitzung ein. Wie immer, zeigte er sich sehr erkenntlich für den herzlichen Empfang, den man ihm hier bereitete; doch als die Pächter und die Arbeitsleute die Veranlassung zu dem vorzeitigen Besuch erfuhren, als sie hörten, daß der Gutsherr diesen Sommer nicht bei ihnen zubringen werde, gaben sie unverhohlen dem Kummer Ausdruck, den ihnen diese Nachricht machte.

»Ja, liebe Freunde, sagte Summy Skim, Ben Raddle und ich, wir gehen nach dem Teufelslande, nach Klondike, das so fern von hier ist, daß man allein zwei Monate braucht, dahin zu kommen, und natürlich ebensolange zur Rückkehr.

– Und das alles, um ein paar Goldklümpchen aufzulesen! äußerte, die Achseln zuckend, einer der Bauersleute.

– Wenn man überhaupt solche Dinger findet, setzte ein alter Philosoph hinzu, der den Kopf in wenig ermunternder Weise schhüttelte.

– Ihr lieben Leute, fuhr Summy Skim fort, das ist einmal so wie ein Fieber, schon mehr eine Epidemie, die von Zeit zu Zeit über die Erde hinzieht und ihre Opfer fordert.

– Warum muß aber gerade unser Herr mit da hinausgehen?« fragte die älteste Pächtersfrau.

Summy Skim erklärte den Leuten nun, daß er und sein Vetter infolge des Ablebens ihres Onkels Josias Lacoste einen Claim geerbt hätten, und er setzte ihnen auseinander, warum Ben Raddle ihre Anwesenheit in Klondike für notwendig hielte.

»Ja ja, sagte der Alte, wir haben auch davon gehört, was dort an der Grenze der Dominion vorgeht, auch von dem Elend so vieler armer Teufel, die den Strapazen der Reise und der Arbeit erliegen. Es ist aber doch ausgeschlossen, [38] Herr Summy, daß Sie etwa in jenem Lande des Schreckens blieben; Sie kehren doch wohl nach dem Verkauf Ihres Schlammhausens wieder zurück?

– Darauf könnt ihr euch verlassen, liebe Freunde. Fünf bis sechs Monate werden aber immerhin vergehen und dann ist die schöne Jahreszeit vorbei. Ich werde leider einen ganzen Sommer verlieren.

– Ja, und nach einem verlornen Sommer ist der Winter um so trauriger,« sagte eine alte Frau, die, sich bekreuzigend, noch hinzufügte:

»Gott nehme Sie, unsern guten Herrn, in seinen mächtigen Schutz!«

Nach einwöchigem Aufenthalt in Green-Valley glaubte Summy Skim, es wäre doch nun Zeit, zu Ben Raddle zurückzukehren. Es war ein rührender Auftritt, als er von all den braven Leuten Abschied nahm. Und wenn er sich dazu vorstellte, daß in wenigen Wochen die Aprilsonne über Green-Valley aufsteigen, daß durch die Schneedecke das erste Frühlingsgrün hervorsprossen würde und daß er dann, wenn diese verwünschte Reise nicht wäre, wie alle Jahre hierherkäme, im laubumrankten Pavillon zu wohnen, bis die erste Winterkälte fühlbar würde! In den verflossenen acht Tagen hatte er immer heimlich auf das Eintreffen eines Briefes von Ben Raddle gehofft, der ihm melden sollte, daß sie von ihrem Vorhaben abstehen könnten... vergeblich... es war kein Brief gekommen, nichts hatte sich geändert, am vorausbestimmten Tage sollte die Abreise erfolgen. Summy Skim mußte sich wohl oder übel zum Bahnhofe fahren lassen und am Morgen des 31. März stand er seinem schrecklichen Vetter wieder Auge in Auge gegenüber.

»Nun, nichts Neues? begann er, indem er sich vor diesem wie ein Fragezeichen aufpflanzte.

– Gar nichts, Summy, außer daß unsre Vorbereitungen beendet sind.

– Du hast also alles besorgt?

– Alles, bis auf Lebensmittel, die wir unterwegs genug finden, antwortete Ben Raddle. Ich habe eigentlich nur unsre Bekleidung vervollständigt. Waffen?.... Du hast ja die deinigen, ich die meinigen, zwei gute Gewehre, die wir zu gebrauchen gewöhnt sind, und auch die vollständige Ausrüstung zur Jagd. Da es aber nicht möglich ist, da draußen unsre Garderobe zu erneuern, siehst du hier, was davon jeder von uns mitnehmen soll: Flanellhemden, wollene Westen und Unterbeinkleider, dicke Trikotjacken, je einen Cordanzug, Beinkleider aus starkem Tuche und solche aus Leinwand, blaue Leinenblusen, eine pelzgefütterte Lederweste, eine wasserdichte Seemannskleidung mit Kapuze, einen [39] Kautschukmantel je sechs Paar große Socken über den Strümpfen zu tragen, Fausthandschuhe aus Pelz und aus Leder, stark benagelte Jagdstiefel, Mocassins, Schneeschuhe, Taschentücher, Servietten...

– He, halt! rief Summy Skim, die Arme zum Himmel erhebend, dazwischen, willst du denn in der Hauptstadt von Klondike ein Warenhaus eröffnen? Du hast ja Vorräte für zehn Jahre angeschafft!

– O nein, nur für zwei Jahre.

– Nur! wiederholte Summy. ›Nur‹... das ist ja schrecklich. Ich bitte dich, Ben, wir gehen doch einfach nach Dawson City, unsern Claim Nummer 129 zu verkaufen, um dann nach Montreal heimzukehren. Dazu braucht man zum Kuckuck doch keine zwei Jahre!

– Gewiß nicht, Summy, vorausgesetzt, daß man uns für den Claim so viel bietet, wie er unter Brüdern wert ist.

– Und wenn das nun keiner geben will?

– Dann wird sich das Weitere ja finden.«

Da es Summy Skim doch unmöglich gewesen wäre, eine andre Antwort zu erzwingen, schwieg er gelassen still.

Am Morgen des 2. April befanden sich die beiden Vettern auf dem Bahnhofe, wohin ihr Gepäck schon befördert worden war. Das war übrigens nicht von gar so großem Umfange, erst wenn die Prospektorausrüstung in Vancouver dazugekommen wäre, würde es zu einem wohl etwas lästigen impedimentum anschwellen.

Hätten sie sich vor der Abreise an die Kanadische Pacificbahngesellschaft gewendet, so würden sie gleich durchgehende Billetts für den Dampfer nach Skagway bekommen haben können. Ben Raddle hatte sich aber noch nicht schlüssig gemacht, welchen Weg sie nach Dawson City wählen sollten, ob den über See und dann stromaufwärts den Yukon von dessen Mündung bis zur Hauptstadt von Klondike oder den Landweg, der jenseits von Skagway über Berg und Ebene und über die Seen von Britisch Kolumbien dahin führt.

Sie waren also endlich abgefahren, die beiden ungleichen Vettern, der eine weggeschleppt von dem andern, jener voller Zuversicht, dieser in sein Schicksal ergeben, beide aber bequem untergebracht in einem vortrefflichen Wagen erster Klasse. Die nötige Behaglichkeit ist doch das wenigste, was man für eine Fahrt von mehr als viertausendsiebenhundert Kilometern verlangen kann, für eine Reise. die von Montreal bis Vancouver sechs volle Tage in Anspruch nimmt.

[40] [43]Von Montreal aus bewegt sich der Zug zuerst durch den Teil der Dominion, der die so wechselreichen Gebiete des Ostens und des Zentrums enthält. Erst wenn er über die Gegend der großen Seen hinausgekommen ist, erreicht er eine dünner bevölkerte, zuweilen, vorzüglich mit der Annäherung an Kolumbien, eine fast öde, menschenleere Landschaft.


Ottawa, gesehen vom Rideau-Fall.

Das Wetter war heute schön, die Luft etwas bewegt und der Himmel von leichtem Dunste verschleiert. Das Thermometer schwankte um den Nullpunkt. Soweit das Auge reichte, schimmernd weiße Flächen, die binnen wenigen Wochen ein grünes Kleid tragen würden, wenn die Rios erst aus den Fesseln des Eises erlöst waren. Mächtigen Flügelschlags zogen große Vogelherden, immer dem Bahnzuge voran, nach Westen hinaus. Auf beiden Seiten der Strecke zeigten sich in der Schneeschicht die Fährten von Tieren bis hinaus an den fernen Horizont... leicht zu verfolgende Spuren, bei deren Anblick ein Jägerherz schneller schlagen mußte.

Jetzt war wohl auch von einer Art Jagd die Rede. Doch wenn es Jäger gab in dem nach Vancouver rollenden Zuge, so waren es nur Goldklümpchenjäger, und die Hunde, die sie mit sich führten, waren nicht abgerichtet, Rebhühner oder Hafen zu stellen, auch nicht Damwild oder Bären zu verfolgen. Nein, das war nur Zugvieh, bestimmt, in dem Teile Kolumbiens zwischen Skagway und dem Gebiete von Klondike die Schlitten über die erstarrte Oberfläche der Seen und Flüsse zu schleppen.

Das Goldfieber war jetzt im Grunde noch im ersten Stadium. Ununterbrochen trafen aber neue Meldungen ein von der Auffindung weiterer Goldlagerstätten am Eldorado, an der Bonanza, am Hunter, Bear und Gold Bottom sowie an allen Zuflüssen des Klondikestromes. Man sprach – oder faselte – von Claims, wo der Prospektor aus einer Siebschüssel bis fünfzehnhundert Francs Gold gewonnen hätte. Der Strom der Einwandrer wuchs denn auch mehr und mehr an. Sie stürzten sich jetzt über Klondike wie vorher über Australien, Kalifornien, über das Transvaal und die Transportgesellschaften erstickten fast unter dem Andrange. Die Insassen des heutigen Zuges, das waren keine Sendlinge von Gesellschaften oder Syndikaten, die von Großbanken Europas und Amerikas gegründet worden waren. Bei ihrer vortrefflichen Ausrüstung mit Werkzeugen, ihrem reichen Vorrat an passender Kleidung und der sichern Aussicht, auf Grund getroffener Abmachungen mit Lebensmitteln versorgt zu werden, brauchen solche der Zukunft nicht ängstlich entgegenzusehen. Nein, hier handelte [43] es sich um armes, aber habgieriges Volk, das, aller Unbill der Existenz preisgegeben, vielleicht durch das Gespenst der Not aus seiner Heimat vertrieben wurde, um Leute, die alles wagen können, weil sie nichts zu verlieren haben, und denen – wer wollte es leugnen? – die Hoffnung auf einen besondern Glücksfall mehr oder weniger den Kopf verdreht hat.

Inzwischen brauste der Zug der Trans-Kontinentalbahn mit Volldampf weiter hinaus. Summy Skim und Ben Raddle hatten sich dabei sicherlich nicht über Mangel an Komfort zu beklagen, stand ihnen doch ein Salonwagen zur Verfügung für die Zeit des Tages, ein Schlafwagen für die Nacht, ein Rauchsalon, wo sie ihre Zigarre ebenso ungeniert genießen konnten wie in den besten Cafés von Montreal; ferner lief im Zuge ein Speisewagen mit vorzüglicher Bewirtung und aufmerksamer Bedienung und es gab sogar einen Baderaum für die, die sich unterwegs durch ein Bad erquicken wollten. Alles das hinderte jedoch Summy Skim nicht, aufzuseufzen, wenn er an sein Landhäuschen in Green-Valley dachte.

Um vier Uhr hatte der Zug Ottawa, die Hauptstadt der Dominion, erreicht, die, auf einem Hügel liegend, die Umgebung beherrscht, eine prächtige Stadt, deren mehr oder weniger berechtigter Anspruch es ist, der Mittelpunkt der Welt zu sein.

Weiter draußen im Lande, nahe der Carlton-Jonction, hätte man ihre Rivalin, Toronto, die alte, jetzt entthronte Hauptstadt sehen können.

Immer nach Westen eilend, gelangte der Zug nach der Station Sudbury, wo die Bahnlinie sich teilt, in einer durch die Bearbeitung vieler Nickelgruben bereicherten Gegend. Unser Zug folgte dem nördlichen Zweige, der den Lac Superior umkreist und in Port-Arthur, in der Nähe des Fort William, mündet. In Heron-Bay, Schreiber und den andern an dem großen See gelegnen Stationen dauerte der Aufenthalt lange genug, daß die beiden Vettern sich, wenn es ihr Wunsch gewesen wäre, von der Bedeutung dieser Süßwasserhäfen hätten überzeugen können. Weiterhin kamen sie über Bonheur, Ignane und Eagle River, eine Gegend, die ihr Gedeihen einträglichen Bergwerken verdankt, nach der wichtigen und bedeutenden Stadt Winnipeg.

Hier würde unter andern Verhältnissen ein Aufenthalt von mehreren Stunden Summy Skim zu kurz erschienen sein, der von Winnipeg gern ein Andenken an seine Reise mitgenommen hätte. Wäre er nicht von Klondike sozusagen hypnotisiert gewesen, so hätte er ohne Zweifel gern einen bis zwei Tage [44] [47]geopfert, die 40.000 Einwohner zählende Stadt und die Nachbarstädte des westlichen Kanada zu besuchen. Leider war das Summy Skim jetzt unmöglich. Der Zug nahm seine Insassen wieder auf, in der Hauptsache menschliche Kolli, die nicht zum Vergnügen reisten, sondern nur daran dachten, mit möglichster Beschleunigung und auf kürzestem Wege an ihr Ziel zu gelangen.


Ottawa. - Postamt und der Parlamentspalast.

Vergeblich bemühte sich Ben Raddle, die Aufmerksamkeit des Besitzers von Green Valley zu erregen.

»Du bemerkst wohl gar nicht, Summy, redete er auf den Vetter ein, wie vorzüglich die ganze Gegend hier kultiviert ist.

– So?... Ach ja, lautete Summy Skims Antwort.

– Auch nicht, welch grenzenlose Grasflächen sie hat. Hier sollen Büffel noch zu Tausenden vorkommen. Ha, das wäre ein Jagdvergnügen, Summy!

– Ja freilich, meinte Summy Skim, der aber sehr gleichgültig blieb. Eins kann ich dir jedoch sagen, daß ich hier lieber sechs Monate oder sechs Jahre bliebe als in deinem Klondike sechs Wochen.

– Bah! Wenn es in der Umgebung von Dawson City auch keine Büffel gibt, entgegnete Ben Raddle lachend, so wirst du dich an den kanadischen Elentieren schadlos halten.«

Über Regina City stieg der Zug nach dem Crow New-Paß der Felsengebirge hinauf und rollte dann der Grenze von Britisch-Kolumbien zu, nachdem er einige Stunden in Calgary City still gelegen hatte.

Von dieser Stadt aus zweigt sich mit dem Endpunkt in Edmonton eine Linie ab, die zuweilen die Auswandrer nach Klondike wählen. Auf dem Wege über den Peace River und das Fort Saint John, ferner über Dease, Francis und Pelly Rivers verbindet dieser Schienenstrang, der durch den, vom cygenetischen Standpunkte beurteilt, berühmten Bezirk von Cassiar führt, den Nordosten Kolumbiens mit dem Yukon... ein richtiger Jägerpfad, dem Summy Skim gewiß gefolgt wäre, wenn er die Gegend zum Vergnügen aufgesucht hätte. Der Weg ist aber schwierig und lang; er nötigt den Reisenden auf der mehr als zweitausend Kilometer betragenden Strecke, sich wiederholt frisch zu verproviantieren. Wohl ist das Land hier recht reich an Gold, das man aus jedem Flußsande waschen kann; unglücklicherweise fehlt es ihm aber fast an allen Hilfsmitteln und ein Verkehr wird sich erst von dem Tage an entwickeln, wo die kanadische Regierung etwa von fünfzehn zu fünfzehn Lieues mit allem nötigen ausgerüstete Relais errichtet haben wird.

[47] Bei der Fahrt durch die Felsenberge hatten die Reisenden Gelegenheit, die stolz aufstrebenden Höhen mit ihrer Haube von ewigem Schnee zu bewundern. Inmitten dieser Eiswüsten herrscht das Schweigen des Kirchhofs, nur unterbrochen von dem Dröhnen und Schnauben der Lokomotive.

Je weiter der Zug nach Westen kam, durchmaß er Gegenden, die zwar nicht reich waren an fruchtbarem Boden, der bei seiner Jungfräulichkeit der Arbeit des Menschen den verdienten Lohn verspräche, nein, das waren hier die Gebiete des Kootaway, die Gold Fields des Cariboo, wo Gold zuerst gefunden wurde und noch heute gefunden wird, das hydrographische Netz, das Splitter und Stückchen des kostbaren Metalls mit hinabschwemmt. Da drängte sich einem unwillkürlich die Frage auf, warum die Prospektoren nicht diesem leichter erreichbaren Lande zugeströmt wären, statt daß sie die Beschwerden der langen Reise nach Klondike auf sich nahmen, der höhern Kosten, die diese verursachte, gar nicht zu erwähnen.

»Wahrhaftig, bemerkte Summy Skim, unser Onkel Josias hätte schon hier sein Glück versuchen sollen, dann wären wir doch jetzt an Ort und Stelle und über den Wert seiner Goldgrube in kürzester Zeit im klaren. Binnen achtundvierzig Stunden hätten wir das Loch zu Gelde gemacht und unsre Abwesenheit hätte dann nicht länger als vier Wochen gedauert.«

Summy Skim hatte ja ganz recht; es stand aber jedenfalls im Schicksalsbuch geschrieben, daß er bis zu der schrecklichen Gegend von Klondike hinausziehen und in dem schlammigen Sande des Forty Miles Creek umherwaten sollte.


Winnipeg - Main Street.

Der Zug setzte wohl deshalb seinen Weg weiter fort, trug Summy Skim nur weiter weg von Montreal und Green-Valley, beförderte ihn nach der Seegrenze Kolumbiens und setzte ihn, ohne die geringste Störung während der Reise am 8. April nebst seinem Vetter Ben Raddle im Bahnhofe von Vancouver heil und gesund ab.

[48][51]
4. Kapitel
Viertes Kapitel.
Schlimme Nachbarschaft.

Die Stadt Vancouver liegt nicht auf der eigentlichen Insel dieses Namens, sondern erhebt sich auf einer Landzunge, die vom kolumbischen Ufer hinausragt, und bildet nur eine Art Provinzhauptstadt. Der Regierungssitz von Britisch-Kolumbien, das sechzehntausend Einwohner zählende Victoria, ist auf der Südostküste der Insel erbaut, wo sich auch noch New-Westminster, jetzt eine Stadt von zehntausend Einwohnern, findet.

Vancouver liegt weit draußen an einer offnen Reede, die sich an die in vielen Biegungen nach Nordwesten verlaufende Juan de la Fucastraße anschließt. Im Hintergrunde der Reede ragt der Glockenturm einer Kapelle empor, umgeben von einem Gehölz von Fichten und Zedern, die stellenweise so groß sind, daß sie selbst hohe Türme einer Kathedrale verdecken könnten.

Die Meerenge (die genannte Straße) bespült erst den südlichen Teil der Insel und folgt dann deren östlichem und nördlichem Ufer. Infolgedessen ist der Hafen von Vancouver den aus dem Stillen Ozean ankommenden Schiffen leicht zugänglich, gleichviel ob diese längs des kanadischen Ufers herunter- oder längs der Küste der Vereinigten Staaten von Amerika heraufgesegelt waren.

Die Gründer der Stadt Vancouver scheinen deren Zukunft schon vorausgesehen zu haben. Ohne Zweifel würde sie selbst hunderttausend Bewohnern Raum bieten und die könnten noch in der letzten ihrer sich rechtwinklig schneidenden Straßen bequem verkehren. Die Stadt hat Kirchen, Bankhäuser, Hotels, hat Gas- und elektrische Beleuchtung, geräumige, über die seichte Mündung der False-Bay führende Brücken und auf der nordwestlichen Halbinsel eine schöne, dreihundertachtzig Hektar bedeckende Parkanlage.

Als Summy Skim und Ben Raddle den Bahnhof verlassen hatten, ließen sie sich nach dem Westminster-Hotel führen, wo sie bis zur Abreise nach Klondike wohnen wollten.

Nur mit einiger Schwierigkeit gelang es ihnen, in dem mit Reisenden überfüllten Gasthaus Unterkommen zu finden. Die Züge und Dampfschiffe brachten[51] gegenwärtig binnen vierundzwanzig Stunden zu viele »Auswandrer«, zuweilen bis zwölfhundert, hierher. Der Stadt erwuchs daraus natürlich ein großer Nutzen, besonders der Klasse von Leuten, die sich mit der Beherbergung von Fremden befaßten und diese für unglaubliche Preise mit fast noch mehr unglaublicher Beköstigung abspeisten. Die flottierende Bevölkerung hielt sich deshalb auch nur so kurze Zeit wie möglich in Vancouvers Mauern auf, denn alle diese Abenteurer drängte es, nach den Gebieten zu gelangen, deren Goldreichtum sie anzog wie der Magnet das Eisen. Freilich mußte man auch abreisen können und sehr häufig fehlte es da an Platz auf den zahlreichen Dampfern, die auf dem Wege nach Norden hier erst eintrafen, nachdem sie schon verschiedne Hafenorte Mexikos und der Vereinigten Staaten angelaufen hatten.

Zwei Wege führten von Vancouver nach Klondike. Der eine auf dem Stillen Ozean nach Saint-Michel, wo an der Westküste Alaskas der Yukon mündet, und dann diesen Strom hinauf nach Dawson-City. Der andre, von Vancouver bis Skagway ebenfalls Seeweg, verläuft dann über Land von dieser Stadt bis zum Hauptorte von Klondike. Einen von beiden sollte nun Ben Raddle wählen.

Sobald die beiden Vettern ihr Zimmer in Beschlag genommen hatten, lautete Summy Skims allererste Frage:

»Wie lange werden wir uns denn in Vancouver aufhalten, lieber Ben?

– O, nur einige Tage, antwortete Ben Raddle. Ich denke, es wird keiner längern Zeit bedürfen, bis wir den »Foot-Ball« zu sehen bekommen.

– Was schert mich der »Foot-Ball« (wörtlich Fußball, nämlich -spiel)? erwiderte Summy Skim. Was geht uns der »Foot-Ball« an?

– Oho, das ist ein auf dem Ozean verkehrender Dampfer, der uns nach Skagway bringen soll und auf dem ich noch heute zwei Plätze für uns belegen werde.

– Du hast also deine Wahl zwischen den verschiednen Wegen nach Klondike schon getroffen?


Vancouver - Gesamtansicht.

– Da war nicht viel zu wählen, Summy. Wir nehmen den Weg, den die meisten einschlagen, und kommen da, nach einer durch vorgelagerte Inseln geschützten Seefahrt, ohne Beschwerden nach Skagway. Zur jetzigen Jahreszeit ist der Yukon noch zugefroren, und wenn Tauwetter eintritt, gehen auf ihm nicht so selten Schiffe zugrunde oder erleiden bestenfalls eine Verspätung bis zum Juli. Der »Foot-Ball« dagegen wird bis Skagway, vielleicht sogar bis [52] [55]Dyea, nicht mehr als eine Woche brauchen. Ans Land gekommen, müssen wir zwar die unwirtlichen Abhänge des Chilkoot und des White-Paß überschreiten, dann aber gelangen wir, zur Hälfte über Land und zur Hälfte über Seen hin. mühelos an den Yukon, der uns vollends nach Dawson City trägt. Meiner Schätzung nach werden wir vor dem Juni, das heißt mit Beginn der schönen Jahreszeit, am Ziele sein. Vorläufig heißt es jedoch sich gedulden und das Eintreffen des »Foot-Ball« abwarten.

– Woher kommt er denn, dein Dampfer mit dem sportlichen Namen? fragte Summy Skim.

– Eben von Skagway, denn er vermittelt eine regelmäßige Verbindung zwischen dieser Stadt und Vancouver. Man erwartet ihn spätestens am vierzehnten dieses Monats.

– Ach, erst am vierzehnten! rief Summy!

– Ei, ei, sagte Ben Raddle lachend, hast es wohl noch viel eiliger als ich?

– Ja gewiß, bestätigte Summy, denn um zurückkehren zu können, muß man doch stets erst einmal abgereist sein!«

Während ihres Aufenthaltes in Vancouver waren die beiden Vettern durch nichts Besonderes in Anspruch genommen. Ihre Ausrüstung bedurfte keiner Vervollständigung. Auch die nötigen Hilfsmittel zur Bearbeitung eines Claims brauchten sie sich nicht zu beschaffen, die fanden sie an Ort und Stelle als Nachlaß des Onkels Josias. Alle Bequemlichkeiten, die ihnen der Schnellzug der Transkontinental-Pacificbahn geboten hatte, hofften sie an Bord des »Foot-Ball« wiederzufinden. Erst in Skagway würde es Ben Raddle obliegen, sich um die weitern Beförderungsmittel nach Dawson City zu bekümmern. Dort mußte zur Fahrt über die Seen ein Boot – aber ein zerlegbares – beschafft werden, ebenso ein Hundegespann für die Schlitten, die einzigen brauchbaren Transportmittel über die vereisten Ebenen des hohen Nordens, wenn sie es nicht vorzogen, mit einem Reiseunternehmer zu verhandeln, der sich gegen angemessene Gebühr verpflichtete, sie nach Dawson City zu befördern. In beiden Fällen wurde die letzte Fahrtstrecke ziemlich kostspielig... sollten aber nicht ein Paar Pepiten (Goldklümpchen) hinreichen, diese Ausgaben und auch noch etwas darüber zu decken?

In der Stadt herrschte übrigens ein so lebhaftes Treiben und Reisende strömten hier in solcher Menge zu, daß die beiden Vettern, trotz ihres Mangels [55] an Beschäftigung, keine Langeweile verspürten. Es war geradezu merkwürdig, die Ankunft der Bahnzüge zu beobachten, gleichgültig ob sie aus der Dominion oder den Vereinigten Staaten kamen... ebenso interessant, der Ausschiffung der tausende von Passagieren zuzusehen, die die Dampfer ununterbrochen in Vane ouver ans Land setzten. Welche Unmassen von Menschen irrten hier, wo sie auf die Weiterreise nach Skagway warteten, durch die Straßen, freilich meist Leute, die sich gezwungen sahen, in allen Winkeln des Hafens oder unter den Bohlen der vom elektrischen Lichte überfluteten Kais ein Unterkommen zu suchen.

Der Polizei fehlte es inmitten der sich drängenden Menge, der es fast an allem mangelte und die sich nur durch eine Art wunderbarer Luftspiegelung von Klondike hatte heranlocken lassen, nicht an Beschäftigung. Auf Schritt und Tritt begegnete man den Hütern der öffentlichen Ordnung in ihrer braungelben Uniform, immer bereit, bei den unaufhörlichen Streitigkeiten einzugreifen, die meist mit Blutvergießen zu enden drohten.

Die Konstabler entledigten sich auch in rühmenswerter Weise ihrer oft gefährlichen, immer wenigstens schwierigen Aufgabe mit allem Eifer und dem Mute, der erforderlich war gegenüber dieser Welt von Auswandrern, in der alle sozialen Klassen – vor allem aber die unzähligen Deklassierten – rauh aneinanderstießen. Kam es den braven Männern denn gar nicht in den Sinn, daß es für sie einträglicher und daneben gefahrloser gewesen wäre, den Schlamm der Zuflüsse des Yukon auszuwaschen? Gedachten sie gar nicht mehr der fünf kanadischen Konstabler, die, fast zu Anfang der Ausbeutung Klondikes, mit zweihundert tausend Dollars in der Tasche von dort zurückgekehrt waren? Achtung vor ihrer Seelenstärke, daß sie sich nicht, wie so viele andre, hatten vom Pfade der Pflicht abdrängen lassen!

Aus der Tageszeitung erfuhr Summy Skim, daß in Klondike die Lufttemperatur im Winter nicht selten bis sechzig Grad Celsius herabsänke. Glauben konnte er das anfänglich nicht; bedenklicher machte es ihn aber doch, als er im Schaufenster eines Optikers in Vancouver mehrere Thermometer sah, deren Skala sogar bis neunzig Grad unter den Gefrierpunkt reichte. »Ach was, sagte er für sich zur Beruhigung, die Klondiker prahlen mit ihrer außerordentlichen Kälte, andre Leute sollen nur darüber staunen lernen!« Immerhin machte die Sache Summy Skim einige Sorge und schließlich drängte es ihn unwillkürlich, die Schwelle des Ladens zu überschreiten, um die schreckeinjagenden Thermometer genauer zu besichtigen.

[56] [59]Die verschiednen Modelle, die der Händler ihm vorlegte, waren alle nicht nach der im Vereinigten Königreiche angenommenen Fahrenheitschen Skala, sondern nach der hundertteiligen, nach Celsius, eingeteilt, die in der Dominion – wo noch etwas von der Franzosenzeit nachwirkte – allgemein eingeführt war.


Equipierungsmagazin der Prospektolen.

Zum eignen Leidwesen mußte Summy Skim sich dabei überzeugen, daß er sich vorher nicht getäuscht hatte. Die Thermometer waren tatsächlich alle für so unglaublich niedrige Temperaturen eingerichtet.

»Sind denn diese Thermometer auch mit der nötigen Sorgfalt hergestellt? fragte Summy Skim, nur um etwas zu sagen.

– Gewiß, mein Herr, versicherte der Optiker. Sie werden nichts daran auszusetzen finden.

– Auch nicht an einem Tage, wo sie sechzig Grad unter Null anzeigen? fuhr Summy Skim ernsthaft fort.

– Nein, erwiderte der Händler, das Wichtigste ist es doch, daß sie immer richtig zeigen.

– Ja freilich, darauf kommt es vor allem an. Doch gestehen Sie mir's nur, werter Herr, es ist wohl nur eine Art Reklame, daß Sie solche Wärmemesser im Schaufenster ausstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in Wirklichkeit...

– O doch... doch!

– die Quecksilbersäule bis auf sechzig Grad unter Null sänke. 1

– Das kommt ziemlich häufig vor, mein Herr, belehrte ihn der Händler eifrig, ja, ziemlich häufig; zuweilen sinkt sie noch weiter.

– Noch weiter!

– Warum nicht? meinte der Kaufmann, der das mit einer gewissen Selbstbefriedigung einwarf. Wünschen Sie vielleicht aber ein Instrument, das bis hundert Grad unter den Gefrierpunkt hinabreicht...

– Nein nein, ich danke bestens, unterbrach ihn Summy Skim erschrocken. Sechzig Grad erscheinen mir schon mehr als genug!«

Wozu hätte ein solcher Einkauf auch dienen sollen? Wenn die Augen durch den schneidenden Nordwind unter den Lidern wie verbrannt sind, wenn die ausgeatmete Luft in der Form von Schneeflocken niedersinkt, das halb vereiste Blut [59] in den Adern zu erstarren droht, wenn man keinen metallenen Gegenstand berühren kann, ohne die Haut der Finger darauf zurückzulassen, und wenn man selbst noch vor dem loderndsten Feuer friert, als hätten die Flammen ihre Wärme verloren, da hat's doch wahrlich kein Interesse mehr, zu wissen, ob die Kälte, die einen tötet, sechzig oder hundert Grad erreicht hat.

Inzwischen verflossen die Tage und bei Ben Raddle machte sich einige Ungeduld bemerkbar. Sollte der »Foot-Ball« auf dem Meere eine Verzögerung erfahren haben? Es war bekannt, daß er Skagway am 7. April verlassen hatte. Die Fahrt hierher beanspruchte aber nur sechs Tage und er hätte am 13. vor Vancouver in Sicht sein sollen.

Der zum Transporte der Auswandrer und ihres Gepäcks, mit Ausschluß jedes Frachtgutes, bestimmte Dampfer hielt sich ja hier nur sehr kurze Zeit auf. Vierundzwanzig, höchstens sechsunddreißig Stunden genügten für die Reinigung der Kessel, zur Einnahme von Kohlen und Trinkwasser und daneben für die Einschiffung einiger hundert Passagiere, die sich ihre Plätze schon vorher gesichert hatten.

Alle, die das zu tun versäumt hatten, mußten einfach auf andre Dampfschiffe warten, die erst nach dem »Foot-Ball« eintrafen, und da die Hotels und die Gasthäuser Vancouvers zur Aufnahme einer solchen Menschenmenge nicht ausreichten, sahen sich oft ganze Familien genötigt, unter freiem Himmel zu nächtigen.

Und doch: was waren die jetzigen Unbilden gegen die, die ihrer in der Zukunft harrten!

Die meisten dieser armen Leute fanden ja auch kaum mehr Behaglichkeit auf den Dampfbooten, die sie von Vancouver nach Skagway bringen sollten, wo dann für sie die fast endlose, schreckliche Reise begann, die sie endlich nach Dawson City führte. Die Kabinen des Vorder- und Hinterdecks entsprechen schon kaum den Anforderungen der vermögenden Passagiere, das Zwischendeck aber nimmt die Familien auf, die sich darin für sechs bis sieben Reisetage zusammenpferchen und obendrein für alle ihre Bedürfnisse selbst sorgen müssen. Die Mehrzahl solcher schickt sich außerdem darein, im Frachtraume gleich Tieren oder Gepäckstücken fast eingesperrt zu sein, und tatsächlich ist das immer noch besser, als etwa auf dem Verdeck alle Witterungsunbill, jeden eisigen Windstoß oder die in den dem Polarkreise so nahe liegenden Gegenden so häufigen Schneestürme aushalten zu müssen.

[60] Vancouver war übrigens nicht allein von den aus allen Teilen der Alten und der Neuen Welt herzuströmenden Auswandrern überfüllt, es kamen dazu viel mehr noch hunderte von Goldgräbern, die es vorgezogen hatten, für die schlechte Jahreszeit der Eiswüste um Dawson City zu entfliehen.

Im Winter ist ja jede weitere Ausbeutung der Claims unmöglich; alle Arbeiten werden endgültig unterbrochen, wenn zehn bis zwölf Fuß hoher Schnee den Erdboden bedeckt, wenn auf den dicken Bodenschichten, die bei vierzig bis fünfzig Grad Kälte granithart geworden sind, Spitzhaue und Axt wie Glas zersplittern. Deshalb ziehen es die Prospektoren, die es irgend können, die, denen das Glück nur einigermaßen gelächelt hatte, immer vor, zeitweise nach den bedeutenderen Städten Kolumbiens zurückzukehren. Diese Flüchtlinge haben Gold auszugeben und sie geben es auch in so sorgloser Verschwendung aus, daß man sich davon kaum eine Vorstellung machen kann. Sie trösten sich mit dem Gedanken, daß das Glück ihnen nicht untreu werden könne, daß die nächste Saison wieder ertragreich sein werde, daß neue Lagerstätten entdeckt werden und ihnen die Goldklümpchen haufenweise in die Hände fallen würden. Diese Leichtsinnigen bewohnen in den Hotels die besten Zimmer und nehmen auf den Dampfbooten die besten Kabinen in Anspruch.

Summy Skim hatte bald die Erfahrung gemacht, daß zu dieser Sorte von Goldsuchern die lärmendsten, prahlerischsten und gewalttätigsten Patrone gehörten, die vor keiner Ausschreitung in den verrufensten Schenken und in den Kasinos zurückschreckten, wo sie, die Hände voll Gold, die Herren spielten.

Im Grunde machte sich der brave Summy Skim über diese Rotte jedoch keinen besondern Kummer. In der – freilich vielleicht irrigen – Voraussetzung, daß er niemals mit einem dieser rohen Abenteurer etwas zu schaffen haben könne, hörte er nur mit halbem Ohre auf das, was sich die Leute über jene Burschen erzählten, und bald dachte er daran überhaupt gar nicht mehr.

Am Vormittage des 14. April lustwandelte er mit Ben Raddle auf dem Kai, als sich plötzlich die Heulpfeife eines Dampfers vernehmen ließ.

»Sollte das endlich der »Foot-Ball« sein? rief Summy.

– Das glaube ich nicht, antwortete Ben Raddle. Das Pfeifen tönt von Süden her, der »Foot-Ball« muß dagegen von Norden her kommen.«

Wirklich handelte es sich hier auch um einen Dampfer, der sich Vancouver auf dem Wege durch die Juan de la Fucastraße näherte und der also nicht von Skagway kommen konnte.

[61] Da Ben Raddle und Summy Skim eben nichts Besseres zu tun hatten, schlenderten sie durch eine dichte Menschenmenge, wie sie das Eintreffen eines Dampfschiffes immer herbeilockt, dem Ende der Hafenmole zu. Hier sollten sich mehrere hundert Passagiere ausschiffen, die alle annahmen, daß sie bald mit einem nach dem Norden abgehenden Dampfer weiterreisen könnten, ein Umstand, der immerhin ein interessantes Schauspiel zu bieten versprach.

Das Schiff, das seine Einfahrt durch ein ohrzerreißendes Pfeifen anmeldete, war der »Smyth«, ein Fahrzeug von zweitausendfünfhundert Tonnen, und hatte vom amerikanischen Acapulco aus alle Häfen der Küste angelaufen. Ausschließlich für den Küstendienst bestimmt, sollte es wieder nach dem Süden zu umkehren, sobald es in Vancouver seine Passagiere gelandet hatte, die die hier herrschende Überfüllung noch verschlimmern mußten.

Kaum lag der Landgang zwischen dem »Smyth« und der Mole, als sich seine lebende Fracht auch schon dem schmalen Ausgange zudrängte. In einem Augenblicke war der schrecklichste Wirrwarr fertig und Menschen und Gepäckstücke so zusammengeklemmt, daß keines davon aus dem Knäuel herauskommen zu können schien.

Das paßte aber offenbar nicht einem der Passagiere, der sich ganz wütend gebärdete, nur um als erster ans Land zu gelangen. Jedenfalls war das einer, der die Verhältnisse kannte und wußte, wie wichtig es war, sich im Bureau für die Fahrten nach Norden vor den andern einschreiben zu lassen. Es war ein großgewachsener, brutaler und kräftiger Bursche mit schwarzem, dichtem Barte, dem bräunlichen Teint der Südländer, mit starrem Blicke, schroffen Gesichtszügen und abstoßendem Auftreten. Ihn begleitete ein andrer Passagier, der äußern Erscheinung nach von derselben Nationalität, der ebenso ungeduldig und selbstsüchtig wie er zu sein schien.

Die andern Personen auf dem Schiffe hatten es wahrscheinlich nicht weniger eilig als er. Keiner konnte ihm jedoch zuvorkommen, diesem halb Besessenen, der, mit den Ellbogen fechtend, sich weder um die Zurufe der Schiffsoffiziere noch um die Befehle des Kapitäns kümmerte, sondern seine Nachbarn zurückstieß und sie mit einer rauhen Stimme insultierte, die das Verletzende seiner halb englisch und halb spanisch hervorgestoßenen Beleidigungen noch vermehrte.

»By God, rief Summy Skim, das wäre ja ein angenehmer Reisegefährte, wenn der Kerl an Bord des »Foot-Ball« Passage nähme...

[62] – Ei was da, es wäre ja doch nur für wenige Tage, bemerkte darauf Ben Raddle, und wir werden uns wohl von ihm und ihn von uns fernzuhalten wissen.«

Da rief gerade einer der müßigen Zuschauer dicht bei den beiden Vettern:

»Alle Teufel, das ist ja der verwünschte Hunter! Na, wenn der nicht noch heute aus Vancouver weiter zieht, wird's diesen Abend in den Schenken einen hübschen Spektakel geben!

– Da siehst du, Ben, raunte Summy seinem Vetter zu, ich hatte mich nicht getäuscht. Der wütende Bursche da ist hier schon eine Berühmtheit.

– Ja ja, stimmte ihm Ben zu, der scheint hier sehr bekannt zu sein...

– Und nicht zu seinem Vorteil!

– Ohne Zweifel, fuhr Ben Raddle fort, einer von den Abenteurern, die die schlechte Jahreszeit in Amerika zubringen und mit dem Eintritte günstigerer Witterung nach Klondike zurückkehren, um dort während einer neuen Kampagne nach Gold zu angeln.«

Hunter kam in der Tat aus Texas, seiner Heimat, und wenn sein Begleiter und er heute in Vancouver eintrafen, hatten sie die Absicht, ihre Fahrt nach Norden mit dem ersten dahingehenden Dampfschiffe fortzusetzen. Die beiden Burschen – spanisch-amerikanische Mestizen – fanden in der so gemischten Gesellschaft der Goldsucher gerade die Lebensverhältnisse, die ihren rohen Neigungen, ihren verlotterten Sitten, ihren brutalen Leidenschaften und ihrem Geschmack an einer ungeregelten, nur vom Zufall bestimmten Lebensweise am meisten zusagten.

Als Hunter gehört hatte, daß der »Foot-Ball« noch nicht eingetroffen wäre und vor Verlauf von sechsunddreißig oder achtundvierzig Stunden nicht wieder abfahren könnte, ließ er sich nach dem Westminster-Hotel führen, wo die beiden Vettern sechs Tage vorher abgestiegen waren. Als Summy in die Vorhalle des Hotels eintrat, stand er dem Ankömmling unerwartet Auge in Auge gegenüber.

»Na, das ist der beste Bursche sicherlich nicht,« murmelte er für sich hin.


Keiner konnte ihm jedoch zuvorkommen... (S. 62.)

Vergeblich war sein Bemühen, den unangenehmen Eindruck zu besiegen, den das Zusammentreffen mit dieser finstern Persönlichkeit auf ihn gemacht hatte. So viel er sich auch sagte, daß dieser Hunter und er inmitten des riesigen Gewimmels von Auswandrern schwerlich die Aussicht hätten, einander wieder vor Augen zu kommen, so verließ ihn dieser Gedanke doch nicht gänzlich. Fast [63] unbewußt und nur als triebe ihn eine dunkle Ahnung dazu an, wandte er sich zwei Stunden später an das Bureau des Hotels, um einige Aufklärung über den Neuangekommenen zu erhalten.

»Hunter? erhielt er auf seine erste Frage zur Antwort, wer sollte den nicht kennen.

– Ist er Besitzer eines Claims?

– Jawohl; eines Claims, den er selbst ausbeutet.

– Und wo liegt dieser Claim?

[64] [67]– Natürlich in Klondike.

– Nein, ich meine, in welcher Gegend dort?

– Am Forty Miles River.

– Am Forty Miles River! wiederholte Summy verwundert. Das ist wahrhaftig merkwürdig!... Schade, daß ich die Nummer seines Claims wohl nicht erfahren kann. Ich möchte wetten...

– O, diese Nummer, fiel ihm der Hotelbeamte ins Wort, die kann Ihnen in Vancouver jeder Junge auf der Straße nennen.

– Nun... welche ist es denn?


An Bord drängten sich alle durcheinander.. (S. 68.)

– Nummer 131.

– Tod und Teufel! rief Summy ganz außer sich. Und wir haben die Nummer 129. Wir sind die Nachbarn dieses prächtigen Herrn. Na, das kann ja hübsch werden!«

Ja, etwas Bessres wußte Summy Skim nicht zu sagen.

Fußnoten

1 Das kann sie in der Tat auch nicht; der Autor hat hier übersehen, daß das Quecksilber schon zwischen 39 und 40° C erstarrt. (Anm. des Übers.)

5. Kapitel
Fünftes Kapitel.
An Bord des »Foot-Ball«.

Mit achtundvierzig Stunden Verspätung stach der »Foot-Ball« am 16. April in See. Daß der zwölfhundert Tonnen messende Dampfer nicht mehr Passagiere als Tonnen zählte, lag daran, daß der Hafenmeister sein Veto dagegen eingelegt hatte.

Seine durch den roten Kreis am Rumpfe kenntlich gemachte Schwimmlinie lag überdies schon etwas tiefer, als es eigentlich gesetzlich zulässig war.

Im Laufe von vierundzwanzig Stunden hatten die Krane am Kai unzählige Packen der Auswandrer an Bord geschafft, meist schwere Hilfswerkzeuge für den Grubenbetrieb, daneben aber auch noch eine vielköpfige Herde von Rindern, Pferden, Eseln und Renntieren, ohne von mehreren hunderten Bernhardiner-und Eskimohunden zu reden, die bei der Fahrt über das Seengebiet als Schlittengespanne dienen sollten.

[67] Unter den Passagieren des »Foot-Ball« waren alle Nationen vertreten: Engländer, Kanadier, Franzosen, Norweger, Schweden, Deutsche, Australier, Süd- und Nordamerikaner, die einen gleich mit Familie, andre allein.

An Bord drängten sich alle durcheinander... ein lebendes Bild buntester Unordnung.

In den Kabinen hatte man mehr Lagerstätten als sonst – statt deren zwei gleich drei bis vier – aufgebaut. Das Zwischendeck bot das Bild eines mächtigen Schlafsaales mit langen Reihen fester Gestelle, zwischen denen noch Hängematten angebracht waren. Auf dem Verdeck war der Verkehr arg behindert, die armen Teufel, die sich keinen Kabinenplatz – der kostete fünfunddreißig Dollars – leisten konnten oder keinen solchen mehr erhalten hatten, lagerten hier längs der Windfangwände, der Treppenkappen und an der Schanzkleidung. Hier bereiteten sie auch ihre dürftigen Mahlzeiten, machten Toilette und besorgten ihren »Haushalt« vor den Augen aller andern.

Ben Raddle hatte zwei Plätze in einer der Kabinen des Hinterdecks belegen können, die aber noch einen dritten, von einem Norweger eingenommenen Platz enthielt. Royen, so hieß der Schlafgenosse, besaß einen Claim an der Bonanza, einem der Nebenflüsse des Klondike. Ein friedfertiger und sanftmütiger Mann, war er doch klug und unternehmend, wie man das so häufig bei Skandinaviern findet, die ihre Erfolge der Zähigkeit einer langsamen Bemühung verdanken. In Christiania einheimisch, kehrte er, nachdem er den Winter in seiner Vaterstadt zugebracht hatte, jetzt nach Dawson City zurück... ein wenig mitteilsamer, doch auch wenig belästigender Reisegefährte.

Ein Glück für die beiden Vettern war es, daß sie ihre Kabine nicht mit dem Texaner Hunter zu teilen hatten, das wäre jedoch, selbst wenn sie es gewollt hätten, unmöglich gewesen. Hunter hatte die Dollars nicht ängstlich angesehen und dadurch hatte er es erreicht, allein mit seinem Begleiter eine Kabine mit vier Plätzen benützen zu können.

Vergeblich hatten mehrere andre Reisende versucht, die protzigen Männer zu bewegen, ihnen die beiden noch freien Plätze zu überlassen; eine grobe Abweisung war alles, was sie dabei erreichten.

Es lag auf der Hand, daß Hunter und Malone – so nannte sich des Texaners getreuer Akoluth – nicht aufs Geld sahen. Was sie durch die Ausbeutung ihres Claims zusammenrafften, das gaben sie auch in törichter Verschwendung wieder aus und warfen es, eine Handvoll nach der andern, unbedacht [68] auf die Baccarat- oder die Pockerlische. Ohne Zweifel verbrachten sie auch während der Reise die meiste Zeit im Spielsalon des »Foot-Ball«.

Seit sechs Uhr aus dem Hafen und der Bai von Vancouver ausgelaufen, steuerte der »Foot-Ball« durch den Kanal dessen nördlichem Ausgange zu. Von da aus hatte er, vielfach unter dem Schutze der Königin Charlotte- und der Prinz von Wales-Inseln, nur in geringer Entfernung von der amerikanischen Küste hinzudampfen.

Im Laufe der sechs Tage, die die Fahrt dauerte, konnten die Passagiere des Hinterteils das ihnen vorbehaltene Oberdeck kaum verlassen. Wollten sie sich etwa eine Abwechslung verschaffen, so konnten sie doch jedenfalls nicht nach dem Hauptdecke hinuntergehen, denn das war bedeckt von den Pferchen, worin die Tiere, Rinder, Pferde, Esel und Renntiere eingeschlossen waren, und dazu kam die überall umherlaufende Meute von Hunden, die sich auch zwischen bejammernswerten Gruppen von zwar noch jungen, doch vom Elend schon ausgemergelten Leuten und von erschöpften Frauen mit kränklichen Kindern hindurchdrängten.

Diese Menschen wanderten nicht etwa aus, einen Erzlagerplatz zum eignen Nutzen auszubeuten, sie wollten vielmehr ihre schwache Arbeitskraft den Syndikaten anbieten, um deren Dienste sie sich noch stritten.

»Nun ja, begann Summy Skim, als der Dampfer von der Reede hinausglitt, du hast's gewollt, Ben! Nun sind wir wirklich auf dem Wege nach einem Eldorado. Auch wir gehören dazu, zu diesem Haufen von Goldsuchern, die mir einen nicht gerade vertrauenswürdigen Eindruck machen.

– Ja, was könntest du andres erwarten, lieber Summy? antwortete Ben Raddle. Man muß die Dinge eben hinnehmen, wie sie kommen.

– Ich möchte am liebsten gar nichts dergleichen hinzunehmen haben, erwiderte Summy. Was zum Teufel, Ben! Wir sind doch Leute andern Schlages als die da unten. Wir haben wohl einen Claim geerbt... zugegeben! Der Claim mag auch mit Goldklümpchen gewürzt sein... auch das will ich glauben, beides zwingt uns aber doch nicht, selbst zu Goldsuchern zu werden.

– Natürlich nicht,« antwortete Ben Raddle mit einer leichten Schulterbewegung, die Summy Skim kaum über die Bedeutung der Antwort beruhigte. So nahm er denn gleich wieder das Wort.

»Wir gehen nach Klondike, den Claim unsers Onkels Josias zu verkaufen, das war doch ausgemacht; nicht wahr?... Herr mein Gott! Wenn das nicht [69] wäre, wie könnten wir sonst die Instinkte, die Leidenschaften und Sitten dieser Rotte von Abenteurern auch nur kurze Zeit ertragen!

– Nimm dich in acht, ermahnte ihn Ben Raddle scherzend, du schlägst bald einen Predigerton an!

– Warum sollte ich das nicht, Ben? Ja, es empört mich aufs tiefste, hier den unersättlichen Durst nach Gold, die abscheuliche Gier nach Schätzen zu sehen, die die Leute selbst vor so vielem Elend nicht zurückschrecken läßt. Ein Hasardspiel ist es, weiter nichts, ein Wettrennen nach dem großen Lose, nach dem dicksten Goldklumpen!... Ach, wenn ich daran denke, daß ich doch jetzt, statt an Bord dieses Dampfbootes nach rätselhafter Gegend zu schwimmen, in Montreal sein sollte, freudig beschäftigt mit den Vorbereitungen für meinen Sommeraufenthalt im prächtigen Green-Valley!

– Du hast mir versprochen, dich nicht mehr zu beklagen, Summy.

– Ja, ja, Ben, das war auch das letzte Mal. Von nun an denke ich nur noch daran...

– Nach Dawson City zu kommen? fragte Ben Raddle mit leichter Ironie.

– Von da zurückzukehren, Ben, zurückzukehren, so bald wie möglich!« antwortete Summy Skim offenherzig.

Solange der »Foot-Ball« noch im Kanale dahinglitt, hatten die Passagiere vom Meere nichts zu leiden, da sich bisher kaum ein schwaches Schlingern bemerkbar gemacht hatte. Als das Paketboot aber die äußerste Spitze der Insel Vancouver passiert hatte, war es dem Seegange des offnen Meeres ausgesetzt.

Das Wetter war kalt und es wehte ein ziemlich heftiger, rauher Wind. Hohe Wellen rollten schäumend über den Strand des kolumbischen Ufers hinaus. Einzelne Windstöße brachten starke, mit Schneefall gemischte Regengüsse und natürlich hatten die meist auch von der Seekrankheit ergriffnen Deckpassagiere darunter schwer zu leiden. Auch den Tieren ging es nicht viel besser. Das Pfeifen des Windes wurde zu weilen noch von einem vielstimmigen Brüllen, Wiehern und Blöken übertönt. Längs der Deckbauten tummelten oder wälzten sich die Hunde, die man nicht hatte einsperren oder an einer Leine festhalten können. Einzelne davon waren wirklich wütend geworden, stürzten sich auf die Passagiere, sprangen ihnen an die Kehle und suchten sie zu beißen, so daß der Oberbootsmann schon einige hatte mit Revolverschüssen töten müssen.

[70] Inzwischen weilten der Texaner Hunter und sein Kamerad Malone in Gesellschaft einer gleich am ersten Tage zusammengetrommelten Rotte von Spielern am Roulette- und am Pharaotische. Aus dem zur Spelunke entwürdigten Spielsalon drangen Tag und Nacht wüstes Geschrei und wilde Flüche.

Ben Raddle und Summy Skim trotzten hartnäckig dem häßlichen Wetter. Immer eifrige Beobachter, verließen sie tagsüber niemals das Oberdeck und zogen sich erst mit Anbruch der Nacht in ihre Kabine zurück. Sie wurden nicht müde, das Schauspiel zu betrachten, das ihnen sowohl das Hauptdeck mit seinem Gewimmel bot, als auch das Oberdeck, wo die verschiedensten, vielleicht weniger pittoresken, dafür aber mehr charakteristischen Erscheinungen, die meisten Angehörige einer der der Abenteurer unter ihnen weit überlegnen Gesellschaftsklasse, einander kreuzten.

Gleich in den ersten Stunden der Fahrt waren ihnen zwei Passagiere – zwei weibliche Reisende – unwillkürlich ins Auge gefallen, die von der sie umgebenden elenden Menge grell abstachen: zwei junge Frauen von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, richtiger zwei junge Mädchen, einer gewissen Familienähnlichkeit nach zu urteilen wahrscheinlich ein Paar Schwestern, die, die eine braun, die andre blond, beide übrigens recht hübsch waren.

Sie wichen niemals voneinander. Stets sah man die Blonde an der Seite der Braunen, die so etwas wie die Führerin der andern zu sein schien. Beide ergingen sich des Morgens zusammen ein wenig auf dem Oberdeck und wagten sich dann hinunter auf das Hauptdeck mitten unter dessen ärmliche Gesellschaft, wobei sie bei den Frauen Halt machten, die ihre Familie bei sich hatten, und denen sie oft derartige Dienste leisteten, zu denen Männer ganz unfähig sind.

Gar oft hatten Ben und Summy von der Brüstung des Oberdecks aus solche rührende Auftritte mit angesehen, was ihr Interesse für die jungen Mädchen nur steigern konnte. Diese bewahrten in ihrem Verhalten aber stets eine so würdige Zurückhaltung, eine so ungezwungene Vornehmheit, daß es keiner der heimatlosen Leute, mit denen sie jeden Augenblick in Berührung kamen, gewagt hätte, ihnen den gebührenden Respekt zu verweigern.

Was machte das junge, reizende Paar aber überhaupt hier an Bord des »Foot-Ball«? Diese Frage legten sich die beiden Vettern vor, ohne sie beantworten zu können, und allmählich gesellte sich zu ihrem teilnehmenden Interesse noch eine wachsende Neugier.

[71] Übrigens war es gar nicht zu verkennen, daß die beiden jungen Mädchen unter ihren Reisegefährten auch noch andre Bewundrer gefunden hatten. Mindestens waren es zwei, die ihnen eine besondre Aufmerksamkeit widmeten, und diese zwei waren keine andern als der Texaner Hunter und der ihm blindlings folgende Malone. Allemal, wenn sie sich vom Spieltische losrissen, um auf dem Oberdeck hastig etwas frische Luft einzuatmen, lieferten sie dafür neue Beweise. Da stießen sie abwechselnd einander mit den Ellbogen, tauschten verletzende Blicke und mit kaum verhaltner, verständlicher Stimme mehr oder weniger beleidigende Bemerkungen aus, während sie zudringlich die beiden Schwestern umkreisten, die die beiden Männer übrigens gar nicht zu beachten oder kaum zu sehen schienen.

Oft genug hatten Ben Raddle und Summy Skim einen derartigen Auftritt beobachtet und das Verlangen gespürt, ihm durch ihr Dazwischentreten ein Ende zu machen. Und doch fühlten sie sich dazu nicht berechtigt. Alles in allem überschritten Hunter und Malone nicht die in ihren Kreisen jedenfalls zulässigen Grenzen und die, denen sie sich auf so unfeine Weise näherten, hatten auch noch keine Hilfe verlangt.

Die beiden Vettern beschränkten sich also darauf, ihre zukünftigen Nachbarn am Forty Miles Creek aus der Ferne im Auge zu behalten, sie wünschten jedoch immer dringender eine Gelegenheit herbei, die Bekanntschaft der reisenden jungen Damen machen zu können.


Ansicht von Fort Wrangel.

Dazu sollte es aber erst am vierten Tage der Fahrt kommen. Im Schutze der Königin Charlotte-Insel dampfte der »Foot-Ball« auf einer Wasserfläche, die vom Wogengange des offnen Meeres unbelästigt blieb, unter minder ungünstigen Verhältnissen dahin. Am Lande folgten einander denen der norwegischen Küste ähnliche Fjorde, die bei dem Kabinengenossen Summy Skims und Ben Raddles wohl tausend Erinnerungen wachrufen mochten. Rings um diese starrten zum größten Teile bewaldete Felsen empor und dazwischen erschienen, wenn auch nicht Dörfer, doch Gruppen von Fischerhütten und da und dort ein vereinzeltes Häuschen, dessen indianische Bewohner sich durch Jagd und Fischfang ernährten. Wenn der »Foot-Ball« an solchen Stellen beidrehte, kamen sie, ihre Beute zu verkaufen, und fanden auf dem Schiffe auch willige Abnehmer.

Während weit hinter den Uferfelsen die Häupter höherer Berge mit schneebedecktem Gipfel über eine Nebelschicht hinausragten, sah man auf der andern Seite, auf der Charlotte-Insel, nichts als ausgedehnte Ebenen oder dichte, mit [72] [75]glitzerndem Reif überdeckte Waldungen. Auch hier zeigten sich stellenweise kleine Anhäufungen von Hütten, gewöhnlich am Strande enger Buchten, wo die Fischerboote auf günstigen Wind warteten.

Als der »Foot-Ball« eben die äußerste Spitze der Königin Charlotte-Insel erreichte, traten die beiden Vettern zum erstenmal unmittelbar in Beziehung zu den reisenden Damen, den Gegenständen ihrer teilnehmenden Aufmerksamkeit. Das geschah in recht gewöhnlicher Weise bei Gelegenheit einer Einsammlung, die jene zugunsten einer bedauernswerten Frau veranstaltet hatten, welche an Bord des Paketbootes einem übrigens recht kräftigen und wohlgebildeten Knaben das Leben geschenkt hatte.

In Begleitung ihrer blonden Gefährtin kam das brünette junge Mädchen mit bittend ausgestreckter Hand auch zu Ben und Summy mit demselben Gesuche, das sie an die andern Passagiere gerichtet hatte. Nach Einhändigung eines anständigen Beitrags knüpfte nun Ben Raddle aber ohne Umschweife ein Gespräch an und erhielt dabei willig alle ihm erwünschten Aufklärungen. Sehr bald hatte er erfahren, daß die beiden Damen nicht Schwestern, sondern leibliche Basen wären, die bis auf wenige Tage in gleichem Alter standen, sowie daß ihr Familienname Edgerton lautete und daß die Blondine Edith und die Brünette Jane hieße. Diese Mitteilungen hatte ihm Jane ohne alles Zögern und ohne die geringste Verlegenheit mit kurzen und klaren Worten gemacht, nachher war sie jedoch fortgegangen, und ihre Cousine, die kein Wort geäußert hatte, folgte ihr auf dem Fuße nach.

Durch die kurzen Erklärungen war freilich die Neugier Bens und Summys noch keineswegs gestillt, im Gegenteil erweiterte sich dadurch nur das Feld ihrer Mutmaßungen. Edgerton, das war der Name eines Brüderpaares, das sich seinerzeit einer panamerikanischen Berühmtheit erfreut hatte. Waghalsige Geschäftsleute, die sie waren, hatten sie lange Zeit ein ungeheures, durch eine kühne Spekulation binnen wenigen Stunden erworbenes Vermögen besessen. Dem Reichtum war aber durch den Schlag urplötzlichen Mißgeschicks der Ruin gefolgt und die beiden Brüder waren darauf in der namenlosen Menge verschwunden, die ja schon so viele verschlungen hat und auch später ebenso verschlingen wird. Hatten die beiden jungen Passagiere nun etwas gemein mit den einstigen Milliardären?

Auf diese Frage eine Antwort zu erhalten, war jetzt das einfachste Ding der Welt. Das Eis war nun einmal gebrochen und in der Nähe des Polarkreises [75] bindet man sich nicht engherzig an die gesellschaftliche Etikette der großen Welt. Kaum eine Stunde nach dem ersten Zusammentreffen trat Ben Raddle an Jane heran und nahm seine Erkundigungen wieder auf, indem er die junge Dame ohne Scheu unmittelbar ausfragte.

Die Antworten ließen nicht auf sich warten. Ja, Edith und Jane waren die Töchter der beiden »Baumwollkönige«, wie man ihre Väter früher genannt hatte. Zweiundzwanzig Jahre alt und des geringsten Bißchens Gold, das diese mit Scheffeln gemessen hatten, beraubt, standen sie jetzt ohne Angehörige, ein Paar Waisen, allein in der Welt, da ihre Mütter schon längst gestorben und die beiden Brüder Edgerton gerade heute vor sechs Monaten bei einem Eisenbahnunfall ums Leben gekommen waren.

Während Ben seine Fragen stellte und Jane darauf antwortete, beobachteten Edith und Summy ein tiefes Schweigen. Vielleicht etwas schüchterner und jedenfalls weniger entschlossen, bildete die eine wie der andre eine Art Pendant zu jedem der beiden Wortführer.

»Erscheint es Ihnen indiskret, Miß Edgerton, fuhr Ben Raddle weiter fort, wenn ich Ihnen das Erstaunen verrate, das wir, mein Vetter und ich, empfanden, Sie an Bord des »Foot-Ball« zu sehen, und wenn ich Sie deshalb frage, warum Sie diese lange und so beschwerliche Reise unternommen haben?

– Keineswegs, versicherte Jane ohne Bedenken. Ein alter Arzt meines Onkels, der Doktor Pilcox, der kürzlich zum Direktor des Krankenhauses in Dawson City ernannt worden ist, hat meiner Cousine Edith eine Stelle als Kranken pflegerin angeboten und das hat sie sofort angenommen und die Reise dahin ohne Zögern angetreten.

– Nach Dawson City?

– Ja ja, nach Dawson City.«

Die Blicke der beiden Vettern, der Ben Raddles ruhig wie immer, der Summy Skims von aufkeimendem Erstaunen etwas erregt, richteten sich auf die blonde Edith, die sie auf sich ruhen ließ, ohne die geringste Verwirrung zu zeigen. Sie gönnte ihnen das Vergnügen, sie unverwandt zu betrachten, und je mehr der eine der beiden Herren sich über alle Nebenumstände erkundigte, desto weniger unvernünftig erschien ihr kühnes Unternehmen. Allmählich erkannten die Vettern klarer die Seele, die sich hinter diesen zarten Zügen verbarg. Offenbar war Edith von ihrer Cousine verschieden. Sie hatte nicht deren [76] mutigen Blick, deren knappe Sprechweise und entschlossenes, fast befehlerisches Auftreten. Ein aufmerksamer Beobachter hätte aber bald erkannt, daß sie der Base an ruhiger Energie und festem Willen wohl gleichkam. Die beiden Naturen waren aus demselben Stoff geknetet, die eine nur mehr und fester als die andre. Wenn aus der einen Entschiedenheit und Tatendrang sprach, zeugte bei der andern alles für gute Ordnung und Methode. Wenn man diese glatte, ein wenig viereckige Stirn sah und die blauen Augen voll leuchtender Intelligenz, erriet man auch, daß alle neuen Eindrücke sich in ihr selbsttätig gleichsam in gewisse, richtig etikettierte Kästen einordnen müßten, woraus Edith Edgerton sie bei Bedarf nach Belieben und ohne erst danach zu suchen hervorholen konnte, wie sie es mit allem in einer Kommode getan hätte, und man mußte also zugestehen, daß ihr die Eigenschaften eines vorzüglichen Ordners zu eigen waren. Ohne Zweifel erfreute sie sich eines hervorragenden Verwaltungstalentes, dieses junge Mädchen, und man konnte sich darauf verlassen, daß sie dem Krankenhause in Dawson City die segensreichsten Dienste leisten werde.

»All right! rief Ben Raddle, ohne die mindeste Verwunderung zu zeigen. Doch Sie selbst, Miß Jane, denken Sie sich ebenfalls der Liebestätigkeit zur Linderung menschlicher Leiden zu widmen?

– Ach... ich, antwortete Jane lächelnd, ich bin nicht so gut daran wie Edith, mir steht keinerlei gesellschaftliche Stellung offen. Da mich nun nichts mehr im Süden zurückhielt, habe ich es vorgezogen, mein Glück im Norden zu suchen... das ist alles.

– Und was denken Euer Gnaden da zu beginnen?

– Du lieber Himmel, erklärte Jane gelassen, das, was alle tun: ich werde auch nach Gold schürfen.

– Oho!« entfuhr es Summy unwillkürlich.

Der Wahrheit zur Ehre müssen wir sagen, daß Ben Raddle all seiner Selbstbeherrschung bedurfte, es seinem Vetter nicht gleichzutun und seinem Grundsatze treu zu bleiben, wonach ein Mann, der diesen Namen verdienen wollte, nie und über nichts erstaunen dürfte. Gold suchen... dieses zarte, junge Ding!

Das »zarte, junge Ding« hatte sich inzwischen, beleidigt durch Summy Skims unglücklichen Zwischenruf, nach Bens Vetter umgedreht.

»Was ist daran so Wunderbares? fragte sie mit etwas streitbarem Ausdruck.

[77] – Aber... Miß Jane... stammelte der gute Summy, der sich noch kaum von seinem Erstaunen erholt hatte, nein... das können Sie doch nicht beabsichtigen... Sie... eine Frau!

– Ich bitte Sie, werter Herr, warum soll eine Frau nicht dasselbe tun können wie zum Beispiel Sie? entgegnete Jane, ohne sich dabei zu erregen.

– Ich? protestierte Summy. Mir fällt's ja gar nicht ein, Goldgräber zu werden. Wenn ich auch Mitbesitzer eines Claims und jetzt auf der Reise nach jenem verwünschten Lande bin, so geschieht das sehr gegen meinen Willen, das können Sie mir getrost glauben. Ich habe nur das Verlangen, von dort so schnell wie möglich zurückzukehren.

– Nun ja, das mag ja sein, gab Jane mit leiser Geringschätzung im Tone zu. Sie sind hier aber nicht allein. Was Ihnen Schrecken einflößt, das tun doch tausende andre. Weshalb sollte es ein Weib nicht auch tun?

– Eine Dame! stotterte Summy von neuem. Mir scheint doch... nun ja, die Kraft... die Gesundheit... wenn nichts andres, Sapperment, schon die Kleidung sollte...

– Die Gesundheit, unterbrach ihn Jane, o, da könnte ich Ihnen die meinige wünschen, die Kraft... das Amulett, das ich in der Tasche habe, verleiht mir mehr Kräfte als sechs Athleten zusammen. Was mein Kostüm angeht, sehe ich nicht ein, daß das dazu schlechter wäre als das Ihrige. Vielleicht gibt es überhaupt mehr Frauen, die imstande wären, Hosen zu tragen, als Männer, die sich mit unsren Röcken bekleiden könnten!«

Nach diesen Worten brach Jane Edgerton – offenbar eine entschiedne Frauenrechtlerin – mit einem an den völlig besiegten Summy gerichteten Kopfnicken das Zwiegespräch ab, wechselte mit Ben Raddle noch einen kurzen Händedruck und entfernte sich mit ihrer wie immer schweigsamen Cousine, die während des letzten Teils der Unterhaltung nur still für sich gelächelt hatte.

Inzwischen war der »Foot-Ball« über das Nordende der Königin Charlotte-Insel hinausgekommen. Von hier an war er wieder dem Seegange frei ausgesetzt, vorzüglich als er die Dixoneinfahrt passierte, die im Norden die Prinz von Wales-Insel abschließt. Da der Wind aber nach Nordosten umgeschlagen war und jetzt vom Festland her wehte, waren alle Stampf- und Schlingerbewegungen gelinder.

Der Name der Prinz von Wales-Inseln kommt einem ganzen, ziemlich verwickelten Archipel zu, der sich im Norden zu einem Gewirr von Eilanden auflöst.

[78] Jenseits davon folgt die Insel Baranoff, auf der die Russen das Fort Neuarchangel angelegt hatten und deren bedeutendste Stadt, Sidka, nachdem Rußland ganz Alaska an die Vereinigten Staaten abgetreten hatte, zum Sitze der Provinzialregierung erhoben wor den war.

Am Abend des 19. April kam der »Foot-Ball« in Sicht des Fort Simpson, der letzten Niederlassung auf kanadischem Gebiete, vorbei. Wenige Stunden später glitt er auf die Gewässer des amerikanischen Staates Alaska hinüber und am 20. April legte er an der Mündung des Stickem River im Wrangelhafen an.

Die Stadt zählte jener Zeit nur etwa vierzig Wohnstätten. Sie hatte daneben einige flott betriebne Sägemühlen, ein Hotel, ein Kasino und einige unvermeidliche Spielhäuser, die auch während der Saison nicht feierten.

In Wrangel gehen von den Goldgräbern die ans Land, die sich nach Klondike auf dem Wege längs des Telegraph Creek begeben wollen, statt dem über die Seen jenseit Skagways zu folgen.

Jener Weg mißt aber nicht weniger als vierhundertdreißig Kilometer und er ist zwar mit geringern Unkosten, dafür aber nur mit enormen Schwierigkeiten zurückzulegen. Trotz mehrseitiger Vorstellungen, daß hier eine Fahrt mit dem Schlitten jetzt unausführbar sei, verließen das Schiff doch gegen fünfzig Auswandrer, die nun einmal entschlossen waren, den Gefahren und Mühseligkeiten der endlosen Ebenen des nördlichen Kolumbien zu trotzen.

Von Wrangel aus verläuft der enger werdende Kanal in zahllosen Windungen. Durch ein wahrhaftes Labyrinth von oft winzigen Eilanden dampfend, gelangte der »Foot-Ball« nach Juneau, einem 1882 nach seinem Gründer genannten Dorfe, das auf bestem Wege ist, jetzt zu einem Flecken und später zu einer Stadt anzuwachsen.

Zwei Jahre später hatten derselbe Juneau und sein Gesellschafter, ein gewisser Richard Harris, die Erzlagerstätten am Silver Bow Bassin entdeckt, woraus sie binnen wenigen Monaten für sechzigtausend Francs Goldkörner gewannen.

Angelockt von dem Gerüchte über diese Entdeckung, begann von jenem Zeitpunkte an die erste Zuströmung von Goldsuchern und die Ausbeutung der goldhaltigen Gebiete von Cassiar, die der von Klondike vorherging. Bald lieferte dann die mit zweihundertvierzig Stampfhämmern bearbeitete Mine von Treadville binnen vierundzwanzig Stunden bis fünfzig Tonnen Quarz und eine Ausbeute, die sich auf zwei Millionen fünfhunderttausend Francs belief.

[79] Als Ben Raddle seinen Vetter über die erstaunlichen Erträgnisse der hiesigen Gegend unterrichtet hatte, antwortete dieser:

»Ja, es ist wirklich ärgerlich, daß es dem Onkel Josias, als er sich nach seinem zukünftigen Claim am Forty Miles Creek begab, nicht eingefallen ist, den Weg über Juneau zu wählen.

– Warum meinst du das, Summy?

– Nun, dann wäre er wahrscheinlich hier geblieben und wir könnten heute dasselbe tun.«

Eine vernünftige Rede war's von Summy Skim ohne Zweifel. Ja, hätte es sich nur darum gehandelt, etwa bis Skagway zu fahren, da hätte er wohl kaum Ursache sich zu beklagen gehabt. Doch im Gegenteil: dort sollten erst die wirklichen Schwierigkeiten beginnen, wenn es sich darum handelte, die Bergpässe des Chilkoot zu überschreiten und über die Seen hinweg zum linken Yukonufer zu gelangen.

Und doch, welche Eile hatten sie nicht, alle diese Passagiere, in das Gebiet der von der großen Wasserader Alaskas durchschnittnen Gegend zu kommen! Wenn sie an die Zukunft dachten, kam es ihnen gewiß nicht in den Sinn, sich die bevorstehenden Mühseligkeiten, Gefahren und Enttäuschungen vorzustellen. Für sie stieg der »Goldblink« am Horizonte nur immer höher und höher empor.

Von Juneau aus folgte der Dampfer dem Kanale, der für Fahrzeuge von gewissem Tiefgange bei Skagway endet. Hier sollte die Ankunft am nächsten Tage erfolgen. Flachgehende Schiffe können dann noch bis zum Flecken Dyea hinausfahren. Im Nordwesten erglänzte der Gletscher des zweihundertvierzig Fuß hohen Muir, von dem viele Lawinen donnernd in den Großen Ozean hinabstürzen.

Am letzten Abend, der an Bord verlebt werden sollte, fand sich im Spielsalon eine besonders zahlreiche Gesellschaft zusammen, wo so manche von denen, die ihn während der Fahrt gewöhnlich besucht hatten, auch noch ihren letzten Dollar verschwinden sehen sollten. Zu den eifrigsten Spielern gehörten natürlich auch die beiden Texaner Hunter und Malone. Die andern waren freilich auch keinen Heller mehr wert und es wäre sehr schwierig gewesen, einen Unterschied nachzuweisen zwischen diesen Spielwüstlingen, die einander gewöhnlich in den niedrigsten Schenken von Vancouver, Wrangel, Skagway und Dawson City trafen.

[80] [83]Nach dem Lärm, der aus dem Raum der Spieler hervortönte, konnte man gar nicht bezweifeln, daß dieser der Schauplatz der wildesten Auftritte wäre. Geschrei und grobe Zurufe hallten unablässig durcheinander, so laut, daß man annehmen mußte, der Kapitän des »Foot-Ball« werde sich noch veranlaßt sehen, dagegen einzuschreiten. Die übrigen Passagiere hielten es für das klügste, sich in ihren Kabinen einzuschließen.

Es mochte gegen neun Uhr sein, als Summy Skim und Ben Raddle auch ihre Kabine aufsuchen wollten. Als sie die Tür des großen Salons, durch den sie gehen mußten, geöffnet hatten, bemerkten sie an dessen entgegengesetzter Seite Jane und Edith Edgerton, die sich eben anschickten, ihre Kammer aufzusuchen. Die beiden Vettern gingen auf sie zu, ihnen gute Nacht zu wünschen. Da sprang die Tür des Spielsalons krachend auf und ein Dutzend Spieler stürzten in den allgemeinen Salon herein.


Welche Gesellschaft wäre das gewesen für die jungen Damen! (S. 88.)

Ihnen voran taumelte Hunter, schon halb berauscht und im höchsten Stadium sinnloser Erregung. Mit der linken Hand schwang er eine mit Banknoten zum Platzen gefüllte Brieftasche und brüllte dazu ein richtiges Siegeslied. Der Schwarm der Abenteurer drängte ihm nach und rief den Texaner mit gurgelnden Tönen an.

»Hip! Hip! Hip! skandierte Malone.

– Hurra! schrie der Chor wie aus einem Munde.

– Hurra!« wiederholte Hunter noch einmal.

Die Trunkenheit packte ihn von Minute zu Minute mehr.

»Heda, Stewart! rief er mit Stentorstimme. Champagner her! Zehn, zwanzig, hundert Flaschen Champagner!... Heute abend habe ich alles eingeheimst... alles, alles, alles!

– Alles, alles, alles, gröhlte der Chor als Echo.

– Ich lade all und jeden ein, Passagiere und Mannschaft, vom Kapitän bis zum letzten Schiffsjungen!«

Von dem Lärm herangelockt, füllte bald eine große Zahl von Passagieren den Salon.

»Hurra! Bravo, Hunter!« brüllten die Abenteurer und applaudierten mit Händen und Füßen, als ob alles in Stücke gehen sollte.

Hunter hörte sie jedoch kaum. Plötzlich hatte er Edith und Jane Edgerton bemerkt, die durch die Menschenmenge verhindert waren, sich zurückzuziehen. Er stürzte auf die jungen Mädchen zu, umfaßte brutalerweise Jane in der Taille und rief:

[83] »Ja ja, ich lade alle Welt ein und dabei sind auch Sie nicht vergessen, mein schönes Kind!«

Gegenüber diesem unerwarteten Überfall verlor Jane doch nichts von ihrer Kaltblütigkeit. Beide Fäuste zurückstreckend, stieß sie den frechen Buben nach den besten Regeln der Boxerkunst mit Gewalt ins Gesicht. Was vermochten aber ihre schwachen Hände gegen einen wütend erregten Mann, dessen Kräfte der genossene Alkohol jetzt noch verdoppelte.

»Ah, stieß Hunter hervor... sie will auch noch unangenehm werden, die hübsche Kleine!... Sollte ich denn wirklich Gewalt...«

Er konnte den Satz nicht vollenden. Eine nervige Faust hatte den rohen Patron an der Gurgel gepackt. Da half kein Widerstehen... zehn Schritt weit rollte er auf dem Fußboden hin.

Jetzt wurde es im Salon verhältnismäßig still. Man beobachtete die beiden Gegner, von denen der eine wegen seines maßlosen Jähzorns bekannt war und der andre eben einen Beweis von außerordentlicher Körperkraft gegeben hatte. Schon erhob sich Hunter wieder, zwar etwas sinnverwirrt, doch das gezückte Messer in der Faust, als ein neuer Zwischenfall seine kriegerischen Absichten vereitelte.

Vom Verdeck kamen weitre Personen herunter und schnelle Schritte verkündeten offenbar das Eintreten des durch das Geräusch im Salon herbeigerufenen Kapitäns. Hunter lauschte, sich seiner Ohnmacht bewußt, voller Spannung und starrte nur nach dem Feinde, dessen Angriff so urplötzlich erfolgt war, daß er ihn gar nicht erkannt hatte.

»Ach, das waren Sie also!« sagte er, als er Summy Skim sich gegenüberstehen sah.

Dabei steckte er das Messer wieder in die Scheide, setzte aber seinen Worten drohend hinzu:

»Wir treffen uns ja noch wieder, Kamerad!«

Summy regte sich nicht von der Stelle, er schien kaum etwas gehört zu haben. Jetzt kam ihm auch Ben Raddle zu Hilfe.

»Wann und wo es euch beliebt, sagte er hervortretend.

– Also am Forty Miles Creek, meine Herren Hundertneunundzwanzig!« rief Hunter, während er sich aus dem Salon zurückzog.

Summy sprach noch immer kein Wort. Er, der mit kaltem Blute keine Fliege getötet hätte, war über sein gewaltsames Eingreifen selbst noch völlig bestürzt.

[84] Da trat Jane Edgerton an ihn heran.

»Thank you, Sir, sagte sie im natürlichsten Tone und drückte warm die rechte Hand ihres ritterlichen Helfers.

– Ach ja, Dank Ihnen, mein Herr,« fügte Edith mit wärmerem Ausdrucke hinzu, während sie Summys andre Hand ergriff.

Diese zweifache Berührung brachte Summy Skim einigermaßen wieder zu sich, es blieb aber unsicher, ob er eine klare Vorstellung von dem Vorgefallnen hatte oder nicht. Mit dem unbestimmten Lächeln eines Menschen, der sich wie eben aus den Wolken gefallen erscheint, antwortete er mit verbindlichster Höflichkeit:

»Gute Nacht, meine Damen!«

Leider ging diese höfliche Verabschiedung für die jungen Mädchen verloren, weil diese in dem Augenblicke, wo sich Summy ihrer Anwesenheit bewußt zu werden schien, den Salon schon seit dreißig Sekunden verlassen hatten.

6. Kapitel
Sechtes Kapitel.
Jane Edgerton und Kompagnie.

So wie alle inmitten einer wegelosen Gegend verlornen Halteplätze, wo es an Beförderungsmitteln fast gänzlich mangelt, war auch Skagway ursprünglich nur ein Goldsucherlager gewesen. Allmählich entstanden hier aus einem Durcheinander von Zelten etwas wohnlicher eingerichtete Hütten, bis sich auf dem immer im Werte steigenden Terrain wirkliche Häuser erhoben. Wer weiß aber, ob die von dem Bedürfnisse des Augenblickes geschaffne Stätte in Zukunft nicht wieder verlassen werden, ob die ganze Gegend nicht wieder zur menschenleeren Wüste wird, wenn ihre Goldlager einmal erschöpft sind.

Man kann diese Länder unmöglich mit Australien, Kalifornien und dem Transvaal in gleiche Linie stellen. In den genannten drei Ländern hätten sich auch ohne die Goldfunde die Dörfer zu Städten entwickeln können. Da war [85] der Erdboden fruchtbar, die Gegend zum Bewohnen geeignet und Handels- und Industriebetriebe konnten sich zu wirklicher Bedeutung erheben. Auch wenn dem Boden seine metallischen Schätze geraubt waren, genügte er noch, die auf ihn verwendete Arbeit zu lohnen.

Hier dagegen, in diesem Teile der Dominion, an der Grenze von Alaska, nahe dem Polarkreise und unter einem eisigen Klima, lagen die Verhältnisse ganz anders. Warum sollte jemand, wenn einst die letzten Pepiten gefunden waren, noch in dieser aller Hilfsquellen baren und von den Pelzhändlern schon ausgesaugten Gegend länger verweilen?

Es ist also recht leicht möglich, daß die in aller Hast emporgewachsenen Städte dieses Landesteiles – Städte, denen es gegenwärtig weder an geschäftigem Treiben noch an Belebtheit durch zahlreiche Reisende fehlt – nach und nach wieder verschwinden, sobald die Minen von Klondike geleert sind, und das auch trotz der finanziellen Gesellschaften, die jetzt zusammentreten, um Verkehrserleichterungen zu schaffen, trotz der Bahnlinie, die zwischen Wrangel und Dawson City gebaut werden soll.

Zur Zeit wo der »Foot-Ball« hier eintraf, wimmelte es in Skagway von Auswandrern, die zum Teil mit Paketbooten des Stillen Ozeans, zum Teil auch über die Eisenbahnen Kanadas und der Vereinigten Staaten hierhergekommen waren... alle aber mit der Absicht, sich nach Klondike zu begeben.

Eine Anzahl der Reisenden ließ sich bis Dyea, einem Flecken am inneren Kanalende, befördern, doch nicht auf Dampfern, für die der Kanal zu wenig Wassertiefe gehabt hätte, sondern auf flachen, mehr prahmähnlichen Schiffen, für deren Tiefgang der Kanal zwischen den beiden Ortschaften ausreichte. Damit wurde der beschwerliche Weg über Land wesentlich abgekürzt.

Doch so oder so: in Skagway begann allemal der anstrengendere Teil der Reise nach der verhältnismäßig bequemen Beförderung auf den Paketbooten, die den Dienst längs des Küstengeländes versehen.

Die beiden Vettern hatten sich bald ein Hotel gewählt, denn Skagway enthielt damals schon mehrere solche. Sie bewohnten hier gemeinsam ein Zimmer, jedoch für einen Preis, der über die in Vancouver üblichen Preise noch hinausging. Sie wollten auch alles daransetzen, so bald wie möglich daraus fortzukommen.

Das Hotel war gestrotzt voll Gästen, die sich alle auf die Weiterreise nach Klondike vorbereiteten. Im Dining Saloon (Speisesaale) drängten sich alle [86] Nationalitäten durcheinander, nur das Essen war leider allein alaskisch: die Auswandrer, denen in den nächsten Monaten so viele Entbehrungen bevorstanden, hatten im Grunde freilich kein Recht, sich wählerisch zu zeigen.

Summy Skim und Ben Raddle sollten während ihres Aufenthaltes in Skagway keine Gelegenheit haben, mit den beiden Texanern zusammenzutreffen, mit deren einem Summy kurz vor dem Verlassen des »Foot-Ball« so hart aneinandergeraten war. Hunter und Malone waren gleich nach der Ankunft nach Klondike aufgebrochen. Da sie nur dahin zurückkehrten, von wo sie vor sechs Monaten gekommen waren, fanden sie jetzt die nötigen Transportmittel bereit and brauchten nur abzureisen, ohne sich mit weiterem Material zu belasten, denn das fanden sie auf ihrer Arbeitsstätte am Forty Miles Creek ja wieder vor.

»Wahrhaftig, sagte Summy Skim, es ist ein rechtes Glück, die rohen Tölpel nicht zu Reisegefährten zu haben. Ich bedaure alle, die mit ihnen unterwegs beisammen sind... wenn sie nicht ebensoviel und ebensowenig wert sind wie jene beiden, was ja bei dieser Goldsucherhorde sehr wahrscheinlich ist.

– Gewiß, antwortete Ben Raddle; die beiden Tölpel sind aber besser ausgerüstet und versorgt als wir. Sie haben sich in Skagway nicht aufgehalten, wir dagegen werden mehrere Tage brauchen...

– Tut nichts, Ben, wir kommen schon auch noch an Ort und Stelle! rief Summy Skim, und da werden wir die Burschen auf dem hunderteinunddreißigsten Claim schon wiederfinden. Eine herrliche Nachbarschaft! Eine köstliche Gemeinschaft... wahrlich, eine verlockende Aussicht! Hoffentlich veranlaßt sie uns, unsre Kieselgrube für jeden Preis zu verkaufen und so schnell wie möglich den Rückweg anzutreten.«

Während Summy Skim sich wegen Hunters und Malones nicht weiter zu beunruhigen brauchte, fand er im Gegenteil die beiden jungen Damen wieder, deren er sich so ritterlich herzhaft angenommen hatte. Da diese in demselben Hotel wie die beiden Vettern abgestiegen waren, kreuzten sich ihre Wege ziemlich häufig. Dann wurden im Vorübergehen einige Worte gewechselt, deren Kürze eine gewisse Vertraulichkeit nicht ausschloß, und nachher ging jeder seinen Geschäften nach.

Es war ja nicht schwierig, zu erraten, was den beiden jungen Mädchen besonders am Herzen liegen mußte, denn ohne Zweifel bemühten sie sich in erster Linie, herauszufinden, wie sie am besten und sichersten nach Dawson City ämen. Das war für sie freilich keine so leicht zu lösende Aufgabe. Achtundvierzig[87] Stunden nach ihrem Eintreffen in Skagway deutete noch nichts darauf hin, daß sie in dieser Beziehung einen nennenswerten Fortschritt gemacht hätten, wenigstens wenn man das nach dem Gesichtsausdrucke Jane Edgertons beurteilte, der, trotz der Bemühung des jungen Mädchens, nichts von ihrer Stimmung zu offenbaren, doch leicht eine beginnende Unruhe verriet.

Ben Raddle und Summy Skim, deren Interesse für die jungen Reisenden von Tag zu Tag zunahm, konnten nicht ohne Erregung, ohne Mitleid an die Gefahren und Mühseligkeiten denken, denen Jane und Edith ausgesetzt sein würden. Welche Unterstützung, wel che Hilfe würden sie gegebenenfalls jemals finden bei dieser Horde von Auswandrern, die vor Verlangen, vor leidenschaftlichem Durste nach Gold jede Empfindung von Gerechtigkeit, jedes Ehrgefühl eingebüßt hatten!

Am 23. April gegen Abend konnte sich Summy Skim nicht mehr zurückhalten und mußte die blonde Cousine ansprechen, die ihm – mit Recht oder Unrecht – von den beiden am zugänglichsten erschien.

»Nun, Fräulein Edith, fragte er, nichts Neues seit Ihrer Ankunft in Skagway?

– Nein, gar nichts,« antwortete das junge Mädchen.

Summy bemerkte jetzt plötzlich, daß es eigentlich das erste Mal wäre, wo er diese Stimme mit dem metallischen Wohlklange vernähme.

»Jedenfalls, fuhr er fort, unterrichteten Sie und Ihr Fräulein Cousine sich über die Beförderungsmittel nach Dawson?

– Ganz recht, mein Herr.

– Sie haben sich aber noch nicht für das oder jenes entschieden?

– Bis jetzt noch für keines.«

Liebenswürdig... ja, ermutigend aber war diese Edith Edgerton nicht. Die dienstfertigen Anerbieten, die Summy noch unklar durch den Kopf gingen, wurden dadurch gelähmt und das Zwiegespräch nahm hiermit vorläufig ein Ende.

Summy hatte aber nun einmal seinen Plan entworfen und die unterbrochne Unterredung wurde am nächsten Tage wieder aufgenommen. Die beiden jungen Mädchen verhandelten gerade über ihren Anschluß an eine Gesellschaft, deren Reisevorbereitungen nach wenigen Tagen vollendet sein sollten. Dieser Trupp bestand aber nur aus ärmlichen, ungebildeten und rohen Burschen. Welche Gesellschaft wäre das gewesen für die so sein auftretenden, so sorgfältig erzogenen jungen Damen!

[88] Sobald er sie gewahr wurde, ging Summy auf sie zu, diesmal auch mutiger, weil Ben Raddle und Jane Edgerton gleichzeitig anwesend waren.

»Nun, Fräulein Edith, begann der brave Summy wie das vorige Mal, nichts Neues?

– Gar nichts, mein Herr, antwortete Edith wie vorher.

– Das kann freilich noch längere Zeit so fortgehen, wertes Fräulein.«

Edith machte eine ausweichende Handbewegung und Summy fuhr fort:

»Erscheint es Ihnen indiskret, wenn ich frage, auf welche Weise Sie Ihre Fahrt bis Dawson fortzusetzen gedenken?

– Keineswegs, erwiderte Edith. Wir beabsichtigen so eine Art kleine Karawane mit den Leuten zu bilden, mit denen wir eben darüber sprachen.

– Nun ja... im Grunde ist das ja... an und für sich ein ganz guter Gedanke. Doch verzeihen Sie, Fräulein Edgerton, wenn ich mich in suchen mische, die mich nichts angehen. Haben Sie sich diesen Entschluß denn auch reiflich überlegt? Die Leute, mit denen zusammen Sie die Reise unternehmen wollen, sehen wenig empfehlenswert aus, und erlauben Sie deshalb, Ihnen zu sagen...

– Ja, mein Gott, man nimmt eben, was man bekommen kann, unterbrach ihn Jane Edgerton lachend. Unsre Vermögensverhältnisse gestatten uns nicht, fürstliche Ansprüche zu machen.

– O, es braucht einer noch lange kein Fürst oder Prinz zu sein, um doch weit über Ihren zukünftigen Reisegenossen zu stehen. Ich bin überzeugt, Sie werden sich veranlaßt sehen, jene bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu verlassen.

– Na, wenn's so kommt, reisen wir eben allein weiter,« bemerkte Jane entschlossen.

Summy streckte die Arme zum Himmel empor.

»Allein... aber, meine Damen, wo denken Sie hin! Sie kämen ja unterwegs um!

– Warum sollten wir eventuelle Gefahren mehr zu fürchten haben als Sie vielleicht selbst? entgegnete Jane, die sich jetzt selbstbewußt in die Brust warf. Was Sie ausrichten können, das können wir wohl auch.«

Offenbar ließ sich die eifrige Frauenrechtlerin nicht so leicht entwaffnen.

»Natürlich... natürlich, stimmte ihr Summy versöhnlich bei. Die Sache liegt aber so, daß weder mein Cousin noch ich die Absicht haben, die Reise nach[89] Dawson so allein auf unsre Kräfte angewiesen zu unternehmen Wir nehmen uns einen Führer, einen bewährten Führer mit, der uns mit seiner Erfahrung unterstützt und mit allem nötigen Material versorgt.«

Summy machte eine Pause und setzte dann mit einnehmender Stimme hinzu:

»Warum sollten Sie sich diese Vorteile nicht zunutze machen?

– Ja... unter welchen Verhältnissen?

– Natürlich als eingeladne Gäste,« erklärte Summy mit Wärme.

Jane hielt ihm ohne Zieren die Hand entgegen.

»Meine Cousine und ich, Herr Skim, sind Ihnen sehr dankbar für Ihr edelmütiges Anerbieten, wir können es aber leider nicht annehmen. Wir besitzen noch, wenn auch bescheidne, doch hinreichende Mittel und sind entschlossen, niemandem als uns selbst etwas zu schulden, solange keine bittre Not uns zum Gegenteil zwingt.«

Aus dem ruhigen Tone, womit diese Erklärung erfolgte, ließ sich entnehmen, daß dagegen jeder Einspruch erfolglos bliebe. Wenn Jane Edgerton an die großen Schwierigkeiten dachte, denen sie entgegenging, so vermochten diese sie doch nicht zu erschrecken, sondern bestärkten sie im Gegenteil nur in ihrem persönlichen Stolze, sich wider sie aufzulehnen.

So sagte sie denn auch zu Ben Raddle gewendet:

»Sprechen Sie: Habe ich nicht recht, Herr Raddle?

– Vollkommen, Miß Jane,« erklärte Ben, ohne die verzweifelten Zeichen seines Vetters im mindesten zu beachten.

Seit der Ankunft in Skagway hatte sich's Ben Raddle nur angelegen sein lassen, seine und Summys Beförderung bis nach der Hauptstadt von Klondike sicherzustellen. Nach den Hinweisen, die man ihm schon in Montreal gegeben hatte, hatte er sich mit einem gewissen, allseitig gut beleumundeten Bill Stell in Verbindung gesetzt und mit diesem alles Nötige verabredet.

Bill Stell war ein ehemaliger Prärieläufer von kanadischer Herkunft. Mehrere Jahre hatte er zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten für verschiedene Truppen der Dominion Dienste als Scout (Kundschafter) geleistet und auch an den langwierigen Kämpfen teilgenommen, die diese gegen die Indianer auszufechten hatten. Allgemein galt er als ein Mann von hohem Mute, großer Kaltblütigkeit und unbeugsamer Energie.

Jetzt betrieb der frühere Scout den Beruf eines Auswandrerführers, der mit dem Eintritt der schönen Jahreszeit alle geleitete, die dann zum ersten Male [90] nach Klondike gehen oder dahin zurückkehren wollten. Er war aber nicht allein Führer, sondern auch Chef eines zahlreichen Personals und Besitzer aller Ausrüstungsgegenstände, die für so schwierige Reisen gebraucht wurden; ihm gehörten Boote mit Mannschaften zur Fahrt über die Seen, Schlitten und Hunde zur Beförderung der Reisenden und ihres Gepäcks über die vereisten Ebenen, die sich jenseits des Passes über den Chilkoot unübersehbar ausdehnen. Überdies lieferte er zu verabredetem Preise die Nahrungsmittel für die von ihm zusammengestellten Karawanen.

Weil er von Anfang an darauf rechnete, die Dienste Bill Stells in Anspruch zu nehmen, hatte sich Ben Raddle bei der Abfahrt aus Montreal nicht mit umfangreicherem Gepäck belastet. Er wußte ja, daß der Scout ihm alles liefern würde, was nötig wäre, Klondike zu erreichen, und er hoffte bestimmt, sich mit dem Manne wegen der Hin- und Rückfahrt zu verständigen.

Als Ben Raddle am Tage nach der Ankunft in Skagway das Haus Bill Stells aufsuchte, wurde ihm mitgeteilt, daß dieser eben abwesend war. Er hatte es übernommen, eine Karawane über den White-Paß bis zum Ende des Bennettsees zu geleiten, war mit dieser aber schon vor etwa zehn Tagen aufgebrochen. Hatte er unterwegs keine Verzögerung erlitten oder vielleicht gar noch die Führung andrer Reisender übernommen, so mußte er nun bald wieder eintreffen.

Das ging auch in Erfüllung und am Morgen des 25. April kannten sich Ben Raddle und Summy Skim mit Bill Stell in Verbindung setzen.

Der Scout war ein fünfzigjähriger Mann von Mittelgröße, doch anscheinend mit einem Körper aus Eisen. Er trug einen graugesprenkelten Bart und hatte kurze, steife und dicke Haare und einen festen, durchdringenden Blick. Aus seinen recht angenehmen Zügen leuchtete die Grundehrlichkeit heraus. Während seiner langen Dienstleistung im kanadischen Heere hatte er sich eine schätzenswerte Umsicht, rege Wachsamkeit und hervorragende Klugheit angeeignet. Überlegend, methodischen Sinnes und an Hilfsquellen reich, hätte ihn keiner so leicht täuschen können.

Gleichzeitig Philosoph in seiner Art, faßte er das Leben nach seinen guten Seiten auf und, zufrieden mit seinem Lose, nagte an ihm niemals das Verlangen, es denen gleichzutun, die er nach den goldgespickten Gebieten führte. Gar so häufig lehrte ihn ja auch die Erfahrung, daß ein großer Teil von jenen den Mühen und Strapazen erlag oder daß wiederum sehr viele nur [91] elender als vorher von dem so hoffnungsfreudig angetretnen Zuge ins Land ihrer Träume zurückkehrten.

Ben Raddle eröffnete dem Scout seine Absicht, so bald wie möglich nach Dawson City zu reisen.

»Schön, mein Herr, antwortete Bill Stell, ich stehe ganz zu Ihren Diensten. Es ist mein Beruf, die Reisenden zu führen, und ich bin dazu mit allem versehen.

– Das weiß ich, Scout, sagte Ben Raddle, und ich weiß auch, daß man sich auf Sie in jeder Beziehung verlassen kann.

– Sie gedenken nur einige Wochen in Dawson City zu bleiben? fragte Bill Stell.

– Wahrscheinlich nicht länger.

– Es handelt sich bei Ihnen also nicht um die Ausbeutung eines Claims?

– Ja, das weiß ich nicht. Vorläufig beabsichtigen wir nur, den zu verkaufen, den wir, mein Vetter und ich, besitzen und der uns als Erbschaft zugefallen ist. Ein Kaufangebot ist uns schon gemacht worden; ehe wir es jedoch annehmen, wollen wir uns natürlich über den Wert unsres Eigentums unterrichten.

– Klug und weise von Ihnen, Herr Raddle! Bei derartigen Geschäften gibt es Fallen und Listen, die Leute zu täuschen. Da heißt es mißtrauisch sein...

– Das hat uns eben veranlaßt, diese Reise zu unternehmen.

– Und wenn Sie Ihren Claim verkauft haben, werden Sie nach Montreal zurückkehren?

– Das ist wenigstens unsre Absicht. Nachdem Sie uns dorthin geführt haben, Scout, werden Sie uns jedenfalls auch zurück das Geleite geben müssen.

– O, darüber werden wir schon einig werden, antwortete Bill Stell. Es ist nicht meine Sache, jemand zu überteuern, und da will ich Ihnen gleich meine Bedingungen mitteilen, Herr Raddle.«

Es handelte sich hier im ganzen um eine Reise von dreißig bis fünfunddreißig Tagen, für die der Scout Pferde oder Maultiere, Hundegespanne, Schlitten, Boote und Lagerzelte zu liefern hatte. Außerdem mußte er für den Lebensunterhalt der Reisegesellschaft, für Futter für die Tiere usw. sorgen [92] und in dieser Hinsicht konnte man ihm volles Vertrauen schenken, denn besser als jeder andre wußte er, was für diesen langen Zug durch öde Landgebiete nötig war.

Da die beiden Vettern kein Gerät für Grubenarbeit zu befördern hatten, wurde alles in allem der Preis für die Reise von Skagway bis Dawson City auf achtzehnhundert Francs und auf ebensoviel für den Rückweg festgesetzt.

Es wäre unangebracht gewesen, mit einem so gewissenhaften und ehrlichen Manne wie dem Scout über die Bedingungen zu feilschen. Übrigens waren zur jetzigen Jahreszeit die Preise für die Beförderung nur über die Bergpässe bis zum Seengebiete ziemlich hoch, was sich durch die Schwierigkeiten der beiden Wegstrecken erklärte: vier bis fünf Cents für das Pfund Gepäck auf der ersten und sechs bis sieben Cents auf der zweiten Strecke. Der von Bill Stell verlangte Preis erschien danach sehr annehmbar und Ben Raddle ging darauf auch, ohne weiter zu handeln, ein.

»Gut... einverstanden, sagte er. Nun vergeßt nur nicht, daß wir möglichst bald abreisen wollen.

– Achtundvierzig Stunden, mehr brauche ich nicht, bereit zu sein, versicherte der Scout.

– Werden wir bis Dyea zu Schiffe gehen müssen? fragte Ben Raddle.

– Das wäre nutzlos. Da Sie keine Arbeitsgeräte mit sich führen, halte ich es für richtiger, gleich von hier aus in gewöhnlicher Weise abzureisen.«

Jetzt galt es nur noch, den Weg zu bestimmen, dem die kleine Karawane durch das Berggebiet vor der Gegend der Seen folgen sollte und auf dem sich die größten Schwierigkeiten zusammendrängen. Auf die diesbezüglichen Fragen antwortete Bill Stell:

»Da gibt es zwei Straßen oder richtiger: zwei ›Fährten‹, den White-Paß und den Paß des Chilkoot. Die Karawanen haben dann, sie mögen nun den einen oder den andern gewählt haben, nur nach dem Bennett- oder nach dem Lindemansee hinunterzusteigen.

– Und welchen von diesen Wegen denken Sie einzuschlagen, Scout?

– Den über den Chilkoot. Von dem aus treffen wir unmittelbar auf die Spitze des Lindemansees, nach dem wir erst einmal beim Sheep Camp Halt gemacht haben. An dieser Stelle findet man Unterkunft und kann man sich verproviantieren. Am Lindemansee finden wir auch neues Material, das ich dort zurückzulassen pflege, um mir dessen Beförderung nach Skagway über den Bergrücken zu ersparen.

[93] – Wir verlassen uns völlig auf Ihre Erfahrung; was Sie tun, wird schon gut und recht sein, meinte Ben Raddle. Und was uns betrifft, sind wir sicherlich reisefertig, sobald Sie das Zeichen zum Aufbruch geben.

– In zwei Tagen, wie ich Ihnen schon sagte, erwiderte Bill Stell. So viel Zeit brauche ich, meine Vorbereitungen zu vollenden, Herr Raddle. Wir brechen dann früh am Morgen auf und sind am Abend nicht mehr weit vom Kamme des Chilkoot.

– Wie hoch liegt dieser?

– Etwa dreitausend Fuß, antwortete der Scout. Die Höhe ist ja keine außerordentliche, der Paß selbst ist aber schmal, vielfach gewunden, und was die Passage arg erschwert, ist, daß sich in dieser Jahreszeit eine große Menge Goldsucher, Gefährte und Gespanne darüber hinwälzen, von den Schneemassen, die ihn zuweilen fast verstopfen, gar nicht erst zu reden.«

Mit Bill Stell war nun eigentlich alles geordnet; Ben Raddle wich aber noch nicht von der Stelle.

»Nur noch ein Wort, wandte er sich an den Führer. Können Sie mir beiläufig sagen, um wieviel der Preis sich erhöhen würde, wenn wir zufällig von zwei Damen begleitet wären?

– Ja, das kommt nun so darauf an, antwortete der Scout. Viel Gepäck?

– Nein, sehr wenig.

– Dann, Herr Raddle, wird sich's um fünf- bis siebenhundert Francs handeln, je nach der Art und dem Gewichte der zu transportierenden Kolli. Die Nahrung für die Damen ist natürlich im Preise eingeschlossen.

– Danke, danke, Scout; das weitre werden wir ja sehen,« sagte Ben Raddle, während er sich verabschiedete.

Auf dem Rückwege nach ihrem Hotel äußerte Summy dem Vetter gegenüber seine Verwunderung über dessen letzte, an den Führer gerichtete Frage. An wen hätte Ben dabei denken können, wenn nicht an Edith und Jane Edgerton?

»Ja, das war auch der Fall, gestand Ben freimütig.

– Du weißt aber doch recht gut, sagte Summy dagegen, daß sie das rundweg abgeschlagen haben und du ihre Weigerung obendrein gebilligt hast.

– Das ist freilich wahr.

– Und ihre Weigerung wurde mit einem Tone ausgesprochen, der es ausschließt, auf unser Angebot zurückzukommen.

[94] – Da hast du die Sache nicht richtig durchschaut, lieber Vetter, antwortete Ben gelassen. Lasse mich's nur machen, und du wirst bald sehen, daß ich mich darauf besser verstehe als du.«

Im Hotel angelangt, suchte Ben, dem Summy mit unruhiger Neugier folgte, sofort die beiden jungen Mädchen auf. Als er sie im Lesezimmer entdeckt hatte, trat er ohne weiteres auf Jane zu.

»Mein Fräulein, begann er ohne jede Vorrede, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.

– Und der lautete? fragte Jane, die über diese Anrede kaum verwundert erschien.

– Na, so hören Sie denn, erklärte Ben seelenruhig. Mein Vetter Summy hat Ihnen gestern angeboten, sich uns auf der Fahrt nach Dawson anzuschließen. Ich habe ihn darum getadelt, denn Ihre Anwesenheit und die Ihrer Cousine würde uns Nebenkosten ungefähr von siebenhundert Francs verursachen; ein Geschäftsmann wie ich denkt aber in erster Linie immer daran, daß jeder ausgegebene Dollar einen oder mehrere andre einbringen müsse. Zum Glück haben Sie auch unser Anerbieten abgelehnt.

– Ja natürlich, sagte Jane. Nun, was weiter?

– Sie können sich, mein Fräulein, aber nicht darüber täuschen, daß Sie in der nächsten Zeit nicht geringen Gefahren entgegengehen, und meinen Vetter leitete die gute Absicht, Ihnen die Reise zu erleichtern.

– O, es liegt mir fern, das zu bestreiten, gab Jane offenherzig zu. Ich sehe nur nicht...

– Nun, darauf komme ich sogleich, fuhr Ben fort, ohne auf die Unterbrechung weiter einzugehen. Ich wiederhole Ihnen, daß unser Beistand für sie von größtem Nutzen sein würde. Sie vermeiden dadurch Verzögerungen, die sonst unausbleiblich wären, und kämen gerade zur günstigsten Zeit bei den Placers an. Nehmen Sie unser Angebot an, so verbessern Sie wesentlich Ihre Aussichten auf Erfolg, dann ist es aber nicht mehr als billig, daß ich an einem von mir geförderten Unternehmen in bescheidener Weise beteiligt werde. Ich schlage Ihnen deshalb vor, die Reise bis Dawson auf meine Kosten unter der Bedingung zurückzulegen, daß mir von Ihrem späteren Nettogewinn zehn Prozent zufallen.«

Jane schien über den etwas sonderbaren Vorschlag keineswegs erstaunt zu sein. Lief er nicht ganz einfach auf einen Geschäftskontrakt hinaus? Wenn sie[95] mit einer Antwort etwas zögerte, geschah es nur, weil sie über den verlangten Gewinnanteil nachdachte. Zehn Prozent... hm, ein bißchen viel! Der Weg bis zur Hauptstadt von Klondike ist freilich recht lang und recht beschwerlich. Kühner Mut durfte jedoch den gesunden Menschenverstand nicht ausschließen.

»Gut... angenommen, sagte sie nach einiger Überlegung. Wenn es Ihnen recht ist, können wir unsern Vertrag sogleich vollziehen und unterzeichnen.

– Das wollte ich eben vorschlagen,« sagte Ben ernsthaft, während er sich schon an einem Tische niederließ.

Seine neue Teilhaberin aber sah ihm über die Schulter zu, als er mit allem Ernst den Vertrag aufsetzte.

»Zwischen den Unterzeichneten:

1. Dem Fräulein Jane Edgerton, Prospektorin, wohnhaft...

»Bitte, fragte er, sich unterbrechend, Ihre Wohnstätte?

– Schreiben Sie: Krankenhaus von Dawson City.«

Ben Raddle setzte die Feder wieder in Bewegung.

... Krankenhaus von Dawson City – – – – – einerseits;

2. Dem Herrn Ben Raddle, Ingenieur, wohnhaft in Montreal, Jacques-Cartierstraße 29 – – – – – – – – – anderseits, sind folgende Verabredungen getroffen worden:«

Über den Tisch hinweg wechselten Edith und Summy einen Blick des Verständnisses, einen Blick, aus dem bei Summy ein freudiger Glanz ausstrahlte. Bei Edith schien sich ihm freilich ein Ausdruck innerer Erregung beizumischen, sie ahnte, daß bei der Sache ein Hintertürchen offen gelassen würde.

7. Kapitel
Siebentes Kapitel.
Der Chilkoot.

Bill Stell hatte recht, dem Chilkoot vor dem White-Paß den Vorzug zu geben. Dem zweiten kann man freilich gleich von Skagway aus nachgehen, während der erste erst bei Dyea anfängt. Nach Überschreitung des White-Paß hat [96] [99]man aber noch ungefähr acht Lieues (reichlich 351/2 km) bis zum Bennettsee auf sehr schlechtem Wege zu überwinden, wogegen nur sechzehn Kilometer den Lindemansee vom Chilkoot-Paß trennen, und dieser See führt wieder bequem zum Bennettsee, dessen südliches Ende nach drei Kilometern Weges erreicht wird.

Daß der eigentlich mehr Schwierigkeiten als der White-Paß bietende Chilkoot-Paß eine sehr steile, etwa tausend Fuß aufwärts führende Strecke enthielt, konnte Leute, die kein schweres Gepäck bei sich hatten, ja nicht weiter erschrecken. Jenseits des Chilkoot fanden sie dafür eine ziemlich gut erhaltene Straße, die erst am Lindemansee endigte.

Der erste Teil der Reise durch den Bergwall des Gebietes bot also, wenn er auch nicht allzu große Anstrengung kostete, doch mindestens große Schwierigkeiten.


Es herrschte ohnehin schon ein wirkliches Gedränge. (S. 100)

Am 27. April um sechs Uhr des Morgens gab Bill Stell das Signal zum Aufbruch. Edith und Jane Edgerton, Summy Skim und Ben Raddle verließen mit dem Scout und sechs seiner Leute Skagway und schlugen die Richtung nach dem Chilkoot zu ein. Zwei mit Maultieren bespannte Schlitten genügten für diesen Teil der Fahrt, der am Lindemansee sein Ende fand, wo Bill Stell eine Art Hauptniederlage errichtet hatte. Die ganze Strecke sollte unter den günstigsten Verhältnissen in kaum drei Tagen zurückgelegt werden.

Einer der Schlitten trug das gesamte Gepäck, der andre war den beiden jungen Mädchen überlassen, die ein ganzer Hause von Decken und Pelzfellen gegen den recht scharfen Wind beschützte. Sie hatten – wer konnte daran zweifeln? – niemals geahnt, daß ihre Fahrt in dieser Weise vor sich gehen würde, und Edith, deren rosa Nasenspitzchen aus dem Pelzwerk hervorlugte, richtete an Summy Skim wiederholt Worte aufrichtigsten Dankes, die dieser jedoch hartnäckig zu überhören schien.

Ben Raddle und er fühlten sich viel zu sehr beglückt, den beiden Cousinen nützlich sein zu können. Welch angenehme Gesellschaft für solche abscheuliche Reise! Selbst Bill Stell war darüber ganz entzückt.

Übrigens hatte der Scout vor Edith nicht verschwiegen, wie ungeduldig sie in Dawson City erwartet würde. Das dortige Krankenhaus war buchstäblich überfüllt und mehrere Wärter waren nicht verschont geblieben von den verschiedenen Epidemien, die in der Stadt recht mörderisch wüteten. Vor allem entvölkerte damals der Typhus die Hauptstadt Klondikes. Hundertweise zählte man seine Opfer unter den unglücklichen Einwandrern, die blutarm, ausgehungert und [99] überangestrengt hier eintrafen, nachdem sie gar viele ihrer Gefährten schon unterwegs durch den Tod verloren hatten.

»Ein reizendes Land... wahrhaftig! sagte Summy Skim für sich. Wir, na, wir ziehen ja nur hin- und rückwärts hindurch. Die beiden Kleinen aber, die so vielen Gefahren zu trotzen haben werden und die vielleicht niemals zurückkehren!«

Für die Fahrt über den Chilkoot war es kaum nötig gewesen, größere Vorräte an Nahrungsmitteln mitzunehmen, deren Gewicht den Transport über die steilen Abhänge arg erschwert hätte. Der Scout kannte hier – Hotels zwar nicht, doch wenigstens – »Lodgers«, höchst einfache Herbergen, wo man etwas zu essen erhielt und im Notfall auch für die Nacht ein Unterkommen fand. Teuer war es freilich. Man bezahlte einen halben Dollar für ein »Bett«, das eigentlich nur aus einer groben Planke bestand, und einen Dollar für eine Mahlzeit, die sich unveränderlich aus Speck und kaum aufgegangnem Brot zusammensetzte. Eine so fragwürdige Bequemlichkeit sollte glücklicherweise nur für wenige Tage in Kauf genommen werden. Die Gesellschaft Bill Stells sah sich in jeder Hinsicht besser versorgt, sobald sie die Seengegend erreicht hatte.

Die Witterung war kalt und die Temperatur hielt sich bei einem eisigen Nordwinde auf zehn Grad unter Null. Als die Schlitten aber erst bis an die »Fährten« gekommen waren, glitten sie leicht über den harten Schnee dahin. Das war für die Gespanne ein recht günstiger Umstand. Der Weg stieg sehr steil an. Maultiere, Hunde, Pferde, Rinder und Renntiere gehen hier in großer Zahl zugrunde und der Chilkoot wie der White-Paß sind mit ihren Kadavern übersät.


Über den Abhang des Chilkoot.

Von Skagway aus hatte der Scout die Richtung nach Dyea eingeschlagen, wobei er sich an der rechten Seite des Kanals hielt. Seine Schlitten, die weniger belastet waren als andre, welche man den Bergstock hinaufsteigen sah, hätten diese bequem überholen können. Es herrschte aber ohnehin schon ein wirkliches Gedränge. Bei den heftigen Windstößen, die, wenn sie durch den engen Hohlweg hinfegen, augenblendende Schneewirbel aufjagen, sah man an vielen Stellen umgeworfene Gefährte aller Art, Tiere, die trotz aller Aufmunterung und trotz kräftiger Nachhilfe mit der Peitsche nicht weiter fort wollten. Da setzten die einen alles daran, sich einen Durchgang zu erzwingen, und die andern nicht weniger, jedes Vorfahren zu verhindern, da gab es Zank und Streit, flogen Beleidigungen hin und her und zuweilen artete der Tumult zu Schlägereien aus, [100] [103]bei denen es auch an ein paar Revolverschüssen nicht zu fehlen pflegte. Im allgemeinen sperrten aber unüberwindliche Hindernisse die Straße dermaßen, daß jeder seine Gangart wohl oder übel der des Langsamsten anpassen mußte. Manchmal gerieten auch die Zughunde hart aneinander und es kostete ihren Führern viele Zeit, den Knäuel der halbwilden, heulend bellenden Tiere zu entwirren.

Die Entfernung zwischen Skagway und dem Paß ist nur gering und man kann sie trotz der Schwierigkeiten des Weges in wenigen Stunden hinter sich bringen. Noch am Vormittage machte die Karawane des Scout denn auch schon in Dyea Halt.

Das bestand eigentlich nur aus einer regellosen Anhäufung um das Ende des Kanals aufragender Hütten. Doch welch unglaubliches Menschengewühl! Über dreitausend Auswandrer drängten sich in diesem Embryo einer Stadt nahe dem Eingange zum Chilkoot-Paß zusammen.

Um sich die kalte Witterung, die die Bewegung der Schlitten erleichterte, möglichst zunutze zu machen, beeilte Bill Stell mit Recht die Weiterfahrt von Dyea. Zu Mittag brach die Gesellschaft schon wieder auf, Ben Raddle und Summy Skim zu Fuß, die beiden jungen Mädchen wie vorher in ihrem Schlitten. Es wäre schwierig gewesen, die wilden und großartigen Landschaftsbilder, die jede Windung des Engpasses vor den Reisenden entrollte, nicht zu bewundern, das Waldesdickicht von Fichten und mit Rauhfrost geschmückten Weiden, das bis zum Gebirgskamm hinausreichte, oder die Sturzbäche, die der Frost nicht hatte in Fesseln schlagen können und die rauschend im Grunde unabsehbar tiefer Schluchten verschwanden.

Das Sheep-Camp war nur vier Lieues (fast 18 km) von hier entfernt. Einige Stunden mußten genügen, bis dahin vorzudringen, obgleich der Paß jetzt sehr steile Rampen bildete und die Zugtiere häufig, um Atem zu schöpfen, stehen blieben. Ihr Führer hatte allemal einige Mühe, sie wieder in Gang zu bringen.

Während sie so langsam dahintrotteten, plauderten Ben Raddle und Summy Skim wiederholt mit dem Scout. Auf eine an ihn gerichtete Frage antwortete dieser:

»Nun, meiner Rechnung nach müssen wir binnen fünf bis sechs Stunden beim Sheep-Camp sein und da ruhen wir bis zum Morgen aus.

– Werden wir dort ein Gasthaus finden, wo sich unsre beiden Begleiterinnen bequem erholen und schlafen können? fragte Summy Skim.

[103] – Jawohl, dort gibt es einige, antwortete Bill Stell, denn Sheep-Camp ist ein Halteplatz für alle Auswandrer.

– Ist man aber auch sicher, dort Platz zu finden? erkundigte sich Ben Raddle.

– Das ist freilich zweifelhaft, erklärte der Scout. Übrigens sind alle die Herbergen dort nicht gerade von einladender Art. Vielleicht empfähle es sich weit mehr, unsre Zelte aufzuschlagen.

– O, meine Herren, rief Edith, die das Gespräch von ihrem Schlitten aus mit angehört hatte, wir wollen Sie in keiner Weise genieren.

– Genieren! erwiderte Summy Skim, wie könnten Sie uns je genieren? Haben wir denn nicht zwei Zelte? Das eine steht Ihnen zur Verfügung, im andern richten wir uns ein.

– Und dazu werden wir zwei kleine Öfen haben, worin das Feuer die ganze Nacht nicht erlischt, setzte Bill Stell dazu. Es hat also niemand etwas vom Froste zu fürchten, so kalt es jetzt auch ist.

– Das ist ja herrlich, rief Jane, die jetzt einmal das Wort ergriff. Alles aber nur unter der Voraussetzung, daß Sie deshalb keine Unbequemlichkeiten haben. Wir sind hier keine Eingeladnen, sondern einfach Teilnehmer, die nur so viel und so wenig Ansprüche machen dürfen wie alle andern. Gilt es, in der Nacht weiterzufahren, wir sind dazu bereit. Wir erwarten, nicht anders als wie Männer behandelt zu werden, und würden alles, was einer Galanterie nur ähnelt, als persönliche Beleidigung empfinden.

– O, beruhigen Sie sich nur, tröstete Summy Skim sie lachend, und seien Sie überzeugt, daß wir Ihnen weder Anstrengungen noch Beschwerden ersparen werden. Wenn's sein müßte... na, dann erfinden wir solche!«

Die Karawane erreichte Sheep-Camp gegen sechs Uhr. Bei der Ankunft waren die Zugtiere sehr erschöpft; sie wurden deshalb sofort abgeschirrt und die Leute des Scout versorgten sie bald reichlich mit Futter.

Bill Stell hatte völlig recht, daß es den Herbergen des Dorfes an jeder Bequemlichkeit fehlte. Übrigens zeigte es sich, daß darin kein Platz frei war. Der Scout ließ also die zwei Zelte unter dem Schutze einer Baumgruppe und etwas außerhalb Sheep-Camps aufschlagen, um nicht so sehr von dem wüsten Lärmen der Menge gestört zu werden.


Lager am Fuße des Chilkoot.

Edith und Jane konnten sich jetzt zum ersten Male nützlich machen. In wenigen Augenblicken wurden von ihnen die Decken und Pelzfelle zu molligen [104] [107]Lagerstätten verwandelt und in den Ofen prasselte ein lustiges Feuer. Mußte sich die Gesellschaft auch mit kaltem Fleisch begnügen, so gab es wenigstens warme Getränke und an Kaffee und Tee war kein Mangel. Dann setzten die Männer ihre Pfeifen in Brand und obwohl das Thermometer draußen auf siebzehn Grad unter Null herabgesunken war, verlief der Abend doch recht angenehm.

Was mußten aber alle die Auswandrer ertragen, die – und ihrer waren Hunderte – in Sheep-Camp kein Unterkommen gefunden hatten. Wieviele schon beim Beginn der Reise erschöpfte Frauen, wieviele schwächliche Kinder würden das ferne Ziel überhaupt nicht erreichen!

Am nächsten Morgen ließ Bill Stell die Zelte schon beim Tagesgrauen wieder verpacken, um vor der lärmenden Menge im Chilkoot-Paß einen Vorsprung zu gewinnen. Das Wetter blieb kalt und trocken, doch selbst wenn das Thermometer noch weiter fiel, war das noch hundertmal den stürmischen Winden, dem tollen Schneetreiben und den heftigen Blizzards vorzuziehen, die im hohen Norden Amerikas mit Recht so gefürchtet sind.

Jane und Ediths Zelt wurde schon abgebrochen, als die beiden Vettern das ihrige erst verließen. Sofort wurde Kaffee bereitet und heiß aufgetragen, dann verschwand auch das andre Zelt vom Erdboden. Nach ganz kurzer Zeit war das gesamte Material, ohne daß der männliche Teil der Reisegesellschaft hätte eine Hand zu rühren brauchen, auf den Schlitten in schönster Ordnung verladen und dazu auch so, daß jedes Gepäckstück nicht allein den geringsten Raum in Anspruch nahm, sondern daß es auch, ohne die allgemeine Ordnung zu beeinträchtigen, leicht einzeln herausgenommen werden konnte. Ben Raddle, Summy Skim und alle bis auf Bill Stell waren über eine solche Geschicklichkeit im höchsten Maße erstaunt. Der erste fing, als er die überlegene Methode der »Teilhaberinnen« beobachtet hatte, schon an zu glauben, daß der von ihm eigentlich nur aus Gutmütigkeit eingegangene Kontrakt doch vielleicht einmal zu einem recht einträglichen Geschäfte führen könne.

Summy bewunderte rein verblüfft das Auftreten der zwei Reisegenossinnen, denen er immer auf dem Fuße, aber mit leeren Händen folgte, da sie sein hartnäckiges Anerbieten, ihnen zu helfen, lachend zurückwiesen.

Der Marsch ging heute nicht schneller vor sich als am Tage vorher. Der Weg wurde immer steiler, je mehr er sich dem Gipfel der Bergmasse näherte. Den kräftigen Maultieren gelang es jedoch, die Gefährte über den [107] holprigen, felsigen und vielfach rissigen Boden, der bei Tauwetter noch unwegsamer gewesen wäre, ohne Überanstrengung hinzuziehen.

Immer und überall die durcheinanderwimmelnde, lärmende Menschenmenge, immer wieder dieselben Hindernisse, die das Überschreiten des Chilkoot-Passes so beschwerlich machen. Immer die gezwungenen und manchmal langen Aufenthalte, wenn ein Gewirr von Schlitten und Gespannen die Straße verstopfte. Wiederholt mußten der Scout und seine Leute tüchtig mit zugreifen, um sich einen Durchgang zu öffnen.

n den Seiten des Weges lagen die Kadaver von Maultieren in immer größerer Zahl, je höher man hinauskam. Eins nach dem andern waren die Tiere gestürzt, getötet vom Froste, von der Anstrengung und vom Hunger, und die Hunde, die trotz der Bemühung ihrer Führer die Schlitten hinter sich herschleppten, stürzten sich wiederum auf dieses unerwartete Futter und stritten sich heulend um die letzten Reste davon.

Ein noch traurigeres Bild, den Leichnam eines vor Kälte und Erschöpfung eingegangnen Auswandrers zu sehen, den man irgendwo unter Bäumen oder auf dem Grunde von Vertiefungen hatte liegen lassen. Eine kleine Erhöhung der Schneeschicht, aus der eine Hand, ein Fuß oder ein Stückchen von der Kleidung herausguckte, verriet allein die Stelle des ephemeren Grabes, das der erste Frühlingswind wegwehen mußte. Anfangs wurde das Auge wohl unwiderstehlich von den unheimlichen Erhöhungen auf diese hingezogen, dann aber machte sich die Gewohnheit geltend und man zog mit zunehmender Teilnahmslosigkeit daran vorüber.

Manchmal waren es ganze Familien, Männer, Frauen und Kinder, die alle, unfähig sich weiterzuschleppen, auf dem eisigen Boden zusammengebrochen waren, ohne daß ihnen jemand zuhilfe kam. Unermüdlich befleißigten sich Edith und Jane, unterstützt von ihren Gefährten, solchen Unglücklichen Hilfe zu bringen, sie durch ein wenig Aquavit wieder zu beleben. Was vermochten sie aber gegenüber der großen Menge von Bedürftigen auszurichten? Bald mußten sie diese Unglücklichen ihrem Schicksal überlassen und den erschöpfenden Aufstieg dieses »Kirchhofsweges« wieder aufnehmen.

Alle fünf Minuten mußte Halt gemacht werden, entweder um die Maultiere verschnaufen zu lassen oder um das Freiwerden des verstopften Weges abzuwarten. An manchen Stellen, vorzüglich an scharfen Windungen, wurde dieser so schmal, daß das von vielen Auswandrern mitgeführte Material nicht ohne[108] weiteres hindurchgelangen konnte. Verschiedene Stücke von zerlegbaren Booten übertrafen an Größe die Breite des Pfades und mußten deshalb abgeladen und einzeln von Zugtieren weitergeschafft werden, was natürlich auch für die hinterherkommenden Gespanne einen beträchtlichen Zeitverlust verursachte.

An andern Stellen war der Weg wieder so steil, daß der Neigungswinkel zuweilen sogar fünfundvierzig Grad erreichte. Obgleich die Tiere mit scharfgezähnten Hufeisen versehen waren, weigerten sie sich hier doch, weiterzugehen, oder wichen wenigstens aus der Richtung ab, und nur durch anfeuernde Zurufe und den fleißigen Gebrauch der Peitsche konnte man sie dazu zwingen, eine solche Steigung der Straße zu nehmen, auf der die Zähne ihrer Hufeisen tiefe Eindrücke in dem festgefrornen Schnee und dazwischen manche Blutstropfen zurückließen.

Am Nachmittage gegen fünf Uhr ließ der Scout die Karawane halten. Die erschöpften Maultiere hätten keinen Schritt weiter machen können, obgleich ihre Last im Verhältnis zu der andrer Gefährte nur eine leichte war. Rechts vom Engpasse öffnete sich hier eine mit harzigen Bäumen reichlich bestandene Art Schlucht. Unter dem Gezweige dieser Bäume standen die Zelte dann geschützt gegen die heftigen Windstöße, die jetzt als Folge der aufsteigenden Luftwärme zu befürchten waren.

Bill Stell kannte diesen Platz, wo er schon mehr als einmal die Nacht zugebracht hatte; hier wurde also das Lager nach seinen Anweisungen aufgeschlagen.

»Sie fürchten einen baldigen Sturm? fragte ihn Ben Raddle.

– Ja, die heutige Nacht dürfte unangenehm werden, antwortete der Scout, wir werden uns kaum genug gegen das tolle Schneetreiben schützen können, das sich hier wie in einem Kessel zu fangen pflegt.

– Wir sind aber doch in Sicherheit, bemerkte dazu Summy Skim, in Sicherheit schon wegen der Gestalt und der Lage dieser Schlucht.

– Eben deshalb habe ich sie auch als Halteplatz gewählt,« erklärte Bill Stell.

Die Erfahrung des Scout hatte ihn nicht getäuscht. Gegen sieben Uhr abends setzte ein tüchtiger Sturmwind ein, der mit ungeschwächter Kraft bis zum Morgen gegen fünf Uhr anhielt. Ihn begleitete ein Schneegestöber, bei dem es kaum möglich war, zwei Meter weit noch etwas zu sehen. Man hatte die größte Mühe, die Ofen in Brand zu erhalten, denn der Sturm trieb den Rauch [109] nach innen und ebenso war es höchst beschwerlich, bei dem Unwetter den nötigen Holzbedarf herbeizuschaffen. Die Zelte hielten dem Winde zwar stand, Summy Skim und Ben Raddle mußten aber doch einen Teil der Nacht wach bleiben, weil sie immer befürchteten, daß das Zelt, das die jungen Mädchen beherbergte, weggerissen werden könnte.

Das geschah auch wirklich mit den meisten, die außerhalb der Schlucht aufgeschlagen worden waren, und als es wieder Tag wurde, ließ sich der vom Sturm angerichtete Schaden erst übersehen. Da hatten manche Gespanne ihre Fesseln zerrissen und sich überall hin zerstreut, da gab es umgeworfene Schlitten, einige davon in Vertiefungen neben der Fahrstraße, wo Bergbäche rauschten, hinuntergestürzt, und dort sah man wieder ganze Familien in Tränen gebadet, die vergeblich um Hilfe flehten, welche ihnen niemand bringen konnte... mit einem Worte: es war ein richtiges Unglück.

»Die armen, armen Menschen! murmelten die jungen Mädchen. Was soll nun aus ihnen werden?

– Ja, das ficht uns nicht an, erklärte mürrischen Tones der Scout, der sein doch ohnmächtiges Mitleid unter scheinbarer Hartherzigkeit verbarg... und da wir einmal nichts helfen können, ist es für uns am besten, baldigst aufzubrechen.«

Er veranlaßte sofort die Weiterfahrt und die Karawane setzte sich aufs neue bergauf in Bewegung.

Der Sturm hatte sich mit Tagesanbruch gelegt. Bei der schroffen Veränderung, die das Thermometer in so bedeutender Höhenlage nicht selten zeigt, war der Wind nach Nordosten umgeschlagen und die Lufttemperatur bis auf zwölf Grad unter Null gesunken. Die dicke Schneeschicht des Erdbodens war sofort wieder außerordentlich hart geworden.

Das Bild der Gegend hatte sich stark verändert. Jenseits der Abdachung des Bergpasses hatten die Waldmassen ausgedehnten weißen Ebenen Platz gemacht, deren Glitzern die Augen belästigte. Die Reisenden, die es außer acht gelassen haben, sich mit blauen, noch besser mit grauen Brillen zu versorgen, können hier nichts andres tun, als sich Wimpern und Augenlider mit pulverisierter Holzkohle zu bestreuen.

Auf die Empfehlung ihres Führers hin gebrauchten Ben Raddle und Summy Skim denn auch diese Vorsicht, sie konnten aber Edith und Jane nicht dazu bewegen, es ihnen gleichzutun.

[110] »Was werden Sie denn beginnen, Fräulein Jane, redete Ben dieser zu, die Goldkörnchen zu entdecken, wenn Sie nachher an einer schweren Augenentzündung leiden?

– Und Sie, Fräulein Edith, überbot Summy den Vetter noch, wie werden Sie dann imstande sein, Ihre Kranken zu pflegen?... Und wäre es nur um unsertwillen, liebes Fräulein, denn ich fühle es bestimmt, uns wird in diesem Teufelslande noch ein Unglück zustoßen und Sie werden einen Tag oder den andern im Krankenhause von Dawson unsre Barmherzige Schwester sein.«

Hier half aber kein Zureden. Die beiden jungen Mädchen zogen es vor, sich unter einem niederschlagbaren Teil ihrer Kapuzen zu verstecken, und wollten lieber vorläufig auf den Gebrauch der Augen verzichten als sich auf die erwähnte Weise beschmutzen, ein Beweis – wenn es eines solchen überhaupt noch bedürfte – daß die angeborene Koketterie auch bei der streitbarsten Frauenrechtlerin ihre Allmacht nicht verliert.

Am Abend des 29. April rastete die Karawane auf dem höchsten Punkte des Chilkoot-Passes, wo der Scout das Lager herrichten ließ. Am nächsten Morgen sollte dann der Abstieg über die nördliche Rampe des Bergrückens beginnen.

An dieser ganz kahlen und aller Unbill der Witterung ausgesetzten Stelle herrschte ein außerordentlicher Trubel. Mehr als dreitausend Auswandrer hatten sich hier schon angesammelt. Hier richten sie sich»Caches« (meist unterirdische Verstecke) ein, wo sie einen Teil ihrer Habseligkeiten einstweilen zurücklassen. Der Abstieg bietet nämlich auch noch außergewöhnliche Schwierigkeiten, so daß man ihn, um Unfälle zu vermeiden, nur mit kleinen Ladungen unternehmen kann. Alle diese Hitzköpfe, denen der verlockende Goldspiegel Klondikes eine übernatürliche Energie und zähe Ausdauer verleiht, schaffen dann also allemal nur eine Last Gepäckstücke bis zum Fuße des Berges und steigen dann wieder auf dessen Scheitelhöhe hinauf, einen weiteren Teil ihres Gepäcks zu holen. Dieses Auf- und Absteigen wiederholt sich, wenn es nötig wird, wohl fünfzehn- bis zwanzigmal und nimmt natürlich viele Tage in Anspruch. Hier können nun die Hunde unersetzliche Dienste leisten, ob sie dabei vor Schlitten angeschirrt werden oder nur einfach Ochsenhäute zu schleppen haben, deren man sich gern bedient, weil sie über den harten Schnee des Abhangs leicht hingleiten.

Dem Nordwinde trotzend, der in voller Wucht längs des Abhangs des Chilkoot hinauffegte und beim Abstieg ihre Beschwerden verzehnfachen sollte, hatten [111] die meisten Auswandrer am Nordrande des Engpasses Halt gemacht. Von diesem Punkte aus sahen die bedauernswerten Leute die Ebenen von Klondike endlich vor sich liegen. Da dehnten sie sich zu ihren Füßen aus, diese Wundergebiete, die ihre überhitzte Einbildung gleich zu unbegrenzten Goldfeldern verwandelte, wo für sie – ausgerechnet für sie – die Keime ungeheuern Reichtums und staunenerweckender Macht nur zum Aufheben bereit lägen. Ihre ganze Seele strebte hinaus nach diesem geheimnisvollen Norden, hinaus mit der ganzen Heftigkeit des Verlangens, mit der ganzen Kraft ihres Wundertraumes, dem bei so vielen nur ein schreckliches Erwachen folgen sollte.

Bill Stell und seine Karawane brauchten den Aufenthalt auf dem Berggipfel nicht wie andre zu verlängern; sie hatten ja kein Versteck aufzusuchen und hatten keine Veranlassung, den Abhang nochmals zu ersteigen, nachdem sie heruntergekommen waren. Einmal auf der Ebene angelangt, brauchten sie nur eine Strecke von wenigen Lieues zurückzulegen, um die Spitze des Lindemansees zu erreichen.

Das Lager wurde in gewohnter Weise aufgeschlagen. Die nächste Nacht war aber eine der schlimmsten. Die Temperatur hatte sich plötzlich gehoben und der Sturm begann mit erneuter Heftigkeit zu pfeifen. Die Zelte, die hier nicht im Schutze eines Hohlwegs lagen, wurden durch die Windstöße wiederholt von ihren Pflöcken losgerissen und mußten endlich ganz niedergelegt werden, weil sie sonst unfehlbar in dem tollen Schneetreiben mit fortgeflogen wären. Den Lagerinsassen blieb nichts andres übrig, als sich in ihre Decken zu wickeln und philosophisch den Anbruch des Tages abzuwarten.

»Na wahrlich, dachte Summy Skim, da reicht die ganze Philosophie aller Weltweisen des Altertums und der Gegenwart doch kaum aus, alle Greuel einer solchen Reise ruhig hinzunehmen, vorzüglich wenn man zu so einer Fahrt nicht unbedingt gezwungen ist!«

War es dann und wann in der Luft etwas ruhiger, so wurden dabei laute Schmerzens- und Schreckensschreie hörbar, in die sich auch lästerliche Flüche mischten. Und neben dem Jammern von Verwundeten, die der Wind über den Erdboden hinrollte, noch ein wütendes Gebell, ein lautes Wiehern und ohrenzerreißendes Gebrüll der erschreckten Tiere, die auf der Hochebene umherjagten.

Endlich graute der Morgen des 30. April. Bill Stell drängte zum Aufbruch. Die jetzt an die Stelle der Maultiere tretenden Hunde wurden an die [112] [115]Schlitten gespannt, worauf aber niemand Platz nahm, und nun begann der ziemlich gefährliche Abstieg.


Auf der Höhe des Chilkoot.

Dank der Vorsicht und der Erfahrung des Scout ging er ohne Unfall, wenn auch nicht ohne Beschwerden vonstatten und die beiden Schlitten erreichten glücklich die Ebene am Ende des Chilkoot-Passes. Das Wetter wurde jetzt besser. Der weniger scharfe Wind schlug nach Osten um und die Thermometersäule fing an zu steigen. Zum Glück hielt sie sich aber noch immer unter dem Nullpunkte, denn schnelles Tauwetter hätte die Wanderung sehr beschwerlich gemacht.

Am Fuße des Berges lagerte eine große Zahl von Auswandrern in Erwartung ihres nur allmählich unten eintreffenden Gepäcks. Platz war hier reichlich vorhanden, das Gedränge also nicht so lästig wie oben auf der Hochebene. Rings umher erhoben sich Waldungen, wo die Zelte unter gutem Schutze errichtet werden konnten.

Hier verbrachte unsre Karawane die nächste Nacht. Am folgenden Morgen zog sie auf recht bequemem Wege weiter und erreichte gegen Mittag ohne Zwischenfall die Südspitze des Lindemansees.

8. Kapitel
Achtes Kapitel.
Nach Norden.

Der Nachmittag dieses Tages wurde der Ruhe gewidmet. Es mußten auch für die nun beginnende Schiffahrt über die Seen einige Vorbereitungen getroffen werden, die der Scout ohne Zögern in die Hand nahm. Im eignen Interesse wie in dem ihrer Reisegefährtinnen konnten sich Summy Skim und Ben Raddle wirklich nur beglückwünschen, mit dem so verständigen und geschickten Manne verhandelt zu haben.

Am Südende des Lindemansees, wo auch schon an tausend Reisende zusammengeströmt waren, befand sich nun Bill Stells Lagermaterial. Er besaß hier an der Rückseite eines Hügels seine Hauptlagerstätte. Zu dieser Anlage [115] gehörte auch ein in mehrere gut abgeschlossene Stuben geteiltes hölzernes Haus, an das mehrere Schuppen mit den Schlitten und andern Beförderungsmitteln angebaut waren. Dahinter erhoben sich noch Stallungen für die Zugtiere neben festen Hütten für die Hunde.

Schon wendete sich der Verkehr weit mehr dem Chilkoot zu als dem White-Paß, obwohl dieser unmittelbar auf den Bennettsee zu mündete und damit die Fahrt über den Lindemansee ausschaltete. Auf dem zweiten aber war die Beförderung von Personen und Gepäckstücken der Reisenden – ob der See nun seinen Eispanzer trug oder dieser schon weggetaut war – entschieden leichter als über die weiten Ebenen, die noch zwischen dem White-Paß und dem südlichen Ufer des Bennettsees liegen.

Die vom Scout gewählte Station gewann also mehr und mehr an Bedeutung. Er machte hier auch gute Geschäfte und jedenfalls sichrere als mit der Ausbeutung von Lagerstätten Klondikes.

Bill Stell betrieb sein einträgliches Gewerbe hier übrigens nicht ganz allein; andre hatten sich diesem, sowohl hier als auch am Bennettsee, ebenfalls zugewendet. Ja man konnte sogar sagen, daß diese Unternehmer – es waren neben Kanadiern auch Amerikaner – für die tausende von Auswandrern, die zu dieser Zeit des Jahres an den beiden Einschiffungsplätzen eintrafen, noch nicht einmal genügten.

Immerhin wendeten sich viele dieser Auswandrer, und zwar aus Sparsamkeitsrücksichten, nicht an den Scout oder an dessen Kollegen; die sind dann aber gezwungen, ihr gesamtes Material von Skagway bis hierher selbst zu befördern, ihre Schlitten mit zerlegbaren Booten aus Holz oder Eisenblech zu belasten, und wir haben ja gesehen, welche Schwierigkeiten es verursachte, so schwere Frachtstücke über den Chilkoot hinwegzuschaffen. Über den White-Paß sind die Beschwerden nicht geringer und auf dem einen wie auf dem andern Wege bleibt immer ein Teil dieser lästigen Fracht ganz liegen oder wird wenigstens beschädigt.

Daneben gibt es noch andre Zuzügler, die es, um die Ungelegenheiten oder die Kosten der Beförderung zu vermeiden, vorziehen, die unentbehrlichen Boote erst hier bauen zu lassen oder auch sie selbst zusammenzuzimmern. In der hiesigen waldreichen Gegend fehlt es dazu ja nicht an Material und schon sind deshalb hier einige Bootswerften entstanden und rings um die Raststelle am Lindemansee arbeiten auch mehrere Sägemühlen.

[116] Beim Eintreffen unsrer Reisegesellschaft wurde Bill Stell von seinen Leuten freudig begrüßt, von mehreren Männern, die ihm als Lotsen dienten und die Boote von See zu See bis zum Laufe des Yukon führten. Auf ihre Geschicklichkeit konnte man sich ruhig verlassen: sie waren mit dieser, zuweilen immerhin gefährlichen Fahrt vollständig vertraut.

Die Luftwärme hielt sich zunächst ziemlich niedrig. Summy Skim, Ben Raddle und ihren Reisegenossinnen kam es recht gelegen, im Hause des Scout, wo man ihnen die besten Zimmer einräumte, bequeme Unterkunft zu finden. Bald fanden sich alle in einer Art Gesellschaftszimmer zusammen, wo eine angenehme Wärme herrschte.

»Uf! stieß Summy Skim hervor, als er sich nieder setzte, nun wäre ja das Schlimmste überstanden!

– Hm... sagte Bill Stell, bezüglich der Anstrengung... na ja... vielleicht... und doch... Nicht zu vergessen, daß wir bis Klondike noch mehrere hundert Lieues vor uns haben.

– Das weiß ich, mein wackrer Bill, antwortete darauf Summy Skim, doch denke ich, daß dieser zweite Teil der Reise ohne Gefahren und Mühseligkeiten verlaufen wird.

– Darin haben Sie doch nicht ganz recht, Herr Skim, entgegnete der Scout.

– Ja, wir werden aber doch nur noch über die Seen, die Ströme und die Flüsse mit deren Strömung zu fahren haben.

– Gewiß, das heißt, wenn der Winter schon ganz vorbei wäre, leider hat der Eisaufbruch aber erst angefangen. Wenn dann der Eisgang eintritt, wird unser Boot nicht selten von den hinabtreibenden Schollen bedrängt werden und außerdem werden wir jedenfalls wiederholt genötigt sein, es ein Stück über Land zu schleppen.

– Das steht fest, rief Summy Skim, hier fehlt noch mancherlei, dem Touristen das Reisen in dem schrecklichen Lande zum Vergnügen zu machen!

– Wird auch noch kommen, bemerkte dazu Ben Raddle, denn schon jetzt ist es im Werke, hier eine Bahnlinie anzulegen. Der Ingenieur Hawkins wird dabei unausgesetzt zweitausend Mann beschäftigen.

– Na ja, recht gut und schön, meinte Summy Skim, ich rechne aber stark darauf, schon vorher zurückgekehrt zu sein. Bekümmern wir uns jetzt also nicht weiter um diese noch fragliche Eisenbahn, wir wollen uns dafür lieber über den Weg unterrichten, den wir zur Zeit noch einzuschlagen haben.«

[117] Der Scout ging sogleich auf diesen Wunsch ein und entfaltete eine im großen Maßstabe gehaltene Karte des ganzen in Betracht kommenden Gebietes.

»Hier, sagte er, ist zunächst der Lindemansee, der dem Fuße des Chilkoot so nahe liegt und über den wir in seiner ganzen Länge fahren müssen.

– Wird das viel Zeit beanspruchen? fragte Summy Skim.

– Nein, gab der Scout zur Antwort, wenn er eine ununterbrochene Eisdecke trägt oder wenn er ganz eisfrei ist.

– Und weiter? sagte Ben Raddle.

– Dann müssen wir unser Boot und unser Gepäck eine halbe Lieue (fast 2 km) bis zur Station am Bennettsee über Land befördern. Auch die Dauer dieses so kurzen Marsches hängt wesentlich von der Luftwärme ab und Sie haben ja schon erfahren, in welch weiten Grenzen die an einem Tage wechseln kann.

– Ja freilich, gab Ben Raddle zu, um zwanzig bis fünfundzwanzig Grad, je nachdem der Wind aus Norden oder aus Süden kommt.

– Jedenfalls, setzte Bill Stell hinzu, brauchen wir entweder anhaltendes Tauwetter, um das Boot benützen zu können, oder eine tüchtige Kälte, bei der der Schnee ordentlich hart wird, so daß wir das Boot darauf wie einen Schlitten hingleiten lassen können.

– Schön, nahm Summy Skim wieder das Wort, angenommen, wir befänden uns nun am Bennettsee...

– Der erstreckt sich, erklärte der Scout, über eine Länge von zwölf Lieues (463/4 km). Auf die Fahrt darüber hin müssen wir aber mindestens drei Tage rechnen, da wir dazwischen mehrmals ans Land gehen werden.

– Nach diesem See, sagte Summy Skim, während er die Karte betrachtete, kommt wohl noch einmal ein Stück Landweg?

– Nein, da ist der eine Lieue lange Rio du Caribon, der den Bennettsee mit dem Tayischsee verbindet. Dieser dehnt sich sieben bis acht Lieues (gegen 28 bis 30 km) weit aus und steht dann mit dem ungefähr ebensolangen Marschsee in Verbindung. Über diesen See hinaus haben wir ferner etwa zehn Lieues (39 km) weit den Windungen eines Flusses zu folgen, und dabei gelangen wir an die Stromschnellen der White Horses, über die immer schwierig, zuweilen gefährlich, hinwegzukommen ist. Nachher erreicht man, am Ende des Labargesees, die Zuflußstelle des Takheena. Auf dieser Strecke der Fahrt ist man von den ärgerlichsten Verzögerungen bedroht, wenn es gilt, die Stromschnellen [118] der White Horses zu überwinden. Ich bin dort, stromaufwärts vom Labargesee, gelegentlich schon eine ganze Woche aufgehalten worden.

– Doch der See, fragte Ben Raddle, ist der wenigstens bequem zu befahren?

– Auf allen seinen dreizehn Lieues vollkommen bequem.

– Alles in allem, ließ sich jetzt Ben Raddle vernehmen, wird unser Fahrzeug uns, von wenigen kleinen Landstrecken abgesehen, bis nach Dawson City bringen.

– Unmittelbar bis dahin, Herr Raddle, bestätigte Bill Stell, und obendrein ist die Fahrt auf dem Wasser immer die leichteste und angenehmste.

– Und wie lang ist, fragte Ben Raddle, sowohl längs des Lewis als auch des Yukon die Strecke, die den Labargesee noch von Klondike trennt?

– Mit Einrechnung der Bogen der Wasserläufe etwa hundertfünfzig Lieues (585 km).

– Na, eins sehe ich, sagte Summy Skim, angekommen sind wir noch nicht.

– Gewiß nicht, bestätigte der Scout. Wenn der Lewis am Nordende des Labargesees erreicht ist, haben wir erst die Hälfte des Weges hinter uns.

– In Anbetracht der so langen Reise, schlug Summy Skim vor, wollen wir doch einen Vorrat an Kräften sammeln, und da sich hier an der Haltestelle am Lindemansee Gelegenheit bietet, eine Nacht tüchtig auszuschlafen, wollen wir bald zu Bette gehen!«

In der Tat verbrachten die beiden Vettern hier eine der besten Nächte seit der Abreise aus Vancouver. In dem gut geschützten und geschlossenen Hause sorgten die wohlversorgten Öfen für eine mollige Wärme.

Die neunte Morgenstunde des 1. Mai war herangekommen, als die Gesellschaft sich wieder in Bewegung setzte. Die Mehrzahl der Männer, die den Scout von Skagway aus begleitet hatten, sollten ihm auch bis Klondike folgen.

Ihrer Hilfe bedurfte man zur Beförderung des zum Schlitten verwandelten Bootes, da zu erwarten war, daß man später auf den Seen und auf dem Lewis und dem Yukon hinschiffen könnte.

Die vorhandenen Hunde gehörten zu der verbreiteten Rasse des Landes. Die völlig akklimatisierten Tiere haben stark behaarte Pfoten, infolgedessen sie, ohne die Gefahr, tiefer einzusinken, besser über den Schnee laufen können. Daraus aber, daß sie akklimatisiert waren, durfte man nicht schließen, daß sie nicht [119] recht wild geblieben wären. Wirklich gaben sie in dieser Hinsicht Wölfen oder Füchsen nicht viel nach. Ihren Führern gelang es auch nur durch Liebkosungen und Leckerbissen, sie einigermaßen gehorsam zu er halten.

Unter der Mannschaft des Scout befand sich jetzt einer als Lotse, der für die Führung des Bootes auf den verschiedenen Gewässern bestimmt war. Es war ein Indianer aus Klondike, Neluto mit Namen, der schon seit neun Jahren im Dienste des Scouts stand. In seinem Fache sehr erfahren sowie mit den Schwierigkeiten jeder Art, die sich bei der Fahrt auf den Seen, über die Stromschnellen und auf den Flüssen bieten, gründlich bekannt, konnte man sich dem Manne sorglos anvertrauen. Vor seinem Eintritt in das Personal des Scouts war Neluto bei der Hudsonbai-Gesellschaft angestellt gewesen, wo er die Pelzjäger lange Zeit durch weite Landstrecken geführt hatte. Er kannte gründlich die von ihm in jeder Richtung durchstreiften Gebiete und selbst die Gegend oberhalb von Dawson City bis an den Polarkreis.

Neluto war des Englischen genügend mächtig, verstanden zu werden und sich verständlich zu machen. Soweit es nicht seinen Beruf betraf, sprach er überhaupt nur sehr wenig, so daß man ihm, wie man zu sagen pflegt, die Worte einzeln aus dem Munde locken mußte. Immerhin konnte der an das Klima Klondikes vollkommen gewöhnte Mann nach dem und jenem mit Nutzen befragt werden. So glaubte auch Ben Raddle an ihn die Anfrage richten zu sollen, was er von der bevorstehenden Witterung hielte und ob er glaubte, daß das Eis der Seen bald aufbrechen würde.

Neluto erklärte, daß die Schneeschmelze und der Eisgang seiner Ansicht nach vor Verlauf von vierzehn Tagen nicht zu erwarten seien, wenn im Zustand der Atmosphäre kein schroffer Umschlag einträte.


Die Stromschnellen zwischen dem Lindeman- und Bennettsee. - Die Schlucht im Chilkootpaß.

Ben Raddle erschien diese Prognose freilich recht unbestimmt, er mußte jedoch darauf verzichten, aus einem Mann, der es entschieden vermeiden wollte, sich zu kompromittieren, eine andere herauszuholen.

Während die nächste Zukunft also unsicher blieb, konnte man wenigstens über die Gegenwart nicht im Zweifel sein. Über den Lindemansee sollte man nicht im schaukelnden Boot fahren, sondern, so gut es ging, hinwandern. Jane und Edith konnten immerhin in dem Fahrzeuge Platz nehmen, das, nach der Seite geneigt, über das Eis gezogen wurde und dem die Männer zu Fuße folgen sollten.

Das Wetter war ziemlich ruhig, der gestrige schneidende Wind war abgeflaut und verriet die Neigung, nach Süden zurückzugehen. Dennoch herrschte eine[120] [123] recht tüchtige Kälte – bei gut zwölf Grad unter Null – ein im ganzen günstiger und vorteilhafter Umstand für den Marsch, der durch Schneegestöber den Wandrern sonst recht beschwerlich werden kann.

Nachdem der Lindemansee gegen elf Uhr überschritten war, genügte eine Stunde, die zwei Kilometer, die ihn vom Bennettsee trennten, zurückzulegen, und als die Mittagsstunde schlug, hielt der Scout mit seiner Karawane an der Station, die am Südende dieses Sees entstanden ist.

Hier herrschte ein ebenso arges Gedränge wie am Sheep-Camp des Chilkoot-Passes: mehrere tausend Auswanderer warteten nur darauf, ihre Fahrt fortsetzen zu können. Überall standen Zelte, die gewiß bald durch Hütten und Häuser ersetzt werden sollten, wenn der Zuzug nach Klondike noch einige Jahre in gleicher Stärke anhielt.

Schon fand man in diesem Dorfembryo, der später ohne Zweifel zum Flecken und dann zur Stadt anwuchs, einige Herbergen – später Hotels – und am Ufer des Sees Schiffswerften und Sägewerke verstreut, ohne von einem Polizeiposten zu reden, dessen Aufgabe mitten unter den von überallher zusammengeschneiten Abenteurern sicherlich oft genug eine recht gefährliche war.

Der Indianer Neluto hatte sehr recht daran getan, seine Witterungsvorhersage in normännischer Weise zu verklausulieren: kurz nach Mittag trat plötzlich ein starker Witterungsumschlag ein.

Der Wind wehte ziemlich steif aus Süden und das Thermometer stieg auf Null Grad.

Das waren Vorzeichen, über die sich niemand täuschen konnte. Jetzt ließ sich annehmen, daß der Winter wirklich zu Ende gehen und daß das Tauwetter die Oberfläche der Seen und Wasserläufe bald vom Eise befreien würde.

Schon war der Bennettsee von diesem nicht mehr im ganzen Umfange bedeckt. Zwischen den Icefields oder Eisfeldern hatten sich Spalten gebildet, die ein Boot, wenn es deren Windungen folgte, recht wohl passieren konnte.

Gegen Ende des Tages stieg die Temperatur noch weiter. Der Eisaufbruch nahm zu und schon fingen einzelne Schollen an, sich vom Ufer zu lösen und nach Norden abzuschwimmen. Trat nun in der nächsten Nacht kein sehr strenger Frost ein, so konnte man das nördliche Ende des Sees gewiß ohne größere Schwierigkeit erreichen.

Das Thermometer fiel in der Nacht nicht und mit Tagesanbruch am 2. Mai konnte Bill Stell erkennen, daß die Schiffahrt schon unter recht günstigen [123] Verhältnissen erfolgen könne. Der von Süden herwehende Wind gestattete, wenn er anhielt, überdies die Benützung eines Segels.

Als der Scout mit dem Morgengrauen das Gepäck und die Nahrungsmittelvorräte einladen lassen wollte, bemerkte er mit Erstaunen, daß das bereits geschehen war. Jane und Edith hatten sich schon am Abend vorher dieser Arbeit unterzogen. Unter ihrer Leitung war alles in so zweckmäßiger Ordnung untergebracht, wie es der Scout selbst schwerlich erreicht hätte. Der kleinste Winkel war da ausgenützt und alle Kolli, die großen wie die kleinen, waren so überraschend gut verstaut, daß es ein Vergnügen war, es zu sehen, und eine Kleinigkeit, das eine oder das andre davon hervorzuholen.

Als die beiden Vettern dann bei ihrem Führer am Ufer standen, teilte er diesen mit, welches Erstaunen er eben empfunden habe.

»Ja ja, antwortete Ben Raddle, es sind außerordentliche Wesen... alle beide. Der Tätigkeitsdrang und die nie versiegende gute Laune der Miß Jane und die milde, doch unbesiegliche Festigkeit der Miß Edith haben entschieden etwas Überraschendes und ich fange an zu glauben, daß ich ein gutes Geschäft gemacht habe.

– Ein Geschäft?... Welches Geschäft? fragte der Scout verwundert.

– Das ist eine Sache, die Sie nicht ganz verstehen würden. Doch sagen Sie mir, Freund Stell, was halten Sie von der Witterung? Wird der Winter zu Ende sein?

– Darüber möchte ich mich nicht ohne Vorbehalt aussprechen. Es scheint ja so, daß die Seen und Flüsse bald eisfrei sein werden. Wenn wir übrigens den offnen Spalten folgen, selbst daraufhin, daß das den Weg natürlich verlängerte, würde unser Boot...

– Sein ihm zustehendes Element nicht zu verlassen brauchen, schloß Summy Skim den Satz. Das wäre ja das Beste für alle.

– Was denkt denn Neluto darüber? fragte Ben Raddle.

– Neluto, erklärte der Indianer pathetisch, denkt, man brauche keine Unterbrechung des Eisgangs zu befürchten, wenn das Thermometer nicht fällt.

– Vortrefflich! rief Ben Raddle lachend. Sie hüten sich ja weislich vor etwaiger Blamage, guter Freund. Können die hinuntertreibenden Eisschollen aber nicht auch gefährlich werden?

– O, das Boot ist fest und hält schon einen Anprall aus, versicherte Bill Stell. Das hat sich schon oft bewährt, wenn es mitten im Eisgange dahinglitt.«

[124] Ben wandte sich wieder dem Indianer zu.

»Neluto, redete er ihn an, wollen Sie mir denn Ihre Ansicht nicht etwas bestimmter sagen?

– Nun, schon seit zwei Tagen hat sich das erste Eis in Bewegung gesetzt, das ist ein Beweis, daß der See draußen davon frei sein wird.

– Aha, sagte Ben mit Befriedigung, das ist doch endlich ein Wort, das sich hören läßt. Und was denken Sie über die Windverhältnisse, Lotse?

– Zwei Stunden vor Tage hat sich Wind erhoben, der uns günstig ist.

– Ja, das ist eine Tatsache; doch wird sich der Wind auch halten?«

Neluto drehte sich um und musterte den im Süden vom Bergstock des Chilkoot abgeschlossenen Horizont. An der Berglehne sanken nur leichte Dunstmassen herab. Da streckte der Lotse die Hand nach dieser Richtung aus und sagte:

»Ich glaube, die Brise wird bis zum Abend aushalten, Herr...

All right!

– Wenn sie bis dahin nicht umschlägt, setzte Neluto ganz ernsthaft hinzu.

– Ich danke euch, Lotse, erwiderte Ben etwas ärgerlich, nun weiß ich ja, woran ich bin.«

Das Boot des Scouts war eine Art Schaluppe oder richtiger eine fünfunddreißig Fuß lange Barke. Auf dem Hinterteil trug es eine Überdachung, worunter bei Tag und bei Nacht zwei bis drei Personen gegen Schneetreiben oder Regenschauer Schutz finden konnten. Das Boot hatte einen flachen Boden und deshalb also einen geringen Tiefgang; seine Breite betrug sechs Fuß, was ihm gestattete, eine ziemlich große Segelfläche zu tragen. Das Segel, in der Form des auf Fischerschaluppen üblichen Focksegels, war am Vorderteile angeseilt und reichte bis zur Spitze eines fünfzehn Fuß hohen Mastes – mehr einer Spiere – hinauf. Beim Eintreten schlechten Wetters war es leicht, den Mast aus seiner Spur zu heben und ihn unter den Seitenbänken zu bergen.

Scharf gegen den Wind konnte ein solches Fahrzeug freilich nicht aufkommen, mit Backstagswind machte es aber doch recht gute Fahrt. Zwangen die Windungen der Wasserstraßen den Piloten, gegen den Wind zu steuern, so wurde das Segel eingebunden und man griff zu den Riemen, die, von den kräftigen Armen der vier Kanadier gehandhabt, das Boot ziemlich schnell vorwärtstrieben.

[125] Die Flächenausdehnung des Bennettsees ist nicht bedeutend; dieser hält keinen Vergleich aus mit den großen Binnenseen Nordamerikas, die zuweilen von den gefährlichsten Stürmen aufgewühlt werden. Für die Überfahrt mußten auf jeden Fall die vom Scout mitgeführten Nahrungsmittel ausreichen, die aus Fleisch, Konserven, Zwieback, ferner aus Tee und einem Fäßchen Branntwein bestanden; dazu kam endlich noch ein reichlicher Vorrat an Kohlen. Im übrigen rechnete man auch auf den Fischfang, denn die Gewässer wimmelten hier von schmackhaften Fischen und daneben gab es viel Wild, Rebhühner und Haselhühner, die das Ufergelände des Sees belebten.

Der Lotse am Steuer hinter dem Dache, worunter Edith und Jane saßen, Summy Skim und Ben Raddle davor zur Seite Bill Stells und die vier Mann auf dem Vorderteile mit Bootshaken in der Hand, um damit herandrängende Schollen abzuhalten: so stieß das Fahrzeug um acht Uhr früh vom Ufer.

Etwas belästigt wurde die Fahrt durch die große Zahl Boote, die sich gleichzeitig durch die eisfreien Spalten hinwanden. Um sich das Tauwetter und den günstigen Wind zunutze zu machen, hatten sofort mehrere hundert, meist kleine Fahrzeuge die Station am Bennettsee verlassen. Inmitten dieser Flottille war es oft schwierig, Zusammenstöße zu vermeiden. Dann gab es wüstes Geschrei, hagelte es Flüche und Drohungen von allen Seiten, wenn es nicht gar zum Austeilen von Schlägen kam.

Am Nachmittage kreuzte unser Fahrzeug ein Polizeiboot, dessen Besatzung es nicht an Gelegenheit fehlte, da und dort mit fester Hand einzugreifen.

Der Führer des Polizistentrupps kannte den Scout und rief ihn beim Vorüberfahren an.

»He, Scout... Scout! Immer noch Auswandrer auf dem Wege von Skagway nach Klondike...?

– Freilich, freilich, antwortete der Kanadier, mehr als nötig...

– Und mehr, als davon einst heimkehren werden.

– Ja, gewiß. Und auf wie viele schätzt man die, die schon über den Bennettsee gekommen sind?

– Etwa auf fünfzehntausend.

– Und noch ist des Zuzugs kein Ende?

– Keineswegs.

– Weiß man, ob der Eisgang stromabwärts schon vorüber ist?

[126] – Man sagt's wenigstens. Ihr werdet den Yukon also zu Schiff erreichen können.

– Jawohl, wenn keine neue Kälteperiode kommt.

– Das wollen wir hoffen.

– Ja. Danke!

– Glückliche Reise!«

Das Wetter war meist still, was man an der Fahrt des Bootes unliebsam bemerkte. Zwei Nächte mußte man beilegen und erst am Nachmittage des 4. Mai kam die Gesellschaft am Ende des Bennettsees an.

An dieser Stelle geht von dem See der kleine Fluß oder mehr Kanal Caribon aus, der kaum eine halbe Lieue weiter oben in den Tagishsee mündet.

Da die Weiterfahrt erst am folgenden Tage erfolgen sollte, nachdem man die Nacht über ausgeruht hatte, wollte Summy Skim die letzten Tagesstunden benützen, auf den Ebenen der Umgebung einiges Wild zu erlegen. Kaum hatte er diese Absicht verlauten lassen, als Jane Edgerton zu seiner großen Verwunderung und noch größern Befriedigung erklärte, daß sie ihn begleiten werde.

Das ganze Vorhaben des jungen Mädchens mußte ihren Reisegenossen von Tag zu Tag überhaupt minder töricht erscheinen: sie war sozusagen für das Leben gewappnet. So wie Summy Skim ein vortrefflicher Schütze war, erwies auch sie sich nicht minder geschickt und bald brachten beide die Ausbeute der gemeinschaftlichen Jagd heim: drei Paar Wiesenrebhühner und vier Haselhühner mit blaßgrünem Gefieder, die recht willkommen geheißen wurden. Edith hatte inzwischen am Ufer ein Feuer aus dürrem Holz entzündet und das über den flackernden Flammen geröstete Wild fand bei allen den ungeteiltesten Beifall.

Der siebeneinhalb Lieues lange Tagishsee ist mit dem Marshsee durch einen schmalen Einschnitt verbunden, den der Eisgang, als die Karawane am 6. Mai dahin kam, in der vorhergegangenen Nacht verstopft hatte. Dadurch wurde es nötig, das Boot auf die Strecke einer halben Lieue über Land zu schleppen, was mit Hilfe gemieteter Maultiere ausgeführt wurde. Die Schiffsreise konnte dann am Morgen des 7. Mai wieder fortgesetzt werden.

Achtundvierzig Stunden sollten notwendig werden, den Marshsee in seiner ganzen Länge, die übrigens nur sieben bis acht Lieues (27 bis 30 km) beträgt, zu durchmessen. Der Wind war nach Norden umgeschlagen und bei der ausschließlichen [127] Benützung der Riemen war an ein schnelles Fortkommen nicht zu denken. Zum Glück war die übrige Bootsflottille nicht mehr so zahlreich wie auf dem Bennettsee, da eine nicht geringe Zahl Fahrzeuge allmählich zurückgeblieben waren, und noch vor Sonnenuntergang konnte am 8. Mai am Ende des Sees bequem Halt gemacht werden.

»Wenn ich mich nicht irre, Scout, begann Ben Raddle nach dem Abendessen, so haben wir nur noch einen See, den letzten dieser Gegend, zu durchschiffen?

– Jawohl, Herr Raddle, lautete Bill Stells Antwort, und zwar den Labargesee. Vorher müssen wir aber den Lewisfluß hinabfahren und diese Reisestrecke bietet die meisten Unbequemlichkeiten. Da sind auch die White Horses-Fälle zu überschreiten, die schon manches Boot mit Mann und Maus verschlungen haben.«

Diese Stromschnellen bilden tatsächlich die ernsteste Gefahr für die Schifffahrt zwischen Skagway und Dawson City. Sie erstrecken sich über dreiundeinhalb Kilometer von den fünfundneunzig, die den Marshsee vom Labargesee trennen. Auf diese kurze Entfernung beträgt der Unterschied des Wasserniveaus nicht weniger als zweiunddreißig Fuß (etwa zehn Meter) und obendrein liegen im Flußbette Felsstücke zerstreut, an denen die Fahrzeuge leicht in Trümmer gehen können.

»Kann man da keinen Weg längs der Ufer einschlagen? fragte Summy Skim.

– Nein, die sind ungangbar, erklärte der Scout. Man baut aber eben eine Art Straßenbahn, auf der die Boote bis unterhalb der Fälle befördert werden sollen.

– Wenn man die Straßenbahn baut, fuhr Summy Skim fort, so bedeutet das doch wohl, daß sie noch nicht fertig ist?

– Ganz recht, Herr Raddle, obwohl hunderte von Arbeitern daran tätig sind.

– Dann geht uns die Sache also weiter nichts an. Sie werden schon sehen, lieber Stell, daß die Bahn auch bei unsrer Rückkehr noch nicht vollendet ist.

– Wenigstens wenn Sie sich in Klondike nicht länger, als jetzt beabsichtigt, aufhalten, antwortete Bill Stell. Man weiß ja stets, wann man nach einem Orte geht, doch eigentlich niemals, wann man von da zurückkehrt...


Neluto hatte ein scharfes Auge, eine sichre Hand und unerschütterliche Kaltblütigkeit. (S. 131.)

[128] [131]– Oder ob man überhaupt davon zurückkehrt!« setzte Summy Skim nachdenklich hinzu.

Am Nachmittage des folgenden Tages, des 9. Mai, war es, wo das Boot bei seiner Talfahrt auf dem Flusse die White Horses-Fälle erreichte. Hier sollte es die gefährliche Strecke auch nicht allein durchfahren. Andre Boote folgten ihm, doch wieviele von denen, die man jetzt oberhalb der Fälle sah, sollte man unterhalb dieser nicht wiederfinden!

Leichterklärlicherweise verlangen die Lotsen, die den Dienst an den White Horses-Fällen versehen, für ihre Arbeit einen ziemlich hohen Preis: für die drei Kilometer lange Fahrt rechnen sie gewöhnlich hundertfünfzig Francs Lohn und so fällt es ihnen auch gar nicht ein, ihr einträgliches Gewerbe mit der rein von Zufälligkeiten abhängigen Arbeit eines Prospektors zu vertauschen.

An dieser Stelle erreicht die Geschwindigkeit der Strömung fünf Lieues (191/2, km) in der Stunde. Es bedurfte also nur sehr kurzer Zeit, die drei Kilometer langen Stromschnellen zu passieren, wenn man wegen der zwischen den beiden Ufern regellos verstreuten Basaltblöcke zu vielen Umwegen gezwungen wäre und ebenso auch zur Vermeidung herabtreibender Eisschollen – schwimmender Klippen, könnte man sagen – deren Anprall auch das festestgefügte Boot zertrümmern würde. Durch diese Nebenumstände wird die Fahrtdauer aber wesentlich verlängert.

Wiederholt mußte das Boot, das jetzt durch die Riemen etwas gehalten wurde, fast gänzlich beidrehen, um dem drohenden Zusammenstoße mit einer Scholle oder einem andern Fahrzeuge auszuweichen; die Geschicklichkeit Nelutos hielt es aber immer auf dem gewünschten Wege. Der letzte Absatz der Stromschnellen ist der gefährlichste, hier ereignen sich auch die meisten Unglücksfälle. Bei der tollen Fahrt über diese Strecke muß man sich fest anhalten, um nicht gelegentlich über Bord geschleudert zu werden.

Neluto hatte jedoch ein scharfes Auge, eine sichre Hand und unerschütterliche Kaltblütigkeit und wenn er es auch nicht verhindern konnte, daß mehrmals eine kleine Menge Wasser über den Bootrand schlug – das übrigens bald wieder ausgeschöpft wurde – so wurde die etwas grauenvolle Fahrt doch ohne Schaden vollendet.

»Jetzt aber, rief Summy Skim, ist doch das Schlimmste überstanden?

– Jetzt... ohne Zweifel: ja! sagte Ben Raddle.

[131] – Sie haben recht, meine Herren, bestätigte der Scout. Nun haben wir nur noch über den Labargesee zu fahren und dem Lewis ungefähr auf einer Strecke von hundertsechzig Lieues (etwa 623 km) zu folgen.

– Hundertsechzig Lieues! rief Summy Skim lachend. Das hört sich ja bald an, als ob wir schon am Ziele angekommen wären!«

Bill Stell entschied sich, in Übereinstimmung mit Neluto, zu einer vierundzwanzigstündigen Rast an der Station des Labargesees, die man am Abend des 10. Mai erreichte. Von Norden her wehte eben ein recht steifer Wind. Nur mit Mühe hätte das Boot unter dem Drucke der Ruder weiter hinausfahren können und der Lotse hielt es für um so weniger geraten, unter diesen Umständen die Überfahrt zu wagen, als ein schnelles Sinken der Luftwärme eine erneute Eisbildung oder -festsetzung befürchten ließ, wodurch die Reisegesellschaft auf dem festgewordnen See vielleicht eingeschlossen werden konnte.

Die Station hier, die im allgemeinen nach demselben Vorbild und zu demselben Zwecke wie die andern am Lindeman- und am Bennettsee eingerichtet war, enthielt jedoch schon gegen hundert Häuser und Hütten. In einem der Häuser, das mit dem Namen eines Hotels prahlte, hatten die Reisenden das Glück, unbesetzte Zimmer zu finden.

Der ungefähr fünfzig Kilometer lange Labargesee besteht aus zwei Teilen, die an der Ursprungsstelle des Lewis knieförmig aneinanderstoßen.

Das am Morgen des 12. Mai abgefahrene Boot brauchte sechsunddreißig Stunden, über den ersten Teil des Sees hinwegzukommen. Erst am Nachmittag des 13. Mai gegen fünf Uhr erreichten also der Scout und seine Begleiter, die oft von stürmischen Winden belästigt worden waren, den Lauf des Lewis, der sich nach Nordwesten, dem Fort Selkirk zu, wendet. Am nächsten Tage glitt das Boot mitten unter treibenden Schollen hin.

Gegen fünf Uhr ließ der Scout am rechten Ufer anlegen, wo die Nacht verbracht werden sollte. Jane und Summy gingen sofort ans Land. Bald hörte man von dort den Knall der Gewehre und einige Paare Wildenten und Haselhühner machten es möglich, an dem vorhandenen Proviant zu sparen.

Die nächtlichen Aufenthalte, auf denen Bill Stell bestand, machten die andern Boote, die den Lewis hinabfuhren, übrigens auch und so flammten mit Dunkelwerden viele Lagerfeuer längs der Ufer auf.


Errichtung eines Lagers am Ufer des Lewis River.

[132] [135]Von diesem Tage an hielt nun entschiednes Tauwetter an. Bei südlichem Winde stieg das Thermometer bis fünf oder sechs Grad über Null; eine nochmalige Eisbildung auf dem Flusse war also nicht zu befürchten.

An einen nächtlichen Überfall durch Raubtiere war auch nicht zu denken. Bären sollte es in der Nachbarschaft des Lewis überhaupt nicht geben... vielleicht zum großen Leidwesen Summy Skims, der einen solchen Plattsüßter gern einmal zur Strecke gebracht hätte. Dagegen mußte man sich gegen entsetzliche Schwärme von Mücken verteidigen und kaum gelang es, ihren schmerzhaften und reizenden Stichen dadurch zu entgehen, daß man bis zum Morgen ein lebhaftes Feuer unterhielt.

Nach einer fünfzig Kilometer langen Fahrt auf dem Lewis sahen der Scout und seine Gefährten am Nachmittage des 15. Mai die Mündungsstelle des Rio Hootalinqua und am nächsten Tage die des Big Salmon, zweier Nebenflüsse des Lewis. Auffällig war es dabei, zu beobachten, wie sich die blaue Farbe des Hauptflusses nach der Aufnahme dieser Zuflüsse veränderte. Am nächsten Tage kam das Boot an der Mündung des jetzt von den Goldsuchern schon verlassenen Rio Valsh vorüber, weiterhin am Cassiar mit seiner bei Niedrigwasser trockenliegenden Sandbank, auf der früher einige Prospektoren in einem Monate für dreißigtausend Francs Gold gewonnen hatten.

Die Weiterreise verlief nun abwechselnd bei gutem und bei schlechtem Wetter. Das Boot schwamm, einmal von den Riemen und dann wieder vom Segel getrieben, dahin und wurde in einzelnen Fällen durch sehr gewundene Stellen vom Lande aus mittels Zugleine geschleppt.

Am 25. Mai war der größte Teil des Lewis, der nun bald zum Yukon werden sollte, unter günstigen Verhältnissen durchschifft, als der Scout am Turennelager Halt machte, das an einem mit den ersten Blumen, mit Anemonen, Crokus und duftendem Wacholder besäten steilen Ufer lag. Viele Auswandrer hatten hier schon ihre Zelte aufgeschlagen.

Da das Boot einiger Reparaturen bedurfte, rastete man wieder vierundzwanzig Stunden und Summy Skim konnte seinem Lieblingszeitvertreib nachgehen.

An den beiden folgenden Tagen kam das Boot, dank einer recht schnellen Strömung, ein gutes Stück den Fluß hinunter und am 28. Mai legte es am Nachmittage, nachdem es am Labyrinth der Myersallinseln vorübergekommen war, sich am linken Stromufer haltend, am Fuße des Forts Selkirk an.

[135] Das im Jahre 1848 für die Zwecke der Agenten der Hudsonsbai-Gesellschaft erbaute Fort, das 1852 von Indianern zerstört wurde, ist gegenwärtig nichts weiter als ein reichlich mit Waren versorgter Basar. Von Hütten und Zelten von Auswandrern eingerahmt, beherrscht es den mächtigen Wasserlauf, der von hier an den Namen Yukon führt und von den Fluten des Pelly, seines Hauptzuflusses am rechten Ufer, noch weiter vergrößert wird.

Leider nur zu hohen Preisen fand der Scout im Fort Selkirk alles, was er brauchte oder wünschte, und nach einem Aufenthalt von vierundzwanzig Stunden stieß das Boot am Morgen des 30. Mai wieder vom Ufer ab. Es kam nun, ohne anzuhalten, an der Mündung des Stewart vorüber, der jetzt anfing, die Aufmerksamkeit der Goldsucher auf sich zu lenken. Längs seines dreihundert Kilometer langen Bettes werden schon zahlreiche Claims bearbeitet. Weiterhin legte das Boot für einen halben Tag bei Ogilvie, am rechten Ufer des Yukon, an.

Stromabwärts verbreiterte sich der Yukon nun mehr und mehr und die Boote konnten sich leicht zwischen den zahlreichen, in der Richtung nach Norden abtreibenden Eisschollen hindurchwinden.

Nachdem sie noch die Mündungen des Indian River und des Sixty Miles Creek, die achtundvierzig Kilometer von Dawson City einander gegenüberliegen, hinter sich gelassen hatten, betraten der Scout und seine Gefährten am Nachmittage des 3. Juni endlich den Boden der Hauptstadt von Klondike.

Kaum waren die Reisenden ans Land gestiegen, da näherte sich Jane schon Ben Raddle und hielt ihm ein aus ihrem Notizbuch gerissenes Blatt hin, das sie gleich im Gehen mit einigen Worten beschrieben hatte.

»Erlauben Sie mir, Herr Raddle, sagte sie, Ihnen einen Empfangsschein einzuhändigen.«

Ben nahm das Blatt und las:

»Von Herrn Ben Raddle eine angenehme und bequeme Reise von Skagway nach Dawson City, entsprechend dem Inhalte unsres Vertrages, erhalten zu haben, bescheinigt...«

(Folgt die Unterschrift.)

»Das ist ja recht geschäftsmäßig und ganz in Ordnung, sagte Ben phlegmatisch, während er das Papier mit der ernsthaftesten Miene der Welt in die Tasche steckte.


Fort Selkirk.

– Gestatten Sie mir auch, meine Herren, fuhr Jane, sich jetzt an beide Vettern wendend, fort, dieser Quittung Ediths und meinen herzlichen Dank [136] [139]für die sorgliche Teilnahme anzufügen, die Sie uns erwiesen haben und die ich noch nach Gebühr vergelten zu können hoffe.«

Ohne ein weiteres Wort drückte Jane Ben Raddle die Hand. Doch als sie sich ebenso an Summy Skim wandte, hielt dieser, ohne seine innere Erregung zu verbergen, die ihm dargebotene kleine Hand in der seinigen fest.

»Aber ich bitte Sie... Fräulein Jane, stammelte er etwas verwirrt, Sie wollen uns wirklich auf der Stelle verlassen?

– Haben Sie etwas andres erwartet? erwiderte Jane erstaunt. War das nicht von Anfang an zwischen uns so ausgemacht?

– Ja... ja freilich... gab Summy Skim kleinlaut zu. Doch... wir... wir werden einander wohl einmal wiedersehen?

– Das hoffe ich, Herr Skim, es hängt aber nicht allein von mir ab. Dabei sprechen doch die Zufälligkeiten meines Vorhabens ein gewichtiges Wort.

– Die der Goldgräberei! rief Summy erschrocken. Ich bitte Sie, Fräulein Jane, haben Sie denn diesen... nun ja, diesen törichten Gedanken noch immer nicht aufgegeben?«

Mit einer raschen Bewegung befreite Jane ihre bis jetzt festgehaltne Hand.

»Ich begreife nicht, was an meinem Vorhaben Törichtes sein soll, Herr Skim, sagte sie etwas spitzen Tones. Sie müssen doch glauben, ich wäre hierher nach Dawson City nur gekommen, um meine Absichten zu verändern, so wie der Wetterhahn sich nach jedem Winde dreht. Nein, um so weniger, als ich jetzt Verbindlichkeiten eingegangen bin, denen ich gerecht zu werden denke,« und damit wendete sie sich wieder Ben Raddle zu.

War nun Summy Skim von Natur vielleicht besonders empfindsam angelegt? Jedenfalls empfand er in dieser Minute einen lebhaften und tiefen Kummer, über dessen Art und letzte Ursache er vorläufig nicht weiter nachdachte.

»Ja, ja... natürlich... ganz recht!« stotterte er noch ohne Überzeugung hervor, während sich die beiden Cousinen schon schnellen Schrittes nach dem Krankenhause von Dawson City zu entfernten.

[139]
9. Kapitel
Neuntes Kapitel.
Klondike.

Ein gewaltiges, von den Fluten zweier Weltmeere – des Arktischen und des Großen Ozeans – bespültes Gebiet ist der nordwestlichste Teil Nordamerikas, der den Namen Alaska trägt. Man schätzt seinen Umfang mindestens auf fünfzehnhunderttausend Quadratkilometer, die der russische Kaiser seinerzeit, angeblich ebenso aus Sympathie für die Union wie aus Antipathie gegen Großbritannien, 1867 gegen eine Entschädigung von dreißig Millionen Mark an die Vereinigten Staaten abtrat. Damit machten diese einen weiteren Schritt zur Verwirklichung der berüchtigten Monroe-Doktrin: »Amerika den Amerikanern.«

Ob aus dem halb kanadischen, halb alaskischen Gebiete, abgesehen von der Ausbeutung seiner Goldablagerungen, noch ein weitrer Nutzen zu ziehen sei, ist mehr als fraglich, denn man darf nicht vergessen, daß das vom Yukon durchströmte Land zum Teil oberhalb des Polarkreises liegt, wo an eine Bodenkultur nicht zu denken ist.

Dagegen ist jedoch zu beachten, daß Alaska mit Einschluß der dazu gerechneten Baranoff-, Admiralitäts- und der Prinz von Walesinseln sowie der eine lange Bogenreihe bildenden Alëuten eine ungeheure Küstenentwicklung hat, die zahlreiche, den Schiffen vortrefflichen Schutz bietende Häfen aufweist, welche zwischen Sitka, der Hauptstadt des Staates Alaska, und St. Michel an der Mündung des Yukon, eines der größten Ströme der Erde, verteilt liegen.

Als Grenzlinie zwischen Alaska und dem Gebiete der Dominion hat man den hunderteinundvierzigsten Längengrad festgesetzt. Die südliche Grenze, die sich vielfach krümmt, um die nahe der Küste aufragenden Inseln einzuschließen, entbehrt dagegen der wünschenswerten Genauigkeit.

Betrachtet man eine größre Karte von Alaska, so sieht man, daß dessen Boden in weiter Ausdehnung eine Ebene bildet. Eine deutliche Gebirgsbildung trifft man nur im Süden an. Hier beginnt die lange Bergkette, die unter dem Namen Cascade Ranger durch Kolumbien und Kalifornien verläuft.

[140] Am auffälligsten erscheint dem Besucher des Landes der Verlauf des Yukon. Nachdem er, in nördlicher Richtung strömend, die Dominion bewässert hat, über die sich das ungeheure Netz seiner Nebenflüsse ausbreitet, tritt der prächtige Wasserlauf auf alaskisches Gebiet hinüber, beschreibt hier einen großen, bis zum Fort Yukon reichenden Bogen und wendet sich dann nach Südwesten, bis er sich bei St. Michel in das Becken des Behringsmeeres ergießt.

Der Yukon übertrifft noch in vieler Beziehung den »Vater der Gewässer«, den mächtigen Mississippi. Er wälzt in einer Sekunde dreiundzwanzigtausend Kubikmeter Wasser ins Meer und sein Stromlauf durch ein Becken von der doppelten Größe Frankreichs ist zweitausendzweihundertneunzig Kilometer lang.

Während die von ihm durchströmten Gebiete keines Anbaues fähig sind, weisen sie einen sehr beträchtlichen Waldbestand auf. Vor allem enthalten die undurchdringlichen Urwälder gelbe Zedern, mit denen nach Erschöpfung der zugänglicheren Wälder immer noch der Bedarf der ganzen Erde gedeckt werden könnte. Was die Tierwelt angeht, findet man hier den schwarzen Bären, das kanadische Elen- und das kanadische Renntier, das Thebai- oder Bergschaf und auch eine Gemsenart mit weißem Fell. Noch reicher ist das Federwild vertreten, worunter man Haselhühner, Bekassinen, Krammetsvögel, Schneehühner und Enten antrifft, die sich alle ungeheuer stark vermehren.

Die den großen Küstengürtel bespülenden Gewässer sind nicht minder reich an Seesäugetieren und Fischen jeder Art. Von diesen verdient vor allem einer, der Harlatan, eine besondere Erwähnung. Dieser Fisch ist so ölreich, daß man ihn ohne weitres anzünden und mit ihm wie mit einer Fackel beleuchten kann. Daher auch der Name Candle Fish, den ihm die Amerikaner gegeben haben.

Von den Russen im Jahre 1730 entdeckt und 1741 näher erforscht, beherbergte das Land damals kaum eine Bevölkerung von dreiunddreißigtausend Köpfen, in der Hauptsache eingeborne Indianer, während es jetzt von einer Unmenge von Einwandrern und Prospektoren überschwemmt ist, die die reichen Goldlager seit einigen Jahren nach dem Klondike gelockt haben.

Schon 1864 hörte man zum ersten Male von den Erzlagerstätten im hohen Norden reden. Damals fand der Reverend Mac Donald in einem kleinen Flusse nahe bei dem Fort Yukon Gold in solcher Menge, daß er es löffelweise aufschöpfen konnte.

Im Jahre 1882 drang dann ein Trupp alter kalifornischer Goldwäscher und darunter das Bruderpaar Boswell über die Traces (eigentlich: die Spuren) [141] des Chilkoot vor und diese Leute begannen die regelmäßige Ausbeutung der neuen Placers.

Bald darauf, 1885, verbreitete sich durch Goldsucher vom Lewis Yukon die Nachricht von den Ablagerungen am Forty Miles Creek, ein wenig stromabwärts von der Stelle, wo später Dawson City entstand, und fast genau an der, die später der 129. Claim Josias Lacostes einnahm. Zwei Jahre später, als die kanadische Regierung die Grenzbestimmung vornahm, hatte man hier schon für 480.000 Mark Gold erbeutet.

Im Jahre 1892 legte die North American Trading and Transportation Company von Chicago nun am Zusammenflusse des Forty Miles Creek und des Yukon den Grundstein zu dem Flecken Cudahy. Zu derselben Zeit gewinnen dreizehn Polizisten, vier Unteroffiziere und drei Offiziere – neben ihrem Dienste zur Überwachung der Arbeiten – nicht weniger als 1,500.000 Francs aus den ein wenig stromaufwärts von Dawson City gelegnen Fundstätten am Sixty Miles Creek.

Nun ist das Eis gebrochen: Von überallher strömen Prospektoren zusammen Schon 1895 überschreiten den Chilkoot nicht weniger als tausend Kanadier, die Mehrzahl Franzosen.

Da flattert 1896 noch eine besonders verlockende Nachricht in alle Welt hinaus: Man hat einen Wasserlauf mit unglaublich reichen Schätzen entdeckt. Dieser Wasserlauf ist der Eldorado, ein Seitenarm der Bonanza, die selbst ein Nebenfluß des Klondike, wie dieser ein solcher des Yukon ist. Sofort wälzen sich eine Masse Goldsucher heran. In Dawson City steigt der Preis der früher für fünfundzwanzig Francs verkauften Einzellose in kürzester Zeit auf hundertfünfzigtausend Francs.

Die Gegend, die eigentlich den Namen Klondike führt, ist nur ein Bezirk der Dominion. Der hunderteinundvierzigste Längengrad, die Demarkationslinie zwischen dem amerikanisch gewordenen Alaska und den Besitzungen Großbritanniens, bildet die Westgrenze dieses Bezirkes.

Weiter im Norden wird die Grenze von einem Nebenflusse des Yukon, dem Klondike, gebildet, der sich nahe bei der Stadt mit dem Hauptstrome vereinigt und Dawson City selbst in zwei ungleiche Hälften teilt.

Im Osten reicht er bis zu dem Teile der Dominion, wo die ersten Verzweigungen der Felsengebirge aufragen und das der Mackensie in südöstlicher Richtung durchströmt.

[142] Der mittlere Teil des Bezirkes steigt zu ansehnlichen Hügeln an, deren höchster, der Dom, 1897 entdeckt wurde. Das sind aber die einzigen Erhebungen des im allgemeinen flachen Bodens, wo sich das hydrographische Netz verzweigt, das zu dem großen Stromgebiete des Yukon gehört. Die meisten von dessen Zuflüssen führen Goldflitterchen mit sich und an ihren Ufern werden bereits hunderte von Claims bearbeitet. Das goldreichste Gebiet ist aber das, das von der aus der Hügelgegend von Cormack herkommenden Bonanza und ihren zahlreichen Nebenflüssen, dem Eldorado, der Queen, dem Bulder, American, Pure Gold, Cripple, Tail und noch andern, bewässert wird.

Es erklärt sich ja leicht genug, daß die Prospektoren sich in großer Zahl auf ein Gebiet zusammengedrängt haben, das von Rios und Creeks durchschnitten wird, die in der schönern Jahreszeit drei bis vier Monate lang gänzlich eisfrei sind, auf die hier so zahlreichen und verhältnismäßig leicht zu bearbeitenden Lagerstätten, und man begreift da wohl auch, daß ihre Zahl, trotz der Mühseligkeiten, dem Elend und den Gefahren der Reise hierher, noch mit jedem Jahre zunimmt.

An der Stelle, wo der Klondike sich in den Yukon ergießt, breitete sich bis vor wenigen Jahren eine sumpfige Niederung aus, die bei Hochwasser oft überschwemmt wurde. Vereinzelte Indianerhütten, nach russischem Vorbild errichtete Isbas, belebten allein die traurige Einöde.

Am Zusammenflusse der beiden Wasserläufe war es, wo dann eines schönen Tages ein Kanadier namens Leduc Dawson City gründete, das 1898 schon über achtzehntausend Einwohner hatte.

Die Stadt wurde von ihrem Gründer gleich anfangs in Lose zerlegt, für die er nicht mehr als je fünfundzwanzig Francs verlangte, Lose, die heutzutage zum Preise von fünfzig- bis zweihunderttausend Francs noch Käufer finden würden. Sind die Lagerstätten am Klondike nicht in naher Zukunft von Erschöpfung bedroht und werden noch andre Placers im Becken des großen Stromes aufgefunden, so kann sich Dawson City leicht zu einer ebenso bedeutenden Metropole entwickeln wie Vancouver für das britische Kolumbien oder Sacramento für das amerikanische Kalifornien.

In der ersten Zeit nach ihrer Entstehung war die neue Stadt wiederholt bedroht, unter einer Überschwemmung ebenso zu verschwinden wie das Sumpfland, worauf sie lag. Das nötigte zur Erbauung fester Deiche, um sich gegen diese Gefahr zu schützen, die übrigens jedes Jahr nur sehr kurze Zeit besteht.

[143] Zu der Zeit freilich, wo auf dem Yukon Eisgang stattfindet, ist die Wassermasse des Stromes so groß, daß davon die schlimmsten Verwüstungen zu befürchten sind, im Sommer dagegen sinkt sein Wasserstand wiederum so weit, daß man den Klondike zu Fuß passieren kann.

Ben Raddle kannte die Geschichte und die Verhältnisse dieser Gegend sehr genau. Er hatte sich über alle in die letzten Jahre fallenden Entdeckungen eingehend unterrichtet und kannte auch den noch immer anwachsenden Ertrag der Placers und die besondern Glücksfälle, die sich hier ereignet hatten. Man konnte ihm glauben – er sprach es ja selbst offen aus – daß er nur nach Klondike gekommen war, von dem Claim am Forty Miles Creek Besitz zu nehmen.

Summy Skim hatte es auch recht gut herausgefühlt, daß seines Vetters Interesse für alle die Goldgewinnung berührenden Fragen in demselben Maße wuchs, wie sich ihr Fernsein von der Gegend der Lagerstätten verringerte, und mehr und mehr fürchtete er zu seinem Leidwesen, daß sie hier im Lande des Goldes und des Elends für lange Zeit gefesselt bleiben könnten.

Gegenwärtig zählte der Bezirk nicht weniger als achttausend Claims, alle numeriert von der Mündung bis zur Quelle der Nebenflüsse und Zuflüsse des Yukon. Jedes Los war fünfhundert oder – nach einer 1896 ergangnen gesetzlichen Neuordnung – zweihundertfünfzig Fuß lang und breit.

Die einzelnen Prospektoren und die hier tätigen Syndikate gaben ganz allgemein den Lagerstätten an der Bonanza und ihren Nebenarmen sowie denen an den Hügeln am linken Ufer des Klondike den Vorzug.

Von diesem reichgespickten Boden war es, wo Georgie Mac Cormack einst mehrere Claims von vierzehn Fuß Breite verkaufte, aus dem in weniger als drei Monaten für achttausend Dollars (32.000 Mark) Goldklümpchen gewonnen wurden.

Ja der Gehalt der Lagerstätten am Eldorado soll nach dem Katasterführer Ogilvie so groß sein, daß jede Schüssel Flußsand zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Francs wert ist. Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß die Ader, wenn sie – worauf vieles hindeutet – dreißig Fuß lang, fünf Fuß breit und fünf Fuß dick ist, etwa für zwanzig Millionen Francs Gold liefern würde. Seit dieser Feststellung bemühten sich auch verschiedne Gesellschaften und Syndikate, die betreffenden Claims zu erwerben, für die sie einander mit immer größern Kaufsummen überboten.


Am Zusammenflusse der beiden Wasserläufe gründete ein Kanadier Dawson City. (S. 143.)

[144] [147]Es war wirklich bedauernswert – wenigstens mußte Ben Raddle so urteilen, denn Summy Skim machte sich über solche Dinge keinerlei Gedanken – daß die Hinterlassenschaft des Onkels Josias nicht in einem der Claims an der Bonanza bestand, statt daß sie zum Flußgebiete des Forty Miles Creek am jenseitigen Ufer des Yukon gehörte. Ob er nun selbst bearbeitet oder verkauft wurde, jedenfalls hätte der Claim einen größern Nutzen abgeworfen. Ja es lag sogar die Annahme nahe, daß die den Erben gemachten Angebote so hoch gewesen wären, daß diese die Reise nach Klondike gar nicht hätten zu machen brauchen, dann befände sich Summy Skim jetzt zum Sommeraufenthalt auf seiner Farm in Green Valley, statt durch die Straßen dieser Stadt zu waten, wo der Kot auf den Wegen vielleicht Beimischungen des kostbaren Metalls enthielt.

Vorläufig bestand freilich noch das Angebot derTrading and Transportation Company, wenn das nicht infolge des Ausbleibens einer Antwort hinfällig geworden war.

Jedenfalls war Ben Raddle aber hierhergekommen, selbst nach der Lage der Dinge zu sehen, und das würde er auch tun. Obwohl die Nummer 129 noch niemals Pepiten für dreitausend Francs das Stück geliefert hatte – die größte, die in Klondike je gefunden worden war, erreichte annähernd diesen Wert – so konnte die Fundstätte doch noch nicht erschöpft sein, weil dann gewiß kein Kaufsanerbieten darauf erfolgt wäre. Die amerikanischen oder englischen Syndikate behandeln solche suchen nicht mit geschlossenen Augen. Es war also zu glauben, daß die beiden Vettern selbst im ungünstigsten Falle so viel Erlös erzielen wurden, daß ihre Reisekosten dadurch gedeckt waren.

Außerdem wußte Ben Raddle recht gut, daß man schon wieder von neuen Entdeckungen sprach. Summy brummten schon ordentlich die Ohren von dem Gerede über den Hunter, einen Nebenfluß des Klondike, der zwischen fünfzehnhundert Fuß hohen Bergen hinrauschte, deren reiche Ablagerungen ein reineres Gold als das des Eldorado enthalten sollten, und dazu noch von den Gerüchten bezüglich des Gold Bottom, in dem, nach Ogilvies Berichten, eine goldhaltige Quarzader verlaufen sollte, von der die Tonne für tausend Dollars Gold lieferte... von hundert andern, noch wunderbareren Rios ganz zu schweigen.

»Du siehst wohl ein, Summy, predigte Ben Raddle, daß wir selbst im Falle einer Enttäuschung in diesem Lande ohnegleichen auch noch andre Wege frei haben.«

[147] Summy verschloß solchen Worten die Ohren und erwiderte nur wie immer:

»Alles ganz gut und schön, Ben. Erlaube mir jedoch. dich an das zu erinnern, was uns allein angeht. Vor der Bonanza, dem Eldorado, dem Bear, dem Hunter und dem Gold Bottom mag man ja den Hut ziehen. Wir haben es aber doch nur mit dem Forty Miles Creek zu tun und von dem höre ich gar nicht mehr sprechen, als ob's ihn überhaupt nicht gäbe.

– O, den gibt's schon; darüber beruhige dich nur, antwortete Ben Raddle höchst gelassen. Du wirst dich davon bald mit eignen Augen überzeugen.«

Dann fuhr er jedoch, auf seinen Lieblingsgedanken zurückkommend, fort:

»Warum in aller Welt interessierst du dich nur nicht wärmer für dieses so wunderbare Klondike? Hier... ja ja, buchstäblich: Hier sind die Straßen mit Gold gepflastert. Und Klondike ist noch nicht einmal die einzige Gegend dieses Landes, die von goldhaltigen Erzgängen durchzogen ist. Du brauchst den Blick nur auf eine geologische Landeskarte zu werfen, um zu sehen, welch unglaubliche Menge von Erzlagerstätten schon nachgewiesen worden ist. Auch auf dem Chilkoot, über den wir gekommen sind, in den Cassiarbergen und noch anderwärts sind solche vorhanden. Ganz Alaska ist voll davon und ihre Kette reicht auch über den Polarkreis bis zur Küste des Eismeeres hinaus.«

Dieser begeisterte Hymnus rüttelte Summy Skim aber in keiner Weise aus seiner heitern Ruhe auf. Vergeblich führte Ben Raddle seinem Vetter den verlockenden Glanz dieser Naturschätze vor Augen, denn der antwortete nur lächelnd:

»Du hast ja recht, Ben, hast vollkommen recht. Das Becken des Yukon ist offenbar ein von den Göttern gesegnetes Stückchen Erde. Was mich betrifft, denke ich mit innigster Befriedigung daran, daß wir davon nur ein ganz kleines Stück besitzen, denn wenn's ein größres wäre, würde es jedenfalls weit mehr Zeit beanspruchen, uns dessen endgültig zu entledigen!«

[148]
10. Kapitel
Zehntes Kapitel.
Ein unsichrer Meridian.

»Jawohl, als einen unregelmäßigen Haufen von Hütten, Isbas (d. s. aus Balken zusammengefügte kleine Häuser) und Zelten auf sumpfigem Boden, als eine Art stets vom Hochwasser des Yukon und des Klondike bedrohten Feldlagers mit ebenso beliebig verlaufenden wie schmutzigen Straßen, die auf Schritt und Tritt Löcher haben, kurz, nicht als eine Stadt, sondern nur als eine Ansammlung von Hundehütten, höchstens gut genug zum Bewohnen für die Vierbeiner, die man die ganze Nacht bellen hört, so hatten Sie, mein Herr Skim, sich Dawson City nach den darüber umlaufenden Legenden vorgestellt! Der Hundehüttenhaufen hat sich aber, dank den Feuersbrünsten, die den Boden reinfegten, im Handumdrehen verändert. Jetzt ist Dawson City wirklich eine Stadt, mit katholischen und protestantischen Kirchen, mit Banken und richtigen Hotels. Bald wird sie auch zwei Theater haben, das Opernhaus mit zweitausend Plätzen im Zuschauerraum etc. etc. Nein, Sie haben gar keine Ahnung davon, was sich unter diesem ›etc.‹ alles verbirgt!«

So predigte der Doktor Pilcox, ein kurzer, rundlicher Anglokanadier von vierzig Jahren, ein kräftiger, tatenfroher, nie verlegner Mann von unerschütterlicher Gesundheit und einer Konstitution, der keine Krankheit etwas anhaben konnte, so schien er gegen jede Schädlichkeit gefeit zu sein. Vor einem Jahre zum Leiter des Krankenhauses in Dawson City berufen, hatte er sich in dieser Stadt niedergelassen, die für seinen Beruf besonders günstige Aussichten bot, da sich allerlei Epidemien hier ein Stelldichein zu geben scheinen, vom endemischen Goldfieber ganz zu schweigen, gegen das er mindestens ebenso erfolgreich geimpft war wie unser Summy Skim.

Gleichzeitig Arzt für innere Krankheiten, war der Doktor Pilcox auch Chirurg, Apotheker und Zahnarzt, und da ihn alle als ebenso geschickt wie hilfsbereit kannten, strömte ihm nach seinem hübschen Hause in der Front Street, einer der Hauptstraßen von Dawson City, stets viele Kundschaft zu.

[149] Bill Stell kannte den Doktor Pilcox schon seit langem, da er früher, als er im kanadischen Heere noch als Kundschafter diente, häufig mit ihm zusammengetroffen war. Auf Grund dieser Beziehungen pflegte er – als alter Bekannter – jenem immer die Auswandrerfamilien zu empfehlen, die er von Skagway nach Klondike geführt hatte. Diesmal beeilte er sich, kaum achtundvierzig Stunden nach der Ankunft, Ben Raddle und Summy Skim der allgemein so hochgeachteten Persönlichkeit des Arztes vorzustellen. Klondike hatte ja kaum einen Bewohner aufzuweisen, der über alles, was im Lande vorging, so gut unterrichtet war wie dieser. Und wenn irgend jemand imstande war, über allgemeine Verhältnisse Auskunft oder auf ärztliche Fragen guten Rat zu erteilen, so war es dieser vortreffliche Mann.

Summys erste Frage galt ihren liebenswürdigen Reisegefährtinnen. Was war aus ihnen geworden?... Hatte Doktor Pilcox sie gesehen?

»O, das versteht sich; sie ist geradezu wunderbar, rief der Doktor fast elegischen Tones, erweckte jedoch, als er sich weiter aussprach, in Summy Skim nur eine gewisse Beklemmung. Sie ist eine Perle, diese Kleine, eine wahre Perle, und ich bin rein entzückt über meinen Einfall, sie hierherkommen zu lassen. Jetzt ist sie vor kaum zwei Tagen ins Krankenhaus eingetreten und doch hat sie es schon gründlich umgewandelt. Als ich heute morgen einen Schrank öffnete, wurde ich buchstäblich verblüfft über die darin herrschende tadellose Ordnung, an die ich – ich muß es ja gestehen – bisher nicht gewöhnt war. Neugierig geworden, schließe ich da einen andern, drei und noch zehn andre auf: überall derselbe Anblick. Ja noch mehr: meine Instrumente liegen blitzsauber und wie zum Gebrauch aufmarschiert da, der Operationssaal glänzt in einer früher nie gekannten Reinlichkeit. Endlich, es ist fast nicht zu glauben, hat dieses Kind binnen wenigen Stunden einen erzieherischen Einfluß auf das ganze übrige Personal ausgeübt. Alles geht plötzlich wie am Schnürchen. Die Krankenwärter und -wärterinnen sind auf ihrem Posten. Die fast in künstlerischer Ordnung stehenden Betten bieten einen das Auge erfreuenden Anblick. Das reicht bis zu den Kranken die sich, Gott verzeihe es mir, dabei entschieden besser zu fühlen scheinen.«

Ben Raddle war offenbar ganz glücklich über das, was er eben hörte.

»Ich bin höchst erfreut, Herr Doktor, sagte er, über das Lob, das Sie Ihrer neuen Oberwärterin spenden, das beweist, daß ich mich in meinem Urteil über sie nicht getäuscht hatte, und ich glaube sogar, daß die Zukunft Ihnen noch andre angenehme Überraschungen bereiten wird.«

[150] Summy Skim schien in etwas bedrückter Stimmung zu sein. Auf seinem Gesichte malte sich eine wirkliche Unruhe.

»Bitte um Verzeihung, lieber Doktor, unterbrach er das Gespräch, Sie erwähnen immer nur ein einziges junges Mädchen, es waren deren aber doch zwei, wenn ich nicht ganz irre.

– Ja ja, das stimmt, antwortete der Arzt lachend, doch abgesehen davon, daß ich die, die bei mir in Stellung getreten ist, schon lange gut kannte, die andre aber eigentlich gar nicht, hat mir diese zweite obendrein kaum Zeit gelassen, sie zu bemerken. Zwar erschien sie mit ihrer Cousine hier im Krankenhause, doch war sie schon nach zehn Minuten wieder über alle Berge, um erst gegen Mittag wieder zu erscheinen, da aber in der Ausrüstung eines Goldgräbers, die Spitzhaue über der Schulter und den Revolver im Gürtel. Als ich darauf gestern früh nach ihr fragte, wurde mir der Bescheid, daß sie, ohne jemand ein Wort davon zu sagen, schon wieder ausgeflogen wäre. Nur von ihrer Cousine habe ich erfahren, daß sie als Prospektor wie ein Mann tätig zu sein vorhabe.

– Sie ist also fortgegangen? fragte Summy dringlich.

– Ja freilich, wie auf Nimmerwiedersehen verschwunden, erklärte Pilcox und setzte noch hinzu:

– Ich habe in meinem Leben doch schon manche eigentümliche Erscheinung kennen gelernt, einer von diesem Kaliber, das muß wahr sein, bin ich jedoch noch niemals begegnet.

– Das arme Kind! murmelte Summy. Und Sie haben sie auch nicht verhindert, sich auf ein so törichtes Unternehmen einzulassen?«

Der Arzt hörte jedoch schon gar nicht mehr auf Summy Skim, er erläuterte Ben Raddle das Kapitel über Dawson City in schwungvoller Rede. Doktor Pilcox war stolz auf seine Stadt und verheimlichte das in keiner Weise.

»Jawohl, sagte er voll Überzeugung, sie ist ihres Namens, des der Hauptstadt von Klondike, würdig, den ihr die Regierung der Dominion gegeben hat.

– Eine Hauptstadt, die kaum aufgebaut ist, Herr Doktor, bemerkte Ben Raddle.


Alles geht plötzlich wie am Schnürchen. (S. 150.)

– Und wenn das noch nicht wäre, so würde es doch bald der Fall sein, da ihre Einwohnerzahl mit jedem Tage zunimmt.

– Wie viel Bewohner hat sie denn heute? fragte Ben.

– Ungefähr zwanzigtausend, Herr Raddle.


Hauptquartier der Polizeimannschaft von Dawson City.

[151] – Sagen Sie, zwanzigtausend Passanten, lieber Doktor, aber nicht, zwanzigtausend Einwohner. Im Winter ist Dawson City doch eine Wüstenei.

– O, erlauben Sie: zwanzigtausend Einwohner, die sich mit ihren Familien hier angesiedelt haben und ebensowenig wie ich daran denken, die Stadt zu verlassen.«

Während Ben Raddle so zum Vorteil seiner weitern Belehrung in dem lebenden Nachschlagebuche, das der Doktor Pilcox war, blätterte, verharrte Summy [152] [155]in düsterm Schweigen. Seine Gedanken waren mit Jane Edgerton ausgeflogen. Er sah sie im Geiste auf ihrem langen, rauhen Wege, allein, verlassen, ohne andre Hilfe als ihre unbezähmbare Willenskraft. Und doch: das ging ihn ja eigentlich gar nichts an. Der Törin stand es frei ins Elend zu rennen, ja sogar den Tod zu finden, wie und wo es ihr beliebte. Mit einem Achselzucken warf Summy die Sorge um sie weit von sich weg und beteiligte sich dafür an dem Zwiegespräch der beiden andern.

»Nun ja, bemerkte er, um den Doktor in die Enge zu treiben, ich sehe nur in Dawson City gar nicht, was eine Hauptstadt gewöhnlich charakterisiert.

– Oho, schnitt ihm Doktor Pilcox das Wort ab und blies sich dabei so auf, daß er noch rundlicher aussah, die Stadt ist doch der Sitz des Generalkommissars der Yukongebiete, des Majors James Walch, und außerdem der einer ganzen Hierarchie von Beamten, wie sie eine solche in den bedeutendsten Städten Kolumbiens oder der Dominion kaum wieder finden werden.

– Und diese großen Herren wären?...

– Ein Richter am obersten Gerichtshof, Herr Mac Guire, ein Goldkommissar, Herr Theodor Faucett Esquire, ein Kommissar für die Kronländereien, Herr Wade Esquire, ein Konsul der Vereinigten Staaten, ein Konsularvertreter Frankreichs...

– Esquires, setzte Summy scherzend hinzu; ja freilich, das sind ja hochstehende Persönlichkeiten. Und was den Handel betrifft?...

– Da haben wir bereits zwei Banken, antwortete der Doktor; The Canadian Bank of Commerce von Torento, deren Vorsteher der Herr H. I. Wills ist, undThe Bank of British North America.

– Das genügt. Wie steht's mit den Kirchen?

– Dawson City zählt deren drei: eine katholisch-englische Kirche, eine protestantisch-englische und eine reformierte Kirche.

– Na, da ist ja für das Heil der Seelen reichlich gesorgt! Wenn's nur bezüglich des Wohlergehens der Leiber ebensogut bestellt ist.

– Ei, was denken Sie, Herr Skim! Dafür gibt es einen Oberkommandanten der berittenen Polizei, den Kapitän Stearns, einen Kanadier von französischer Abkunft, und den Kapitän Harper, der gleichzeitig an der Spitze des Postwesens steht, jeder mit einer tüchtigen Mannschaft von sechzig Köpfen.

[155] – Ich denke, bester Herr Doktor, daß diese Polizeitruppe, in Anbetracht der Zahl und der Qualität der Dawsonschen Einwohner, recht unzureichend sein wird.

– Ach, die wird verstärkt werden, sobald das nötig erscheint, versicherte Doktor Pilcox, und die Regierung der Dominion wird nichts vernachlässigen, die Sicherheit der Bevölkerung der Hauptstadt von Klondike zu gewährleisten.«

Da hätte man den begeisterten Mann nur hören sollen, wie er die drei Worte »Hauptstadt von Klondike« betonte.

»So ist also alles in schönster Ordnung, gab Summy Skim darauf zur Antwort. Im Grunde sehe ich jedoch nicht ein, warum ich überhaupt an Sie solche Fragen richte. Die Kürze meines Aufenthalts wird es, das hoffe ich stark, verhindern, die so zahlreichen Vorzüge von Dawson City nach Gebühr schätzen zu lernen, und wenn die Stadt ein gutes Hotel aufweist, so hätt' ich keine Ursache, mehr zu verlangen.«

Deren gab es übrigens drei, das Yukon-Hotel, das Klondike-Hotel und das Northern-Hotel, das Summy Skim gar nicht unbekannt sein konnte, da die beiden Vettern im letzteren ihre Zimmer hatten.

Strömen auch noch weiter so viele Goldgräber hierher, so müssen die Besitzer dieser Hotels unzweifelhaft bald ein hübsches Vermögen erwerben. Ein Zimmer darin kostet für den Tag sieben und jede einzelne Mahlzeit drei Dollars; für Bedienung entrichtet man täglich einen Dollar, das Rasieren kostet ebensoviel und das Haarschneiden kann man nicht unter anderthalb Dollar haben.

»Ein Glück für mich, flocht Summy Skim ein, daß ich keinen Bartscherer nötig habe, und meine Haare – ich stehe dafür ein – die bringe ich unverletzt wieder mit nach Montreal zurück.«

Die erwähnten Zahlen beweisen, wie teuer das Leben in der Hauptstadt Klondikes ist. Wer hier nicht schnell durch einen glücklichen Zufall reich wird, der hat die beste, fast sichre Aussicht, sich in kurzer Zeit zugrunde zu richten. Das Preisverzeichnis über die Marktwaren in Dawson City läßt das ja recht erklärlich erscheinen: ein Glas Milch kostet danach (nach deutschem Gelde) 2 Mark, das Pfund Butter 4 Mark und volle 10 Mark muß man daran wenden, ein Dutzend Eier zu erwerben. Das Pfund Salz kostet 80 Pfennige und ein Dutzend Zitronen 20 Mark!

Bäder bezahlt man, und zwar die gewöhnlichen, mit zehn Mark, für ein russisches Bad muß man aber hundertachtundzwanzig Mark anlegen.

[156] Summy Skim erklärte sogleich bestimmt, er werde nie ein andres als ein gewöhnliches Wannenbad nehmen.

Jenerzeit hatte Dawson City, am rechten Yukonufer hin und zwölfhundert Meter entfernt von den nächsten Hügeln, eine Längenausdehnung von zwei Kilometern. Seine achtundachtzig Hektar Oberfläche waren in zwei Teile getrennt, zwischen denen sich unten der Klondikefluß in die große Wasserader ergießt. Es gab hier schon sieben von Häuserreihen begleitete Alleen und fünf sich rechtwinklig schneidende und mit Holztrottoir versehene Straßen. So lange diese Verkehrswege nicht wie in den endlosen Wintermonaten von Schlitten belebt werden, poltern rohe Wagen, schwer beladene Karren inmitten einer Schar von Hunden durch sie hin.

Rings um Dawson City liegen viele Gemüsegärten, worin man Rüben, Kohlrabi, Lattich und Pastinaken, freilich nur in unzureichender Menge, baut. Man ist hier deshalb gezwungen, das nötige Gemüse mit hohen Kosten aus der Dominion, aus Kolumbien oder den Vereinigten Staaten heranzuschaffen. Der Bedarf an Fleisch wurde durch Schiffe mit Eiskammern gedeckt, die, sobald Tauwetter eingetreten war, den Yukon von St. Michel aus herausgefahren kamen. Von der ersten Woche des Juni an treffen diese »Yukoner« unterhalb der Stadt ein und die Kais hallen fast ununterbrochen von ihren Heulpfeifen wider.

Im Winter aber ist der in seinen Eispanzer eingeschlossene Yukon ganz unbenützbar und Dawson City ist monatelang von der übrigen Welt abgeschlossen. Dann müssen sich seine Bewohner mit Konserven ernähren und hübsch in ihrer Wohnung bleiben, denn die oft außerordentlich strenge Kälte macht jeden Aufenthalt im Freien unmöglich.

Wenn dann der Frühling zurückkehrt, lodern in der Stadt wieder gefährliche Seuchen auf. Skorbut, Hirnhautentzündung und Typhus wüten unter der vom langen Eingeschlossensein geschwächten Einwohnerschaft.

Gerade dieses Jahr waren die Säle des Krankenhauses nach einem besonders strengen Winter mehr als sonst besetzt. Das gewöhnlich vorhandene Personal konnte seine Arbeit kaum noch bewältigen und Doktor Pilcox konnte sich jetzt gar nicht genug beglückwünschen wegen der Unterstützung, die ihm die neu angeworbene Oberwärterin unter den so ungünstigen Verhältnissen gewährte.

Bis zu welchem Grade von Erschöpfung hatten Kälte und Entbehrungen die zahllosen armen Leute heruntergebracht, die alle von so weit hierher wallfahrteten! [157] Die Zahl der Todesfälle stieg mit jedem Tage und durch die Straßen schleppten Hunde unausgesetzt schmucklose Leichenwagen mit den unglücklichen Verstorbenen nach dem Friedhofe hinaus, wo diese Elenden dann vielleicht in einem von goldhaltigem Erze reichen Boden ihre vorzeitige Ruhestätte fanden.

Trotz solch herzbeweglicher Bilder überließen sich die Dawsoner, mindestens die Schatzgräber, den tollsten Belustigungen. Sowohl die »Grünen«, die zum ersten Male nach den Lagerstätten kamen, als auch die »Stammgäste«, die hierher zurückkehrten, in der Hoffnung, ihr in wenigen Monaten vergeudetes Vermögen wieder zu ersetzen, führten in den Kasinos das große Wort und erfüllten die Spielsäle mit wüstem Lärm. Eine sich drängende Volksmenge füllte die Speisehäuser und die Trinkstuben, während die Epidemien die Stadt dezimierten. Sah man diese hunderte von Trinkern, Spielern und Abenteurern jeder Art, die alle recht gesund und kräftig aussahen, so hätte man gar nicht glauben mögen, daß so viele Elende, ganze Familien, Männer, Frauen und Kinder, durch Hunger und Krankheiten ausgemergelt, den Krallen des Todes anheimfallen könnten.

Die ganze, nach heftigen Erregungen gierige Volksmenge drängte sich in den »Folies Bergère,« dem »Monte Carlo«, der »Dominion« und dem »Eldorado« – vom Abend bis zum Morgen hätte man nicht sagen können, weil es jetzt zur Zeit der Sonnenwende einen Morgen und einen Abend überhaupt nicht gab und auch weil diese Vergnügungsorte nicht einen Augenblick geschlossen wurden. Das Pokern-, das Dreiblatt- und das Roulettespiel nahmen hier nie mals ein Ende. Dabei bestand der Einsatz auf dem grünen Tuche nicht in Guineen oder Piastern, sondern in Goldklümpchen und Goldstaub, und dazu herrschte ein unbeschreiblicher Tumult, ein wüstes Geschrei, gegenseitige Beschuldigungen flogen hin und her und oft genug entstand daraus eine Rauferei, wenn nicht gar die Revolver »von selbst losgingen«. Hier kam es zu den widerlichsten Auftritten, in denen Burschen wie Hunter und Malone oder ihnen ähnliche Rüpel die erste Rolle spielten.

Die Speisehäuser sind in Dawson City Tag und Nacht offen. Man ißt hier Hühnchen, das Stück zu zwanzig Dollars, Ananas zu zehn Dollars, als frisch gelegt garantierte Eier das Dutzend zu fünfzehn Dollars; dazu trinkt man Wein, die Flasche zu zwanzig Dollars, oder auch Whisky, der gleich so viel wie ein Landhaus kostet.

[158] Drei- bis viermal wöchentlich kommen die Prospektoren von den Claims in der Nachbarschaft nach der Stadt herein und verschleudern in Restaurants oder in Spielhöllen binnen wenigen Stunden alles, was sie aus dem schlammigen Sande der Bonanza und deren Nebenflüssen zusammengescharrt hatten.

Ein trauriger, tief betrübender Anblick ist es, der sich so oft hier bietet, wo sich die niedrigsten Laster der Menschen offenbaren, was nach den ersten Stunden, wo er es beobachtet hatte, Summy Skims Abscheu vor dieser Welt von Abenteurern vermehrte.

Er rechnete stark darauf, keine Gelegenheit zu haben, diese widerwärtigen Verhältnisse gründlicher kennen zu lernen, und er setzte alles daran, seinen Aufenthalt in Klondike so kurz wie möglich zu machen.

Schon am Tage der Ankunft der Reisegesellschaft und gleich nach dem Frühstück im Northern-Hotel richtete Summy Skim das Wort an seinen Vetter.

»Vor allem laß uns jetzt an unser Geschäft denken. Da nun ein Syndikat sich erboten hat, den Claim Nummer 129 zu kaufen, wollen wir dieses Syndikat aufsuchen.

– Sobald du es wünschest,« antwortete Ben Raddle.

Unglücklicherweise erhielten sie im Bureau derAmerican Trading and Transportation Company die Mitteilung, daß sich deren Direktor, der Kapitän Healey, auf einem Ausfluge durch die Umgebung befinde und erst nach einigen Tagen zurückkehren werde. Die beiden Erben mußten ihrer Ungeduld also Zaum und Zügel anlegen.

Inzwischen suchten sie sich wenigstens annähernd zu unterrichten, wo ihr Besitztum eigentlich läge. Bill Stell war hierfür jedenfalls die geeignetste Auskunftsperson.

»Ist der Forty Miles Creek wohl weit von Dawson City? fragte ihn Ben Raddle.

– Selbst dort gewesen bin ich niemals, antwortete der Scout. Auf der Karte sieht man jedoch, daß dieser Creek sich nordwestlich von Dawson City beim Fort Cudahy in den Yukon ergießt.

– Nach der Nummer, die er hat, glaub' ich nicht, daß der Claim unsres Onkels Josias gar so entfernt liegen wird.

– Weiter als dreißig Lieues kann es bis dahin nicht sein, erklärte der Scout, denn dann trifft man auf die Grenze zwischen Alaska und der Dominion; der Claim Nummer 129 liegt ja aber noch im kanadischen Gebiete.

[159] – Wir brechen sofort dahin auf, wenn wir erst den Kapitän Healey gesprochen haben, erklärte Summy.

– Einverstanden,« antwortete sein Vetter.

Nun vergingen aber mehrere Tage, ohne daß der Kapitän Healey wieder erschien. Zum zehnten Male verließen Ben und Summy am Nachmittage des 7. Juni das Northern-Hotel, um sich nach dem Bureau des Chicagoer Syndikats zu begeben.

Der Stadtteil, durch den ihr Weg führte, war heute besonders belebt. Ein auf dem Yukon angelangter Dampfer hatte soeben eine große Menge Passagiere ans Land gesetzt. Während diese nun warteten, bis sie sich nach den verschiednen Zuflüssen des Stromes begeben könnten, die einen, um die ihnen gehörigen Lagerstätten zu bearbeiten, die andern, um ihre Arme zu möglichst hohem Preise zu vermieten, schlenderten die Leute in der Stadt umher. Am schlimmsten von allen Straßen war der Trubel auf der Front Street, wo sich die wichtigsten Agenturen befanden.

Zu der großen Menschenmenge kam noch eine große Masse von Hunden. Bei jedem Schritt stieß man an eines dieser Tiere, die so wenig vertrauenerweckend wie möglich aussahen und deren Bellen und Heulen einem das Trommelfell zu zersprengen drohte.

»Das ist ja die reine Hundemetropole, dieses Dawson! rief Summy Skim ärgerlich. Ihr Bürgermeister sollte eigentlich ein Schäferhund und ihr zutreffender Name Dog City sein!«

Nicht ohne Drängen und Stoßen, ohne Scheltworte und Beleidigungen anhören zu müssen, gelang es Ben Raddle und Summy Skim, sich auf der Front Street bis zum Bureau des Syndikates hindurchzuwinden. Da der Kapitän Healey noch immer nicht wieder zurückgekehrt war, begnügten sie sich, mit dein zweiten Direktor, dem Herrn William Broll, zu sprechen, der jetzt in ihre Angelegenheit eingeweiht war.

Die beiden Vettern nannten deutlich ihre Namen.

»Die Herren Summy Skim und Ben Raddle aus Montreal,« wurden sie dem Subdirektor angemeldet.

»Ah, sehr erfreut, Sie zu sehen, meine Herren, begrüßte sie Broll, mir in der Tat sehr angenehm!

– Und uns nicht minder, Herr Direktor, antwortete Summy Skim verbindlichen Tones.

[160] – Die Erben Josias Lacostes, des Eigentümers des Claims 129 am Forty Miles Creek, fuhr Broll, wie um sich weiter zu vergewissern, fort.

– Wie Sie sagen, erklärte Ben Raddle.

– Wenigstens, fügte Summy hinzu, in dem Falle, daß dieser verflixte Claim seit unserm Aufbruche zu der schier endlosen Reise hierher nicht spurlos verschwunden ist.

– O nein, meine Herren, versicherte William Broll, der befindet sich noch genau an derselben Stelle, die der Katasterbeamte dafür bestimmt hatte, dicht an der Grenze, wenigstens an der vermutlichen Grenze der beiden Staaten.

– Der vermutlichen Grenze? Warum der vermutlichen? Was soll das merkwürdige Eigenschaftswort hier bedeuten?

– Herr Direktor, nahm Ben Raddle wieder das Wort, ohne auf das geographische Rätsel William Brolls einzugehen, wir sind in Montreal benachrichtigt worden, daß Ihr Syndikat den Claim 139 anzukaufen wünscht.

– Wünschte, wollen wir sagen; das ist richtiger, Herr Raddle.

– Wir, mein Miterbe und ich, wir sind nun hierhergekommen, uns über den reellen Wert jenes Claims zu unterrichten, und möchten zunächst freilich wissen, ob sich das Syndikat noch an sein Gebot gebunden erachtet.

– Ja und nein, antwortete William Broll.

– Ja und nein! rief Summy Skim erstaunt.

– Ja und nein! wiederholte auch Ben Raddle. Wollen Sie uns das nicht näher erklären?

– O, das ist das einfachste Ding der Welt, meine Herren, gab der Subdirektor seelenruhig zur Antwort. Das Ja gilt, wenn der Claim eine gewisse Lage, das Nein, wenn er eine andre hat. Kurz, ich will...«

Ohne eine weitre Erklärung abzuwarten, rief Summy Skim ziemlich erregt:

»Ach was, Lage hier, Lage da, wir können uns doch nur an Tatsachen halten, mein verehrter Herr. War unser Onkel, Josias Lacoste, rechtmäßiger Eigentümer des betreffenden Claims und sind wir nicht seine Rechtsnachfolger, da seine Hinterlassenschaft ausdrücklich uns anheimgefallen ist?«

Zur Unterstützung dieser Erklärung entnahm Ben Raddle seiner Brieftasche die Beweisstücke, die ihre Rechte, das Eigentum am Claim Nummer 190 am Forty Miles Creek anzutreten, unwiderleglich bekräftigten.

»Ja ja, sagte der Subdirektor, indem er die Papiere mit einer Handbewegung zurückwies, diese Besitztitel sind völlig in Ordnung; daran zweifle [161] ich keinen Augenblick. Doch darum handelt es sich auch gar nicht, meine Herren.

– So... o? Darum nicht? Um was denn dann? fragte Summy Skim, den die halb höhnische Sprache Brolls zu reizen begann.

– Der Claim Nummer 129, sagte Broll nun zur Erläuterung, nimmt am Forty Miles Creek einen Platz an der Grenze ein, der Grenze zwischen der Dominion, die britisch, und Alaska, das amerikanisch ist...

– Jawohl, doch an der kanadischen Seite, erklärte Ben Raddle.

– Hm, das kommt nun doch darauf an, erwiderte Broll. Der Claim ist kanadisch, wenn die Grenze der beiden Staaten da ist, wohin man sie bisher verlegt hatte, er ist aber amerikanisch, wenn das nicht zutrifft. Da nun das Syndikat, das selbst kanadisch ist, nur Lagerstätten. die zu Kanada gehören, ausbeuten darf, kann ich Ihnen eben nur eine mit Bedingungen verklausulierte Antwort geben.

– Da herrscht jetzt wohl, fragte Ben Raddle, tatsächlich ein Streit zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien wegen dieser Grenzfrage?

– Ja freilich, meine Herren, bestätigte der zweite Direktor.

– Ich weiß doch nicht anders, sagte Ben Raddle, als daß man als Grenzlinie einen Meridian, den hunderteinundvierzigsten Grad westlich von Greenwich, gewählt hat.

– Gewiß hat man diese Linie gewählt, meine Herren, und auch mit Recht.

– Nun, fiel Summy Skim jetzt ein, ich glaube doch nicht, daß die Meridiane – auch nicht in der Neuen Welt – gelegentlich ihre Lage wechseln. Ich sehe auch den hunderteinundvierzigsten Längengrad nicht mit dem Stock in der Hand von Osten nach Westen oder umgekehrt spazieren gehen.

– Das ist freilich wahr, bestätigte Broll, der über die lebhafte Einbildungskraft Summys lachen mußte, vielleicht verläuft er aber nicht genau an der Stelle, wo man die Grenzlinie gezogen hat. Seit zwei Monaten sind nun schon ernste Einsprüche gegen die jetzige Grenzbestimmung erhoben worden und es wäre recht gut möglich, daß die heute gültige Linie etwas nach Osten oder nach Westen verrückt werden müßte.

– Um einige Lieues? fragte Ben Raddle.

– O nein, nur um wenige hundert Meter.

– Und wegen einer solchen Lappalie ist eine Fehde ausgebrochen!

[162] – Gewiß... ganz berechtigterweise, mein lieber Herr. Was einmal amerikanisch ist, muß auch amerikanisch sein, und kanadisch, was von Rechts wegen kanadisch ist.

– Welcher der beiden Staaten hat denn gegen den jetzigen Zustand Einspruch erhoben?

– Alle beide, antwortete Herr Broll. Amerika beansprucht für sich einen nach Osten zu gelegenen Streifen Land und Kanada einen gleichen im Westen der jetzigen Grenze.

– Nun, by God! rief Summy, was können uns diese Streitfragen berühren?

– O, nicht so wenig, meinte der Subdirektor. Wenn die Entscheidung zugunsten Amerikas ausfällt, wird ein Teil der Claims am Forty Miles Creek amerikanisch.

– Und darunter auch Nummer 129?

– Ganz ohne Zweifel, weil der der jetzigen Grenze am allernächsten liegt, antwortete Broll, und unter diesen Umständen müßte das Syndikat sein Angebot zurückziehen.«

Das war nun wenigstens eine verständliche Antwort.

»Hat man denn, erkundigte sich Ben Raddle weiter, schon mit der Prüfung der Richtigkeit der Grenze angefangen?

– Jawohl, Herr Raddle, und die Triangulierung wird schnell fortschreitend, doch mit größter Genauigkeit ausgeführt.«

Wenn hier von seiten beider Staaten ziemlich dringliche Ansprüche auf einen übrigens nur sehr schmalen Landstreifen längs des hunderteinundvierzigsten Längengrades erhoben wurden, lag das daran, daß das strittige Stückchen Land sehr goldreich war. Wer konnte denn wissen, ob nicht in diesem langen Streifen vom Eliasberg im Süden bis zum Eismeer im Norden eine besonders reiche Ader verlief, die die Bundesrepublik mit demselben Nutzen ausbeuten könnte wie die Dominion.

»Um zu einem Ende zu kommen, Herr Direktor, fragte Ben Raddle, hält denn das Syndikat sein Gebot aufrecht, wenn unser Claim östlich von der definitiven Grenze liegen bleibt?

– Ja natürlich.

– Und wenn er später westlich von der Grenze zu liegen käme, da können wir davon absehen, mit Ihrer Gesellschaft weiter zu verhandeln?

[163] – Ja, so ist es.

– Nun erklärte Summy Skim, in diesem Falle wenden wir uns einfach an andre. Wird unser Claim nach Amerika hinüberjongliert, so vertauschen wir ihn eben gegen Dollars statt hier gegen Banknoten, das ist der ganze Unterschied!«

Das Gespräch ging hiermit zu Ende und die beiden Vettern begaben sich ins Northern-Hotel zurück.

Dort trafen sie den Scout, der über die Lage der Dinge unterrichtet wurde.

»Auf jeden Fall, meine Herren, riet er ihnen, werden Sie gut daran tun, so bald wie möglich nach dem Forty Miles Creek hinauszufahren.

– Das ist auch unsre Absicht, sagte Ben Raddle. Wir wollen schon morgen hinaus. Und Sie, Bill, was beginnen Sie zunächst?

– Ich?... Ich kehre baldigst nach Skagway zurück, um eine neue Karawane nach Dawson City zu führen.

– Wie lange werden Sie da von hier wegbleiben?

– Ungefähr zwei Monate.

– Sie wissen, wir rechnen auf Sie für die Rückreise.

– Das ist ja so verabredet, meine Herren. Verlieren Sie aber ja keine Zeit, wenn Sie Klondike noch vor dem Winter verlassen wollen.

– Da vertrauen Sie nur mir, Bill, versicherte Summy mit Wärme, obwohl wir eigentlich beim ersten Anlauf einen recht schweren Stein des Anstoßes gefunden haben.

– Ach, es gibt ja noch andre, weniger krittlige Käufer, versicherte Ben Raddle. Vor allem wollen wir selbst von den Dingen Einsicht nehmen...

– Natürlich, unterbrach ihn Summy, eben fällt mir übrigens ein, da begegnen wir vielleicht unserm liebenswürdigen Nachbarn...

– Dem Texaner Hunter, vollendete Ben Raddle des Vetters Worte.

– Und dem Herrn Malone. O, das sind zwei hochachtbare Herren!

– Sagen Sie, ein Paar Burschen, die an den Galgen gehören, verbesserte Bill Stell seine ironischen Worte. Die kennt von Skagway bis Dawson, wie man sagt, jedes Kind. Es sind Ihre Nachbarn, weil der Claim Nummer 131 zwar auf der andern Seite der jetzigen Grenze, aber doch dicht bei dem Ihrigen liegt. Eine schlechte Nachbarschaft für Sie!

– Um so mehr, erklärte ihm Ben Raddle, als Summy schon Gelegenheit gehabt hat, einem der Herren eine recht scharfe Lektion zu erteilen. Das wird unsre zukünftigen Beziehungen auch nicht begünstigen.«

[164] Bill Stell schien eine Weile nachzudenken.

»Ihre Angelegenheiten, meine Herren, sind ja nicht die meinigen, begann er dann ernsten Tones, doch erlauben Sie mir, Ihnen einen Rat zu erteilen. Nehmen Sie Begleitung mit, wenn Sie sich nach dem hundertneunundzwanzigsten Claim begeben. Wollen Sie dazu Neluto wählen, so stelle ich Ihnen den zur Verfügung. Und gehen Sie nur wohlbewaffnet da hinaus.

– Na ja, da winken schon Abenteuer, rief Summy, die Arme gegen den Himmel emporstreckend. Wenn ich bedenke, daß unser Claim, wenn wir ruhig in Montreal sitzengeblieben wären, jetzt längst verkauft sein würde, da der Handel vor diesen albernen Grenzstreitigkeiten abgeschlossen worden wäre! Und ich, ich säße still und seelenvergnügt in Green Valley!

– Ich denke, du willst auf Klagen und Vorwürfe verzichten, setzte ihm Ben Raddle zu, du weißt, du hast es versprochen, Summy. Und wenn du in Montreal geblieben wärst, hättest du eine so anziehende, merkwürdige und außerordentliche Reise jetzt und in deinem ganzen Leben nicht gemacht.

– Ach, das läßt mich ungeheuer kalt.

– Du wärst heute nicht in Dawson...

– Von wo ich nur lieber heute als morgen wieder wegkommen möchte, lieber Ben.

– Du hättest Edith und Jane Edgerton keine Ritterdienste leisten können.«

Summy drückte seinem Vetter warm die Hand.

»Soll ich dir eine Sache sagen, Ben? Nun; auf Ehre, das ist das erste verständige Wort, das du seit zwei Monaten gesprochen hast,« sagte er, während sein Gesicht plötzlich von einem Lächeln innrer Befriedigung strahlte.

11. Kapitel
Elftes Kapitel.
Von Dawson City nach der Grenze.

Bill Stell hatte den beiden Vettern einen guten Rat erteilt, als er ihnen empfahl, sich zu beeilen. Sie hatten wirklich keinen Tag zu verlieren, ihre Angelegenheit irgendwie zu ordnen. In dieser hohen Breitenlage tritt die arktische [165] Kälte oft überraschend schnell ein. Schon hatte der Monat Juni angefangen und es ist keine Seltenheit, daß Flüsse und Seen bereits gegen Ende August wieder erstarren und Schneegestöber und Stürme über das Land fegen. Drei Monate, länger dauert die schöne Jahreszeit in Klondike nicht, und die beiden Vettern mußten ja auch noch genügend Zeit behalten, über das Seengebiet nach Skagway zurückzugelangen oder, wenn sie einen andern Weg einschlugen, auf dem Yukon von Dawson City nach St. Michel hinunterzufahren.

Ben Raddle und Summy Skim waren bald zum Aufbruche fertig. Es fehlte ihnen an nichts, selbst wenn sich der Aufenthalt am Claim 129 länger, als sie vorausgesehen hatten, ausdehnte. Übrigens brauchten sie Betriebsmaterial weder zu erwerben noch solches mitzunehmen, da sich das von Josias Lacoste ja noch an Ort und Stelle vorfinden mußte, ferner brauchten sie keine Hilfskräfte zu suchen, da ja nicht davon die Rede war, den Claim am Forty Miles Creek selbst zu bearbeiten.

Einen landeskundigen Führer anzuwerben, erschien aber immerhin geboten. Der Scout, der für die Rückreise zum Lindemansee in Dawson City einen andern seiner Lotsen angetroffen hatte, bot ihnen Neluto als Führer an. Ben Raddle ging ohne Zögern darauf ein und sagte Bill Stell noch wärmsten Dank für sein Entgegenkommen.

Eine bessere Wahl hätte man schwerlich treffen können. Die Vettern hatten den Indianer ja bei seiner Arbeit beobachtet und waren überzeugt, in jeder Hinsicht auf ihn zählen zu können, außer daß der Mann vielleicht nicht gar zu eingehende Aufklärung zu geben vermochte.

Zu ihrem Fortkommen hatte Ben Raddle einen leichten Wagen gewählt statt eines Schlittens, der hier von Hunden gezogen wird, selbst wenn Eis und Schnee schon verschwunden sind. Diese Tiere waren nämlich jetzt außerordentlich teuer: man mußte sie das Stück mit fünfzehnhundert bis zweitausend Francs bezahlen.

Der mit einem ledernen Verdeck zum Aufschlagen und Niederklappen versehene zweisitzige Wagen, von so zuverlässiger Bauart, daß er die Schwankungen und Stöße unterwegs voraussichtlich ohne Beschädigung aushalten mußte, wurde mit einem kräftigen Pferde bespannt. An Futtervorrat für das Tier brauchte man nicht zu denken, denn längs des Weges lag Wiese an Wiese und in dieser Jahreszeit mit reichlichem Graswuchs, so daß sich ein Pferd weit leichter als ein Hund ernähren ließ.

[166] Auf die Bitte Ben Raddles besichtigte Neluto den Wagen mit größter Sorgfalt. Er nahm dabei aber eine fast ängstliche Untersuchung vor. Kutschkasten, Gabeldeichsel, Verdeck, Federn, alles wurde geprüft bis auf den letzten Bolzen. Als er fertig war, machte Neluto ein recht befriedigt aussehendes Gesicht.

»Nun, wie steht's damit? fragte ihn Ben Raddle.

– Wenn er unterwegs nicht zerbricht, antwortete der Indianer mit dem Brustton innerster Überzeugung, denke ich, wird er uns wohl bis zum Claim Nummer 129 bringen.

– Danke, danke schön, braver Mann!« rief Ben Raddle, während er eine unbesiegliche Lust zu lachen kaum zu unterdrücken suchte.

Der stets umsichtige Neluto gab ihm aber noch verschiedne nützliche Hinweise bezüglich der Gegenstände, deren Mitnahme ratsam erschien, und schließlich gewann der Ingenieur auch die Überzeugung, daß es ihnen nun an nichts mehr fehlen werde.

Inzwischen vertrieb sich Summy Skim die Zeit damit, daß er prüfend durch die Straßen von Dawson City schlenderte. Er sah sich die Läden an und war bemüht, den Preis der verschiednen Waren kennen zu lernen. Wie beglückwünschte er sich aber da, seine Einkäufe bei den Händlern in Montreal besorgt zu haben!

»Weißt du, Ben, was hier in der Hauptstadt von Klondike ein Paar Schuhe kosten?

– Keine Ahnung, Summy.

– Fünfzig bis neunzig Francs.

– Und ein Paar Strümpfe?

– Zehn Francs. Nicht mehr.

– Und wollene Socken?

– Sagen wir: zwanzig Francs.

– Nein, fünfundzwanzig. – Und ein Paar Hosenträger?

– O, die kann man entbehren, Summy.

– Und tut auch gut daran... achtzehn Francs.

– Na, wir werden ja keine kaufen.

– Und ein Paar Frauenstrumpfbänder?

– Die mögen kosten, was sie wollen; das läßt mich kalt.

– Vierzig Francs, und ein Kleid bei der guten Schneidermamsell seine vollen neunhundert Francs. Wahrlich, in dieser Stadt ohnegleichen hat man den größten Vorteil davon, Hagestolz zu bleiben.

[167] – Bleiben wir auch, antwortete Ben Raddle. Du müßtest gerade auf den Einfall kommen, eine reiche Erbin heimzuführen...

– O, Ben, an reichen Partien fehlt es hier keineswegs... vor allem nicht an Abenteurerinnen, die ertragreiche Claims an der Bonanza oder am Eldorado besitzen. Doch nein: als Junggeselle von Montreal angekommen, kehre ich auch als solcher zurück. Ach, Montreal... Montreal! Wie weit sind wir davon entfernt, lieber Ben!

– Die Entfernung, die zwischen Dawson City und Montreal liegt, antwortete Ben Raddle mit leichter Ironie, ist ja genau gleich der zwischen Montreal und Dawson City. Das weißt du doch wohl, Summy?

– Ja, gewiß, bestätigte Summy Skim; damit ist aber nicht gesagt, daß sie klein wäre.«

Die beiden Vettern wollten Dawson City nicht verlassen, ohne sich im Krankenhause von Edith Edgerton zu verabschieden. Diese kam, als ihr der Besuch der Herren gemeldet worden war, sofort ins Sprechzimmer herunter. Sie sah in ihrer Pflegeschwesterntracht wirklich wunderhübsch aus. Wie sie so hereintrat in grauem Wollkleide mit blendend weißer Latzschürze darüber, die in regelmäßigen Falten herunterfiel, die Haare schlicht geordnet und von mathematisch genauer Linie gescheitelt, die Hände zart, weiß und sorgfältig gepflegt... hätte man in ihr kaum die unermüdlich tätige Samariterin erkannt, die der Doktor Pilcox so lyrisch geschildert hatte.

»Ah, mein wertes Fräulein, fragte sie Ben Raddle, gefällt es Ihnen denn in der neuen Tätigkeit?

– Man liebt immer den Beruf, der einem den Lebensunterhalt gewährt, antwortete Edith einfach.

– Hm... Hm! summte Ben Raddle, als wäre er davon kaum überzeugt. Nun, Sie sind also zufrieden, das ist ja die Hauptsache. Der Doktor Pilcox wird auch nicht müde, Ihr Lob zu verkünden.

– O, der Doktor ist zu gut, erwiderte die junge Krankenpflegerin. Ich hoffe, mit der Zeit Besseres leisten zu können.«

Da mischte sich Summy in das Zwiegespräch.

»Und Ihre Cousine, mein Fräulein, haben Sie von ihr etwas gehört?

– Nein, nicht das geringste, erklärte Edith.

– Sie hat also ihr Vorhaben wirklich ausgeführt? fuhr Summy fort.

– War das nicht von Anfang an beschlossen?

[168] [171]– Doch was erhofft sie denn davon? rief Summy in plötzlich aufwallender und unerklärlicher Erregung. Was wird aus ihr, wenn sie, wie es so gut wie gewiß ist, nur einen Mißerfolg in ihrem etwas widersinnigen Unternehmen hat?

– O, dann bin ich immer noch da, sie aufzunehmen, antwortete Edith ruhig. Im schlimmsten Falle reicht, was ich verdiene, auch für uns beide.

– Dann sind Sie also, rief Summy höchst aufgeregt, beide entschlossen, sich in Klondike für immer fest zusetzen, hier gleichsam Wurzel zu schlagen...


Neluto hätte sein Pferd nicht zu einer schnelleren Gangart bringen können. (S. 175.)

– O, keineswegs, Herr Skim, denn wenn Jane Erfolg hat, werde auch ich von ihrer Arbeit Vorteil haben.

– Eine herrliche Kombination! Sie könnten sich also auch entschließen, Dawson wieder zu verlassen?

– Warum denn nicht?... Ich liebe zwar den Beruf, der mich ernährt, doch von dem Tage an, wo ich seiner nicht mehr bedürfte, würde ich mir einen andern, natürlich einen angenehmern, wählen.«

Alles das sprach sie ganz gelassen und mit einer Sicherheit aus, die jeden Widerspruch erstickte. Auf eine solche ruhige und auf alle höhern Ansprüche verzichtende Lebensauffassung ließ sich eben nichts erwidern, und Summy machte auch keinen Versuch dazu.

Wenn er sich übrigens versucht gefühlt hätte, einen letzten Einwand zu erheben, so würde sich der Doktor Pilcox dem doch entschieden widersetzt haben. Sobald der Arzt von der nahe bevorstehenden Abreise der beiden Vettern gehört hatte, widmete er diesen seine wärmsten Glückwünsche zu der interessanten Reise, die sie eben antreten sollten, und dann sattelte er wieder sein Steckenpferd und pries die Schönheiten seines geliebten Klondike.

Summy verzog den Mund. Er... er liebte Klondike nicht, o nein, er nicht.

»Das würde sich schon finden, versicherte der Doktor, wenn Sie nur Gelegenheit hätten, es auch im Winter zu sehen.

– Ich hoffe, diese Gelegenheit nicht zu bekommen, entgegnete Summy, der das Gesicht noch mehr verzog.

– O, wer weiß das!«

Die Zukunft wird uns zeigen, ob Summy Skim recht oder unrecht hatte, die Antwort des Arztes nicht ernst zu nehmen.

Am 8. des laufenden Monats wartete der Wagen schon seit fünf Uhr früh vor dem Tore des Northern-Hotels. Die Mundvorräte und das kleine Lagermaterial [171] waren schon darauf untergebracht. Das Pferd wieherte in seiner Gabeldeichsel und Neluto thronte auf dem Kutschersitze.

»Ist alles richtig verladen, Neluto?

– Alles, Herr Raddle, alles...

– Dann in Gottes Namen vorwärts, befahl Ben Raddle.

– Es müßte denn ein Paket im Hotel zurückgelassen worden sein!« vollendete der Indianer seine Rede mit der ihm angebornen Vorsicht.

Ben Raddle unterdrückte einen Seufzer der Resignation.

»Nun, hoffen wir wenigstens, daß nichts vergessen worden ist, sagte er noch, als er den Wagen bestieg.

– Und daß wir nach zwei Monaten in Montreal zurück sein müssen,« setzte Summy mit der Hartnäckigkeit eines Leitmotivs hinzu.

Die Strecke zwischen Dawson City und der Grenze beträgt hundertsechsundvierzig Kilometer. Da der Claim Nummer 129 unmittelbar an der Grenze lag, mußte es, bei Zurücklegung von ein Dutzend Lieues in vierundzwanzig Stunden, dreier Tage bedürfen, ihn zu erreichen.

Neluto teilte die tägliche Fahrstrecke so ein, daß das Pferd nicht über Gebühr angestrengt wurde. Jeder Tag zerfiel da in zwei Etappen: Die erste von sechs bis elf Uhr vormittags, darauf eine zweistündige Rast, die zweite von ein Uhr nachmittags bis sechs Uhr abends, und dann wurde das Lager für die Nacht aufgeschlagen. In dem sehr unebnen Lande konnte man nicht mehr verlangen.

Jeden Abend wurde im Schutze von Bäumen ein Zelt errichtet, wenn Ben Raddle und Summy Skim nicht zufällig ein Zimmer in einer Gastwirtschaft an der Straße fanden.

Die beiden ersten Fahrstrecken wurden unter recht günstigen Verhältnissen zurückgelegt. Das Wetter hielt sich schön. Eine leichte Brise trieb von Osten her einige hochschwebende Wolken heran und das Thermometer stieg bis auf zehn Grad über Null. Der Erdboden erhob sich oft zu mittelmäßigen Hügeln, deren größter noch keine tausend Fuß Höhe erreichte. Anemonen, Krokusse, Wacholder und andre Blütenpflanzen bedeckten die Abhänge in voller Frühlingspracht. Im Grunde der Schluchten erhoben sich Fichten, Pappeln, Weiden und Tannen in dichten Gruppen.

Summy Skim war mitgeteilt worden, daß es längs der Straße an Wild nicht fehle und daß in diesem Teile Klondikes sogar Bären öfters vorkämen.

[172] Ben Raddle und er hatten deswegen auch ihre Jagdgewehre mitgenommen, fanden aber keine Gelegenheit, sie zu benützen.

Die Gegend war auch keineswegs menschenleer. Da und dort sah man Goldgräber in den Claims an den Bergen beschäftigt, in Fundstätten, von denen einzelne für den Tag und den Mann bis zu tausend Francs Ausbeute gaben.

Am Nachmittag erreichte der Wagen das Fort Reliance, einen zu dieser Jahreszeit besonders belebten Flecken. Einst von der Hudsonbai-Gesellschaft zur Erwerbung von Pelzfellen und zur Verteidigung gegen raublüsterne Indianerstämme gegründet, hatte das Fort Reliance, wie so viele Anlagen ähnlicher Art, seine frühere Bestimmung völlig verloren. Seit der Entdeckung der Goldlager hat sich die frühere Militärstation zu einer großen Proviantniederlage verwandelt.

In Fort Reliance trafen die beiden Vettern mit dem Major James Walsh, dem Generalkommissar für das Yukongebiet, zusammen, der eben auf einer Inspektionsreise begriffen war.

Der Major, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, war ein vortrefflicher Verwaltungsbeamter, als welcher er hier seit zwei Jahren fungierte. Der Gouverneur der Dominion hatte ihn hierher zu der Zeit beordert, wo die Goldlagerstätten anfingen, von tausenden von Auswandrern überschwemmt zu werden, ohne daß ein Abflauen dieses Zuzugs bemerkbar gewesen wäre.

Ein angenehmer Auftrag war das für James Walsh keineswegs. Da galt es, über Konzessionen endgültig Beschluß zu fassen, Claims abzugrenzen und zu verteilen, Grundsteuern einzutreiben und auf gute Ordnung in einem Landesteil zu halten, zu dem die Indianer gegen die Einwandrung Einspruch erheben und sich ihr zuweilen sogar tatsächlich widersetzen... kurz, Tag für Tag neue Schwierigkeiten und neue Ärgernisse.

Zu diesen nie aufhörenden Mißhelligkeiten kam jetzt noch die Streitfrage bezüglich des 141. Längengrades, eine Streitfrage, die ohne eine nochmalige Triangulation nicht zu lösen war. Gerade wegen dieser Angelegenheit verweilte der Major James Walsh hier in dem westlichsten Teile von Klondike.

»Wer hat denn diese Frage aufgeworfen, Herr Walsh? fragte Ben Raddle.

– Natürlich die Amerikaner, erklärte der Kommissar. Sie behaupten, daß die Vermessung zu der Zeit, wo Alaska zu Rußland gehörte, nicht mit der nötigen Genauigkeit ausgeführt worden sei. Die durch den hunderteinundvierzigsten Längengrad dargestellte Grenze müsse, ihrer Anschauung nach, etwas weiter nach [173] Osten verschoben werden, wodurch den Vereinigten Staaten die meisten an den linken Zuflüssen des Yukon gelegenen Claims zufallen würden.

– Und folglich auch der Claim Nummer 129, äußerte Summy Skim, den wir von unserm Onkel Josias Lacoste geerbt haben.

– Ja freilich. Sie, meine Herren, wären die ersten, die gegebnen Falles den Bodenherrn wechseln müßten.

– Ist denn, Herr Major, fuhr Summy Skim fort, Aussicht vorhanden, daß die Berichtigungsarbeit bald beendigt wird?

– Darüber, erklärte Walsh, kann ich Ihnen, meine Herren, weiter nichts sagen, als daß die zu der Neuvermessung ernannte Kommission ihre Tätigkeit vor einigen Wochen begonnen hat. Wir rechnen darauf, daß die Grenze zwischen den beiden Staaten noch vor Eintritt des Winters endgültig festgelegt sein werde.

– Ihre Worte, Herr Kommissar, begann jetzt Ben Raddle, lassen annehmen, daß hier in früherer Zeit ein Fehler vorgekommen ist und daß die Grenze jetzt wirklich in der angegebenen Weise verlegt werden müsse.

– O nein, Herr Raddle. Nach allen mir zugegangnen Berichten scheint die ganze Sache auf weiter nichts hinauszulaufen als auf einen grundlosen Streit, den einige amerikanische Syndikate gegen die Dominion angezettelt haben.

– Ja, wir würden aber immerhin genötigt sein, sagte Summy Skim, unsern Aufenthalt hier mehr als gewünscht zu verlängern. Das ist erst recht unangenehm.

– Ich, versicherte der Kommissar, ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, die Arbeit der Landvermesser zu fördern. Diese wird nur zuweilen durch den bösen Willen einzelner Claimbesitzer nahe der Grenze gehemmt, am meisten durch den Inhaber des hunderteinunddreißigsten Claims.

– Einen Texaner Namens Hunter, sagte Ben Raddle.

– Ganz recht. Sie haben schon von ihm reden gehört, nicht wahr?

– Auf der Fahrt von Vancouver nach Skagway ist mein Vetter mit ihm in Berührung, vielleicht in eine recht unsanfte Berührung gekommen.

– Dann seien Sie auf Ihrer Hut! Der Texaner ist ein gewalttätiger, roher Bursche. Er hat einen Landsmann, einen gewissen Malone, bei sich, der, was man so hört, auch nicht mehr taugt als er.

– Ist dieser Hunter, fragte Ben Raddle, einer von denen, die die Grenzberichtigung beantragt haben, Herr Walsh?

– Ja freilich. Er ist in der Sache die schlimmste Triebfeder.

[174] – Welches Interesse aber hat er dabei?

– Das, etwas weiter von der Grenze zu sitzen und so der unmittelbaren Beaufsichtigung durch unsre Polizisten zu entgehen. Er ist es, der die Inhaber der Goldlagerstätten zwischen dem linken Ufer des Yukon und der gegenwärtigen Grenze aufgehetzt hat. All diese Schmugglergesellschaft würde es lieber sehen, zu dem nachlässiger verwalteten Alaska als zur Dominion zu gehören. Ich wiederhole Ihnen aber: ich bezweifle stark, daß die Amerikaner von der Sache Vorteil haben werden, und dem Hunter werden alle seine Winkelzüge nichts nützen. Jedenfalls kann ich Ihnen jedoch nur empfehlen, mit Ihrem Nachbar so wenig wie möglich in Beziehung zu treten; das ist ein Abenteurer schlimmster Sorte, mit dem meine Polizei schon mehr als einmal zu tun gehabt hat.

– Fürchten Sie in dieser Hinsicht nichts, Herr Kommissar, antwortete Summy Skim. Wir sind nicht nach Klondike gekommen, den Schlamm des Claims 129 auszuwaschen, sondern nur, um ihn zu verkaufen. Sobald das geschehen ist, schlagen wir, ohne uns noch einmal umzuwenden, den Weg nach dem Chilkoot, nach Vancouver und nach Montreal wieder ein.

– Und ich wünsche Ihnen dazu glückliche Reise, antwortete der Kommissar, der sich nun von den bei den Vettern verabschiedete. Wenn ich Ihnen irgendwie nützlich sein kann, so rechnen Sie auf mich.«

Am nächsten Tage rollte der Wagen polternd weiter. Der Himmel sah weniger schön aus als am Tage vorher. Mit einem scharfen Nordwestwind fielen ein paar tüchtige Regenschauer. Unter dem Schutze des Wagenverdecks hatten die beiden Vettern davon aber nicht besonders zu leiden.

Neluto hätte sein Pferd nicht zu einer schnelleren Gangart bringen können. Der Erdboden wurde sehr holperig. Tiefe, jetzt von dem Eise, das sie im Winter gefüllt hatte, befreite Radspuren verursachten oft furchtbare Stöße, die der Wagen und das Pferd davor gleichmäßig fühlten.

Die Umgebung war waldreich... immer Fichten, Weiden, Pappeln und Espen. An Holz konnte es den Goldgräbern sowohl zum eignen Gebrauch als auch zum Absteifen und Ausplanken der Claims auf lange Zeit hinaus nicht fehlen. Übrigens enthält dieser Teil des Bezirks außer Gold noch Steinkohlenlager. Etwa fünf Kilometer vom Fort Cudahy, am Coal Creek, ferner dreizehn (amerikanische) Meilen von da, am Cliff Creek, endlich neunzehn Kilometer von hier am Flatte Creek, hat man Ablagerungen einer vorzüglichen Kohle gefunden, die nur fünf Prozent Asche hinterläßt. Schon früher hatte man Kohle im [175] Becken der Five Fingers geschürft und diese ersetzte sehr vorteilhaft das Holz, von dem die Dampfer von geringerer Größe in der Stunde eine Tonne (1000 kg) verbrannten. Das kann für den Bezirk noch einmal eine Einnahmequelle bilden, wenn die Goldlager erschöpft sein sollten.

Am Abend dieses Tages, also am Ende der zweiten, übrigens recht anstrengenden Fahrstrecke, erreichten Neluto und seine Begleiter das Fort Cudahy am linken Yukonufer. Hier wurde ihnen von dem Führer der örtlichen Polizeitruppe eine Herberge gezeigt, wenn auch nicht gerade empfohlen; vielleicht bevorzugten sie aber doch eine Stube darin gegenüber ihrem Zelte.

Als Summy Skim diese Mitteilung erhalten hatte, wendete er sich, um noch Auskunft über einen ihm offenbar am Herzen liegenden Punkt zu bekommen, an den Führer der Polizeimannschaft. Ob dieser, fragte er, in den letzten Tagen nicht hätte eine Frau durch Fort Cudahy kommen gesehen?

»Ob ich eine Frau hier durchkommen gesehen habe, mein Herr? rief der Leutnant laut auflachend. Nein, eine nicht, wohl aber ein Dutzend oder gar ein Hundert Frauen. Viele Goldsucher schleppen ein ganzes Gefolge mit sich und Sie können sich wohl vorstellen, daß unter einer solchen Anzahl...

– Ach, fiel ihm Summy ins Wort, die, die ich meine, gehört zu einer ganz besondern Art: sie ist selbst eine Prospektorin, Herr Leutnant, und ich glaube nicht, daß solche hier zu Dutzenden umherlaufen.

– Da irren Sie doch, mein Herr, entgegnete der Leutnant. Es fehlt auch an solchen nicht. Hinter der Jagd nach den gelben Klümpchen sind die Frauen ebenso hitzig her wie die Männer.

– Was Sie sagen! rief Summy. Unter solchen Umständen... verstehe ich...

– Man könnte immerhin versuchen, hierüber Näheres zu erfahren. Wenn Sie mir ein Signalement der Sie interessierenden Persönlichkeit geben wollen...

– Es handelt sich um ein noch junges Mädchen, erklärte Summy, kaum zweiundzwanzig Jahre alt. Sie ist etwas klein, tief brünett und sehr hübsch.

– Wahrlich, gestand der Leutnant, ein solches Signalement ist in unsrer Gegend eine Seltenheit! Sie sagen: ein junges Mädchen... brünett... von kleiner Statur... und hübsch obendrein, die sollte in der letzten Zeit hier durchgekommen sein...«

Der Polizeileutnant durchflog vergebens seine Erinnerungen.

»Nein... einer solchen entsinne ich mich nicht, antwortete er schließlich.

[176] – Sie wird einen andern Weg eingeschlagen haben, die arme Kleine, sagte Summy traurig. Ich danke Ihnen aber dennoch, Herr Leutnant.«

Die Nacht verging so leidlich und am andern Tage, am 10. Juni, setzte sich der Wagen sehr frühzeitig wieder in Bewegung.

Vom Fort Cudahy aus strömt der Yukon weiter nach Nordwesten bis zu einem Punkte, wo er den hunderteinundvierzigsten Meridian – so wie dieser auf den Karten jetzt eingezeichnet ist – schneidet. Was den, wie sein Name andeutet, vierzig (amerikanische) Meilen, das sind 64 km, langen Forty Miles Creek betrifft, so wendet der sich nach Südwesten und ebenfalls der Grenze zu, die ihn in zwei fast genau gleiche Hälften teilt.

Neluto hoffte am heutigen Abend die Stelle zu erreichen, die der Claim Josias Lacostes einnahm. Das Pferd, das von den beiden Marschtagen übrigens nicht besonders ermüdet aussah, hatte er deshalb etwas reichlicher mit Futter versorgt. Mußte es sich einmal bis zum Äußersten anstrengen, so konnte das Tier das jedenfalls schadlos leisten und dann würde es ja am Claim Nummer 129 die ganze Zeit ausruhen können.

Um drei Uhr Morgens, als Ben Raddle und Summy Skim das einfache Gasthaus verließen, stand die Sonne schon ziemlich hoch am Himmel; nach wenigen Tagen trat ja die Sonnenwende ein und da verschwand sie nur für ganz kurze Zeit unter dem Horizonte.

Der Wagen folgte an der rechten Seite des Forty Miles Creek dessen stark gewundnem Ufer, das hie und da von Hügeln eingerahmt wurde, zwischen denen sich tiefe Schlünde öffneten. Das Land hier war keineswegs öde... überall arbeiteten Leute in den vielen Claims. An jeder Uferbiegung, an der Mündung der seitlichen Hohlwege erhoben sich Pfähle, die die Grenzen der Placers bezeichneten und in großen Ziffern deren Nummer angaben. Besonders vollendete Arbeitsgeräte fand man hier kaum, nur da und dort Maschinen, die von Menschenkraft bewegt, und nur wenige darunter, die durch abgeleitetes Wasser aus einem Creek getrieben wurden.

Die meisten Prospektoren arbeiteten, gewöhnlich durch wenige gemietete Gehilfen unterstützt, sozusagen im Tagebau am Lande oder auf einer Sandbank, wo sie den Schlamm aus flachen Höhlungen schöpften. Alles vollzog sich in merkwürdiger Stille, wenn diese nicht gelegentlich durch den Freudenschrei eines Goldgräbers unterbrochen wurde, der eine wertvollere Pepite gefunden hatte.

[177] Die erste Rast an diesem Tage dauerte von zehn Uhr bis zu Mittag. Das Pferd weidete auf einer nahegelegenen Wiese und Ben Raddle und Summy Skim konnten ihre Pfeife rauchen, nachdem sie sich an einem aus Konserven und Zwieback bestehenden Frühstück gestärkt und dieses mit ein paar Tassen Kaffee beendigt hatten.

Neluto brach ganz kurz vor der Mittagsstunde auf und trieb das Zugtier tüchtig an. Wenige Minuten vor sieben Uhr erblickte man dann in geringer Entfernung den Pfahl des Claims 129.

In diesem Augenblicke erhob sich Summy Skim, der die in Nelutos Händen ruhenden Zügel erfaßte, im Wagen, der jetzt anhielt.

»Dort!... Dort!«... rief er und wies mit der Hand nach einer langen und tiefen Schlucht, die längs eines steilen Abhangs bis zum Bette des Creeks herunterreichte.

Die beiden andern folgten mit den Blicken der angegebnen Richtung und ganz unten an der Schlucht bemerkten sie, wegen der Entfernung freilich nur undeutlich, eine Erscheinung, die ihnen wie »schon bekannt« vorkam. Es war das ein Prospektor, soweit man es von hier aus beurteilen konnte, einer von kleinerer Statur und eifrig beschäftigt, den Sand aus einem Schöpfbrunnen auszuwaschen. Ein andrer Mann, ein wirklicher Riese, arbeitete an seiner Seite. Beide waren von ihrer Beschäftigung so eingenommen, daß sie diese nicht einen Augenblick unterbrochen hatten, als der Wagen auf der Straße anhielt.

»Wahrhaftig... man sollte glauben..., murmelte Summy.

– Was... was denn? fragte Ben Raddle ungeduldig.

– Nun... Gott verzeih' mir's... Jane Edgerton, Ben!«

Ben Raddle zuckte mit den Schultern.

»Du träumst wohl ein bißchen?... Wie könntest du jemand so weithin erkennen? Übrigens hatte Jane Edgerton, so viel ich weiß, keinen Begleiter oder Gehilfen. Und was berechtigt dich überhaupt zu der Annahme, daß der eine dieser Prospektoren eine Frau wäre?

– Das weiß ich selbst nicht, antwortete Summy zögernd. Es scheint mir aber, als ob...

– Mir scheint es, als ob es zwei Goldsucher, Vater und Sohn, wären. Daran ist kaum zu zweifeln; doch frage einmal Neluto darüber.«

Der Indianer hielt die Hand als Blendschirm vor die Augen.

»Das ist eine Frau, erklärte er mit Entschiedenheit nach längerem Hinblicken.

[178] – Na, da siehst du's ja! rief Summy triumphierend.

– Oder ein Mann,« fuhr Neluto mit derselben Sicherheit fort.

Summy ließ entmutigt die Zügel los und der Wagen rollte weiter. Neluto setzte seine Betrachtung noch eine Weile fort.

»Zu verwundern wär's ja auch nicht, wenn das ein Kind... oder z. B. ein junges Mädchen wäre,« sagte er halb für sich.

Der Wagen bewegte sich schnell weiter; bald war er über die letzte Grenzscheide gekommen und hielt nun auf dem Platze des hundertneunundzwanzigsten Claims still.

»... oder vielleicht ein Knabe oder ein junger Bursche,« ließ Neluto, um keine Möglichkeit außer acht zu lassen, sich noch vernehmen.

Ben Raddle und Summy Skim hörten aber gar nicht mehr auf den Mann. Jeder an seiner Seite sprangen sie in demselben Augenblick aus dem Wagen und nach einer Reise von zwei Monaten und neun Tagen betraten sie endlich den Boden des Claims Nummer 129.

12. Kapitel
Zwölftes Kapitel.
Die Anfänge einer Prospektrice.

Kaum aus dem Fahrzeuge, das sie hierher gebracht hatte, ausgestiegen, hatten die beiden Cousinen sich unverzüglich nach dem Krankenhause von Dawson City begeben. Doktor Pilcox empfing sie hier als väterlicher Freund und Edith trat sofort ihren Dienst an und das so wohlgemut und sicher, als ob sie ihn nur seit gestern wieder aufnähme.

Jane dagegen, die geraden Weges auf ihr Ziel lossteuerte, löste sich im städtischen Verwaltungsbureau einen Erlaubnisschein zur Jagd, zum Fischfang und zum Grubenbetrieb, der ihr gegen Entrichtung von zehn Dollars ausgestellt wurde, und dann lief sie kreuz und quer durch Dawson City und besorgte sich schnell die Tracht und die nötigen Arbeitsgeräte eines Prospektors. Gegen [179] Mittag war schon alles abgemacht, dann kehrte sie, vom Kopf bis zum Fuß verwandelt, ins Krankenhaus zurück.

Wie sie so die Haare auf dem Kopfe fest zusammengebunden und mit einem breitkrempigen Filzhut bedeckt hatte, an den Füßen große, mit Nägeln beschlagene Schuhe und bekleidet mit Kittel und Beinkleidern aus grobem, haltbarem Stoffe, hatte sie das Weib äußerlich abgestreift und sah mehr wie ein junger, gewandter Bursche aus.

Die beiden Cousinen nahmen miteinander ein Frühstück ein. Ohne die innere Aufregung, die beide tatsächlich empfanden, irgendwie zu verraten, umarmten sie sich dann, wie sie das gewöhnt waren, und während Edith zu ihren Kranken zurückkehrte, wandte sich Jane entschlossen dem Abenteuer, dem Unbekannten entgegen. Bei ihren Einkäufen hatte sie sich durch Befragung des einen und des andern über verschiednes so gut wie möglich unterrichtet. Aus den dabei erhaltnen Mitteilungen ging hervor, daß ihr nach Süden und nach Osten zu keine Aussicht auf Erfolg winkte. Nach diesen Seiten hin lagen allerdings die reichsten, deshalb aber auch am meisten überlaufnen Gebiete. Sie würde dort sehr lange umhersuchen müssen, ehe sie ein noch unausgebeutetes Plätzchen fände, das der Mühe ihrer Arbeit lohnte.

Nach Westen zu waren die Rios und die Creeks dagegen vorläufig noch weniger bekannt und die Konkurrenz war dort weniger scharf. In dieser Gegend würde es ihr voraussichtlich eher möglich sein, einen bisher unbeachteten Claim zu erwerben, ohne sich von der Stadt gar zu weit zu entfernen.

Auf ihren glücklichen Stern bauend, zog Jane Edgerton von Dawson City nach Westen hinaus und, die Schaufel in der Hand, den Quersack auf der Schulter, längs des linken Yukonufers weiter.

Wohin ging sie nun eigentlich?... Ja, das wußte sie selbst nicht. Sie marschierte einfach vor sich hin und hatte zunächst keinen andern Plan entworfen, als an dem ersten, einigermaßen bedeutenden Flusse hinzuwandern, der ihren Weg schneiden würde und dessen Uferland sie genau besichtigen wollte.

Als Jane nachmittags fünf Uhr noch keinen Wasserlauf angetroffen hatte, der einen andern Namen als den eines Baches verdiente, machte sie etwas ermüdet einen kurzen Halt und stärkte sich aus dem mitgenommnen Proviant. Bisher war ihr vom letzten Hause der Stadt an noch keine lebende Seele begegnet. Ringsumher herrschte Schweigen in dem Landstrich, der ganz unbewohnt erschien.

[180] Nach Beendigung ihres frugalen Mahles wollte Jane eben wieder aufbrechen, als ein aus Dawson City kommender Wagen auf die Straße einbog und sich ihr schnell näherte. Es war ein sehr einfaches Gefährt, mehr ein richtiger Bauernkarren mit einer darübergespannten Leinenplane und einem kräftigen Pferde davor. Auf dem über der Vorderachse an Stricken hängenden Sitze zeigte sich ein vierschrötiger Mann mit stark gerötetem, aber jovialem Gesicht, der lustig mit der Peitsche knallte.

Da der Weg an der Stelle, wo er sich eben befand, ziemlich stark anstieg, kam der Wagen jetzt nur langsamer vorwärts. Jane hörte hinter sich den Hufschlag des Pferdes auf dem Erdboden und die Räder kreischten in einer Entfernung, die sich vorläufig nicht zu verringern schien.

Da rief sie eine etwas schwerfällige, doch lustige Stimme mit den Worten an:

»He, mein Bürschchen, was machst du denn hier?«

Auf diese Anrede in ganz verständlichem, doch in seiner Unkorrektheit für ein angelsächsisches Ohr höchst komisch wirkendem Englisch wandte sich Jane ruhig nach dem Sprecher um.

»Und Sie?« antwortete sie nur.

Der Mund des dicken Mannes verzog sich zu einem breiten Lächeln.

»Bou Diou! rief er, seine fremde Aussprache noch durch einen deutlichen Marseiller Akzent verschärfend, du hast ja recht helle Augen, junges Hühnchen! Das Stirnhaar sieht ja aus, als wenn es jeden Vorüberkommenden ausfragen wollte. Gehörst du vielleicht zur Landespolizei, mein Pitchoun?

– Und Sie? sagte Jane darauf noch einmal.

– Und Sie? wiederholte der Wagenlenker scherzend. Du kannst wohl nichts andres sprechen, Kleiner?... Oder wäre es erst notwendig, sich dem Herrchen vorzustellen?

– Ja, warum das nicht? erwiderte Jane halb lachend..

– Das ist sehr einfach, erklärte der lustige Patron, während er sein Pferd mit einem leichten Peitschenschlage antrieb. Ich habe die Ehre, mich dir als Marius Rouveyre, den größten Händler in Fort Cudahy, vorzustellen. Und nun ist die Reihe an dir, nicht wahr?

– Jean Edgerton, Prospektor.«

Der Wagen hielt auf der Stelle an; Marius Rouveyre hatte in seiner Überraschung die Zügel plötzlich scharf angezogen. Er ließ sie aber gleich wieder locker und hielt sich unter schmetternd lautem Lachen die Seiten.

[181] »Prospektor... Sapperment, Prospektor! lallte er trotz seines Lachens, Prospektor... pecairé!... Du willst dich also von den Wölfen auffressen lassen?... Und seit wann bist du, wie du sagst, Prospektor?

– Seit drei Stunden! antwortete Jane Edgerton, ärgerlich errötend. Ich bin nun schon zwei Monate unterwegs, um hierherzukommen, es hat mich aber, wie es scheint, noch kein Wolf verzehrt.

– Richtig! bestätigte der dicke Marius, der jetzt wieder ernster wurde. Das ist wahr, daß der Kleine bis hierher fortgekommen ist! Du hast aber immerhin ein recht unpassendes Metier gewählt. Armes Kerlchen! Doch da kommt mir ein Gedanke: Du gefällst mir, obgleich dir der Kamm etwas geschwollen zu sein scheint. Ich brauche gerade einen Gehilfen und wenn du den Platz annehmen willst... besser ist das allemal als das verzwickte Goldsuchen.

– Einen Gehilfen? fragte Jane. Einen Gehilfen wofür oder wozu?

– Für alles, erklärte Marius Rouveyre. Ich handle mit all und jedem. In meinem Lagerhause, ja schon hier in meinem Wagen, findet sich allerlei. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie vielerlei die Kisten hier enthalten: Zwirn, Näh- und Stecknadeln, Garn und Schnüre, Schinken, Briefpapier, Würste, Schnürleibchen, Konserven, Strumpfbänder, Tabak, Männer-und Frauenkleider, Schmertöpfe, Schuhe usw. Es ist ein richtiger Basar! Hier in der Pappschachtel hab' ich einen hohen Hut, den einzigen, den es in Fort Cudahy gibt. Den verleihe ich zu jeder Trauung, da bringt er mir seinen Preis tausendfach ein. Natürlich muß das Ding auf jeden Schädel passen! Und hier in der andern befindet sich ein Kleid... ein Ballkleid... auch gehörig ausgeschnitten... nach der neuesten Pariser Mode, mein Freund.

– Und diese suchen werden hier verkauft?

– Ich und mein Staatskleid verkaufen? Ich weiß, man würde sich darum reißen, der glückliche Finder des ersten größern Goldklumpens würde es seiner Gattin bringen, damit diese bei den Tanzvergnügungen in Fort Cudahy alle andern Frauen an Luxus überstrahlte. Doch nein, an dergleichen denk' ich nicht. Das Beste steckt aber da hinten in den andern Kisten und Kasten: Champagner. Brandy, Wisky u. dgl. Davon kann ich gar nicht genug kommen lassen, es reicht doch niemals aus. Na, heraus mit der Sprache, gefällt dir mein Vorschlag? Vier Dollars den Tag, neben Unterhalt und freier Wohnung.

– Nein, Herr Rouveyre, antwortete Jane Edgerton freimütig. Ich danke Ihnen, will aber doch meinen eignen Plänen nachgehen.

[182] – Ein schlechter Vorsatz, Bürschchen, ein schlechter Gedanke! versicherte Marius Rouveyre mit Überzeugung. Die Goldschlemmerei... die kenne ich. Ich kann dir davon aus eigner Erfahrung erzählen.

– Sie sind auch Prospektor gewesen?

– Sapperment, so wie hier jedermann. Man fängt ja immer damit an. Unter je hundert ist aber nur einer, dem's glückt, zwei, die bald umsatteln, ein Dutzend, die nachher so bettelarm sind wie zuvor, und die übrigen... die tragen gar ihre Haut zu Markte. Ich hätte auch bald zu ihnen gehört!

– Wirklich? rief Jane, die auf weitere Mitteilungen gespannt war.

– Wie du mich hier siehst, Kleiner, fuhr Marius fort, bin ich eigentlich Seemann, ein Seemann aus Marseille in Frankreich. Ich hatte meine Schiffskiste schon in allen fünf Erdteilen umhergeschleppt, als ich mich, wir lagen im Hafen von Vancouver, von einem schlechten Subjekt übertölpeln ließ. Seiner Rede nach brauchte man sich hier nur zu bücken, um Goldklumpen wie Kinderköpfe groß aufzulesen. Da fuhren wir denn beide ab. Natürlich fielen die Reisekosten auf mich und noch natürlicher fand ich hier nichts als das graue Elend. Ich hatte nichts mehr als Haut und Knochen, meine Börse war zusammengeschnurrt und dann... nun, dann machte sich der Spitzbube, der mich hierhergeschleppt hatte, heimlich aus dem Staube. Nun fing ich an zu überlegen, was zu tun wäre, und da Marius nicht dümmer ist als andre, sah er bald ein, daß alles, was ein Goldsucher in Klondike gewinnt, schließlich doch in Klondike hängen bleibt, daß es verlottert wird in den Schenken, den Ballhäusern, oder ausgegeben in den Läden, wo man für hundert Francs kauft, was anderswo hundert Sous kostet. Ich entschloß mich also, Tanzbodenwirt und Händler – Kaufmann – zu werden, und wahrlich, ich hab's nicht zu bereuen gehabt, schloß Marius Rouveyre seine Worte, während er sich mit Selbstbefriedigung den Bauch klopfte, denn meine Börse und ich, wir sind gemeinsam rund und fett geworden!«

Der Wagen hatte jetzt die Höhe der Straßensteigung erreicht.

»Nun also, du willst entschieden nicht? Marius hielt dabei still.

– Entschieden nicht! erklärte Jane Edgerton.

– Daran tust du unrecht,« sagte Marius fast seufzend und wippte schon mit der Peitsche.

Der Wagen, der sich in Bewegung setzte, hielt aber sofort noch einmal an.

[183] »Na, es soll doch keiner sagen können, daß ich dich auf der Landstraße hätte liegen und unter freiem Himmel schlafen lassen. Marius ist reich genug, einem armen kleinen Kerl einen Dienst zu erweisen. Wohin gehst du?

– Hatte ich's nicht schon gesagt?... Geradeaus!

– Geradeaus... geradeaus! Da könntest du lange geradeaus gehen. Vor dem Fort Cudahy kommst du an keinen brauchbaren Creek. Soll ich dich bis Cudahy mitnehmen?

– Im Wagen?

– Na freilich, im Wagen.

– O, das nehme ich mit Dank an, beeilte sich die über das Angebot erfreute Jane zu antworten.

– Also heran! Steige schnell ein! Ein Tropf, der nicht Wort hält!«

Dank dieser so unerwarteten Hilfe sah Jane den Anfang ihrer Reise recht wünschenswert erleichtert. Das Pferd lief im kurzen Trab. Am 4. Juni, doch zu etwas vorgerückter Stunde, stand es vor der Türe zu dem Laden Marius Rouveyres.

Dieser ließ es an wiederholten Versuchen, seinen Fahrgast zur Annahme des Gehilfenpostens bei ihm zu überreden, nicht fehlen. Die sechsunddreißig Stunden, die er mit seinem jungen Begleiter verbracht hatte, hatten die Teilnahme nur vermehrt, die er für diesen von Anfang an empfand. Seine Bemühungen blieben vergeblich. Jane Edgerton wollte ihren Vorsatz ausführen und früh morgens am 5. Juni machte sie sich wieder auf den Weg.

Bald sperrte ihr ein Nebenfluß des Yukon den Weg. Sie wandte sich da nach Südwesten und ohne den Namen des Wasserlaufes zu kennen, wanderte sie an dessen rechtem Ufer hin.

Den ganzen Tag ging sie unverdrossen weiter. Bald folgte der Weg dem Uferrand des Flusses, bald wich er, verdrängt durch eine Bodenwelle, davon ein Stück zurück und das Wasser war dann nur an der Mündung von Schluchten zu sehen, die meist recht steil herabfielen.

Jane drang beherzt in diese Schluchten ein und ging, wachsam umherblickend, vorsichtig bis zu ihrem Ende hinunter. Vielleicht entdeckte sie darin ein günstig erscheinendes Plätzchen, das von denen, die hier vor ihr gewandert waren, doch übersehen worden wäre. Der Tag ging aber zur Rüste, ohne daß ihre Hoffnung sich erfüllt hätte. Überall war der Erdboden schon in Besitz genommen oder durch numerierte Pfähle als regelrechtes Besitztum bezeichnet. Nicht ein Daumenbreit [184] herrenloses Land. Überall folgte ein Claim dem andern, nur unterbrochen durch ganz ungangbare und unverkennbar erzleere Stellen.


Jane ergriff ihren Revolver und streckte ihn schußfertig hinaus. (S. 186.)

Jane war übrigens von diesem ersten Mißerfolg keineswegs betroffen. Wie hätte das auch anders sein können in einem Lande, das von einer so großen Menge von Goldsuchern überschwemmt und schon in regelmäßige Schläge abgeteilt war? Die Umgebung war ja keine Wüste mehr. Überall arbeiteten gierige Hände, und es wäre höchst unwahrscheinlich gewesen, daß den zahllosen Goldsuchern das kleinste Stückchen des edlen Metalls entgangen wäre.

[185] Sie mußte eben weiter wandern und das wollte sie, so weit, wie es irgend nötig erschiene.

Gegen Abend kam sie an eine neue, zur Rechten von der Straße mündende Schlucht. Jane schritt, wie in die andern, unbesorgt hinein und stieg nach dem darin hinrauschenden Creek hinunter, dessen Umgebung sie aufmerksam musterte. Von noch rauherem und wilderem Aussehen als die andern, schlängelte sich diese Schlucht in zahlreichen Windungen dem Stromufer zu. Schon nach hundert Schritten hatte Jane die Straße aus dem Gesichte verloren und sah vor sich nur noch einen schmalen. zwischen hohen Felsenwänden eingezwängten Pfad. der vielfach von breiten und tiefen Spalten unterbrochen war.

Eben stand sie vor einer solchen Vertiefung und wollte sie gerade überschreiten, als an einer Windung des engen Weges, zwanzig Meter vor ihr, eine Gestalt auftauchte, bei deren Anblick sie ein kalter Schauer erfaßte. Der Mann war fast ein Riese, ein borstiger Koloß. ungefähr von sechs Fuß Höhe. Eine Fülle roter Haare, die in dichten und krausen Büscheln über die Stirn hinunterfielen, gab ihm fast ein tierisch wildes Aussehen, wozu seine übrige Erscheinung nur noch mehr beitrug. Eine stumpfe Nase, abstehende Ohren, dickwulstige Lippen, große, mit rotem Wollhaar bedeckte Hände, grobe, ausgetretene Schuhe, über denen die Reste eines vielfach zerrissenen Beinkleides flatterten, war das ohne Zweifel ein halb vertierter, doch jedenfalls ein sehr kräftiger Gesell.

Als sie einander erblickten, waren Jane Edgerton und der Mann unwillkürlich stehen geblieben. Dieser schien erst zu überlegen – soweit ihm eine solche Geistestätigkeit möglich war – was er nun tun sollte. Dann setzte er sich aber mit schweren, täppischen Schritten wieder in Bewegung. Je näher er herankam, desto deutlicher erkannte Jane seine Gesichtszüge und da sie darin den unverkennbaren Ausdruck von Wildheit zu sehen glaubte, bemächtigte sich ihrer eine zunehmende Unruhe.

Nach wenigen Sekunden stand der unheimliche Mann an der Wegspalte, vor der Jane stehen geblieben war, als wollte sie diese als Schutz- und Verteidigungsmittel benützen. Auf der andern Seite blieb auch der Mann stehen.

Über seine Absichten konnte kaum ein Zweifel walten. Der unstete Blick seiner blutdurchzognen Augen, der verzerrte Mund, der die Zähne bloßlegte, die mächtigen, zum Anfallen geballten Fäuste... alles an ihm verriet den Wahnsinn der Mordgier. Jane ergriff ihren Revolver und streckte ihn schußfertig hin aus.

[186] Als ob er über eine solche, von der Hand eines Kindes geführte Waffe spöttelte, zuckte der Mann an der andern Seite der Spalte hohnlächelnd die Achseln, hob einen Stein auf und schleuderte ihn kräftig hinüber... Das Wurfgeschoß verfehlte aber sein Ziel und da sprang er in die Vertiefung, die er leicht mit drei Sätzen durchmessen konnte. Kaltblütig erwartete Jane den Feind, entschlossen, nur einen sicher treffenden Schuß abzugeben.

Das sollte jedoch nicht nötig werden. Beim ersten Schritte stürzte der Riese, auf einem Stein ausgleitend, lang hin und stieß ein furchtbares Geheul aus, ohne sich wieder aufzurichten.

Was ihm zugestoßen sein mochte, konnte Jane vorläufig nicht entscheiden. Tot war der Angreifer nicht, seine Brust arbeitete in kurzen Stößen und lautes Wehklagen kam über seine Lippen. Da er jedenfalls außer Gefecht gesetzt war, erschien es Jane am ratsamsten, die Schlucht wieder zurückzulaufen, die Straße zu gewinnen und über diese hinzuflüchten.

Ein noch schmerzlicheres Seufzen des Gestürzten hielt sie aber zurück und lenkte ihre Aufmerksamkeit dem am Boden liegenden Gegner zu. Dieser war kaum wieder zu erkennen. Die wulstigen Lippen waren jetzt eingezogen und verrieten nichts mehr von Wildheit; aus den vorher so blutrünstigen Augen sprach nur noch ein unerträglicher Schmerz, die grobe Faust hatte sich geöffnet und die Hand streckte sich dem jungen Mädchen wie bittend entgegen. Der vorher einen Mord planende unheimliche Fremde hatte sich wie durch Zauberschlag zu einem armen Teufel verwandelt, der, die Beute eines schweren Unfalls, plötzlich schwächer als ein kleines Kind geworden war.

»Wollen Sie mich denn hier elend umkommen lassen?« fragte er mit rauher Stimme, jedoch in gutem Englisch.

Sofort wandte sich Jane ihm zu; das Mitleid des Weibes war in ihrem Herzen erwacht. Ohne Zögern stieg sie in den Spalt hinunter und näherte sich dem Gestürzten.

»Oder wollen Sie mich vielleicht gar töten?« seufzte der Unglückliche, dessen starre Blicke an dem Revolver hingen, den Jane noch in der Hand hielt.

Sie steckte daraufhin die Waffe in den Gürtel und ging näher an den Mann heran.

»Was ist Ihnen zugestoßen? fragte sie. Was fehlt Ihnen?

– Ich habe sicherlich ein Glied gebrochen... ich fühle es... hier und auch da antwortete der Verletzte, der nach dem Rücken und dem rechten Fuße zeigte.

[187] – Lassen Sie mich machen... ich werde nachsehen,« sagte Jane niederkniend.

Mit sanftem, doch sicherm Griff streifte sie die beschmutzte Jacke und den untern Teil des zerlumpten Beinkleides in die Höhe.

»Sie haben nichts gebrochen. erklärte Jane nach sorgsamer Untersuchung, das sind nur Schmerzen an Muskeln, die beim Ausgleiten zu stark gedehnt wurden. In einer Viertelstunde wird es mit Ihnen besser gehen.«

Ohne an die Gefahr zu denken, der sie sich damit aussetzte, daß sie im Bereich der kurz vorher so drohenden Hände blieb, suchte sie dem Verletzten nach Möglichkeit zu helfen. Sie massierte ihn verständig, rieb ihn tüchtig ab und setzte ihm, so gut es ging, eine Art Schröpfköpfe unter Benützung des Becherchens, das oben auf ihre Prospektoren-Feldflasche geschraubt war... ein Arzt hätte nicht zweckmäßiger vorgehen können. Die guten Folgen dieser Behandlung ließen auch nicht lange auf sich warten. Mochten ihre Eingriffe auch zuweilen etwas schmerzhaft sein, so bildeten sie doch nur das kleinere Übel. Bald atmete der Verletzte wieder ruhiger. Eine halbe Stunde später konnte er, wenn auch noch nicht stehen, doch mit dem Rücken, an einem Felsblock gelehnt, aufgerichtet sitzen und auf die Fragen der barmherzigen Samariterin Antwort geben.

»Wer sind Sie?... Wie heißen Sie?« fragte Jane.

Der Blick des Elenden drückte nur noch ein starkes Erstaunen aus. Daß dieses Kind, das er hatte töten wollen, jetzt sein Retter wurde, warf alle seine Gedanken über den Haufen. Mit zögernder, fast furchtsamer Stimme antwortete er:

»Ich heiße Patrick Richardson.

– Sie sind Engländer... oder Amerikaner?...

– Nein, Irländer.

– Prospektor?

– Nein, mein Herr, ich bin meines Zeichens Schmied.

– Warum haben Sie denn Ihre Heimat verlassen, Ihren Beruf aufgegeben?

– Keine Arbeit... nur Elend... kein Brot...

– Und ist es Ihnen hier besser gegangen?

– Leider nicht.

– Sie haben wohl keinen Claim gefunden?

– Wie hätte ich nach einem solchen suchen sollen? Ich verstehe mich auf dergleichen nicht.

[188] – Was hatten Sie denn dann vor?

– Ich wollte meine Arme vermieten, bei der Arbeit helfen.

– Nun... und?...

– Bemüht hab' ich mich darum. Die Claims sind jetzt alle mit Arbeitskräften versorgt.

– Und wohin wollten Sie, als Sie mir begegneten?

– Mehr nach dem Osten, wo ich vielleicht mehr Glück hätte.

– Doch warum trachteten Sie mir vorhin nach dem Leben?

– O... immer eine und dieselbe Ursache: ich sterbe vor Hunger, sagte Patrick Richardson, die Augen niederschlagend.

– Ach, der Arme!« murmelte Jane für sich.

Nach kurzem Stillschweigen holte sie einige Nahrungsmittel aus ihrem Rucksack.

»Da... eßt etwas... armer Mann,« sagte sie.

Patrick Richardson kam ihrer Aufforderung nicht sogleich nach. Mit trüber und trüber werdenden Augen betrachtete er das Kind, das ihm so unerwartet zuhilfe kam. Der Unglückliche weinte.

»So essen Sie doch,« wiederholte Jane.

Der schwächlich gewordene Koloß wartete jetzt nicht auf eine nochmalige Einladung, sondern fiel begierig über die ihm dargebotene Nahrung her.

Während er aß, sah sich Jane ihren unerwarteten Genossen noch näher an. Offenbar war es ein Habenichts, dieser Patrick Richardson. Die weit abstehenden Ohrmuscheln, der fast wie bei dem eines Negers deutlich hervortretende Prognathismus des Gesichts wiesen offenbar auf eine unverbesserliche geistige Inferiorität hin. Trotz seiner vorher beabsichtigten Gewalttätigkeit brauchte er ja aber noch kein eigentlicher Bösewicht zu sein. Jane hatte unzweifelhaft einen der vielen vom Schicksal Enterbten vor sich, etwas wie ein Strandgut der Großstädte, jener elenden Geschöpfe, die eine unversöhnliche Bestimmung immer wieder dahin zurückschleudert, woher sie gekommen waren. Seine dicken Lippen verrieten doch eine gewisse Gutmütigkeit und seine blauen Augen hatten einen sanften, fast naiven Blick. Vielleicht war es heute das erste Mal, daß ihm eine selbstlose Teilnahme auf seinem Lebenspfade begegnete.

Als Patrick sich gestärkt hatte, war Jane über ihren nächsten Beschluß klar geworden.

»Wenn's Ihnen recht ist, begann sie, ihn scharf ansehend, nehme ich Sie in meine Dienste.

[189] – Sie...

– Warum nicht? Sie erhalten täglich zehn Dollars, das ist der landesübliche Lohnsatz. Bezahlen werde ich Sie freilich erst später, wenn ich etwas Gold gesammelt habe... eher kann ich es nicht. Inzwischen stehe ich, als eine Art Abzahlung, für Ihre vollständige Ernährung ein und werde Ihnen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit auch neue Kleidung besorgen. Passen Ihnen diese Bedingungen?«

Patrick ergriff Janes Hand und drückte sie an seine Lippen. Einer andern Antwort bedurfte es nicht. Das war kein Diener, den Jane in seiner Person haben würde, sondern ein Sklave, fast ein folgsames Tier.

»Jetzt, nahm sie wieder das Wort, brauchen Sie notwendig etwas Schlaf. Ich werde ein Lager von dürren Blättern zurecht machen, worauf Sie sich ausstrecken können. Morgen wird von Ihrem Unfalle nicht mehr die Rede sein.«

Am nächsten Tage konnte Patrick, nachdem er noch einmal massiert worden war, wirklich schon früh am Morgen mit weiterwandern. Nur zuweilen verzog er das Gesicht noch vor Schmerz, wenn eine unwillkürliche Bewegung gewisse Rücken- oder Beinmuskeln mehr als sonst in Anspruch nahm. Auf die Schulter seines Herrn gestützt, gelang es ihm jedoch, ohne übermäßig zu leiden, den Pfad wieder zurückzugehen und die Straße zu erreichen. Wahrlich, es war ein seltsames Schauspiel, diesen Koloß, der schon mehr an einen mächtigen Bären erinnerte, von einem Jüngling geführt und unterstützt zu sehen, der die Schwäche seiner Muskeln durch unbesiegliche Energie ausglich.

Der Marsch verlieh den Gliedern Patricks nach und nach wieder die frühere Elastizität und bald schlug das merkwürdige Paar eine schnellere Gangart ein. Kurz vor der Mittagsstunde wurde zu einem Frühstück Halt gemacht. Janes bemächtigte sich freilich einige Unruhe, als sie sah, wie der Begleiter ihre Vorräte arg verschwinden ließ. Dieser große Körper war ein Abgrund, den zu füllen nicht leicht fallen würde.

Gegen Abend stießen beide auf eine neue, rechts von der Straße mündende Schlucht. Jane und Patrick drangen in den, die früher gesehenen an Breite überragenden Einschnitt ein und folgten ihm bis zum Strome hinunter.

Mit der Annäherung an diesen nahm die Schlucht an Größe nur noch zu. Ihre Breite mochte am Fuße der Seitenhöhen wohl fünfhundert Meter betragen. Hier war ihre Bodenfläche deutlich in zwei Stufen geteilt, eine höhere, sozusagen stromauf- und eine niedrigere stromabwärts, und zwar durch einen lotrecht zum [190] Creek stehenden und fast genau horizontalen Felsendamm, der, aus dem Talweg der Schlucht aufragend, am Ufer des Wasserlaufs in einem etwa zehn Meter hohen Sporn auslief. Jane betrachtete prüfend die untere Stufe, nach der der Zufall sie geführt hatte.

Die regelmäßige Bodensenkung in diesem Teile der Schlucht war es, die hinter sich den stromaufwärts steilen Felsendamm bildete. Der Erdboden war hier von vielen, an Brunnenschächte erinnernden und zum Teil wieder von Schutt und Geröll ausgefüllten Vertiefungen durchlöchert und rings umher lagen Reste von Goldwäschergerätschaften verstreut. Offenbar war hier die Stelle eines frühern Claims.

Daß man diesen aufgegeben und verlassen hatte, stand außer allem Zweifel. Der Zustand der Schächte und der Geräte bewies das handgreiflich und überdies bezeichnete auch kein numerierter Pfahl die Grenze. Immerhin konnte es, da hier die gröbste Arbeit schon geleistet war, interessant sein, eine Wiederausbeutung aufzunehmen, und Jane beschloß deshalb, hier ihren ersten Versuch zu wagen.

Als am nächsten Tage die notwendigsten Geräte (Eimer, Schüsseln, Schöpfnäpfe u. a.) in der Nachbarschaft, und zwar zu recht hohem Preise, eingekauft waren, ging Patrick unter ihrer Leitung daran, einen der Schächte auszuräumen, und noch keine vierundzwanzig Stunden später begann er daraus hervorgeholten Sand auszuwaschen, während Jane die geeigneten Schritte tat, die Grenzpfähle aufstellen zu lassen und sich das Eigentum an dem Claim zu sichern.

Diese Formalitäten waren in weniger als drei Tagen erledigt, doch schon als man die Grenzen ihres Claims festlegte, der die Nummer 127b erhielt, mußte sie sich sagen, daß dieser Claim, wenn er überhaupt erzhaltig war, doch nur eine verschwindend kleine Menge Gold enthielte und daß sie kaum Aussicht hätte, hier eine Ernte von Pepiten zu machen. Trotz eifriger Arbeit Patricks konnten beide, jedenfalls infolge ihrer Unerfahrenheit, in vierundzwanzig Stunden höchstens hundert Schüsseln auswaschen, deren Ausbeute dann von jeder nur wenig über den Wert eines Zehnteldollars betrug. Das reichte gerade hin, den angenommenen Helfer zu entlohnen und ihren persönlichen Unterhalt zu bestreiten. Wenn sich die Verhältnisse nicht besserten, mußte sie zu Ende des Sommers noch ebenso arm sein wie bei dessen Anfang.

Hatte sie nun unrecht daran getan, sich an dieser Stelle festzusetzen? Hätte sie nicht weiter hinausziehen und die Grenze überschreiten sollen, von der sie,[191] nach den bei ihrem Konzessionsgesuche erhaltenen Mitteilungen, höchstens fünf- bis sechshundert Meter trennten?

Jane hatte aber auch noch etwas andres erfahren. Sie kannte jetzt den Namen des Wasserlaufs, der an einer Seite ihren Claim begrenzte, wo sie sich in dem rauhen Gewerbe der Prospektorin versuchte, den Namen Forty Miles, das heißt desselben Creeks, an dem auch, dem ihren ziemlich nahe, der Claim 129 lag, der jedenfalls hinter dem die Schlucht im Südwesten abschließenden Hügel zu suchen war.

Ob sie nun eine unbestimmte Hoffnung leitete oder nur die einfache Hartnäckigkeit, das einmal begonnene Vorhaben auch durchzuführen, jedenfalls wollte Jane sich nicht für besiegt bekennen, ehe sie bis zum äußersten gekämpft hätte, und mehr als je strengte sie sich an, so viel wie möglich von den Schüsseln auszuwaschen, die ihr doch nur einen so dürftigen Ertrag lieferten.

Eines Nachmittags – es war am 11. Juni – war sie ebenso wie Patrick mit der gewohnten Arbeit so eifrig beschäftigt, daß sie die übrige Welt völlig vergaß, als sie urplötzlich von einer ihr bekannten Stimme angerufen wurde.

»Ist's mir erlaubt, mein Fräulein, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen?

– O... Herr Skim! rief sie, errötend vor angenehmer Überraschung, die sie gar nicht zu verbergen suchte.

– Ja, er selbst, sagte Summy, indem er warm die ihm dargebotene Hand drückte.

– Ich... ich befinde mich vortrefflich, Herr Skim, fuhr Jane fort.

– Und wie steht es mit Ihrem Claim, wertes Fräulein, denn wie ich sehe, haben Sie sich einen solchen erworben.

– Ja, da muß ich Ihnen gestehen, Herr Skim, daß ich von dem gar nicht entzückt bin, gab Jane ganz wohlgemut zu; der liefert mir auf jede Schüssel nur zehn bis zwölf Cents... kaum genug, meine Unkosten zu decken.

– Das ist freilich traurig genug, sagte Summy, den ein solches Unglück übrigens gar nicht tiefer zu berühren schien. Was haben Sie denn nun beschlossen?

– Ja, eigentlich noch gar nichts Bestimmtes, erklärte Jane, vielleicht weiterzugehen, jedenfalls diesen schlechten Claim aufzugeben, der mir mehr gekostet hat, als er wert ist, und zu dem mich nur ein unglücklicher Zufall hingeführt hat.

– Ein Zufall? wiederholte Summy verwundert. Sie wissen also nicht, daß unser Claim dicht neben dem Ihrigen liegt?

[192] – O doch, freilich erst seit wenigen Tagen. Als ich aber zuerst hier Halt machte, hatte ich keine Ahnung davon, daß das hier der Forty Miles Creek wäre und daß Ihr Besitztum an der andern Seite des Hügels dort läge.

– Nein doch! stieß Summy etwas enttäuscht hervor.

– Warum aber sollten Sie, mein Fräulein, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort, aus diesem Zufall – da es doch nun reiner Zufall ist – keinen Nutzen zu ziehen suchen? Mir scheint es, ehe Sie sich tiefer in die Einöde Alaskas hineinwagen, doch angezeigt, zunächst die Stelle, die Sie zuerst gewählt haben, gründlichst zu untersuchen. Meine Unterstützung biete ich Ihnen dazu nicht an, denn ich bin in solchen Dingen zu unerfahren; etwa fünfhundert Meter von hier weilt aber mein Vetter Ben Raddle, wie Sie wissen, ein Ingenieur, und einer, wie man ihm nicht alle Tage begegnet. Wenn es Ihnen also paßte...

– Ein guter Rat ist allemal willkommen und ich werde den des Herrn Ben Raddle mit Vergnügen annehmen. Wenn er meinen Claim untersucht hat, wird er ja selbst beurteilen können, was von demselben zu erhoffen ist.

– Das ist also abgemacht. Doch nun, mein Fräulein, erlauben Sie mir noch eine Frage, wenn sie Ihnen nicht zu indiskret erscheint.

– Das wird sie jedenfalls nicht sein, versicherte Jane im voraus.

– Nun, ich sehe hier keine Spur von einem Unterkunftshäuschen. Wo schlafen Sie denn in der Nacht?

– Ach... höchst einfach: unter Gottes freiem Himmel, antwortete Jane lachend. Ein Lager von dürrem Laube, ein Kopfkissen von Sand... da schlummert sich's prächtig!«

Summy Skim sah sie mit großen Augen an.

»Unter freiem Himmel! rief er. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, bestes Fräulein, es ist ja eine Unklugheit sondergleichen!

– Warum nicht gar! erwiderte Jane. Ich habe ja zwei Leibwächter, Herr Skim.

– Zwei Leibwächter?

– Hier ist der eine, erklarte Jane, während sie auf den in ihrem Gürtel steckenden Revolver hinwies, und dort der andre,« setzte sie hinzu, auf Patrick Richardson zeigend. der aus einiger Entfernung den Ankömmling voller Erstaunen betrachtete.

Summy schien davon nur halb befriedigt zu sein.

[193] »Der Wilde dort? entgegnete er. Groß genug ist er zwar, Sie beschirmen zu können, doch das ist nicht die Hauptsache. Sie würden weit besser tun, nach beendigtem Tagewerke den Hügel da zu übersteigen und die Gastfreundschaft anzunehmen, die wir, mein Vetter und ich, uns glücklich fühlen würden, Ihnen anzubieten.«

Jane schüttelte ablehnend den Kopf.

»Sie tun unrecht. mein Fräulein, redete Summy ihr zu, Sie tun wirklich unrecht. Glauben Sie mir, es wäre bei uns sichrer, und wenn wirklich nicht wesentlich sichrer, so doch wenigstens...

– Nun, doch wenigstens passender,« stieß Summy Skim, auf die Gefahr hin, das junge Mädchen zu verletzen, hervor.

Jane Edgerton runzelte die Augenbrauen. Welches Recht hatte Summy Skim zu solcher Rede? Sie wollte schon eine spitze Antwort geben und den ungebetenen Berater mit einem ihrer Schlagworte über die Gleichberechtigung der Geschlechter in seine Schranken zurückweisen... und doch wagte sie es augenblicklich nicht. Summy, der es vermied, ihr gerade ins Gesicht zu sehen, hatte einen merkwürdigen, halb verlegnen, halb ärgerlichen Ausdruck im Gesicht, der ihr zu denken gab. Um ihre Lippen spielte noch ein spöttisches Lächeln, das sie aber schnell unterdrückte, während sie ihm die Hand entgegenstreckte.

»Ja, Sie haben recht, Herr Skim, sagte sie ernst. Ich nehme die Gastfreundschaft an, die Sie so gütig sind, mir gewähren zu wollen.

– Bravo, rief Summy erfreut. In diesem Falle, beweisen Sie, bitte, Ihre Güte auch noch weiter: Beschließen Sie Ihre Arbeit heute etwas früher und ma chen von unsrer Gastfreundschaft unverzüglich Gebrauch. Ihre bisherigen Erlebnisse erzählen Sie mir unterwegs und morgen kommt Ben, Ihren Claim zu untersuchen.

– Wie Sie wollen, gab Jane ohne Widerstreben zu und rief nur noch nach Patrick.

– Herr Jean? antwortete der Irländer.

– Hören Sie mit der Arbeit für heute auf. Wir gehen nach dem Claim 129.

– Schön, Herr Jean.

– Nehmen Sie die Werkzeuge zusammen und gehen voraus.

– Jawohl, Herr Jean,« antwortete der folgsame Patrick, der, mit Eimern, Schüsseln, Spitzhauen und Schaufeln beladen, nach dem Hügel voranschritt.

[194] Jane und Summy folgten zwanzig Schritt hinter ihm.

»Herr Jean? fragte da Summy. Der hält Sie also für einen Mann?

– Wie Sie sehen, Herr Skim, infolge meiner Goldgräbertracht.«

Summy betrachtete den breiten Rücken des vor ihm gehenden Riesen.

»Das ist ja ein reines Tier!« erklärte er mit sichtbarer Überzeugung, ohne recht zu wissen, woher ihm diese kam. Jane aber schlug dabei ein helles Gelächter auf.

13. Kapitel
Dreizehntes Kapitel.
Der Claim Nummer 129.

Am rechten Ufer des Forty Miles Creek gelegen, war der Claim Nummer 129, wie früher erwähnt, der letzte in Klondike und die Pfähle, die seine Westgrenze bezeichneten, dienten gleichzeitig als Zeichen der alasko-kanadischen Grenze.

Südwärts neben dem Claim 129 dehnte sich zwischen zwei niedrigen Hügeln eine grüne Wiesenfläche aus, die von Weiden- und Espengruppen eingerahmt war.

Nördlich vom Claim rauschte, jetzt bei mäßig hohem Wasserstande, der Fluß ziemlich schnell zwischen Uferwänden hin, die stromaufwärts sanft abfielen. Am linken Ufer dagegen stiegen diese als Ausläufer eines von Norden kommenden und hier stromabwärts abweichenden Höhenzuges schroff, fast gerade gegenüber dem Grate niedriger Hügel in die Höhe, die am rechten Ufer die Ostseite des Besitztums Josias Lacostes abschlossen. Hinter diesen Hügeln, am Fuße ihres jenseitigen Abhangs war es, wo sich Jane Edgerton nun schon seit einer Woche mit ihrer unsichern und bisher fast ertraglosen Arbeit abmühte, als die beiden Vettern am 10. Juni endlich am letzten Ziele ihrer Reise eintrafen.

An vielen Stellen sah man hier die Häuschen, Baracken und Hütten der Claimbesitzer und auf einer Fläche von zwei bis drei Quadratkilometern konnte man wohl mehrere hundert Arbeiter zählen.

[195] Auf der andern Seite der Grenze, auf dem amerikanischen Gebiete, bestanden ähnliche Anlagen und in erster Linie, als nächster Nachbar, der Claim Nummer 131, das Besitztum des Texaners Hunter, der diesen schon ein Jahr vorher ausgebeutet hatte und ihn jetzt zum zweiten Male zu bearbeiten anfing.

Summy Skim und Ben Raddle, die diesen Burschen ja schon kannten, waren sehr geneigt, zu glauben, daß er schon früher mit Josias Lacoste, seinem Nachbar, wohl manchen Streit vom Zaun gebrochen haben werde. Das lag einmal in Hunters gemeinem Charakter. Nach den allgemein gültigen Regeln war das Besitzrecht am Claim 129 unantastbar festgestellt. Die Anmeldung seiner Entdeckung war vorschriftsmäßig erfolgt, vom Staate angenommen und mit der Belastung eines Jahrespachtes von fünfunddreißig Dollars im Bureau der Minen der Dominion eingetragen worden. Außerdem war als Regalienrecht noch der Betrag von zehn Prozent des daraus gewonnenen Goldes vorgemerkt und die Expropriation angedroht, wenn dieser Zehent nicht auf Heller und Pfennig genau abgeführt würde. Josias Lacoste hatte sich dessen niemals schuldig gemacht, war auch niemals der gesetzlichen Vorschrift verfallen, wonach jeder in der guten Jahreszeit vierzehn Tage lang nicht betriebene Claim wieder in Staatsbesitz überging. Nur seit seinem Ableben war, in Erwartung des Antritts seiner Hinterlassenschaft durch seine Erben, eine Unterbrechung der Bearbeitung eingetreten.

Die von Josias Lacoste unternommene Ausbeutung hatte achtzehn Monate gedauert und im großen und ganzen kaum noch einen Nutzen abgeworfen, da die Unkosten für die erste Einrichtung, für das Personal, den Transport usw. recht erheblich gewesen waren. Überdies hatte eine plötzliche Hochflut des Forty Miles die begonnenen Arbeiten zerstört und großen Schaden angerichtet. Kurz, der Inhaber des Claims Nummer 129 hatte kaum seine Kosten gedeckt, als ihn der Tod überraschte.

Doch wo gäbe es einen Prospektor, der je alle Hoffnung verlöre, der nicht jeden Tag glaubte, vor der Aufdeckung einer reichen Ader zu stehen, einen besonders wertvollen Goldklumpen zu finden oder aus einer Schüssel ein-, zwei-, wenn nicht gar viertausend Francs herauszuwaschen? Und auch Josias Lacoste würde schließlich vielleicht noch Erfolge erreicht haben, obgleich er nur über etwas unzulängliche Arbeitsgeräte verfügt hatte.

Alle die Ausbeutung betreffenden Mitteilungen erhielten die beiden Vettern von dem frühern Werkmeister Josias Lacostes. Nach der Rücksendung der [196] Arbeiter war er allein als Wächter über den Claim in Erwartung der Wiederaufnahme der Arbeit für Rechnung der Erben oder für einen Käufer der Fundstätte zurückgeblieben.

Der Werkmeister hieß Lorique. Ein Kanadier von französischer Abstammung, einige vierzig Jahre alt und reich erfahren in dem Gewerbe eines Prospektors, hatte er schon mehrere Jahre in den Goldlagerstätten Kaliforniens und Britisch-Kolumbiens gearbeitet, ehe er nach dem Gebiete des Yukon kam. Niemand hätte Ben Raddle zuverlässiger über den gegenwärtigen Zustand von Nummer 129, über die erlangte und etwa noch zu erwartende Ausbeute und also über den wirklichen Wert des Claims unterrichten können.

Zunächst bemühte sich Lorique um die bequeme Unterbringung Ben Raddles und Summy Skims, die sich ja voraussichtlich mehrere Tage am Forty Miles Creek aufhalten würden. Dem Wohnen unter einem Zelte zogen sie gewiß das in einem bescheidenen – wenn nur reinlichen – Zimmer des Häuschens vor, das Josias Lacoste für sich und seinen Werkmeister hatte errichten lassen. Am Fuße der südlichen Hügel und inmitten eines Gehölzes von Weiden und Espen erbaut, bot es ein genügendes Unterkommen, wenigstens zu der Zeit des Jahres, wo dauerndes schlechtes Wetter nicht zu befürchten war.

Was die nötigen Lebensmittel anging, konnte der Werkmeister nicht in Verlegenheit kommen, sie für seine neuen Herren zu beschaffen. In der Umgegend gab es, übrigens wie in ganz Klondike, eine Anzahl Verproviantierungsgesellschaften. In Dawson City, wo sie von den Schiffern auf dem Yukon ihren Bedarf beziehen, organisiert, unterhalten sie Verbindungen mit den Placers, an denen sie reichlichen Verdienst finden, und zwar ebenso auf Grund der Preise, die die verschiedenen Konsumartikel hier einmal haben, wie infolge der großen Zahl der in dem Bezirke beschäftigten Arbeiter.

Am Morgen nach ihrem Eintreffen am Forty Miles Creek besichtigten Ben Raddle und Summy Skim den Claim unter der Führung Loriques, der ihnen von dem Anfange der Ausbeutung erzählte.

»Herr Lacoste, sagte der Werkmeister, beschäftigte sein aus fünfzig Köpfen bestehendes Personal anfänglich nicht mit dem Ausheben von Brunnenschächten am Ufer des Creek; er beschränkte sich vielmehr auf die Durchsuchung der oberflächlichen Bodenschichten und erst gegen Ende der ersten Kampagne wurden Schöpfbrunnen zur goldführenden Schicht angelegt.

– Wie viele solcher sind damals abgeteuft worden? fragte Ben Raddle.

[197] – Vierzehn, erklärte der Werkmeister, jeder, wie Sie sich überzeugen können, mit einer Mündung von neun Fuß im Quadrat. Diese sind in dem damaligen Zustande geblieben und es braucht nur daraus geschöpft zu werden, um die Ausbeutung wieder aufzunehmen.

– Doch bevor diese Brunnen angelegt wurden, erkundigte sich jetzt Summy Skim, welchen Nutzen warfen da die obern Bodenschichten ab? Deckte deren Ausbeute wenigstens die Kosten?

– Das sicherlich nicht, Herr Skim, gestand Lorique. Das trifft übrigens für alle Lagerstätten zu, wo man sich darauf beschränkt, den Ufersand und das goldhaltige Geröll auszuwaschen.

– Sie haben also ausschließlich mit Schüssel und Schöpflöffel gearbeitet? fragte Ben Raddle.

– Allein damit, meine Herren, und es war selten, daß wir aus einer Schüssel mehr als drei Dollars an Wert gewannen.

– Während man, rief Summy Skim fast entrüstet, an der Bonanza angeblich fünf- bis sechshundert daraus auswäscht.

– Glauben Sie ja, daß das nur Ausnahmen sind, versicherte der Werkmeister, und wenn der Ertrag durchschnittlich zwanzig Dollars erreicht, so ist man auch dort völlig zufrieden. Was unsre hundertneunundzwanzig betrifft, hat sie im Mittel nicht mehr als einen Dollar geliefert.

– Das ist ja kläglich, ist ja erbärmlich wenig!« knurrte Summy Skim für sich hin.

Ben Raddle beeilte sich, das verdrießliche Gespräch abzubrechen.

»Wie tief sind Ihre Brunnen? nahm er wieder das Wort.

– Von zehn bis fünfzehn Fuß. Das genügt, die Schicht zu erreichen, die gewöhnlich das Goldpulver enthält.

– Und wie dick ist diese Schicht im allgemeinen?

– Ungefähr sechs Fuß.

– Und wie viel Schüsseln oder Waschtröge füllt ein Kubikmeter daraus ausgeschöpftes Material?

– Kaum zehn, und ein guter Arbeiter ist imstande, deren täglich hundert zu waschen.

– Ihre Brunnen haben Sie also noch gar nicht ausgenützt?

– Alles war dazu vorbereitet, als Herr Josias Lacoste unerwartet starb. Da mußte die weitre Arbeit aufgegeben werden.«

[198] Während diese Aufschlüsse Ben Raddle fast leidenschaftlich erregten, war es unverkennbar, daß sie auch bei seinem Vetter wenigstens einiges Interesse erweckten. Sie belehrten ihn ja, soweit das möglich war, genau über den innern Wert des Claims Nummer 129, er stellte jedoch eben darüber noch eine bestimmte Frage an den Werkmeister.

»Wir haben etwa für einige dreißigtausend Francs Gold aus ihm gewonnen, antwortete dieser, die Ausgaben haben diesen Betrag aber nahezu wieder aufgezehrt. Ich hege jedoch nicht den geringsten Zweifel, daß die Ader am Forty Miles durchweg eine reiche ist. Auf den Claims in der Nachbarschaft, wo man schon mit dem Schachtbetrieb begonnen hatte, wurde überall weit mehr Gold gefunden.

– Es ist Ihnen jedenfalls bekannt, Lorique, ließ sich Ben Raddle jetzt vernehmen, daß uns ein Chicagoer Syndikat schon ein Kaufsangebot gemacht hat?...

– Ja, das weiß ich, Herr Raddle. Vor einiger Zeit haben Vertreter des Syndikates den Placer besucht.

– Man hat uns für das Besitzrecht fünftausend Dollars geboten. Ist das Ihrer Ansicht nach genug?

– Nein, lächerlich wenig! versicherte Lorique mit Bestimmtheit. Unter Veranschlagung des Durchschnittsertrags der andern Claims am Forty Miles Creek ist der Ihrige mindestens vierzigtausend Dollars wert.

– Das wäre ja eine hübsche Summe, sagte Summy Skim, und wir hätten unsre Reise meiner Treu nicht zu bereuen, wenn wir diesen Preis erlangten. Leider wird es mit dem Verkaufe seine Schwierigkeiten haben, so lange die leidige Grenzfrage noch nicht geregelt ist.

– O, was tut das? entgegnete der Werkmeister. Ob Nummer 129 kanadisch oder alaskisch ist, der Wert des Claims bleibt doch derselbe.

– Ganz richtig, bestätigte Ben Raddle. Nichtsdestoweniger hat das Syndikat sich trotz des gebotenen niedrigen Preises doch veranlaßt gesehen, sein Gebot zurückzuziehen.

– Sagen Sie mir, Lorique, begann Summy Skim wieder, ist es wohl zu erwarten, daß diese Grenzregulierung binnen kurzer Zeit beendigt ist?

– Darauf, meine Herren, erklärte Lorique, kann ich nur die eine Antwort geben, daß die betreffende Kommission ihre Arbeiten begonnen hat. Wann diese abgeschlossen sein werden?... Ja, ich meine, das vermöchte auch keiner [199] der Kommissare zu sagen. Sie werden übrigens von einem der hervorragendsten Geometer Klondikes, einem sehr erfahrnen Manne, Herrn Ogilvie, unterstützt, der die Katastrierung des Bezirks mit großer Gewissenhaftigkeit durchgeführt hat.

– Und wie glaubt er, daß die Neuvermessung ausfallen werde?

– Wahrscheinlich gegen die mutmaßliche Voraussetzung der Amerikaner, so daß also die Grenzlinie, wenn sie jetzt nicht ganz richtig ist, weiter nach Westen verlegt werden müßte.

– Dann bliebe der Claim Nummer 129 also nach wie vor kanadisch,« sagte daraufhin Summy Skim.

Ben Raddle richtete nun an den Werkmeister noch einige Fragen über die Beziehungen Josias Lacostes zu dem Besitzer des Claims Nummer 131.

»Zu dem Texaner und dessen Gefährten? sagte Lorique. Zu Hunter und Malone?

– Ja, wie haben sich die Verhältnisse diesen gegenüber gestaltet?

– Nun wahrhaftig, meine Herren, gerade unangenehm genug, das kann ich Ihnen nicht verhehlen. Ein Paar Schnapphähne sind sie, die beiden Amerikaner. Bei jeder Gelegenheit haben sie Streit und Zank gesucht und in der letzten Zeit haben wir nur noch mit dem Revolver im Gürtel arbeiten können. Mehr als einmal hat die Polizei eingreifen müssen, die frechen Burschen zur Vernunft zu bringen.

– Das hat uns auch der Polizeichef gesagt, den wir in Fort Cudahy trafen, erklärte Ben Raddle.

– Und ich fürchte, setzte Lorique hinzu, daß er auch noch wiederholt Veranlassung haben wird, gegen sie einzuschreiten. Vor den beiden Schurken wird man nicht eher Ruhe haben, als bis sie vertrieben sind.

– Wie wäre das aber möglich?

– O, sehr einfach dadurch, daß die Grenze weiter nach Westen verlegt würde. Dann wäre der Claim 131 kanadisches Gebiet und Hunter müßte sich den strengern Anforderungen der Bezirksregierung fügen.

– Natürlich, bemerkte Summy Skim hierzu, gehört er zu denen, die da glauben, der hunderteinundvierzigste Längengrad verlaufe weiter im Osten.


Summy schien ihn durch Zeichen heranzurufen. (S. 206.)

– Natürlich, bestätigte der Werkmeister. Er ist es ja, der alle Amerikaner an der Grenze, sowohl am Forty Miles als auch am Sixty Miles Creek, erst aufgehetzt hat. Schon öfters haben sie gedroht, unser Gebiet zu besetzen und sich unsrer Claims zu bemächtigen. Nur Hunter und Malone waren es, die sie zu[200] [203] einer solchen Gewalttat anreizten. Die Behörden von Ottawa haben sich mit ihren Klagen zwar nach Washington gewendet, dort scheint man aber mit der Prüfung keine besondre Eile zu haben.

– Ohne Zweifel wartet man, meinte Ben Raddle, auf die Erledigung der schwebenden Grenzfrage.

– Wohl möglich, Herr Raddle. Bis dahin müssen wir aber auf der Hut sein. Wenn Hunter erfährt, daß die neuen Besitzer am Forty Miles Creek eingetroffen sind, ist er imstande, einen Handstreich zu unternehmen.

– Er weiß jedoch, mit wem er es da zu tun bekommt, erklärte Summy Skim, denn wir hatten schon die zweifelhafte Ehre, ihm vorgestellt zu werden.«

Als sie aber den ganzen Claim begangen hatten, waren die beiden Vettern und der Werkmeister nahe bei dem Pfahle stehen geblieben, der die Nummer 129 von der 131 trennte. Stand 129 still und leer, so herrschte dagegen auf 131 eine lebhafte Tätigkeit. Die Leute Hunters arbeiteten bei den mehr stromaufwärts gelegenen Brunnenschächten Nach der Auswaschung des Sandschlammes ließen sie diesen durch Abzugsrinnen in das Bett des Forty Miles Creek abfließen.

Ben Raddle und Summy Skim suchten unter der auf Nummer 131 beschäftigten Menge vergeblich Hunter und Malone herauszufinden. Diese waren nirgends zu erblicken. Lorique meinte übrigens, sie würden sich nach mehrtägigem Aufenthalt auf ihrem Claim weiter nach Westen in den Teil Alaskas begeben haben, wo man neuerdings abbauwürdige Goldlager entdeckt haben sollte.

Nach Schluß der Besichtigung des Claims kehrten die beiden Vettern und der Werkmeister nach dem Häuschen zurück, wo sie ein von Neluto bereitetes Frühstück erwartete.

»Na, Lotse, fragte Ben Raddle lustig, wird denn das Frühstück auch gut sein?

– O, köstlich, Herr Raddle, wenn... nun ja... wenn es nicht mißglückt ist,« anwortete der Indianer, der sich bei seiner stolzen Versicherung wie gewöhnlich ein bescheidenes Hintertürchen offen ließ.

Als das Frühstück beendet war, erkundigte sich Summy Skim über die nächsten Absichten seines Vetters.

»Du kennst nun den Claim Nummer 129, begann er, und hast auch ein Urteil über seinen Wert. Wenn wir noch länger hier bleiben, wirst du meiner Ansicht nach auch nicht mehr darüber erfahren.

[203] – Das glaube ich denn doch nicht, entgegnete Ben Raddle. Ich habe mit dem Werkmeister noch vielerlei zu besprechen und muß vor allem auch die Rechnungen des Onkels Josias prüfen. Achtundvierzig Stunden werden dafür nicht zu viel sein.

– Na gut, achtundvierzig Stunden mögen hingehen, wenn's mir inzwischen nur vergönnt ist, in der Umgebung die Jagd auszuüben.

– Geh auf die Jagd, lieber Freund, jage, so viel du willst. Das wird dir für die Tage, die wir uns hier gedulden müssen, eine angenehme Zerstreuung bieten.

– Oho, bemerkte Summy Skim lächelnd, nun sind aus den achtundvierzig Stunden schon mehrere Tage geworden.

– Gewiß, sagte Ben Raddle. Ich muß doch erst beobachtet haben, wie die Leute hier arbeiten, wie sie den Sand in den Schüsseln auswaschen.

– O weh, rief Summy Skim, die »mehreren Tage« scheinen sich nun gar schon zu einigen Wochen zu verwandeln. Achtung, Ben, Achtung! Wir sind doch keine Prospektoren, vergiß nur das nicht.

– Nein, da hast du wohl recht, Summy; da wir jedoch unsern Claim nicht nach Belieben schnell verkaufen können, sehe ich nicht ein, warum Lorique, in Erwartung, daß die Kommission die Grenzberichtigung beendet haben werde... nun ja, daß Lorique da nicht anfangen lassen sollte, hier wieder zu arbeiten...

– Dann, unterbrach ihn Summy, dann wären wir also verurteilt, hier Wurzel zu schlagen, bis der verwünschte Meridian an der richtigen Stelle festgenagelt ist.

– Hier ist's doch ebensogut wie anderswo. Wohin sollten wir denn gehen, Summy?

– Nun... zum Beispiel nach Dawson City.

– Wären wir da vielleicht besser aufgehoben?«

Summy Skim gab keine Antwort mehr. Er fühlte, wie der Unmut in ihm aufquoll, so ergriff er denn sein Gewehr, rief Neluto herbei und beide verließen das kleine Haus und wanderten die Schlucht nach Süden hinauf.

Summy Skim hatte wahrlich Grund genug, ärgerlich zu werden. Ben Raddle war tatsächlich entschlossen, die Ausbeutung des ihnen zugefallenen Placers in die Hand zu nehmen. Wenn ein unvorhergesehener Umstand ihn zur mehrwöchentlichen Verlängerung seines Aufenthalts am Forty Miles Creek nötigte, wie hätte er da der Versuchung widerstehen können, die schon vorhandnen [204] Brunnenschächte auszunützen, um sich wenigstens über ihre Ergiebigkeit zu unterrichten, zu erfahren, ob der Onkel Josias wirklich alles getan hätte, gute Ergebnisse zu erzielen? Sollte sich dieser nicht vielmehr begnügt haben, die alten Methoden anzuwenden, das so unvollkommene Verfahren der Goldsandwäscher, während ein Ingenieur voraussichtlich ein schnelleres und einträglicheres Verfahren fand? Und wenn endlich aus dem ihm gehörigen Erdboden Hunderttausende, vielleicht Millionen Francs zu gewinnen waren, erschien es dann vernünftig, darauf für einen lächerlich niedrigen Preis zu verzichten?

Das war etwa der Gedankengang Ben Raddles. Die streitige Grenzfrage kam ihm deshalb eigentlich ganz gelegen, lieferte sie ihm doch einen Vorwand dem sich Summy Skim wohl oder übel beugen mußte, und – ein Optimist, wie er's nun einmal war – sagte er sich sogar, daß sein Vetter an dem, wofür er sich im voraus begeisterte, schließlich selbst Geschmack finden werde.

Als er dann die Rechnungsführung des Onkels Josias geprüft und ihm der Werkmeister alle zu einer Übersicht der Sachlage nötigen Unterlagen ausgehändigt hatte, fragte er diesen ohne alle Vorrede:

»Wenn Sie nun jetzt eine Arbeitsmannschaft besorgen sollten, Lorique, würden Sie das können?

– Daran zweifle ich nicht, Herr Raddle, antwortete der Werkmeister. Noch suchen tausende von Einwandrern im hiesigen Bezirke lohnende Arbeit, ohne eine solche zu finden. Täglich strömen noch weitre den Lagerstätten am Forty Miles Creek zu. Bei dem großen Angebot glaube ich sogar, daß die Leute keine besonders hohen Lohnansprüche machen können.

– Wir würden ja wohl gegen fünfzig Mann brauchen?

– Höchstens so viele. Herr Josias Lacoste hat niemals mehr beschäftigt.

– Binnen welcher Zeit könnten Sie ein solches Personal angeworben haben? fragte Ben Raddle.

– O... schon in vierundzwanzig Stunden.«

Nach kurzem Nachsinnen setzte der Werkführer hinzu:

»Hätten Sie, Herr Raddle, die Absicht, die Arbeit für eigne Rechnung betreiben zu lassen?

– Ja... vielleicht, wenigstens solange wir unsern Claim nicht zu einem seinem Werte entsprechenden Preise verkauft haben.

– Ja freilich, über diesen Wert würden Sie sich dann ein zuverlässigeres Urteil bilden können.

[205] – Was sollte man übrigens, bemerkte Ben Raddle, hier bis zu dem Tage beginnen, wo die Frage wegen der Grenzlinien in der einen oder andern Weise entschieden sein wird?

– Das ist richtig, stimmte ihm der Werkmeister zu, Nummer 129 wird aber, ob die Stelle amerikanisch oder kanadisch ist, doch darum nicht weniger wert sein. Mich verläßt niemals der Gedanke, daß die Claims an den linken Zuflüssen des Yukon nicht minderwertiger sind als die des rechten Ufers. Glauben Sie mir, Herr Raddle, man wird am Sixty wie am Forty Miles Creek noch ebenso schnell große Vermögen gewinnen wie jetzt an der Bonanza und am Eldorado.

– Ich hoffe, Ihre Prophezeiung werde sich erfüllen,« schloß Ben Raddle, sehr befriedigt von diesen Antworten, die ja seinen Wünschen entsprachen.

Nun war noch Summy Skim übrig. Vielleicht erschien diesem die Pille trotz alledem noch zu bitter. Ben Raddle beunruhigte sich darüber tatsächlich mehr, als er zugestehen wollte.

Da kam ihm aber ein glücklicher Zufall zuhilfe. Die gefürchtete Auseinandersetzung mit dem Vetter fand nicht statt. Als Summy nachmittags gegen fünf Uhr zurückkehrte, war er nicht allein. Ben sah ihn auf dem Gipfel des stromabwärts liegenden Hügels auftauchen, während ein riesiger, wie ein Saumtier beladner Arbeiter diesem voranschritt und er dagegen einen sehr klein aussehenden Begleiter neben sich hatte. Schon von weitem her schien Summy ihn durch Zeichen heranzurufen.

»He, komm doch her, Ben, rief er, als er sich kaum in Hörweite befand, komm, ich muß dir doch unsre Nachbarin vorstellen.

– Fräulein Jane! rief da Ben Raddle, als er den scheinbar männlichen Begleiter seines Vetters erkannte.

– Sie selbst! rief Summy zurück. Die Besitzerin des Claims Nummer 127b.«

Es ist wohl kaum nötig, zu sagen, daß die junge Amerikanerin bei dem Ingenieur den herzlichsten Empfang fand. Dieser wurde sofort über die Erlebnisse seiner »Gesellschafterin« unterrichtet; er beglückwünschte sie auch wegen ihrer Kaltblütigkeit und bedauerte aufrichtig ihren anfänglichen Mißerfolg. Summy benützte diese Stimmung des Vetters, sein Gesuch gleich anzubringen.

»Ich habe unsrer Nachbarin versprochen, sagte er, daß du es nicht abschlagen würdest, ihr mit gutem Rate zur Hand zu gehen, und ich hoffe, daß du mich nicht Lügen strafen wirst.

– Du beliebst wohl nur zu scherzen, erwiderte Ben Raddle.

[206] – Du wirst dich also nach Fräulein Janes Claim begeben?

– Das ist selbstverständlich.

– Und ihn sorgsam untersuchen?

– Natürlich... mit größtem Vergnügen.

– Und wirst ihr auch einen sachverständigen Rat erteilen?

– Ich denke, schon morgen. Nötigenfalls nehme ich die »Lichter« (Augen) Loriques zu Hilfe, der hierin mehr Erfahrung hat als ich.

– Sehr schön, Ben; bist doch ein guter Kerl! Was Sie betrifft, mein Fräulein, so ist Ihr Glück nun so gut wie gemacht,« versicherte Summy mit Überzeugung.

Ben Raddle hielt jetzt den Augenblick für günstig, seinen Vetter von seinen Entschlüssen Mitteilung zu machen.

»Und das unsrige auch, sagte er anknüpfend an die letzten Worte Summys, ohne daß er diesen anzusehen wagte.

– Das unsrige?...

– Jawohl. Da wir nun einmal warten müssen, bis der verwünschte Meridian in die richtige Lage gerückt ist, habe ich beschlossen, hier den Betrieb selbst wieder zu eröffnen. Lorique wird die nötige Mannschaft anwerben.«

Ben Raddle erwartete als Antwort eine Explosion. Wie aus den Wolken gefallen kam er sich aber vor, als er seinen Vetter in gutmütigstem Tone sagen hörte:

»Das ist ja ein vortrefflicher Gedanke, Ben! Wahrhaftig, ein vortrefflicher Vorsatz!«

Dann verließ Summy jedoch sofort diesen Gegenstand, der für ihn jede Bedeutung verloren zu haben schien.

»Was ich sagen wollte, Ben, fuhr er fort, ich habe mir erlaubt, Fräulein Jane für die Nacht Unterkommen in unserm Hause anzubieten, da sie bisher genötigt war, unter freiem Himmel zu schlafen. Hoffentlich hast du doch nichts dagegen?

– Eine ganz überflüssige Frage! antwortete Ben. Unser Haus steht Fräulein Edgerton natürlich ganz zur Verfügung.

– So ist also alles in bester Ordnung, sagte Summy, und unter diesen Verhältnissen bin ich der Meinung...

– Daß...

– Nun, daß wir unsre liebe Nachbarin hier überall umherführen,« schloß Summy seelenvergnügt, während er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, schon [207] in Gang setzte und Jane Edgerton mit sich nahm. Ben Raddle folgte beiden, erstaunt über diese plötzliche Verwandlung seines Vetters.

Dieser aber sagte zu seiner Begleiterin mit der ernsthaftesten Miene der Welt:

»Die Placers können doch zuweilen wirklich ihr Gutes haben. Die Placers... sehen Sie, Fräulein Jane...«

Eine solche Metamorphose war gar nicht zu begreifen, und achselzuckend zündete sich Ben Raddle eine Zigarette an.

14. Kapitel
Vierzehntes Kapitel.
Ausbeutung.

Summy Skims Optimismus hielt freilich nur eine Nacht über an. Beim Erwachen am nächsten Morgen verfiel er wieder in seine gewöhnlichen Anschauungen, deren er sich unter einer unerklärlichen Beeinflussung kurze Zeit entschlagen hatte, und als er sich sagen mußte, daß alle seine Befürchtungen sich bewahrheiten würden, da wurde er so schlechter Laune, wie es sein glücklicher Charakter nur zuließ.

Bis zu dem Zeitpunkte, wo er den Claim würde verkaufen können, wollte ihn Ben Raddle also selbst in Betrieb nehmen. Wer konnte übrigens wissen, ob er sich entschließen würde, ihn überhaupt abzutreten?

»Eine verteufelte Geschichte! murrte der weise Summy für sich. Ach, Onkel Josias, wenn wir zu Minenarbeitern, zu Goldgräbern, zu Prospektoren oder wie man derlei Volk auch nennen mag, geworden sind, Leute, die ich lieber Elendsucher nennen würde, so bist du daran schuld. Einmal mit der Hand in diesem Rädergetriebe, so wird auch der ganze Körper mit hineingezerrt und jedenfalls kommt der nächste Winter heran, bevor wir wieder auf dem Wege nach Montreal sind... Ein Winter in Klondike!... Mit seiner Kälte, für die man hat so hübsche Thermometer her stellen müssen, deren Gradeinteilung vom Nullpunkt[208] an weit tiefer hinabreicht, als bei den andern darüber hinauf! Eine verlockende Aussicht!... Ach, Onkel Josias, Onkel Josias!«

So murrte Summy Skim vor sich hin. Doch ob es nun die natürliche Wirkung der Philosophie war, der hinzugeben er sich schmeichelte, oder ob hier noch eine andre Ursache ins Spiel kam, jedenfalls stand seine Überzeugung nicht so wurzelfest wie früher. War Summy Skim also vielleicht im Zuge, einer gewissen Evolution zu unterliegen, und gewann der ruhige Gutsherr von Green Valley Geschmack am Leben eines Abenteurers?

Für die Lagerstätten am Yukon hatte die Betriebszeit eben erst angefangen, waren sie doch erst seit vierzehn Tagen durch das Auftauen des Erdbodens und den Eisabtrieb von den Creeks zugänglich geworden. Wenn der von der grimmigen Kälte erhärtete Erdboden der Spitzhaue und der Hacke auch noch mehr oder weniger Widerstand bot, so konnte man doch schon ein Stück weit in ihn eindringen und auch die goldführenden Schichten erreichen ohne die Befürchtung, daß die vom Winter erhärteten Brunnenschächte etwa zusammen »brächen.

Wegen Mangels vollkommneren Arbeitsgerätes und wegen Mangels an Maschinen, die er mit großem Vorteil anzuwenden verstanden hätte, mußte sich Ben Raddle vorläufig mit dem Napf oder der Schüssel (Pfanne) – im Jargon der Goldsucher pan genannt – behelfen. Diese rudimentären Hilfsmittel genügten jedoch, den schlammigen Sand in der Nähe des Forty Miles Creek auszuwaschen.

Im ganzen handelt es sich ja hier um erzhaltige Gänge, nicht um eigentliche Stromclaims, die eine mehr industrielle Ausbeutung erfordern. Schon waren zum Zerkleinern des Quarzes in den bergigen Lagerstätten von Klondike Stampfmaschinen aufgestellt, die wie in den andern Grubendistrikten Kanadas und Englisch-Kolumbiens arbeiteten.

Ben Raddle hätte übrigens keinen bessern Vertreter als den Werkmeister Lorique finden können. Alles konnte er ihm überlassen, einem Manne von reicher Erfahrung, der mit dieser Art von Arbeiten sehr vertraut und überdies befähigt genug war, alle ihm vom Ingenieur vorgeschlagenen Verbesserungen einzuführen.

Hier sei auch erwähnt, daß eine zu lange Unterbrechung der Ausbeutung des Claims 129 Beschwerden seitens der Verwaltungsbehörde hervorgerufen hätte. Sehr begierig nach den Abgaben, die ihr vom Ertrage der Fundstätten zufallen, ist sie auffallend geneigt, in der guten Jahreszeit die unbenützten Konzessionen nach verhältnismäßig kurzer Zeit für verfallen zu erklären.

[209] Der Werkmeister fand bei der Anwerbung eines Personals mehr Schwierigkeiten, als er vorausgesetzt hatte. Die Nachrichten über neue Fundstätten in dem von den »Domes« überragten Gebiete hatten die Arbeitsuchenden dahin gezogen, weil dort auf einen hohen Lohn zu rechnen war. Zwar trafen in Dawson City Karawanen noch ohne Unterbrechung ein, da jetzt bei der wärmern Witterung die Fahrt über die Seen und den Yukon hinunter wesentlich leichter war. Nach Handarbeitern herrschte aber jenerzeit, wo die Anwendung der Maschinen noch nicht sehr verbreitet war, von allen Seiten die regste Nachfrage.

Während es sich Lorique nun angelegen sein ließ, die nötige Zahl von Arbeitern aufzutreiben, beeilte sich Ben Raddle, sein Jane Edgerton gegebenes Versprechen einzulösen, und unverzüglich überstiegen Summy Skim und er den Hügel, der ihr Besitztum von dem der jungen Nachbarin trennte.

Die merkwürdige Verteilung des Claims in zwei Höhenlagen, die obere stromauf-, die untre stromabwärts, fiel dem Ingenieur beim ersten Blick ins Auge. Nachdem er bis zum Ufer des Creek gekommen war und die Gestaltung seiner Ufer sorgfältig besichtigt hatte, faßte er sein vorläufiges Urteil in folgende Worte zusammen:

»Den tatsächlichen Wert Ihres Claims, liebes Fräulein, sagte er zu Jane Edgerton, vermöchte wohl niemand richtig abzuschätzen. Anderseits glaube ich Ihnen aber versichern zu können, daß Sie mit dem Versuche, die untre Stufe abzubauen, einen falschen Weg eingeschlagen haben.

– Warum das? fragte Jane. Mir war doch die Wahl durch die Lage der Schächte vorgeschrieben.

– Gerade das Vorhandensein dieser Schächte, entgegnete Ben Raddle, ist es, das Sie davon hätte abhalten sollen. Liegt es nicht auf der Hand, daß in einer von so vielen Goldgräbern aufgesuchten Gegend die von ihnen abgeteuften und dann aufgegebenen Schächte keinen Ertrag mehr geliefert haben werden? Warum sollten Sie erfolgreicher arbeiten, wo das den andern fehlschlug?

– Das ist freilich richtig, gestand Jane gegenüber dieser überzeugenden Darstellung.

– Es gibt auch noch ein andres Argument, fuhr Ben Raddle fort, doch um dessen Gewicht zu begreifen, müssen Sie erst eine klare Erkenntnis von der Art und Weise haben, wie die von Ihnen und von uns ausgebeutete goldführende Schicht entstanden ist. Diese Schicht ist nichts andres als eine vom Forty Miles Creek in sehr entlegner Zeit, wo er noch nicht in seine jetzigen Ufer gedrängt war, [210] zurückgelassene Ablagerung. Der weit breitere Fluß bedeckte damals, wie den hundertneunundzwanzigsten und wie die andern Claims der nächsten Umgebung, auch den Platz, worauf wir stehen, und die Schlucht, in der Sie unten Ihre Nachsuchungen begonnen haben, bildete eine Art Golf, in den der von dem Hügel abgelenkte Fluß sich mit einer gewissen Gewalt hinabstürzte. Doch wohlverstanden: das Wasser mußte vorher die obere Stufe durchströmen, weil diese stromaufwärts liegt, dann stürzte es von der Felsenbarre als Wasserfall auf den untern Absatz, um von hier aus seinen Lauf fortzusetzen. Die Felsenbarre aber bildete notwendigerweise ein Hindernis, an dem sich das Wasser in Wirbeln brach. Es ist also höchst wahrscheinlich, daß es jenseit dieses Hindernisses alle mitgerissenen schweren Körper, und vor allem die Goldklümpchen, die es etwa schwebend enthielt, verlieren mußte. Die hinter der Felsenbarre entstandene Mulde oder Vertiefung wird sich allmählich mit dem Niederschlag der schwereren Geschiebeteile angefüllt haben und dann ist ein Tag gekommen, wo das Gold endlich auf den untern Absatz hinabgeschwemmt werden konnte; es ist aber anzunehmen, daß gerade zu dieser Zeit eine Erderschütterung die Gesteinsmasse in Bewegung gesetzt hat, die jetzt die früher vorhandne Sandschicht bedeckt und verbirgt, und daß der durch diesen Felssturz nach Norden verdrängte Fluß das Uferland, wie wir es heute sehen, nicht mehr bewässern konnte.«

Summy Skim verhehlte nicht seine Bewunderung über das eben Gehörte.

»Eine einleuchtende Darstellung! rief er. Du bist ja der wahre Ausbund eines Gelehrten, Ben!

– Na na, nur gemach, antwortete Ben Raddle. Alles in allem sind das doch nur Hypothesen. Ich glaube mich jedoch nicht zu täuschen mit der Behauptung, es könne der Claim 127b Gold nur enthalten unter dem Haufen von Felsblöcken, die seine obere Hälfte bedecken.

– Das werden wir bald sehen!« sagte Jane, kurz entschlossen wie immer.

Die beiden Vettern und ihre Begleiterin gingen in der Schlucht etwa zweihundert Meter weit hinauf, betraten dann an der Stelle, wo die Felsbarre allmählich auf den Talweg austrat, den obern Absatz und kamen damit wieder an den Creek. Der Marsch über die wahllos zusammengewürfelten Blöcke war ungemein beschwerlich und sie brauchten fast eine Stunde, den Fluß zu erreichen.

Nirgends konnte Ben Raddle trotz angestrengtester Aufmerksamkeit eine Spur von Sand entdecken. Überall nur ein Chaos von Steinen und Felsblöcken, durch deren Zwischenräume man noch andre darunter eingeklemmte Felsen wahrnahm.

[211] »Es wird seine Schwierigkeiten haben, meine Theorie experimentell zu beweisen, äußerte Ben Raddle, als er an den fast senkrecht vom Fluß aufragenden Uferrand kam.

– Vielleicht weniger als du glaubst, antwortete Summy, der nur wenige Meter von ihm entfernt eine interessante Entdeckung gemacht zu haben schien. Hier... hier ist Sand, Ben.«

Ben Raddle trat auf seinen Vetter zu Eine viereckige sandige Fläche, kaum so groß wie ein Taschentuch, schimmerte wirklich zwischen zwei Felsen hervor.

»Ah, sogar ein prächtiger Sand! rief Ben, nachdem er ihn kurz besichtigt hatte. Ein wahres Wunder, daß den vor uns noch niemand gefunden hatte. Betrachte nur seine Farbe, Summy, sehen Sie sich den Sand an, Fräulein Jane! Ich wette hundert gegen eins, daß der auf jede Schüssel seine fünfzig Dollars ergibt!«

Der Ingenieur konnte seine Behauptung freilich nicht an Ort und Stelle bekräftigen. Alle füllten deshalb eiligst Taschen und Hüte mit dem kostbaren Niederschlag und begaben sich auf dem frühern Wege zurück.

Am Creek angelangt, wurde der Sand durch Auswaschen von seinem Metallgehalt getrennt und Ben Raddle konnte zu seiner Befriedigung nachweisen, daß seine bescheidene Schätzung viel zu niedrig gewesen war: der Ertrag einer Schüssel belief sich tatsächlich wenigstens auf den Wert von hundert Dollars.

»Hundert Dollars! riefen Jane und Summy freudig erstaunt.

– Und zwar mindestens, versicherte Ben Raddle mit. Überzeugung.

– Doch dann... dann ist ja mein Glück gemacht! stammelte Jane, die trotz ihrer sonst unerschütterlichen Kaltblütigkeit sich einer tiefen Erregung jetzt nicht erwehren konnte.

– Halt... halt, nicht gleich durchgehn! mahnte Ben Raddle. Ich glaube ja bestimmt, daß Ihr Claim Pepiten von sehr großem Werte enthält, doch abgesehen von der Möglichkeit, daß der reiche Schatz der gefundenen kleinen Stelle nur eine Zufälligkeit ist, dürfen Sie die ungeheuern Kosten nicht vergessen, die die Freilegung des Erdbodens erfordern wird. Da brauchen Sie Arbeiter. Hilfswerkzeuge... ja selbst Dynamit wird nicht zu entbehren sein, Sie von jenem Haufen von Felsentrümmern zu befreien.

– Wir werden gleich, noch heute ans Werk gehen, sagte Jane entschlossen. Patrick und ich werden versuchen, eine weitre kleine Stelle ohne fremde Hilfe abzuräumen. Was sich da findet, wird mir erlauben, die nötige Mannschaft anzustellen [212] und das unentbehrliche Gerät zu beschaffen, um die Arbeit nachdrücklich betreiben zu können.

– So ist's recht, stimmte ihr Ben Raddle zu, uns bleibt nun bloß noch übrig, Ihnen aufrichtig Glück zu wünschen...

– O, und Ihnen ebenso wie Herrn Summy, meinen herzlichsten Dank anzunehmen. unterbrach ihn Jane. Ohne Ihr Dazwischentreten wäre ich schon nahe daran gewesen, die Grenze zu überschreiten, um mein Heil in Alaska zu versuchen, und dann hätte doch niemand voraussagen können...

– Da ich Ihr Teilhaber bin, fiel ihr Ben Raddle etwas kühl ins Wort, lag es ja in meinem Interesse, Fräulein Edgerton, Ihnen beizustehen, die beste Lösung zu finden und nach Möglichkeit das Kapital, das Sie mir repräsentieren, vor Gefahren zu schützen.

– Ja, das ist richtig,« gab Jane sichtlich befriedigt zu.

Summy Skim unterbrach jetzt das Zwiegespräch, das ihm offenbar auf die Nerven fiel.

»Ihr seid doch eingefleischte Geschäftsleute, Ihr beide! Ja, auf Wort, ein erstaunliches Paar! Mich, der ich nicht »Associé« bin, mich hindert doch nichts, vollauf zufrieden zu sein.«

Die beiden Vettern überließen es nun Jane, ihre neue Ausbeutung zu beginnen, und begaben sich nach dem Claim 129 zurück, wo schon einige Arbeiter eingetroffen waren. Lorique hatte bis gegen Ende des Tages etwa dreißig anwerben können, freilich nur unter Zusicherung eines sehr hohen Lohnes, der meist zehn Dollars für den Tag überstieg.

Das war gegenwärtig übrigens der gewöhnliche, an der Bonanza übliche Lohnsatz. Manche Arbeiter brachten es zu einem Tagesverdienst von fünfundsiebzig bis achtzig Francs und nicht wenige davon wurden verhältnismäßig reich, da sie das Geld nicht so leicht ausgaben, wie sie es eingenommen hatten.

Über diese Steigerung des Arbeitslohnes braucht man sich übrigens nicht zu verwundern. Auf den Fundstätten des Sockum z. B. förderte ein Arbeiter öfters bis zu hundert Dollars in der Stunde, so daß er als Lohn immer nur den zehnten Teil von dem erhielt, was er an Gold ausgewaschen hatte.

Es wurde schon erwähnt, daß die Arbeitsgeräte auf Nummer 129 nur sehr unzureichende waren: Schöpfkellen und Schüsseln oder Tröge, weiter nichts. Hatte Josias Lacoste sich nun auch nicht veranlaßt gefühlt, die so primitiven Hilfsmittel zu vervollständigen, so wollte, was er unterlassen, doch sein Neffe nachholen. Mit [213] Unterstützung des Werkmeisters und unter Anlegung eines ansehnlichen Preises wurden den Geräten des Claims 129 zwei »Rockers« (Wiegen) hinzugefügt.

Ein solcher Rocker besteht einfach aus einem drei Fuß langen und zwei Fuß breiten Kasten – fast einer Art Sarg – der auf einem Schaukelgestell angebracht ist. Darin liegt ein Sack mit einem viereckigen Einsatz lose gewebten Wollenstoffes, der die Goldkörnchen zurückhält und nur den seinen Sand durchfließen läßt. Am untern Ende dieses Apparates, dem durch das Schaukelgestell regelmäßige Anstöße erteilt werden können, befindet sich eine gewisse Menge Quecksilber, das sich mit dem Golde amalgamiert, wenn dessen Körnchen so klein sind, daß sie mit der Hand nicht gut gefaßt und entfernt werden können.

Noch lieber als solche Wiegen hätte sich Ben Raddle ein »Sluice« (eine Art Schleusenvorrichtung) angeschafft und da er keine solche erhalten konnte, gedachte er, sie selbst herzustellen. Eine Sluice besteht im Grunde eigentlich nur aus einem längeren Gerinne, mit sechs Zoll voneinander verlaufenden Querfurchen am Boden. Leitet man einen Strom flüssigen Schlammes hinein, so werden die Erd- und Quarzteile daraus weggeschwemmt, während die Furchen das spezifisch weit schwerere Gold zurückhalten.

Diese beiden, recht wirksamen Verfahrensarten geben sehr gute Erträgnisse, sie bedingen aber die Anlage einer Pumpe zum Heben des Wassers nach dem obern Ende des Rockers oder der Sluice, was natürlich die Kosten des Apparates steigert. Handelt es sich um Claims in bergiger Lage, so kann man zuweilen natürliche Wasserfälle benützen, auf den im Niveau des Flusses gelegenen Claims muß man aber zu mechanischen Hilfsmitteln greifen, was eine ziemlich große Auslage dafür erfordert.

Die Ausbeutung des Claims Nummer 129 begann jetzt also unter bessern Bedingungen als früher wieder.

Summy Skim machte sich freilich seine eignen Gedanken darüber, als er bemerkte, mit welchem Eifer, ja mit welcher Leidenschaft sich Ben Raddle dieser Arbeit widmete.

»Ben ist, so sagte er sich, entschieden der hier herrschenden Seuche nicht entgangen und Gott gebe nur, daß ich nicht auch noch davon befallen werde. Ich fürchte immer, man erholt sich von ihr niemals wieder, selbst wenn man ein Vermögen zusammengescharrt hat, und es genügt dazu jedenfalls nicht, genug Gold zu besitzen. Nein, zuviel muß man davon haben und vielleicht ist auch das dann noch nicht genug!«

[214] So weit hatten es die Besitzer des 129. Claims jetzt natürlich noch lange nicht gebracht. Die Fundstätte mochte ja, wenn man dem Werkmeister glauben wollte, recht erzreich sein. Jedenfalls gab sie ihre Schätze aber nicht so leicht her. Es machte arge Schwierigkeit, die goldführende Schicht zu erreichen, die sich neben dem Forty Miles Creek tief im Boden hinzog. Ben Raddle überzeugte sich bald, daß die vorhandenen Brunnenschächte noch nicht tief genug waren und noch weiter ausgehoben werden müßten. Zu dieser Jahreszeit eine halb beschwerliche und halb gefährliche Arbeit, da die Wände durch keinen Frost mehr erstarrt wurden.

Doch war es denn klug und weise, die immerhin kostspielige Arbeit zu unternehmen, und erschien es nicht ratsamer, sie den Syndikaten oder den Privatpersonen zu überlassen, die den Claim später etwa erwarben? Hätte sich Ben Raddle nicht besser auf die Ausbeute der Schüsseln und der Wiege beschränken sollen?

Die Schüsseln lieferten allerdings nur je für einen Vierteldollar Gold. Bei dem Lohne, der dem Personal zugebilligt war, ergab sich nur ein verschwindend kleiner Nutzen und unwillkürlich drängte sich die Frage auf, ob die Anschauungen des Werkmeisters über den Reichtum des Bodens wirklich begründet wären oder nicht.

Im Laufe des Juni herrschte eine sehr schöne Witterung. Zwar kamen einige heftige Gewitter zum Ausbruch, sie gingen aber schnell vorüber. Die dadurch kurze Zeit unterbrochnen Arbeiten längs des Forty Miles Creek wurden danach sofort wieder aufgenommen.

In den ersten Tagen des Juli waren die Besitzer des Claims 129 nur imstande, eine Summe von dreitausend Dollars nach Dawson zu schicken, wo das Gold für ihre Rechnung in den Panzerschränken der Anglo-American Transportation and Trading Company deponiert wurde.

»Wenn meine Tasche nicht leer wäre, sagte Summy Skim, würde ich noch etwas zulegen, um der Gesellschaft mehr senden zu können, damit sie es bedauern lernte, sich den Claim Nummer 129 haben entgehen zu lassen. Aber dreitausend Dollars!... Die Leute lachen uns ja einfach aus!

– Geduld, Summy, nur Geduld! mahnte ihn Ben Raddle. Das wird mit der Zeit schon noch anders werden.«

Damit das »anders werde«, wie der Ingenieur sich ausdrückte, hieß es freilich, sich nun zu beeilen. Den Juli eingerechnet, dauerte die gute Jahreszeit [215] nur noch zwei Monate. Die jetzt um halb elf Uhr untergehende Sonne tauchte schon um halb zwei Uhr wieder über dem Horizont auf und auch in der dazwischenliegenden Zeit herrschte eine so helle Dämmerung, daß man die Sterne in der Umgebung des Pols kaum schimmern sah. Mit einer zweiten, die erste regelmäßig ablösenden Mannschaft hätten die Prospektoren die Arbeit ohne Unterbrechung fortsetzen können. So verfuhr man auf den jenseits der Grenze auf alaskischem Gebiete liegenden Placers, wo die Amerikaner eine unglaubliche Tätigkeit entwickelten.

Zum großen Bedauern Ben Raddles war es aber unmöglich, es ihnen nachzutun. Lorique konnte trotz aller Bemühungen nicht mehr als vierzig Leute anwerben.

Auf dem Claim 127b begegnete Jane Edgerton ähnlichen Schwierigkeiten: sie mußte sich gar nur mit zwölf Hilfskräften begnügen, da überhaupt zu keinem noch so hohen Preise mehr Leute zu bekommen waren.

Jeden Abend erhielten Ben Raddle und Summy Skim eine Mitteilung über den Erfolg ihrer Mühen. Ohne gerade den beim ersten Versuch gelieferten Ertrag zu erreichen, erwies sich der Metallgehalt des Claims doch als recht vielversprechend. Der durchschnittliche Ertrag der Schüsseln belief sich auf vier Dollars, es war aber auch nicht selten, daß er den Wert von zehn Dollars erreichte. Unter solchen Umständen hätten schon zehn Arbeiter genügt, bis zum Ende der Betriebszeit mehrere hunderttausend Francs Überschuß zu geben.

Leider waren die Arbeiter Jane Edgertons aber hauptsächlich damit beschäftigt, das Terrain freizulegen, und trotz des Eifers und der erstaunlichen Körperkraft Patricks ging das nur langsam vonstatten. Nach und nach wurde aber doch eine größere Sandfläche sichtbar, je nachdem die Felsblöcke auf den untern Absatz hinuntergestürzt worden waren, und es ließ sich voraussehen. daß der Claim Nummer 127b seiner Besitzerin schon von Mitte Juli an einen recht erklecklichen Nutzen abwerfen würde.

Für den hundertneunundzwanzigsten Claim waren die Aussichten, trotz der von Ben Raddle entwickelten rastlosen Tätigkeit, weniger verlockend.

Bei seinem Temperament konnte es nicht verwundern, daß er sich manchmal an den Arbeiten unmittelbar beteiligen wollte. Er verschmähte es nicht, sich seinen Leuten zuzugesellen und, während er diese gleichzeitig beaufsichtigte, mit der Schüssel in den Händen selbst den schlammigen Sand seines Claims auszuwaschen. Manchmal hielt er auch die Wiege in Bewegung, wobei ihm Summy [216] [219]dann und wann etwas hohnlächelnd zusah. Dieser wenigstens bewahrte seine gewohnte Ruhe, aus der ihn sein Vetter sich trotz wiederholter Anläufe vergeblich aufzurütteln bemühte.

»Na, Summy, willst du nicht auch einmal dein Glück versuchen? sagte er.

– Nein, antwortete Summy allemal auf eine solche Aufforderung, ich fühle mich dazu nicht berufen.

– O, die Sache ist ja ganz leicht: Man schüttelt eine Schüssel, spült den Sand daraus weg und auf ihrem Boden bleiben die Goldkörnchen liegen.

– Alles ganz gut und schön, Ben, die Sache gefällt mir aber einmal nicht, auch wenn man mir zwei Dollars die Stunde dafür bezahlte.

– Ich bin überzeugt, du würdest eine glückliche Hand haben!« sagte dann Ben Raddle mit einem Ausdruck des Bedauerns.


Na, Summy, willst du nicht auch einmal dein Glück versuchen? sagte er. (S. 219.)

Eines schönen Tages gab Summy Skim aber doch solchem Zureden nach. Gelehrig packte er die Schüssel, füllte sie mit ein wenig von der Erde, die aus einem der Schächte herausgebracht worden war, und nachdem er sie mit Wasser in einen Schlamm verwandelt hatte, ließ er diesen unter fortwährendem Rütteln langsam ausfließen.

Von dem Metall, das Summy Skim von jeher verwünschte, zeigte sich jedoch keine Spur.

»Schneider geworden! rief er. Nicht so viel, eine Pfeife Tabak damit zu bezahlen!«

Mit der Jagd hatte Summy dagegen mehr Glück. Obgleich ihn der Zufall beim Aufspüren des Wildes alle Tage – als hätte es so sein sollen – nach dem Claim 127b führte, wo er in der Erwartung, daß Jane ihre Arbeit unterbräche, oft viel Zeit verlor, kehrte er doch gewöhnlich mit reichgefüllter Jagdtasche zurück.

Daß der dauernde Erfolg seinem weidmännischen Geschick zuzuschreiben war, unterlag ja keinem Zweifel, doch hatte der Überfluß an Wild auf den benachbarten Ebenen und in den Bergschluchten gewiß auch reichlich teil daran. Kanadische Elen- und Renntiere tummelten sich in großer Zahl in den Wäldern, Heerschnepfen, Schnee-, Rebhühner und Wildenten belebten in Mengen die sumpfigen Wasserflächen zu beiden Seiten des Forty Miles Creek. Das tröstete Summy Skim einigermaßen über seinen Aufenthalt in Klondike, obwohl er daneben noch immer mit Bedauern an die wildreichen Fluren von Green Valley d achte.

[219] In den ersten vierzehn Tagen des Juli lieferte die Goldsandwäscherei bessre Ergebnisse. Der Werkmeister war endlich auf die richtige erzführende Schicht getroffen, die mit der Annäherung an die Grenze immer reicher wurde. Die Schüsseln und die Wiegen gaben jetzt eine recht ansehnliche Ausbeute an Pepiten. Obgleich keine solche von besonders hohem Werte gefunden wurde, wurden in diesen vierzehn Tagen doch nicht weniger als fünfunddreißigtausend Francs gewonnen. Das bestätigte also die Vorhersage Loriques, stachelte aber das ehrgeizige Verlangen Ben Raddles nur noch mehr an.

Durch Gerüchte, die sich unter den Arbeitern verbreitet hatten, wußte man auf dem hundertneunundzwanzigsten Claim auch, daß auf dem Claim 131, dem des Texaners Hunter, eine gleiche Ertragssteigerung stattgefunden hatte, je mehr sich dessen Bearbeitung der Grenze im Osten näherte. Bei der stetigen Zunahme des Metallgehaltes der goldführenden Schicht auf beiden Seiten ließ sich gar nicht bezweifeln, daß sich in der Nähe der Grenze oder gar an dieser selbst eine »Tasche«, eine Bonanza gebildet haben werde.

Von dieser Aussicht angefeuert, arbeiteten die Leute Hunters und Malones und ebenso die der beiden Kanadier einander mit erhöhtem Eifer entgegen und der Tag konnte nicht mehr fern sein, wo sie an der gegenwärtigen Linie der augenblicklich bestrittnen Grenze zwischen beiden Staaten aufeinandertreffen mußten.

Die Hilfskräfte des Texaners, einige dreißig Männer, waren von amerikanischer Herkunft. Es wäre schwierig gewesen, eine schlimmere Truppe von Abenteurern aufzutreiben. Von rohem Aussehen, mehr Halbwilde, heftig, gewalttätig und streitsüchtig, waren sie ihrer Herren würdig, die im ganzen Gebiete von Klondike in so unvorteilhaftem Rufe standen.

Es besteht übrigens im allgemeinen ein gewisser Unterschied zwischen den an den Fundstätten beschäftigten Amerikanern und den Kanadiern. Die zweiten erweisen sich gewöhnlich anstelliger, ruhiger und mehr ordnungsliebend, weshalb sie auch von den Syndikaten bevorzugt werden. Die amerikanischen Gesellschaften wählen dagegen mehr ihre Landsleute, trotz deren Gewalttätigkeit und Neigung zum Rebellieren, trotz der fast täglichen Schlägereien, der traurigen Folgen berauschender Getränke, die in den Goldländern schon so viel Unheil angerichtet haben. Selten vergeht da ein Tag, wo die Polizei nicht auf dem einen oder dem andern Claim einschreiten müßte. Da werden Dolchstöße und Revolverschüsse gewechselt und einen Menschen getötet zu haben, läßt die Raufbolde sehr gleichgültig. Die Verwundeten werden dann einfach dem Krankenhause in Dawson City [220] eingeliefert, das infolge der nicht aufhörenden Epidemien schon sowieso oft überfüllt ist.

In der dritten Juliwoche blieb die Ausbeute so ergiebig wie kurz vorher, ohne daß Ben Raddle, Lorique oder einer der Leute je einen größern Goldklumpen gefunden hätte. Jetzt überstieg der Gewinn immerhin bedeutend die Unkosten und am 20. Juli konnte für Rechnung der Herren Summy Skim und Ben Raddle in den Kassen der Anglo-American Transportation and Trading Company der Betrag von zwölftausend Dollars niedergelegt werden.

Summy Skim rieb sich schmunzelnd die Hände.

»Hei, was wird der Herr William Broll da für Augen machen!« sagte er.

Jetzt war mit Sicherheit anzunehmen, daß das Ergebnis der Betriebsperiode sich auf mehr als hunderttausend Francs belaufen würde... Grund genug, für den Claim Nummer 129 auf einem hohen Preise zu bestehen, wenn sich Käufer dafür einstellten.

Auf dem Claim 127b gestalteten sich die Dinge ebenfalls in erwünschtester Weise. Nach der Freilegung eines kleinern Teiles ihres Terrains kam auch für Jane Edgerton die Zeit größerer Erträgnisse. Schon hatte sie im Häuschen der beiden Vettern Goldpulver im Werte von dreitausend Dollars niedergelegt, das mit der nächsten Sendung nach Dawson geschickt werden sollte. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie zu Ende der Saison aus ihrem Claim einige fünfzigtausend Francs gewonnen haben und das trotz der anfänglichen Schwierigkeiten und des langsamen Fortschreitens der Aufschließung ihrer Fundstätte.

Gegen Ende Juli wagte Summy Skim einen Vorschlag, dem man eine gewisse Berechtigung nicht absprechen konnte:

»Ich sehe nicht ein, sagte er, warum wir genötigt wären, hier sitzen zu bleiben, und warum Fräulein Jane und wir unsre Claims jetzt nicht verkaufen sollten.

– Weil das, erklärte darauf Ben Raddle, vor der endgültigen Festlegung der Grenze zu angemessenem Preise nicht tunlich ist.

– Ach, erwiderte Summy, der Kuckuck hole doch diesen hunderteinundvierzigsten Meridian! Ein Verkauf kann durch Briefwechsel, durch einen Vermittler, kann in Montreal im Bureau des ehrenwerten Herrn Snubbin ebensogut abgeschlossen werden wie in Dawson City.

– Nicht unter gleichmäßig günstigen Bedingungen, widersprach ihm Ben Raddle.

[221] – Warum in aller Welt denn nicht? Sind wir, und Fräulein Jane ebenso, jetzt nicht im klaren über den Wert unsrer Claims?

– Nach einem Monat oder nach sechs Wochen wird das noch mehr der Fall sein, erklärte der Ingenieur, und dann ist keine Rede mehr von vierzigtausend Dollars, dann wird man uns für unsre Nummer 129 achtzigtausend, leicht auch hunderttausend Dollars bieten.

– Was machen wir aber mit dem vielen Gelde? rief Summy Skim.

– Wir machen davon den besten Gebrauch, verlaß dich nur darauf, versicherte Ben Raddle. Siehst du denn gar nicht, daß die Ader immer reicher wird, je mehr wir ihr nach Westen nachgehen?

– Jawohl; doch wenn das kein Ende nimmt, werden wir am hunderteinunddreißigsten Claim ankommen, wandte Summy Skim warnend dagegen ein, und wenn unsre Leute erst mit denen des vortrefflichen Hunter zusammentreffen, dann weiß ich wirklich nicht, was daraus werden soll.«

In der Tat hatte man alle Ursache, das Auflodern von Streitigkeiten zwischen den beiden Arbeitergruppen zu befürchten, die sich der gemeinschaftlichen Grenze der beiden Placers jeden Tag bedenklich näherten. Schon waren grobe Redensarten hinüber und herüber geflogen und zuweilen hörte man sogar Drohungen der schlimmsten Art. Lorique war schon in Auseinandersetzungen geraten mit dem amerikanischen Werkführer, einem dicken, brutalen Athleten, und es war zu befürchten, daß solche Wortgefechte zu Tätlichkeiten ausarten würden, wenn Hunter und Malone erst eingetroffen wären. Schon so mancher Stein war von dem einen Claim zum andern hinübergeflogen... freilich erst, nachdem man sich überzeugt hatte, daß er kein Körnchen Gold enthielt.

Unter diesen Umständen tat Lorique, unterstützt von Ben Raddle, sein Möglichstes, seine Mannschaft zurückzuhalten und zur Ruhe zu ermahnen. Der amerikanische Werkführer dagegen hetzte seine Leute ohne Unterlaß auf und ließ keine Gelegenheit vorüber, einen Streit mit Lorique vom Zaune zu brechen.

Die Ausbeute auf dem amerikanischen Gebiete war augenblicklich obendrein eine magere geworden und jetzt war der Claim 131 dem Nummer 129 entschieden nicht am Werte gleich. Es schien vielmehr, als ob die goldführende Schicht Neigung hätte, mehr nach Süden und weiter vom Forty Miles Creek abzuweichen, so daß man annehmen konnte, die »Tasche« – die Bonanza, der man nachging, werde ganz auf kanadischem Gebiete gefunden werden.

[222] Am 27. Juli waren die beiden Arbeiterkolonnen nur noch zehn Meter voneinander entfernt und es konnten kaum noch vierzehn Tage vergehen, bis sie auf der Trennungslinie zusammentrafen. Summy Skim hatte also gewiß nicht unrecht gehabt, für diesen Zeitpunkt eine unangenehme Kollision vorauszusehen.

Gerade am 27. Juli ereignete sich nun etwas, was die Lage ernstlich zu verschlimmern drohte:

Hunter und Malone waren auf dem Claim Nummer 131 eingetroffen.

15. Kapitel
Fünfzehntes Kapitel.
Die Nacht vom 5. zum 6. August.

Das Gebiet der Dominion ist nicht das einzige, wo sich Goldlagerstätten vorfinden. In der ungeheuern Ländermasse des nördlichen Amerika zwischen dem Atlantischen und dem Pacifischen Ozean gibt es noch andre und wahrscheinlich werden in kurzer Zeit auch neue Fundstätten entdeckt werden. Gegenüber diesen Länderstrecken, denen sie einen zum Ackerbau geeigneten Boden versagt hat, ist die Natur bezüglich mineralischer Schätze desto freigebiger gewesen.

Die zum Gebiete Alaskas gehörigen Placers liegen hauptsächlich auf der Innenseite des großen Bogens, den der Yukon zwischen Klondike und St. Michel beschreibt und dessen Außenseite bis zum Polarkreise hinanreicht.

Dieser Gegend ziemlich nahe liegt Circle City, ein Städtchen am linken Ufer des Yukon und dreihundertsiebzig Kilometer stromabwärts von Dawson City. Hier entspringt der Birch Creek, ein Nebenfluß der großen Wasserader, nicht weit von dem gleichnamigen, unmittelbar über dem Polarkreise aufragenden Fort, das sich am nördlichsten Punkte des Yukon erhebt.

Gegen Ende der letzten Kampagne hatte sich nun das Gerücht verbreitet, daß die Goldlager bei Circle City denen an der Bonanza mindestens gleichwertig wären. und es hätte gar nicht viel daran gefehlt, daß sich der Strom der Goldgräber dahin gewendet hätte.

[223] Auf diese Gerüchte hin hatten sich Hunter und Malone, nachdem die Ausbeutung des Claims Nummer 131 wieder in Gang gebracht war, auf einem der Dampfer eingeschifft, die den Dienst auf dem Yukon versehen, und waren bei Circle City ans Land gegangen, wo sie die vom Birch Creek bewässerte Gegend besuchten. Wahrscheinlich hatten sie schon von Anfang an nicht beabsichtigt, dort die ganze Saison zu verweilen, und so waren sie denn letzt nach ihrem Claim Nummer 131 zurückgekehrt.

Der Beweis, daß ihre Fahrt nutzlos gewesen war, lag übrigens darin, daß die beiden Texaner jetzt wieder den Forty Miles Creek aufgesucht hatten und sich hier offenbar zum Aufenthalt während der ganzen Betriebszeit einrichteten. Hätten sie an den Lagerstätten des Birch Creek eine reiche Ernte an Pepiten und Goldstaub eingeheimst, so wären sie gewiß schleunigst nach Dawson City aufgebrochen, wo die Kasinos und die Spielhäuser ihnen so verlockende Gelegenheit boten, ihren Gewinn wieder... loszuwerden.

»Na, mit dem Wiedererscheinen Hunters wird es mit der Ruhe auf den Claims an der Grenze und besonders auf denen am Forty Miles Creek bald schlecht genug bestellt sein, äußerte Lorique gegen die beiden Vettern, als er von der Rückkehr der beiden Inhaber des Claims Nummer 131 gehört hatte.

– O, wir werden auf unsrer Hut sein, versicherte Ben Raddle.

– Das ist auch sehr ratsam, meine Herren, erklärte der Werkmeister, und ich werde unsern Leuten dringend empfehlen, nach allen Seiten vorsichtig zu sein.

– Wäre es nicht der Mühe ^wert, die Polizei von der Rückkehr der beiden rohen Burschen zu unterrichten? fragte Ben Raddle.

– Sie wird davon schon wissen, antwortete Lorique. Überdies könnten wir einen Eilboten nach dem Fort Cudahy schicken, um jeden Angriff von vornherein zu verhindern.

By god! rief Summy Skim mit einer Lebhaftigkeit, die ihm sonst gar nicht eigen war, ich muß Ihnen gestehen, daß wir uns alle hier etwas hasenherzig vorkommen. Wenn es dem Burschen einfiele, wieder roh und gewalttätig aufzutreten, so wird er schon einen finden, der ihm die rechte Antwort nicht schuldig bleibt.

– Ganz recht, sagte Ben Raddle. Doch wozu sollte es dienen, Summy, sich mit dem Kerl überhaupt einzulassen?

– O, wir haben noch eine alte Rechnung auszugleichen, Ben.


Auf beiden Seiten der Grenze waren die Arbeiter zusammengeströmt... (S. 230.)

– Nun, diese Rechnung, Summy, scheint mir doch schon längst und zu deinen Gunsten geregelt zu sein, entgegnete Ben Raddle, der seinen Vetter um jeden Preis abhalten wollte, sich auf eine unangenehme Geschichte einzulassen. Daß du dich zum Verteidiger [224] einer insultierten Dame aufwarfst, das finde ich ja ganz natürlich, daß du Hunter damals in seine Schranken zurückwiesest... nun, dasselbe hätte ich wohl auch getan; wenn hier aber die ganze Arbeitsmannschaft eines Claims bedroht ist, dann hat sich die Landespolizei mit der Sache zu befassen.

[225] – Und wenn sie im gegebnen Augenblick nicht zur Stelle ist? erwiderte Summy Skim, der von seiner Anschauung der Sachlage nicht ablassen wollte.

– Wenn sie nicht zur Stelle ist, Herr Skim, erklärte der Werkführer, dann wehren wir uns unsrer Haut eben selbst, und glauben Sie mir, unsre Leute werden davor auch nicht zurückschrecken.

– Alles ganz schön und gut, ließ sich Ben Raddle vernehmen, wir sind aber nicht hierhergekommen, den Forty Miles Creek von den Elenden und den Raufbolden zu befreien, die ihn belästigen und unsicher machen, sondern nur...

– Um unsern Claim zu verkaufen, fiel Summy Skim ein, der immer auf sein altes Steckenpferd – das den Kopf jetzt noch höher zu tragen schien – zurückkam. Sagen Sie, Lorique, weiß man denn, was aus der Grenzregulierungskommission geworden ist?

– Die soll jetzt, antwortete der Werkführer, ganz unten im Süden, am Fuße des Mont Elie tätig sein.

– Das heißt, zu weit, als daß man sie aufsuchen könnte?

– Viel zu weit. Dazu müßte man sich über Skagway hinausbegeben.

– Ein verwünschtes Land! wetterte Summy Skim.

– Nur nicht gleich durchgehen! ermahnte Ben Raddle seinen Vetter, indem er ihm auf die Schulter klopfte, du hast alle Ursache, dich zu beruhigen. Geh' doch auf die Jagd, nimm Neluto mit, den es auch danach verlangt, und bringe uns heute Abend ein Stück schmackhaftes Wild mit. Inzwischen schütteln wir unsre Wiegen und suchen einen hübschen Gewinn daraus zu schlagen.

– Ja ja... wer weiß? setzte der Werkführer dazu. Könnte uns nicht dasselbe widerfahren, was im Oktober achtzehnhundertsiebenundneunzig dem Colonel Earvay am Cripple passiert ist?

– Was ist denn euerm Oberst passiert? fragte Summy Skim.

– O, der fand damals auf seinem Claim, kaum sieben Fuß tief, eine richtige Goldbarre im Werte von hunderttausend Dollars!

– A bah! stieß Summy Skim verächtlich hervor.

– Nimm deine Flinte auf den Rücken, Summy, sagte Ben Raddle. Geh' auf die Jagd bis zum Abend, hüte dich aber vor den Bären!«

Summy Skim wußte nichts Bessres zu tun. Er stieg mit Neluto in der Schlucht hinauf und nach einer Viertelstunde hörte man schon die ersten Schüsse knallen.

[226] Ben Raddle selbst nahm seine Arbeit wieder auf und empfahl seinen Arbeitern, alle Sticheleien und Aufreizungen, die von Nummer 131 herüberkämen, ganz unbeachtet zu lassen. An diesem Tage kam übrigens nichts vor, was die Arbeiterkolonnen der beiden Claims hätte in Händel verwickeln können.

In Abwesenheit Summy Skims, der sich wahrscheinlich nicht ganz hätte im Zaume halten können, fand Ben Raddle Gelegenheit, Hunter und Malone zu beobachten. Die Grenzlinie verlief – abgesehen davon, daß sie später vielleicht verlegt wurde – jetzt in nordsüdlicher Richtung längs des Talwegs der Schlucht. Das den Texanern als Wohnstätte dienende Häuschen bildete, am gegenüberliegenden Bergabhange, eine Art Pendant zu dem Loriques. So konnte Ben Raddle von seiner Stube aus Hunter und dessen Genossen im Auge behalten, als diese auf dem Claim Nummer 131 hin- und hergingen. Ohne besonders zu beachten, was bei und mit seinen Nachbarn vorging, bemühte er sich anderseits gar nicht, ungesehen zu bleiben, sondern lehnte sich im Erdgeschoß des Häuschens ruhig auf ein Fensterbrett.

Hunter und Malone kamen bis an den Grenzpfahl heran. Sie schienen in lebhaftem Gespräche begriffen zu sein. Erst richteten sie die Blicke auf den Creek hinaus, betrachteten die Claims am jenseitigen Ufer und wandten sich dann mit einigen Schritten der Schlucht zu. Unzweifelhaft waren beide ziemlich schlechter Laune, denn der Ertrag von 131 war seit dem Beginn der heurigen Schürfzeit kaum mittelmäßig gewesen, während die letzten Wochen für den Nachbarclaim recht ertragreich ausgefallen waren.

Hunter und Malone gingen in der Schlucht noch ein Stück weiter hinauf und machten etwa gegenüber dem Wohnhause Halt. Von dieser Stelle aus bemerkten sie Ben Raddle, der ihnen aber keine Aufmerksamkeit zu schenken schien. Recht gut gewahrte dieser jedoch, daß sie mit der Hand nach ihm hinwiesen, und erkannte auch, daß sie ihn mit ihren drohenden Handbewegungen und ihrer wütenden Stimme zu reizen versuchten. Klugerweise ließ er das ganz unbeachtet, und als die beiden Texaner sich zurückgezogen hatten, suchte er Lorique auf, der an einer Wiege tätig war.

»Haben Sie sie gesehen, Herr Raddle? fragte der Werkführer.

– Jawohl, Lorique, antwortete Ben Raddle; ihr herausforderndes Auftreten wird mich aber nie dazu verleiten, meine Zurückhaltung aufzugeben.

– Na, der Herr Skim scheint nicht so ruhiges Blut zu haben...

[227] – O, er wird sich bezähmen müssen, erklärte Ben Raddle. Wir dürfen nicht einmal den Schein erwecken, als ob wir diese Leute kennten.«

Die nächsten Tage verliefen ohne Zwischenfälle. Summy Skim begab sich, von seinem Vetter fast dazu gedrängt, mit dem Indianer jeden Tag schon frühzeitig auf die Jagd und kam erst spät am Nachmittage wieder. Inzwischen wurde es immer schwieriger, die amerikanischen und die kanadischen Arbeiter von kleinern Zusammenstößen abzuhalten. Mit jedem Tage näherten sich ihre Arbeiten dem Grenzpfahle, der beide Claims trennte. Bald mußte der Augenblick kommen, wo die Leute einander sozusagen an die Klinge gerieten. Die geringste Meinungsverschiedenheit konnte dann einen Streit, der Streit einen ernsthaften Zank und dieser eine Balgerei hervorrufen, die in eine wahre Schlacht auszuarten drohte. Kamen die Leute aber einmal miteinander ins Handgemenge, wer hätte ihnen dann Frieden gebieten sollen? Hunter und Malone legten es ja geradezu darauf an, Ruhestörungen auf den andern amerikanischen Claims an der Grenze anzuzetteln. Von solchen Abenteurern war ja alles zu fürchten. Auch die Polizei des Forts Cudahy war dann gewiß nicht immer imstande, die Ordnung wieder herzustellen.

Die nächsten achtundvierzig Stunden wurden die beiden Texaner nicht sichtbar. Vielleicht waren sie eben unterwegs, um sich die Placers des Forty Miles Creek auf alaskischem Gebiete anzusehen. Kamen in ihrer Abwesenheit auch einige Zänkereien zwischen den Arbeitern vor, so nahmen sie doch keinen ernsteren Charakter an.

An den drei folgenden Tagen konnte Summy Skim seinem Lieblingszeitvertreib schlechten Wetters wegen nicht nachgehen. Es regnete in Strömen und zwang jedermann, im Häuschen Schutz zu suchen. Das Auswaschen des Sandes gestaltete sich unter diesen Verhältnissen recht schwierig; die Brunnenschächte füllten sich bis zum Rande und von diesem strömte das Wasser über den Claim hin, der bald mit dickem Schlamm bedeckt war, worin man leicht bis zu den Knien versank.

Die aufgezwungene Muße wurde daher benützt, den gesammelten Goldstaub in Säckchen zu füllen. Der Ertrag von 129 war in den letzten vierzehn Tagen etwas zurückgegangen. Immerhin belief sich der Wert der nächsten in Dawson City abzuliefernden Sendung noch auf zehntausend Dollars.

Jane Edgerton hatte dagegen immer bessere Erfolge erzielt. Jeder Tag ergab ihr etwas mehr als der vorhergehende und sie konnte den zehntausend [228] Dollars der beiden Vettern noch weitre zwölftausend hinzufügen. Die Arbeit wurde erst am 3. August wieder regelrecht aufgenommen Nach einem regnerischen Vormittage heiterte sich der Himmel am Nachmittag unter dem Einflusse südwestlicher Winde wesentlich auf. Freilich hatte sich eine deutliche Neigung zu Gewittern ausgebildet, die hier zu dieser Jahreszeit oft mit entsetzlicher Gewalt auftreten und dann beträchtlichen Schaden verursachen.

Die beiden Texaner kehrten an diesem Tage von ihrem Ausfluge zurück; sie verschwanden sofort in ihrem Hause und ließen sich auch am Morgen des 4. August nicht blicken.

Summy machte sich den Witterungsumschlag zunutze, wieder jagen zu gehen. Von stromabwärts hatte man das Auftauchen einiger Bären gemeldet und er wünschte nichts mehr, als einmal einem solchen mächtigen Plattsüßter zu begegnen. Es wäre übrigens auch nicht sein Jungfernschuß auf Meister Braun gewesen; in den Wäldern von Green Valley war schon mehr als einer unter seinen Kugeln gefallen.

Im Laufe dieses Tages hatte Lorique einen besondern Glücksfall. Als er fast an der Grenze des Claims ein Loch aushob, entdeckte er einen Goldklumpen, der wenigstens vierhundert Dollars wert sein mußte. Der Werkmeister konnte seine Freude darüber nicht unterdrücken und rief mit lauter Stimme seine Genossen zu sich heran.

Die Arbeiter und auch Ben Raddle kamen herbeigelaufen und alle stießen laute Rufe der Verwunderung aus, als sie übernußgroße Pepiten in einem Stück Quarz eingebettet vor sich liegen sahen.

Auf dem Claim 131 war man sich über die Ursache dieses Jubels nicht im unklaren. Das erregte hier freilich einen – nicht ganz unberechtigten – neidischen Unmut, da die amerikanischen Arbeiter seit einiger Zeit keinen irgend wertvollen Fund gemacht hatten und ihre Arbeit dabei immer beschwerlicher wurde.

Da ließ sich eine Stimme – es war die Hunters – vernehmen:

»Hier gibt es also nur etwas für diese Hunde aus den Prärien des fernen Ostens!« rief er wütend.

Mit diesen Schimpfworten bezeichnete er die Kanadier mit Vorliebe.

Ben Raddle hatte die Beleidigung gehört.

Er bezwang sich aber und begnügte sich damit, dem Grobian den Rücken zuzukehren und verächtlich mit den Schultern zu zucken.

[229] »Heda, fuhr der Texaner fort, jawohl, mit Ihnen hab' ich gesprochen, Sie Herr von Montreal.«

Ben Raddle bewahrte noch immer das frühere Schweigen.

»Ich weiß doch nicht, was mich zurückhalten sollte!« rief Hunter.

Er wollte schon die Grenze überschreiten und sich auf Ben Raddle stürzen, als Malone ihn noch zurückhielt. Auf beiden Seiten der Grenze waren inzwischen aber auch die Arbeiter zusammengeströmt, die bald mit Worten und Drohungen aneinandergerieten, so daß die Eröffnung wirklicher Feindseligkeiten nicht mehr fern sein konnte.

Als Summy gegen Abend heimkehrte, nachdem es ihm, wenn auch mit einiger Gefahr, geglückt war, einen Bären zur Strecke zu bringen, erzählte er eingehend seine Erlebnisse auf dem Jagdausfluge. Ben Raddle wollte gegen ihn den heutigen Vorfall gar nicht erwähnen und nach dem Abendessen suchten beide ihr Zimmer auf, wo der ermüdete Summy Skim bald in stärkenden Schlummer fiel.

War nun zu fürchten, daß der heutige Zwischenfall weitere Folgen haben würde? Sollten Hunter und Malone von neuem mit Ben Raddle Händel suchen oder gar ihre Leute noch mehr gegen die vom Claim 129 aufhetzen? Wahrscheinlich war das ja, denn am folgenden Tage mußten Spitzhauen und Äxte an der Grenzlinie unmittelbar aufeinandertreffen.

Zum großen Leidwesen seines Vetters brach Summy Skim gerade an diesem Tage nicht zur Jagd auf. Das Wetter war drückend und im Südosten ballten sich schwere Wolken zusammen. Im Laufe des Tages kam es jedenfalls zu einem Gewitter und da war es doch besser, sich davon nicht fern von der Wohnung überraschen zu lassen.

Der ganze Morgen wurde zum Sandwaschen angewendet, während eine Gruppe der Arbeiter unter Loriques Leitung das Aufgraben des Erdbodens fast auf der Grenzlinie der beiden Besitztümer fortsetzte.

Bis zur Mitte des Tages verlief alles noch friedlich. Einige höhnische und grobe Redensarten der Amerikaner riefen höchstens mehr oder weniger lebhafte Antworten von seiten der Kanadier hervor. Das war aber auch alles und die Werkführer der beiden Parteien hatten keine Veranlassung, einzuschreiten.

Leider sollte das nach Wiederaufnahme der Arbeit am Nachmittag anders werden. Hunter und Malone trotteten auf ihrem Placer aufgeregt umher, während[230] Summy Skim in Begleitung Ben Raddles auf dem andern ruhig hin- und herging.

»Da sieh, sagte Summy Skim zu Ben Raddle, die beiden Schnapphähne sind ja wieder da. Ich hatte sie noch nicht gesehen, du vielleicht, Ben?

– Ja... ich glaube, gestern, antwortete Ben Raddle ausweichend. Folge aber meinem Beispiele: beachte die beiden gar nicht.

– Solange sie uns nicht in einer Weise anstarren, die mich verletzt...

– Lege kein Gewicht darauf, Summy.«

Die Texaner hatten sich langsam genähert und den beiden Vettern gerade genug herausfordernde Blicke zugeworfen, da sie diese aber vorläufig nicht mit ihren gewohnten Beleidigungen begleiteten, fand Summy Skim noch keine Veranlassung, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Die Arbeiter gruben und schaufelten an der Grenze der beiden Claims inzwischen immer weiter, hoben den Boden aus und schöpften den sandigen Schlamm in Kübel, die sie nach den Schleusen oder den Wiegen trugen. Beide Gruppen berührten einander, absichtlich oder nicht, jetzt fast jeden Augenblick mit ihren Arbeitsgeräten.

Jedenfalls hatte das bisher noch niemand besonders beachtet, als gegen fünf Uhr plötzlich laute Rufe erschallten. Ben und Summy auf Nummer 129 und Hunter und Malone auf der andern Seite stürmten daraufhin aufeinander zu.

Die beiden Kolonnen arbeiteten nicht mehr, auf beiden Seiten aber brach man in einen wilden Siegesruf aus: Die »Tasche«, die Bonanza, war endlich angeschlagen worden. Seit einigen Minuten lieferte der auf beiden Seiten zum Auswaschen beförderte Sand allemal schon über hundert Dollars, als man auf dem Grunde der Ausschachtung eine Pepite, einem wirklichen Barren im Werte von wenigstens zweitausend Dollars erblickte, auf den die einander Auge in Auge gegenüberstehenden Werkführer zu gleicher Zeit den Fuß gesetzt hatten.

»Der gehört uns! rief Hunter, als er atemlos herankam.

– Nein, uns! widersprach ihm Lorique, seinen Fund festhaltend.

– Dir, erbärmlicher Hund?... Sieh dir nur den Pfahl an, das wird dir zeigen, daß dein Fuß auf meinem Grund und Boden steht.«

Ein Blick auf die von den zwei nächsten kleinern Stangen bezeichnete Linie überzeugte Lorique, daß er in seinem Eifer wirklich die Grenze überschritten hatte, und seufzend mußte er seinen Fund aufgeben, als Ben Raddle auf der Bildfläche erschien.

[231] – Wenn Sie über die Grenze hinausgekommen sind, Lorique, sagte er ruhig so liegt das daran, daß diese in der Nacht verändert worden ist. Jedermann kann leicht sehen, daß die Stangen keine gerade Linie mehr bilden und daß die hier ein Stück weiter nach Osten versetzt worden ist.«

Es war in der Tat so. Die Reihe der Visierstangen bildete jetzt eine gebrochne Linie, die in der Höhe der beiden Claims nach Osten einbog.

»Frecher Dieb! schleuderte Lorique Hunter ins Gesicht.

– Der Dieb bist du selbst!« gab dieser zurück und sprang auf den Kanadier los, der infolge der Überraschung niederstürzte.

Da eilte Summy Skim dem Werkmeister, den der Texaner auf der Erde festhielt, zuhilfe. Ben Raddle folgte ihm sofort nach und packte den herzulaufenden Malone an der Kehle. Lorique, der jetzt befreit wurde, sprang sogleich auf und an seiner Stelle wälzte sich nun Hunter am Boden.

Das wurde zur Veranlassung eines allgemeinen Handgemenges. Von kräftiger Hand geschwungne Äxte und Spitzhauen dienten als furchtbare Waffen. Gewiß wäre es zu einem reichlichen Blutbade gekommen und hätte auf beiden Seiten der und jener das Leben eingebüßt, wenn nicht zufällig gerade in diesem Augenblick eine Polizistenpatrouille an dieser Stelle des Forty Miles Creek aufgetaucht wäre. Dank diesem halben Hundert handfester und entschlossener Männer wurde der Kampf bald unterdrückt.

Ben Raddle richtete das Wort zuerst an Hunter, der vor Wut selbst nicht sprechen konnte.

»Wie kommen Sie dazu, unser Gut stehlen zu wollen? fragte er den Gegner.

– Dein Gut? entgegnete ihm Hunter, der seinen Nachbar in ihm gewohnter grober Weise gleich duzte, nimms nur hübsch in acht, dein Gut! Lange wirst du's nicht haben.

– Versuche nur, es dir aneignen zu wollen, drohte ihm Summy mit geballter Faust.

– Ah, was dich angeht, heulte Hunter, der vor Wut buchstäblich schäumte, da haben wir beide ja noch eine alte Geschichte abzurechnen.

– Wann es euch gefällt, erwiderte Summy Skim gelassen.

– Wann es mir gefällt?... Nun gut also!...«

Hunter unterbrach sich plötzlich. In Begleitung Patricks kam Jane Edgerton eben, nach Beendigung ihrer täglichen Arbeit, wie jeden Abend nach dem hundertneunundzwanzigsten [232] Claim. Erschrocken näherte sie sich der lauten Gruppe, die sich gestikulierend an der Grenze hin- und herdrängte. Hunter erkannte sie auf der Stelle.

»O, sagte er hohnlachend, der ritterliche Verteidiger der Frauen warf sich damals für eigne Rechnung so ins Zeug.

– Erbärmlicher Schuft! rief Summy empört.

– Schuft!

– Jawohl, Schuft, wiederholte Summy Skim, der sich nicht mehr zu beherrschen vermochte, und zu erbärmlich, einem Manne Rechenschaft zu geben.

– Das wirst du noch sehen, ich finde dich schon wieder, heulte Hunter.

– Wann ihr wollt, antwortete Summy Skim, schon morgen...

– Ja, morgen!« sagte Hunter.

Von den Polizisten, die die Visierstange wieder an die rechte Stelle gesetzt hatten, langsam verdrängt, mußten die Arbeiter jeder nach seinem Platze zurückweichen. Dabei nahm wenigstens Lorique eine Trophäe mit fort, den kostbaren Goldklumpen, der zur Veranlassung des Streites geworden war.

»Summy, begann Ben Raddle, als sie sich ins Wohnhaus zurückgezogen hatten, mit einem solchen Schurken kannst du dich nicht schlagen.

– Und dennoch werde ich's tun, Ben.

– Nein, Summy, das wirst du nicht tun.

– O doch, sag' ich dir, und wenn es mir gelingt, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen, so wäre das das schönste Jagdereignis meines Lebens. Eine Jagd auf einen solchen Auswurf der Menschheit!«

Soviel er sich auch bemühte, Ben Raddle konnte bei dem Vetter nichts ausrichten; kampfesmüde rief er jetzt Jane Edgerton um Unterstützung an.

»Fräulein Jane! sagte Summy. Gerade um derentwillen war ja der Zweikampf unvermeidlich. Jetzt, wo Hunter sie erkannt hatte, würde er ihr doch ununterbrochen nachstellen.

– O, ich brauche keinen Schutz, Herr Skim, erklärte Jane, die sich so viel wie möglich zu strecken suchte.

– Laßt mich alle in Ruhe, rief Summy erbittert. Ich bin doch wohl alt und groß genug, zu wissen, was mir die Pflicht gebietet. Und was ich jetzt zu tun habe, das ist...

– Nun, das ist?

[233] – Das ist – sehr einfach – zu Abend zu essen,« erklärte Summy Skim und setzte sich mit solcher Wucht nieder, daß sein Schemel gleich in drei Stücke zersprang.

Da machte ein unerwartetes Naturereignis die endgültige Austragung dieses Zwischenfalls unmöglich oder verschob sie doch auf unbestimmte Zeit.

Den ganzen Tag hatte das Wetter schon einen recht bedrohlichen Charakter gezeigt. Gegen sieben Uhr abends wurde die von Elektrizität übersättigte Luft von grellen Blitzen durchfurcht und von Südwesten her hörte man bereits ein dumpfes Donnergrollen. Infolge der Auftürmung schwerer Wolkenmassen wurde es bereits recht dunkel, obwohl die Sonne noch über dem Horizonte stand.

Schon im Laufe des Nachmittags hatte man in verschiednen Claims am Forty Miles Creek seltsam bedrohliche Zeichen beobachtet: ein schwaches, in der Erde schnell fortschreitendes Erzittern, das von langdauerndem, rollendem Geräusch und da und dort von einem Ausströmen schwefeliger Gase begleitet war. Offenbar drohte hier eine gefährliche plutonische Störung.

Als sich dann alle gegen halb elf Uhr im Hause des Claims Nummer 129 zum Schlafe niederlegen wollten, wurde das leichte Bauwerk durch heftige Stöße erschüttert.

»Ein Erdbeben!« rief Lorique.

Er hatte kaum diese Worte hervorgestoßen, als das Häuschen urplötzlich halb umgestürzt wurde, so als ob es ihm an Boden fehlte.

Nicht ohne Mühe, doch zum Glück ohne ernstere Verletzungen, konnten sich die Insassen aus den Trümmern retten.

Doch draußen erst... welch ein Anblick! Der Boden des Claims war unter einer wirbelnden Überschwemmung verschwunden. Ein Teil des Creeks war aus seinem Laufe abgelenkt und wühlte sich jetzt ein neues Bett durch die Goldfundstätten hin.

Von allen Seiten ertönten Aufschreie der Verzweiflung und des Schmerzes. Die in ihren Hütten überraschten Goldgräber suchten sich vor den immer weiter vordringenden Fluten zu retten. Entwurzelte oder am Fuße umgebrochne Bäume wurden mit Schnellzugsgeschwindigkeit vom Wasser weggetragen.

Die Überschwemmung erreichte schon die Stelle, wo das eingestürzte Häuschen lag; in wenigen Minuten hätte man hier bis zum halben Leib im Wasser gestanden.

[234] »Fort... fort von hier!« rief Summy Skim, nahm Jane Edgerton auf den Arm und trug sie die Berglehne hinan.

In diesem Augenblick stieß ein abtreibender Weidenstamm Ben Raddle ans Bein, was ihm einen Knochenbruch unterhalb des Knies verursachte. Lorique, nach diesem Neluto, eilten ihm zuhilfe, wurden aber von der Flut weggerissen und kamen in Gefahr, darin umzukommen. Zum Glücke hatte auch Patrick den Vorgang mit angesehen. Während es Summy gelang, seinen Vetter auf den Schultern fortzutragen, packte der Riese den Werkführer und den Steuermann des Scout jeden mit einer Hand und fest wie ein Felsen in dem tosenden Strudel schleppte er beide aus der Strömung ans Land.

Bald waren alle außer Gefahr und ohne andern Schaden als den Knochenbruch Ben Raddles. Jetzt konnte man das ganze Unglück beim Scheine des himmlischen Feuers übersehen. Das Häuschen war verschwunden und mit ihm die von den beiden Vettern und Jane Edgerton gesammelten Schätze. Der Hügel, den diese jeden Morgen und jeden Abend überschritt, hatte seine Form verändert. An ihm brandete eine ungeheure Wassermasse, die auf beiden Seiten der Grenze das rechte Ufer des Forty Miles Creek auf die Strecke von mehr als einem Kilometer bedeckte.

Wie hundert andre benachbarte Besitzstellen waren jetzt auch die der beiden Vettern und Jane Edgertons zehn Meter tief unter gurgelndem Wasser begraben. Vergeblich hatten die Erben Josias Lacostes tausende von Kilometern zurückgelegt, um ihren Claim Nummer 129 bestmöglich zu verwerten. Ihre Erbschaft war für immer verschwunden: es gab keinen Claim Nummer 129 mehr.


Ende des ersten Bandes. [235]

2. Band

1. Kapitel
Erstes Kapitel.
Ein Winter in Klondike.

Ein schweres Erdbeben, das übrigens örtlich ziemlich beschränkt blieb, hatte den zwischen der Grenze und dem Yukon gelegenen Teil von Klondike heimgesucht, der vom Mittellaufe des Forty Miles Creek durchströmt wird.

[236] Klondike ist nicht gerade häufigeren seismischen Erschütterungen ausgesetzt. Sein Boden enthält jedoch quarzige Aggregate, Eruptivgesteine, die darauf hindeuten, daß hier in der Vorzeit unterirdische Kräfte tätig gewesen sein müssen, Kräfte, die eigentlich nur schlummern und die zuweilen zu ungewöhnlicher Heftigkeit erwachen. Auch erheben sich im ganzen Gebiete der sogenannten Felsengebirge, deren letzte Verzweigungen bis zum Polarkreis hinausreichen, mehrere Vulkane, deren Erloschensein noch keineswegs gewiß ist.

Wenn aber Erderschütterungen oder gar vulkanische Ausbrüche in dieser Landesgegend im allgemeinen nur wenig zu befürchten sind, so liegt das anders bezüglich verderblicher Überschwemmungen infolge plötzlichen Hochwassers ihrer Creeks.

Dawson City ist davon nicht verschont geblieben und die Brücke, die die Stadt mit Klondike City verbindet, ist auch schon wiederholt weggerissen worden.

Diesmal hatte das Gebiet des Forty Miles Creek eine doppelte Katastrophe zu erleiden gehabt. Die gewaltsame Erschütterung des Erdbodens zerstörte alle Claims an beiden Seiten der Grenze auf eine Strecke von mehreren Kilometern. Dazu kam dann noch die Überschwemmung, bei der das Wasser alle alten Placers überflutete und deren Bearbeitung für die Zukunft ganz unmöglich machte.

Im ersten Augenblicke wäre es sehr schwer, ja rein unmöglich gewesen, den Umfang des Schadens abzuschätzen. Über der Gegend lagerte eine tiefe Dunkelheit. Ob die Häuschen, die Hütten und Zelte zerstört waren, ob der größte Teil der Goldgräber jetzt jeder Unterkunft entbehrte, ob die Zahl der Verwundeten und der Toten, von denen die einen unter herabstürzenden Fels blöcken zermalmt, die andern ertrunken sein mochten, groß war oder nicht... alles das konnte man erst am nächsten Tage erfahren. Auch ob die gesamte eingewanderte Bevölkerung, die hier auf den Placers verstreut gewesen war, gezwungen sein werde, die Gegend endgültig zu verlassen, das ließ sich erst nach Kenntnisnahme von dem Umfange der Katastrophe beurteilen.

Jedenfalls den schlimmsten und nicht wieder auszugleichenden Schaden hatte die Ableitung eines Teiles der Wassermenge des Forty Miles Creek auf die den beiden Ufern benachbarten Goldlagerstätten verursacht. Unter dem Drucke der unterirdischen Kräfte war der Boden des Wasserlaufes fast bis zu seinen Uferrändern emporgehoben worden, wonach sich voraussehen ließ, daß die Überschwemmung keine vorübergehende sein werde. Wer hätte aber unter solchen [237] Verhältnissen die Nachgrabungen in einem Erdboden wieder aufnehmen können, der fünf bis sechs Fuß unter strömendem Wasser lag, dessen Ableitung offenbar unmöglich war?

Welch eine Nacht des Schreckens und der Angst hatten die armen, von dieser plötzlichen Katastrophe betroffenen Leute hinzubringen! Ihnen fehlte jedes schützende Dach und das Unwetter hielt bis fünf Uhr früh an. Wiederholt traf ein Blitzstrahl die Weiden und die Espen, unter die sich die Obdachlosen geflüchtet hatten. Gleichzeitig rauschte ein mit Hagelkörnern vermischter Platzregen nieder. Wenn Lorique, der in der Schlucht etwas weiter hinausgegangen war, nicht eine kleine Aushöhlung entdeckt hätte, wohin er mit Summy Skim Ben Raddle tragen konnte, so wäre der Verletzte ohne jeden Schutz gewesen.

Man kann sich wohl leicht vorstellen, welche Gedanken jetzt die beiden Vettern erfüllten. Um die Opfer eines solchen Naturereignisses zu werden, hatten sie also die weite und beschwerliche Reise unternommen! Alle ihre Mühe und Arbeit war jetzt verloren. Von ihrer Erbschaft blieb ihnen nichts mehr übrig, nicht einmal der Betrag, den die Ausbeutung in den letzten Wochen geliefert hatte. Von dem Golde, dem Lohne für ihre Anstrengung und für die ihrer unglücklichen Gefährtin, besaßen sie kein Splitterchen mehr; nach dem Zusammenbruch des Häuschens hatte es die tosende Flut mit weggefegt. Kein Gegenstand war zu retten gewesen und jetzt trieb das Gold mit der Strömung des Rio hinunter.

Als das Gewitter ausgetobt hatte, verließen Summy Skim und der Werkmeister einige Augenblicke die Grotte, worin sie Ben Raddle der Pflege Jane Edgertons übergeben hatten, und versuchten sich nun über die Ausdehnung des Unglücks zu unterrichten. Da die Claims Nummer 129,127b und 131 unter dem Wasser verschwunden waren, war die Frage wegen der Grenze ja mit einem Schlage gelöst. Ob der hunderteinundvierzigste Meridian nun etwas weiter nach Osten oder nach Westen verlegt wurde, das focht die beiden Claims nicht mehr an, ebensowenig, ob das betreffende Terrain in Zukunft zu Alaska oder zu Kanada gehörte... der stark verbreiterte Fluß wälzte sich doch darüber hin.

Die Zahl der Opfer des Erdbebens würde man natürlich erst nach gründlicher Durchsuchung der betroffenen Örtlichkeit erfahren können. Auf jeden Fall mußten die hier siedelnden Familien überrascht worden sein, und zwar durch die Erschütterung des Erdbodens ebenso wie durch die Überschwemmung, ob sie sich nun gerade in ihren Buden oder Hütten befanden oder nicht, und es war [238] zu befürchten, daß die Mehrzahl davon umgekommen wäre, daß sie nicht schnell genug hätten fliehen können.

Ben Raddle, Summy Skim, Lorique und Jane Edgerton waren dem Verderben wie durch ein Wunder entronnen, Ben Raddle freilich nicht ganz heil und gesund, deshalb erschien es nötig, für Transportmittel zu sorgen, um ihn so bald wie möglich nach Dawson City überzuführen.

Selbstverständlich war von der Sache zwischen Hunter und Skim nicht weiter die Rede; das für den folgenden Tag verabredete Duell fiel ja von selbst weg.

Jetzt nahmen andre Sorgen die beiden Gegner in Anspruch und diese würden sich vielleicht niemals wieder Auge in Auge gegenüberstehen.

Als sich dann die Wolken verzogen hatten und die Sonne den Schauplatz des Unglücks beleuchtete, war von den beiden Texanern weder der eine noch der andre zu sehen, auch von dem Hause, das sie am Eingange ihrer Schlucht bewohnten, worüber jetzt der Forty Miles Creek hinrauschte, war keine Spur mehr übrig. Ebenso waren alle Hilfswerkzeuge, Wiegen, Wehre und Pumpen, bis auf den letzten Rest weggeschwemmt. Die Strömung des Flusses war gegenwärtig um so schneller, als das gestrige Gewitter diesem große Wassermengen zugeführt hatte, so daß seine Höhe trotz der Verbreiterung des Bettes vorläufig ganz die gleiche blieb.

Ob die beiden Texaner und ihre Arbeiterrotte dem Unheil ohne Schaden entgangen oder ob sie dessen Opfern zuzuzählen wären, das konnte zunächst niemand wissen und Summy Skim dachte auch gar nicht daran, sich deshalb den Kopf zu zerbrechen. Ihn erfüllte nur die Sorge, Ben Raddle schleunigst nach Dawson City zu schaffen, wo er eine geeignete Behandlung und Pflege finden würde, dort seine Wiedergenesung abzuwarten und dann, wenn es noch möglich wäre, den Rückweg nach Skagway, Vancouver und Montreal einzuschlagen. Für den Claim Nummer 129 würden sich, da er nun unter tiefem Wasser lag, doch keine Käufer mehr melden. Am besten erschien es also, dieses schreckliche Land so bald wie möglich zu verlassen, wohin, wie Summy Skim wiederholt auch mit gewissem Recht geäußert hatte, an Leib und Seele gesunde Leute überhaupt nie hätten den Fuß setzen sollen. Ob eine so schnelle Rückkehr möglich wäre oder ob die Wiedergenesung Ben Raddles eine Reihe von Tagen, von Wochen oder gar von Monaten in Anspruch nehmen würde, das konnte zunächst freilich niemand sagen.

[239] Die erste Hälfte des August näherte sich schon ihrem Ende und die zweite verging jedenfalls nicht, ohne daß der in dieser hohen Breite so früh eintretende Winter den Weg durch das Seengebiet und über den Chilkootpaß verschloß. Auch der Yukon mußte bald unbefahrbar werden und voraussichtlich waren die letzten seiner Mündung zusteuernden Dampfer schon abgegangen, ehe Ben Raddle einen solchen benützen konnte.

Dann galt es, in Dawson einen ganzen Winter tapfer auszuhalten. Die Aussicht, stehen bis acht Monate unter dem Schnee Klondikes begraben zu liegen, einer Kälte, die vielleicht fünfzig bis sechzig Zentigrade erreichen konnte, zu trotzen, hatte freilich wenig Angenehmes für sich. Um einer solchen Unannehmlichkeit zu entgehen, erschien es dringend angezeigt, nach Dawson City schleunigst zurückzukehren und den Verletzten dem Doktor Pilcox mit der Bitte anzuvertrauen, ihn so schnell wie möglich wiederherzustellen.

Glücklicherweise – denn die Frage der Überführung des Kranken konnte hier recht schwierig werden – fand Neluto den Wagen auf dem Hügelvorsprung wieder, wo er ihn einstellte und das Hochwasser ihn nicht hatte erreichen können. Auch das Pferd, das im Freien geweidet hatte und bei der Katastrophe erschreckt davongelaufen war, konnte wieder eingefangen und seinem Herrn zugeführt werden.

»Dann also fort von hier! rief Summy Skim. Augenblicklich fort!«

Ben Raddle ergriff seine Hand.

»Mein armer Summy, sagte er, wirst du mir verzeihen können? Wenn du wüßtest, wie ich es beklage, dich in diese traurige Angelegenheit verwickelt zu haben!

– Ach, von mir ist jetzt gar nicht zu sprechen, erwiderte Summy etwas mürrischen Tones. Es handelt sich nur um dich. Du wirst doch verständig und fügsam sein, nicht wahr? Fräulein Jane wird dir das Bein, so gut es angeht, mit einer Binde umwickeln, Patrick und ich legen dich dann auf dem Wagen bequem nieder, ein Lager aus trocknem Grase wird sich ja wohl herstellen lassen. Ich setze mich mit Fräulein Jane und Neluto neben dich. Lorique und Patrick werden uns in Dawson City wieder aufsuchen, wohin sie kommen mögen, wie es eben geht. Wir werden auch schnell fahren... nein, das heißt, so langsam wie es geboten erscheint, um dich vor Stößen zu schützen. Im Krankenhause angelangt, haben deine schlimmsten Leiden ja ein Ende und Doktor Pilcox heilt dein gebrochenes Bein schon dadurch, daß er's nur ansieht... vorausgesetzt, [240] [243]daß er es nicht zu lange besichtigt und daß wir noch vor der schlechten Jahreszeit abreisen können.

– Mein lieber Summy, sagte darauf Ben Raddle, es ist ja möglich, daß meine Wiederherstellung mehrere Monate beansprucht, und ich begreife recht gut dein Verlangen, bald in Montreal zurück zu sein. Könntest du denn nicht allein abreisen?

– Ohne dich, Ben?... Ich glaube gar, du phantasierst. Nein, mein alter Ben, da ließe ich mir lieber selbst ein Bein brechen!«

Längs der Wege, die von Leuten überfüllt waren, welche auf andern Placers Arbeit suchten, verfolgte der Planwagen, worin Ben Raddle lag, am rechten Ufer des Forty Miles Creek die Richtung nach dem Fort Cudahy. Am Ufer des Flusses waren die von der Hochflut verschont gebliebenen Claims noch in Betrieb. Bei einigen davon hatte aber, obwohl sie vom Wasser nicht erreicht worden waren, die Ausbeutung für den Augenblick eingestellt werden müssen.


Längs der Wege, die von Leuten überfüllt waren... (S. 243.)

Von der Erdbewegung, die sich bis auf fünf oder sechs Kilometer von der Grenze erstreckt hatte, buchstäblich zusammengerüttelt, waren ihre Hilfswerkzeuge zum Teil zerbrochen, die Brunnenschachte mit Schutt gefüllt, die Grenzpfähle umgeworfen und die Wohnstätten zerstört... so boten sie einen beklagenswerten Anblick. Immerhin war das keine unbedingte Vernichtung und mindestens im nächsten Jahre konnte die Arbeit darauf wieder beginnen.

Der Wagen kam nur langsam vorwärts; die Stöße infolge der Unebenheit der Straße verursachten dem Verletzten oft recht arge Schmerzen. Erst am übernächsten Tage machte das Gefährt beim Fort Cudahy Halt.

Gewiß ließ es Summy an Pflege für den Leidenden nicht fehlen, leider muß man aber sagen, daß er sich dabei höchst ungeschickt erwies, so daß sich Ben Raddle ohne die Unterstützung Jane Edgertons wohl sehr zu beklagen gehabt hätte. Diese aber erfand tausend Mittel, das gebrochne Bein bequemer zu lagern, entdeckte für dieses immer eine neue und stets bessere Unterstützung und fand vor allem leicht die geeigneten Worte, das Gemüt des Kranken aufzuheitern.

Leider war sie natürlich ebensowenig wie Summy Skim imstande, einen Knochenbruch sachverständig einzurichten. Das verlangte einen Arzt und einen solchen gab es unglücklicherweise weder in Fort Cudahy noch im Fort Reliance, das sie achtundvierzig Stunden später erreichten.

Summy Skim war darüber mit Recht sehr beunruhigt, da sich der Zustand seines Vetters ohne ärztliche Hilfe mit der Zeit zu verschlechtern drohte.

[243] Ben Raddle ertrug seine Leiden, die gewiß schwer genug waren, zwar ohne Klagen, er beherrschte sich so aber nur um Summys willen und der erkannte das recht gut an einzelnen Schmerzenslauten, die sich dem Ingenieur entrangen, wenn ihn das Wundfieber gerade zu heftig schüttelte.

Unter diesen Umständen mußte man sich um jeden Preis beeilen, die Hauptstadt von Klondike zu erreichen. Nur da konnte Ben Raddle die geeignete Pflege finden. Summy Skim seufzte auch erleichtert auf, als der Wagen am Nachmittag des 16. August vor dem Krankenhause in Dawson anhielt.

Der Zufall wollte es, daß sich Edith Edgerton aus dienstlichen Gründen gerade am Tore des Gebäudes befand. Auf den ersten Blick erkannte sie, welchen Kranken man ihr zuführte, und ohne Zweifel erweckte das in ihr eine schmerzhafte Erregung, die sich allen Anwesenden durch das plötzliche Erbleichen ihres Gesichts verriet. Welcher Art diese Erregung aber auch sein mochte... durch ein äußeres Zeichen gab sie das nicht zu erkennen, außer daß sie ihre Cousine zu umarmen vergaß. Ohne ein Wort zu äußern, traf sie sofort die geeignetsten Maßregeln, dem Verletzten, den das hohe Fieber fast bewußtlos gemacht hatte, Linderung zu schaffen. Unter ihrer Anleitung wurde dieser aus dem Wagen gehoben und mit so großer Vorsicht ins Haus getragen, daß ihm nicht die leiseste Klage entfuhr. Zwei Minuten später lag er in einem besondern Zimmer und schlief zwischen Leinendecken von blendender Weiße friedlich ein.

»Sie sehen, Miß Edith, sagte Summy traurigen Tones, daß ich, als wir Sie nach Dawson City mitnahmen, recht hatte mit der Behauptung, wir hätten ja ein persönliches Interesse an Ihrer Gegenwart.

– Was ist denn Herrn Raddle überhaupt zugestoßen?« fragte Edith, ohne auf Summys Äußerung unmittelbar einzugehen.

Jane berichtete nun ihrer Cousine von den letzten schrecklichen Ereignissen, deren Folgen diese schon ziemlich deutlich voraussah, und Jane war mit ihrer Schilderung nach gar nicht fertig, als der Doktor Pilcox erschien, den Edith sofort hatte rufen lassen.

Von dem Erdbeben, dessen Schauplatz die Gegend am Forty Miles Creek gewesen war, hatte man in Dawson City schon seit einigen Tagen erfahren; auch war es bekannt, daß dieses dreißig Opfer gefordert hatte. Doktor Pilcox konnte natürlich nicht ahnen, daß dazu gerade der Ingenieur gehörte.

»Wie? rief er in seiner gewohnten Redseligkeit, das ist ja der Herr Raddle... und mit einem gebrochnen Beine!

[244] – Ja, lieber Doktor, antwortete Summy Skim, er ist es... und mein armer Ben hat schrecklich zu leiden.

– Gut, schon gut, erwiderte der Doktor, das wird sich bald geben, wenn ihm das Bein erst wieder eingerichtet ist. Dazu bedarf es chirurgischer Hilfe, da wird die Sache nach allen Regeln der Kunst in Ordnung gebracht werden.«

Ben Raddle hatte nur einen einfachen Knochenbruch unterhalb des Knies, einen Bruch, den der Doktor mit großer Geschicklichkeit einrichtete, wonach das verletzte Bein in einen Apparat gelegt wurde, der ihm eine völlige Unbeweglichkeit sicherte. Während er noch mit dem Kranken hantierte, plauderte Pilcox in seiner gewohnten Weise.

»Mein verehrter Freund, sagte er, Sie können sich eigentlich rühmen, ein Glückskind zu sein. Weswegen?... Nun die Beine zu brechen, um dafür später desto solidere zu haben. Ja ja, die Beine eines Hirsches oder eines Elentiers werden Sie haben und, na, wenigstens ein Bein eines Hirsches, wenn Sie nicht vorziehen, daß ich Ihnen das andre auch noch breche!

– O, ich danke schön, murmelte Ben Raddle, der wieder zu vollem Bewußtsein gekommen war, mit trübem Lächeln.

– Na, genieren Sie sich nur nicht, fuhr der joviale Doktor fort. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung... Nein?... Sie entscheiden sich nicht dafür?... Na, da wird's also dabei bleiben müssen, daß wir nur das eine kurieren.

– Wie lange wird der Heilungsvorgang wohl dauern? fragte Summy.

– Ja, mein Herr Skim, einen Monat... sechs Wochen, genauer kann man das nicht sagen. Knochen, wissen Sie, lassen sich nicht so leicht aneinanderschweißen wie zwei zur Weißglut erhitzte Stücke Eisen. Hierbei vertritt die Zeit die Stelle der Zange und des Hammers.

– Die Zeit! Die Zeit! brummte Summy Skim.

– Ja, was denken Sie denn eigentlich? erwiderte Doktor Pilcox. Hier arbeitet allein die Natur und es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß die niemals Eile hat. Gerade deshalb hat man ja die Geduld erst erfunden.«

Sich gedulden, etwas Besseres konnte Summy Skim auch nicht tun. Sich gedulden und mit Ruhe dem Eintritte der schlechten Jahreszeit entgegenzusehen, ehe Ben Raddle wieder ordentlich auf den Füßen wäre. Hat jemand denn die richtige Vorstellung von einem Lande, wo der Winter mit der ersten Septemberwoche anfängt. wo Eis und Schnee sich so auftürmen, daß die ganze Gegend völlig unpassierbar wird? Wie hätte da Ben Raddle, wenn er noch nicht ganz[245] und gar bei Kräften war, bei solchen Temperaturen den Beschwerden der Rückfahrt trotzen, den Engpaß des Chilkoot überschreiten und sich in Skagway auf einem der nach Vancouver bestimmten Dampfer einschiffen können? Von den Schiffen, die auf dem Yukon bis St. Michel hinunter verkehren, würde das letzte binnen vierzehn Tagen abgefahren sein und dann begann auch die Eisbildung auf dem Strome.

Genau am 20. August, wie er versprochen hatte, traf der Scout wieder in Dawson City ein.

Bill Stells erste Sorge hier war es, sich zu erkundigen, ob die Herren Ben Raddle und Summy Skim ihre Angelegenheit bezüglich des Claims 129 nun abgewickelt hätten und ob sie sich vorbereiteten, die Rückfahrt nach Montreal anzutreten. Er wendete sich deshalb im Krankenhause an den Doktor Pilcox.

Wie erstaunte er aber, von diesem zu hören, daß Ben Raddle jetzt in seiner Behandlung liege und an seine Genesung vor Verlauf von sechs Wochen nicht zu denken wäre.

»Ja ja, Bill, erklärte ihm bald darauf Summy Skim, so herrlich weit haben wir's hier gebracht. Den Claim 129 haben wir nicht allein nicht verkauft, sondern diese hundertneunundzwanzig gibt's auch überhaupt nicht mehr. Und nicht allein das, es ist uns jetzt auch unmöglich geworden, dieses entsetzliche Land zu verlassen, um dafür ein freundlicheres aufzusuchen!«

Der Scout erfuhr nun von der Katastrophe am Forty Miles Creek und wie Ben Raddle bei dieser ziemlich schwer verletzt worden war.

»Das ist ja überhaupt das Beklagenswerteste, fuhr Summy Skim fort, denn wegen der Hundertneunundzwanzig hätten wir uns kein graues Haar wachsen lassen. Mir, wahrlich, mir persönlich war an dem ganzen Claim blutwenig gelegen! Welch törichten Gedanken hatte doch unser Onkel Josias gehabt, diese Hundertneunundzwanzig zu erwerben und dann zu sterben, um den Claim uns zu hinterlassen!«

Hundertneunundzwanzig! Es hätte einer nur hören sollen, wie verächtlich er diese verwünschte Zahl aussprach.

»Ach, Scout, rief er, wenn der arme Ben nicht gerade ein Opfer jenes Erdbebens gewesen wäre... wahrhaftig, ich hätte es von Herzensgrund gesegnet! Es befreite uns ja von einer Erbschaft, die nur eine Bürde war. Kein Claim... keine Ausbeutung eines solchen mehr... das bedeutete für uns doch nur eine Erlösung.

[246] – Sie werden demnach gezwungen sein, unterbrach ihn der Scout, den Winter in Dawson City zuzubringen.

– Das heißt soviel wie am Nordpol, erwiderte Summy Skim.

– So gut wie ich, bemerkte der Scout, der ich gekommen war, Sie abzuholen.

– Sie werden doch ohne uns zurückreisen, Bill,« antwortete Summy Skim mit einem schon an Verzweiflung erinnernden Tone der Ergebung in sein Schicksal.

Das geschah denn auch nach einigen Tagen, nachdem der Scout sich von den beiden Kanadiern mit dem Versprechen verabschiedet hatte, im nächsten Frühjahr wiederzukommen.

»Nach acht Monaten!« stieß Summy Skim seufzend hervor.

Die Behandlung Ben Raddles nahm ihren regelrechten Verlauf. Eine Komplikation war nicht eingetreten. Doktor Pilcox erklärte sich im höchsten Grade befriedigt. Das Bein seines Freundes würde in Zukunft nur noch fester und diesem sozusagen gleich zwei Beinen wert sein. – »Das macht soviel wie drei, wenn ich richtig rechne,« pflegte er wiederholt zu sagen.

Ben Raddle selbst ertrug die Leiden mit Geduld. Von Edith mit besonderer Aufmerksamkeit gepflegt, schien er sich der im Krankenhause eingeführten Ordnung aufs beste anzupassen. Höchstens hätte man ihm vorwerfen können, daß er seine sanfte Krankenwärterin gar zu sehr in Anspruch nähme. Diese mußte sich oft ungebührlich lange bei dem Lager des Kranken aufhalten und auch dann wollte er kaum zugeben, daß sie ihn auf wenige Minuten verließ, um den andern Kranken gegenüber ihren Samariterdienst zu üben. Hierzu muß freilich bemerkt werden, daß das Opfer dieser Tyrannei darüber gar nicht böse zu sein schien. Ohne Murren lauschte sie dem oft langen Geplauder des Ingenieurs, immer darauf bedacht, während dieser schlummerte, Wunder von Tätigkeit zu verrichten, damit die andern Insassen des Hauses nicht durch die etwas auffallende Bevorzugung zu leiden hätten, die sie einem einzigen angedeihen ließ.

Obwohl die beiden jungen Leute aber oft und lange unter vier Augen zusammen waren, fiel es ihnen doch gar nicht ein, auch nur den kleinsten Roman anzuspinnen. Nur während sein Vetter, wenn es die Witterung irgend erlaubte, mit dem getreuen Neluto zur Jagd ausgezogen war, suchte sich Ben Raddle über die Handels- und Verkehrsverhältnisse und über die Auffindung neuer Goldlagerstätten auf dem Laufenden zu erhalten. Edith war da seine lebende Zeitung. Sie las ihm die Lokalblätter, wie die »Sonne des Yukon«, die »Mitternachtssonne«, [247] die »Pepiten von Klondike« und noch andre vor. Schloß denn der Umstand, daß der Claim 129 nicht mehr existierte, schon aus, daß in dem Lande hier nichts mehr zu tun und zu gewinnen sei? Konnte denn kein andrer Claim angekauft und ausgebeutet werden? Der Ingenieur hatte nun einmal an seiner Tätigkeit am Forty Miles Creek entschieden Gefallen gefunden.

Wenn er sich hütete, von seinen noch in der Luft schwebenden Plänen vor Summy Skim zu sprechen, der jetzt seine gerechte Entrüstung darüber gewiß nicht zu unterdrücken vermocht hätte, so entschädigte er sich dafür, sobald Edith allein bei ihm war. Sie besprach mit dem Ingenieur die Vorzüge dieses oder jenes Teils des Gebietes und beide berieten dann mit heiligem Ernst verschiedne Zukunftspläne. Das Wundfieber zehrte zwar nicht mehr am Körper Ben Raddles, das Goldfieber hatte ihn aber noch nicht verlassen und es schien auch, als ob er davon niemals genesen sollte. Dieses Seelenfieber bestand im Grunde jedoch keineswegs in dem Verlangen nach dem Besitz des edeln Metalls, sondern war nur der Ausdruck seiner Leidenschaft für Entdeckungen und der einer rauschähnlichen Befriedigung, die kühnsten Träume, die seine Phantasie erfüllten, verwirklichen zu können.

Und seine Phantasie mußte wohl fast überreizt werden durch die Nachrichten aus den bergigen Claims an der Bonanza, dem Eldorado und dem Little Skokum.

Dort wusch jeder Arbeiter in einer Stunde bis hundert Dollars aus! Dort gewann man achttausend Dollars aus einem Loche von vierundzwanzig Fuß Länge und vierzehn Fuß Breite! Ein Londoner Syndikat hatte zwei Claims am Bear und am Dominion für siebzehnhundertfünfzigtausend Francs erstanden! Der Placer Nummer 26 am Eldorado war für zwei Millionen Francs erworben und die Arbeiter entnahmen ihm jeder und jeden Tag den Wert von sechzigtausend Francs! Am Dome, an der Wasserscheide zwischen dem Klondikeflusse und dem Indian River, prophezeite der in solchen Dingen erfahrne Mr. Ogilvie eine Gesamtausbeute, die hundertfünfzig Millionen Francs übersteigen sollte!

Ben Raddle war aber, trotz dieser verlockenden Luftspiegelung, vielleicht klug und weise gewesen, nicht zu vergessen, was der protestantische Pfarrer von Dawson City einem Franzosen, Amès Semiré, einem der Reisenden gesagt hatte, der die goldführenden Landstrecken einst gründlichst durchforscht hatte.

»Bevor Sie aufbrechen – lauteten seine Worte – müssen Sie sich allemal ein Bett in meinem Krankenhause bestellen. Packt dann das Goldfieber auf [248] [251]der Reise auch Sie, so werden Sie das nicht bedauern. Wenn Sie erst auch nur wenige Goldflitterchen gefunden haben – und die liegen hierzulande überall umher – werden Sie sich unvermeidlich übermäßigen Anstrengungen aussetzen. Dann verfallen Sie rettungslos dem Skorbut oder etwas dem Ähnlichen. Für einen Jahresbeitrag von zweihundert Francs gewähre ich ein Abonnement, das zu einer Lagerstelle und zu kostenloser ärztlicher Behandlung berechtigt. Alle Welt geht diese Versicherung ein. Hier ist Ihre Abonnementsbescheinigung.«

Ben Raddle hatte sich bald überzeugt, daß es ihm im Krankenhause von Dawson City in keiner Weise an sorgfältiger Pflege fehlte. Würde seine unbesiegliche Abenteuerlust ihn aber nicht zu frühzeitig weit von Dawson City weglocken, hinaus nach den noch unerforschten Gebieten, wo man immer neue Goldlager entdeckte?


Da... da liegt ein Mensch! rief sie. (S. 252.)

Summy Skim hatte sich inzwischen bei der Polizei nach den Texanern Hunter und Malone erkundigt und ob diese nach der Katastrophe am Forty Miles Creek wieder irgendwo aufgetaucht wären.

Die Antwort lautete verneinend. Weder der eine noch der andre war nach Dawson City zurückgekehrt, wo das wegen der bei ihnen gewöhnlichen Ausschreitungen nicht unbemerkt geblieben wäre. Man hätte sie hier sonst bestimmt in den Kasinos, den Spielhöllen oder an andern solchen Vergnügungsstellen angetroffen, wo sie gern die erste Geige spielten. Möglicherweise waren sie schon bei dem ersten Erdbeben am Forty Miles Creek umgekommen oder von der danach eintretenden Überschwemmung mit fortgerissen worden. Da man aber keinen der auf dem Claim 131 beschäftigten Amerikaner wiedergesehen hatte und doch nicht annehmen konnte, daß alle bei dem entsetzlichen Naturereignis umgekommen wären, war die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß Hunter und Malone sich mit ihrer Arbeiterschar nach den Lagerstätten von Circle City und vom Birch Creek zurückbegeben haben könnten, wo sie ihre Goldgräberarbeit früher begonnen hatten.

Anfangs Oktober konnte Ben Raddle das Bett verlassen. Doktor Pilcox war über diesen Erfolg seiner Behandlung ordentlich stolz, obgleich Edith dazu ebensoviel beigetragen hatte wie er selbst.

Wenn der Ingenieur aber jetzt aufstehen durfte, mußte er sich doch noch gewissen Beschränkungen unterwerfen, und z. B. eine Reise von Dawson City nach Skagway hätte er in keinem Falle aushalten können. Der erste Winterschnee fiel jetzt in reichlicher Menge, die Flüsse singen an zuzufrieren und die Schifffahrt [251] war auf dem Yukon ebenso geschlossen wie auf den Binnenseen. Die Mitteltemperatur ging bereits auf fünfzehn Grad unter Null hinab und sank später voraussichtlich auf fünfzig bis sechzig Grad.

Die beiden Vettern hatten jetzt ein Zimmer in einem Hotel der Front Street bezogen und im French Royal Restaurant nahmen sie ihre Mahlzeiten ein, die freilich nicht durch die frühere Heiterkeit gewürzt waren. Sie sprachen nur wenig, doch auch bei dieser gedrückten Stimmung kam die Verschiedenheit ihres Charakters wiederholt deutlich zum Ausdruck.

»Das Schlimmste an der ganzen Geschichte, sagte da zuweilen Summy Skim, den Kopf schüttelnd, bleibt es doch, daß wir Dawson City nicht vor Eintritt des Winters haben verlassen können!«

Und dann antwortete Ben Raddle regelmäßig:

»Noch schlimmer ist es vielleicht, daß wir unsern Claim nicht vor jener Katastrophe verkauft hatten, und vor allem, daß es uns nun unmöglich ist, dessen Ausbeutung fortzusetzen.«

Um keine nutzlose Auseinandersetzung hierüber aufkommen zu lassen, nahm Summy Skim nach solchen Worten seine Jagdflinte vom Haken, rief Neluto herbei und begab sich mit ihm in die Umgebung der Stadt.

Noch verfloß ein Monat, der sich durch ganz außerordentliche Schwankungen der Thermometersäule kennzeichnete. Diese fiel einmal auf dreißig bis vierzig Grad und stieg dann wieder, je nach der Richtung des Windes, bis auf fünfzehn, sogar bis zwölf Grad unter Null.

Im Laufe dieses Monats machte die Genesung Ben Raddles die erfreulichsten Fortschritte. Bald war er auch imstande, in Begleitung Summy Skims täglich ausgedehntere Ausflüge zu unternehmen, bei denen sich, an Stelle ihrer durch ihre Dienstpflichten abgehaltenen Cousine, Jane Edgerton zu beteiligen liebte. Es war ein wirkliches Vergnügen für die drei Leutchen, entweder aufs Geratewohl umherzuwandeln, wenn die Ruhe der Luft das erlaubte, oder warm angekleidet im Schlitten über den erhärteten Schnee hinzufliegen.

Eines Tages – es war am 17. November – befanden sich die drei, diesmal zu Fuß, einmal etwa eine Lieue nördlich von Dawson City. Summy Skim hatte Glück auf der Jagd gehabt und schon sollte der Rückweg angetreten werden, als Jane Edgerton plötzlich stehen blieb und nach einem etwa fünfzig Schritt von ihnen entfernten Baum hinwies.

»Da... da liegt ein Mensch! rief sie.

[252] – Ein Mensch?« wiederholte Summy Skim.

Wirklich lag dort neben einer Birke im Schnee ausgestreckt ein Mann, der keinerlei Bewegung machte. Ohne Zweifel war er tot, wahrscheinlich erfroren, denn es herrschte eben eine strenge Kälte.

Die drei Wandrer gingen auf den Mann zu. Der Unbekannte schien etwa vierzig Jahre alt zu sein. Seine Augen waren geschlossen und seine Gesichtszüge verrieten, daß er schwer gelitten haben mochte. Er atmete zwar noch, doch nur so schwach, daß er voraussichtlich dem Tode schon sehr nahe war.

Als ob sich das von selbst verstände, nahm Ben Raddle die weitre Leitung der erforderlichen Maßregeln in die Hand.

»Du, Summy, sagte er kurz, du wirst dich bemühen, einen Wagen irgendwelcher Art aufzutreiben. Ich, ich laufe inzwischen nach dem nächsten Hause, um womöglich eine Herzstärkung für den Armen zu finden. Inzwischen wird Fräulein Jane den Kranken mit Schnee abreiben und alles versuchen, ihn wieder zu beleben.«

Seine Anordnungen wurden sofort befolgt. Ben Raddle machte sich auf den Weg; Summy Skim war schon auf und davon und eilte, was er konnte, auf Dawson City zu.

Bei dem Unbekannten allein zurückgelassen, zögerte Jane keinen Augenblick, diesen kräftig abzureiben. Sie begann da mit dessen Gesicht und knöpfte dann den groben Kaftan des Mannes auf, um ihm die Schultern und die Brust frottieren zu können.

Da glitt aus einer von seinen Taschen ein ledernes Notizbuch, aus dem sich mehrere Papiere auf dem Erdboden verstreuten. Eins davon erregte vorzüglich die Aufmerksamkeit Janes, so daß sie es aufhob und einen Blick darauf warf. Es war ein zweimal zusammengefaltetes Blatt Pergament, das im Laufe der Zeit an den Rändern stark mitgenommen erschien. Aufgeschlagen, erwies es sich als eine geographische Karte, als die einer Seeufergegend, doch mit keiner andern Lagenbezeichnung als einem Breitengrade, einem Meridian und einem großen roten Kreuz an einem Punkte der unbekannten Küste.

Jane faltete das Blatt wieder zusammen und las, nachdem sie es ohne weitre Überlegung in ihre Tasche gesteckt hatte, die andern Papiere zusammen, die sie wieder in das Notizbuch steckte, und dann begann sie aufs neue mit den Abreibungen, deren gute Wirkung nicht zu verkennen war. Der Kranke begann sich leise zu bewegen. Seine Augenlider hoben und senkten sich abwechselnd und [253] seinen bläulichen Lippen entflohen einzelne kaum hörbare Worte, während seine Hand, die ihm vorher auf der Brust gelegen hatte, die Jane Edgertons leise drückte. Als sich das junge Mädchen niederbeugte, konnte sie einige ihr sinnlos erscheinende Worte verstehen.

»Da... flüsterte der Sterbende... Brieftasche... Geb' sie Ihnen... Goldvulkan... Danke Ihnen... Meine Mutter...«

Eben kam Ben Raddle zurück und von der Straße her hörte man das Geräusch eines Wagens, der in schneller Fahrt näher kam.

»Sehen Sie hier, was ich gefunden habe,« sagte Jane, indem sie dem Ingenieur die Brieftasche des Sterbenden einhändigte.

Diese enthielt im übrigen nur Briefe, die alle an denselben Empfänger, einen Herrn Jacques Ledun, gerichtet und von Nantes oder von Paris aus abgesendet waren.

»Wie... ein Franzose?« rief Ben Raddle.

Eine Minute später war der wieder in tiefe Bewußtlosigkeit verfallene Mann auf dem von Summy besorgten Wagen niedergelegt und dann ging es mit verhängtem Zügel auf das Krankenhaus von Dawson City zu.

2. Kapitel
Zweites Kapitel.
Die Geschichte des Sterbenden.

Nach wenigen Minuten war das Gefährt beim Hospital angelangt. Der Mann, den es mitbrachte, wurde hineingetragen und in demselben Zimmer niedergelegt, das auch Ben Raddle bis zu seiner Genesung eingenommen hatte. Der Kranke hatte damit den Vorteil, von den übrigen Hospitaliten mehr abgesondert zu liegen, eine Begünstigung, die er Summy Skim verdankte, der dazu seine »hohen Verbindungen« ins Treffen geführt hatte.

»Es ist ein Franzose, fast ein Landsmann, hatte er zu Jane Edgerton gesagt. Was Sie für meinen Ben getan haben, das bitte ich Sie auch für ihn [254] zu tun; ich hoffe, Doktor Pilcox werde ihn ebenso wieder gesund machen, wie er meinen Vetter wiederhergestellt hat.«

Der Arzt zögerte nicht, sich zu dem neuen Insassen des Hauses zu begeben. Der Franzose hatte das Bewußtsein noch nicht wieder erlangt und seine Augen waren noch geschlossen. Der Doktor Pilcox konstatierte an ihm einen sehr schwachen Pulsschlag und eine kaum fühlbare Atembewegung. Eine Verletzung war an dem durch Entbehrung, Anstrengung und Elend stark abgemagerten Körper nicht nachzuweisen, kein Zweifel, daß der Arme vor Erschöpfung am Fuße des Baumes zusammengebrochen war, wo man ihn aufgefunden hatte, und sicherlich wäre er durch die Kälte umgekommen, wenn er die ganze Nacht ohne Hilfe und Unterkunft geblieben wäre.

»Der Mann ist wenigstens schon halb erfroren,« erklärte Doktor Pilcox.

Man umhüllte ihn mit Decken und legte Wärmflaschen neben ihn, gleichzeitig erhielt er warmes Getränk und wurde kräftig abgerieben, um den Blutumlauf zu fördern. Alles, was in solchen Fällen zu tun war, wurde unverzüglich getan, doch konnte ihn zunächst nichts aus seinem halbtoten Zustand aufrütteln.

Ob der anscheinend dem Tode verfallene Mann doch vielleicht noch zu neuem Leben erwachte?... Doktor Pilcox zauderte, sich darüber auszusprechen.

Nach der von seiner Mutter Hand herrührenden Adresse all der Briefe, die sich bei dem Verunglückten vorfanden, lautete sein Name, wie wir wissen, Jacques Ledun. Der letzte, dem Poststempel nach aus Nantes stammende Brief war schon fünf Monate alt. Die Mutter schrieb darin an ihren Sohn in Dawson City, Klondike. Sie bat zugleich um eine Antwort, die vielleicht noch nicht erfolgt war.

Ben und Summy lasen diese Briefe und gaben sie dann an Edith und Jane Edgerton weiter. Alle empfanden dabei eine tiefe Rührung. Die beiden Männer verbargen sie wohl unter einem krampfhaften Festhalten der Gesichtsmuskeln, die jungen Mädchen aber ließen in warmem Mitgefühl ihren Tränen freien Lauf. Jede Zeile verriet die innigste mütterliche Liebe, alle bildeten eine ununterbrochene Reihe von guten Ratschlägen, Liebkosungen und Warnungen. Jacques sollte sorgsam auf sich achten, vor allem aber bald zurückkehren und auf die abenteuerliche Jagd nach Schätzen dieser Welt verzichten. So flehte die weit entfernte Mutter den Sohn an, sie, die auch der Armut spottete, wenn diese nur von zweien getragen wurde.

[255] Die Briefe lieferten jedenfalls zuverlässige Auskunft über die Absenderin, so daß man ihr, wenn der Empfänger stürbe, wenigstens Nachricht über das Unglück geben konnte, das sie betroffen hätte.

Aus den Briefen – es waren ihrer zehn – ging hervor, daß Jacques Ledun Europa vor zwei Jahren verlassen, sich aber nicht sofort nach Klondike begeben hatte, um hier das Gewerbe eines Prospektors zu betreiben. Der Inhalt einiger Briefe wies darauf hin, daß er sein Glück zuerst an den Goldlagerstätten Ontarios und Columbias gesucht hatte. Dann erst hatte er sich, durch die ans Wunderbare streifenden Mitteilungen der Zeitungen aus Dawson City angelockt, dem dahin eilenden Zuge der Goldgräber angeschlossen. Übrigens schien es nicht so, als ob er selbst Besitzer eines Claims gewesen wäre, denn seine Brieftasche enthielt kein Übertragungszertifikat und überhaupt keine amtliche Beurkundung, sondern nichts als die eben gelesenen Briefe.

Und doch war eine solche vorhanden, sie befand sich nur nicht in der Brieftasche, sondern im Besitze Jane Edgertons, die augenblicklich gar nicht daran dachte, ihrer Cousine und ihren Freunden davon Mitteilung zu machen. Erst spät am Abend, als sie sich niederlegen wollte, erinnerte sie sich der seltsamen Urkunde und nachdem sie sie unter dem Schein der Lampe ausgebreitet hatte, bemühte sie sich um deren Enträtselung, als ob es gegolten hätte, einen Rebus zu lösen.

Die Urkunde war eigentlich, wie sie vorausgesetzt hatte, nur eine Landkarte. Unregelmäßig verlaufende Bleistiftlinien bezeichneten offenbar eine Meeresküste, wo ein Strom mündete, der in der Nähe mehrere Nebenflüsse hatte. Nach der natürlichen Orientation der Karte zu urteilen, schien der Wasserlauf sich dem Nordwesten zuzuwenden. Wäre das etwa der Yukon oder sein Nebenarm, der Klondike? Nein, das erschien nicht annehmbar. Nach dem Charakter der Karte konnte es sich nur um das Eismeer und eine jenseits des nördlichen Polarkreises liegende Gegend handeln. An der Kreuzung eines mit 136°15' bezeichneten Meridians und eines der Zahl nach nicht kenntlich gemachten Breitengrades war das rote Kreuz eingezeichnet, das Jane Edgertons Aufmerksamkeit vom Anfang an erregt hatte. Vergeblich bemühte sie sich, das vorliegende Problem zu durchschauen. Ohne Kenntnis der Nummer des Breitengrades war es ja unmöglich, zu wissen, welchen Teil Nordamerikas die Karte darstellte, und besonders, an welchem Punkte des Landes das geheimnisvolle rote Kreuz zu suchen wäre.

[256] [259]War nun Jacques Ledun auf dem Wege nach dieser Gegend gewesen oder schon auf dem Rückwege von da begriffen, als er wenige Kilometer von Dawson City kraftlos zusammengebrochen war? Das würde freilich niemals offenbar werden, wenn der Tod den unglücklichen Franzosen hinwegraffte, ohne daß dieser wieder zum Bewußtsein gekommen war.

Es erschien nicht zweifelhaft, daß Jacques Ledun einer Familie angehörte, die schon eine gewisse gesellschaftliche Stellung einnahm. Ein einfacher Arbeiter war er offenbar nicht, dafür zeugten die in gutem Stil abgefaßten Briefe seiner Mutter. Durch welche Wechselfälle, welches Unglück mochte er aber zu seiner jetzigen Entblößung von allem heruntergekommen sein, zu dem traurigen Lebensende im Bette eines Krankenhauses?

Einige Tage verstrichen. Trotz aller Jacques Ledun gewidmeten Sorgfalt und Pflege hatte sich sein Zustand nicht gebessert. Kaum vermochte er auf an ihn gerichtete Fragen nur einzelne, fast unverständliche Worte zu murmeln; ja man konnte sich wohl fragen, ob er überhaupt wieder einigermaßen zu Verstande gekommen wäre.


Unterwegs lebten sie vom Ertrage der Jagd... (S. 263.)

»Leider ist zu befürchten, äußerte hierzu der Doktor Pilcox, daß der Geist unsres Kranken eine heftige Erschütterung erlitten hat. Wenn sich seine Augen ein wenig öffnen, bemerke ich darin einen recht abwesenden Blick, der mir zu denken gibt.

– Doch wie steht's mit seinem Körperzustande, erkundigte sich Summy Skim, bessert auch der sich nicht?

– Der scheint mir noch bedrohlicher zu sein als seine geistige Störung,« erklärte der Arzt ohne Zögern.

Wenn sich der sonst so vertrauensselige Doktor Pilcox in dieser Weise aussprach, hatte er gewiß wenig Hoffnung auf eine Wiedergenesung Jacques Leduns.

Ben Raddle und Summy Skim wollten jedoch noch nicht verzweifeln. Ihrer Meinung nach müßte mit der Zeit eine Änderung des Zustandes zum Bessern eintreten und wenn Jacques Ledun auch die volle Gesundheit nicht wieder erlangte, so würde doch seine Intelligenz wieder erwachen, er würde sprechen, würde antworten können.

Einige Tage später schien die Entwicklung der Dinge ihnen recht geben zu wollen. Es sah so aus, als ob Doktor Pilcox von der Wirkung seiner Arzneien zu wenig erwartet hätte. Schon machten sich Andeutungen zu der von [259] Ben Raddle so ungeduldig erwarteten Reaktion bemerkbar. Der Zustand der Erschlaffung Jacques Leduns war nicht mehr so ausgesprochen vorhanden. Seine Augen blieben jetzt längere Zeit geöffnet. Sein sichrerer Blick schien zu fragen und bewegte sich mit Erstaunen durch das ihm unbekannte Zimmer oder traf die Personen, die sich nahe bei ihm aufhielten: den Arzt, Ben Raddle, Summy Skim, nebst Edith und Jane Edgerton.

War der Unglückliche nun als gerettet anzusehen?

Der Doktor schüttelte den Kopf verneinend. Ein Arzt konnte sich durch jene täuschenden Erscheinungen nicht irreführen lassen. Wenn die Geistestätigkeit auch noch einmal aufflackerte, so war das doch am Vortage ihres Erlöschens. Diese Augen, die sich noch einmal geöffnet hatten, würden sich bald für immer schließen. Das Ganze war nur eine letzte Auflehnung des Lebens, das vergeblich gegen seine nahe Vernichtung ankämpfte.

Edith hatte sich vorgebeugt, um die Worte zu vernehmen, die Jacques Ledun mit schwacher, oft von Seufzern unterbrochner Stimme hinmurmelte. Auf eine Frage, die man mehr erraten mußte, als man sie verstand, antwortete Edith:

»Sie befinden sich in einem Zimmer des Krankenhauses.

– Wo denn? fragte der Kranke, der sich dabei sogar aufzurichten versuchte.

– In Dawson City. Vor sechs Tagen sind Sie in bewußtlosem Zustande auf der Landstraße gefunden und hierhergebracht worden.«

Die Lider Jacques Leduns sanken einen Augenblick hernieder. Es schien, als ob die Anstrengung ihn erschöpft hätte. Der Doktor ließ ihm ein paar Tropfen eines anregenden Getränks geben, die das Blut nach seinen Wangen zurückführten und es ihm ermöglichten, wieder zu sprechen.

»Wer sind Sie? fragte er.

– Kanadier, antwortete Summy Skim, fast richtige Franzosen. Vertrauen Sie uns getrost. Wir werden Sie retten.«

Der Kranke lächelte kaum sichtbar und sank auf seine Kissen zurück. Ohne Zweifel fühlte er, daß der Tod ihm nahe sei, denn aus seinen geschlossenen Augen quollen schwere Tränen, die eine nach der andern auf das tief eingefallne Gesicht hinabrannen.

Auf den Rat des Doktors hin verschonte man ihn mit weiteren Fragen; jedenfalls war es besser, ihn vorläufig ruhen zu lassen. Der oder jener sollte an seinem Bette wachen und zur Hand sein, dem Kranken zu antworten, wenn dieser sich wieder soweit erholt hätte, um sprechen zu können.

[260] Die beiden folgenden Tage brachten weder eine Besserung noch eine Verschlimmerung in dem Zustande Jacques Leduns. Seine Schwäche blieb immer dieselbe und es war zu befürchten, daß er sie nicht zu überwinden vermögen werde. In längeren Zwischen räumen konnte er jedoch, wenn er sich mit Anstrengung aufraffte, wieder sprechen und Antwort geben auf die Fragen, die er selbst hervorzulocken schien Man fühlte es dabei heraus, daß er wohl noch mancherlei zu sagen haben möge.

Nach und nach gelang es auch, ebensoviel nach dem, was er in lichten Augenblicken freiwillig erzählte, wie aus den Brocken, die er in seinem Delirium äußerte, die Geschichte dieses Franzosen kennen zu lernen. So manches aus seinem Leben blieb freilich auch dabei noch in Dunkel gehüllt. Darüber zum Beispiel, was er in Klondike machte oder vorhatte, woher er kam oder wohin er ging, als er nahe bei Dawson niedergesunken war, erhielt man noch keinerlei Aufklärung.

Jacques Ledun war ein Bretone aus Nantes, etwa zweiundvierzig Jahre alt und von Natur von so kräftiger Konstitution, daß diese nur unter den schlimmsten Entbehrungen so weit hatte zusammenbrechen können.

Seine Mutter, die Witwe eines durch tollkühne Spekulationen ruinierten Agenten, wohnte noch in der genannten Stadt, wo sie gegen die zunehmende Verarmung einen täglich ungleicheren Kampf unterhielt.

Von Kindheit an hatte Jacques Ledun in sich den Beruf zum Seemann gefühlt. Eine ernste Krankheit, die ihn gerade befiel, als er in der Navigationsschule kurz vor der Entlassungsprüfung stand, hatte ihn aber beim ersten Schritte zu dieser Laufbahn aufgehalten. Da er dabei das für den Eintritt in die Marine zulässige Alter überschritten hatte, mußte er auf einem Handelsschiffe Dienst als Steuermann annehmen und nach mehreren Reisen nach Melbourne, Westindien und San Francisco erwarb er den Rang eines Kapitäns für die lange Fahrt. Dadurch gelang es ihm doch noch, als Hilfsoffizier in der Kriegsflotte Stellung zu finden.

Drei Monate hatte da sein Dienst gedauert, als er einsah, daß ein Seemann, wenn ihm nicht eine im ganzen so seltene Gelegenheit geboten war, sich besonders auszuzeichnen, doch niemals so weit vorwärts kommen würde wie die aus dem »Borda« hervorgegangenen Schiffsoffiziere; er reichte deshalb seine Entlassung ein und suchte sich wieder eine Stellung in der Handelsflotte.

Ein Kommando war nur schwer zu bekommen und so mußte er sich bequemen, als Obersteuermann auf einem Segelschiffe anzutreten, das regelmäßig nach den Meeren des Südens und zurück fuhr.

[261] So verliefen vier Jahre. Er hatte das neunundzwanzigste Jahr erreicht, als sein Vater starb und seine Mutter in höchst bedrängten Verhältnissen zurückließ. Vergeblich gab sich Jacques Ledun alle Mühe, seine Stellung als Obersteuermann mit der eines Kapitäns zu vertauschen. Der Mangel an Geldmitteln verhinderte ihn, sich, wie das allgemein Gebrauch war, an dem Schiffe, dessen Führung er zu übernehmen strebte, als Mitreeder zu beteiligen, und so mußte er wie bisher Obersteuermann bleiben. Eine wie wenig aussichtsreiche Zukunft eröffnete ihm diese Lage der Dinge und wie würde er je zu dem, wenn auch nur bescheidnen Vermögen kommen, das er immer im Interesse seiner Mutter einmal zu erwerben hoffte!

Seine Reisen hatten ihn nach Australien und Kalifornien geführt, wohin die Goldfunde so viele Einwandrer anlockten. Wie gewöhnlich, ist es aber immer nur der kleinste Teil, der in diesen Ländern Schätze sammelt, während die größte Mehrzahl da nur Elend und Untergang findet. Verblendet durch das Beispiel der wenigen vom Glücke Begünstigten, entschloß sich auch Jacques Ledun, auf dem so gefahrvollen Wege der Goldgräberei sein Glück zu suchen.

Jenerzeit lenkte sich die größte Aufmerksamkeit den Minen der Dominion zu, schon bevor die Metallschätze durch die Entdeckungen in Klondike einen so erstaunlichen Zuwachs erfahren hatten. Doch auch in andern, weniger entlegnen und leichter zugänglichen Teilen Kanadas fanden sich goldführende Gebiete, deren Ausbeutung unter den günstigsten Umständen vor sich ging, ohne durch die schrecklichen Winter des Yukontales unterbrochen zu werden. Eine dieser Minen, vielleicht die bedeutendste von allen, der Roi genannt, hatte damals binnen zwei Jahren einen Reinertrag von vier Millionen fünfmalhunderttausend Francs geliefert.

In den Dienst dieser Gesellschaft trat Jacques Ledun zunächst ein.

Der freilich, der darauf beschränkt ist, die Arbeit seines Gehirns oder seiner Hände zu verkaufen, der wird dabei niemals reich. Was der mutige, nur etwas unkluge Franzose träumte, durch ein glückliches Geschick schnell ein gewisses Vermögen zu erwerben, erwies sich auf dem Festlande ebenso unerfüllbar wie auf dem Meere. Ob Arbeiter oder Angestellter... er blieb sein Leben lang doch nur verurteilt, sich recht und schlecht durchzuschlagen.

Da verbreiteten sich die ersten Gerüchte von neuen Entdeckungen in dem vom Yukon bewässerten Landstriche. Der Name Klondike verblendete viele ebenso, wie die Namen Kalifornien und Australien und Transvaal sie verblendet hatten.

[262] In Massen strömten die Goldgräber hinauf nach Norden und Jacques Ledun schloß sich ihnen hoffnungsfreudig an.

Als er noch auf den Lagerstätten Ontarios arbeitete, hatte er unter andern einen gewissen Harry Brown, einen Kanadier von englischer Abkunft, kennen gelernt. Beide waren von dem nämlichen Ehrgeiz beseelt, von dem nämlichen Verlangen nach Erfolg erfüllt. Dieser Harry Brown war es, der Jacques Ledun veranlaßte, seine Stellung aufzugeben und ins Unbekannte hinauszuziehen. Mit den mäßigen Ersparnissen, über die sie verfügen konnten, brachen die beiden also nach Dawson City auf.

Da sie entschlossen waren, diesmal für eigne Rechnung zu arbeiten, sahen sie vernünftigerweise ein, daß sie sich dann nicht nach den schon allzubekannten Gebieten der Bonanza, des Eldorado oder des Sixty Miles oder Forty Miles Creek begeben dürften. Selbst wenn für die Claims daselbst noch keine unerschwinglichen Preise verlangt worden wären, hätten neue Ankömmlinge dort doch kaum noch eine freie Stelle gefunden. Man machte sich die Placers aber schon um Millionen von Dollars streitig. So hieß es also weitergehen, nach dem Norden Alaskas oder der Dominion, weit hinauf jenseits des Großen Flusses in fast noch unbekannte Gegenden, von wo einzelne wagemutige Prospektoren von dem Vorhandensein neuer Goldmengen berichteten. Sie mußten sich jedenfalls dahin wenden, wohin noch niemand gekommen war, mußten herrenlose Lagerstätten entdecken, die dem ersten gehörten, der sie für sich in Beschlag nahm.

Das hatten sich Jacques Ledun und Harry Brown reiflich überlegt.

Ohne Werkzeuge, ohne Hilfskräfte verließen sie Dawson City noch mit so vielen Geldmitteln, daß sie ihren Unterhalt damit auf etwa achtzehn Monate bestreiten konnten. Unterwegs lebten sie vom Ertrage der Jagd und zogen so aufs Geratewohl nordwärts über den Yukon durch ein fast ganz unbekanntes Land, das bis über den Polarkreis hinausreicht.

Es war zu Sommersanfang, als Jacques Ledun aufbrach, fast genau sechs Monate vor dem Tage, wo er, dem Tode nahe, dicht bei Dawson City gefunden wurde. Wie weit die beiden Abenteurer bei ihrer Wanderung gekommen, ob sie bis zur Grenze des Festlands an der Eismeerküste vorgedrungen wären, das wußte niemand. Ob sie eine Entdeckung gemacht hätten, die ihrer Mühe lohnte, das schien nicht so, wenn man nach der Mittellosigkeit des einen von ihnen urteilte. Von den beiden Genossen, die auf dem Rückwege von den Eingebornen überfallen worden waren, hatte nur Jacques Ledun das Leben retten [263] können, indem er alles, was er besaß, den Angreifern überließ. Harry Brown war unter ihren Streichen gefallen und seine Gebeine bleichten jetzt schon am Rande des Weges in jener verlassenen Gegend.

Das waren die Mitteilungen, die man bisher hatte erhalten können, die traurige Geschichte, die man auch nur brockenweise zu hören bekam, wenn der Kranke einige lichte Augenblicke hatte, denn wie Doktor Pilcox vorausgesehen hatte, nahm dessen Schwäche Tag für Tag weiter zu.

Was das Ergebnis seines Zuges in die Wildnis gewesen wäre, welche Gegend Jacques Ledun und Harry Brown erreicht hätten und aus der sie zurückkehrten, als die Indianer sie überfielen... das waren ebensoviele Geheimnisse, die in dem Grabe, worin der arme Franzose voraussichtlich bald die letzte Ruhestätte fand, für immer unenthüllt zu bleiben drohten.

Und doch gab es eine Art Dokument, das trotz seiner Unvollständigkeit über die Geschichte Leduns genügend Aufklärung gegeben hätte Jane dachte wohl öfters an dieses Blatt Papier, von dem außer ihr niemand Kenntnis hatte. Welchen Gebrauch sie davon noch machen würde, das sollte von den Umständen abhängen. Natürlich würde sie es wieder Jacques Ledun einhändigen, wenn dieser seine Gesundheit doch noch wiedererlangte. Wenn er aber nun starb? Inzwischen bemühte sich Jane trotz aller Anstrengung vergeblich, das spannende Geheimnis zu enthüllen. Daß die Landkarte die der Gegend war, wo der Franzose und sein Begleiter den letzten Sommer zugebracht hatten, unterlag wohl keinem Zweifel. Doch welche Gegend war das?... Wo verlief dieser Creek, dessen vielgewundne Linie sich von Südosten nach Nordwesten schlängelte? War das ein Nebenfluß des Yukon, des Koyukuk oder der Porcupine?

Als Jane eines Tags mit dem Kranken allein war, breitete sie vor dessen Augen die Karte aus, die doch jedenfalls von seiner Hand gezeichnet war. Jacques Leduns Blick wurde lebendiger und richtete sich einen Augenblick auf das rote Kreuz, das die Neugier der jungen Prospektorin im höchsten Maße erregt hatte. Diese war überzeugt, daß das Kreuz die Stelle einer wichtigen Entdeckung bezeichnete Der Kranke schob aber die ihm vorgewiesene Karte bald wieder von sich und schloß dann die Augen, ohne daß ein einziges Wort von ihm weitre Aufklärung über das interessante Geheimnis gegeben hätte.

Ob ihm vielleicht die Kraft zum Sprechen fehlte? Oder wollte er das Geheimnis nur bis zu seinem Ende bewahren? Wohnte im Grunde dieser Seele, die sich schon anschickte, aus dem erschöpften Körper zu entfliehen, doch noch die [264] leise Hoffnung, zum Leben zurückzukehren? Vielleicht wollte sich der Unglückliche den Preis für seine Bemühungen bewahren, vielleicht sagte er sich auch, daß er doch noch einmal zu seiner Mutter zurückkehren und dieser ein für sie erworbenes Vermögen mitbringen würde.

So vergingen wiederum mehrere Tage. Jetzt herrschte die kalte Jahreszeit in all ihrer Strenge. Wiederholt sank die Temperatur bis auf fünfzig Zentigrad unter Null und es war da unmöglich, der Kälte im Freien zu trotzen. In den Stunden, die sie nicht im Krankenhause zubrachten, verweilten die beiden Vettern in ihrem Zimmer. Nur zuweilen und nachdem sie sich bis über die Ohren in dickes Pelzwerk gehüllt hatten, begaben sie sich nach einem der Kasinos, wo jetzt ein sehr geringer Verkehr war, da sich die meisten Goldgräber vor Eintritt der strengsten Kälte nach Dyon, Skagway oder Vancouver zurückbegeben hatten.

Vielleicht hatten auch Hunter und Malone in einer dieser Städte Zuflucht gesucht. Gewiß war nur das eine, daß sie seit der Katastrophe am Forty Miles Creek niemand wiedergesehen hatte und daß sie auch nicht zu den Opfern des Erdbebens gehörten, da diese inzwischen alle rekognosziert worden waren.

In diesen häufig von tollem Schneetreiben unterbrochenen Tagen konnte Summy Skim natürlich nicht ausziehen, um mit dem getreuen Neluto die in der Umgebung von Dawson City umhertrottenden Bären zu verfolgen. Er sah sich wie alle andern genötigt, sich einer fast vollständigen Klausur zu unterwerfen, der Ursache der infolge der außerordentlichen Erniedrigung der Temperatur herrschenden Krankheiten, die die Stadt in der schlechten Jahreszeit allemal so schwer heimsuchten. Das Hospital genügte gar nicht mehr, die ihm zugeführten Kranken aufzunehmen, und der Platz, der in der Stube Jacques Leduns jedenfalls bald frei wurde, würde bestimmt sofort wieder besetzt werden.

Vergeblich hatte der Doktor Pilcox alles versucht, dem armen Franzosen wieder zu Kräften zu verhelfen. Die Arzneien schienen jedoch bei ihm alle Wirkung verloren zu haben, und sein Magen vertrug auch keinerlei Nahrung mehr Das Leben entwich sichtlich mit jedem Tage, mit jeder Stunde mehr und mehr aus dem bis aufs äußerste erschöpften Organismus.

Am Morgen des 30. November trat bei Jacques Ledun eine so schwere Krise ein, daß man glauben konnte, er werde sie nicht mehr überstehen. Er wurde höchst unruhig und trotz seiner Schwäche konnte man ihn nur mit einiger Gewalt in seinem Bette zurückhalten. Eine Beute der schlimmsten Delirien, stieß [265] er einzelne, doch immer dieselben Worte aus, jedenfalls ohne selbst zu wissen, was er sagte.

»Dort!... Der Vulkan!... Der Ausbruch... Gold... eine goldne Lava!«

Dann schrie er fast wie in höchster Verzweiflung:

»Mutter... Mutter... für dich!«

Nach und nach beruhigte sich seine Aufregung und der Unglückliche verfiel vor Ermattung in einen tiefen Schlaf. Das Leben in ihm verrieten nur noch seine kurzen, oberflächlichen Atemzüge. Der Arzt hielt es für ausgeschlossen, daß der Kranke noch einen zweiten derartigen Anfall aushalten könnte.

Am Nachmittag fand ihn Jane Edgerton, die neben seinem Bette Platz genommen hatte, bedeutend ruhiger. Er schien sogar das volle Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Ohne Zweifel war eine wesentliche Besserung des Zustandes eingetreten, wie man sie ja nicht selten vor der endlichen Auflösung beobachtet.

Jacques Ledun lag wieder mit geöffneten Augen da. Sein eigentümlich starrer Blick schien die Augen des jungen Mädchens zu suchen. Offenbar hatte er etwas auf dem Herzen, was er aussprechen wollte. Jane beugte sich nieder, um die kaum hörbaren Worte zu verstehen, die die Lippen des Sterbenden murmelten.

»Die Karte... sagte Jacques Ledun.

– Hier ist sie,« antwortete Jane lebhaft, während sie das Blatt seinem rechtmäßigen Eigentümer einhändigte.

Wie er es früher getan hatte, schob er auch jetzt das Dokument wieder zurück.

»Ich schenke es, murmelte er. Da... da... Das rote Kreuz... ein Goldvulkan...

– Wem schenken Sie diese Karte?

– Ihnen.

– Mir?

– Ja... unter der Bedingung, daß Sie... meiner Mutter gedenken.

– Ihrer Mutter? Sie wollen Ihre Mutter meiner Vorsorge empfehlen?

– Ja.

– Zählen Sie auf mich. Was soll ich aber mit Ihrer Karte beginnen?... Ich verstehe nicht, was sie bedeuten soll.«

Der Sterbende schien sich noch einmal aufzuraffen und nach kurzem Schweigen sagte er:

[266] »Ben Raddle...

– Sie wollen Herrn Raddle sehen?

– Ja.«

Schon nach wenigen Augenblicken stand der Ingenieur am Lager des Kranken, der Jane Edgerton durch ein Zeichen zu verstehen gab, daß er mit diesem allein zu sein wünschte.

Nachdem er dann unsicher tastend die Hand Ben Raddles ergriffen hatte, sagte Jacques Ledun:

»Ich werde sterben... mein Leben entflieht... ich fühle es deutlich...

– Nein nein, lieber Freund, widersprach ihm Ben Raddle. Wir werden Sie retten!

– Ich werde sterben, wiederholte Jacques Ledun. Kommen Sie nach näher... Sie haben mir versprochen, meine Mutter nicht zu verlassen... Ich vertraue Ihnen. So hören Sie und merken Sie wohl, was ich Ihnen noch sagen werde.«

Mit immer schwächer werdender, doch klarer Stimme, der Stimme eines Mannes, der noch völlig zurechnungsfähig ist und seine Intelligenz ungestört beherrscht, vertraute er Ben Raddle folgendes an:

»Als Sie mich auffanden... kam ich sehr weit... weit von Norden her. Dort sind die reichsten Lagerstätten der Welt... unnötig, die Erde aufzuwühlen. Diese selbst wirst das Gold aus ihren Eingeweiden heraus!... Ja... da... da hab' ich einen Berg entdeckt, einen Vulkan, der unermeßliche Mengen Gold enthält... einen Goldvulkan, den Golden Mount...

– Einen Goldvulkan? wiederholte Ben Raddle mit einer Stimme, die eine gewisse Ungläubigkeit verriet.

– Sie können mir ruhig glauben, erwiderte Jacques Ledun überraschend lauten Tones, während er sich im Bette aufzurichten versuchte. Sie müssen mir glauben! Wenn nicht um Ihretwillen, so doch um meiner Mutter willen... es ist meine Hinterlassenschaft, woran sie ihren Anteil haben soll. Ich habe diesen Berg erstiegen, bin auch hineingedrungen in seinen erloschenen Krater... der ist voll goldhaltigen Quarzes, voller Pepiten, die man nur aufzulesen braucht...«

Erschöpft von der gewaltsamen Anstrengung, war der Kranke bewußtlos auf seine Kissen zurückgesunken; er kam aber bald wieder zu sich. Sein erster Blick suchte den Ingenieur.

»Gut gut, murmelte er, Sie sind da, sind in meiner Nähe... Sie glauben mir... Sie werden da hinaufgehen... nach dem Golden Mount...«

[267] Seine Stimme wurde leiser. Ben Raddle, den er an der Hand noch näher heranzog, beugte sich über sein Lager.

»Unter achtundsechzig Grad siebenunddreißig Minuten der Breite, die Länge ist auf der Karte angegeben.

– Welcher Karte? fragte Ben Raddle.

– Wenden Sie sich darum... an Jane Edgerton.

– Miß Edgerton besitzt die Karte jener Gegend? fragte Ben Raddle im höchsten Erstaunen weiter.

– Ja, ich habe sie ihr gegeben. Darauf findet sich... ein mit einem Kreuz bezeichneter Punkt... in der Nähe eines Creek... des Rubber... eines linken Arms des Mackensie... genau im Norden von Klondike... ein Vulkan... dessen nahe bevorstehender Ausbruch Gold auswerfen wird, dessen Schlacken aus Goldstaub bestehen... da oben im Norden...«

In den Armen Ben Raddles halb aufgerichtet, streckte er die zitternde Hand nach jener Himmelsgegend aus.

Dann entschlüpften seinen blau gewordenen Lippen seine letzten Worte:

»Mutter... meine Mutter!«

Und mit unbeschreiblicher Innigkeit noch einmal:

»Meine liebste Mut...«

Ein konvulsivisches Zittern ging durch den Körper.

Jacques Ledun hatte ausgelitten.

3. Kapitel
Drittes Kapitel.
Warum Summy Skim doch nicht den Weg nach Montreal einschlägt.

Die Beerdigung des armen Franzosen erfolgte schon am nächsten Tage. Jane und Edith Edgerton folgten mit Ben Raddle und Summy Skim dem einfachen Sarge bis zum Friedhofe. Am Grabe wurde ein Kreuz mit dem Namen Jacques Leduns aufgepflanzt, dessen Inschrift die Unbill der Witterung freilich bald unleserlich machen würde. Nach der Rückkehr schrieb Ben Raddle, [268] gemäß einem dem Sterbenden gegebenen Versprechen, sofort an dessen bedauernswerte Mutter, die nun ihren Sohn niemals wiedersehen sollte.

Nach Erfüllung dieser Pflicht der Pietät prüfte er von jedem Gesichtspunkt aus die neue Sachlage, die durch das halb bloßgelegte Geheimnis geschaffen war, das ihm der Entseelte anvertraut hatte.

Daß die den Golden Mount betreffende Angelegenheit einen Mann wie Ben Raddle aufs höchste interessierte, ist ja nicht zu verwundern. Weniger natürlich dürfte es aber erscheinen, daß ein Ingenieur, das heißt ein Mann mit gesundem Verstande und nüchternem Urteil, ein solches Geheimnis gleich als eine besiegelte Wahrheit annahm. Und doch war das hier der Fall. Keinen Augenblick kam Ben Raddle der Gedanke, daß die letzten Mitteilungen Jacques Leduns vielleicht nur auf unsicherem Grunde ruhen könnten. Er hegte vielmehr nicht den geringsten Zweifel, daß sich neben dem Rubber Creek ein wunderbarer Berg erhöbe, der sich wie eine ungeheure »Goldtasche« früher oder später von selbst seines Inhaltes entleeren würde. Dabei flögen dann voraussichtlich Millionen von Pepiten hoch in die Luft, wenn man sie nicht etwa in dem voll ständig erloschenen Krater einsammeln müßte.

Außerdem lag die Wahrscheinlichkeit vor, daß in der vom Mackensie und seinen Nebenflüssen bewässerten Gegend noch reiche Placers vorhanden wären. Nach der Aussage der Indianer, die in den Nachbargebieten des Polarmeeres hausten, führten alle dortigen Flüsse Gold mit sich. Die Syndikate dachten auch bereits daran, ihre Untersuchungen bis zu dem Teile der Dominion auszudehnen, der zwischen dem Polarkreis und dem Eismeere liegt, und einige Prospektoren beabsichtigten dem Vernehmen nach schon, sich für die nächste Arbeitsperiode dahin zu begeben, und die ersten Ankömmlinge mußten dann ja am meisten begünstigt sein. Wer weiß, dachte Ben Raddle, ob diese nicht gar den Vulkan entdeckten, dessen Vorhandensein er, dank den vertraulichen Mitteilungen Jacques Leduns, vorläufig nur allein kannte.

Wollte er daraus Nutzen ziehen, so hieß es vor allem schnellstens handeln. Vorher mußte er aber doch erst weitere Aufklärung über sein Besitztum zu erlangen und vorzüglich die Karte kennen zu lernen suchen, die, nach den Worten des Franzosen, Jane Edgerton in Verwahrung haben sollte.

»Nach dem, was Jacques Ledun mir kurz vor seinem Ende anvertraut hat, sagte er zu Jane scheint es, daß Sie jetzt eine ursprünglich ihm gehörende Landkarte in Besitz haben.

[269] – Ja, ich besitze eine solche Karte...« begann Jane.

Ben Raddle atmete befriedigt auf. Die Sache ging ja sozusagen ganz allein, da Jane die Aussagen des Franzosen freimütig bestätigte.

»Sie ist aber mein persönliches Eigentum, fuhr Jane fort.

– Die Karte gehörte Ihnen?

– Allerdings mir; einfach weil Jacques Ledun sie mir aus freiem Willen geschenkt hat.

– Ah so... ah so!« murmelte Ben Raddle für sich hin.

Nach kurzem Schweigen sagte er aber:

»Nun, darauf kommt's ja nicht an, denn ich denke, Sie werden es nicht abschlagen, mich das Blatt einsehen zu lassen.

– Ja... das weiß ich noch nicht, antwortete Jane sehr ruhig.

– Das wissen Sie noch nicht?... Wovon sollte das abhängig sein?... Bitte, erklären Sie sich.

– O, das ist höchst einfach, antwortete Jane. Die betreffende Karte, die mir, ich wiederhole es, von dem rechtmäßigen Eigentümer geschenkt worden ist, zeigt – ich habe alle Ursache, das zu glauben – offenbar genau die Stelle an, wo eine fabelhaft reiche Mine liegt. Wenn mir Jacques Ledun das kundgegeben hat, geschah es gegen mein Versprechen, seiner Mutter hilfreich beizuspringen, ein Versprechen, das ich nur halten kann, doch auch halten muß, wenn ich das mir übergebne Dokument zu meinem Vorteil benütze. Die Hinweisungen auf dieser Karte sind aber leider unvollständig.

– Nun also? fragte Ben Raddle.

– Nun, das Verlangen, das Sie an mich stellen, läßt mich vermuten, daß Jacques Ledun Ihnen die Mitteilungen gemacht hat, die mir fehlen, und wahrscheinlich gegen eine der meinigen ähnliche Verpflichtung, wobei er Ihnen aber das verhehlte, was ich über die Sache weiß. Wenn das der Fall ist, lehne ich es nicht ab, Ihnen das Dokument zur Einsicht zu überlassen, doch nur unter der Bedingung, daß wir beide uns als Teilhaber betrachten. Sie besitzen ja, wie es scheint, die eine Hälfte des Geheimnisses und ich die andre. Wollen Sie nun, daß wir die beiden Hälften vereinigen und daß wir teilen, was die Ausnützung des ganzen Geheimnisses etwa ergibt?«

Anfänglich war Ben Raddle über diese Antwort, die er in keinem Falle erwartet hatte, geradezu verdutzt. Jane Edgerton wußte offenbar, was sie wollte. Bald gewannen beim Ingenieur aber die gesunde Vernunft und die Billigkeit [270] die Oberhand. Alles in allem war ja das Verlangen der jungen Prospektorin nicht anzufechten. Jedenfalls hatte sich Jacques Ledun doppelt sichern wollen, das Los seiner Mutter günstiger zu gestalten, und darum hatte er sich weislich an zwei bestimmte Personen gewendet, denen er seine Wünsche in gleicher Weise kundgab.

Was war denn auch einzuwenden gegen Janes Vorschlag, das Ergebnis der Ausbeutung des Goldvulkans zu teilen? Entweder war dieser Goldvulkan nur ein Hirngespinst, und dann hatte Jacques Leduns Geheimnis überhaupt keinen Wert und von einer Ertragsteilung konnte keine Rede sein, oder es war etwas Wahres an der Sache, dann konnte es aber nicht darauf ankommen, mit Jane Edgerton zu teilen, denn dann lieferte der Goldvulkan ja geradem unermeßliche Schätze.

Diese Erwägungen beschäftigten den Ingenieur nur wenige Augenblicke, dann war sein Entschluß gefaßt.

»Einverstanden mit allem, sagte er kurz und bündig.

– Hier ist die Karte,« antwortete Jane, während sie ihm das entfaltete Blatt vorlegte.

Ben Raddle überflog es mit dem Blicke und zeichnete dann, das rote Kreuz durchschneidend, einen Breitengrad ein, neben den er die Angabe 68°37' hinschrieb.

»Die Koordinaten sind nun vollständig, erklärte er mit sichtlicher Befriedigung. Man könnte den Goldvulkan jetzt mit verbundnen Augen finden.

– Den Goldvulkan? wiederholte Jane. Jacques Ledun hatte schon diesen Namen ausgesprochen.

– Ja, das ist die Bezeichnung eines ganz außerordentlichen Berges, den ich aufsuchen werde...

– Den wir aufsuchen werden, fiel Jane berichtigend ein.

– Nun ja, nach dem wir uns im kommenden Frühling begeben wollen,« lenkte der Ingenieur ein.

Ben Raddle teilte nun Jane Edgerton alles mit, was Jacques Ledun ihm anvertraut hatte. Er sprach ihr von dem Vorhandensein eines leibhaftigen Goldberges, des Golden Mount, der allen noch unbekannt wäre und den der Verstorbne zusammen mit Harry Brown entdeckt hätte. Er erzählte ferner, daß die beiden Abenteurer, wegen Mangels an Hilfsgeräten zur Rückkehr genötigt, doch schon höchst wertvolle Proben ihres Fundes mitgenommen hätten, unterwegs aber [271] von einer Rotte Eingeborner überfallen worden wären, die den einen von ihnen getötet, den andern aber von allem entblößt hätten laufen lassen.

– Und Ihnen sind keine Zweifel gekommen an der Glaubwürdigkeit einer so fabelhaften Geschichte? fragte Jane, als Ben Raddle seine Mitteilungen beendigt hatte.

– Anfänglich war ich freilich etwas ungläubig, gestand dieser ein. Die vertrauenerweckende Ehrlichkeit des Tones, womit Jacques Ledun sprach, besiegte aber bald meine Zweifel. Die Geschichte ist wahr, verlassen Sie sich darauf! Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß gerade wir den Vorteil davon haben werden. In solchen Fällen liegt die größte Gefahr darin, daß einem andre schon zuvorkommen. Wenn der Golden Mount auch seiner eigentlichen Bedeutung nach noch nicht bekannt sein mag, so weiß man doch sicherlich in weitern Kreisen, daß er vorhanden ist, und es könnten sich daran recht wohl sagenhafte Überlieferungen von seinem innern Werte knüpfen. Da brauchte nur ein Prospektor weniger ungläubig und etwas kühner als die andern zu sein, um die Legende zur schönen Wirklichkeit zu verwandeln. Darin liegt die Gefahr, der wir, soweit es an uns liegt, zuvorkommen müssen, und zwar auf zweierlei Weise: Wir müssen uns beeilen und müssen zu schweigen verstehen.«

Es kann hiernach nicht wundernehmen, daß sich der Ingenieur von Stund an bemühte, über alle Nachrichten unterrichtet zu sein, die sich unter der Welt der Goldsucher verbreiteten. Jane interessierte sich dafür nicht weniger als er und beide besprachen auch recht häufig die Frage, die sie so ernst beschäftigte, doch immer fest entschlossen, das nur ihnen bekannte Geheimnis des Goldvulkans bis zur letzten Minute streng zu bewahren. Ben Raddle hatte nicht einmal Summy Skim gegenüber davon eine Silbe verlauten lassen. Übrigens hatte es jetzt noch keine Eile, da von den acht Monaten des Winters in Klondike erst drei verflossen waren.

Inzwischen verkündigte auch die Kommission zur Berichtigung der Grenze das Ergebnis ihrer Arbeiten. Das kam darauf hinaus, daß die Ansprüche der Amerikaner unbegründet wären.

Es war früher kein Irrtum vorgekommen. Die Grenze zwischen Alaska und der Dominion verlief genau auf der dafür bestimmten Linie, weder weiter im Westen zugunsten der Kanadier, noch zu ihren Ungunsten weiter im Osten. Die Claims längs dieser Grenze brauchten ihre nationale Zugehörigkeit also nicht zu wechseln.

[272] »Da sind wir ja ein gutes Stück vorwärtsgekommen, sagte Summy Skim an dem Tage, wo diese Entscheidung veröffentlicht wurde. Der Claim 129 ist und bleibt kanadisch. Leider gibt es nun einen Claim 129 nicht mehr; die Wiedertaufe erfolgt nach seinem Tode.

– Er ist unter dem Forty Miles Creek noch vorhanden, erwiderte der Werkführer, der noch immer nicht auf jede Hoffnung verzichten wollte.


Summy Skim versuchte, sich nach dem Krankenhause zu begeben... (S. 275.)

– Sehr richtig, Lorique! Sie haben vollständig recht. Nun nützen Sie ihn auch nur fünf bis sechs Fuß unter der Wasserfläche aus! Solange kein [273] zweites Erdbeben den frühern Zustand der Dinge wieder her stellt, sehe ich freilich nicht...«

Die Achseln zuckend setzte Summy Skim noch hinzu:

»Und im Falle, daß Pluto und Neptun in Klondike noch einmal in Kompanie arbeiten, hoffe ich, daß sie dem entsetzlichen Lande ein seliges Ende dadurch bereiten, daß sie es so durcheinanderrütteln und überschwemmen, daß kein Mensch mehr hier eine Pepite auflesen kann..

– O... ich bitte Sie, Herr Skim! rief der Werkführer innerlich entrüstet.

– Nun... und dann? fiel Ben Raddle ein, wie einer, der an sich hielt, mehr zu sagen, als er wollte, glaubst du, daß Goldlager nur in Klondike vorkommen?

– Ich nehme, versetzte dagegen Summy Skim sich etwas aufrichtend, von meiner Verwünschung auch nicht die andern aus, die es in Alaska, in der Dominion, in Transvaal, ja – um offen zu sein – die es sonstwo auf dieser Erde geben mag.

– Aber, Herr Skim, rief der Werkführer, Gold ist doch Gold!

– O, das verstehen Sie nicht ordentlich, Lorique, nein, gewiß nicht gründlich genug. Wollen Sie wissen, was Gold eigentlich ist?... So hören Sie: Gold ist Luft, ist Schwindel, weiter nichts. Das ist meine Ansicht, Sie mögen sagen, was Sie wollen!«

Dieses Gespräch hätte noch lange Zeit fortdauern können, ohne zwischen den Parteien zur Übereinstimmung zu führen. Da machte ihm Summy Skim kurzerhand ein Ende.

»Neptun und Pluto, sagte er, mögen übrigens tun und lassen, was ihnen gefällt, das ist mir gleichgültig und ich mische mich nicht in Dinge, die mich nichts angehen. Mir genügt es, daß Nummer 129 verschwunden ist, mich aufs höchste zu befriedigen, weil dieser glückliche Umstand uns zwingt, nach Montreal zurückzukehren.«

Das war freilich nur eine rhetorische Figur im Munde Summy Skims. In der Wirklichkeit stand noch eine lange Zeit bevor, ehe die Temperaturverhältnisse erlauben würden, den Rückweg einzuschlagen. Das Jahr ging ja jetzt kaum zu Ende. Summy Skim vergaß auch gewiß die Weihnachtswoche nicht, die, obwohl die Kälte nicht über zwanzig Grad unter Null ging, doch ganz abscheulich war. Vielleicht wäre da eine stärkre Erniedrigung der Temperatur mit frischem und trocknem Nordwind besser gewesen.

[274] Diese letzte Woche des Jahres waren die Straßen von Dawson City fast ganz menschenleer. Auch an deren Beleuchtung war nicht zu denken, da sie vor dem unausgesetzten Schneetreiben niemand betreten konnte. Der Schnee häufte sich darin zu einer fünf bis sechs Fuß hohen Lage an. Von einem Verkehr zu Wagen und zu Pferde konnte natürlich keine Rede sein. Erreichte die Kälte dann ihre gewöhnliche winterliche Strenge, so konnte man gewiß kaum mit Axt und Schaufel in die erhärtete Masse eine Bresche legen, dann mußte man zu Sprengmitteln greifen. In gewissen Stadtteilen, in der Nachbarschaft des Klondike und des Yukon, gab es nicht wenige Häuser, die bis zum ersten Stockwerke förmlich blockiert und nur noch durch die Fenster zugänglich waren. Glücklicherweise wurden die in der Front Street nicht ebensoschwer heimgesucht und die beiden Vettern hätten ihr Hotel recht wohl verlassen können, wenn nur auf der Straße fortzukommen gewesen wäre. Hier hätte der Schnee aber schon nach einigen Schritten jedem Tollkühnen bis an den Hals gereicht.

Zu dieser Jahreszeit dauert der Tag nur wenige Stunden. Kaum daß die Sonne über die die Stadt einrahmenden Hügel emporsteigt. Da nun der Sturm die dichten kristallenen Flocken in solcher Menge vor sich hertrieb, daß auch das elektrische Licht sie nicht durchdringen konnte, herrschte je zwanzig unter vierundzwanzig Stunden in der Stadt vollständige Finsternis.

Da jeder Verkehr im Freien unterbrochen war, sahen sich Summy Skim und Ben Raddle auf ihr Zimmer beschränkt. Der Werkführer und Neluto, die mit Patrick in einer bescheidenen Herberge der niedern Stadtteile untergebracht waren, konnten sie nicht besuchen, wie die Leute es sonst zu tun pflegten, so daß also jede Verständigung mit diesen ebenso wie mit Edith und Jane Edgerton ausgeschlossen blieb. Summy Skim versuchte es zwar einmal, sich nach dem Krankenhause zu begeben, er wäre dabei aber bald unter dem Schnee begraben worden und die Leute des Hotels hatten Mühe genug, ihn heil und gesund daraus hervorzuziehen.

Selbstverständlich war jetzt am Klondike auch jeder öffentliche Dienst unterbrochen. Briefe kamen nicht mehr an und Zeitungen wurden nicht ausgetragen. Ohne die in den Hotels und den Privathäusern im Hinblick auf solche ernste Störungen angesammelten Vorräte wäre die Bevölkerung Dawson Citys geradezu vom Hungertode bedroht gewesen. Es bedarf da wohl kaum der Erwähnung, daß jetzt auch die Kasinos und die Spielsalons feierten. Kaum jemals hatte sich die Stadt in einer so beunruhigenden Lage befunden. Der Schnee machte die [275] Wohnung des Gouverneurs unzugänglich und auf kanadischem wie auf amerikanischem Gebiete war jede amtliche Tätigkeit gelähmt. Wie hätte man da die täglichen Opfer der herrschenden Seuchen nach ihrer letzten Ruhestätte befördern können? Jetzt brauchte nur noch die Pest auszubrechen, dann hatte Dawson gewiß nach kurzer Zeit keinen einzigen Bewohner mehr.

Der erste Tag des Jahres 1899 war geradezu entsetzlich. In der ihm vorhergehenden Nacht und während des ganzen Tages fiel der Schnee in so unglaublicher Menge, daß er viele Häuser vollständig bedeckte. Am rechten Ufer des Klondike waren gleich von ganzen Häuserreihen nur noch die Dächer sichtbar. Man hätte glauben können, daß die ganze Stadt bald unter der weißen, von dem »Blizzard« herabgeschütteten Decke begraben würde, wie Pompeji einst unter der Asche des Vesuvs verschwunden war. Wenn hier unmittelbar darauf eine Kälte von vierzig bis fünfzig Grad eintrat, mußte die gesamte Bevölkerung unter der erhärteten Schneemasse zugrunde gehen.

Am 2. Januar trat im Zustande der Atmosphäre plötzlich eine starke Veränderung ein: Infolge Umschlagens des Windes stieg der Thermometer schnell über Null Grad und damit erschien es ausgeschlossen, daß die gewaltige Schneemenge erhärten könnte. Sie zerschmolz vielmehr binnen wenigen Stunden. Man mußte das, wie man zu sagen pflegt, selbst sehen, um es zu glauben. Das verursachte eine richtige Überschwemmung, die natürlich mancherlei Schaden anrichtete. Die Straßen verwandelten sich zu Bergströmen und die mit Trümmern jeder Art überladenen Fluten wälzten sich den Betten des Yukon und des Klondike zu und rauschten unter lautem Krachen über deren Eisdecke hin.

Die Überschwemmung verbreitete sich über den ganzen Bezirk. Unter andern stieg der Forty Miles Creek ganz gewaltig und bedeckte die stromabwärts gelegenen Claims. Eine neue Katastrophe und fast der vom Monat August zu vergleichen. Wenn Ben Raddle noch einige Hoffnung bewahrt hatte, wieder in Besitz von Hundertneunundzwanzig zu kommen, so mußte er diese jetzt endgültig aufgeben.

Sobald die Straßen einigermaßen gangbar geworden waren, beeilten sich alle, die vorher unterbrochenen Verbindungen wieder herzustellen. Lorique und Neluto erschienen bald im Northern Hotel. Ben Raddle und Summy Skim begaben sich so schnell wie möglich nach dem Krankenhause, wo sie von den beiden jungen Mädchen mit einer Freude begrüßt wurden, die infolge der Einschließung, welche man eben erduldet, an Lebhaftigkeit sichtlich gewonnen hatte.

[276] Der Doktor Pilcox hatte von seiner gewohnten guten Laune nichts eingebüßt.

»Nun, fragte ihn Summy Skim, sind Sie auf Ihr Adoptivvaterland denn noch immer so stolz wie früher?

– Aber ich bitte Sie, Herr Skim, warum denn nicht? antwortete der Doktor. Klondike ist doch ein wunderbares Land, ein Land ohnegleichen! Ich glaube nicht, daß einer seit Menschengedenken einen so übermächtigen Schneefall gesehen hat. Das ist etwas für Ihre Reiseerinnerungen, Herr Skim.

– Ja, darauf können Sie sich verlassen, Doktor.

– Na, und wenn nun dem Wiedereintritt ganz strenger Kälte nicht einige Tage Tauwetter vorausgegangen wären, dann hätten wir uns alle zu Mumien verwandelt. Sapperment, das wäre ein Futter für die Journalisten der Alten und der Neuen Welt gewesen! Wahrlich, ein Ereignis, das kaum jemals wiederkehren dürfte, und es ist jammerschade, daß dem der laue Südwind in die Quere kam.

– Nun ja, wie Sie das eben auffassen, lieber Doktor.

– Man muß das wohl so auffassen, das ist philosophisch gedacht, mein Herr Skim.

– Philosophie bei fünfzig Grad unter Null... nein, von dem Artikel habe ich nichts auf Lager,« protestierte Summy Skim.

Die Stadt hatte bald ihr früheres Aussehen, ihre hergebrachten Gewohnheiten wieder angenommen. Die Kasinos hatten gleich wieder geöffnet. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen, soweit sie nicht von Leichenwagen eingenommen waren, die die zahllosen Opfer der furchtbaren Kälte nach dem Friedhofe beförderten.

Im Januar ist in Klondike freilich noch lange nicht auf das Ende des Winters zu rechnen. In der zweiten Hälfte dieses Monats trat denn auch nochmals eine außerordentliche Erniedrigung der Temperatur ein, doch war dabei wenigstens mit einiger Vorsicht der Straßenverkehr aufrechtzuerhalten und der Monat endete im ganzen günstiger, als er angefangen hatte, insofern als die Blizzards seltner wurden und nicht mehr mit so unerträglicher Heftigkeit auftraten. Wenn die Luft ruhig ist, ist ja die Kälte meist leicht auszuhalten. Gefährlich ist es nur, sich der freien Luft auszusetzen, wenn der von Norden her wehende Wind, der über die Gegenden des Nordpols hingestrichen ist, scharf daherbraust und wie ein Messer schneidend das Gesicht der Menschen trifft, deren [277] Hauch gleich zu Schnee erstarrt. Summy Skim konnte jetzt fast ohne Unterbrechung in Gesellschaft Nelutos, zuweilen auch in der Jane Edgertons, zur Jagd gehen. Niemand hätte es vermocht, ihn trotz der immerhin eisigen Temperatur von einem Pürschgang aufs Land abzuhalten. Ihm wurde die Zeit ja gar zu lang, da er weder die Aufregungen des Hasardspiels noch die Unterhaltungen der Kasinos liebte. Als man ihm eines Tages gar zu arg zusetzte. erklärte er in vollem Ernste:

»Nun gut, ich werde nicht mehr jagen gehen, das verspreche ich euch, wenn...

– Also wenn? drängte Doktor Pilcox auf Vollendung der Antwort.

– Wenn's einmal so kalt ist, daß das Schießpulver nicht mehr Feuer fängt.«

Wenn Jane Edgerton Summy nicht begleitete, traf sie gewöhnlich im Krankenhause oder im Northern Hotel mit Ben Raddle zusammen. Überhaupt verging wohl kaum ein Tag, ohne daß die beiden einander nicht wenigstens einmal aufgesucht hätten. Bei ihren Unterhaltungen war Edith stets zugegen, obgleich eigentlich nicht einzusehen war, was ihre Anwesenheit nützte. Dem Ingenieur erschien diese jedoch von einiger Bedeutung, da er die strenge Zurückhaltung, die er sich sonst zur Pflicht gemacht hätte, in Ediths Beisein etwas aufgeben zu dürfen glaubte, und dann erteilte er offner seine Ratschläge bezüglich der geringsten Einzelheiten der geplanten Expidition. Er schien diesen auch einen sehr hohen Wert beizumessen. Vielleicht kam das daher, weil das junge Mädchen selbst keinen solchen zu geben wagte, sondern ihm hierin blindlings ebenso zustimmte, wie sie den ganzen Plan von Anfang an gebilligt hatte; alles, was der Ingenieur sagte, galt ihr für so unbestreitbar richtig, daß sie allemal für ihn gegenüber ihrer Cousine Partei nahm, nötigenfalls auch gegenüber Lorique, der Gesprächen dieser Art stets gern beiwohnte, obgleich ihm das Ziel, worauf diese hinausgingen, vorläufig unbekannt geblieben war. Alles, was Ben Raddle sagte, war gut und schön, alles, was er tat, war wohlgetan, und dieser wieder schätzte eine so schmeichelhafte und so natürlich ausgesprochene Anerkennung nicht zu gering.

Was Lorique betraf, so fragte diesen der Ingenieur des Langen und Breiten über Klondike aus und vorzüglich über die nördlichen Gebiete des Landes, die der Werkmeister schon häufig besucht hatte. Summy Skim aber, der, wenn er mit Neluto von der Jagd zurückkehrte, die übrigen immer beieinander fand, fragte sich mit einer gewissen Unruhe, worüber sie wohl so eifrig verhandeln mochten.

[278] »Was mögen die vier wohl wieder zusammenbrauen? wiederholte er für sich immer wieder. Sollte Ben von diesem abscheulichen Lande noch nicht genug haben, seiner nicht mehr als überdrüssig sein? Sollte er sein Glück vielleicht gar aufs neue versuchen wollen und sich von Lorique zu Abenteuern verführen lassen?... Ach was... ich bin ja auch noch da, und wenn's nicht anders geht, brauch' ich Gewalt! Wenn der Mai herankommt und ich befinde mich noch immer in dieser entsetzlichen Stadt, so kann das nur daran liegen, daß mir Doktor Pilcox beide Beine amputiert hat, und auch dann weiß ich noch nicht gewiß, ob ich mich nicht als Krüppel auf- und davonmachen würde!«

Summy Skim wußte eben noch immer nichts von den Mitteilungen des armen Jacques Ledun. Ben Raddle und Jane Edgerton hatten das einander zugesicherte Stillschweigen strengstens beobachtet und Lorique war in die Sache ebensowenig eingeweiht wie Summy Skim. Das hinderte den Werkführer jedoch nicht, Ben Raddle immer nach dem Munde zu reden und ihn zu weitern Unternehmungen anzuregen. Wenn er es einmal über sich gebracht hatte, nach Klondike zu kommen, könnte er sich doch nicht durch den ersten Mißerfolg entmutigt fühlen, zumal da dieser Mißerfolg durch ganz außergewöhnliche, um nicht zu sagen, ganz einzeln dastehende Ereignisse herbeigeführt worden war. Gewiß war die Zerstörung des Claims 129 höchst beklagenswert, doch warum sollte man sich deshalb nicht bemühen, einen andern Claim zu erwerben? Begab man sich weiter flußaufwärts, so fanden sich ohne Zweifel neue Lagerstätten, die die verloren gegangene mindestens ersetzten. In andrer Richtung lieferten die Bonanza und der Eldorado ja auch noch die reichlichsten Erträge. Nach der Seite der Domes zu erstreckte sich eine sehr weite, goldführende Gegend, die von Prospektoren noch sehr wenig abgebaut war. Die Placers dort gehörten dem, der sie zuerst in Besitz nahm. Der Werkführer würde es schon auf sich nehmen, Arbeitskräfte zu besorgen. Kurz, warum sollte gerade Ben Raddle der Erfolg versagt sein, wo das Glück so viele begünstigte? Ihm schien es vielmehr, als ob der Ingenieur mit seinen Kenntnissen bei diesem Glücksspiele gezeichnete Karten in der Hand hätte.

Es erscheint wohl nur natürlich, daß Ben Raddle solchen und ähnlichen Äußerungen ein williges Ohr lieh. Nahm er das Vorhandensein des Golden Mount anfänglich nur als eine Möglichkeit an, so verwandelte sich diese nach und nach zur Gewißheit... er träumte schon unablässig von diesem Golden Mount. Ein Claim... nein, weit mehr als ein Claim, ein ganzer Berg, dessen Innenwände Millionen von Pepiten enthielten... ein Vulkan, der seine Schätze [279] selbst ausliefern würde. O gewiß, dieses wunderbare Abenteuer mußte gewagt werden.

Wenn man mit Eintritt des Frühlings aufbrach, mußte der Berg in drei bis vier Wochen zu erreichen sein. Dann genügten jedenfalls wenige Tage, mehr Pepiten einzusammeln, als die Nebenflüsse des Yukon in zwei Jahren geliefert hatten, und noch vor dem Winter kehrte man zurück, beladen mit fabelhaften Schätzen, denen gegenüber die der Herrscher dieser Welt verschwinden mußten.

Ben Raddle und Jane widmeten öfters ganze Stunden dem Studium der von der Hand des Franzosen herrührenden Landkarte, die sie auf eine Übersichtskarte von Klondike übertragen hatten. Aus der ihnen bekannten geographischen Länge und Breite ersahen sie, daß die den Goldvulkan von Dawson City trennende Entfernung keine dreihundert Meilen, also etwa fünfhundert Kilometer, übertraf.

»Mit einem festen Wagen und einem guten Gespann, erklärte Lorique, den man wegen der Zurücklegung dieser Strecke befragt hatte, sind fünfhundert Kilometer recht wohl in zwanzig Tagen zu überwinden, und zwar von der zweiten Woche des Mai an.«

Inzwischen wiederholte Summy Skim immer für sich:

»Zum Kuckuck, was mögen die vier nur zu verhandeln haben?«

Obwohl er davon ja nichts wußte, vermutete er doch, daß die so häufigen Gespräche sich um eine neue Expedition drehen mochten, und er war fest entschlossen sich einer solchen mit allen Mitteln zu widersetzen.

»Nur immer zu, Kinderchen! murmelte er in den Bart hin. Setzt eure Rechnung auf, ich entwerfe die meinige und wer zuletzt lacht, lacht doch am besten.«

Der März kam heran und mit ihm eine neue Periode strengster Kälte. Zwei Tage lang zeigte der Thermometer sechzig Zentigrad unter Null. Summy Skim veranlaßte Ben Raddle, sich davon zu überzeugen, und sagte noch, wenn das so fortginge, werde die Gradeinteilung des Instruments bald nicht mehr ausreichen.

Der Ingenieur, der etwas von der verhaltnen Gereiztheit seines Vetters ahnte, zwang sich, auf dessen Vorstellungen einzugehen.

»Ja freilich, sagte er gutmütig, das ist ja eine außerordentliche Kälte, da es aber auch windstill ist, erträgt man sie besser, als ich gedacht hätte.

[280] – Ja, Ben, ja, erwiderte Summy, sich bezwingend, sie hat wohl auch eine sehr heilsame Wirkung, ich glaube wenigstens, sie wird Milliarden von Mikroben töten.

– Und ich, fuhr Ben Raddle fort, muß dir noch bemerken, daß sie nach der Ansicht der Einheimischen nicht von langer Dauer sein dürfte. Man hat, wie es scheint, sogar die Hoffnung, daß die winterliche Periode dieses Jahr nur kurz sein werde und daß die Arbeiten schon mit Anfang Mai wieder aufgenommen werden könnten.

– Die Arbeiten?... Ich sage, wenn du mir das harte Wort erlaubst, daß die mich den Teufel scheren, alter Freund Ben, entgegnete Summy mit lauter Stimme Ich rechne stark darauf, daß wir uns den vorzeitigen Frühling zunutze machen und von hier weggehen, sobald der Scout wieder eingetroffen ist.

– Jawohl... indessen... siehst du, antwortete der Ingenieur, der jetzt die Zeit gekommen glaubte, seinen Vetter ins Vertrauen zu ziehen, es könnte sich doch wohl empfehlen, den Claim 129 vor der Abreise noch einmal aufzusuchen.

– Unser Hundertneunundzwanzig gleicht jetzt völlig einem auf den Meeresgrund gesunknen alten Schiffsrumpfe. Besuchen kann man ihn nur als Taucher und da wir kein Taucherkostüm besitzen...

– Da liegen aber doch verlorne Millionen!

– Meinetwegen Milliarden, Ben, das bestreite ich ja nicht, jedenfalls sind sie aber verloren, endgiltig verloren. Ich sehe die Notwendigkeit nicht ein, nach dem Forty Miles Creek zurückzukehren, denn das würde in dir nur gefährliche Erinnerungen wachrufen.

– O, ich bin kuriert, Summy, gründlich kuriert.

– Doch vielleicht nicht so ganz, wie du's glaubst. Mir scheint wenigstens, daß das Fieber... das berüchtigte Fieber... du verstehst mich schon... das Goldfieber...«

Ben Raddle sah seinem Vetter gerade ins Gesicht und wie einer, der einen unabänderlichen Entschluß gefaßt hat, entschied er sich jetzt dafür, Summy seine Pläne anzuvertrauen.

»Ich habe mit dir noch etwas zu besprechen, Summy, sagte er, doch komme nicht gleich bei den ersten Worten aus dem Häuschen.

– Und doch... erst recht, rief Summy Skim. Ich erkläre dir im voraus, daß ich für nichts und gar nichts zu haben bin, wenn du auch nur indirekt auf eine Verzögerung unsrer Rückfahrt eine Anspielung machst.

[281] – Nur ruhig Blut! Erst höre mich an, ich habe dir ein Geheimnis zu enthüllen.

– Ein Geheimnis? Wen betrifft es denn?

– Jenen Franzosen, den du halbtot aufgehoben und nach Dawson City geschafft hast.

– Jacques Ledun hätte dir ein Geheimnis anvertraut?

– Jawohl.

– Und davon hast du mir noch kein Wort gesagt?

– Nein, weil das in mir den Gedanken zu einem Plane wachrief, der reiflich erwogen sein wollte.«

Summy Skim schnellte in die Höhe.

»Zu einem Plane? rief er. Zu welchem Plane?

– Ruhig, Summy, erwiderte Ben Raddle. Erst reden wir von dem Geheimnis, der Plan kommt später an die Reihe. Immer Ordnung halten in allen Dingen, und zu allererst: beruhige dich gefälligst.«

Ben Raddle unterrichtete nun seinen Vetter von dem Vorhandensein des Golden Mount, dessen Lage an der Mündung des Mackensie und an der Küste des Eismeers Jacques Ledun genau festgestellt und angegeben hatte. Summy Skim mußte dazu erst die Originalzeichnung besichtigen und dann die Landkarte, worauf der Ingenieur den Berg eingetragen hatte. Die diesen von Dawson City trennende Entfernung war neben einer nordnordöstlich, etwa auf dem hundertsechsunddreißigsten Meridian hinführenden Linie ebenfalls eingeschrieben. Endlich wurde Summy mitgeteilt, daß dieser Berg ein Vulkan sei, ein Vulkan, dessen Krater ungeheure Mengen goldhaltigen Quarzes enthielt und in dessen Innern Milliarden von Pepiten abgelagert wären.

»Und du glaubst auch an diesen Vulkan aus Tausend und einer Nacht? fragte Summy Skim spöttischen Tons.

– Ja gewiß, versichert Ben Raddle, der entschlossen schien, über diesen Punkt jede Diskussion zu verhindern.

– Na... meinetwegen, sagte sein Vetter. Doch was dann?

– Wie?... Was dann? erwiderte Ben Raddle lebhafter werdend. Ich bitte dich, uns wäre ein solches Geheimnis offenbart worden und wir sollten daraus keinen Nutzen ziehen, sollten es andern überlassen, diese Schätze zu heben!«

Summy Skim nahm sich nach Kräften zusammen, um sein kaltes Blut zu bewahren, und so begnügte er sich zu antworten:

[282] »Nun ja, Jacques Ledun hat daraus Nutzen ziehen wollen, auch der, und du weißt ja, wie es ihm dabei ergangen ist. Die Milliarden Pepiten des Golden Mount haben ihn auch nicht beschützt, im Bette eines Krankenhauses zu sterben.

– Weil er von Verbrechern überfallen worden ist...

– Was uns nicht widerfahren kann, natürlich nicht... Um diesen Berg auszubeuten, müßten wir, wie ich annehme, noch hundert Lieues weiter nach Norden hinaufziehen.

– Jawohl, hundert Lieues... vielleicht auch noch etwas mehr.

– Unsre Abreise nach Montreal ist aber doch auf die ersten Tage des Mai festgesetzt.

– Da wird sie sich also um einige Monate verschieben; das ist alles.

– Das ist alles! wiederholte Summy ironisch. Dann wird es aber für den Aufbruch überhaupt zu spät sein.

– Ja, wenn's dann zu spät ist, überwintern wir einfach noch einmal in Dawson City.

– Nimmermehr!« rief Summy Skim so entschlossenen Tones, daß Ben Raddle dieses gar zu interessante Gespräch besser glaubte abbrechen zu sollen.

Natürlich rechnete er darauf, es wieder aufzunehmen, und das tat er auch trotz des Übelwollens seines Vetters. Er unterstützte sein Projekt mit den besten Gründen. Die Reise wird nach Eintritt des Tauwetters ohne Schwierigkeiten auszuführen sein. In zwei Monaten könnte man den Golden Mount erreicht, dort einige Millionen eingeheimst haben und auch nach Dawson zurückgekehrt sein. Dann wäre es noch Zeit, sich nach Montreal aufzumachen, und die ganze Fahrt nach Klondike würde dann wenigstens nicht vergeblich gewesen sein.

Ben Raddle hielt noch mit einem wichtigen letzten Argument zurück. Wenn Jacques Ledun ihm jene Mitteilungen gemacht hatte, so hatte er dazu auch noch einen besondern Beweggrund gehabt. Er liebte seine ihn überlebende Mutter, eine arme, unglückliche Frau, für die er sich bemüht hatte, ein Vermögen zu erwerben, und deren alte Tage sich sorgenfrei gestaltet hätten, wenn die Absichten ihres Sohnes in Erfüllung gegangen wären. Konnte Summy Skim wollen, daß sein Vetter das einem Sterbenden gegebne Versprechen nicht einlöste?

Summy Skim hatte Ben Raddle reden lassen, ohne ihn zu unterbrechen. Er fragte sich nur, wer hier eigentlich der Tor sei, ob Ben, der so ungeheuerliche Dinge sagte, oder er selbst, der sie widerspruchslos anhörte. Als das Plaidoyer aber zu Ende war, ließ er seiner Entrüstung die Zügel schießen.

[283] »Ich habe dir nur eines zu erwidern, sagte er mit vor Ingrimm zitternder Stimme, das eine, daß ich so weit gekommen bin, es zu beklagen, dem unglücklichen Franzosen Hilfe gebracht und es dadurch verhindert zu haben, daß sein unseliges Geheimnis mit ihm begraben wurde. Bist du ihm gegenüber eine sinnlose Verpflichtung eingegangen, so gibt es wohl noch andre Mittel, dieser gerecht zu werden. Man kann ja seiner Mutter eine Pension aussetzen und ich selbst erbiete mich, dafür aufzukommen, wenn dir das recht ist. Aber die Spielerei noch einmal anzufangen, die uns so vortrefflich geglückt ist... nein und abermals nein! Ich habe dein Wort, nach Montreal heimzukehren, und das geb' ich dir niemals zurück. Nun kennst du mein letztes Wort.«

Vergeblich ging Ben Raddle noch einmal zum Angriff über: Summy blieb unbeweglich. Er schien dem Widerstreben seines Vetters sogar eine illoyale Absicht unterschieben zu wollen und Ben wurde allmählich wirklich unruhig wegen der Wendung, die ihr bisher brüderliches Verhältnis zu nehmen drohte.

Im Grunde kämpfte Summy eigentlich gegen sich selbst. Er erwog stets den Gedanken, was denn werden sollte, wenn es ihm mißlänge, Ben zu seiner Ansicht zu bekehren. Wenn dieser nun darauf bestand, das Abenteuer bis zum Ende zu bestehen, sollte er dann zugeben, daß dieser sich allein in das gefährliche Abenteuer einließe? Summy gab sich keiner Täuschung hin. Er wußte, daß das ihm nur unausgesetzte Unruhe und Angst bereiten würde und daß er im letzten Augenblicke doch noch nachgeben müßte, um sich diese Qual zu ersparen. Dieser Gedanke erregte seinen Zorn; er verbarg aber seine Schwäche unter der möglichst rauhen Außenseite, die sein wohlwollender Charakter herauszukehren vermochte.

Ben Raddle wieder, der sich doch nur an diese äußere Erscheinung halten konnte, verzweifelte tagtäglich mehr und mehr, seinen Vetter zur Zustimmung zu seinen Ideen zu bewegen. Obgleich er nicht so sentimental veranlagt war wie dieser, betrübte ihn der Riß, den ihre Freundschaft zu bekommen drohte, recht tief. Da die Zeit ohne eine Änderung der Sachlage verstrich, entschloß er sich, als er eines Tags im Krankenhause war, Jane Edgerton von dem unbesiegbaren Widerstande Summy Skims Mitteilung zu machen. Das junge Mädchen erstaunte darüber nicht wenig. Daß Summy eine andre Meinung über das Projekt, wofür sie schwärmte, haben könnte, daran hatte sie noch nie gedacht. Der mutigen Prospektorin – die übrigens in Verlegenheit gekommen wäre, für ihren Optimismus durchschlagende Gründe anzuführen – war es ganz natürlich erschienen, [284] daß dessen Anschauungen mit den ihrigen übereinstimmen müßten. Wie dem aber auch sein mochte, ihr Erstaunen verwandelte sich bald zum Unmut, als ob der unglückliche Summy sich einer persönlichen Beleidigung ihr gegenüber schuldig gemacht hätte. Ihrer gewöhnlichen schnellen Entschlossenheit entsprechend, suchte sie ihn sofort im Hotel auf, um ihm sein unqualifizierbares Verhalten unverblümt vorzuwerfen.

»Es scheint, Sie widersetzen sich unserm Zuge nach dem Golden Mount, sagte sie ohne weitere Vorrede und in einem Tone, der ihre Bitterkeit erkennen ließ.

– Unserm? antwortete Summy, wie verletzt durch den unerwarteten Überfall.

– Ja, ich frage mich, fuhr Jane fort, welche Gründe Sie haben können, die Reise, die wir, Ihr Herr Vetter und ich, geplant haben, überhaupt verhindern zu wollen.«

Summys Gesicht spielte eine Sekunde lang in allen Regenbogenfarben.

»Ah, stammelte er, Sie beteiligen sich also auch daran, Fräulein Jane?

– Ach, spielen Sie doch nicht den Unwissenden, erwiderte diese streng. Sie würden weit besser tun, sich als williger Teilnehmer zu erweisen und mitzukommen, um Ihren Anteil an der Ausbeute zu erhalten. Der Golden Mount wird uns alle drei leicht genug zu reichen Leuten machen können«

Summy wurde rot wie ein Puterhahn. Mit einem Atemzuge saugte er so viel Luft ein, daß er sich fragen konnte, ob für alle übrigen noch genug vorhanden wäre.

»Mein Gott, sagte er mit kühner Stirn, ich wünsche ja selbst gar nichts andres!«

Jetzt war Jane an der Reihe, erstaunt zu sein.

»Bah! stieß sie hervor. Was hat mir denn da Herr Ben Raddle erzählt?

– O, Ben weiß manchmal nicht, was er spricht, versicherte Summy mit der Frechheit eines hartgesottenen Lügners. Ich habe ihm gegenüber zwar einige, nur Einzelheiten berührende Einwände erhoben, die bezogen sich aber ausschließlich auf die Organisation des Zugs nach Norden. Von diesem selbst ist dabei nie die Rede gewesen.

– Nun, das laß ich mir gefallen, sagte Jane.

– Ich bitte Sie auch, Fräulein Jane: wie hätte ich wohl auf eine solche Reise verzichten können!... Offengestanden ist es nicht etwa das Gold, das mich anlockt, sondern...«

[285] Summy unterbrach sich; er war zu verlegen, zu gestehen, was ihn lockte, und etwas Unverfängliches wußte er nicht gleich vorzubringen.

»Nun... sondern? fragte Jane.

– Sapperment, die Jagd... die Reise an sich... die Entdeckungslust... das Abenteuerliche dabei...«

Summy Skim verirrte sich aufs lyrische Gebiet.

»Nun ja, jeder nach seinem Geschmack,« schloß Jane die Unterredung, während sie schon aufbrach, Ben Raddle von dem Erfolge zu berichten.

Dieser erreichte das Hotel fast mit einem einzigen Luftsprunge.

»Ist's denn wahr, Summy? fragte er, auf seinen Vetter hinzueilend. Du hast dich entschlossen, uns zu begleiten?

– Habe ich denn jemals das Gegenteil gesagt?« erwiderte Summy mit einer so wunderbaren Frechheit, daß Ben Raddle darüber ganz aus dem Häuschen kam und sich fragte, ob er die langen Zwiegespräche der vorhergegangenen Tage etwa nur geträumt hätte.

4. Kapitel
Viertes Kapitel.
Circle City.

Bekanntlich sind die Bodenschätze des Nordwestens der Dominion und Alaskas nicht allein auf die von Klondike beschränkt... ein Glück für die Liebhaber starker Erregungen, denn wenn die Claims von Klondike auch noch keineswegs erschöpft sind, so ist ihr Preis doch von Tag zu Tag gestiegen und nur geldmächtigen Gesellschaften wird es ferner möglich sein, solche Fundstätten zu erwerben. Deshalb sehen sich die Prospektoren auch genötigt, einzeln oder gruppenweise ihre Nachsuchungen längs des Mackensie und der Porcupine weiter nach Norden auszudehnen.

Gerade jetzt lenkten umherschwirrende Gerüchte die Aufmerksamkeit der Goldsucher auf jene entlegenen Gebiete, die noch weniger bekannt waren als Australien, Kalifornien und Transvaal zur Zeit, als da die Goldgräberei [286] begann. Immer wieder verbreiteten sich unbestimmte Nachrichten, von denen niemand wußte, von wem und von wo sie herrührten, wahrscheinlich jedoch von den Indianerstämmen, die durch die endlosen Einöden des Nordens bis zur Küste des arktischen Polarmeeres hinwanderten. Da diese Indianer die Lagerstätten nicht selbst ausbeuten konnten, bemühten sie sich, Einwandrer nach diesen hochnördlichen Landstrichen zu locken. Wenn man ihnen glauben konnte, wuchs die Zahl goldführender Wasserläufe immer mehr, je weiter man in Nordamerika über den Polarkreis hinausdrang. Zuweilen zeigten die Indianer in der Umgebung von Dawson City aufgelesene Pepiten, die sie angeblich jenseits des vierundsiebzigsten Breitengrades gefunden hatten. Da erklärt es sich, daß die in ihren Hoffnungen oft getäuschten Goldsucher, die die Angaben bezüglich jener Fundstätten für bare Münze nahmen, leicht zum Weiterwandern geneigt waren.

Wie Ben Raddle recht gut wußte, war man auch in Klondike wenigstens gerüchtweise von dem Vorhandensein eines goldhaltigen Vulkans unterrichtet. Wahrscheinlich hatte sich auch der Franzose Jacques Ledun dadurch zu seinem abenteuerlichen Zuge nach dem hohen Norden verleiten lassen. Gegenwärtig deutete allerdings noch nichts darauf hin, daß jemand sich rüstete, seinen Spuren zu folgen. Die Fabel von dem Goldvulkan hatte jedoch immer ihre Anhänger und da verschiedne Goldgräber Vorbereitungen trafen, weiter nach dem Norden der Dominion hinauszuziehen, war es ja nicht ausgeschlossen, daß das, was man vermutete, plötzlich bestätigt wurde.

Nach Osten und nach Westen zu war die Goldgräberei voll im Gange. Schon hatte man die Gegend der Domes in regelmäßige Teilstücke zerlegt und in entgegengesetzter Richtung wühlte ein ganzes Heer von Prospektoren in der Umgebung von Circle City den Erdboden auf.


Was tätest du denn, wenn du frei wärst? fragte er. (S. 292.)

In dieser Gegend war es auch, wo die beiden Texaner, Hunter und Malone, die neue Nachsuchung begonnen hatten, die auf so tragische Weise unterbrochen werden sollte. Die am Rande des Birch Creek unternommene Versuchsarbeit hatte nur einen sehr mittelmäßigen Ertrag geliefert und so waren sie nach dem Claim 131 gerade zu der Zeit zurückgekehrt, wo die Katastrophe vom 5. August sie von da für immer vertrieb.

Weder Hunter noch Malone oder einer ihrer Leute war dem schrecklichen Naturereignis zum Opfer gefallen. Wenn man anfänglich glaubte, daß sie dabei umgekommen wären, so erklärt sich das dadurch, daß sie, nach der Erkenntnis, [287] daß das Unglück doch unheilbar wäre, samt ihrer Arbeiterschar sofort nach Circle City aufgebrochen waren.

Unter diesen Umständen dachte Hunter nicht mehr an den beabsichtigten Zweikampf mit Summy Skim und Summy Skim seinerseits ebensowenig Die Angelegenheit war durch eine unabwendbare force majeure kurzerhand erledigt.

Als die Texaner bei den Fundstätten von Circle City angelangt waren, standen von der guten Jahreszeit noch zwei Monate bevor. Sie nahmen also die früher aufgegebene Ausbeutung wieder auf. Entschieden hatten sie aber bei [288] der Erwerbung ihres neuen Claims keine glückliche Hand gehabt. Der Ertrag davon deckte kaum die laufenden linkosten und wenn Hunter nicht im Besitz einiger Geldmittel gewesen wäre, würde er mit seinen Gefährten im bevorstehenden Winter gewiß arg in Verlegenheit gekommen sein.


Das Loch war weit genug, einen Mann hindurchschlüpfen zu lassen (S. 296.)

Da sollte ein besondrer Zwischenfall sie in dieser Hinsicht van jeder Sorge befreien.

Die gewalttätigen Burschen konnten in ihrer Umgebung immer nur Streit und Zank hervorrufen. Mit dem unverschämten Anspruch, andern stets ihren [289] Willen aufzunötigen, niemandes Rechte zu achten und sich wie Sieger in einem eroberten Lande aufzuspielen, mußten sie bald in schlimme Geschichten verwickelt werden. Der Leser weiß ja, wie weit sich die Verhältnisse auf den Claims am Forty Miles Creek zugespitzt hatten; ganz ebenso gestaltete es sich am Birch Creek. Da hier keine Fremdlinge weilten, mußten ihre eignen Landsleute unter dem übeln Willen und der Heftigkeit der beiden Texaner leiden.

Schließlich sah sich die Regierung von Alaska genötigt, dagegen einzuschreiten. Die Polizei und dann die Gerichte mischten sich ein. Infolge eines gesetzwidrigen Auftretens gegenüber den Vertretern der Behörde wurde die ganze Bande Hunters verhaftet, zu zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und im Gefängnisse von Circle City eingesperrt.

Um Unterkommen und Ernährung im Laufe des Winters brauchten sich die Texaner und ihre Gefährten nun keine Sorge mehr zu machen. Als Entgelt mußten Hunter und Malone allerdings auf die Vergnügungen in den großen Städten verzichten und in der ganzen Zeit waren die beiden »ehrenwerten Herren« in den Kasinos von Skagway, Dawson oder Vancouver natürlich nicht zu erblicken.

Ihre Hast gab Hunter und Malone reichlich Muße, über die Zukunft nachzudenken. Ihre Strafe ging mit Wiedereintritt der schönen Jahreszeit zu Ende. Was würden sie dann selbst, was mit ihrer Arbeiterschar beginnen? Die Bearbeitung des Claims am Forty Miles Creek war unmöglich geworden, die der Lagerstätte bei Circle City lieferte nur unzureichende Erträge und ihre Hilfsmittel mußten bald zur Neige gehen, wenn sie nicht in kurzer Zeit ein günstiges Geschäft anfangen konnten. Zusammengelesen aus aller Herren Ländern, wo es überall an einer wirksam tätigen, fest zugreifenden Polizei mangelte, war ihr Personal – eine Rotte von Bösewichten – den beiden Abenteurern aufs äußerste ergeben. Was diese verlangten, was es auch sein mochte, das wurde von den Leuten ausgeführt. Jetzt konnte ihnen freilich mangels eines Planes, eines bestimmten Zieles, keinerlei Befehl erteilt werden. Ob sich das in der nächsten Zeit wohl ändern, ob sich eine Gelegenheit bieten würde, aus der Sackgasse, in die man sich verirrt hatte, herauszukommen?...

Ja, diese Gelegenheit bot sich, und zwar unter folgenden Umständen:

Unter den Gefangnen, deren Leben er teilte, hatte Hunter einen Indianer namens Krarak gefunden, der auch seinerseits Hunter aufmerksam zu beobachten schien. Zwischen den beiden herrschte eine Art natürlicher Sympathie: Schurken [290] erkennen einander ja immer leicht genug. Die beiden Männer waren wie geschaffen für ein gegenseitiges Verständnis und bald hatte sich zwischen ihnen auch eine Art Freundschaft entwickelt.

Krarak zählte etwa vierzig Jahre. Der untersetzte, kräftige Mann mit seinem unheimlichen Blick und dem wilden Gesichtsausdruck mußte Hunter und Malone selbstverständlich gefallen.

Als geborner Alaskier kannte er das Land, das er van Jugend auf vielfach durchstreift hatte, nach allen Seiten. Er hätte sicherlich einen vortrefflichen Führer abgegeben, auf dessen Intelligenz man sich jedenfalls verlassen konnte, wenn nur sein Äußeres nicht schon das schlimmste Mißtrauen erweckt hätte... ein Mißtrauen, das übrigens völlig gerechtfertigt war. Die Goldgräber, bei denen er gelegentlich gearbeitet hatte, hatten sich alle über ihn zu beklagen gehabt und jetzt war er zur Strafe für einen umfänglichen Diebstahl im Gefängnis von Circle City festgesetzt worden.

Im Laufe des ersten Monats beobachteten Krarak und Hunter gegenseitig eine gewisse Zurückhaltung... der eine behielt den andern nur im Auge. Hunter, der erraten zu haben glaubte, daß Krarak etwas auf dem Herzen habe, was er ihm anvertrauen wollte, wartete, daß jener sein Schweigen bräche.

Damit hatte er auch nicht falsch gerechnet. Eines Tages erzählte ihm der Indianer, ehe er auf die Hauptsache einging, von seinen Streifzügen durch die fast unbekannten Gebiete Nordamerikas, die er als Führer der Einkäufer der Hudsonbai-Gesellschaft wiederholt besucht hätte, vorzüglich in der von der Porcupine bewässerten Gegend, die zwischen dem Fort Yukon und dem Fort Macpherson einerseits und dem arktischen Eismeer anderseits lag.

Krarak begnügte sich anfänglich mehr mit allgemeinen Redensarten und sagte nur gerade, was er sagen mußte, die Habgier Hunters zu reizen; allmählich zeigte er sich aber ein wenig mitteilsamer.

»Oben im Norden und in der Nähe des Meeres, begann er eines Tages, findet sich Gold in Überfluß. Es wird auch nicht lange dauern, so wimmelt es dort von tausenden von Goldgräbern.

– Da ist entschieden nur eins angezeigt, antwortete Hunter, man muß ihnen zuvorkommen.

– Natürlich, stimmte ihm Krarak zu, man muß nur auch die Stelle der Lagerplätze kennen.

– Nun, und du kennst sie wohl?

[291] – Ich?... Ich kenne verschiedne. Mit dem Lande hat es aber seine Schwierigkeiten... man kann monatelang darin umherziehen und an den Claims vorbeikommen, ohne sie zu sehen. Vorzüglich an einem... und was für einem!... Ha, wenn ich frei wäre!«

Hunter sah sein Gegenüber scharf forschend an.

»Was tätest du denn, wenn du frei wärst? fragte er.

– Ich ginge dahin, wohin ich auf dem Wege war, als man mich abfing, antwortete Krarak.

– Ja, wohin denn?

– Dahin, wo man sich Gold schubkarrenweise holen kann!« erklärte der Indianer mit Nachdruck.

Hunter konnte ihm nun Fragen stellen, soviel er wollte, Krarak sprach sich nicht weiter aus. Er hatte übrigens schon genug gesagt, die Habgier des andern hell auflodern zu lassen.

Im Hinblick auf die nächste Arbeitsperiode hatten Hunter und Malone infolge ihrer Überzeugung, daß Krarak Goldfundstätten nicht weit vom Polarmeer bekannt wären, den gleichen Gedanken: dem Indianer um jeden Preis alles zu entlocken, was er etwa wüßte, doch auch häufige und lange Gespräche mit dem Manne brachten die beiden Texaner um keinen Schritt weiter. Krarak blieb zwar unabänderlich bei seiner Aussage bezüglich des Vorhandenseins außerordentlich reicher Placers, über deren genaue Lage schwieg er aber hartnäckig wie vorher.

Mit den letzten Wochen des April kam das Ende des Winters, der in Circle City ebenso streng gewesen war wie in Dawson. Die Gefangnen hatten dabei viel zu leiden gehabt. Hunter und seine Gefährten warteten mit Ungeduld auf ihre Entlassung aus dem Kerker, da sie fest entschlossen waren, dann sofort nach den nördlichsten Teilen des amerikanischen Festlands hinauszuziehen.

Hierzu war aber die Mithilfe Kraraks unentbehrlich und dieser schien nicht geneigt, sie zu verweigern. Freilich hinderten ihn vorläufig daran noch die alaskischen Behörden Hunter und seine Leute sollten zwar nächstens entlassen werden nicht aber der Indianer, der wegen seiner verschiednen und im Rückfalle begangnen Untaten noch mehrere Jahre im Gefängnis von Circle City büßen sollte.

Dagegen gab es nichts andres, als zu entweichen. Eine Flucht war jedoch nur möglich, wenn man sich einen Ausgang unter der Mauer des Gefängnishofes bahnte, die an der einen Seite die Gefangenanstalt und die Stadt [292] begrenzte. Von innen her konnte man einen solchen Ausweg unmöglich eröffnen, ohne die Aufmerksamkeit des Wartepersonals zu erregen. Von außen her und in der Nacht konnte das aber, unter Beobachtung der nötigen Vorsicht, keine großen Schwierigkeiten machen.

Hierzu war jedoch die Hilfe Hunters nötig. Zwischen den beiden schlechten Subjekten war denn auch bald der betreffende Handel abgeschlossen. Sobald er frei wäre, wollte Hunter dem Krarak zuhilfe kommen, und dieser wieder würde, wenn es gelang, in den Dienst des Texaners treten und diesen nach den ihm bekannten Fundstätten im Norden von Klondike führen.

Am 13. Mai ging die Strafhaft Hunters und seiner Bande zu Ende. Der Indianer mußte nun die Augen gut offen halten. Da er nicht in eine Zelle eingeschlossen war, würde es ihm leicht sein, den gemeinschaftlichen Schlafraum einmal unauffällig zu verlassen und unbemerkt in den Hof der Anstalt zu gelangen.

Damit begann er schon in der nächsten Nacht. Am Fuße der Umfassungsmauer niedergekauert, wartete er lauschend bis zum Anbruch des Tages.

Seine Geduld wurde freilich auf eine harte Probe gestellt. Zwischen Untergang und Aufgang der Sonne schlug kein Geräusch an sein Ohr. Hunter und Malone hatten noch nichts unternehmen können, denn in der Befürchtung, die Polizei könnte so »geschmacklos« sein, sich darüber zu wundern, daß sie Circle City nicht sofort verließen, glaubten sie mit ihrer Maulwurfsarbeit wenigstens vierundzwanzig Stunden warten zu sollen. An Werkzeugen dazu fehlte es ihnen nicht. In der Herberge, wo sie früher eingekehrt waren und nach ihrer Entlassung wieder Aufenthalt nahmen, hatten sie die Spaten, Schaufeln, Spitzhauen usw. von der letzten Saison wiedergefunden.

In der kleinen Stadt herrschte jetzt schon ein ziemlich reges Leben. Die Prospektoren der alaskischen Fundstätten am Unterlaufe des Yukon strömten, von dem zeitigen Eintritt der schönen Jahreszeit angelockt, hier bereits in Menge zusammen. Dieser Umstand begünstigte die Rotte der Texaner insofern, als sie sich leichter unter der Menschenmenge verlieren konnten.

In der folgenden Nacht nahm Krarak von zehn Uhr an seinen Lauscherplatz am Fuße der Mauer wieder ein. Die Nacht war finster und von Norden her wehte ein recht scharfer Wind.

Gegen elf Uhr glaubte der Indianer, der das Ohr auf den Erdboden gedrückt hielt, zu hören, daß man an seiner Befreiung arbeitete.

[293] Er täuschte sich nicht. Hunter und Malone waren am Werke. Mit Spitzhauen höhlten sie einen Gang unterhalb der Mauer aus, um keinen Stein aus dieser herausbrechen zu müssen.

Sobald Krarak erkannt hatte, an welcher Stelle das geschah, wühlte er im Hofe die Erde mit den Händen auf.

Alles ging unbemerkt vor sich; die Wächter fanden keine Veranlassung, in der Nacht den Hof zu betreten; der starke, schneidende Wind hielt sie im Innern des Gebäudes zurück, wo die Abwesenheit Kraraks niemand aufgefallen war.

Kurz nach Mitternacht war das Loch endlich weit genug, einen Mann von gewöhnlicher Körperstärke hindurchschlüpfen zu lassen.

»Komm nun! rief eine Stimme, es war die Hunters, leise.

– Es ist doch draußen niemand in der Nähe? fragte Krarak.

– Keine Menschenseele!«

Wenige Augenblicke später war der Indianer in Freiheit.

Jenseits des Yukon, an dessen linker Seite Circle City lag, sah er vor sich eine vom letzten Schnee des Winters noch teilweise bedeckte Ebene. Das Tauwetter hatte schon begonnen und auf dem Strom trieben Eisschollen hinunter. Ein Kahn hätte sich nicht dazwischen hineinwagen können, wenn es Hunter auch möglich gewesen wäre, sich einen solchen zu beschaffen, ohne die Aufmerksamkeit der Polizei zu erregen. Der Indianer war aber nicht der Mann dazu, sich durch ein solches Hindernis abschrecken zu lassen. Ihm fiel es nicht schwer, von einer Scholle zur andern zu springen und so das rechte Stromufer zu erreichen. Einmal da, lag das ganze Land vor ihm offen und er würde weit weg sein, wenn man seine Flucht erst entdeckte.

Da der Flüchtling jedoch vor Sonnenaufgang außerhalb des Bereiches etwaiger Häscher sein mußte, hatte er keine Zeit zu verlieren.

Hunter flüsterte ihm also nur zu:

»Es ist also alles abgemacht?

– Alles, versicherte Krarak.

– Wo treffen wir uns wieder?

– Wie besprochen: zehn Meilen von Fort Yukon am linken Ufer der Porcupine.«

So lautete tatsächlich die Abmachung zwischen den beiden. Zwei oder drei Tage später verließen Hunter und seine Gefährten Circle City und wandten sich dem Fort Yukon zu, das stromabwärts im Nordwesten liegt. Von dort wanderten [294] sie längs des Ufers der Porcupine nach Nordosten hin. Der Indianer eilte, sobald er den mächtigen Strom hinter sich hatte, gleich in gerader Linie nach Norden auf dessen Nebenfluß zu.

Im Augenblicke der Trennung wiederholte Hunter seine Frage:

»Also alles abgemacht?

– Alles.

– Und du wirst uns dann führen?

– Geraden Weges nach dem Placer.«

Eines gewissen Mißtrauens konnte sich Hunter dennoch nicht entschlagen.

»So gehe! sagte er. Wenn du uns aber hinters Licht geführt hast, so glaube nicht, daß du uns entkommen könntest. Dreißig Mann wären zu deiner Verfolgung bei der Hand, und die würden dich schon aufspüren.

– Ich habe euch nicht getäuscht.« antwortete Krarak ruhig.

Dann wies er mit der Hand nach Norden und setzte seinen Worten noch hinzu:

»Da unten... da unten erwartet uns ein ungeheures Vermögen!«

Der Indianer näherte sich dem Strome.

»Der Ort, zu dem ich euch geleiten werde, sagte er mit einer gewissen Feierlichkeit, ist kein gewöhnlicher Placer. Es ist eine Goldtasche, noch mehr: ein Goldberg. Ihr habt da weiter nichts zu tun, als Eure Karren zu beladen. Wenn ihr hundert, wenn ihr tausend wäret, ihr könntet mir immer noch einen Teil überlassen, ohne den euern zu verringern!«

Mit einem Satze stand Krarak hierauf schon auf einer Eisscholle, die von der Strömung fortgetragen wurde. Noch einen Augenblick konnten Hunter und Malone ihn von Scholle zu Scholle springen und dem rechten Ufer näher kommen sehen, dann verschwand seine Gestalt in der Finsternis.

Die Texaner begaben sich in ihre Herberge zurück und gleich am nächsten Morgen begannen sie die Vorbereitungen zu dem bevorstehenden Zuge.

Natürlich wurde die Flucht des Indianers gleich nach Sonnenaufgang entdeckt. Die Nachforschungen der Polizei waren aber vergeblich und auch die Mitschuld Hunters blieb unbekannt.

Drei Tage später schiffte sich dieser nebst seinen Leuten, zusammen dreißig Mann, mit einem nur dürftigen Material auf einer Schute ein, die den Strom hinunter nach dem Fort Yukon fuhr.

Am 22. Mai begann die Karawane dann, nach Einnahme frischen Proviants in dem beim Fort gelegnen Flecken, den Marsch nordöstlich am linken [295] Ufer der Porcupine hinauf, wobei alle ihre Habseligkeiten auf einem von einem kräftigen Hundegespann gezognen Schlitten befördert wurden. War der Indianer pünktlich an dem verabredeten Platze eingetroffen, so mußte man ihn noch am Abend dieses Tages finden.

»Vorausgesetzt, daß er da ist, meinte Malone.

– Er wird zur Stelle sein. Hat er gelogen, so zwingt ihn dazu die Furcht, hat er die Wahrheit gesagt, das eigne Interesse.«

Der Indianer war in der Tat auf seinem Posten, und unter seiner Führung zog die ganze Gesellschaft am linken Ufer der Porcupine weiter, hinauf der eisigen Einöde des äußersten Nordens entgegen.

5. Kapitel
Fünftes Kapitel.
Eine Lektion im Boxen.

Es stand also im Schicksalsbuch geschrieben, daß Summy Skim, nachdem er Ben Raddle nach Klondike begleitet hatte, diesem auch nach dem höchsten Norden Amerikas folgen sollte. Widersetzt hatte er sich dem ja nach Kräften, auch alle nur möglichen Einwände gegen diese neue Expedition ins Feld geführt, und schließlich... ja, schließlich hatten wenige Worte eines jungen Mädchens genügt, seinen »unbeugbaren« Widerstand in zehn Sekunden zu brechen.

Ob er wohl eine Niederlage nicht selbst ein wenig gewünscht haben mochte? Denn daß Summy Skim den Mut gehabt haben sollte, den Weg nach Montreal ohne Ben Raddle einzuschlagen, oder die nötige Geduld, dessen Rückkehr unter verhältnismäßig bequemen Umständen in Dawson zu erwarten, das war doch mehr als zweifelhaft.

Diese Fragen werden freilich für immer unbeantwortet bleiben, da sich Summy Skim ja dafür entschieden hatte, seinem Vetter zur Besitznahme des Golden Mount zu folgen.

»Wenn man einmal nachgibt, sagte er für sich, dann muß man leider immer nachgeben. Dafür habe ich freilich nur mich selbst anzuklagen. Ach, Green Valley, Green Valley, wie fern bist du von mir!«


Der Scout fühlte seine Grundsätze doch etwas erschüttert. (S. 299.)

Wir brauchen wohl nicht zu betonen, daß es im Grunde nur um der Form willen war und darum, daß er sich den eignen Widerspruch ersparen wollte, daß Summy Skim seinen Klagen in dieser Weise Luft machte. Gewiß sehnte er sich immer nach Green Val [296] ley, doch in ihm regte sich daneben noch etwas andres, was er nicht so recht erklären konnte. Er fühlte sich so leicht, so lustig wie ein Kind und die Aussicht auf die jedenfalls recht beschwerliche Reise machte ihm keinerlei Sorge mehr. Wahrscheinlich verlieh das ihm winkende Jagdvergnügen dem guten Summy diese Luft zu Abenteuern.

[297] Da der Frühling sehr zeitig eintrat, war der Scout schon in den ersten Tagen des Mai wieder in Dawson City eingetroffen. Der Marsch über den Chilkoot sowie die Bootsfahrt über die Seen und auf dem Lewis River waren eher und auch leichter als gewöhnlich auszuführen gewesen. Wie vor acht Monaten verabredet worden war, meldete sich jetzt Bill Stell bei den beiden Vettern, um sich ihnen als Führer auf der Rückreise nach Skagway zur Verfügung zu stellen; von hier aus sollte sie ein Dampfboot nach Vancouver weiterbefördern.

Bill Stell zeigte sich gar nicht verwundert, als er hörte, daß sich die Absichten Ben Raddles bezüglich des Zeitpunktes der Rückreise verändert hätten. Er wußte nur zu gut, daß in Klondike bald festwurzelte, wer nur den Fuß auf dessen Boden gesetzt hatte. War es mit dem Ingenieur auch gerade so weit noch nicht, so schien er doch noch gar nicht willens zu sein, für die Rückkehr nach Montreal sein Bündel zu schnüren.

»Na also? sagte der Scout lächelnd zu Summy Skim.

– Nun ja, es ist eben, wie es ist, lieber Bill.«

So lautete Summys ganze Antwort.

Er war aber weniger kurz angebunden, als er vernahm, daß der Scout bereit wäre, den neuen Zug mitzumachen, er sprach vielmehr seine Befriedigung über diese Erklärung in längerer Rede aus.

Wahrlich, das wäre ein vortrefflicher Gedanke; Ben Raddle hatte recht gehabt, zu glauben, daß er keinen zuverlässigeren Mithelfer haben könne als den Scout, und um diesen als solchen zu gewinnen, hatte er ihm den eigentlichen Zweck der Expedition mitgeteilt. Das bisher allen andern gegenüber bewahrte Geheimnis des Franzosen Jacques Ledun, das Geheimnis, in das jetzt nur Summy Skim und die beiden Cousinen Edgerton eingeweiht waren, das hatte er nicht gezögert, auch Bill Stell zu eröffnen, auf den er nun einmal das größte Vertrauen setzte.

Zuerst wollte dieser an das Vorhandensein des Golden Mount allerdings nicht glauben. Wohl hatte er gerüchtweise davon gehört, meinte aber, daß da nichts Reelles dahinter sein werde.

Als Ben Raddle ihm aber die Geschichte Jacques Leduns erzählt und ihm die Landkarte gezeigt hatte, worauf der Goldvulkan eingezeichnet war, da zeigte sich der Scout minder ungläubig und allmählich kam er auch zu der Überzeugung, die den Ingenieur schon so lange erfüllte.

[298] »Kurz und gut, lieber Scout, schloß dieser seine Worte, daß dort unabschätzbare Reichtümer lagern, ist gar nicht anzuzweifeln. Wenn es mir gelungen ist, Sie davon zu überzeugen, warum wollen Sie dann nicht mit uns gehen, sich Ihren Anteil zu holen?

– Das soll eine Einladung sein, Sie nach jenem Golden Mount zu begleiten? erwiderte Bill Stell.

– Mehr als uns begleiten, Scout: Sie sollen uns führen. Sind Sie denn noch niemals in die Gebiete des hohen Nordens gekommen? Wenn unser Zug dahin erfolglos sein sollte, werde ich Ihre Dienste gern reichlich bezahlen; hat er aber Erfolg, warum sollten Sie da nicht mit vollen Händen aus dem vulkanischen Panzerschrank schöpfen?«

So sehr der wackre Scout auch Philosoph war, fühlte er seine Grundsätze jetzt doch etwas erschüttert. Eine solche Gelegenheit war ihm ja noch niemals geboten worden.

Nur vor der Länge der Reise schreckte er noch ein wenig zurück. Der beste Weg führte da in gebrochner Linie durch das Fort Macpherson, das er schon früher besucht hatte, und die zu überwindende Strecke betrug mehr als sechshundert Kilometer.

»Ganz recht, bemerkte der Ingenieur auf eine diesbezügliche Äußerung, es ist etwa die gleiche Entfernung, wie die von Skagway nach Dawson City, und vor der ist Ihnen nicht bange gewesen.

– Gewiß nicht, Herr Raddle, und ich füge da auch noch hinzu, daß das Land zwischen Dawson City und Fort Macpherson weniger Schwierigkeiten als jene Strecke bietet. Doch um von da aus nach der Mündung des Mackensie zu gelangen, das ist gar ein ander Ding!

– Warum immer das Schlimmste annehmen? entgegnete Ben Raddle. Sechshundert Kilometer sind doch in einem Monate bequem zurückzulegen.«

Das war tatsächlich möglich, vorausgesetzt, daß in dem Zeitraume keiner der mißlichen Zwischenfälle eintrat, die in hohen Breiten recht häufig vorkommen.

Bill Stell zögerte noch.

Lange konnte das jedoch nicht anhalten. Zu dem Ersuchen Ben Raddles kam noch das Nelutos, der höchst erfreut war, seinen Herrn wiederzusehen, und das Zureden Summy Skims, der sich in demselben Sinne mit überzeugender Gewandtheit äußerte, sowie das Jane Edgertons, deren Überredungskunst kaum zu widerstehen war.

[299] Recht damit hatten ja alle: von dem Augenblicke an, wo die Reise beschlossen war, wurde die Unterstützung des Scouts höchst wertvoll und vermehrte entschieden die Aussichten auf einen guten Erfolg.

Neluto, dem der eigentliche Zweck der Expedition noch unbekannt war, schmunzelte geradezu vor Verlangen. Welch herrliche Jagdausflüge mußten sich doch in der fast noch gar nicht besuchten Gegend unternehmen lassen!

»Ja, man muß nur wissen, wem diese schönen Jagden schließlich vorbehalten sind, ließ sich Summy Skim vernehmen.

– Wem?... Natürlich uns, antworte Neluto, etwas verwundert über diese Bemerkung.

– Wenigstens wenn wir nicht selbst die sind, die gejagt werden,« erwiderte Summy, der Neluto damit bemerklich machen wollte, daß er es diesmal schlecht getroffen hätte, sich in so bestimmter Weise auszusprechen.

Durch jene hochnördlichen Gebiete streifen in der guten Jahreszeit nämlich vielfach Rotten von Indianern, von denen man sich nie etwas Gutes zu versehen hat und gegen die die Agenten der Hudsonbai-Gesellschaft oft gezwungen waren, sich ernsthaft zu verteidigen.

Die nötigen Vorbereitungen wurden nun schnell getroffen. Bereit, mit seinen Leuten nach Norden wie nach Süden aufzubrechen, besorgte sich der Scout ohne Schwierigkeit, was dazu nötig war: Lastwagen, ein tragbares Boot, Zelte und Maultiergespanne, deren Ernährung durch das im Sommer mit üppigem Grün bedeckte Gelände gesichert war und die hier Hundegespannen allemal vorzuziehen sind. Was die Lebensmittel anging, konnte man sich diese – ganz abgesehen von der zu erwartenden Ausbeute der Jagd – für mehrere Monate leicht genug beschaffen, da solche jetzt in Dawson City reichlich vorhanden waren, das die Gesellschaften, die auch an die Lagerstätten von Klondike liefern, sobald die Verbindung zwischen Skagway und Vancouver wieder eröffnet ist, damit fast in Überfluß versorgt hatten. An Schießbedarf fehlte es ebensowenig und wenn man genötigt wäre, zu den Flinten zu greifen, so würden diese nicht stumm bleiben.

Die Karawane unter der Führung des Scout sollte aus den beiden Vettern, Jane Edgerton, Neluto mit seinem Wagen und Pferde bestehen, zu denen noch außer Patrick Richardson neun Kanadier kamen, die auf dem Claim Nummer 129 gearbeitet hatten, und endlich sechs Leute Bill Stells; zusammen ergab das also einundzwanzig Personen. Die mäßige Zahl von Prospektoren mußte jedoch [300] genügen für die Ausbeutung des Golden Mount, wo nach Jacques Leduns Rede die Arbeit nur darin bestand, die im Krater des erloschnen Vulkans lagernden Pepiten aufzulesen.

Der Zug, dessen Zweck und Ziel zunächst noch immer nur Ben Raddle, Summy Skim, Jane Edgerton und der Scout kannten, wurde möglichst sorgsam und doch so eifrig vorbereitet, daß der Aufbruch für den 6. Mai bestimmt werden konnte.

Es kann dabei nicht wundernehmen, daß Ben Raddle vor der Abreise aus Dawson City noch ein letztes Mal erfahren wollte, wie die Dinge mit den Claims am Forty Miles Creek lägen. Auf sein Geheiß begaben sich die Werkführer und Neluto nach der Stelle, wo sich früher die Erbschaft von Onkel Josias befand.

Hier fanden sie die Verhältnisse noch unverändert. Der Claim 129 wie der Nummer 131 und wie viele andre Claims an beiden Seiten der Grenze waren noch völlig überflutet. Durch das Erdbeben aufs Zehnfache verbreitert, folgte der Rio noch immer seinem neuen Bette. Ihn abzulenken und in das alte schmälere Bett zurückzudrängen, wäre vielleicht eine unmögliche, auf jeden Fall eine sehr schwierige und kostspielige Arbeit gewesen, an die vorläufig kein Mensch dachte. Lorique erklärte deshalb auch bei seiner Rückkehr, daß alle Hoffnung, die alten Lagerstätten wieder zu bearbeiten, für immer aufzugeben sei.

Am 5. Mai war alles fix und fertig. Am Nachmittag begaben sich Ben Raddle und Summy Skim noch einmal nach dem Krankenhause, um sich von Edith und dem Arzte der Anstalt zu verabschieden.

Sie trafen hier zunächst die beiden Cousinen, die diesen letzten Tag beieinander verbrachten. Edith erschien wie immer ruhig und gefaßt. Was sie von der ganzen Reise halten mochte, hätte freilich niemand sagen können.

»Ja, darüber habe ich kein Urteil, antwortete sie auf eine diesbezügliche Frage, die Ben Raddle an sie gerichtet hatte. Ein jeder gestaltet sich das Leben, wie es ihm gefällt. Wichtig ist doch allein, daß man, was man tut, auch nach besten Kräften ausführt.«

Das Gespräch dehnte sich über zwei Stunden hin aus. Merkwürdigerweise wurde es aber fast ausschließlich zwischen Summy und Jane geführt. Je länger es dauerte, desto hartnäckiger schwiegen Ben Raddle und Edith, als ob sich ihrer von Minute zu Minute eine fixe Idee mehr und mehr bemächtigt hätte.

[301] Als die Zeit der Trennung herangekommen war, schloß sie Summy in lustiger Weise ab.

»Das Programm, sagte er, lautet also: Keine Sentimentalität! Laßt uns guter Dinge sein! Vor Winters Anfang sind wir zurück, höchstens seufzend unter der Last der schönsten Pepiten!

– Möge der Himmel dich hören!« murmelte Ben Raddle mit einer Art Müdigkeit, während er Edith die eine Hand entgegenstreckte, die diese schweigend drückte.

Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte und sie sich anschickten, noch den Doktor Pilcox aufzusuchen, wendete sich Summy mit einer gewissen Lebhaftigkeit an seinen Vetter.

»Was zum Kuckuck hast du denn? fragte er. Du siehst ja aus, als hätte man dir die Butter vom Brot gestohlen, und Fräulein Edith machte auch ein Gesicht wie saure Milch. Das ist ja recht ermutigend. Du hast wohl keine Lust mehr zu unsrer Fahrt?«

Ben Raddle schien mit Mühe ihn belästigende Gedanken zu unterdrücken.

»Du beliebst wohl zu scherzen,« antwortete er nur.

Der Doktor Pilcox äußerte seine Anschauung der Dinge in folgender Weise:

»Ah, da steht Ihnen ja eine herrliche Reise bevor, denn das Land da unten muß noch schöner sein als das hier in Klondike, das sich übrigens doch auch schon sehen lassen kann. Dazu kommt, wenn Sie jetzt eine Richtung nach Süden einschlügen, wären Sie auf dem Rückwege nach Montreal und wir würden Sie wahrscheinlich nie wiedersehen, Sie müßten denn von da unten noch einmal herauskommen, wo Sie uns dann in Dawson wiederfänden!«

Ben Raddle benützte das Ende des Tages noch zu einer letzten Besprechung mit Lorique. Was die beiden untereinander ausmachten, davon erfuhr Summy – glücklicherweise – nichts, denn er würde ernstlichen Widerspruch erhoben haben, wenn er den Gemütszustand seines Vetters gekannt hätte.

Unter den langen Zwiegesprächen, die er schon seit so vielen Monaten mit dem Werkführer pflog, war der Ingenieur vollständig von dem Goldfieber gepackt worden, das Summy so gründlich verabscheute. Lorique, ein fast übereifriger Goldgräber, der beinahe sein ganzes Leben dieser aufregenden Tätigkeit gewidmet hatte, hatte Ben Raddle allmählich mit seinen Ideen erfüllt. Der Diener hatte den Herrn sozusagen heimlich angesteckt und dieser war dadurch so weit gekommen, daß er die Aufsuchung und Ausbeutung von Goldadern oder [302] -Ablagerungen für das ausschließliche Ziel seines Lebens ansah. Die Heimreise nach Montreal war in seiner Vorstellung in eine unbestimmte Zukunft zurückgewichen. Sein ganzes Interesse konzentrierte sich nur um Klondike, um diese unerschöpfliche Quelle von Aufregungen, wie sie der in ihm schlummernde Spieler vor allem liebte.

Ben Raddle hatte sich dafür entschieden, daß Lorique an der bevorstehenden Expedition nach dem Norden nicht teilnehmen sollte. In Dawson zurückbleibend, erhielt er den Auftrag, sich über alle die Minenindustrie betreffenden Vorgänge und Ereignisse auf dem Laufenden zu erhalten. Wenn sich ihm Gelegenheit zu einem günstigen Geschäfte böte, sollte er in der Lage sein, es selbst sogleich abzuschließen.

Nachdem alles in dieser Weise geordnet war, verließ die Karawane am Morgen gegen fünf Uhr Dawson auf dem Wege durch das hochgelegene Stadtviertel am rechten Ufer des Klondike und wendete sich nun dem Nordosten zu.

Das Wetter war höchst günstig; ein klarer Himmel bei schwachem Winde und einer zwischen fünf und sechs Grad über Null liegenden Temperatur. Der Schnee war größtenteils weggeschmolzen, nur da und dort schimmerten noch weiße Stellen auf dem schon mit jungem Gras bewachsenen Erdboden.

Daß die Reiseroute sorgsam festgestellt worden war, braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden. Der Scout hatte die Reise von Dawson City nach Fort Macpherson schon früher gemacht und auf die Treue seines Gedächtnisses konnte man sich getrost verlassen.

Das Gebiet, durch welches der Weg führte, war im ganzen ziemlich eben und nur von einigen Rios durchschnitten, von denen die ersten dem Yukon oder dem Klondike River zuströmten, die andern aber, die jenseit des Polarkreises, Nebenflüsse des Peel River waren, der längs der Felsenberge hinzieht, bis er sich schließlich in den Mackensie ergießt.

Auf diesem ersten Teile der Reise, wenigstens zwischen Dawson City und Fort Macpherson, boten sich dem Fortkommen keine besondern Schwierigkeiten. Nach dem Schmelzen des letzten Schnees würden die Rios ja auch auf ihren gewöhnlichen Wasserstand zurückkehren, wobei sie leicht zu überschreiten waren, während sie für alle Bedürfnisse der Truppe doch immer noch genug Wasser enthielten.

Wenn die Gesellschaft dann den Peel River erreicht hatte, sollte entschieden werden, wie der letzte Teil der Reise auszuführen wäre.

[303] Infolge einer sehr menschlichen Autosuggestion brachen alle, vielleicht mit Ausnahme Summy Stims und Patrick Richardsons, mit bester Hoffnung auf das Gelingen der Expedition auf. Summy Skim beschränkte sich noch immer darauf, sich keine eigne Meinung zu bilden und sich jedes Gedankens über den Zweck der Reise zu entschlagen. Nach langem und nutzlosem Widerstreben machte er sich lustig – ohne zu wissen warum – mit auf den Weg und behielt immer eine rosige Laune.

Was Patrick betraf, so bildete sich auch dieser kein eignes Urteil, wenn man annimmt, daß er das überhaupt imstande gewesen wäre.

»Morgen reisen wir ab, Patrick, hatte Jane am letzten Abend zu ihm gesagt.

– Schön, Herr Jean,« hatte darauf der treue Riese geantwortet, dem der Wechsel des Geschlechts seines jungen Herrn gar nicht aufgefallen zu sein schien.

Die übrigen, wenigstens die, die ins Vertrauen gezogen worden waren, also Ben Raddle, Jane Edgerton und selbst Bill Stell, nahmen das Vorhandensein des Golden Mount und seiner Schätze als einen Glaubensartikel an. Der Rest der Truppe folgte mehr vertrauensselig; die Leute wußten ja nur, daß es sich zum Zwecke des Goldsuchens um eine Reise nach dem Norden handelte, und berauscht von einem unbegründeten Optimismus, erwogen sie schon im voraus die Ergebnisse. Ben Raddle war und blieb in bester Gemütsverfassung. Man raunte einander zu, daß der Scout ihm »einen Floh ins Ohr gesetzt hätte« und daß man mit tödlicher Sicherheit fabelhaften Reichtümern entgegenziehe, die der Ingenieur mit einem Schlage aus der Erde zu heben verstehen würde.

Unter diesen glücklichen Umständen wurde Dawson City verlassen. Von der Stadt aus fuhr der von Neluto geführte Wagen, worin die beiden Vettern und Jane Edgerton Platz genommen hatten, ziemlich schnell dahin. Bald aber mußte er seine Geschwindigkeit mäßigen, da die andern stark belasteten Zugtiere ihm nicht mehr folgen konnten. Immerhin gelang es, die ersten Etappen ohne zu große Anstrengung für die Menschen und die Tiere zurückzulegen, da die unabsehbare Ebene keine Hindernisse aufwies. Um den Maultieren eine Erleichterung zu verschaffen, legten die Männer wiederholt größere Wegstrecken zu Fuß zurück. Ben Raddle und der Scout sprachen dann über das, was ihre Gedanken ja immer in Anspruch nahm. Summy Skim und Neluto suchten dagegen das Land rechts und links vom Wege ab und da es an Wild hier nicht fehlte, gelang ihnen mancher gute Schuß. Noch bevor es dann Nacht wurde, die zu dieser [304] [307]Zeit und in so hoher Breite noch ziemlich zeitig eintrat, wurde bis zum folgenden Morgen ein schnell aufgeschlagnes Lager bezogen.


Der Bär rieb sich mit der Tatze das ausgeschlagne Auge... (S. 311.)

Am 16. Mai, zehn Tage nach dem Aufbruche aus Dawson City, war es, wo die Karawane etwas oberhalb des sechsundsechzigsten Parallelkreises den Polarkreis überschritt. Auf dem ersten Teile der Fahrt hatte sich nichts Besondres ereignet. Man war nicht einmal Indianerhorden begegnet, die von den Agenten der Hudsonbai-Gesellschaft noch immer eifrig verfolgt und weiter nach Westen verdrängt werden.

Das Wetter blieb schön, der Gesundheitszustand ließ nichts zu wünschen übrig. Das kraftstrotzende, an Beschwerden gewöhnte Personal schien von der Reise nicht zu leiden. Die Zugtiere fanden reichliches Futter auf den grünenden Wiesen. Das Lager für die Nacht konnte man immer in der Nähe eines klaren Wasserlaufs am Saume von Wäldern mit Fichten, Birken und Espen errichten, die sich in der Richtung nach Nordosten über Sehweite hin ausdehnten.

Das Bild des Landes veränderte sich dann langsam. Am östlichen Horizont ragte schon der Kamm der Felsengebirge auf. In diesem Teile Nordamerikas ist die Ebene schon durch die ersten, von ihnen ausgehenden Bodenwellen unterbrochen, die sich, immer höher werdend, dann durch die Neue Welt in deren ganzer Länge fortsetzen.

Einige Kilometer nach dem Passieren des Polarkreises mußte die Karawane in einem Flusse nahe an seiner Quelle durch eine Furt ziehen. Der Fluß selbst verlief nach Nordwesten, wo er in die Porcupine mündete.

Infolge eines Netzes von Creeks ebenso wie infolge der Unebenheiten des Bodens wurde der Weg nördlich vom jenem Flusse ziemlich beschwerlich und trotz der äußersten Vorsicht Nelutos kamen Brüche an den Rädern und den Federn des Wagens mehrfach vor.

Keinem fiel es jedoch ein, sich über derlei Schwierigkeiten zu wundern. Man hatte doch gar nicht erwartet, in dieser Gegend etwa makadamisierte und mit Gaslaternen beleuchtete Straßen zu finden. Nur Bill Stell, der früher schon denselben Weg zurückgelegt hatte, schien einigermaßen erstaunt zu sein.

»Der Weg, sagte er eines Tags, als die Karawane durch einen engen Hohlweg dahin zog, schien mir doch nicht so schlecht zu sein, als ich vor zwanzig Jahren hier durchkam.

– Er hat sich inzwischen aber doch sicherlich nicht verändert, meinte Summy Skim.

[307] – Vielleicht ist das nur eine Folge des letzten, so strengen Winters, bemerkte dazu der Ingenieur.

– Ja, das denke ich auch, Herr Ben, antwortete der Scout. Die Kälte ist eine so außerordentliche gewesen, daß der Frost sehr tief in die Erde eingedrungen ist. Übrigens möchte ich dringend empfehlen, sich vor Schlaglawinen in acht zu nehmen.«

In der Tat wurden solche zwei- oder dreimal beobachtet. Gewaltige, durch Unterwaschung aus dem Gleichgewichte gekommene Blöcke von Quarz und Granit polterten springend die Abhänge herunter und brachen oder zerschmetterten die Bäume auf ihrem Wege. Es hatte auch einmal nicht viel gefehlt, daß einer der Karren samt dem Gespann einem solchen Absturze schwerer Steinmassen zum Opfer gefallen wäre.

Die an den nächsten zwei Tagen zurückzulegenden, übrigens keineswegs langen Wegstrecken verursachten recht ernste Beschwerden. Das hatte Verzögerungen zur Folge, gegen die Ben Raddle herzhaft wetterte, während Summy Skim sie mit der Ruhe des Philosophen hinnahm.

Ihn lockte das gleißende Gold ja nicht. Da er hatte darauf verzichten müssen, mildere Klimate aufzusuchen, so galt es ihm gleich, seine Zeit auf einer Reise oder anderswie zu verbringen. Übrigens mußte er sich wohl oder übel gestehen, daß er sich hier vorläufig ganz glücklich fühlte.

»Er ist erstaunlich, dieser Ben, sagte Summy wiederholt zu Jane Edgerton. Der reine Tollkopf!

– Keineswegs, widersprach ihm Jane, er hat nur große Eile, weiter nichts.

– Eile? erwiderte Summy. Warum denn Eile?... Er verdirbt sich immer die Gegenwart mit seiner Sorge für das Morgen. Ich will aber meines Lebens froh werden und nehme die Dinge, wie sie eben kommen.

– Ja, Herr Raddle hat dagegen einen bestimmten Zweck im Auge. Er zieht gerade auf den Golden Mount zu; der Weg, um diesen zu erreichen, ist für ihn nur ein Mittel, das ihn nicht interessiert.

– Der Golden Mount – wenn's den überhaupt gibt – erwiderte Summy, wird aber in vierzehn Tagen noch an derselben Stelle sein wie nach achten. Ich hoffe übrigens sehr, daß wir uns in Fort Macpherson einmal eine wohlverdiente Rast gönnen. Nach einem solchen ewigen Trab sehnt man sich danach, die Glieder einmal wieder in einem Bette auszustrecken.

[308] – Wenn es in Fort Macpherson überhaupt Gasthäuser gibt!«

Der darüber befragte Scout erklärte, daß das nicht der Fall wäre.

»Fort Macpherson, sagte er, ist nur ein befestigter Posten für die Angestellten der Pelzhandelsgesellschaft. Zimmer sind darin allerdings vorhanden.

– Na, wo es Zimmer gibt, wird es wohl auch Betten geben, meinte Summy Skim, und ich wäre wahrlich nicht böse darüber, meine Beine darin zwei bis drei ruhige Nächte hindurch ausstrecken zu können.

– Erst heißt's aber, dort anzukommen, unterbrach ihn Ben Raddle, und dazu darf nicht unnötig Halt gemacht werden.«

Die Karawane zog also so schnell weiter, wie es die Windungen und die Hindernisse der Engpässe erlaubten. Trotz allem Drängen Ben Raddles dauerte es doch fast eine Woche, ehe die Reisegesellschaft durch die Berggegend gekommen und am Peel River eingetroffen war.

Erst am Nachmittage des 21. Mai wurde dieser erreicht und unverzüglich überschritt man den wichtigen Nebenfluß des Mackensie, und zwar mit Hilfe der letzten Schollen des Eisgangs, die ihn noch erfüllten. Vor Eintritt der Nacht waren die Menschen und alles Material nach dem rechten Ufer befördert, wo nun unter dem Gezweig großer Seesichten das Nachtlager aufgeschlagen wurde. Sobald die Zelte aufgestellt waren, beschäftigte man sich mit dem stets ungeduldig erwarteten Abendessen.

Es war jedoch bestimmt, daß der Tag nicht ohne einen dramatischen Zwischenfall schließen sollte. Kaum hatten sich alle unter den Bäumen häuslich eingerichtet, als einer der Kanadier, der ein Stück am Flusse hinuntergegangen war, eiligen Laufes und mit furchtverzerrten Zügen zurückkam.

»Achtung!... Achtung!« rief er, sobald er sich in Hörweite befand.

Alles sprang bunt durcheinander auf. Nur Summy bewahrte als leidenschaftlicher Jäger genug Kaltblütigkeit, gleich nach seinem Gewehr zu greifen.

In einem Augenblicke stand er bereit, Feuer zu geben.

»Indianer? fragte er.

– Nein, antwortete der Scout, hier handelt sich's um Bären.«

Wirklich hatte sich ein Trio von mächtigen Bären dem Fliehenden an die Fersen geheftet, die allerdings furchterweckend genug aussahen und zu der Art der Grislibären gehörten, die so zahlreich in den Schluchten der Felsengebirge hausen.

[309] Trieb diese Bären jetzt etwa der Hunger? Das war wahrscheinlich, wenigstens nach ihrem furchtbaren Brummen zu urteilen, das alle Zugtiere so erschreckte, daß sie durchgehen wollten.

Das verschlimmerte noch die allgemeine Verwirrung und die drei Bären erschienen schon im Lager, ehe dessen Insassen einigermaßen zu seiner Verteidigung gerüstet waren.

In der ersten Reihe der Bedrängten befand sich zufällig Jane Edgerton. Sie versuchte zurückzuweichen, zu entfliehen, es lag aber auf der Hand, daß ihr dazu die Zeit fehlte. Mit einem Sprunge stand da Summy vor dem jungen Mädchen, brachte das Gewehr in Anschlag und gab schnell hintereinander zwei Schüsse ab.

Summy fehlte sein Ziel niemals, das behauptete er wenigstens selbst und auch jetzt lieferte er dafür einen weitern Beweis. Zwei ins Herz getroffne Bären brachen zusammen, um sich nie wieder zu erheben.

Nun blieb noch ein dritter übrig. Unbekümmert um das Abschlachten seiner Genossen stürmte der Bär in vollem Laufe heran. Binnen einer Sekunde mußte er den jetzt wehrlosen, unglücklichen Summy mit den Krallen seiner mächtigen Vorderbeine gepackt haben. Summy aber ergriff, entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, das Gewehr am Laufe, um es als Keule zu benützen, und erwartete stehenden Fußes den grimmigen Feind.

Plötzlich aber schwenkte der Bär um. Von der Seite angegriffen, mußte er sich einem neuen Feinde zuwenden, der kein andrer als Patrick Richardson war. Ohne andre Waffen als die, womit er von der Natur ausgestattet war, war der Irländer zur Hilfe herbeigeeilt und nach den Regeln des richtigen »Pantoffelkampfes« hatte er der rechten Seite des Bären einen so wuchtigen Fußtritt versetzt, daß dem wilden Tiere vorläufig alle Angriffslust verging.

Der Bär drehte sich reichlich ein Viertel um sich selbst und während er ein schreckliches Wutgeheul ausstieß, stürzte er doch noch einmal auf den Tollkühnen zu, der ihn so trotzig herausforderte. Die Zuschauer des sich so schnell abspielenden Auftritts stießen einen Schreckensschrei aus; nur Patrick zeigte keine Spur besondrer Erregung.

Es war wirklich ein sehenswertes Schauspiel: Auf der einen Seite das riesige Tier, welches mit allen Zeichen aufflammender Wut, mit der Blindheit des Raubtiers und drohend erhobenen Tatzen nach vorwärts stürzte, und auf der andern ein physisch prächtiger Vertreter der Menschenrasse, der wohl ebenso groß und [310] kraftvoll, nur nicht so gut zum Kampfe ausgerüstet war wie sein schrecklicher Gegner, der aber, auf wie tiefer geistiger Stufe er auch stehen mochte, die Minderwertigkeit seiner Waffen durch die nur dem Menschen verliehene Intelligenz auszugleichen wußte.

Man hätte glauben können, eine Szene aus vorgeschichtlicher Zeit vor sich zu haben, wo unsre Ahnen sich die unbekannte und sozusagen feindselige Erde allein durch die Kraft ihrer Muskeln erobern mußten.

Auch diesmal siegte wieder die Intelligenz. Genau in dem Augenblicke, wo der Bär Patrick in seinen behaarten Pranken erwürgen wollte, traf die Faust des Irländers, schnell wie ein Blitz und wuchtig wie das Geschoß eine Katapults das Maul des Angreifers.

Es war ein furchtbarer Schlag. Der Bär wankte auf den Hinterbeinen und sank rückwärts zusammen, Patrick lächelte zwar ein wenig vor sich hin, sprach aber kein Wort, sondern hielt sich nur bereit, einem neuen Angriff zu begegnen.

Dieser ließ nicht auf sich warten. Kaum niedergestürzt, erhob sich der Bär mit blutendem Maule schon wieder. Toll vor Wut, drang er aufs Geratewohl auf seinen Feind ein.

Patrick bewahrte seine Kaltblütigkeit wie bisher. Im günstigen Augenblicke hämmerten seine beiden Fäuste jetzt gleichzeitig auf das Raubtier los. Die rechte traf das eine Auge des Bären und die andre dessen Maul mit solcher Gewalt, daß sofort das Blut daraus hervorspritzte und man die Fangzähne darin brechen hörte.

Wiederum fiel der Bär nach rückwärts und nochmals wartete Patrick wahrhaft edelmütig, daß er sich wieder erheben sollte, um das Spiel von neuem zu beginnen. Loyaler hätte es auch bei dem strengsten römischen Zweikampf nicht hergehen können.

Der Bär erhob sich jetzt aber weniger schnell als nach seinem ersten Falle. Endlich versuchte er es, kam aber nur auf sein Hinterteil zu sitzen. Er gab keinen Laut mehr von sich und brummte nicht einmal mehr. Verzweifelt rieb er nur mit der Tatze das ausgeschlagne Auge und leckte sich die blutenden Lefzen ab.

Des Wartens überdrüssig und mit geballter Faust machte Patrick einen Schritt auf den Bären zu, der sofort um ebensoviel zurückglitt. Der Irländer machte einen zweiten und noch einen dritten Schritt, wobei sein Gegner wieder [311] ebensoviel zurückwich. Drei Minuten dauerte die seltsame Verfolgung zur größten Verwunderung der Zuschauer.

Jetzt wurde Patrick ungeduldig; der Sache mußte ein Ende gemacht werden. Überzeugt, daß er den Feind, wenn dieser entfloh, nicht erreichen, und einsehend, daß er ohne ein Wurfgeschoß nichts weiter ausrichten könnte, bückte er sich, um einen großen Stein aufzuheben, den er gegen das Tier in der Hoffnung schleudern wollte, daß dadurch der Kampf noch einmal entbrennen würde.

Daraus wurde jedoch nichts. Als der Bär die drohende Haltung des Irländers bemerkte, verzichtete er auf alles weitere. Die erhaltne Lektion hatte ihm offenbar genügt. So ließ er sich denn auf seine vier Pfoten fallen und trat in kurzem Trab wie beschämt den Rückzug an, wobei er sich so viel wie möglich zusammenzog und mit dem einen Auge nur noch einen furchtsamen Blick auf seinen Überwinder warf.

Wenige Minuten später war er unter den Bäumen des Waldes verschwunden.

Ein homerisches Gelächter, begleitet von donnerndem Beifallsruf, begrüßte die unerwartete Lösung des Dramas. Alle drängten sich um Patrick und beglückwünschten ihn.

»Herzlichen Dank, Patrick, sagte Summy Skim mit aufrichtiger Wärme, während er die Hand seines Retters drückte.

– Ja, tausend Dank, wiederholte Jane gegen den Riesen. Dank und Bravo für die Tat!«

Patrick schien die Anwesenheit Summys gar nicht zu bemerken. Er wendete sich seiner jungen Herrin zu, die überhaupt für ihn auf der Erde nur allein da war.


Es gelang dem Scout, eine Furt zu entdecken. (S. 320.)

»Es ist ja nicht der Rede wert, sagte er bescheiden. Das Tier, sehen Sie, Herr Jean, das verstand nur nichts vom Boxen!«

[312][315]
6. Kapitel
Sechstes Kapitel.
Auf dem Wege zum Ziele.

Fast genau unter 135 Grad westlicher Länge und 67 Grad der Breite gelegen, war das Fort Macpherson jenerzeit der vorgeschobenste Posten, den die Hudsonbai-Gesellschaft in Nordamerika besaß. Es beherrschte das ganze Gebiet, das von den zahlreichen Flußarmen, die sich am Mündungsdelta des Mackensie am Arktischen Eismeere verzweigen, erfüllt wird. Hier machten die Pelzjäger stets die reichlichste Beute, mußten sich aber auch oft gegen Indianertrupps verteidigen, die auf den Ebenen im Norden der Dominion umherziehen.

Das am rechten Ufer des Peel River errichtete Fort hielt sich so viel wie möglich in steter Verbindung mit dem Fort Good Hope, das stromaufwärts am Ufer des Mackensie liegt. Die erbeuteten Felle wurden vom ersten zum zweiten geschafft und von hier aus unter sichrer Begleitung nach der Hauptniederlage der Handelsgesellschaft befördert.

Das Fort Macpherson besteht in der Hauptsache aus einem großen Magazin, über dem das Zimmer des Oberagenten, der Wohnraum für dessen Leute und ein Schlafsaal mit Feldbetten nebeneinanderliegen. Der Schlafsaal kann etwa zwanzig Personen aufnehmen. Unten befinden sich noch Stallungen, wo die Pferde-und Maultiergespanne eingestellt werden können. Die benachbarten Wälder liefern das nötige Brennholz, um gegen die strenge Kälte des Winters zu schützen.

An solchem Holze fehlte es nicht und wird es auch nach einer längern Jahresreihe noch nicht fehlen. Nahrungsmittel werden jeden Sommer regelmäßig durch die Proviantkolonnen der Gesellschaft hergeschafft, abgesehen von dem, was Jagd und Fischfang zur Vermehrung der Vorräte liefern.

Das Fort Macpherson wird von einem Oberagenten verwaltet, der gegen zwanzig aus Kanada und Britisch-Kolumbien gebürtige Soldaten, tüchtige, einer strengen Disziplin unterworfene Leute unter sich hat.

Das Leben hier ist freilich recht rauh, eine natürliche Folge der Unwirtlichkeit des Klimas und der dauernden Gefahr, von einer Bande von Abenteurern, die in der menschenleeren Einöde umherirren, jeden Augenblick überfallen zu werden.

[315] Das Waffengestell ist deshalb auch reichlich mit Gewehren und Revolvern versehen und die Gesellschaft läßt es sich angelegen sein, die Munition so zeitig zu erneuern, daß es dem Posten daran niemals fehlt.

Gerade als die Gesellschaft Ben Raddles am Fort Macpherson eintraf, hatten der Oberagent und seine Leute einen Alarm erlebt.

Wenige Tage vorher, am Morgen des 25. Mai, war vom Wachtposten die Annäherung einer aus dreißig bis vierzig Mann, meist Indianern, bestehenden Truppe gemeldet worden, die am rechten Ufer des Peel River herauszog.

Wie für solche Fälle gebräuchlich, wurde das Tor des Forts Macpherson zunächst fest verschlossen. Ohne Ersteigung der Mauern konnte dann niemand in dessen Inneres eindringen.

Als die Fremdlinge am Tore angelangt waren, verlangte einer von diesen, der der Führer oder Hauptmann zu sein schien, die Erlaubnis, einzutreten. Der Oberagent begab sich auf die Umfassungsmauer und besichtigte die Draußenstehenden, die ihm vielleicht nur ein Zufall zugeführt hatte. Die Prüfung mochte ihm aber nichts Gutes ergeben und die Truppe ihm verdächtig vorkommen, jedenfalls antwortete er, daß niemand den Platz betreten dürfe.

Daß sein Urteil richtig gewesen war, sollte sich bald zeigen. Von draußen hörte man Drohungen und wilde Flüche. Der Oberagent erkannte auch, daß die Bande außer den Indianern aus Südamerikanern, d. h. aber aus Leuten bestand, die immer zu den schlimmsten Gewalttätigkeiten neigen.

Die Abenteurer ließen es auch nicht bei Worten bewenden, sie gingen zu Taten über. Ob sie sich nun bloß verproviantieren wollten oder die Absicht hatten, sich des Forts Macpherson, dieses wichtigen Stützpunktes an der Mündung des Mackensie, zu bemächtigen, jedenfalls versuchten sie, das Tor zu sprengen. Dasselbe widerstand jedoch ihrem Angriffe und nach einer Gewehrsalve des Postens, die mehrere verwundete, entfernten sich die Angreifer in der Richtung nach Nordwesten, doch nicht ohne auf die Agenten der Gesellschaft gefeuert zu haben, von denen glücklicherweise keiner getroffen wurde.

Nach diesem Zwischenfalle war jedoch ein erneuter Angriff zu gewärtigen und die Besatzung des Forts Macpherson hielt sich deshalb Tag und Nacht zur Abwehr bereit.

Und verdiente sie denn keine Anerkennung, scharf Wache gehalten zu haben, als fünf Tage später, am 30. Mai, ein neuer Trupp gemeldet wurde, der, am rechten Flußufer herankommend, sich offen auf das Fort zu bewegte?

[316] Groß war natürlich das Erstaunen der Karawane des Scout – denn diese war es – als sie auf der Mauerbekrönung ein Dutzend bewaffneter Männer auftauchen sah, die ihr befahlen, sich zu entfernen.

Der Oberagent überzeugte sich jedoch bald, daß er es hier mit Kanadiern zu tun hatte, und – ein besonders glücklicher Umstand – es ergab sich, daß er und Bill Stell alte Bekannte von der Zeit her waren, wo beide in der Miliz der Dominion gedient hatten.

Da sprang das Tor des Fort Macpherson weit auf und die Karawane zog nach dem innern Hofe, wo ihr der freundlichste Empfang zuteil wurde.

Der Oberagent gab nun eine Erklärung ab über sein Auftreten bei der Annäherung der Fremden und erzählte, daß nur wenige Tage vorher eine Rotte Amerikaner und Indianer gegen das Fort feindlich vorgegangen wären, daß sie hätten das Tor erbrechen wollen und daß man genötigt gewesen wäre, sie mit Flintenschüssen zu vertreiben. Was die rohen Burschen eigentlich beabsichtigt hätten, wußte freilich niemand; nach deren Auftreten war die Vorsicht der Besatzung aber jedenfalls berechtigt.

»Was ist denn dann aus der Rotte geworden? fragte der Scout.

– Nachdem sie uns erfolglos beschossen hatte, antwortete der Oberagent, ist sie ihres Weges weitergezogen.

– Und in welcher Richtung?

– In der nach Nordwesten.

– Da wir auf dem Wege nach Norden sind, sagte Ben Raddle, ist es ja wahrscheinlich, daß wir nicht mit ihr zusammentreffen.

– Das wünsche ich Ihnen wenigstens, antwortete der Oberagent, denn die Bande schien mir aus dem Auswurf der schlimmsten Sorte zu bestehen.

– Wo mögen die Burschen also wohl hinziehen? erkundigte sich Summy Skim.

– Jedenfalls suchen sie neue Goldlager auf, denn sie waren mit allem Hilfsgerät von Prospektoren versehen.

– Haben Sie wohl davon reden gehört, daß es in diesem Teile der Dominion noch solche Lagerstätten gibt? fragte jetzt Ben Raddle.

– O gewiß, versicherte der Oberagent. Es handelt sich nur darum, sie zu finden.«

Mehr wußte der Oberagent nicht anzugeben; er machte nicht die leiseste Anspielung auf den Golden Mount, der doch nicht mehr weit von Fort Macpherson liegen konnte.

[317] Ben Raddle empfand das als eine Befriedigung. Er zog es vor, daß Jacques Leduns Geheimnis noch niemand bekannt wäre. Anderseits machte das einen gegenteiligen Eindruck auf Summy Skim, der das Vorhandensein des reichen Goldbergs noch immer bezweifelte. Um hierin etwas klarer zu sehen, fragte er den Oberagenten, ob im Norden wohl Vulkane vorkämen. Dieser erklärte davon noch nie reden gehört zu haben, und diese Antwort machte Summy Skim natürlich von neuem stutzig.

Der Scout begnügte sich, seinem Regimentskameraden mitzuteilen, daß die Karawane eben zur Aufsuchung von Goldlagern nach der Mündung des Mackensie ziehe, und fügte hinzu, es sei ihr nach dem Marsche von einem vollen Monate recht erwünscht, wenn sie zwei bis drei Tage im Fort Macpherson ausruhen könnte, vorausgesetzt, daß man ihr gern Aufnahme gewährte.

Das Gesuch Bill Stells wurde ohne weiteres bewilligt. Gerade jetzt beherbergte das Fort nur seine regelmäßige Garnison, die Jäger wurden erst nach einem Monate erwartet. Es mangelte also nicht an Platz und die Karawane konnte ohne Belästigung andrer bequem Unterkommen finden.

Ben Raddle sprach dem Oberagenten seinen herzlichen Dank für die gute Aufnahme aus und vor Ablauf einer Stunde war die Unterbringung der Leute und des Materials der Karawane beendet.

Die drei Tage verliefen in vollkommener Ruhe und kein Zwischenfall störte den Aufenthalt der Karawane in Fort Macpherson. Als die Stunde zum Aufbruch schlug, hatten sich alle bestens erholt und waren freudigen Herzens bereit, weiterzuziehen.

Am Morgen des 2. Juni ordnete sich die kleine Gesellschaft wieder unter der Leitung des Scout, der mit seinem aufrichtigen und wohlverdienten Danke gegen den Oberagenten und dessen Leute nicht geizte, und dann setzten sich alle längs des rechten Ufers des Peel River in Bewegung.

Ben Raddle, Summy Skim und Jane Edgerton hatten ihren Platz in dem von Neluto geführten Wagen wieder eingenommen; die andern Gespanne folgten unter Führung des Scout. Das jetzt zu durchmessende Land kannte dieser nicht, da seine frühern Fahrten ihn niemals über Fort Macpherson hinausgeführt hatten. Er konnte sich jetzt also nur an das halten, was der Ingenieur über diese Gegend wußte. Die Karte mit dem darauf eingetragnen Golden Mount, wie Jacques Ledun dessen Lage bestimmt hatte, ließ erkennen, daß der Weg von Fort Macpherson aus vom Peel River etwas nach links abweichen mußte.

[318] Zu Mittag wurde an einem Rio vor dem Saum eines Tannenwaldes Halt gemacht; die Tiere ließ man auf einer nahe liegenden Wiese weiden. Die Luft wurde durch einen leichten Nordwestwind erfrischt und über den Himmel zogen vereinzelte Wolken hin.

Ringsumher war flaches Land; erst weit im Osten wurde der Blick durch die ersten Höhen der Felsengebirge aufgehalten Die bis zum Golden Mount zurückzulegende Strecke, nach der Karte kaum mehr als zweihundert Kilometer, konnte unter diesen Verhältnissen und wenn keine unvorhergesehene Verzögerung eintrat, höchstens fünf bis sechs Tage in Anspruch nehmen.

Bei einem Gespräch während der Mittagsrast äußerte da der Scout:

»Na, mein Herr Summy, da wären wir ja am Ziele der Reise; bald werden wir nur noch an die Rückfahrt zu denken haben.

– Eine Reise, lieber Bill, antwortete Summy, ist erst zu Ende, wenn man wieder zwischen seine vier Pfähle eintritt, und was besonders diese hier betrifft, so halte ich sie erst für beendet an dem Tage, wo sich die Tür unsres Hauses in der Jacques-Cartierstraße hinter uns geschlossen haben wird.«

Bill ließ den Gegenstand fallen. Ben Raddle wechselte einen vielsagenden Blick mit Jane Edgerton. Summy war entschieden unverbesserlich.

Nicht weniger als dreier Tage bedurfte es für die Karawane, den Zusammenfluß des Peel River mit dem Mackensie zu erreichen, wo sie am Nachmittag des 5. Juni eintraf.

An dem ebnen Ufer des Stromes boten die langen Marschstrecken keine besondern Hindernisse. Das Land war öde; kaum begegnete man einzelnen Gruppen jener Indianer, die am Delta des Großen Stromes dem Fischfang zum Lebensunterhalt obliegen. Die Bande, von der der Oberagent des Forts Macpherson gesprochen hatte, wurde – und der Scout beglückwünschte sich deshalb – nicht getroffen.

»Hübsch allein am Golden Mount ankommen, sagte er wiederholt, und ebenso allein zurückkehren, das ist für uns doch das Beste.«

Er beobachtete in dieser Beziehung auch alle mögliche Vorsicht. Drei seiner Leute marschierten stets als Kundschafter vor und neben der Karawane und während der Ruhestunden wurde die Umgebung des Lagers sorgsamst überwacht, um gegen jede Überraschung geschützt zu sein. Diese Vorsichtsmaßregeln waren bisher überflüssig gewesen und der Karawane war jeder gefährliche Zusammenstoß bis zu dem Augenblicke erspart geblieben, wo sie den Mackensie erreichte.

[319] Die Mündung des Großen Stromes bildet ein ungeheures hydrographisches Netz, das in der Neuen wie in der Alten Welt wohl kaum seinesgleichen findet.

Fünfzig Kilometer vor der Ausmündung in den Ozean teilt sich schon der Mackensie in der Form eines Fächers; seine einzelnen Wasserläufe sind noch durch viele Seitenarme miteinander verbunden, die dann bei der strengen Winterkälte eine einzige große Eisfläche bilden. In der jetzigen Jahreszeit schmolzen die letzten Trümmer des Eisganges schon im Polarmeere und der Peel River trug keine einzige Scholle mehr zu diesem hinunter.

Bei Betrachtung der komplizierten Anordnung des Mackensiedeltas kann man leicht auf den Gedanken kommen, daß sein westlicher Hauptarm eigentlich der Peel River selbst sei, der mit dem östlichen Arme durch viele Kanäle verknüpft wäre.

Wie dem auch sein mag, ob der westliche Arm eine Fortsetzung des Peel River oder ein Zweigstrom des eigentlichen Mackensie ist, jedenfalls mußte die Karawane auf dessen linkes Ufer hinübergelangen, weil der Golden Mount nach seinen Koordinaten nicht mehr fern von diesem Ufer an der Küste des nördlichen Eismeeres liegen sollte.

Zum Glück hatte der Strom jetzt keinen hohen Wasserstand und es gelang dem Scout, darin eine Furt zu entdecken. Der Übergang konnte also, freilich nicht ohne große Schwierigkeiten, während des Haltes am 5. Juni bewerkstelligt werden.

Das nahm den ganzen Nachmittag in Anspruch und als es zu dunkeln anfing, befanden sich Bill Stell und seine Gefährten alle auf dem andern Ufer.

Am nächsten Tage, am 6. Juni, gab Bill Stell schon um drei Uhr früh das Signal zum Aufbruch. Seiner Meinung nach mußten drei Tage bequem genügen, bis zur Küste vorzudringen. Die Karawane würde sich dann in Sicht des Golden Mount befinden, wenn die Angaben der Landkarte einigermaßen genau waren. Doch selbst einen kleinen Irrtum Jacques Leduns bezüglich der Länge und Breite angenommen, mußte der Berg doch sichtbar sein, da er jedenfalls seine Umgebung überragte.

Längs des westlichen Armes des Großen Stromes kam die Gesellschaft ohne nennenswerte Hindernisse vorwärts; nur das Wetter war nicht mehr so günstig. Von Norden her jagten die Wolken schnell über den Himmel hin und wiederholt kam es zu strömendem Regen. Der Marsch wurde hierdurch etwas verlangsamt und der Aufenthalt die Nacht über ziemlich unbehaglich. Alle ertrugen jedoch [320] gern diese Unannehmlichkeiten, die angesichts des lockenden Zieles jedem leicht erschienen.

Ein glücklicher Umstand war es, daß die Karawane nicht gezwungen war, durch das hydrographische Netz des Deltas zu ziehen. Selbst der Scout fragte sich, wie sie das hätten überwinden sollen. So viele Rios ohne seichte Durchgangsstellen zu überschreiten, hätte die Gesellschaft in die ärgste Verlegenheit gebracht. Ja sie wäre vielleicht gezwungen gewesen, vorläufig einen Teil des Materials liegen zu lassen, um es später zu holen.

Als am 8. Juni am Abend angehalten wurde, konnte die Küste nur noch sieben bis acht Lieues entfernt sein und so hoffte man, sie am folgenden Tage bestimmt zu erreichen.

Ben Raddle hielt jetzt die Stunde für gekommen, wo er seinen Gefährten den eigentlichen Zweck der Reise kundgeben sollte.

Er erzählte also die Geschichte Jacques Leduns und wiederholte die vertraulichen Mitteilungen des unglücklichen Franzosen dem ganzen um ihn versammelten Trupp von Prospektoren.

Das erregte einen rauschenden Ausbruch von Freude.

Alle Blicke wendeten sich gegen Norden, in Erwartung, den Gipfel des Golden Mount schon zu erblicken. Selbst wenn der nur in fünf- bis sechshundert Fuß Höhe lag, mußte er in dieser Entfernung schon sichtbar sein.

Die Sonne stand noch ziemlich hoch am Himmel, leider zogen aber am Horizonte Dünste herauf und die ungeduldigen Augen konnten nichts erkennen.

Natürlich hatte sich des ganzen Personals der Karawane eine hochgradige Nervosität bemächtigt und darunter vor allem Ben Raddles, der schon so lange seiner fixen Idee nachgehangen hatte, die sich nun in wenigen Stunden verwirklichen oder zu einem Traum verflüchtigen mußte.

Jane Edgerton teilte die innere Erregung des Ingenieurs. Beide konnten sich kaum mehr an Ort und Stelle halten. Hätte der Scout sie nicht einigermaßen zu Vernunft gebracht, so wären sie gleich noch in der Finsternis davongelaufen.

»Aber zum Henker, Ben, so beruhige dich doch! Fassen Sie sich, Fräulein Jane, mahnte Summy Skim eindringlich. Geduldet euch bis morgen. Wenn's einen Golden Mount gibt, werdet ihr ihn schon an seiner Stelle finden. Er läuft doch, zum Teufel, nicht davon und es ist recht unnütz, unser Lager in der Nacht zu verlassen, um wenige Stunden eher zu wissen, woran man ist.«

[321] Ein weiser Rat, der auch von Bill Stell unterstützt wurde. Noch immer war ein schlimmes Zusammentreffen zu befürchten, entweder mit Indianern oder mit Rotten von Abenteurern von der Art, wie solche das Fort Macpherson angegriffen hatten.

Die Nacht verstrich in unveränderter Weise. Als der Tag anbrach, hatten sich die Dunstmassen noch nicht zerstreut. Selbst auf zwei Kilometer weit wäre der Golden Mount nicht sichtbar gewesen.

Mit mürrischen Gesichtszügen und gefurchter Stirn ging Ben Raddle, der sich kaum noch halten konnte, hin und her.

Summy Skim empfand trotz seiner natürlichen Gutmütigkeit eine Art boshafter Freude über den Unmut des »Tyrannen«, der ihn so unendlich weit von Green Valley verschleppt hatte.

»Immer wüte nur, du alter Junge, wüte nur zu, murmelte er für sich. Wenn der Golden Mount nicht existiert, kannst du ihn auch nicht sehen, das liegt auf der Hand!«

Summy beging bei diesem von gesundem Menschenverstand zeugenden Gedanken, der seine unheilbare Zweifelsucht bewies, nur den Fehler, daß er ihn etwas zu nahe bei Jane Edgerton vor sich hinmurmelte. Diese warf ihm einen strafenden Blick zu, bei dem der schadenfrohe Philosoph bis zu den Ohrläppchen errötete.

Summy versuchte, seinen Schnitzer wieder gutzumachen.

»Wenn er aber existiert, fuhr er eiligst fort, wird man ihn sehen, sobald sich das Wetter aufklärt... das liegt auf der Hand.«

Und wie zur Bekräftigung des zweiten Satzes wiederholte er noch lauter:

»Ja, das liegt auf der Hand!«

Um zu erfahren, ob ihm verziehen wäre, streifte er mit einem Seitenblick das junge Mädchen. Da erlitt er aber die Beschämung, daß diese sich gar nicht mehr um ihn zu kümmern schien.

Das Lager wurde um vier Uhr morgens aufgehoben. Es war schon heller Tag und die Sonne stand bereits mehrere Grade über dem Horizonte. Man merkte sie hinter der Dunstwand, die ihre Strahlen nicht zu durchbrechen vermochten.

Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung. Gegen elf Uhr war die Küste nur noch drei Lieues entfernt. Der Golden Mount blieb noch immer unsichtbar.

[322] Summy Skim begann sich schon zu fragen, ob sein Vetter nicht bald überschnappen würde. So viele Beschwerden erduldet, so vielen Gefahren getrotzt zu haben und dann... nur eine Enttäuschung zu erleben!

Kurz vor Mittag wurde die Luft etwas klarer. Die rote Sonnenkugel schimmerte durch die jetzt weniger dichten Dunstmassen. Da ertönte die Stimme Nelutos:

»Dort... dort!... Eine Rauchsäule!« rief er.

Er bedauerte es aber sofort, sich jetzt so bestimmt ausgesprochen zu haben.

»Oder eine Wolke«, sagte er.

Nach einer Sekunde Überlegung setzte er hinzu:

»Oder vielleicht nur ein Vogel!«

Der Lotse überlegte noch immer. Ein Rauch, eine Wolke, ein Vogel... hatte er damit schon alle Möglichkeiten erschöpft? Nein, er konnte noch auf andre Hypothesen kommen. Und vielleicht waren die ebensogut begründet.

»Oder es ist überhaupt nichts!« schloß er zu seiner Befriedigung und um sich in jedem Falle ein ruhiges Gewissen zu bewahren.

Hätte er noch lauter gesprochen, man hätte doch nicht mehr auf seine Worte gehört. Die Karawane schien fast zur Salzsäule erstarrt zu sein... Seelen und Augen wendeten sich nur dem Norden zu.

Auch Ben Raddle starrte, von dumpfer, unbestimmter Unruhe gefoltert, in derselben Richtung hin.

»Ein Rauch? murmelte er. Doch nein, das ist unmöglich, da der Golden Mount nach Jacques Leduns Versicherung ja ein erloschner Vulkan ist.«

Und doch hatte Neluto unrecht, so zaghaft zu sein. Seine erste Hypothese war die richtige.

Der Nebeldunst zerstreute sich mehr und mehr. Bald strahlte die Sonne glänzend an dem mattblauen Himmel und begrüßt von einem Hurrah der Prospektoren, erschien der wunderbare Berg, der Goldvulkan, aus dessen Krater rußige Dünste aufstiegen.

[323]
7. Kapitel
Siebentes Kapitel.
Eine unerwartete Komplikation.

Trotz der Schwierigkeiten des Weges bedurfte es nicht mehr als zwei kleiner Stunden, daß Ben Raddle und seine Gefährten die Entfernung zurücklegten, die sie noch vom Golden Mount trennte. Ohne ein Wort zu sprechen, ganz versunken in den Anblick des Zieles, das sie endlich erreichen sollten, marschierten alle so schnell, wie es die Natur des Terrains erlaubte. Es war, als würden sie von dem Berge wie von einem Riesenmagneten angezogen.

Schon vor drei Uhr machte die Karawane Halt am Fuße des Vulkans, um den sich an der Ostseite der Rio Rubber hinzog, während im Norden das Eismeer seine letzten Ausläufer bespülte.

Alles ringsumher war wüst und leer. Weder jenseits des Berges im Westen noch an der Seite der Mündungen des Mackensie gewahrte man ein Dorf von Eingebornen oder eine Gruppe von Indianern, die auf dem Küstengebiete sonst so vielfach umherstreiften. Draußen war kein Boot, kein Segel eines Walfängers, kein Rauch eines Dampfers sichtbar. Und doch war gerade jetzt die Jahreszeit, wo die Walfischfänger und die Robbenjäger die nördlichen Meere in großer Zahl zu besuchen pflegen. Fast hätte man daraus schließen können, daß vor Ben Raddle und seinen Gefährten kaum jemand hierhergekommen und Jacques Ledun der einzige gewesen wäre, der seine Nachforschungen bis zur Mündung des Mackensie fortgesetzt, der einzige also, der das Vorhandensein des Goldvulkans konstatiert hätte.

Wenn das Goldlager überhaupt existierte, gehörte es auf jeden Fall Ben Raddle auf Grund des Rechts als erster Besitzergreifer des Golden Mount. Da auch kein Grenzpfahl auf eine bereits erteilte Lizenz zur Ausbeutung hinwies, konnte von keiner Seite ein Einspruch erhoben werden und selbst die kanadische Verwaltung konnte keinen Zins verlangen.

Am Fuße des vom Rio Rubber durch Birken- und Eschengehölz getrennten östlichen Abhangs des Berges schlug der Scout, etwa eine halbe Lieue von der Küste, sein Lager auf. An Süßwasser und an Holz konnte es hier niemals mangeln.

[324] Nach Westen und nach Süden hin lagen ausgedehnte grüne Ebenen mit einzelnen Baumgruppen, die nach Summy Skims Ansicht sehr wildreich sein mußten.

Unter der Leitung Bill Stells kam alles bald in Ordnung. Die Zelte wurden am Saume des Gehölzes aufgeschlagen; der Wagen und die Lastkarren fanden auf einer Lichtung Platz und die angefeilten Maultiere ließ man auf den benachbarten Wiesengründen weiden. An passend ausgewählten Stellen wurden eine Art Feldwachen errichtet, denn vorsichtigerweise mußte die Umgebung des Lagers Tag und Nacht sorgsam im Auge behalten werden, obgleich für dieses kaum eine Gefahr zu befürchten war... höchstens eine solche durch Bären, die in den Gebieten der Dominion überall vorkommen.

Übrigens waren alle der Überzeugung, daß die Ausbeutung des Golden Mount nicht lange dauern werde, es sollten ja nur die im Krater angehäuften Schätze zusammengerafft und damit die Wagen beladen, dann aber die Rückreise sofort angetreten werden. Hier brauchte man voraussichtlich weder Axt noch Spitzhaue, hier war auch kein Auswaschen nötig. Nach Jacques Leduns Aussage fand sich das Gold hier als loses Pulver oder in Form von Pepiten... alle Vorarbeiten waren schon sozusagen von den »Prospektoren Plutos« erledigt.

Über diese Verhältnisse konnte sich Ben Raddle natürlich erst zuverlässig klar werden, nachdem er den Berg erstiegen und sich über die Anordnung des Kraters unterrichtet hatte, in den man nach Leduns Mitteilungen leicht sollte hinuntersteigen können.

Bill Stell machte eine in dieser Hinsicht recht verständige Bemerkung.

»Herr Ben, sagte er, als der Franzose Ihnen von dem Vorhandensein des Golden Mount sprach, hat er da nicht gesagt, daß es sich hier um einen erloschnen Vulkan handle?

– Jawohl, Bill.

– Er hatte ihn, wie ich glaube, doch wohl auch bis zum Gipfel erstiegen?

– Ja freilich; er ist sogar in den Krater selbst eingedrungen. Seit jener Zeit könnten freilich die eruptiven Kräfte wieder erwacht sein.

– Daran ist desto weniger zu zweifeln, antwortete der Scout, als jetzt Rauchwolken aus dem Berge aufsteigen. Unter diesen Verhältnissen dürfte es sich wohl verbieten, zum Krater hinunterzusteigen.«

Ben Raddle hatte hieran schon selbst gedacht. Es handelte sich offenbar nicht mehr um einen erloschnen, sondern um einen vielleicht zeitweise schlummernden Vulkan, der gelegentlich auch wieder tätig wurde.

[325] »Das kann wohl sein, antwortete er, doch dieser Strich durch unsre Rechnung könnte auch sein Gutes haben. Könnte eine Eruption uns nicht alle Arbeit ersparen, indem sie die im Golden Mount enthaltenen Pepiten herauswürfe? Dann hätten wir diese nur am Fuße des Berges einzusammeln. Doch wir werden den Umständen gemäß handeln, wenn wir morgen den Gipfel erstiegen haben.«

Die Bewachung wurde nun vom Scout geordnet, die Nacht verlief jedoch ohne Störung, abgesehen von dem entfernten Brummen einiger Bären, die aber nicht bis zum Golden Mount herankamen.

Um fünf Uhr früh waren alle wieder auf den Füßen.

Summy Skim betrachtete jetzt den berühmten Golden Mount doch nicht ohne ein gewisses Interesse.

»Weißt du, woran ich denke, Ben? fragte er seinen Vetter.

– Nein, Summy, erwiderte Ben Raddle. Ich werde es aber wissen, nachdem du's mir gesagt hast.

– Ja... wahrscheinlich, Ben. Nun also, ich denke, wenn unser Onkel Josias eine solche Entdeckung gemacht hätte, würde er wohl nach seiner Heimstätte zurückgekehrt sein und sich den Kreisen der Milliardäre der Neuen Welt angeschlossen haben statt in Klondike zu sterben... und dann, dann hätten wir nicht erst hierherzukommen brauchen.

– Das hat das Schicksal nicht gewollt, lieber Summy, das ist seinen Neffen vorbehalten geblieben.

– Von denen wenigstens einer seinen Ehrgeiz niemals so weit getrieben hätte.. nein, nicht einmal im Traum!

– Zugegeben, Summy. Doch da wir nun einmal bis zur Küste des Eismeers vorgedrungen sind, wirst du es nicht schlecht finden, daß wir davon mit prallgefüllten Hosentaschen zurückzukehren trachten, und unter Hosentaschen verstehe ich hier unsre bis zum Brechen mit Gold beladnen Wagen und Frachtkarren.

– Möge es sich erfüllen! antwortete Summy. Doch... soll ich dir's gestehen? Wenn ich mir diesen Berg von unten bis oben ansehe und mir dann sagen soll, daß der allein Australien, Kalifornien und Afrika in den Schatten stellen soll, dann regt sich in mir doch einiger Zweifel. Mir scheint er gar nicht das Aussehen eines Geldschrankes zu haben.

– Um dich zufriedenzustellen, Summy, sollte der Golden Mount wohl ganz und gar den Panzertresors der Banken gleichen?

[326] – Ja, warum denn nicht, Ben? Vorzüglich wenn der Kassierer gleich bei der Hand wäre, uns die Tür dazu zu öffnen.

– Wir werden auch ohne den fertig werden, versicherte Ben Raddle, und werden das Schloß dazu schon zu sprengen wissen.

– Hm... wenn's nur gelingt!« sagte Summy halb für sich, als er den rauchgekrönten Vulkan mit zweifelndem Blicke betrachtete.

Der Golden Mount war aber, trotz Summy Skim, ein Berg wie alle andern. Mit tausend Fuß Höhe überragte er das Ufergelände und von seinem Grunde, der der Schätzung nach zwei Kilometer im Umfang haben mochte, stiegen seine Seiten ziemlich steil bis zu einem Plateau am Gipfel an. Er erschien also in der Gestalt eines Kegels, genauer, eines abgestumpften Kegels.

Die Steilheit der Abhänge mußte den Aufstieg wohl recht beschwerlich machen, unmöglich konnte dieser aber nicht sein, da es Jacques Ledun ja gelungen war, bis zum Krater vorzudringen.

Die lotrechteste Seite war die dem Meere zugewendete und es verbot sich von selbst, den Vulkan über seinen nördlichen Abhang, der vom Meere unmittelbar bespült wurde, erklimmen zu wollen. Am Fuße des Berges ragte keine Felswand auf, deren vertikale Wand den Namen eines Steilufers verdient hätte, wenn sie aus kreidigem oder weißlichem Material und nicht aus schwarzen Eruptivmassen aufgebaut gewesen wäre. Zuerst mußte also entschieden werden, von welcher Seite aus die Ersteigung des Gipfels des Golden Mount unternommen werden sollte. Da Jacques Ledun hierüber keinen Hinweis gegeben hatte, verließen Ben Raddle und Bill Stell den Lagerplatz an der vom Rubber und vom östlichen Bergabhange gebildeten Ecke und wanderten am Fuße des Vulkans hin, um sich vorläufig über die Sachlage zu unterrichten.

Die Bergflanken zeigten sich mit kurzem Grase und einzelnem holzigen Gebüsch bedeckt, an dem man sich beim Aufstieg anhalten konnte. Weiter oben trat aber an Stelle des Grases eine Art dunkler Humus, vielleicht eine Lage Asche und Schlacken. Spuren einer neuerlichen Eruption waren jedoch nirgends zu entdecken.

Ins Lager zurückgekehrt, machten Ben Raddle und der Scout den andern Mitteilung von dem, was sie gesehen hatten. Ein Aufstieg war demnach nur an der sanfter abfallenden Westseite zu unternehmen.

Nach einem schnell verzehrten Frühstück machte sich die Gesellschaft zum Aufbruche bereit. Auf Bill Stells Rat hin wurden auch einige Lebensmittel und[327] ein paar Feldflaschen mit Gin und Whisky – in passender Menge mit Wasser vermischt – auf den Weg mitgenommen. Jeder hatte sich mit einer Spitzhaue und mit Seilen versehen, die an gar zu steilen Stellen vielleicht gebraucht werden konnten.

Die Witterung war dem Vorhaben günstig, der Tag versprach schön zu werden. Leichte Wolken, die vor schwachem Nordwind am Himmel hinzogen, milderten die Hitze der Sonnenstrahlen.

Neluto folgte den Bergsteigern nicht; er bewachte mit dem übrigen Personal das Lager, das er gewiß unter keinem Vorwande verließ. Obgleich das Land umher gänzlich verlassen erschien, empfahl es sich doch, eine strenge Überwachung beizubehalten.

Ben Raddle, Summy Skim und der Scout brachen gegen acht Uhr auf, begleitet von Jane Edgerton, die auf jeden Fall an der Expedition teilnehmen wollte, und alle vier wanderten am südlichen Rande des Bergfußes hin, um nach dessen westlichem Ausläufer zu kommen.

Von dem letzten Vulkanausbrüche – wieviel Zeit mochte seit diesem verflossen sein? – fand man am Fuße des Berges kein Anzeichen, nicht die geringste Spur von Eruptivstoffen und vor allem nicht von Goldstaub, den dieser nach Jacques Leduns Aussage doch in so großer Menge enthalten sollte. Vielleicht war daran zu denken, daß die Auswurfmassen des Vulkans nach dem Meere zu geschleudert worden waren und nun unter dem tiefen, an das Ufer brandenden Wasser begraben lagen.

»Was tut uns das? meinte Ben Raddle auf eine diesbezügliche Bemerkung Bill Stells. Es ist doch höchstens ein Beweis dafür, daß seit der Anwesenheit Jacques Leduns kein neuer Ausbruch stattgefunden hat. Nur darauf kommt es doch an. Die Pepiten, die er gesehen hat, werden auch wir bald sehen.«

Es war neun Uhr geworden, als die vier Bergsteiger an der Westseite des Berges anlangten.

Der Scout setzte sich sofort an die Spitze und der Aufstieg begann. Anfangs stieg der Boden nur allmählich an und die Grasdecke bot dem Fuße einen sichern Halt.

Spitzhaue und Seil waren hier also entbehrlich. Bill Stell hatte jedoch Erfahrung im Bergsteigen. Ihn führte ein sichrer Instinkt und er war so kraftvoll, so geübt in solchen Dingen, daß seine Begleiter ihm nur mit Mühe folgen konnten.


Der Aufstieg wurde immer beschwerlicher. (S. 331)

[328] [331]»Nun ja, da sieht man's, sagte Summy Skim etwas atemlos, so zwanzigmal den Chilkootpaß überschritten zu haben: das gibt einem die Beine von Gemsen und Knöchel aus Stahl.«

Nach dem ersten Drittel des Aufstiegs wäre jedoch wohl auch eine Gemse in Verlegenheit gekommen und die Flügel eines Geiers oder Adlers wären hier recht erwünscht gewesen.

Der Neigungswinkel des Bodens war jetzt so groß, daß man zum Vorwärtskommen Knie, Füße und Hände benützen und sich an dem magern Buschwerk anhalten mußte. Bald ging es auch nicht mehr ohne Spitzhaue und Seil weiter. Der Scout kletterte immer voraus, schlug seine Spitzhaue ein, wo das möglich war, und ließ das Seil abrollen, woran sich die andern bis zu ihm hinauszogen. Immer war die größte Vorsicht nötig, denn ein Absturz wäre hier sicher tödlich gewesen.

Gegen elf Uhr waren die Bergsteiger bis zur Mitte der Bergflanke gekommen. Hier wurde einmal Halt gemacht, um Atem zu schöpfen. Gleichzeitig stärkten sich alle durch einen Schluck aus den Feldflaschen und dann wurde der Marsch weiter hinauf fortgesetzt.

Obgleich die unterirdischen Kräfte in Tätigkeit waren, was ja die Rauchwolken am Gipfel des Berges bezeugten, so wurde doch keine Erschütterung seiner Wände, kein Dröhnen in seinem Innern bemerkt. An dieser Seite war die Bergwand wahrscheinlich besonders dick und das ließ darauf schließen, daß sich die Kratermündung mehr an der Nordseite in der Nähe der Meeresküste befinden würde.

Der Aufstieg ging weiter; er wurde zwar, je höher man kam, immer beschwerlicher, doch nirgends geradezu unmöglich. Und was Jacques Ledun gelungen war, sollten das der Scout und seine Gefährten nicht auch ausführen können?

Ben Raddles Uhr zeigte genau dreizehn Minuten nach zwölf, als die Bergsteiger den Teil des Kegels erreicht hatten, der das Plateau des Berges bildete.

Mehr oder weniger erschöpft, setzten sie sich auf die Quarzblöcke, die die im Umkreise drei- bis vierhundert Fuß messende Hochfläche einrahmten. Ungefähr in deren Mitte öffnete sich der Kraterschlund, aus dem schwarze Dämpfe und gelbliche Fumarolen hervorquollen.

Ehe sie sich dahin begaben, betrachteten Ben Raddle und seine Gefährten, während sie frisch Atem schöpften, das weite, vor ihren Augen ausgebreitete Panorama.

[331] Gegen Süden hin flog der Blick über die grünenden Ebenen, durch die die Karawane eben gezogen war, und reichte bis zu den entfernten Bodenwellen, hinter denen das Fort Macpherson die Umgebung beherrschte.

Gegen Westen sah man die sandige Küste des Arktischen Ozeans und nach dem Innern des Landes zu, etwa in der Entfernung von anderthalb Lieues, die düstre Masse eines ausgedehnten Waldes.

Im Osten neben dem Fuße des Golden Mount verästelte sich das hydrographische Netz des Mackensiedeltas, dessen zahlreiche Arme in eine weite, von nackten Inselgruppen und schwärzlichen Klippen geschützte Bucht mündeten. Weiter draußen verlief die Küste mehr nach Norden und endigte in einem Vorgebirge, einer Art von großem Hügel, der den Horizont an dieser Seite verdeckte.

Nördlich vom Golden Mount, von der lotrechten Steilwand, die ins Wasser eintauchte, hatte das Meer keine andre Grenze als die Kreislinie des Himmels.

Die durch die leichte Brise gereinigte Atmosphäre war völlig klar und das Meer glitzerte von den goldnen Sonnenstrahlen.

Die Küste war öde und leer, kein fremder oder einheimischer Fischer zu sehen, obgleich die Mündungen des Mackensie an Seesäugetieren und Amphibien verschiedner Art so erstaunlich reich sind.

Auf der offnen See war das anders. Mit Hilfe des Fernrohrs entdeckte der Scout einige Segler und mehrere Rauchfahnen, die am nördlichen Horizonte schwebten.

»Das sind Walfänger, erklärte er, die aus der Behringsstraße kommen. In drei Monaten werden sie den umgekehrten Kurs einhalten. Die einen laufen dann bei St. Michel in die Mündung des Yukon ein, die andern suchen Petropawlowsk in Kamtschatka an der Küste Asiens auf und endlich verkaufen sie ihren Fang in den Häfen des Pazifischen Ozeans.

– Kommen denn keine von ihnen nach Vancouver? fragte Summy Skim.

– O doch; aber sie tun unrecht, sehr unrecht daran, denn es ist dort zu schwierig, die Mannschaft beisammenzuhalten. Die meisten Matrosen laufen davon und begeben sich nach Klondike.«

So war es in der Tat. Die Nähe der Goldminen verdreht diesen Matrosen, die eine gewöhnlich recht beschwerliche Fahrt hinter sich haben, gar zu leicht den Kopf. Um sie davor zu bewahren, halten sich die Walfängerkapitäne, wenn möglich, von den Häfen Britisch-Kolumbiens fern und suchen lieber die an der Küste Asiens auf.

[332] Nach halbstündiger Rast, die sie sehr notwendig gebraucht hatten, begannen Ben Raddle und seine Gefährten die nähere Besichtigung des Plateaus des Golden Mount. Wie vorausgesetzt, befand sich die fünfundsiebzig bis achtzig Fuß im Umkreis messende Mündung des Kraters nicht genau in dessen Mitte, sondern etwas nordöstlich davon. Sich vorsichtig unter dem Winde haltend, um nicht von den daraus hervorwirbelnden, beißenden Rauchwolken getroffen zu werden, konnten sie bis an den Rand herantreten und in das Innere des Schlundes hinuntersehen.

Alles traf hier zusammen, die Angaben des armen Jacques Ledun zu bestätigen. Die Kraterwand senkte sich in schwacher Neigung hinab und ohne die unatembaren Gase, die augenblicklich jedes Eindringen verhinderten, mußte der Abstieg ins Innere ziemlich leicht sein.

Das den Grund bedeckende Goldpulver bestätigte noch weiter die Aussagen des Franzosen. Dieses außerordentlich seine und mit Erde und Schlacken vermischte Pulver konnte freilich nur eine lächerlich geringe Ausbeute liefern gegenüber der großen Anhäufung von Pepiten, die zu suchen die Gesellschaft den weiten Weg hierher unternommen hatte.

»Offenbar, sagte Ben Raddle, hat sich Jacques Ledun durch das Hindernis, das uns jetzt in den Weg tritt, nicht abschrecken lassen. Bei seinem Hiersein war der Vulkan wahrscheinlich auch völlig untätig und Ledun hatte ohne Gefahr bis zum Kratergrunde hinabsteigen können. Warten wir also, bis der Ausbruch sich beruhigt, bis die Rauchmassen sich zerstreuen, und dann gehen auch wir hinunter und sammeln Schätze mit vollen Händen, wie er sie gesammelt hatte.

– Und wenn das Aufwirbeln des Rauches nun nicht aufhört, fragte Summy Skim, wenn nun jeder Abstieg unmöglich wird?

– Dann warten wir einfach noch länger, Summy.

– Noch warten?... Worauf denn?

– Daß der Ausbruch für uns vollbringt, was wir nicht selbst tun konnten, das heißt, daß er das edle Erz auswirft, das in den Eingeweiden des Golden Mount aufgespeichert ist.«

Das war in der Tat das einzige, was man hier tun konnte, wenn damit auch manche Unannehmlichkeiten verknüpft waren. Für Leute, die nicht mit der Zeit zu rechnen brauchten, die der kalten Jahreszeit an der Mackensiemündung ebenso wie in Dawson City zu trotzen gewohnt waren, hätte das ja nicht so viel zu bedeuten gehabt. Wenn die Sache sich hier aber in die Länge zog, wenn der [333] Vulkan sich vor Ablauf von dritthalb Monaten nicht völlig beruhigt oder nicht selbst seinen Reichtum an. Pepiten ausgeworfen hatte, dann war die Gesellschaft jedenfalls gezwungen, ihr Lager aufzuheben und nach Süden abzuziehen, wo sie gerade noch rechtzeitig eintreffen würde, für einen zweiten Winter festgehalten zu werden.

Dieser Gedanke beschäftigte gleichmäßig die vier Prospektoren, jeder erwog ihn aber nach eignem Temperamente.

Bill Stell lächelte etwas spöttisch in den Bart. Das war für ihn eine gar treffliche Lektion. Nach langjährigem Widerstande gegen das so ansteckende Goldfieber hatte er sich jetzt doch einmal davon packen lassen und nun – wie man im Volke zu sagen pflegt – hatte er die Bescherung. Er war mit einem Schlage kuriert und mit Hilfe seiner gewöhnlichen Philosophie nahm er seinen Mißerfolg noch mit Heiterkeit auf, indem er sich sagte, daß das bei einem Prospektor ja nicht anders sein könne.

Jane Edgerton blieb mit gefurchter Stirn am Kraterrande stehen und richtete den Blick auf die durcheinanderwirbelnden Rauchwolken, die vor ihr aufstiegen. Sie sah ein, daß es Fälle gibt, gegen die Energie und Entschlossenheit nicht ausreichen, und es erregte sie nicht wenig, hier durch Naturkräfte, gegen die ihr Wille ohnmächtig war, aufgehalten zu sein.

Summy Skim war der unglücklichste von allen. Noch einen Winter in der Hauptstadt von Klondike zuzubringen! Er zitterte und bebte schon bei dem Gedanken daran.

So antwortete er denn seinem Vetter auf dessen letzte Worte:

»Ja, das wäre ja ganz gut und schön, Ben, vorausgesetzt, daß es zu einem solchen Ausbruch kommt. Wird denn ein solcher erfolgen? Findest du nicht, daß der Vulkan schon jetzt sehr zahm ist? Er wirst kein Kieselsteinchen, nicht einmal eine Handvoll Asche aus. Man hört nichts von einer Detonation. Er raucht zwar, nun ja, doch in aller Ruhe, das brächt' ich, auf mein Wort, auch noch fertig!... Sage mir, gibt dir das nicht zu denken?«

Ben Raddle machte eine abweisende Bewegung.

»Das wird sich ja zeigen,« sagte er.

Nach zweistündigem Verweilen auf dem Plateau begannen die vier den Abstieg über die Seite des Golden Mount, der binnen einer Stunde vollendet war. Vor drei Uhr nachmittags befanden sich Ben Raddle und seine Begleiter, zwar etwas ermüdet, doch heil und gesund, wieder im gemeinschaftlichen Lager.

[334] Sobald sie allein waren, trat Summy Skim, von seiner fixen Idee getrieben, an seinen Vetter heran und erneuerte seinen Angriff.

»Höre, Ben, begann er, ich spreche in vollem Ernste. Wenn jene Eruption nun ausbleibt, wenn sie nicht vor dem Anfange des Winters erfolgt?«

Ohne zu antworten, wandte Ben Raddle den Kopf ab und Summy hatte nicht den Mut, noch weiter in ihn zu dringen.

8. Kapitel
Achtes Kapitel.
Wo Ben Raddle einen Entschluß kundgibt.

Als Ben Raddle diesen neuen Zug unternommen hatte, war er nach den, übrigens so glaubhaften Aussagen Jacques Leduns überzeugt gewesen, daß es hier genügen würde, die Pepiten im Krater des Golden Mount zusammenzuraffen, damit die Wagen zu beladen und den Weg nach Dawson City wieder einzuschlagen. Zu dieser leichten Aufgabe sollte – seiner Meinung nach – eine Woche genügen und die Her-und Rückreise dann in weniger als drei Monaten abgemacht sein. Seinem Vetter hatte er auch in ehrlichem Ernste versichert, daß die Karawane in Dawson City in den ersten Tagen des August, also zeitig genug wieder eintreffen würde, Skagway noch vor Eintritt der strengen Kälte, von da Vancouver zu erreichen und dann auf der Bahn nach Montreal heimzukehren.

»Welch unendlich langen Zug werden wir da brauchen, hatte Summy scherzend geantwortet, uns und die Millionen des Golden Mount zu befördern. Und die Überfracht, die wir zu bezahlen haben werden!«

Wenn diese Millionen an der angegebenen Stelle im Krater auch wirklich vorhanden waren, so ließen sie sich daraus jetzt doch nicht holen.

Dieses unerwartete Hindernis nötigte nun dazu, das Lager wenigstens für einen mehrwöchigen Aufenthalt einzurichten. Der Scout traf deshalb die geeigneten Maßregeln, den Lebensunterhalt der Gesellschaft und die Ernährung der Zugtiere bis zu dem Tage zu sichern, wo es sich nicht mehr werde aufschieben [335] lassen, nach Süden zurückzukehren. Den Winter unter einfachen Zelten aushalten zu wollen, wäre ja die reinste Tollheit gewesen. Wie es auch kommen, ob die Reise hierher einen Erfolg haben mochte oder nicht, jedenfalls mußte der Polarkreis spätestens Mitte August wieder überschritten sein. Nach diesem Zeitpunkte wurde der Weg völlig ungangbar in einer Gegend, die von Stürmen und furchtbarem Schneetreiben gar so oft heimgesucht wird.

Vorläufig galt es also abzuwarten und dazu war eine reichliche Portion Geduld nicht überflüssig. Der Zustand des Vulkans und die Weiterentwicklung [336] [339]der Eruption verlangte auch unausgesetzte Aufmerksamkeit; ebenso wurden gewiß weitre Bergbesteigungen nötig. Weder Ben Raddle noch der Scout und am wenigsten Jane Edgerton schreckte vor der damit verbundenen Anstrengung zurück und der Verlauf der Naturerscheinung wurde von Tag zu Tag sorgsam im Auge behalten.


Jane Edgerton blieb mit gefurchter Stirn am Kraterrande stehen. (S. 334.)

Weder Summy Skim noch Neluto kam in Verlegenheit, die langen Stunden auszufüllen. Sie jagten entweder auf den Ebenen im Süden und im Westen oder auf dem Sumpflande des Mackensiedeltas. Wild gab es in Überfluß und den beiden eifrigen Jägern erschienen die Tage nicht im mindesten endlos. Der Scout empfahl ihnen vom ersten Tage an, sich nicht zu weit zu entfernen. In der schönen Jahreszeit wird das Küstengebiet des Polarmeeres von Indianerhorden durchstreift, denen man am besten nicht begegnet.


Summy konnte nicht lebend bis zum Fuße des Berges hinunterstürzen. (S. 340.)

Das Personal der Karawane konnte sich dem Vergnügen des Fischfanges hingeben. An Fischen fehlte es in dem Labyrinth von Rios nicht und schon diese Quelle genügte, die Ernährung aller bis zur Bildung des ersten Eises zu sichern.

Mehrere Tage vergingen ohne Veränderung der Sachlage. Die Eruption zeigte keine Neigung, zuzunehmen. Wie Ben Raddle vorausgesetzt hatte, als er sah, an welcher Stelle des Gipfels der Krater sich öffnete, verlief der Kamin des Vulkans näher seiner nördlichen Wand, wodurch sich auch der sanftere Abfall der Westseite erklärte, längs der eine Ersteigung allein möglich war. In dem fast am Fuße des Golden Mount errichteten Lager, dem dessen Ostseite zugewendet war, vernahm man deutlich das dumpfe Toben der plutonischen Arbeit. Der Ingenieur schloß daraus, daß die Dicke der sehr steilen Bergflanke nicht beträchtlich sein könne, und der Scout stimmte ihm darin bei.

Jane Edgerton, Ben Raddle und der Scout unternahmen fast täglich eine Besteigung des Vulkans, während Neluto in Gesellschaft des unermüdlichen Summy der Jagd oblag. Eines Tages aber wollte sich dieser dem Trio der Bergsteiger anschließen, das damit zu einem Quartett wurde. Das sollte für ihn aber nicht gerade gut ablaufen, ja diese Anwandlung hätte dem eifrigen Nimrod leicht sehr teuer zu stehen kommen können.

Nicht mehr weit vom Gipfel angelangt, kletterten, durch ein Seil verbunden, alle vier wie das erste Mal im Gänsemarsch in die Höhe, der Scout an der Spitze, Ben Raddle am Schlusse und zwischen ihnen Summy Skim vor Jane Edgerton. So klommen sie an dem Kegel aus mürber, von den letzten Eruptionen auf den [339] nächstuntern Stufen des Vulkans abgelagerter Asche empor, als das Seil dicht an der Spitzhaue zerriß, die der Scout eben in den Boden eingeschlagen hatte. Summy, der sich gerade daran emporhißte, verlor das Gleichgewicht, stürzte nieder und rollte den Abhang mit der zunehmenden Schnelligkeit hinunter, die den bekannten Gesetzen der Schwere entspricht. Vergebens sachte er sich irgendwo festzuhalten. Der Erdboden »floh« sozusagen unter seinen Händen.

Seine Gefährten stießen einen Schreckensschrei aus. Summy konnte nicht lebend bis zum Fuße des Berges hinunterstürzen und er drohte auch die, die mit ihm durch das Seil verbunden waren, Ben Raddle und vor diesem Jane Edgerton, mit in seinen Unfall zu verwickeln.

Zum Glück hatte gerade das junge Mädchen all ihre Kaltblütigkeit bewahrt. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß sie, als der Unfall sich ereignete, in ihrer Nähe einen holzigen Busch fand, woran sie sich fest anhalten konnte. Als nun Summy unter dem gebieterischen Zwange der Schwerkraft eben dicht bei ihr vorüberrollte, gelang es ihr, ihn an der Kleidung zu fassen und vor dem weitern Hinabstürzen zu bewahren.

Summy war sofort wieder auf den Füßen, zwar halb betäubt, doch mit heilen Gliedern.

»Hast doch nichts gebrochen? fragte Ben Raddle von unten her.

– Nichts, antwortete Summy. Ein Paar Beulen, vielleicht einige Hautabschürfungen, die der Hilfe des Doktor Pilcox nicht bedürfen werden.

– Dann also vorwärts!« rief Ben Raddle beruhigt.

Summy erhob Einspruch.

»Laß mir wenigstens Zeit, Fräulein Jane zu danken. Sie hat mir doch – wenn's weiter nichts ist – das Leben gerettet.«

Jane Edgerton machte ein etwas schnippisches Gesicht.

»O, das ist nicht nötig, sagte sie. Wir sind einfach quitt. Sie werden mir aber wohl erlauben, Ihnen zu bemerken, daß Frauen, wenn das auch Ihren Anschauungen widersprechen sollte, gelegentlich doch zu etwas gut sein können.«

Summy hätte das wohl kaum bestreiten können. So erkannte er es denn mit warmer Überzeugung an und dann wurde der Aufstieg ohne weitern Unfall vollendet.

Die ferneren Tage verliefen, ohne daß irgendwelche Veränderung eintrat. Aus der Mündung des Golden Mount züngelte keine Flamme hervor und kam kein eigentlicher Auswurf zum Vorschein.

[340] Schon schrieb man den 20. Juni.

Die Ungeduld Ben Raddles und seiner Gefährten wird sich der Leser leicht vorstellen können. Diese Unmöglichkeit, etwas zu unternehmen, die aufgezwungene Tatenlosigkeit fing allmählich an, alle zu entnerven. Nach Beendigung der zeitweiligen Niederlassung hatten die Prospektoren nichts mehr zu tun und alle litten unter der erdrückenden Langweile.

Die beschäftigtste Person war jedenfalls noch Jane Edgerton, die sich selbstherrlich der Besorgung der Küche angenommen hatte. Die Nahrung für einundzwanzig Personen zu bereiten, das ist wahrlich keine Sinekure und kann schon die Existenz eines Einzelnen ausfüllen.

Der getreuen Verwalterin widerfuhr es aber doch einmal, ihren Pflichten nicht nachkommen zu können. An einem Tage, wo sie mit Ben Raddle und dem Scout die gewohnte Besteigung des Golden Mount vornahm, entstand ein dichter Nebel, der den rechtzeitigen Abstieg unmöglich machte. Stundenlang mußten die drei warten, zum größten Mißvergnügen Janes, die sich um das Essen ihrer Gefährten sorgte.

Hätte sie sehen können, was inzwischen unten im Lager vorging, so wäre sie wohl weniger beunruhigt gewesen. Hier hatte sich für sie ein Stellvertreter gefunden und das war kein andrer als Summy. Dieselbe Ursache, die die drei Ausflügler auf dem Berggipfel zurückhielt, hatte auch ihn von der Jagd zurückgehalten und um die unfreiwilligen Mußestunden nützlich auszufüllen, hatte er es ausnahmsweise übernommen, für die abwesende Küchenregentin einzutreten. Mit einer langen Schürze, über die er manchmal stolperte, umgürtet und mit Messer und Gabel fechtend, bemühte er sich, eine Mahlzeit herzustellen, die köstlich schmecken mußte, wenn er dazu ebensoviel Geschick hatte, wie er Eifer entwickelte.

Als der Nebel sich verzogen hatte, konnten die Bergsteiger ins Lager zurückkehren. Jane war nicht wenig erstaunt, die Tafel schon hergerichtet und das Essen fix und fertig bereitet zu finden. Es wurde ihr nicht schwer, den, der das besorgt hatte, herauszufinden. Summy verbarg sich nicht im geringsten. Er ließ sich vielmehr, nicht ohne eine gewisse Eitelkeit, sehen, immer noch angetan mit der Schürze und mit Küchengeräten hantierend, während er von der Hitze des Feuers im Gesicht puterrot geworden war.

»Zu Tische!« rief er lustig, als Jane mit ihren zwei Begleitern auf Hörweite herangekommen war.

[341] Als sich alle gesetzt hatten, wollte er seine junge Reisegefährtin auch eigenhändig bedienen. Mit der Korrektheit eines wohlgeübten Dieners bot er ihr eine Schüssel an, von der diese ohne Zieren reichlich zulangte.

»Scheuen Sie sich nur nicht, davon zu nehmen, mein Fräulein, sagte er dabei, Sie werden mir's schon wieder sagen, wie es geschmeckt hat.«

In dem Augenblicke aber, wo sie die Erzeugnisse des improvisierten Kochs kosten wollte, setzte er, sie davon zurückhaltend, noch hinzu:

»Vorher noch ein Wort, Fräulein Jane, um Ihnen zu bemerken, daß die Männer – wenn es auch Ihren Anschauungen widerspricht – gelegentlich doch zu etwas gut sind.«

Ohne zu antworten, kostete Jane von dem Gericht.

»Das ist meine Anschauung gar nicht,« äußerte sie darauf frostig.

Das Ragout war tatsächlich abscheulich und sehr gedemütigt mußte Summy das selbst einräumen, als er es gekostet hatte.

Gut oder schlecht, die Mahlzeit kam den hungrigen Magen doch gelegen. Die Zähne feierten nicht und die Zungen ebensowenig.

Und wovon hätte man da gesprochen, wenn nicht von dem, was allen so sehr am Herzen lag? Man plauderte vom Golden Mount, von den Schätzen, die er in seinem Innern barg, und von der Unmöglichkeit, sich diese anzueignen.

Im Laufe des Gesprächs schlug einer der Prospektoren vor, den Berg – als ob das die einfachste Sache von der Welt wäre – gleich in die Luft zu sprengen.

»Dazu würde unser gesamter Pulvervorrat nicht ausreichen, wendete Bill Stell dagegen ein, und wenn es uns wirklich gelänge, in die Wand eine Bresche zu legen, was würde dann dabei herauskommen?

– Vielleicht ein Strom von Pepiten, sagte der Kanadier.

– Nein, erwiderte der Scout, nichts als Dampf und Rauch. Sie würden durch die neue Öffnung herausströmen wie jetzt durch den Kamin und wir wären damit um kein Haar weiter.

– Was sollen wir dann tun?

– Warten... einfach warten!

– Warten, immer warten! protestierte einer der frühern Arbeiter vom Claim 129. Das werden wir bald nicht mehr können. Spätestens nach zwei Monaten müssen wir fort von hier, wenn uns der Winter nicht überraschen soll.

[342] – Nun gut, wir werden fortgehen, erklärte Ben Raddle, der jetzt das Wort ergriff. Wir werden nach Dawson zurückkehren und mit den ersten schönen Tagen wieder hierherziehen.

– Was? rief Summy Skim entsetzt aufspringend, noch einen zweiten Winter in Klondike erleben!

– Jawohl, erklärte Ben Raddle rundweg. Dir steht es ja frei, nach Montreal zurückzufahren. Ich, ich bleibe in Dawson. Die Eruption muß doch früher oder später eintreten, und da will ich bei der Hand sein.«

Jane Edgerton griff nun in das Gespräch ein, das eine garstige Wendung zu nehmen drohte.

»Gibt es denn kein Mittel, diese Eruption hervorzurufen?

– Keines, erklärte Ben Raddle. Wir können unmöglich...«

Wie von einem plötzlichen Gedanken gepackt, unterbrach der Ingenieur, der Jane Edgerton scharf ansah, den angefangenen Satz. Vergeblich forderte diese ihn auf, fortzufahren, er schüttelte nur den Kopf, verweigerte es aber, seine Gedanken zu offenbaren.

Die folgenden Tage herrschte recht schlechtes Wetter. Von Süden her zogen schwere Wolken heraus. Die atmosphärische Depression schien die Tätigkeit des Vulkans zu steigern, wenigstens mischten sich den aus dem Krater aufsteigenden Rauchmassen dann und wann auflodernde Flammen bei.

Einigen schnell vorübergehenden Gewittern folgten tüchtige Platzregen, die teilweise eine Überschwemmung des Mackensiedeltas herbeiführten, so daß sich die Fluten der beiden Hauptarme des Stromes vermischten.

Es ist wohl unnötig zu sagen, daß Summy Skim in dieser Zeit seine Jagdausflüge unterbrechen und sich im Lager aufhalten mußte, wo ihm die Stunden recht lang erschienen.

Bei dieser Lage der Dinge ereignete sich doch etwas von besondrer Wichtigkeit.

Am Nachmittage des 23. Juni forderte Ben Raddle seinen Vetter, Jane Edgerton und den Scout auf, ihm in sein Zelt zu folgen.

»Ich habe mit euch zu sprechen, liebe Freunde, begann er, als alle sich gesetzt hatten, und ich bitte euch, genau auf den Vorschlag zu achten, den ich zu machen habe.«

Sein Gesicht war dabei sehr ernst. Die Furchen seiner Stirn verrieten, daß ihn irgend etwas tief bewegte, und bei der aufrichtigen Freundschaft, die [343] Summy Skim für ihn hegte, fühlte sich dieser darüber recht beunruhigt. Hatte sich Ben Raddle vielleicht entschlossen, den bisherigen Plan aufzugeben, auf den Kampf gegen die ihm offenbar feindliche Natur zu verzichten? Wollte er endgültig nach Montreal zurückkehren, wenn sich die Lage der Dinge vor Eintritt der rauhen Jahreszeit nicht änderte? Selbstverständlich hätte Summy Skim diesen Entschluß am freudigsten begrüßt.

»Meine lieben Freunde, sagte jetzt Ben Raddle, es besteht kein Zweifel, daß der Golden Mount existiert, ebensowenig darüber, daß er reiche Schätze birgt. Jacques Ledun hat sich nicht getäuscht, wir haben uns davon mit eignen Augen, überzeugen können. Die ersten Vorläufer eines Ausbruchs haben uns leider gehindert und hindern uns noch heute, in den Krater einzudringen. Wäre das möglich gewesen, so wäre auch unsre Aufgabe hier vollendet und wir befänden uns schon wieder auf dem Wege nach Klondike.

– »Die erwartete Eruption wird aber nicht ausbleiben, schaltete der Scout ein.

– Dann muß sie aber vor Ablauf von sechs Wochen eintreten,« brummte Summy zwischen den Zähnen.

Ein kurzes Stillschweigen. Jeder beschäftigte sich mit den eignen Gedanken. Nach reiflicher Überlegung, als wolle er alle möglichen Folgen eines lange bedachten Vorhabens erwägen, fuhr Ben Raddle fort:

»Vor einigen Tagen habe ich eine gelegentliche Äußerung Miß Edgertons unbeantwortet gelassen. Vielleicht waren jene Worte ihr durch den Unwillen darüber eingegeben, daß wir hier bezüglich der Durchführung unsres Unternehmens zu so beschämender Ohnmacht verurteilt sind, und vielleicht legte sie ihnen gar keine besondre Bedeutung bei. Mich frappierte aber der hingeworfne Gedanke, ich habe ihn reiflich erwogen, habe nach den Mitteln gesucht, ihn zu verwirklichen, und ich glaube, sie gefunden zu haben. Könnte man nicht die zögernde Eruption hervorrufen? Ich antworte hierauf: Warum denn nicht?«

Jane Edgerton heftete ihre Augen auf die des Ingenieurs. Das waren Worte, die ihr gefielen. Handeln, Wesen und Dinge beherrschen, selbst die Natur unter seinen Willen beugen... ja, das hieß: leben! Ihre Lippen zitterten, ihre Nasenflügel bewegten sich, ihre ganze Haltung verriet ihre Ungeduld, die Einzelheiten des so interessanten Planes kennen zu lernen.

Summy Skim und der Scout sahen einander an und schienen zu fragen, ob der Ingenieur wirklich noch völlig bei Verstande wäre, ob so viele Enttäuschungen [344] und Sorgen seinen Geist nicht etwas verwirrt hätten. Ob Ben Raddle wohl ihren Gedanken erriet? Jedenfalls fuhr er mit der Klarheit eines Mannes, der seiner vollständig Herr ist, folgendermaßen in seiner Rede fort:

»Die Vulkane liegen, wie Sie ja wissen, alle an der Küste des Meeres: der Vesuv, der Ätna, der Hekla, der Chimborasso und noch viele andre in der Alten und der Neuen Welt. Man schließt daraus natürlich, daß das Wasser zu ihrer Entstehung notwendig ist, und neuerdings gibt auch die Theorie zu, daß die Vulkane in unterirdischer Verbindung mit dem Ozean stehen müssen. Das Wasser dringt in sie ein, schnell oder langsam, je nach der Art des Erdbodens, es findet seinen Weg bis zum innern Feuerherde und verwandelt sich hier zu Dämpfen. Wenn die in den Eingeweiden der Erde eingeschlossenen Dämpfe dann eine hohe Spannung erreicht haben, bringen sie im Innern Umwälzungen hervor und suchen nach außen durchzubrechen, wobei sie unter Rauch- und Flammenerscheinung Schlacken, Asche und Steinbrocken durch den Kamin hinausschleudern. Das ist unzweifelhaft die Ursache der Eruptionen und auch der Erdbeben, wenigstens gewisser unter diesen. Nun frage ich: Was die Natur tut, warum sollten das die Menschen nicht auch versuchen können?«

Jetzt verschlangen alle sozusagen den Ingenieur mit den Blicken. Wenn die Theorie der Eruptionserscheinungen auch noch nicht unangefochten feststeht, so wird doch die Erklärung, die er eben entwickelte, gewöhnlich als die wahrscheinlichste betrachtet.

Was nun den Golden Mount speziell betraf, sprach nichts dagegen, daß er Zufluß vom Arktischen Ozean erhielt. Mehr oder weniger lange Zeit sozusagen verstopft, war das gegenwärtig nicht der Fall, denn unter dem Drucke des erhitzten Wassers begann der Vulkan ja Dämpfe auszustoßen. War es nun möglich, dem Zentralherde Wasser aus dem Meere stromweise zuzuführen? Hatte der Ingenieur die Kühnheit so weit getrieben, etwas derartiges überhaupt für ausführbar zu halten?

»Sie haben – so lauteten seine Worte weiter – als wir auf dem Gipfel des Golden Mount standen, ebenso wie ich bemerkt, daß dessen Krater an der Nordostseite des Berges mündet. Das Rollen und Dröhnen der plutonischen Tätigkeit ist auch von jener Seite her zu hören und selbst in diesem Augenblicke ist der Aufruhr im Innern deutlich zu vernehmen.«

Wie zur Bestätigung der Worte des Ingenieurs drang jetzt das Geräusch von innen besonders deutlich nach außen.

[345] »Wir können als sicher annehmen, fuhr Ben Raddle fort, daß der Kamin des Vulkans mehr in der Nähe unsres Lagers verläuft. Wir brauchen also nur diese Seite des Berges zu durchbohren und einen Kanal dahin herzustellen, durch den das Wasser in unbegrenzter Menge einströmen kann.

– Welches Wasser? fragte Bill Stell. Das aus dem Meere?

– Nein, erwiderte der Ingenieur, so weit brauchen wir nach Wasser nicht zu suchen. Haben wir denn nicht den Rio Rubber? Von einem der Arme des Mackensie abgeleitet, wird er wieder die unerschöpfliche Wassermenge des Deltas in den Golden Mount ergießen.«

Ben Raddle hatte »wieder... ergießen« gesagt, als wenn der schon ausgehobne und durch die Bergwand weiter geführte Kanal das Wasser des Rio Rubber bereits einströmen ließe. Je mehr er seinen Plan erläuterte, desto ausführbarer erschien ihm die Sache, und jetzt war er zu dem kühnen Unternehmen unwiderruflich entschlossen.

Wie gewagt dieses auch erschien, so kam doch keinem der Anwesenden, nicht einmal Summy Skim, der Gedanke, dagegen Einspruch zu erheben. Mißlang es Ben Raddle, so war die Sache abgetan und man konnte einfach zurückreisen, gelang aber der Plan, lieferte der Vulkan seine Schätze selbst aus, so war der Aufenthalt hier ja auch zu Ende und Wagen und Karren rollten, nur schwerer beladen, Klondike wieder entgegen.

Die Einleitung großer Wassermengen in den Vulkan war freilich auch mit großen Gefahren verbunden. Ihre Verwandlung in Dampf konnte so gewaltsam vor sich gehen, daß man die Herrschaft darüber verlor. Und wenn man hier an Stelle der Natur trat, konnte das ja auch eine Katastrophe herbeiführen. Setzte man sich nicht dem aus, neben der beabsichtigten Eruption auch ein Erdbeben hervorzurufen, das die ganze Umgegend verwüstete und das Lager mit allen Insassen und Tieren vernichtete?

Solche Gefahren wollte jedoch niemand hier sehen, und schon am Morgen des 24. wurde die Arbeit angefangen.

Auf das Geheiß des Ingenieurs begann man damit zuerst an der Wand des Golden Mount.

Traf die Spitzhaue hier auf gar zu hartes Gestein und konnte man keine Galerie bis zum Kamin des Kraters anlegen, so wurde es ja auch nutzlos, zur Ableitung des Rios einen Kanal auszuheben, der dann keine Ausmündung gehabt hätte.

[346] Den Anfang der Galerie verlegte man etwa zwanzig Fuß unter den mittleren Wasserstand des Rios, um einen schnellen Abfluß aus diesem zu ermöglichen. Zum Glück erwies sich die Bergwand, wenigstens in der ersten Hälfte der Galerie, nicht besonders hart. Zu Anfang bestand sie aus lockerm Erdreich, dann folgten eine Schicht Geröll und vereinzelte Lavamassen, die hier jedenfalls seit sehr langer Zeit eingebettet lagen, und endlich Quarzblöcke mit Rissen und Spalten, jedenfalls die Folgen früherer heftiger Erdstöße.

Die Arbeit wurde Tag und Nacht fortgesetzt; es war ja auch keine Stunde zu verlieren. Wie dick mochte die Wand wohl sein? Ben Raddle konnte das kaum schätzungsweise angeben, und vielleicht wurde die Galerie oder der Tunnel weit länger, als er vorausgesetzt hatte. Mit dem Fortschreiten der Arbeit wurde das Geräusch im Innern immer lauter hörbar. Doch wenn man sich dem Kamin offenbar näherte, war damit noch keineswegs gesagt, daß man ihn in der nächsten Zeit erreichte.

Summy Skim und Neluto hatten die Jagd letzt aufgegeben. Sie beteiligten sich ebenso wie der Ingenieur an der Arbeit und täglich schritt der Durchbruch um fünf bis sechs Fuß fort.

Nach fünf Tagen traf man unglücklicherweise auf den Quarz, an dem Axt und Spitzhaue schnell stumpf wurden. Wie langer Zeit würde es nun bedürfen, den außerordentlich harten Teil der Wand, offenbar die innre Auskleidung des Berges, zu durchbrechen? Ben Raddle beschloß, sich hier mit Sprengungen zu helfen und einen Teil des vorhandnen Pulvervorrats – wenn Summy Skim auch darunter leiden mußte – zu Sprengpatronen zu verwenden. Das Pulver war freilich nicht allein zu Jagdmunition bestimmt; gegebenen Falles konnte es auch zu Verteidigungszwecken sehr wertvoll werden. Immerhin hatte es jedoch den Anschein, daß die Karawane hier von keinerlei Gefahr bedroht wäre. Die Gegend war verlassen wie immer und in der Nähe des Lagers war niemals eine Indianerhorde bemerkt worden.

Die Sprengarbeit hatte recht günstige Erfolge. Wenn der durchschnittliche Fortschritt der Galerie auch etwas verkleinert wurde, so erlitt er doch wenigstens keine Unterbrechung.

Am 8. Juli, also nach vierzehntägiger Arbeit, schien die Länge der Galerie hinreichend zu sein. Sie betrug nun vierzehn Toisen bei dreißig Quadratfuß Lichtenweite, war also jedenfalls groß genug, eine mächtige Menge Wasser hindurchströmen zu lassen. Das Dröhnen und Poltern des Vulkans war jetzt so[347] stark vernehmbar, daß die noch übrige Wand nur noch einen bis zwei Fuß dick sein konnte. Es bedurfte also höchstens noch einer Sprengung, sie zu beseitigen und damit die Galerie zu vollenden.

Jetzt war es sicher, daß Ben Raddles Plan durch kein unüberwindliches Hindernis vereitelt würde. Der Kanal im offnen Lande, durch den das Wasser des Rio Rubber abfließen sollte, war in dem aus Erde und Sand bestehenden Boden ohne Mühe auszuheben und wenn der auch etwa dreihundert Fuß lang werden sollte, rechnete der Ingenieur doch darauf, ihn binnen zehn Tagen hergestellt zu sehen.

»Der schwierigste Teil der Arbeit ist ja erledigt, sagte Bill Stell.

– Und auch der längste, antwortete Ben Raddle. Morgen beginnen wir, sechs Fuß vom linken Ufer des Rio Rubber, mit der Ausgrabung des Kanals.

– Da wir nun für einen Nachmittag Ruhe haben, ließ sich jetzt Summy Skim vernehmen, so möcht' ich vorschlagen, wir benützen ihn...

– Etwa zu einer Jagd, Herr Skim? fragte Jane schelmisch lachend.

– Nein, Fräulein Jane, erwiderte Summy, sondern zu einer letzten Besteigung des Golden Mount, um zu sehen, wie es da oben aussieht.

– Ein guter Gedanke, Vetter, erklärte Ben Raddle, denn es hat den Anschein, als ob die Eruption stärker würde, und da ist es doch geraten, sich davon mit eignen Augen zu überzeugen.«

Der Vorschlag fand allseitigen Beifall und man brach deshalb ohne Zögern auf. Durch die Wiederholung derselben Übung gewandter geworden, brauchten die Bergsteiger, denen sich auch Neluto angeschlossen hatte, heute nur anderthalb Stunden, den Krater zu erreichen.

Es war ihnen aber unmöglich, sich diesem ebensoweit wie früher zu nähern. Durch die höher und dichter aufsteigenden Rauchwolken züngelten lange Flammen und die Hitze in der Nähe des Kraters war ganz unerträglich. Der Vulkan warf aber auch jetzt weder Schlacken noch Asche aus.

»Offenbar, bemerkte Summy Skim, ist er nicht gerade freigebig, dieser Golden Mount, und wenn er Pepiten birgt, so scheint er sie behalten zu wollen.

– Wir werden sie ihm mit Gewalt abnehmen, da er sie nicht freiwillig herausgibt,« meinte Jane Edgerton.

Jedenfalls traten die Eruptionserscheinungen jetzt mit verstärkten Kräften auf. Das innere Grollen und Brausen erinnerte an einen unter hohem Dampfdruck stehenden Kessel, dessen Platten unter der Wirkung des Feuers erzitterten.

[348] Offenbar war jetzt ein Ausbruch im Anzuge. Vielleicht konnten aber doch noch Wochen und Monate vergehen, ehe der Vulkan seinen glühend flüssigen Inhalt in die Luft schleuderte.

Ben Raddle dachte also, nach Beobachtung des gegenwärtigen Zustandes des Kraters, keineswegs daran, die angefangnen Arbeiten unterbrechen zu lassen, im Gegenteil wollte er sie womöglich mit noch größerm Eifer gefördert sehen.

Vor dem Abstieg ließen die Ausflügler die Blicke über die ganze Umgebung hinschweifen. Die Gegend erschien öde wie immer. Nirgends, weder auf dem Lande noch auf dem Meere, zeigte sich etwas Ungewöhnliches und in dieser Hinsicht konnten Ben Raddle und seine Gefährten also recht zufrieden sein. Das Geheimnis des Golden Mount war offenbar noch niemand bekannt.

Den Rücken gegen den Krater gewendet, verloren sich Ben Raddle und seine Begleiter völlig in der Betrachtung des weiten Horizontes. Vorzüglich schien sich Summy einem innern Traume hinzugeben. Starr nach Südosten hinausblickend, rührte er sich gar nicht mehr und schien ganz vergessen zu haben, was ihn umgab.

»Was sehen Sie denn so Interessantes auf dieser Seite?« fragte Jane.

Und mit halberstickter Stimme antwortete Summy:

»Montreal, Fräulein Jane! Montreal und Green Valley!

– Green Valley! wiederholte das junge Mädchen. Ja, das ist ein Erdenfleckchen, woran Sie mit ganzem Herzen hängen, Herr Skim.

– Wie könnte das auch anders sein? antwortete Skim, ohne die Augen aus der Richtung abzulenken, die ihn wie der Pol die Kompaßnadel anzog. Habe ich denn nicht dort gelebt? In Green Valley habe ich die einen und haben andre mich geboren werden sehen. Allbekannt und überall, vom Großvater wie vom jüngsten Kinde, freundlich bewillkommt, bin ich überall zu Hause und, wenn ich meinen lieben Ben ausnehme, leider mehr geschaffen, Liebe zu empfangen als Liebe zu geben; nur dort finde ich etwas wie eine Familie. Ich liebe Green Valley, weil Green Valley mich liebt, Fräulein Jane.«

Summy schwieg und Jane ehrte dieses Schweigen; auch sie schien jetzt nachdenklicher zu werden. Erweckten vielleicht die von dem Gefährten dieses Abenteuers geäußerten wenigen Worte in ihr vorher schlummernde Gefühle? Sagte sie sich etwa, daß Mut, Tatkraft und Streben, selbst wenn sie siegreich sind, nicht genügen, ein Leben auszufüllen, daß es, wenn die freie Ausübung eines klugen und redlichen Willens unser Gehirn durch einen gewissen Stolz [349] berauschen kann, doch noch andre Instinkte gibt, die solche äußre Freuden nicht zu befriedigen vermögen?

Gewann sie unter dem Einfluß der eben vernommenen Worte vielleicht eine klarere Einsicht in die besondre Lebenslage dieses Mannes? Hatte sie sich schwach und einsam gesehen, auf dem Gipfel des an den Grenzen der bewohnten Welt verlornen Berges umgeben von zum Teil gefühlsarmen Menschen, für die sie jedenfalls bald als eine Eintagserscheinung vergessen sein würde? Sagte sie sich, daß auch sie keine Familie habe und daß sie, weniger begünstigt als Summy Skim, kein Green Valley voll offner Hände und liebender Herzen ihr eigen nenne?

»Achtung! rief da plötzlich Neluto, der von allen das schärfste Gesicht hatte.

– Was gibt es denn? fragte Ben Raddle.

– Ach, nichts, antwortete Neluto. Und mir war's doch, als sähe ich...

– Nun heraus mit der Sprache! Was denn? drang Ben Raddle in ihn.

– Ja... ich weiß nicht recht, sagte der Indianer zögernd Ich glaubte... hm ja... vielleicht einen Rauch zu sehen.

– Einen Rauch? rief der Ingenieur. In welcher Richtung?

– Dort, erklärte Neluto, indem er nach einem etwa drei Meilen vom Vulkan entfernten Walde hinwies.

– Im Walde... an dessen Saume?

– Nein.

– Also in dessen Innern, unter den Bäumen?

– Ja.

– In welcher Entfernung?

– Hm... so zwei bis drei Meilen vom Rande... vielleicht auch weniger...

– Oder auch mehr, setzte Ben Raddle ungeduldig hinzu. Ich kenne ja den Refrain, Neluto. Ich sehe jedenfalls aber nichts.

– Ich jetzt auch nicht mehr, sagte Neluto. Übrigens bin ich gar nicht sicher, etwas gesehen zu haben; es war ja so wenig, so daß ich mich wohl täuschen konnte.«

Das war, seit die Gesellschaft an der Küste des Eismeers lagerte, das erste Mal, daß sich in diesem hyperboräischen Lande Spuren von Menschen gezeigt hatten. Ein über die Bäume aufsteigender Rauch verriet doch, daß solche augenblicklich [350] im Schutze des Waldes lagerten, und wer diese auch sein mochten, etwas Guten hatte man sich von ihnen nicht zu versehen.

Wer waren die Leute wohl? Vielleicht Jäger oder nicht vielmehr Prospektoren, die den Goldvulkan suchten, von dessen Vorhandensein sie gehört hatten?

Es konnte ja recht wohl der Fall sein, daß die Neulinge den ihnen von den riesigen Laubmassen verdeckten Golden Mount noch nicht erblickt hatten, sehen würden sie ihn, wenn sie aus dem Walde herauskamen, aber doch und niemand konnte voraussagen, was die letzte Folge davon sein werde.

Jedenfalls war das ein ernster Zwischenfall, der Ben Raddle und seine Gefährten stark beunruhigte.

Mit Ausnahme der ihren Gedanken nachhängenden Jane richteten alle den Blick nach Westen, obgleich hier nichts Ungewöhnliches zu sehen war. Über das Waldesdickicht, das bis über den Horizont hinausreichte, schwebte jetzt keine Rauchwolke hin.

Von einem Irrtum Nelutos überzeugt, forderte Ben Raddle zum Rückweg auf.

Da trat Jane plötzlich an Summy heran.

»Ach, ich bin so ermüdet, Herr Skim,« sagte sie kläglichen Tones.

Summy erstaunte darüber aufs höchste; hier lag etwas Besondres vor. Noch niemals hatte Jane zugegeben, ermüdet zu sein. Mit ihr mußte eine Veränderung vor sich gegangen sein.

Ja, das war mit Jane Edgerton wirklich der Fall. Die Spannkraft, die sie aufrechterhielt, wenn sie unermüdlich auch über ihre Kräfte gehende Arbeiten erledigte, war zwar nicht ganz erschlafft, aber doch recht vermindert. Einen Augenblick sah sie im Leben doch noch etwas andres als eine Reihe von Kämpfen, von ununterbrochnen Anstrengungen; sie empfand etwas von der Süßigkeit, geliebt zu sein, sich geschützt zu wissen; ihr ging eine Ahnung auf von dem häuslichen Herde, wo man von zärtlicher Fürsorge umgeben ist, und jetzt litt sie wirklich körperlich unter der Vereinsamung ihres Herzens. O, wie ermüdet war Jane Edgerton, Herr Skim!

Er sann nicht lange nach, der gute Summy, er verlor sich nicht in eine ähnliche, verwickelte Analyse. Jetzt sah er nur Jane an und verwundert über ihre Aussage und den wehleidigen Ton, in dem sie erfolgt war, erkannte er plötzlich, was er früher nie gesehen hatte, wie zart, wie hübsch – nein, wie schön – das junge Mädchen war, deren sich vom Himmel abhebende Silhouette [351] so verschwindend erschien in der grenzenlosen Umgebung. Welch ein Unglück, daß sie sich jetzt hier in dem weltfremden Lande befand, allen Mühseligkeiten, allen Gefahren preisgegeben. Da wallte es in dem guten Summy auf wie ein warmes, brüderliches Mitgefühl.

»Haben Sie nur keine Furcht, Fräulein Jane, sagte er, seine Erregung unter einem erzwungenen Lächeln verbergend, ich bin ja bei Ihnen. Stützen Sie sich auf mich. Mein Arm ist noch stark und mein Fuß ist sicher.«

Beide begannen hinunterzusteigen. Summy wählte den Weg aus und unterstützte seine schlanke Begleiterin aufmerksam wie ein älterer Bruder und sorgsam wie ein Liebhaber, der ein zerbrechliches und kostbares kleines Kunstwerk unversehrt mit heimbringen möchte.

Halb ohne rechtes Bewußtsein ließ Jane ihn gewähren. Sie schritt wie träumend weiter und ziellos irrten ihre Blicke in die blaue Ferne. Was sie sah, hätte sie nicht sagen können. Da unten, jenseits des Horizontes, das Unbekannte oder vielleicht das noch schwerer zu enträtselnde Geheimnis ihres bewegten Herzens?

9. Kapitel
Neuntes Kapitel.
Eine Jagd auf Orignale.

Etwa fünfzig Toisen von der Stelle, wo der Anfang der Galerie lag, die mit dem Krater verbunden werden sollte, bildete das linke Ufer des Rio Rubber einen ziemlich scharfen Winkel. Von hier aus sollte die Ableitung des Wassers erfolgen. Das erforderte also die Herstellung eines vierhundert Fuß langen Kanals.

Am Morgen des 9. Juli wurde die betreffende Arbeit begonnen.

Gleich zu Anfang zeigte es sich, daß die Aushebung keine besondre Mühe machen werde. Bis auf sieben, acht Fuß Tiefe bestand der Boden aus lockrer[352] Erde Diese Tiefe mußte, bei einer ungefähr gleichen Breite, für den vorliegenden Zweck genügen, so daß keine Sprengarbeit nötig wurde, die den noch vorhandenen Vorrat an Pulver hätte erschöpfen können.

Die Leute von der Karawane ließen es an Tätigkeit nicht fehlen, die Nähe des Ziels verdoppelte ihren Eifer, da sie den Plan Ben Raddles kannten. Obwohl mehrere von ihnen die diesem zugrunde liegende Theorie kaum begriffen, bezweifelte doch keiner, daß der Golden Mount bald Gold in vollem Strome ausspeien werde.


[353]
Feuer! und beide zu gleicher Zeit, Neluto, daß wir nicht fehlen! (S. 359.)

Patrick vor allem tat reine Wunder. Bei seiner außerordentlichen Muskelkraft leistete er die Arbeit von zehn andern.

Der Kanal nahm also schnell an Länge zu. Die Leute lösten einander nach gewisser Zeit ab und unter Benützung der langen Dämmerung wurde bis tief in die Nacht hinein gearbeitet. Ben Raddle überwachte die Ausführung des Werkes und sorgte für die Befestigung der Kanalwände, immer darauf achtend, ob sich da vielleicht eine Goldader zeigte. Er fand jedoch davon nichts.

»Na, das ist ja ein Rio, bemerkte der Scout, der sich vor der Bonanza schämen muß! Doch gleichviel, wenn sein Wasser auch keine Pepiten mit sich führt, wenn es uns nur die aus dem Golden Mount verschafft!«

Acht Tage gingen hin. Am 16. Juli war der Kanal fast ganz vollendet. Es blieben nur noch einige Meter auszuheben, dann den noch stehenden, fünf bis sechs Fuß dicken Damm am Ufer zu durchbrechen und endlich die am innern Galerieende noch vorhandne Kraterwand wegzusprengen. Das Wasser wälzte sich dann allein heran, um in die Eingeweide des Vulkans zu stürzen.

Wie lange es noch bis zur Eruption dauern würde, die durch die Bildung der Wasserdämpfe hervorgerufen werden mußte, das hätte niemand mit einiger Sicherheit sagen können. Jedenfalls hatte der Ingenieur aber beobachtet, daß die vulkanische Tätigkeit von Tag zu Tag zunahm. Inmitten der über dem Berge lagernden und immer dichter ausströmenden Rauchwolken schossen zahlreiche Flammen jetzt höher empor und erleuchteten in den wenigen dunkeln Nachtstunden die Gegend in weitem Umkreise. Es war daher zu hoffen, daß das dem Zentralherde zugeleitete Wasser sofort zu Dampf verwandelt werden und ein kräftiges und schnelles Aufflackern der Eruptionserscheinungen auslösen würde.

Spät am Nachmittage desselben Tages kam Neluto eiligen Laufes zu Summy Skim und rief fast atemlos:

»He, Herr Skim!... Herr Skim!

– Was habt ihr denn, Neluto?

– Draußen äsen Orignals (kanadische Elentiere), Herr Skim!

– Orignals... wirklich? fragte Summy.

– Ja, eine ganze Herde, wenigstens ein halbes Dutzend.. oder auch mehr... oder...

– Jawohl, oder auch weniger, fiel Summy ein. Ich kenne schon das alte Lied, mein Junge. Wo weiden denn die Orignals?

– Da draußen.«

[354] Der Indianer wies nach der Ebene im Westen vom Golden Mount.

»Weit von hier?

– O... etwa eine Lieue... oder eine halbe...

– Oder zweihundert Meter weit... 's ist richtig,« sagte Summy lachend...

Einer der wärmsten Wünsche des eifrigen Jägers war es von jeher gewesen, einmal auf Orignale zu treffen und ein paar davon zu erlegen. Dieser Wunsch war ihm seit dem Eintreffen in Klondike noch nicht in Erfüllung gegangen. Höchstens hatte er gehört, daß zwei oder drei dieser Tiere in der Umgebung von Dawson City oder am Forty Miles Creek gelegentlich zu sehen gewesen wären. Nelutos Meldung erregte also im höchsten Grade seine cynegetischen Triebe.

»Kommt mit!« rief er dem Indianer zu.

Beide verließen ohne Zögern das Lager und gingen einige hundert Schritt am Fuße des Golden Mount hin. An dessen letztem südlichen Ausläufer angelangt, konnte Summy mit eignen Augen die kleine Herde Orignale sehen, die nach Nordwesten ruhig über die weite Ebene hintrotteten.

Trotz seines heftigen Verlangens, deren Verfolgung sogleich aufzunehmen, verschob er das doch weislich bis zum folgenden Tage. Es war schon zu spät, eine Jagd zu beginnen. Die Hauptsache blieb es ja, daß diese Wiederkäuer sich in der Gegend hier gezeigt hatten; man würde sie da schon wieder aufzufinden wissen.

Ins Lager zurückgekehrt, machte Summy seinem Vetter sofort Mitteilung von seiner Absicht. Da es an Leuten zur Vollendung des Kanals nicht fehlte, sah der Ingenieur kein Hindernis, sich Nelutos für einen Tag berauben zu lassen. Es wurde demnach verabredet, daß die beiden Jäger morgen früh fünf Uhr aufbrechen sollten, den Spuren der Orignals nachzugehen.

»Du versprichst mir aber, Summy, empfahl diesem noch Ben Raddle, dich auf keinen Fall zu weit von hier zu entfernen...

– Das hättest du nur den Elentieren empfehlen sollen, antwortete Summy lachend.

– Nein, Summy, das leg' ich dir ans Herz. In diesem wüsten Lande ist man nie vor schlimmen Begegnungen sicher.

– Gerade weil es so wüst und menschenleer ist, ist es doch sicher, erwiderte Summy.

[355] – Nein, Vetter. Versprich mir wenigstens, daß du am Nachmittage zurück bist.

– Am Nachmittag oder am Abend, Ben.

– Abende, die die halbe Nacht lang dauern! Damit verpflichtest du dich ja zu gar nichts, antwortete der Ingenieur. Sagen wir: um sechs, und bedenke, daß es mich sehr beunruhigen wird, wenn du bis dahin nicht zurückgekehrt bist.

– Na gut, einverstanden, Ben, erwiderte Summy Skim. Abgemacht, um sechs Uhr... mit einem Gnadenviertelstündchen.

– Schön, ich nehme auch diese Viertelstunde an, doch nur, wenn sie nicht mehr als fünfzehn Minuten dauert!«

Ben Raddle fürchtete immer, daß sein Vetter, wenn er einmal auf der Jagd war, sich weiter, als es gut war, hinreißen ließ. Bisher war noch kein Indianertrupp an den Mündungen des Mackensie aufgetaucht und dazu konnte man sich beglückwünschen. Das konnte aber heute oder morgen anders sein und Ben Raddle dachte immer an den Rauch, den Neluto über den Bäumen des Waldes gesehen zu haben glaubte Obwohl seitdem vierzehn Tage ohne jeden Zwischenfall verflossen waren, konnte er sich einer gewissen Sorge nicht entschlagen und sehnte die Stunde herbei, wo er, nach glücklicher Erreichung des Zweckes, der ihn hierher geführt hatte, den Weg nach Dawson wieder einschlagen könnte.

Am nächsten Morgen schon vor fünf Uhr verließen Summy Skim und Neluto das Lager, jeder bewaffnet mit einem weittragenden Gewehre, mit Mundvorrat für zwei Mahlzeiten und begleitet von einem guten Hunde, der aus denen, die die Karawane mit sich geführt hatte, besonders ausgewählt war. Das auf den Namen Stop hörende Tier war eigentlich mehr ein Wacht- als ein Jagdhund. Summy, der an ihm aber einen sehr seinen Geruchssinn und eine besondre Anhänglichkeit an Menschen entdeckt zu haben glaubte, hatte Stop schon vorher an sich gewöhnt und sich dessen weitrer Ausbildung unterzogen. Er war auch nicht wenig stolz auf seine erzielten Erfolge.

Das Wetter war schön und frisch, trotz der Sonne, die schon seit Stunden ihren langen Bogen über dem Horizonte beschrieb. Die beiden Jäger schritten rasch voran, während der Hund bellend um sie her sprang.

Alles in allem hatten Summy Skims Ausflüge in der Nähe von Dawson City oder in der Nachbarschaft des Forty Miles Creek ihm – mit Ausnahme der drei Bären, von denen zwei unter so merkwürdigen Umständen erbeutet [356] worden waren – nur kleines Zeug vor die Flinte geliefert: Krammetsvögel, Amseln, Rebhühner oder ähnliches Geflügel. Jetzt erhob ihn der Gedanke, bald ein edleres Wild vor den Lauf zu bekommen.

Der Orignal ist eine Elenart, dessen Kopf die Weidsprossen des Elchs schmücken. Früher in dem vom Yukon und seinen Nebenflüssen bewässerten Gebiete sehr häufig, hat sich dieser einst fast als Haustier lebende Wiederkäuer seit der Besiedlung der Claims von Klondike zerstreut und nach nördlicheren Gegenden geflüchtet, wo er nach und nach immer mehr aufs neue verwildert.

Man kann sich ihm nur schwer nähern und erlegt ihn nur unter ganz günstigen Umständen. Das ist bedauernswert, denn sein Haarfell ist kostbar und sein dem des Ochsen ähnliches Fleisch schmeckt vortrefflich.

Summy Skim wußte recht wohl, wie leicht der Orignal scheu und flüchtig wird. Er hat sehr scharfen Geruchs- und Gehörsinn und ist auch sehr schnellfüßig. Bei der geringsten Störung entflieht er trotz sei nes Gewichts, das oft fünfhundert Kilogramm erreicht, mit einer Geschwindigkeit, die jeder Verfolgung spottet. Die beiden Jäger beobachteten also alle nur mögliche Vorsicht, sich auf Schußweite heranzuschleichen.

Die gestern am Saume des Waldes beobachtete Wiederkäuerherde hatte sich etwa um anderthalb Lieues von da entfernt.

An einzelnen Stellen ragten kleine Baumgruppen auf und um die erwähnte Strecke zurückzulegen, mußten die beiden von einer zur andern schlüpfen, richtiger kriechen, um von den Tieren nicht bemerkt zu werden. Näher am Walde war das anders und die Jäger konnten schwerlich weiter vorwärts kommen, ohne ihre Anwesenheit zu verraten. Dann stoben die Orignale jedoch davon und man mußte auf jede Hoffnung verzichten, ihre Spuren wiederzufinden.

Nach kurzer Beratschlagung kamen Summy Skim und Neluto dahin überein den Wald weiter im Süden zu betreten. Stahlen sie sich darin von Baum zu Baum weiter vor, so gelang es ihnen voraussichtlich, an die Herde heranzukommen und sie von rückwärts her zu beschießen.

Dreiviertel Stunden später hatten Summy Skim und der Indianer den Wald etwa zwei Kilometer von der Stelle erreicht, wo die Orignale weideten. Neluto hielt Stop am Halsbande, um dessen Ungeduld zu zügeln.

»Wir wollen nun unter dem Schutze der Bäume weiter vordringen, sagte Summy Skim, doch um Himmelswillen, laßt mir den Hund nicht los!

[357] – Nein, nein, Herr Skim, gab der Indianer zur Antwort, doch Sie könnten die Güte haben, wieder mich etwas zurückzuhalten, Stopp zerrt gar zu sehr.«

Summy Skim lächelte. Der Mann hatte wirklich Mühe genug, nicht selbst schneller fortzgezogen zu werden.

Unter den Bäumen ging es nicht ohne Schwierigkeiten weiter. Espen, Birken und Fichten standen oft dicht beisammen und untereinander verzweigtes Buschwerk hinderte häufig den Marsch. Dabei mußte man es auch vermeiden, die auf der Erde verstreuten dürren Zweige beim Darauftreten zu zerknicken. Da jetzt Windstille herrschte, hätten die Orignale das um so leichter gehört. Die allmählich wärmer scheinende Sonne durchflutete die Baumkronen mit hellem Lichte. Keine Stimme eines Vogels traf das Ohr und in der Tiefe des Waldes war es fast feierlich still.

Die neunte Stunde war herangekommen, als die beiden Jäger ungefähr dreihundert Schritt von den Orignals Halt machten. Die einen grasten da oder tranken aus einem aus dem Walde hervorkommenden Rio, die andern hatten sich gelagert und mochten wohl eingeschlafen sein. Die Herde verriet jedenfalls keinerlei Unruhe. Freilich würde sie der geringste Alarm in die Flucht jagen und dann wandten sie sich wahrscheinlich nach Süden, den Quellen des Porcupine River zu.

Summy Skim und Neluto waren nicht die Leute dazu, sich der Ruhe hinzugeben, obgleich sie dieser gewiß bedurft hätten. Da sich jetzt die Gelegenheit zu einem glücklichen Schuß bot, wollten sie sich diese nicht entgehen lassen.

So schlichen sie sich denn, das Gewehr in der Hand und den Finger am Drücker, durch das Gebüsch näher zum Waldesrande. Obgleich hier die Würze der Gefahr fehlte, da es sich ja nicht um Raubtiere handelte, empfand Summy Skim – er gestand das später wiederholt ein – jetzt doch eine Erregung ohnegleichen. Sein Herz schlug schneller, seine Hand zitterte ein wenig und er fürchtete, nicht sicher schießen zu können. Und doch glaubte er, vor Scham sterben zu müssen, wenn er diese Gelegenheit versäumte, einen so vielbegehrten Orignal zu erlegen.

Einer hinter dem andern krochen Summy Skim und Neluto durch das Unterholz geräuschlos noch näher heran. Nach wenigen Minuten befanden sie sich nur noch gegen sechzig Schritt von der Stelle, wo die Wiederkäuer lagerten oder umhertrotteten. Diese waren jetzt in Schußweite; Stop, den Neluto noch immer hielt, atmete keuchend, bellte aber nicht.

[358] Die Orignale schienen von der Annäherung der Jäger nichts zu merken, die, die auf der Erde lagen, richteten sich nicht auf und die andern grasten ruhig weiter.

Eines davon, ein prächtiges Tier, dessen Geweih fast dem Geäst eines jungen Baumes glich, erhob jetzt aber doch den mächtigen Kopf. Seine Ohren bewegten sich und es wendete die Schnauze dem Walde zu, als wollte es die ihm daraus entgegenströmende Luft prüfen.

Vielleicht hatte das Tier doch eine Gefahr gewittert und wenn es entfloh, riß es die andern gewiß mit sich fort.

Summy Skim ahnte etwas dergleichen und das Blut drängte sich in ihm stärker zum Herzen.

»Feuer! und beide zu gleicher Zeit, Neluto, um sicher zu sein, daß wir nicht fehlen!«

Plötzlich erscholl ein wütendes Gebell und Stop, den Neluto freigelassen hatte, um das Gewehr anschlagen zu können, jagte mitten in die Herde hinein.

Ein Volk Rebhühner wäre nicht so schnell davongeflattert, wie die Orignale jetzt entflohen. Weder Summy Skim noch der Indianer hatte Zeit gehabt, zu zielen und zu schießen.

»Verdammter Köter! rief Summy, sich wütend emporrichtend.

– Ja, den hätte ich an der Kehle halten müssen, sagte der Indianer.

– Lieber gleich erwürgen sollen!« wetterte Summy Skim außer sich.

Wenn das Tier jetzt zur Hand gewesen wäre, wahrlich, es wäre nicht leichten Kaufs davongekommen. Stop befand sich aber schon mehr als zweihundert Meter draußen, als die Jäger vor dem Rande des Waldes auftauchten. Er hetzte nach Leibeskräften den Orignalen nach und es erwies sich vergeblich, ihn zurückzurufen.

Die Herde floh nach Norden zu und so schnell, daß der Hund ihr nicht folgen konnte, obgleich er ein kräftiges und schnellfüßiges Tier war. Kehrte die Herde nun vielleicht in den Wald zurück oder entfloh sie über die Ebene mehr nach der östlichen Seite hin? Das zweite wäre am erwünschtesten gewesen, denn damit hätte sie sich dem Golden Mount genähert, der anderthalb Lieues von hier seine Rauchwirbel ausstieß. Die Tiere konnten aber auch eine schräge Richtung auf den Peel River zu einschlagen und in den ersten Schluchten der Felsengebirge Schutz suchen. In diesem Falle mußte man darauf verzichten, ihrer je habhaft zu werden.

[359] »Folgt mir nach, rief Summy Skim dem Indianer zu, wir wollen wenigstens versuchen, sie nicht aus dem Gesichte zu verlieren.«

Am Waldesrande hineilend, begannen beide die schon fast einen Kilometer entfernte Herde zu verfolgen. Dieselbe unwiderstehliche Leidenschaft, die den Hund hinausgetrieben hatte, stachelte auch sie jetzt an, ohne daß sie überlegen konnten, was sie eigentlich vornahmen.

Eine Viertelstunde später erregte etwas Summy Skims stärkstes Erstaunen. Die Orignale hielten im Laufe an, wie ungewiß darüber, wohin sie sich wenden sollten.

Was sollten sie auch tun? Weiter nach Norden konnten sie nicht flüchten, denn da hätte die Küste ihnen bald den Weg abgeschnitten. Wendeten sie sich dagegen nach Südosten zurück, dann mußten Summy Skim und Neluto auf alle weitre Hoffnung verzichten.

Doch nein: nach einigem Zögern stürmten die Orignale wieder dem Walde zu und suchten Schutz unter dem Gewirr der Bäume. Der Anführer der Herde verschwand mit einem Satze hinter den ersten Stämmen und die übrigen folgten ihm nach.

»Das war für uns entschieden das Beste, rief Summy Skim. Auf der Ebene hätten wir ihnen nicht in Schußweite nahe kommen können, im Walde aber kommen sie nicht mehr so schnell vorwärts, da holen wir sie im glücklichen Falle doch vielleicht wieder ein.«

Ob nun dieser Gedankengang richtig war oder nicht, jedenfalls hatte er zur Folge, die Jäger in einen Wald zu verlocken, dessen Ausdehnung sie nicht zu beurteilen vermochten und den sie überhaupt nicht kannten.

Stop war ihnen vorausgelaufen und sprang eifrig zwischen den Bäumen hin. Noch hörte man zwar sein Bellen, konnte ihn aber nicht mehr sehen.

Seine Geschmeidigkeit ermöglichte es ihm, überall durchzukommen, und er näherte sich jetzt den Orignalen, die durch ihr Geweih gehindert wurden, schnell durch das Unterholz hindurchzubrechen. Unter diesen Umständen erschien es nicht unmöglich, daß es noch gelang, sie zu überwältigen.

Die beiden Jäger, die sich unter dem Geäst einzig durch die Stimme des Hundes führen ließen, mühten sich nach Kräften zwei Stunden lang ab. Von blinder Leidenschaft getrieben, eilten sie aufs Geratewohl dahin und drangen immer weiter nach Westen vor, ohne sich zu fragen, ob sie denn auch den Weg wieder finden würden, wenn es sich um die Rückkehr handelte.

[360] Der Wald wurde mit der weitern Entfernung von seinem Rande immer weniger dicht. Die Bäume waren noch dieselben, Espen, Birken und Fichten, sie standen nur etwas weiter voneinander und auf einem weniger von Wurzeln durchsetzten und von Gebüschen bedeckten Boden.

Wenn den beiden die Orignale nicht sichtbar waren, so hatte doch Stop deren Fährte nicht verloren. Sein Gebell ertönte noch immer und er konnte jetzt nicht besonders weit von seinem Herrn sein.

Summy Skim und Neluto drangen noch tiefer in den Wald ein, als plötzlich, kurz nach der Mittagsstunde, die Stimme des Hundes nicht mehr an ihr Ohr schlug.

Sie befanden sich jetzt an einer offnen Stelle, nach der die Sonnenstrahlen ungehindert hereindrangen. Wie weit sie vom Waldesrande entfernt waren, konnte Summy Skim nur nach der bis jetzt verflossenen Zeit beurteilen und er schätzte die Strecke etwa auf acht bis zehn Kilometer. An Zeit zur Rückkehr ins Lager würde es also nicht fehlen, auch wenn beide, was sie sehr nötig hatten, einmal ausruhten.

Atemlos und recht hungrig setzten sie sich am Fuße eines Baumes nieder, holten den Mundvorrat aus den Jagdtaschen und sprachen ihm mit gewaltigem Appetit, doch auch mit dem Bedauern zu, daß ihrer Mahlzeit ein saftiges Stück gerösteter Orignallende fehlte.

Als sie sich erholt hatten, zögerten die Jäger einen Augenblick, welchen Weg sie nun einschlagen sollten; vergeblich empfahl ihnen die Klugheit, den nach dem Lager zu wählen. Summy Skim wollte davon nichts wissen. Als Schneider heimzukehren, ist für einen Jäger schon beschämend genug, doch auch noch ohne seinen Hund wiederzukommen, ist für ihn der Gipfel der Schande. Stop hatte sich aber noch nicht wieder blicken lassen.

»Wo mag der wohl stecken? fragte Summy Skim.

– Doch jedenfalls auf der Verfolgung der Orignale, antwortete der Indianer.

– Ja, das versteht sich von selbst, Neluto; doch wo sind jetzt die Orignale?«

Wie zur Beantwortung dieser Frage ertönte das Bellen Stops plötzlich aus weniger als dreihundert Toisen Entfernung. Ohne weiter ein Wort zu wechseln, eilten die beiden Jäger in der durch die Stimme des Hundes angedeuteten Richtung hin.

[361] Vorsicht und Klugheit kamen bei ihnen nicht mehr zu Worte. Summy Skim und Neluto liefen wieder, daß ihnen der Atem ausging.

Das konnte sie sehr weit fortführen. Die Richtung nach Nordwesten war es nicht, die sie einhielten. Die Orignals liefen jetzt vielmehr nach Südwesten, hinter ihnen der sie hitzig verfolgende Stop und hinter Stop dessen vielleicht noch hitzigere Herren, die dem Golden Mount jetzt ohne Bedenken den Rücken zukehrten.

Allgemach begann die Sonne sich dem westlichen Horizonte zuzuneigen; wenn die Jäger ihrem Versprechen gemäß um sechs Uhr noch nicht zurück waren, so würden sie doch um sieben oder um acht Uhr, also noch lange vor der nächtlichen Dunkelheit, im Lager eintreffen.

Summy Skim und Neluto gaben sich freilich dieser Überlegung nicht erst hin. Sie liefen, was die Füße sie tragen konnten, ohne an etwas andres zu denken, und sogar ohne den Versuch, ihren Hund zu rufen.

Über die verflossene Zeit hatten sie jedes Urteil verloren; Müdigkeit fühlten sie nicht mehr.

Summy Skim dachte gar nicht mehr daran, wo er sich befände. Er jagte auf dem Gebiete des äußersten Nordens ganz, wie er in der Umgebung von Montreal gejagt hätte.

Ein- oder zweimal glaubten Neluto und er schon, einen Erfolg in der Hand zu haben. Über den Gebüschen, kaum fünfhundert Schritt von ihnen, waren mehrmals Geweihenden sichtbar gewesen. Die gewandten Tiere waren aber bald verschwunden und es bot sich keine Gelegenheit, einen sichern Schuß auf sie abzugeben.

Mehrere Stunden gingen mit dieser vergeblichen Verfolgung hin und aus dem schwächer hörbaren Gebell Stops ließ sich schließen, daß die Orignals wieder einen gewissen Vorsprung gewonnen hätten. Endlich hörte das Bellen ganz auf, mochte nun der Hund zu entfernt oder vom Laufen auch selbst so erschöpft sein, daß er keinen Laut mehr von sich geben konnte.

Summy Skim und Neluto machten Halt. Sie waren am Ende ihrer Kräfte und sanken wie willenlose Massen zusammen. Jetzt war die vierte Nachmittagsstunde herangekommen.

»Schluß nun,« sagte Summy, als er wieder imstande war, zu sprechen.

Neluto bewegte den Kopf als Zeichen der Zustimmung.

»Wo sind wir eigentlich?« fuhr Summy fort.

[362] Der Indianer machte eine Geste, daß er das nicht wüßte. und blickte rings umher.

Die beiden Jäger befanden sich am Rande einer größern Lichtung, durch die sich ein Rio hinschlängelte, der im Südwesten jedenfalls in einen der Nebenflüsse des Porcupine River ausmündete. Die Sonne leuchtete hell. Auf der andern Seite der Waldblöße standen die Bäume wieder so dicht beieinander, als wollten sie jeden Durchgang verwehren.

»Wir müssen nun aufbrechen, sagte Summy Skim.

– Wohl nach dem Lager? antwortete Neluto, der sich recht zerschlagen fühlte.

– Natürlich! rief Summy. Was sollten wir anders tun?

– Dann also vorwärts!« sagte der Indianer, der sich mühsam erhob und sich anschickte, längs der Lichtung hinzugehen.

Kaum hatte er aber zehn Schritte gemacht, als er, den Blick auf den Boden geheftet, stehen blieb.

»Sehen Sie hier, Herr Skim, sagte er.

– Was denn? fragte Summy verwundert.

– Feuer, Herr Skim.

– Wie... Feuer?

– Es ist wenigstens welches hier gewesen.«

Näher tretend, sah Summy Skim wirklich ein Häuschen Asche, das der Indianer unbeweglich und nachdenklich anstarrte.

»Hier im Walde halten sich also Jäger auf? fragte Summy.

– Jäger?... Ja, oder andre,« antwortete Neluto.

Summy hatte sich niedergebeugt. Er betrachtete aufmerksam die verdächtige Asche.

»Von gestern rührt sie jedenfalls nicht her,« bemerkte er, sich aufrichtend.

Die weiße, von der Feuchtigkeit halb zusammengebackne Asche mußte offenbar schon seit längerer Zeit hier liegen.

»So scheint es, gab Neluto zu. Doch da ist etwas, was uns weitre Aufklärung geben wird.«

Wenige Schritte von dem verlassnen Feuerherde hatte das forschende Auge des Indianers zwischen dem Gras einen glänzenden Gegenstand hervorschimmern sehen. Er ging schnell dahin, bückte sich und hob das Fundstück mit einem Ausrufe der Verwunderung auf.

[363] Es war ein Dolch mit flacher, messerartiger Klinge und kupfernem Griffe.

Nachdem er ihn näher besichtigt hatte, äußerte Neluto:

»Kann man auch nicht sagen, wie lange es her ist, daß hier ein Feuer brannte, so läßt sich doch behaupten, daß der Dolch nicht länger als zehn Tage an dieser Stelle gelegen hat.

– Ja, stimmte Summy Skim dem zu. Die Klinge ist noch recht glänzend und hat nur einen ganz schwachen Anhauch von Rost. Die Waffe ist also erst in jüngster Zeit hier ins Gras gefallen.«

Der Dolch, den Neluto von allen Seiten betrachtete, war, wie er sicher erkannte, von spanischer Arbeit. Auf der Klinge war der Buchstabe M eingraviert und auf dem Griffe der Name Austin, der der Hauptstadt von Texas.

»Danach müssen also, erklärte Summy Skim, Fremde vor wenigen Tagen vielleicht vor wenigen Stunden, auf dieser Lichtung gelagert haben.

– Und Indianer sind das nicht gewesen, bemerkte Neluto, denn die besitzen Waffen dieser Art nicht.«

Summy blickte voller Unruhe umher.

»Wer weiß, sagte er, ob die Leute nicht auf dem Wege nach dem Golden Mount sind?«

Diese Vermutung hatte ja etwas für sich und wenn der Mann, dem die gefundne Navaja gehörte, Mitglied einer zahlreichern Gesellschaft war, so drohte Ben Raddle und seinen Gefährten eine nicht geringe Gefahr. Vielleicht streifte dieser Trupp schon jetzt in der Gegend der Mackensiemündungen umher.

»Wir wollen aufbrechen, sagte Summy Skim.

– Ja... augenblicklich, antwortete Neluto.

– Doch unser Hund!« bemerkte noch Summy.

Der Indianer rief diesen mit lauter Stimme nach allen Seiten. Sein Ruf wurde aber wohl nicht gehört, denn Stop blieb noch immer verschwunden.

Jetzt war von einer Jagd auf Orignale nicht mehr die Rede, es galt vielmehr, so schnell wie möglich zum Lager zurückzukehren, um die Karawane aufzufordern, daß sie sich zur Verteidigung bereit hielte.

»Vorwärts also, ohne eine Minute zu verlieren!« trieb Summy Skim.

In demselben Augenblick krachte ein Gewehrschuß höchstens dreihundert Schritt von der Waldblöße.

[364]
10. Kapitel
Zehntes Kapitel.
Wo sich die Wüstenei mehr als erwünscht bevölkert.

Nachdem Summy Skim und Neluto sich zur Jagd auf die Orignale wegbegeben hatten, unterrichtete sich Ben Raddle noch einmal von dem Stande der Arbeiten. Wenn nichts dazwischen kam, konnte der Kanal noch an diesem Abend fertig sein. Dann war nur noch der Durchstich am linken Ufer des Rio Rubber herzustellen und die dünne Kraterwand mit wenigen Axthieben zu beseitigen und hierauf konnte sich das Wasser in vollem Strome in die Eingeweide des Golden Mount ergießen.

Die gewaltige und durch das Zentralfeuer schnell verdampfte Flüssigkeitsmenge mußte bald einen heftigen Ausbruch verursachen, bei dem die vulkanischen Stoffe hinausgeschleudert werden sollten. Ohne Zweifel enthielten diese eine reichliche Beimischung von Lava, Schlacken und andern wertlosen Stoffen, doch auch die Pepiten neben goldhaltigen Quarzbrocken, und die brauchte man dann nur aufzuheben, ohne sie erst mühsam herauszuholen.

Die Tätigkeit der unterirdischen Kräfte nahm noch weiter stetig zu; von Tag zu Tag war das Brodeln und Brausen im Innern lauter geworden, so daß die Frage entstand, ob die Zuleitung des Wassers zum Krater überhaupt noch nötig wäre.

»Das werden wir bald sehen, antwortete Ben Raddle dem Scout, der diese Frage an ihn gerichtet hatte. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir mit einer knappen Zeit zu rechnen haben, denn die Hälfte des Juli ist ja schon vorbei.

– Und es wäre unklug, fuhr der Scout ihm zustimmend fort, sich einen Monat länger an der Mackensiemündung aufzuhalten. Drei Wochen werden wir für die Rückfahrt bis zum Klondike ohnehin brauchen, vorzüglich wenn unsre Wagen schwerer als vorher beladen sind.

– Und das wird der Fall sein, Scout; zweifeln Sie nicht daran!

– Dann aber, Herr Raddle, wird die Jahreszeit schon weit vorgeschritten sein, ehe wir in Dawson City eintreffen. Träte der Winter etwas vorzeitig ein,[365] so würden wir auf dem Wege nach Skagway im Gebiete der Seen manche Beschwerden zu überstehen haben.

– Sie sprechen goldne Worte, lieber Scout, antwortete der Ingenieur scherzend, und das ist ja auch ganz am Platze, wenn man am Fuße des Golden Mount lagert. Doch beruhigen Sie sich getrost. Es sollte mich sehr wundern, wenn unsre Wagen nicht binnen acht Tagen auf dem Wege zum Klondike wären.«

Der Tag verlief wie gewöhnlich und am Abend war der Kanal von dem einen Ende bis zum andern fix und fertig.

In der fünften Nachmittagsstunde war auf der Ebene im Westen noch keiner der beiden Jäger bemerkt worden. Vorläufig beunruhigte das Ben Raddle nicht. Summy Skim hatte ja noch eine Stunde vor sich, ohne seinem Versprechen untreu zu werden. Wiederholt begab sich der Scout indessen ein Stück jenseit des Kanals hinaus, um zu sehen, ob er ihn entdecken könnte. Er sah aber niemand; keine Silhouette tauchte am Horizont auf.

Eine Stunde später begann auch Ben Raddle unruhiger zu werden und nahm sich vor, seinem Vetter ordentlich Vorwürfe zu machen, ein Entschluß, der freilich ein platonischer blieb, da der Schuldige immer noch nicht erschien.

Auch um sieben zeigten sich Summy Skim und Neluto ebensowenig. Der Unmut Ben Raddles verwandelte sich zu einer wirklichen Angst und diese verdoppelte sich noch, als die Abwesenden auch eine Stunde später noch nicht zurück waren.

»Die haben sich von ihrem Eifer verführen lassen, sagte er. Auf diesen Racker von Skim ist doch nie zu rechnen, wenn er ein Tier vor sich und eine Flinte in der Hand hat. Dann stürmt er unbesonnen vorwärts... nichts vermag ihn noch zurückzuhalten. O, ich hätte mich dieser Jagd widersetzen sollen.

– Vor zehn Uhr wird es ja nicht dunkel, sagte Bill Stell, um den Ingenieur zu beruhigen, und daß sich Herr Skim hätte verirren können, ist doch kaum anzunehmen. Den Golden Mount sieht man ja von weitem und im Dunkeln würden noch seine Flammen den Weg hierher zeigen.«

Hieran war ja wirklich etwas Wahres. Wie weit vom Lager die Jäger auch umherschweifen mochten, den Vulkan mußten sie doch immer sehen können. Wenn ihnen nun aber ein Unfall zugestoßen war? Wenn es ihnen unmöglich war, zurückzukehren?

Zwei Stunden vergingen. Ben Raddle konnte sich nicht mehr an Ort und Stelle halten und der Scout wurde auch allmählich nervös. Schon versank die[366] Sonne bald unter den Horizont und dann wurde der Himmel nur noch von dem Dämmerschein dieser hohen Breiten beleuchtet.

Kurz nach zehn Uhr gingen Ben Raddle und der Scout, die in ihrer Besorgnis das Lager verlassen hatten, am Fuße des Berges hin, als der Sonnenball eben im Westen verschwand. Der letzte Blick, den sie über die Ebene hinwarfen, zeigte, daß diese gänzlich verlassen war. Regungslos lauschten sie mit gespanntem Ohr, während die Nacht nach und nach niedersank. Alles ringsum war totenstill, nirgends das leiseste Geräusch zu vernehmen.

»Was soll man nun davon halten, Herr Raddle? begann der Scout. Von Gefahr kann bei einer Jagd auf Orignale doch nicht die Rede sein; Herr Skim und Neluto müßten es gerade mit Bären zu tun gehabt haben...

– Mit Bären... oder mit Raubgesindel, Bill... Ja, mir ahnt, daß ihnen ein Unglück zugestoßen ist.«

Da ergriff Bill Stell die Hand des Ingenieurs.

»Achtung!... Horchen Sie!« sagte er.

In der zunehmenden Finsternis ließ sich jetzt ein fernes Gebell vernehmen, doch vermischt mit Klagelauten, als ob der Hund verwundet worden wäre.

Ben Raddle und sein Gefährte liefen Stop entgegen, den sie auch zweihundert Schritt weit draußen antrafen.

»Verwundet!... Angeschossen!« rief Ben Raddle, dessen Herz stürmisch klopfte.

Der Scout machte jedoch dazu die Bemerkung:

»Vielleicht ist er wider Willen von seinem Herrn oder von Neluto verletzt worden; es kann ihn ja eine verirrte Kugel getroffen haben.

– Warum wäre er da nicht bei Summy geblieben, da dieser ihm doch etwas helfen und ihn mit zurücknehmen konnte? wandte Ben Raddle dagegen ein.

– Jedenfalls, sagte der Scout, wollen wir den Hund nach dem Lager führen und ihm seine Wunde verbinden. Ist diese nur leichter Art, so kann er uns viel leicht noch auf die Fährte seines Herrn leiten.

– Ja, und dann machen wir uns in größrer Zahl und gut bewaffnet auf, ohne erst den Tag abzuwarten.«

Der Scout nahm das Tier auf den Arm. Zehn Minuten später waren beide im Lager zurück.

Der Hund wurde in das Zelt getragen und seine Verwundung sorgsam untersucht. Sie schien nicht besonders ernst zu sein und bestand nur in einer [367] etwas tiefen Schramme, die nur die Muskelschicht, doch kein inneres Organ betraf.

Das Tier war von einer Kugel getroffen worden und der in solchen Operationen erfahrne Scout zog diese bald heraus.

Ben Raddle ergriff das Geschoß und betrachtete es aufmerksam.

»Das ist keine Kugel Summys, sagte er. Sie ist größer und auch aus keiner Jagdflinte abgefeuert.

– Sie haben recht, bestätigte Bill Stell, das ist eine Büchsenkugel.

– Sie sind mit Abenteurern, mit Landstreichern zusammengetroffen, rief der Ingenieur, und haben sich verteidigen müssen. Bei dem Gefecht ist Stop mit getroffen worden und wenn er nicht bei seinem Herrn geblieben ist, kommt das daher, daß dieser weggeschleppt oder gar samt Neluto getötet worden ist. Ach, mein armer Summy... mein lieber, armer Summy!«

Was hätte Bill Stell hierzu sagen sollen? Daß die Kugel von keinem der beiden Jäger abgefeuert worden war und daß der Hund allein zurückkam, bestätigte das nicht die Befürchtungen Ben Raddles? Konnte man noch daran zweifeln, daß hier ein Unglück passiert wäre? Entweder waren Summy Skim und sein Begleiter, während sie sich verteidigten, umgekommen oder sie befanden sich jetzt, da sie nicht zurückgekehrt waren, in den Händen der Angreifer.

Um elf Uhr entschieden sich Ben Raddle und der Scout dafür, ihre Reisegefährten mit der Lage der Dinge bekanntzumachen. Das Personal des Lagers wurde geweckt und mit wenigen hastigen Worten verständigte der Ingenieur die Leute dahin, daß Summy Skim und Neluto seit ihrem Aufbruche am frühen Morgen noch nicht zurückgekehrt seien. Jane Edgerton gab da dem Gedanken aller übrigen Ausdruck.

»Jetzt heißt's: aufbrechen, mahnte sie mit zitternder Stimme, und das im ersten Augenblick!«

Sofort wurden die nötigen Vorbereitungen getroffen. Lebensmittel brauchte man nicht mitzunehmen, da sich die Karawane, wenigstens bei der ersten Nachsuchung, vom Golden Mount nicht weit entfernen sollte. Alle Welt war aber bewaffnet und entschlossen, entweder sich zu verteidigen, wenn ein Angriff erfolgte, oder auch, wenn das notwendig würde, die beiden Gefangnen mit Gewalt zu befreien.

Stop war sorgfältig gepflegt, die Kugel entfernt und die Wunde verbunden worden. Nachdem er reichlich gefressen hatte, denn er war vor Hunger und Durst[368] [371] gänzlich erschöpft, verriet er schon wieder das Verlangen, seinen Herrn aufzusuchen.


»Was ist denn geschehen?« (S. 372.)

»Wir nehmen ihn mit, tragen ihn, wenn er noch zu ermüdet ist, erklärte Jane Edgerton. Vielleicht findet er die Spuren des Herrn Skim wieder.«

Blieben die Nachforschungen in der Nacht erfolglos, so sollten sie am nächsten Tage fortgesetzt werden, ja man wollte nötigenfalls die ganze Gegend zwischen dem Eismeer und dem Porcupine River absuchen. Vom Golden Mount war gar keine Rede mehr, ehe Summy Skim nicht wiedergefunden oder sein Schicksal zuverlässig aufgeklärt sein würde.

So brach die Gesellschaft auf.

Jane Edgerton an der Spitze, ihr zur Seite Ben Raddle und Bill Stell, der jetzt den Hund trug, führte der Weg jetzt zuerst wieder am Fuße des Berges hin, unter dessen donnerndem Dröhnen die Erde in der Umgebung erzitterte. An seinem mit Rauchwolken gekrönten Gipfel schossen lange, jetzt im schwachen Lichte der Halbdämmerung weithin sichtbare Flammen in die Höhe.

Am Fuße des östlichen Abhangs angelangt, machten alle zu einer weitern Beratung Halt. Welche Richtung sollte man nun einschlagen? Es erschien hier nichts ratsamer, als sich auf den Instinkt des Hundes zu verlassen, den der Scout wieder auf die Füße gestellt hatte. Das intelligente Tier schien zu verstehen, was man von ihm erwartete. Es suchte schweifwedelnd mit der Nase auf der Erde, leise kläffend, umher.

Nach einigem Schwanken trottete Stop in nordwestlicher Richtung voran.

»Als Herr Skim uns heute Morgen verließ, ging er mehr nach Süden zu, bemerkte der Scout.

– Wir wollen aber dem Hunde folgen, erklärte Jane Edgerton, er weiß besser, was das Richtige ist.«

Eine Stunde lang durchmaß die kleine Gesellschaft die Ebene in derselben Richtung. Dann erreichte sie den Saum des Waldes, in den die beiden Jäger gestern etwas weiter unten unter die Bäume eingedrungen waren. Hier blieben alle noch einmal unentschlossen stehen.

»Nun, worauf warten wir denn? fragte Jane etwas nervös.

– Auf den Tag, antwortete Bill Stell. Unter den Baumkronen würden wir jetzt ja doch nichts sehen können. Stop selbst ist sich jetzt unsicher.«

Nein, für Stop traf das nicht zu. Plötzlich machte er einen Sprung und verschwand laut bellend zwischen den Bäumen.

[371] »Ihm nach... schnell, schnell! drängte Jane Edgerton.

– Nein, wir wollen jetzt warten, sagte Bill Stell fast befehlerisch, während er seine Gefährten zurückhielt. Mache jeder seine Waffe fertig!«

Das war aber eine unnötige Empfehlung. Geführt von dem Hunde, der seine Verletzung gar nicht mehr zu spüren schien, traten plötzlich zwei Männer zwischen den Bäumen hervor und einen Augenblick später lag Summy in den Armen seines Vetters.

»Zum Lager... zurück zum Lager! war sein erstes Wort.

– Was ist denn geschehen? fragte Ben Raddle.

– Das wirst du bald erfahren, antwortete Summy Skim, doch erst dort; zum Lager, sage ich euch... zum Lager!«

Von den Flammen des Golden Mount geleitet, schritten alle sofort rasch dahin. Nach kaum einer Stunde erreichten sie den Rio Rubber. Nun hellte es sich auch bald auf.

Schon glühte das Morgenrot am nordöstlichen Horizonte. Bevor sie sich im Zelte zusammenfanden, ließen Ben Raddle, Jane Edgerton, der Scout und Summy Skim die Blicke noch einmal über die Umgebungen des Golden Mount hinschweifen. In dem schwachen Morgenscheine bemerkten sie aber nichts Auffälliges.

Als sie dann allein waren, erzählte Summy Skim kurz, was sich gestern zwischen sechs Uhr morgens und fünf Uhr nachmittags zugetragen hatte. Er sprach von der ersten bis zur Mittagsstunde fortgesetzten nutzlosen Verfolgung der Orignale, dann von dem zweiten Teile der Jagd, als das Bellen des Hundes hörbar geworden war, und endlich, wie sie kriegsmüde am Rande der Lichtung Halt gemacht und da die erkaltete Asche entdeckt hätten.

»Es ist ganz unzweifelhaft, setzte er hinzu, daß an dieser Stelle Menschen, Eingeborne oder Fremde, gelagert hatten, und das ist ja am Ende nicht zu verwundern.

– Gewiß nicht, bestätigte der Scout. Es kommt häufiger vor, daß hier Mannschaften von Walfängern ans Land gehen, ohne von den Indianern zu reden, die in der schönen Jahreszeit häufig darin umherziehen.

– Mag sein, fuhr Summy fort. Als wir aber zum Golden Moun zurückkehren wollten, hat Neluto im Grase diese Waffe hier gefunden.«

Ben Raddle und der Scout besichtigten den Dolch und erkannten auf den ersten Blick, daß er spanischen Ursprungs war.

[372] »Das Aussehen dieses Dolches, setzte Summy noch hinzu, überzeugt uns, daß er erst ganz kürzlich verloren worden sein konnte. Was den auf dem Griffe sichtbaren Buchstaben M betrifft...

– Gab uns dieser auch keinen weitern Aufschluß, unterbrach ihn der Scout.

– Nein, Bill, zunächst nicht; und doch glaub' ich richtig zu vermuten, auf welchen Namen er hindeutet.

– Und dieser Name wäre? fragte Ben Raddle.

– Der des Texaners Malone.

– Malones!

– Jawohl, Ben.

– Des Kumpans jenes Hunter? fragte Bill Stell weiter.

– Gewiß, dessen Gefährte.

– Die wären also vor einigen Tagen hier gewesen? sagte der Ingenieur.

– Sie sind sogar noch hier in der Nähe, antwortete Summy Skim.

– Haben Sie sie denn gesehen? fragte jetzt Jane Edgerton.

– Hört mich alle erst weiter an, dann werdet ihr darüber klar sein.«

Summy Skim setzte nun seinen Bericht mit folgenden Worten fort:

»Wir, Neluto und ich, wollten nach der Auffindung des Dolches eben aufbrechen, da dieser Fund uns nicht wenig beunruhigte, als in kurzer Entfernung ein Schuß krachte.

»Daß Jäger im Walde waren, konnte demnach ja nicht zweifelhaft sein und es konnte sich dabei nur um Fremdlinge handeln, denn die hiesigen Indianer benützen keine Feuerwaffen. Wer jene aber auch sein mochten, es erschien uns jedenfalls geboten, nun auf der Hut zu sein.

»Ob der Flintenschuß einem der Orignale gegolten hatte, einem von denen, die wir vorher vergeblich verfolgt hatten... das habe ich angenommen, bis ich vor hin die Verwundung unsres Hundes sah. Die Burschen hatten ohne Zweifel auf ihn geschossen.

– Und als wir ihn ohne dich zurückkommen sahen, unterbrach ihn hier Ben Raddle, und als er sich so mit Mühe fortschleppte, da kannst du dir wohl vorstellen, wie mir dabei zumute war! Ich lebte schon in schrecklicher Angst, weil du nicht rechtzeitig zurückkehrtest. Konnte ich aber etwas andres glauben, als daß du nebst Neluto überfallen worden wärst und daß der Hund bei dem Gefechte seine Wunde bekommen hätte? Ach, Summy, Summy, wie könnte ich je vergessen, daß ich es war, der dich hierher verlockt hat!«

[373] Ben Raddle war die Beute einer tiefschmerzlichen Erregung. Summy Skim begriff, was in der Seele seines Vetters vorging, der die auf ihm lastende Verantwortlichkeit fühlte.

»Ben, mein lieber Ben, sagte er, indem er ihm warm die Hand drückte, was geschehen ist, ist geschehen. Mache dir keine Vorwürfe. Ist unsre Lage jetzt auch ernster, verzweifelt ist sie darum nicht, und wir werden, hoffe ich, alle Schwierigkeiten überwinden. Übrigens wirst du das selbst beurteilen können.

»Als wir, östlich von uns, also in der Richtung, der wir zur Heimkehr ins Lager hatten folgen wollen, den Knall des Schusses hörten, beeilten wir uns, die Waldblöße zu verlassen, wo wir hätten entdeckt werden können, und uns in dem Gebüsch ihrer Umgebung zu verbergen.

»Bald ließen sich Stimmen vernehmen, es waren ihrer viele. Offenbar kam uns eine ganze Menge Leute allmählich näher.

»Wenn wir aber nicht gesehen sein wollten, so wollten wir selbst doch sehen, welche Art Leute wir vor uns hätten und was diese so in der Nähe des Golden Mount wohl machten. Wir fragten uns, ob ihnen das Vorhandensein des Vulkans vielleicht bekannt sein möchte, ob sie auf diesen zu marschierten, lauter Fragen, die für uns natürlich das größte Interesse hatten.

»Überzeugt, daß die Unbekannten sich für die Nacht jedenfalls auf der Lichtung lagern würden, zogen wir uns hinter einen dichten Busch zurück, von dem aus diese im ganzen Umfange zu übersehen war. Zwischen hohem Grase und hinter dem blätterreichen Busche kauernd, liefen wir nicht weiter Gefahr, entdeckt zu werden, und – die Hauptsache – wir konnten alles sehen und voraussichtlich vieles hören.

»Es war die höchste Zeit gewesen. Fast sofort tauchten die Fremdlinge auf, etwa vierzig Männer, je zur Hälfte Amerikaner und Eingeborne. Wir hatten uns nicht getäuscht. Sie beabsichtigten wirklich, an dieser Stelle die Nacht zuzubringen, und zündeten sogleich mehrere Feuer zur Bereitung des Abendessens an.

»Von den Männern kannte ich keinen und Neluto ebensowenig. Sie waren mit Gewehren und Revolvern bewaffnet, die sie am Rande neben den Bäumen niederlegten. Übrigens sprachen sie kaum miteinander oder doch nur mit so leiser Stimme, daß ich es nicht hören konnte.

– Aber Hunter?... Malone? fragte Ben Raddle.

[374] – Die kamen erst eine Viertelstunde später, antwortete Summy Skim, und zwar in Begleitung eines Indianers und des Werkführers, der die Arbeiten auf dem Claim 131 geleitet hatte.

»Ah, die erkannten wir gleich, Neluto und ich. Ja, die Kerle befinden sich jetzt in der Nachbarschaft des Golden Mount und eine ganze Bande Abenteurer ihres Schlages mit ihnen.

– Was mögen sie aber vorhaben? fragte der Scout. Wissen sie etwas vom Golden Mount und auch, daß bereits eine Karawane Goldsucher bei diesem tätig gewesen ist?

– Dieselben Fragen habe ich mir gestellt, lieber Bill, erwidert Summy Skim, eine Antwort darauf habe ich freilich nicht gefunden.«

In diesem Augenblicke machte der Scout Summy Skim ein Zeichen, still zu sein. Er glaubte draußen ein Geräusch vernommen zu haben und trat aus dem Zelte, die Umgebung des Lagers zu besichtigen.

Die weite Ebene war aber leer. Kein Trupp näherte sich dem Berge, dessen Grollen und Dröhnen die Stille der Nacht unterbrach. Als der Scout wieder Platz genommen hatte, fuhr Summy Skim folgendermaßen fort:

»Die beiden Texaner setzten sich dicht an den Rand der Waldblöße, kaum zehn Schritt von dem Busche, hinter dem wir versteckt waren. Erst sprachen sie von einem Hunde, der ihnen in den Weg gelaufen wäre, und ich verstehe jetzt, daß da von dem unsrigen die Rede war.« – »Das ist eine merkwürdige Erscheinung inmitten dieses Waldes, sagte Hunter, denn es ist kaum möglich, daß er sich allein so weit von jedem bewohnten Platze verirrt hätte.« – »Ja freilich; es, werden wohl Jäger hier sein, meinte Malone, ja, das ist sogar gewiß. Doch wo stecken sie? Der Hund flüchtete in dieser Richtung.« Malone wies dabei mit der Hand nach Osten. – »Oho, rief Hunter, wer sagt uns denn, daß es Jäger sind? So weit zieht man nicht hinaus, Wiederkäuer zu erbeuten oder Raubtiere zu erlegen.« – »Du kannst recht haben, Hunter, gab Malone zu; hier mögen Goldgräber umherschweifen, die nach neuen Lagerstätten suchen.« – »Darauf werden wir die Hand legen, polterte Hunter heraus, und die mögen sehen, was für sie dann übrig bleibt!« – »Nicht so viel, eine Schüssel oder einen Napf damit zu füllen,« erwiderte Malone, der sein rohes Lachen mit lästerlichen Flüchen begleitete.

»Zunächst wurde es ein Weilchen still, dann singen die Raubgesellen wieder an zu schwatzen, und dabei hörte ich alles, was für uns Interesse haben kann.

[375] »Hunter und Malone lagerten zum zweitenmal auf jener Lichtung. Vor zweieinhalb Monaten von Circle City aufgebrochen, waren sie auf gut Glück hinausgezogen unter einem eingebornen Führer – Krarak nannten sie ihn – der den Golden Mount zwar gerüchtweise, nicht aber dessen genaue Lage kannte. Nachdem die Bande nutzlos weit nach Osten hinausgezogen war, ist sie einige Tage vor uns längs des Peel River hingezogen und sie ist es offenbar gewesen, gegen die sich die Besatzung des Fort Macpherson verteidigen mußte. Von da aus ist sie nach Westen weitergezogen und hat, doch viel weiter südlich, den Wald erreicht, worin sie noch jetzt sitzt und in dem sie sich verirrt hat. Dabei ist sie bereits vor zehn Tagen einmal nach der Waldblöße gekommen, wo sie sich eben mit uns befand. Der Feuerherd, den wir dort sahen, rührte von ihrer Hand her, und sein Rauch ist es gewesen, den Neluto bei unsrer letzten Besteigung des Vulkangipfels gesehen hat.

»Nach der ersten Rast sind Hunter und seine Spießgesellen, von ihrem Führer falsch beraten, zunächst weiter nach Westen vorgedrungen. Natürlich haben sie in dieser Richtung nichts entdeckt. Endlich ermüdet von der vergeblichen Nachsuchung, haben sie sich dahin entschieden, umzukehren und einen Versuch von der Ostseite her zu unternehmen, nötigenfalls das ganze Küstengelände abzulaufen, um den Golden Mount zu finden.

»Augenblicklich wissen sie noch immer nicht, wo der Vulkan liegt, doch wird das, meiner Ansicht nach, nur eine Frage von Stunden sein, und wir müssen also auf alles vorbereitet sein.«

So lautete der Bericht Summy Skims.

Ben Raddle, der seinem Vetter ohne weitre Unterbrechung zugehört hatte, versank in Nachdenken. Was er immer gefürchtet hatte, war nun also eingetroffen. Der Franzose Jacques Ledun hatte nicht als einziger vom Golden Mount Kenntnis gehabt. Ein Indianer besaß ebenfalls dieses Geheimnis und hatte es den Texanern enthüllt. Diese mußten sich bald über die Lage des Vulkans klar werden ohne die Notwendigkeit, deshalb die ganze Küste des Arktischen Meeres abzusuchen. Sobald sie nur den Fuß aus dem Walde gesetzt hätten, würden sie ihn erblicken und den Rauch und die Flammen sehen, die über seinem Krater emporwirbelten. Binnen einer Stunde konnten sie dessen Fuß erreichen und wenige Minuten später im Lager ihrer alten Nachbarn vom Forty Miles Creek angelangt sein.

Was würde aber dann geschehen?


[376]
Der Scout besichtigte die Umgebung des Lagers. (S 375)

»Wieviele, sagtest du, daß ihrer wären? fragte Ben Raddle seinen Vetter.

– Gegen vierzig bewaffnete Männer.

– Zwei gegen einen!« murmelte Ben Raddle etwas sorgenvoll.

Da mischte sich Jane Edgerton mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit ein.

»Was tut das! rief sie. Die Lage ist ernst, doch nicht verzweifelt, wie Herr Skim erst vorhin gesagt hat. Wenn sie den Vorteil der Zahl haben, so haben wir den der Stellung. Das gleicht die Aussichten aus.«

[377] Ben Raddle und Summy Skim betrachteten mit Befriedigung das mutige Mädchen.

»Sie haben recht, Fräulein Jane, pflichtete ihr Ben Raddle bei. Wenn's nötig wird, werden wir uns verteidigen. Vorläufig wollen wir aber dahin trachten, womöglich unbemerkt zu bleiben.«

Der Scout schüttelte ungläubig mit dem Kopfe.

»Das scheint mir sehr schwierig zu sein, sagte er.

– Versuchen wollen wir's doch, meinte Summy.

– Nun ja, meinetwegen, gab der Scout zu. Es muß aber alles vorgesehen sein. Was machen wir denn, wenn sie uns doch aufspüren? Wenn wir gezwungen sind, handgemein zu werden, da sie vielleicht über uns herfallen?«

Der Ingenieur beruhigte ihn durch eine bezeichnende Handbewegung.

»Das wird sich finden,« sagte er kurz.

11. Kapitel
Elftes Kapitel.
Vor dem Kampfe.

War jetzt noch zu hoffen, daß der Golden Mount von der Bande der Texaner nicht entdeckt würde? Nein, da ihn Hunter ja sehen mußte, sobald er aus dem Walde hervortrat. Und er wurde obendrein von Krarak geführt, dessen Namen Summy Skim hatte nennen hören.

Wenn aber der Golden Mount entdeckt war, konnte man dann vernünftigerweise noch annehmen, daß Ben Raddle und die Seinen nicht bemerkt würden? Jedenfalls wollten sie das ja versuchen, es war aber tausend gegen eins zu wetten, daß sie sich schon durch die Anlage des Kanals zur Ableitung des Rio Rubber in den Krater des Vulkans verraten würden.

Dann war ein Kampf nicht zu vermeiden.

Die Rotte Hunters zählte jedoch vierzig Mann und Ben Raddle und seine Gefährten waren ihrer nur einundzwanzig; numerisch also in einer Minderheit, die der Mut allein kaum ausgleichen konnte.

[378] Augenblicklich galt es bloß, die kommenden Ereignisse abzuwarten Höchstens nach achtundvierzig Stunden, vielleicht sogar weit eher, würde Hunter in Sicht des Golden Mount auftauchen.

Das Lager am Mackensie aufzugeben, den Weg nach dem Klondike wieder einzuschlagen und hier alles den Texanern zu überlassen, davon konnte keine Rede sein. Der Scout hätte das den andern nicht vorzuschlagen gewagt und die hätten sich dessen geweigert. Betrachteten sie als erste Besitznehmer sich denn nicht als rechtmäßige Eigentümer der Schätze im Vulkan? Sicherlich würden sie sich deren nicht berauben lassen, ohne sich nach Kräften dagegen zu wehren.

Selbst Summy Skim, der kluge Summy, hätte einem Rückzuge nicht zugestimmt.

Zurückweichen vor diesem Hunter, dessen Roheit bei seiner Ankunft in Skagway er ebensowenig vergessen hatte wie das unverschämte Verhalten während der Bearbeitung des hundertneunundzwanzigsten und des hunderteinunddreißigsten Claims... nimmermehr! Es machte ihm vielmehr eine Art Vergnügen, sich noch einmal einem Feinde gegenüber zu sehen, von dem die Katastrophe am Forty Miles Creek ihn getrennt hatte. Zwischen ihnen gab es noch eine Angelegenheit zu ordnen und die Gelegenheit, die sich jetzt dazu bot, wollte er sich nicht entgehen lassen.

»In einigen Stunden, glaube ich, werden wir die Rotte dem Golden Mount zuwandern sehen, sagte am folgenden Tage Bill Stell zu Ben Raddle, indem er das Gespräch an dem Punkte wieder aufnahm, wo es gestern abgebrochen worden war. Sollte Hunter, wenn er ihn erreicht hat, dann Halt machen, an der Stelle ein Lager aufschlagen, oder es nicht vielmehr vorziehen, am Fuße des Berges weiterzugehen, um am Ufer des Mackensie zu lagern, wie wir es getan haben?

– Ich glaube, Freund Bill, daß die Texaner zuerst werden den Gipfel des Golden Mount ersteigen wollen, um zu sehen, ob sich da schon goldhaltiger Quarz und Pepiten vorfinden, das ist wenigstens wahrscheinlich.

– Gewiß, gab der Scout zu. Sie werden aber wieder herabsteigen, wenn sie sich von der Unmöglichkeit, in den Krater einzudringen, überzeugt haben. Davonziehen aber dürften sie wohl nicht eher, als bis eine Eruption stattgefunden oder vielmehr aufgehört hat. In beiden Fällen müssen sie sich aber ein Lager herrichten.

– Wenn sie nicht fortgehen, wie sie gekommen waren, rief Summy Skim, und das wäre das Klügste, was sie tun könnten.

[379] – Du kannst dich aber darauf verlassen, daß das nicht eintreffen wird, meinte Ben Raddle.

– Überdies, setzte der Scout hinzu, muß die Gegenwart eines Hundes im Walde ihnen doch aufgefallen sein. Sie werden deshalb sehen wollen, ob ihnen an den Mündungen des Mackensie nicht schon andre Prospektoren zuvorgekommen sind, und da dehnen sie ihre Nachforschungen sicherlich bis zum Stromdelta aus.

– In diesem Falle, sagte Summy Skim, müßten sie uns natürlich bald entdecken und würden versuchen, uns zu vertreiben. Dann würde ich also Hunter Aug' in Auge gegenüberstehen!... Gut, wenn dann ein ehrliches Duell – ein französisches oder ein amerikanisches, das mag er bestimmen – der Sache ein Ende machte!«

Auf einen Ausgang dieser Art war freilich nicht zu rechnen. Da die Texaner an Zahl überlegen waren, würden sie das jedenfalls benützen wollen, sich zu den alleinigen Herren des Golden Mount zu machen. Da galt es also, zur Abwehr ihres Angriffs bereit zu sein, und so wurden denn auch im Hinblick auf einen solchen alle nötigen Maßregeln getroffen.

Bill Stell ließ das Material und alles Personal nach der andern Seite des Kanals hinüberbringen. Die Wagen und die Zelte wurden hinter Bäumen verborgen, die in Gruppen auf dem trapezförmigen Platze standen, der auf der einen Seite von diesem Kanal, auf den drei andern von dem Vulkan, der Küste und dem Rio Rubber begrenzt wurde. Der Boden hier war nur mit dürftigem Grase bedeckt, das jedoch zur Ernährung der Tiere für einige Tage hinreichen mußte.

Die Karawane befand sich damit also in einer Art befestigtem Lager, das im Westen, Norden und Osten fast unzugänglich war, während im Süden der Kanal eine Verteidigungslinie bildete, die die Angreifer, wenn das Wasser erst eingelassen war, unter dem Feuer der Gewehre nur mit empfindlichen Verlusten überschreiten konnten.

Die Waffen wurden zur Verteidigung bereit gemacht. Alle Leute erhielten Gewehre, Revolver und Jagdmesser, ohne von dem nie fehlenden Karabiner Summy Skims zu reden.

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Jäger von der Stunde an auf einen Ausflug verzichteten, wenn auch die Fischer den Fang im Rio oder in den Buchten der Küste noch weiter betrieben, um an den vorhandenen Vorräten zu sparen.

[380] Beim ersten Tagesscheine ließ Ben Raddle noch einen Damm an der Eingangsöffnung der unterirdischen Galerie aufwerfen, damit diese nicht angefüllt würde, wenn die letzte Erdwand am Rio Rubber beseitigt wurde, um dessen Wasser in den Kanal abfließen zu lassen. Damit sicherte der Ingenieur die Verteidigungslinie und behielt es doch noch immer in der Hand, die Eruption zu beliebiger Zeit hervorzurufen. Gleichzeitig ließ er an der Wand des Kamins im Hintergrunde der Galerie Sprenglöcher herstellen und laden, so daß deren Lunten jeden Augenblick angezündet werden konnten.

Als alles fertig war, erwartete man, immer sorgsam auf der Hut, den drohenden Angriff. Die Leute hielten sich im hintersten Teile des Lagerplatzes. Sie zu bemerken, mußten die Feinde bis zum linken Ufer des Rio Rubber herankommen.

Wiederholt überschritten Ben Raddle, Summy Skim und der Scout noch den Kanal, um die Ebene auf eine weite Strecke hin übersehen zu können. Sie gingen sogar ein gutes Stück längs des Fußes des Vulkans hin.

Hier wurde der Ausblick nur durch die ersten Bäume des Waldes unterbrochen, der den Horizont in anderhalb Lieue Entfernung abschloß.

Die Ebene war leer. Kein Trupp Menschen zeigte sich darauf, so wenig wie nach der Seite der Küste.

»Es steht fest, sagte der Scout, daß die Texaner den Wald noch nicht verlassen haben.

– Sie haben ja auch keine besondre Eile, bemerkte Summy Skim.

– Vielleicht, meinte Ben Raddle, wollen sie sich erst von der Sachlage unterrichten, bevor sie etwas unternehmen, und an den Golden Mount kommen sie dann wahrscheinlich erst nächste Nacht heran.

– Das ist sehr möglich, erklärte der Scout, wir werden also scharf aufpassen müssen.«

Der Tag verlief ganz ruhig und entgegen der Vermutung Ben Raddles blieb auch die Nacht ungestört. Seiner Gewohnheit nach schlief Summy Skim in einem Zuge; dafür konnte Ben Raddle aber kaum ein Auge zutun. Unruhe und Aufregung ließen ihn nicht dazu kommen.

Jetzt, wo er am Ziele zu sein glaubte, mußte sich das Geschick neidisch gegen ihn wenden. Und welche Verantwortlichkeit hatte er auf sich genommen, eine Verantwortlichkeit, deren Last er erst jetzt fühlte, wenn er der Rotte Hunters nicht mit Erfolg widerstehen konnte. Auf seine Anregung hin war ja der Zug[381] hierher unternommen worden... er trug die Schuld an den drohenden Ereignissen, die ihm vielleicht ein unglückliches Ende bereiteten. Er hatte ja Summy Skim sozusagen gezwungen, noch ein zweites Jahr in den weltverlornen Gebieten der Dominion auszuharren.

Um fünf Uhr früh begaben sich Ben Raddle und der Scout nochmals über den Kanal, kamen aber zurück, ohne etwas Besondres beobachtet zu haben.

Das Wetter schien gut bleiben zu wollen und das Barometer stand etwas über der mittleren Höhe. Ein von der Seeseite wehender frischer Wind milderte die Temperatur, die sonst ziemlich hoch gewesen wäre. Die Brise wälzte die Dünste und Rauchwolken des Vulkans, die dem Ingenieur und Bill Stell heute weniger dicht und rußig zu sein schienen, in langer Fahne nach Süden.

»Sollte die vulkanische Tätigkeit abnehmen? fragte Ben Raddle.

– Meiner Treu, antwortete der Scout, wenn der Krater erlösche, hätten wir ja viel leichtere Arbeit.

– Hunter aber auch, »erwiderte der Ingenieur.

Am Nachmittage ging nachher Neluto ein Stück in die Ebene hinaus. Ihn begleitete Stop, der von seiner Verletzung fast nichts mehr fühlte. Wenn sich einer der Leute Hunters bis an den Vulkan herangeschlichen hätte, würde das intelligente Tier seine Spur jedenfalls wittern.

Gegen drei Uhr beobachteten Ben Raddle, Summy Skim und der Scout das Ufer des Rio nahe der Stelle, wo dessen Durchbrechung stattfinden sollte, als sie plötzlich alarmiert wurden. Von der Ebene her, die der Indianer und Stop absuchten, erscholl ein lautes Bellen.

»Was geht dort vor? fragte der Scout.

– O, der Hund wird ein Stück Wild aufgescheucht haben, meinte Ben Raddle.

– Nein, dann klänge sein Bellen anders, erklärte Summy Skim.

– Kommt... kommt mit!« mahnte der Ingenieur.

Sie waren kaum hundert Schritt weit gelaufen, als sie Neluto fast außer Atem heranstürmen sahen. So beeilten sie sich, ihn zu erreichen.

»Was gibt es denn, Neluto? fragte Ben Raddle.

– Sie sind da, antwortete der Indianer. Sie kommen heran.

– Alle? fragte Bill Stell.

– Alle.

– Wie weit sind sie wohl noch von hier? erkundigte sich der Ingenieur.

[382] – Etwa fünfzehnhundert Meter, Herr Ben.

– Und sie haben dich nicht bemerkt?

– Nein, versicherte Neluto. Doch ich, ich habe sie deutlich gesehen. Sie kommen in geschlossenem Zuge mit ihren Pferden und Wagen hierher.

– In welcher Richtung?

– In der auf den Rio zu.

– Meinst du, daß sie das Bellen des Hundes gehört haben? fragte Summy Skim.

– Das glaube ich nicht, antwortete Neluto. Dazu waren sie noch zu entfernt.

– Aus... nach dem Lager!« befahl Ben Raddle.

Einige Minuten später hatten alle vier den Kanal über die Erdwand am Rio hin überschritten und sich ihren Gefährten unter den Bäumen angeschlossen.

Würden nun Hunter, Malone und ihre Rotte, wenn sie den Fuß des Golden Mount erreicht hatten, Halt machen und da ein Lager aufschlagen? Oder würden sie ihren Marsch nach dem Delta des Mackensie fortsetzen?

Die zweite Annahme erschien als die wahrscheinlichste. Da sie genötigt waren, mindestens einige Tage hier zu verweilen, suchten sie jedenfalls eine Stelle auf, wo es ihnen an Süßwasser nicht fehlen konnte. Die Ebene im Westen des Golden Mount wurde aber von keinem Creek bewässert und Hunter mußte es bekannt sein, daß sich der Große Strom hier in den Ozean ergoß. Es war also zu erwarten, daß der Texaner sich dem Delta zuwenden würde. Dann mußten die Kanalarbeiten aber seine Aufmerksamkeit erwecken und es konnte nicht ausbleiben, daß er das Lager unter den Bäumen entdeckte.

Der Nachmittag verlief indessen, ohne daß es zu einem Angriffe kam. Weder die Texaner noch einer ihrer Leute zeigten sich in der Umgebung des Rio Rubber.

»Es ist ja möglich, sagte da Jane Edgerton, daß Hunter, wie wir gleich anfangs mutmaßten, den Vulkan wird ersteigen wollen, ehe er sich an dessen Fuße zum Verweilen einrichtet.

– Das ist in der Tat möglich, stimmte ihr Summy Skim bei. Er muß doch den Krater in Augenschein nehmen, um zu sehen, ob der wirklich Pepiten enthält.«

Dieser Gedankengang war ja richtig und auch Ben Raddle nickte beieillig dazu.

[383] Wie dem auch sein mochte, der Tag verstrich, ohne daß das Lager von den Texanern heimgesucht wurde.

Um jeder Möglichkeit zu begegnen, beschlossen der Scout und seine Leute die ganze Nacht zu wachen. Einander ablösend, überschritten sie die Erdwand am Rio und schlichen sich in die Ebene hinaus, um den Fuß des Berges sehen zu können.

Bis elf Uhr war die Dämmerung hell genug, Menschen zu erkennen, die sich auf den Rio zu begäben, und drei Stunden später stieg schon wieder der erste Tagesschein heraus. In der kurzen Nachtzeit ereignete sich kein Zwischenfall und beim Aufgang der Sonne war die Lage der Dinge noch ganz dieselbe wie am Tage vorher.

Diese Verzögerung eines Angriffs bekräftigte mehr und mehr die ursprüngliche Vermutung Ben Raddles, die Jane Edgerton wiederholt hatte: Da die Texaner nicht erschienen, hatten sie sich höchstwahrscheinlich zu dem Versuche einer Besteigung des Berges entschlossen.

Wann sollte diese Besteigung aber vor sich gehen? Das war wichtig zu wissen. Wie sollte man jedoch, ohne sich zu verraten, den Berggipfel beobachten können? Vom Lager aus weiter im Süden Aufstellung zu nehmen, daran war gar nicht zu denken; dort wäre kein Versteck zu finden gewesen. Auch im Osten, nach der Seite des Hauptarmes des Mackensie zu, wäre es unmöglich gewesen, den Blicken Hunters und Malones auszuweichen, wenn diese das Plateau des Golden Mount erreicht hatten.

Nur eine einzige Stelle gab es, von der aus man sehen konnte, ohne gesehen zu werden, wenn jene um den Krater herumgingen. Diese lag am linken Ufer des Rio, etwas stromabwärts von dem Punkte, der zur Ableitung des Flusses gewählt worden war, wo eine Gruppe alter Birken zweihundert Schritt von dem Gehölz stand, das Ben Raddle und seine Begleiter jetzt verbarg. Zwischen dem Lager und der Birkengruppe zog sich von Sträuchern eine Art Hecke hin, von der gedeckt die Männer einer hinter dem andern, wenn sie sich bückten, unbemerkt nach dieser hinschleichen konnten.

Frühzeitig begaben sich Ben Raddle und Bill Stell dahin, um sich zu überzeugen, daß von der erwähnten Stelle aus der Rand des Plateaus unbehindert zu überblicken war. Das den Endkegel kreisförmig umschließende Plateau war, wie sie schon bei ihrer ersten Besteigung bemerkt hatten, mit Quarzblöcken und dazwischen erhärteter Lava bedeckt, worauf man ziemlich leicht hingehen [384] konnte. Darunter fiel die Flanke des Berges lotrecht wie eine Mauer ab und ebenso war die Anordnung auf der andern, dem offnen Meere zugekehrten Seite.

»Dieser Platz eignet sich vortrefflich für unsern Zweck, sagte der Scout. Hier kann man auch weder auf dem Hin- noch auf dem Rückwege bemerkt werden. Wenn Hunter den Berg überhaupt besteigt, wird er jedenfalls nach unsrer Seite zu das Delta des Mackensie besichtigen wollen.


Leider können diese zwei Kugeln sie nicht erreichen!... (S. 387.)

– Jawohl, stimmte Ben Raddle ein. Wir werden hier auch stets einen Mann als Beobachtungsposten aufstellen.

[385] – Und ich bemerke noch, Herr Raddle, fuhr der Scout fort, daß unser Lager von oben aus nicht sichtbar ist; es wird jetzt durch die Bäume verdeckt. Wir werden dafür sorgen, daß alle Feuer gelöscht bleiben, damit kein Rauch entstehen kann. Dann entgeht es sicherlich den Blicken Hunters.

– Das wäre zu wünschen, antwortete der Ingenieur. Für diesen Fall wiederhole ich auch den Wunsch, daß die Texaner, sobald sie sich von der Unmöglichkeit, in den Krater hinabzusteigen, überzeugt haben, ihre Pläne aufgeben und möglichst bald zum Rückzuge blasen.

– Auf dem der Teufel ihr Führer sein möge! rief der Scout und setzte noch hinzu: Wenn es Ihnen recht ist, Herr Ben, will ich, da ich etwas müde bin, hier bleiben, während Sie nach dem Lager zurückkehren.

– Nein, Bill, ich möchte lieber selbst hier auf Wache bleiben. Achten Sie darauf, daß alle unsre Maßnahmen befolgt werden und daß sich keins der Tiere entfernen kann.

– Gut, Herr Ben, antwortete der Scout, ich werde auch Herrn Skim sagen, daß er Sie in zwei Stunden ablöst.

– Ja, in zwei Stunden,« erwiderte Ben Raddle, während er sich am Stamme einer Birke so lagerte, daß er den Rand des vulkanischen Plateaus nicht aus dem Auge verlor.

Bill Stell kehrte also allein nach dem kleinen Gehölz zurück und um neun Uhr begab sich auf seine Aufforderung hin Summy Skim mit übergehängtem Gewehr, als wolle er zur Jagd gehen, zum Ingenieur.

»Nichts Neues, Ben? fragte Summy Skim.

– Gar nichts, Summy.

– Hast du keinen von den texanischen Tölpeln die Felswand hinaufklettern gesehen?

– Keinen einzigen.

– Hei, welches Vergnügen für mich, wenn ich einen oder zwei von ihnen unterwegs wegputzen könnte! rief Summy Skim, auf seine mit Kugeln geladene Doppelflinte zeigend.

– In dieser Entfernung, Summy? bemerkte der Ingenieur.

– Das ist freilich wahr... 's ist ein bißchen hoch.

– Übrigens, Vetter, kommt es jetzt gar nicht darauf an, ein geschickter Schütze, sondern darauf, klug und weise zu sein. Wenn du einen von der Bande wegschössest, würde die für uns noch nicht minder gefährlich sein, während [386] ich, wenn wir unentdeckt bleiben, noch immer hoffe, daß uns Hunter und seine Begleiter von ihrer lästigen Anwesenheit befreien werden, nachdem sie gesehen haben, daß hier nichts zu holen ist.«

Ben Raddle erhob sich, um nach dem Lager zurückzukehren.

»Passe gut auf, sagte er noch, und wenn du die Texaner oben auf dem Berge siehst, so komme sofort, es uns zu melden, nur achte darauf, auf dem Wege nicht gesehen zu werden.

– Einverstanden, Ben.

– Der Scout wird dich nach zwei Stunden hier ablösen.

– Er oder Neluto, antwortete Summy Skim, wir können uns ja auf beide verlassen und Neluto hat überdies richtige Indianeraugen!«

Ben Raddle wollte schon fortgehen, als Summy Skim ihn noch einmal am Arm ergriff.

»Warte noch einen Augenblick, sagte er.

– Warum denn?

– Da oben... sieh nur da hinauf.«

Der Ingenieur richtete den Blick nach dem Plateau des Golden Mount.

Da erschien ein Mann und gleich darauf ein zweiter am Rande des Abhangs.

»Das sind sie, sagte Summy Skim.

– Ja wahrlich, Hunter und Malone!« antwortete Ben Raddle, während er sich schleunigst unter den Schutz der Baumgruppe zurückzog.

Es waren wirklich die beiden Texaner und wahrscheinlich befanden sich noch einige ihrer Leute auf dem Plateau. Nach Besichtigung des Kraters gingen sie um diesen herum und betrachteten die Umgebung des Berges. Eben jetzt hatten sie die Augen dem hydrographischen Netze des Mackensiedeltas zugewendet.

»Ah, die beiden Schurken! stieß Summy Skim her vor. Und ich muß mir sagen, daß ich hier zwei Kugeln für sie habe und daß diese sie leider nicht erreichen können!«

Ben Raddle verhielt sich schweigend. Er folgte nur mit dem Blicke den beiden Männern, die ihnen ohne Zweifel den Golden Mount rauben wollten.

Ungefähr eine Stunde lang konnte er die beiden Texaner auf dem Plateau hin- und hergehen sehen. Sie betrachteten sich die Gegend mit gespannter Aufmerksamkeit und neigten sich manchmal vor, um den Fuß des Vulkans an der Seite des Deltas zu besichtigen.

[387] Ob sie das Lager unten am Berge entdeckt hätten und also schon wüßten, daß ihnen eine Karawane an der Mackensiemündung zuvorgekommen war, das konnte niemand entscheiden; unzweifelhaft war nur, daß Hunter und Malone hartnäckig den Rio Rubber betrachteten, dessen Nachbarschaft ihnen passend erscheinen mochte, sich da für einige Wochen einzurichten.

Bald schlossen sich ihnen noch zwei andre Männer an. Der eine, den Ben Raddle und Summy Skim sofort wieder erkannten, war der Werkführer des einstigen hunderteinunddreißigsten Claims. Der andre war ein Indianer.

»Sollte das der Führer sein, der sie hierhergebracht hat? fragte der Ingenieur.

– Wenigstens ist es der, den ich schon auf der Waldblöße gesehen habe,« antwortete Summy Skim.

Während sie die vier Abenteurer am Plateaurande stehen sahen, kam ihnen der Gedanke, daß es die Sachlage erleichtern, vielleicht ganz beendigen würde, wenn jene das Gleichgewicht verlören und so acht-bis neunhundert Fuß herunterstürzten. Ihrer Anführer beraubt, würde die Bande wahrscheinlich bald von hier fortziehen.

Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Die Texaner fielen nicht von der Höhe des Vulkans herunter, dagegen polterte ein mächtiger Quarzblock herab, der sich von der Kante des Felsens gelöst hatte.

In seinem Sturze schlug der Block auf einen Vorsprung des Berges auf, wodurch er in mehrere Stücke zersprang, die sich an den das Lager schützenden Bäumen noch weiter zerteilten.

Summy Skim wollte schon einen Schrei ausstoßen, was Ben Raddle noch dadurch verhinderte, daß er ihm die Hand auf den Mund legte.

Ob einzelne der kanadischen Prospektoren durch diesen Felssturz verletzt worden waren, das konnten Ben Raddle und Summy Skim nicht wissen. Jedenfalls aber war vom Lager her kein Schmerzensschrei hörbar.

Dagegen wurde bei dieser Gelegenheit eins der Pferde der Karawane arg erschreckt. Das Tier zerriß seine Leine und stürmte aus dem kleinen Gehölz hervor dem Kanale zu, den es übersprang und worauf es nach der Ebene hin entfloh.

Mehrere durch die Entfernung geschwächte Rufe ließen sich da vom Gipfel des Golden Mount vernehmen. Hunter und Malone riefen ihre Spießgesellen herbei.

[388] Fünf oder sechs tauchten sogleich auf dem Plateau auf und begannen sofort ein eifrig geführtes Gespräch. Aus ihrem Verhalten war leicht zu erkennen, daß Hunter jetzt wußte, woran er sich bezüglich der Anwesenheit einer Karawane an den Mündungen des Mackensie zu halten habe. Jenes Pferd konnte nur aus einem Lager entsprungen sein und dieses Lager befand sich da unten ihm zu Füßen.

»Verwünschtes Tier! wetterte Summy.

– Ja, antwortete Ben Raddle, ihm können wir's zu verdanken haben, wenn wir die Partie... wenigstens den ersten Anzug verlieren.«

Summy sah auf seine Doppelflinte nieder, die er fast zärtlich streichelte.

»So begnügen wir uns mit dem Nachzuge!« murmelte er zwischen den Zähnen.

12. Kapitel
Zwölftes Kapitel.
Belagert.

Die Gefährten Ben Raddles und Summy Skims wußten noch nichts davon, daß das Lager entdeckt war. Von der Stelle aus, wo sie sich nahe am Fuße des Golden Mount befanden, konnten sie den Rand des Plateaus nicht sehen. Sie wußten noch nicht einmal, daß Hunter und einige seiner Leute den Berg erstiegen hatten, und konnten also auch nicht ahnen, daß diese das davongelaufne Pferd bemerkt hätten, dessen Verfolgung Neluto aufgenommen und das er auch leicht wieder eingefangen hatte.

Sobald die beiden Vettern zur übrigen Gesellschaft zurückgekommen waren, unterrichteten sie diese über die Lage der Dinge, und keiner zweifelte nun ferner daran, daß sie bald gezwungen sein würden, einen Angriff abzuwehren.

»Wir werden uns zu verteidigen wissen, erklärte der Scout; nein, vor diesen amerikanischen Schurken räumen wir den Platz nicht!«

Ein einstimmiges Hurra begrüßte seine Worte.

[389] Ob der Angriff wohl noch an demselben Tage erfolgte?... Wahrscheinlich. Hunter hatte Interesse daran, die Sache zu beschleunigen. Da ihm aber die Stärke der Gegner unbekannt war, würde er jedenfalls etwas vorsichtig zuwerke gehen und die Verhältnisse auszukundschaften suchen, ehe er es auf einen Zusammenstoß ankommen ließ. Vielleicht versuchte er, nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Überlegenheit an Zahl auf seiner Seite war, erst zu verhandeln und ohne Kampf zu erreichen, was er wünschte. Immerhin durfte man nicht vergessen, daß er noch nicht wußte, es hier mit den frühern Nachbarn vom Forty Miles Creek zu tun zu haben. Sah er sich dann seinem alten Feinde gegenüber, so konnte das eine friedliche Ordnung der Dinge natürlich nicht erleichtern.

Die gegebnen Führer der Karawane traten jetzt ohne Zögern zu einer Beratung zusammen, um die letzten zur Verteidigung geeigneten Maßnahmen zu bestimmen.

Ben Raddle ergriff zuerst das Wort.

»Unser Lager, sagt er, ist vorzüglich gut gedeckt, einerseits durch den Golden Mount und anderseits durch den Rio Rubber, den Hunter und die Seinen nicht überschreiten können, ohne sich unserm Gewehrfeuer auszusetzen...

– Ganz richtig, Herr Raddle, äußerte dazu der Scout, leider sind wir nach vorn zu aber nur durch den Kanal zwischen dem Rio und dem Berge geschützt und ein sieben bis acht Fuß breiter Graben wird für die Angreifer kein Hindernis sein.

– Nein, solange er trocken liegt, das gebe ich zu, antwortete der Ingenieur, ihn zu überschreiten wird aber weit schwieriger sein, wenn er bis zum Rande mit Wasser gefüllt ist.

– Dann schnell, schnell! Wir wollen die letzte Wand am Flußufer durchbrechen! rief Jane Edgerton.

– Das ist auch mein Rat, stimmte Ben Raddle ein.

– Gut, Herr Raddle, sagte der Scout, das muß geschehen, und zwar augenblicklich. Wir haben noch einige Stunden vor uns, ehe die Bande vom Berge heruntergestiegen sein und vor unserm Lager erscheinen kann. Ans Werk also!«

Bill Stell rief seine Leute zusammen. Mit dem nötigen Werkzeug versehen, eilten diese dem Ufer zu, das sie am Ende des Kanals abzugraben begannen. Schon nach wenigen Minuten strömte das Wasser heftig bis zu dem am Galerieeingang aufgeworfenen Damm.

[390] Jetzt war jede Verbindung mit der Ebene unterbrochen.

Während diese Arbeit ausgeführt wurde, beschäftigten sich Summy Skim, Jane Edgerton und Neluto damit, die Waffen in Bereitschaft zu setzen, Flinten, Büchsen und Revolver ebenso wie die Jagdmesser für den Fall, daß es zu einem Handgemenge käme. Von Pulver und Kugeln war neben einer Menge fertiger Patronen noch ein reichlicher Vorrat vorhanden.

»Wir haben für die Spitzbuben, sagte Summy Skim, so viel Hiebe bereit, wie sie verdienen, und damit wollen wir nicht geizen.

– Ich denke, fiel Neluto ein, wir empfangen sie mit einem wohlgezielten Gewehrfeuer, so daß sie davonziehen, wie sie gekommen waren.

– Möglich wäre das ja, doch ohne Kampf wird's nicht abgehen, und da wir durch die Bäume Deckung haben, sie aber ganz ohne Schutz sind, wird das ihren Vorteil der Zahl ausgleichen. Ha, wenn es je eine Gelegenheit gegeben hat, gut zu zielen, hier ist sie! Vergiß das nicht, Neluto!

– Rechnen Sie auf mich,« versprach der Indianer.

Nach schneller Beendigung der Vorbereitungen zur Verteidigung galt es nur noch, die Nachbarschaft des Lagers zu überwachen. Dazu wurden einige Männer vor den Kanal so postiert, daß sie die ganze Südseite des Golden Mount übersehen konnten.

Jedermann erkannte die Vorteile der Lage. Der trapezförmige Platz, worauf die Karawane lagerte, hatte keinen andern Ausgang mehr als über den vor dem Galerieeingange liegenden Damm, der eben auch für die Wagen gerade noch breit genug war. Mußte der Rückzug angetreten und der Platz den Texanern überlassen werden, so konnte man auf diesem schmalen Wege die Ebene erreichen und zum linken Ufer des Rio Rubber gelangen. Wollte man dagegen das Wasser aus dem Rio weiter einströmen lassen, um den Ausbruch des Vulkans herbeizuführen, so war es ganz leicht, den Damm augenblicklich durch fünf oder sechs Sprengpatronen zu zerstören, die in seine Masse eingesetzt und durch eine und dieselbe Lunte mit den andern verbunden waren, die man schon früher im Hintergrunde der Galerie ausgelegt hatte. In Erwartung einer solchen Möglichkeit sorgte man dafür, diesen Ausgang zu verbarrikadieren, wobei vorläufig noch eine ganz schmale Öffnung ausgespart blieb, die nur im Augenblick des Angriffs geschlossen werden sollte.

Während die wachthabenden Leute draußen standen, frühstückten die andern unter den Bäumen. Ben Raddle, Summy Skim und Jane Edgerton aßen zusammen. [391] Der Fischfang war in den letzten Tagen sehr ergiebig gewesen und die Konserven hatte man bisher kaum angegriffen.

Man zündete ein Feuer an, was jetzt, nach der Entdeckung des Lagers, ja nichts mehr zu bedeuten hatte, und der Rauch wirbelte frei durch das Gezweig in die Höhe.

Die Mahlzeit verlief ohne Störung. Als die Zeit zur Ablösung der Wachtposten gekommen war, hatten auch diese noch nichts von der Annäherung der Bande bemerkt.

[392] »Vielleicht, meinte Summy Skim, ziehen die Schurken es vor, uns in der Nacht zu überfallen.


Die Öffnung der Barrikade wurde verschlossen (S. 395.)

– O, die Nacht dauert ja nur zwei Stunden, antwortete Ben Raddle; sie können also kaum hoffen, uns zu überraschen.

– Warum nicht, Ben? Sie wissen doch nicht, daß wir auf der Hut sind und uns ihre Anwesenheit am Golden Mount bekannt ist. Sie haben keine Ahnung, daß wir sie bemerkt haben, als sie am Rande des Plateaus standen.


Jetzt folgten einige Augenblicke gespannten Stillschweigens (S. 398.)

– Das ist möglich, gab der Scout zu, sie haben aber das scheu gewordne Pferd davonlaufen gesehen. Erst der Hund im Walde, dann das Pferd auf der Ebene, das ist für sie mehr als genug, sicher zu sein, daß eine [393] Karawane an dieser Stelle lagert. Wir müssen also darauf vorbereitet sein, sie im Laufe des Nachmittags oder der kommenden Nacht zu sehen.«

Gegen ein Uhr begab sich der Scout über den Damm zu den Leuten, die die Umgebung beobachteten.

Während seiner Abwesenheit kehrten Ben Raddle und Summy nach der Baumgruppe zurück, von der aus sie Hunter und Malone am Plateaurande gesehen hatten. Von hier aus war auch der Rauch des Vulkans sichtbar. Der stieg etwa fünfzig Fuß über den Krater empor und wälzte sich, von den aufschießenden Flammen durchbrochen, heftig hin und her. Die Gewalt der vulkanischen Kräfte war offenbar im Zunehmen. Da drängte sich der Gedanke auf, daß der Ausbruch vielleicht sehr bald stattfinden könnte.

Das wäre für die Pläne des Ingenieurs sehr ungünstig gewesen. Der Vulkan hätte neben Asche und Lava dann goldhaltige Massen ausgeworfen, die die Texaner nur einzusammeln brauchten. Ben Raddle hätte ihnen deren Besitznahme ja nicht streitig machen können. Im Lager hatte die Karawane zwar Aussicht auf einen siegreichen Kampf, im freien Felde mußte es ihr aber unmöglich sein, einen Erfolg zu erringen. Wenn die Eruption jetzt erfolgte, so geschah das zum Nutzen Hunters und die Partie wäre unrettbar verloren gewesen.

Den Ingenieur beunruhigte das um so mehr, als er gegen diese Gefahr nichts tun konnte, und er kehrte besorgter ins Lager zurück, als er fortgegangen war.

Als er hier ankam, wies Summy Skim auf den Scout hin, der sich eiligen Laufes näherte.

»Sie kommen! rief Bill Stell schon von weitem.

– Sind sie noch fern von hier? fragte der Ingenieur.

– Etwa noch eine halbe Lieue, antwortete der Scout.

– Hätten wir wohl noch Zeit, uns nach ihnen umzusehen?

– Jawohl,« sagte Bill Stell.

Alle drei überschritten den Kanal und erreichten schnell die Stelle, wo einige Männer auf Wache standen.

Es war hier leicht, die Ebene zu übersehen, ohne selbst bemerkt zu werden. Längs des Fußes des Vulkans zog ein geschlossener Trupp heran. Es mochte[394] die gesamte Bande sein. Die Läufe von Gewehren blinkten daraus hervor. Pferde und Wagen waren nicht dabei; diese und alles sonstige Material hatten sie zurückgelassen.

Hunter, Malone und der Werkführer marschierten an der Spitze. Sie bewegten sich nur vorsichtig weiter, hielten zuweilen still oder gingen auch einige hundert Schritte seitwärts auf die Ebene, um den Gipfel des Golden Mount sehen zu können.

»Die sind vor Ablauf einer Stunde hier, sagte Ben Raddle.

– Und offenbar ist ihnen unser Lager bekannt, fügte Summy Skim hinzu.

– Sie mögen nur einen Angriff wagen! platzte der Scout heraus.

– Wenn ich hier wartete, bis Hunter in Schußweite käme, rief Summy Skim, würde ich ihn mit einer blauen Bohne begrüßen, und den brächte ich zur Strecke, so sicher wie jede Wildente!

– Wozu sollte das dienen? erwiderte Ben Raddle. Nein, wir ziehen uns ins Lager zurück und lassen die Schuld einer Gewalttat auf andern Schultern ruhen.«

Das war wohl das Klügere. Der Tod des Texaners hätte einen Angriff, der ja auch so noch nicht ganz sicher war, doch nicht verhindert.

Ben Raddle, Summy Skim und der Scout gingen also zum Kanale zurück. Nachdem sie diesen einer hinter dem andern überschritten hatten, verschlossen sie die Öffnung der Barrikade mit dazu bereit gelegten Steinen. Nun war zwischen den Kanalufern keine Verbindung mehr vorhanden.

Alle zogen sich darauf noch um sechzig Schritt weiter zurück, wo sie unter den ersten Bäumen Deckung fanden, wenn es, wie wahrscheinlich, zu einem Feuergefecht kam.

Dann warteten sie, die geladnen Gewehre in der Hand.

In der Tat erschien es besser, sich bis zum Äußersten zu gedulden, die Gegner ruhig herankommen zu lassen und erst dann die Abwehr zu beginnen, wenn diese versuchen würden, den Kanal zu überschreiten.

Eine halbe Stunde später erschienen Hunter, Malone und ihre Genossen an der Ecke des Berges. Langsam schritten sie an dessen Fuße hin und einige von ihnen wendeten sich dem Rio zu, an dessen linkem Ufer sie hinaufzogen.

Die Hälfte der Leute waren Goldgräber, die Ben Raddle, Summy Skim und Neluto auf dem hunderteinunddreißigsten Claim am Forty Miles Creek hatten arbeiten gesehen. Die andre Hälfte bestand aus zwanzig Indianern, die [395] Hunter in Circle City und im Fort Yukon für diesen Zug an die Küste des Polarmeeres angeworben hatte.

Die ganze Bande vereinigte sich wieder, als der Kanal erreicht war, an dessen Ufer Hunter und Malone stehen blieben.

Beide begannen mit dem Werkführer ein Gespräch, das ihren Bewegungen nach ein sehr lebhaftes sein mußte. Daß unter dem Schutz der Bäume ein Lager errichtet war, daran konnten sie nicht zweifeln. Was ihnen aber eine starke Enttäuschung bereitete, war der Kanal, der ein nur schwer überwindliches Hindernis bildete, wenn von sechzig Schritt hinter ihm her Feuer gegeben wurde.

Auf den ersten Blick hatten sie erkannt, daß der Kanal erst in jüngster Zeit ausgehoben worden war. Zu welchem Zwecke, konnten sie freilich nicht erraten, da der Eingang zur Galerie durch ein Gewirr von Zweigen verdeckt ward. Wie hätten sie übrigens auch auf den Gedanken kommen können, daß er dazu dienen sollte, das Wasser des Rios in die Eingeweide des Golden Mount zu leiten?

Hunter und Malone gingen inzwischen, offenbar nach einem Mittel zum Übergange suchend, am Kanalufer auf und ab. Sie mußten auf alle Fälle bis zu dem kleinen Gehölz vorzudringen suchen, entweder um auf die, die sich darin verbargen, zu treffen oder sich zu überzeugen, daß diese den Platz schon aufgegeben hätten, was ja immerhin möglich war.

Nach wenigen Minuten gesellte sich der Werkführer wieder zu ihnen und wies mit der Hand nach dem Damme, über den allein man trocknen Fußes den Kanal überschreiten konnte.

Alle drei begaben sich nach dieser Seite hin. Als sie die völlig verrammelte Barrikade erblickten, mußten sie sich sagen, daß das Gehölz nicht verlassen wäre und daß sie jenseits dieses Hindernisses ein Lager finden würden.

Hinter den Bäumen verborgen, verfolgten Ben Raddle und seine Gefährten alle Bewegungen der Bande. Sie begriffen, daß Hunter sich durch Beseitigung der auf dem Damme aufgetürmten Steine einen Durchgang freilegen wollte. Jetzt war der Augenblick zum Handeln gekommen.

»Ich weiß nicht, sagte Summy leise, was mich abhält, ihm den Schädel zu zerschmettern? Ich habe ihn ja so bequem vor der Flinte...

– Nein, schieße noch nicht, Summy, wehrte ihn Ben Raddle, indem er die Waffe seines Vetters niederdrückte. Wäre auch der Führer getötet, die Soldaten wären doch noch da. Vielleicht ist es ratsamer, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen [396] als sogleich auf sie loszuknallen. Was meinen Sie dazu, Scout?

– Nun ja, wir können ja eine Verhandlung versuchen, antwortete Bill Stell, obgleich ich mir davon kaum etwas verspreche. Doch wenn sie zu nichts Gutem führt, kann sie wenigstens nichts schlimmer machen.

– Jedenfalls, fiel hier Jane Edgerton ein, wollen wir uns nicht gleich alle zeigen.

– Das ist richtig, stimmte ihr der Ingenieur zu. Ich allein...

– Und ich mit dir!« fiel Summy Skim ein, der es nie über sich gebracht hätte, sich vor Hunter zu verstecken.

Eben als jetzt einige Leute des Texaners auf dessen Geheiß herankamen, die Barrikade abzutragen, er schienen Ben Raddle und Summy Skim vor dem Gehölze.

Sobald Hunter ihrer ansichtig wurde, befahl er seinen Leuten, sich zurückzuziehen, und vorläufig hielt sich die ganze Rotte etwa zehn Schritt hinter dem jenseitigen Kanalufer in der Defensive.

Nur Hunter und Malone kamen, das Gewehr in der Hand, näher heran.

Ben Raddle und Summy Skim hatten ihre Flinten ebenfalls bei sich, ließen deren Kolben aber auf der Erde ruhen. Die beiden Texaner taten das gleiche.

»He, rief Hunter höchst überrascht, das sind – hol' mich der Teufel! – ja Sie, die Herren von Hundertneunundzwanzig!

– Jawohl, wir selbst, gab Summy Skim zur Antwort.

– Ich hätte kaum erwartet, Ihnen an der Mündung des Mackensie zu begegnen, fuhr der Texaner fort.

– So wenig wie wir, Sie hierherkommen zu sehen, erwiderte Summy Skim.

– Ein Beweis, daß Ihr Gedächtnis nicht so gut ist wie das meinige. Haben wir nicht seit langer Zeit miteinander noch ein Hühnchen zu rupfen?

– Das kann hier ebensogut geschehen wie auf den Claims am Forty Miles Creek, entgegnete Summy trotzig.

– Na, wie es Ihnen beliebt!«

Hunter, bei dem der Zorn jetzt das Erstaunen ablöste, erhob sofort das Gewehr und Summy Skim tat dasselbe.

Unter der Bande entstand eine plötzliche Bewegung, die Hunter aber durch ein gebieterisches Zeichen unterdrückte. Ehe er sich auf weiteres einließ, erschien es ihm besser, sich über die Zahl der Gegner zu unterrichten; er musterte aber [397] das kleine Gehölz zu diesem Zwecke vergeblich, da sich keiner von den Leuten der Karawane zwischen den Bäumen sehen ließ.

Ben Raddle hielt den Augenblick für sein Dazwischentreten für gekommen. Er ging bis zum Rande des Kanals vor. Durch diesen getrennt, standen nun Hunter und er einander gegenüber, Malone und Summy waren mehr zurückgeblieben.

»Was wünschen Sie? fragte der Ingenieur ganz ruhig.

– Wir verlangen Auskunft darüber, was Sie hier am Golden Mount vorhaben.

– Mit welchem Rechte?

– Mein Recht ist das hier! antwortete Hunter roh, indem er den Kolben seines Gewehres auf die Erde stieß.

– Und hier das meinige!« erwiderte Ben Raddle, der dasselbe tat.

Jetzt folgten einige Augenblicke gespannten Stillschweigens.

»Noch einmal also, begann der Texaner wieder, was haben Sie am Golden Mount vor?

– Das, was Sie wohl selbst hier beabsichtigen, erklärte Ben Raddle.

– Sie wollen also dessen Goldlager ausbeuten?

– Ja, die Ablagerung, die uns gehört.

– Der Golden Mount ist niemandes Eigentum, protestierte Hunter, er gehört jedermann.

– Nein, widersprach ihm Ben Raddle. Er gehört dem, der ihn zuerst in Besitz nahm.

– Es handelt sich gar nicht darum, ihn zuerst in Besitz genommen zu haben oder nicht, schrie Hunter.

– So?... Um was denn?

– Ihn verteidigen zu können.

– Nun, wir sind dazu bereit, erklärte seelenruhig der Ingenieur.

– Zum letzten Male, rief Hunter, der mehr und mehr in Hitze geriet, wollen Sie uns den Platz jetzt überlassen?

– Nehmen Sie sich ihn doch,« antwortete Ben Raddle.

Auf ein Zeichen Malones krachten jetzt mehrere Flintenschüsse, doch ohne Ben Raddle oder Summy Skim, die jetzt nach dem Gehölz zurückeilten, zu treffen. Ehe sie noch unter den Bäumen verschwanden, drehte sich Summy Skim noch einmal um, schlug eiligst das Gewehr an und feuerte auf Hunter.

[398] Der Texaner konnte, da er sich sofort seitwärts beugte, der für ihn bestimmten Kugel entgehen, die an seiner Stelle einen seiner Leute niederstreckte.

Jetzt knatterte das Gewehrfeuer auf beiden Seiten. Die durch die Bäume gedeckten Gefährten Ben Raddles litten dadurch aber bei weitem nicht so viel wie die Angreifer. Die ersten hatten nur einige Verwundete, die zweiten schon mehrere Tote.

Hunter sah bald ein, daß seine Rotte dezimiert werden würde, wenn es ihm nicht gelang, den Kanal zu überschreiten. Er befahl jetzt seinen Leuten, sich zu Boden zu werfen. Die neben den Ufern aufgehäufte Erde bildete eine Art Brustwehr, die recht guten Schutz verlieh, wenn man dahinter ausgestreckt lag. Damit war es möglich, ungestraft ein Feuer gegen das Gehölz zu unterhalten, aus dem sich niemand ungefährdet hinauswagen konnte.

Malone und zwei der Leute krochen auf Hunters Befehl nach dem Damm hin, den sie unbeschädigt erreichten, und unter dem Schutze der Felsblöcke der Barrikade begannen sie die Verschlußsteine des schmalen Durchgangs zu beseitigen und in den Kanal fallen zu lassen.

Diesem Punkte wendete sich nun die Aufmerksamkeit der Verteidiger zu. Wenn der Übergang erzwungen war, wenn es der Bande gelang, bis zu dem kleinen Gehölz vorzudringen und das Lager zu umzingeln, dann war jede Hoffnung auf Widerstand verloren und der Überzahl mußte der Sieg verbleiben.

Keine der Kugeln aus dem Gehölz traf Malone oder seine beiden Leute. Bill Stell, der sie um jeden Preis verhindern wollte, über den Damm zu kommen, sprach schon davon, einen Ausfall zu machen und Mann gegen Mann zu kämpfen.

Ben Raddle hielt ihn zurück. Es wäre zu gefährlich gewesen, über den freien Platz hinzustürmen, der zwischen Gehölz und Kanal lag. Dieser Gefahr sollten lieber Hunter und seine Spießgesellen ausgesetzt sein, wenn sie nach Beseitigung des Barrikadenverschlusses das Lager zu stürmen unternahmen. Bis dahin war es besser, das Feuer ununterbrochen auf den Damm zu richten, doch auch auf die Schüsse zu antworten, die von dem Erdschutz am Kanal her fielen.

Zehn Minuten verliefen unter diesen Umständen. Keiner von denen, die an der Barrikade beschäftigt waren, hatte eine Verletzung erlitten. Erst als die Öffnung größer wurde, bot sich den Schützen ein bequemeres Ziel.

Einer der Indianer wurde hingestreckt. Sofort trat an seine Stelle ein andrer, der dasselbe Schicksal erfuhr. Gleich darauf traf eine von Neluto herrührende[399] Kugel Malone mitten in die Brust. Der Texaner stürzte zu Boden und sein Fall rief einen schrecklichen Aufschrei der ganzen Bande hervor.

»Brav gemacht, Neluto! sagte der neben diesem stehende Summy Skim, das war ein Meisterschuß! Den Kerl, den Hunter aber, den überlasse mir!«

Nachdem Malone gefallen war, schien dieser aber auf einen Angriff zu verzichten, der in der bisherigen Weise keinen Erfolg versprach, denn wenn es so fortging, ließen sich die Angreifer nur einer nach dem andern über den Haufen schießen. Hunter, der seine Leute nicht weiter gefährdet sehen wollte, gab deshalb ein Zeichen zum Rückzuge und ihre Verwundeten mitschleppend, schlug er, auf der Flucht von Gewehrfeuer begleitet, wieder den Weg nach der Ebene ein und verschwand um die Ecke des Golden Mount.

13. Kapitel
Dreizehntes Kapitel.
Patricks Schild.

So war also der erste Sturm abgeschlagen. Er hatte Hunter mehrere Verwundete und vier Tote gekostet, unter diesen sein zweites Ich, Malone. Das war für die Bande ein höchst fühlbarer Verlust. Auf Seite der Angegriffenen waren nur einige Männer durch verirrte Kugeln gestreift worden; das war der ganze Schaden.

Immerhin war jedoch zu erwarten, daß sich ein Überfall unter günstigeren Bedingungen wiederholen werde. Bei seinem rachsüchtigen Charakter und wilden Verlangen, Herr des Golden Mount zu bleiben, würde Hunter sich durch den ersten Fehlschlag noch nicht für besiegt ansehen.

»Jedenfalls haben die Kerle zum Rückzug blasen müssen, sagte der Scout; heute wagen sie gewiß keinen zweiten Versuch.

– Nein... doch vielleicht in der Nacht, meinte Summy Skim.

– Wir werden wachsam sein, erklärte Ben Raddle. In den zwei oder drei mehr dunkeln Stunden wird Hunter übrigens ebensoviel Mühe haben, den Kanal zu überschreiten, wie am hellen Tage. Ich bin überzeugt, er wird das [400] gar nicht wieder versuchen, denn er weiß ja recht gut, daß wir auf unsrer Hut sind.


Sie setzten nebeneinander ihren Weg fort. (S. 410.)

– Wäre es nicht von Wichtigkeit, die Barrikade auf dem Damme wieder in Ordnung zu bringen? ließ sich Jane Edgerton vernehmen.

– Gewiß, das soll sofort geschehen, antwortete Bill Stell und rief gleich einige Leute herbei, ihm bei der Arbeit zu helfen.

– Vorher, empfahl Summy Skim, wollen wir uns doch überzeugen, ob die Bande in ihr Lager zurückkehrt.«

[401] Ben Raddle, Summy Skim, Jane Edgerton, Bill Stell und Neluto überschritten, mit Gewehren ausgerüstet, den Damm und gingen dann einige hundert Schritt weit auf die Ebene hinaus. Von da aus konnten sie längs des Vulkanfußes bis zum Halteplatz der Texaner alles übersehen.

Es war jetzt um sechs, also noch heller Tag.

Fünf bis sechs Flintenschußweiten draußen zogen Hunter und seine Bande langsam davon, obgleich sie doch befürchten mußten, verfolgt zu werden. Ben Raddle und der Scout fragten sich auch einmal, ob das nicht angezeigt wäre, nach reiflicher Überlegung glaubten sie aber doch, davon absehen zu sollen. Besser erschien es ja, daß die Texaner die geringe Zahl ihrer Gegner nicht kennen lernten.

Daß die Bande sich nur langsam entfernte, lag daran, daß sie ihre Toten und die Verwundeten mit sich führte. Mehrere von diesen hatten nicht gehen können, was natürlich auch das Vorwärtskommen ihrer Gefährten verzögerte.

Etwa eine Stunde lang beobachteten die Kanadier diesen Rückzug. Sie sahen Hunter den Fuß des Golden Mount umkreisen und dann hinter einem Vorsprunge des Berges verschwinden, unter dessen Schutz er sein Lager aufgeschlagen hatte.

Gegen acht Uhr war die Barrikade wieder hergestellt. Zwei Mann blieben als Wachtposten dabei und alle andern begaben sich zum Abendessen in das kleine Gehölz zurück.

Das Gespräch hier drehte sich natürlich um die Vorfälle dieses Tages. Der Mißerfolg Hunters konnte noch nicht als eine endgültige Klärung der Lage angesehen werden und von wirklicher Sicherheit konnte erst die Rede sein, wenn die Bande den Golden Mount verlassen hätte. Solange sich die Texaner in der Nachbarschaft aufhielten, konnte man sich jeder Überraschung versehen. Trat die Eruption von selbst ein, so kam es jedenfalls zu einem erbitterten Kampf um die vom Vulkan ausgeworfnen Pepiten.

Die wenigen Nachtstunden verliefen in ungestörter Ruhe und ebenso auch der ganze nächste Tag. Vergeblich begab sich der Scout mehrmals über den Kanal hinaus, er konnte nichts Verdächtiges wahrnehmen. Es sah wirklich so aus, als ob Hunter auf seine Pläne verzichtet hätte.

Auch in der nächsten Nacht ereignete sich kein Zwischenfall, als aber das erste Morgenrot aufflammte, krachten von der Seite des Kanals her mehrere Schüsse. Zwei Mann zur Überwachung der Zelte zurücklassend, begaben sich [402] die übrigen nach dem Rande des kleinen Gehölzes, bereit, hier sorgsam Wache zu halten.

Die Verteidigung des Dammes war durch den Scout und Neluto hinreichend gesichert. Solange die beiden da standen, kam gewiß kein Gegner herein. Geschützt durch die Felsenbarrikade, konnte man durch kleine Öffnungen in dieser feuern und auch das südliche Kanalufer bestreichen.

Immerhin konnte ihr Feuern hier nicht viel Wirkung haben. Die Angreifer, die während der Dunkelheit herangeschlichen waren und jetzt hinter der beim Ausgraben aufgeworfnen Erde auf dem Leibe lagen, mußten gegen ihre Kugeln ziemlich gut geschützt sein. Jedenfalls zeigte ihr Feuer vorläufig keine Abnahme.

Auf das Geheiß Ben Raddles, der, da sich ihm kein Ziel für die Gewehre bot, den Pulvervorrat nicht verschwenden wollte, verhielten sich seine durch die Bäume geschützten Gefährten ganz ruhig und warteten Gewehr bei Fuß auf die weitre Entwicklung der Dinge.

So verstrich eine Stunde. Von der andern Kanalseite dauerte das ebenso heftige wie wirkungslose Feuer noch immer fort. Die Kugeln schlugen in die Stämme und die Kronen ein, verursachten den Belagerten aber keinerlei Schaden.

Plötzlich, es war jetzt heller Tag, ertönte hinter der Verteidigungslinie ein lautes Geschrei, während das Schießen sich auffällig verminderte.

Der Scout benützte diese Pause, mit Neluto den Damm zu verlassen und über die gefährdete Zone hinzulaufen, um sich seinen Gefährten anzuschließen. Diese übergaben ihm sofort den Oberbefehl, zu dessen Führung er sich wegen seiner Erfahrung im Guerillakriege besonders eignete.

Er bildete aus der Karawane gleich zwei Teile. Die eine, aus den kanadischen Arbeitern bestehende Hälfte besetzte ohne Zögern den ganzen Rand des Gehölzes, um dessen Südfront wirksam verteidigen zu können, während die andre Hälfte, zu der hauptsächlich Bill Stell und dessen Leute gehörten, sich umwendeten und auf die Zelte, woraus die Schreie hervordrangen, zueilten, wobei die Männer sich getrennt voneinander hielten und alle vorsichtig von Baum zu Baum hinschlüpften. Der Scout schloß sich dieser mobilen Kolonne an, während Ben Raddle, Summy Skim und Jane Edgerton bei den Verteidigern des Kanals blieben.

Der Scout und seine Leute waren kaum hundert Schritt weit nach Norden vorgedrungen, als sie in geringer Entfernung einen geschlossenen Trupp von sieben [403] Reitern erblickten, die, so schnell wie es das Terrain zuließ, heransprengten und den Kanadiern offenbar in den Rücken fallen wollten.

Der Scout durchschaute schnell, was hier vorgegangen war. Offenbar hatten die Texaner in den sechsunddreißig Stunden, wo sie ihre Gegner nicht behelligten, im Rio Rubber eine Furt gefunden und als sie diese unter dem Schutze der Nacht zu Pferde überschritten hatten, waren sie von Nordosten her auf das Lager zugeritten, während ein Teil von ihnen an der ersten Kampflinie noch ein Scheingefecht unterhielt.

Theoretisch richtig, erwies sich diese Rechnung doch praktisch als verfehlt. Hunter hatte, über die wirkliche Zahl seiner Feinde getäuscht, zu dem kühnen Reiterangriffe zu wenig Mannschaften bestimmt. Was vermochten aber sieben Berittne und er selbst gegen ein Dutzend Gewehre, die keinen Pardon gaben?

Dazu kam noch ein weitres Unglück. Statt auf ein verlassenes Lager zu treffen, das sie ohne Gefahr zerstören könnten, um nachher den überraschten Gegnern in den Rücken zu fallen, war das Herannahen Hunters schon, ohne daß er es ahnte, von den kanadischen Wachtposten gemeldet worden. Anderseits wurde der Überfall durch die durch Büsche und Gesträuche aufgehaltnen Pferde eher verzögert als, wie man gehofft hatte, beschleunigt. Hunter konnte sein Vorhaben also nicht so schnell durchführen, er wurde vielmehr durch das Auftauchen des Scouts und seiner Begleiter selbst überrascht.

Jetzt mußte er seinen Plan wohl oder übel aufgeben. Da ihm der Weg nach Süden versperrt war, blieb ihm nichts andres übrig als umzukehren und den Rio Rubber, so schnell die Pferde laufen konnten, wieder zu überschreiten.

Das sollte aber nicht gelingen. Jetzt fingen die kanadischen Gewehre zwischen den Bäumen an zu reden und bei der kurzen Entfernung gingen nur wenige Kugeln fehl. In wenigen Minuten stürzten sechs tödlich getroffne Reiter aus dem Sattel und drei Pferde wurden daneben erschossen, während die andern wild davonjagten. Das war kein kleiner Mißerfolg, nein, das war für Hunter das Verderben.

Durch einen wunderbaren Zufall ging er allein unverletzt daraus hervor. Sein Entschluß war schnell gefaßt. Statt vor den Kugeln zu fliehen, die doch schneller flogen, als er hätte entweichen können, stürmte er verwegen auf die Feinde zu, die, in der Besorgnis, einer den andern zu treffen, ihr Feuer einstellen mußten, und auf die Gefahr hin, sich an den Bäumen den Schädel einzurennen, flog er wie ein Wirbelsturm zwischen ihnen hindurch.

[404] Im Augenblick war er zwischen dem Grün verschwunden und bald der Abteilung des Scouts, die ihn zu verfolgen begann, weit voraus. Bevor er gerettet war, mußte er jedoch noch die am Kanal liegende Schützenlinie passieren und endlich noch den offnen Platz zwischen dem Rande des Gehölzes und der Ebene draußen.

Hunter fühlte sich nur wenig beunruhigt bei dem Gedanken an das erste dieser Hindernisse. Die Schützen standen, seiner Schätzung nach, so vereinzelt, daß es ihm nicht schwer werden könnte, zwischen ihnen hindurchzukommen. Anders lag es mit dem zweiten. Er konnte da nicht verkennen, daß es schwieriger werden würde, den über seine Erwartung zahlreichen Schützen zu entgehen, wenn er die Deckung durch das Gehölz verlassen hätte und über den davor liegenden freien Platz hinsauste.

Sein sonst so erfinderisches Gehirn erschöpfte sich vergeblich, einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit zu finden, als ihm doch plötzlich ein Hoffnungsstrahl aufdämmerte.

Er befand sich jetzt am Rande des kleinen Gehölzes. Zwischen den Stämmen schimmerte von draußen schon das helle Tageslicht herein. Unter dem Schutze eines der letzten Bäume lag einer der kanadischen Schützen. Mit einem Knie auf der Erde, lud er sein Gewehr, zielte und feuerte hinaus; dann machte er eine Pause, so in Gedanken versunken, daß er das Austauchen. Hunters zehn Schritte hinter sich gar nicht bemerkt hatte.

Hunter erstickte mühsam ein Triumphgeschrei, als er erkannte, daß der eifrige Schütze ein Weib und niemand anders war, als die junge Reisende vom »Foot- Ball«. Er hielt sein Pferd einen Augenblick an, drückte ihm dann die Sporen in die Weichen und flog, indem er sich nach Art der Cowboys tief aus dem Sattel herunterhängen ließ, so daß er mit der Hand fast den Boden berührte, auf die Gestalt zu.

Er war schon neben Jane, ehe diese etwas von seiner Gegenwart bemerkte. Im Vorüberfliegen schlang er den Arm um die Taille des jungen Mädchens, das er wie eine Feder aufhob und quer über den Sattel warf.

Dann setzte Hunter, jetzt vor den Kugeln geschützt durch die Geisel, die er davonschleppte, seinen rasenden Ritt weiter fort.

Als sie sich gepackt fühlte, hatte Jane Edgerton einen lauten Aufschrei ausgestoßen, auf den hin von der und jener Seite das Feuer augenblicklich eingestellt wurde. Besorgte und neugierige Gesichter zeigten sich zwischen den Bäumen [405] und über dem niedrigen Uferwalle, während Hunter in gestrecktem Galopp aus dem Gehölz heraus- und über den freien Platz hinjagte, den er noch so kurz vorher nicht wenig gefürchtet hatte.

Keiner aus den beiden Lagern hatte sogleich begriffen, was hier vorging. Die Amerikaner ragten mit dem ganzen Oberkörper über den Erdwall heraus, der sie beschützt hatte, und als sie ihren Anführer mit verhängtem Zügel einhergestürmt kommen sahen, glaubten sie sich von einer unerwarteten Gefahr bedroht und liefen über die Ebene davon, um hinter dem ersten Vorsprunge des Golden Mount Deckung zu suchen. Die Kanadier anderseits erschienen nun vor dem Gehölz, aber so verdutzt, daß sie gar nicht daran dachten, den entfliehenden Gegnern noch ein paar Kugeln nachzuschicken.

Hunter benützte die allgemeine Verwirrung. Ein Dutzend wilde Sprünge brachten ihn an den Kanal, über den sein keuchendes Pferd hinwegsetzte, und nun ging's in tollem Ritt über die Ebene weiter.

Jetzt kamen die Kanadier einigermaßen zur Erkenntnis der Lage und lärmend stürmten sie auf den Kanal zu. Konnten sie aber hoffen, ein dahinjagendes Pferd zu erreichen, das vor ihnen schon einen großen Vorsprung hatte?

Nur ein einziger verließ nicht den Rand des kleinen Gehölzes und beteiligte sich nicht an der nutzlosen Verfolgung. Fest, wie im Boden eingewurzelt, auf den Füßen stehend, vollkommen ruhig und Herr seiner selbst, ergriff er sein Gewehr schlug es an und feuerte so schnell wie ein Blitz.

Der kühne Schütze konnte kein andrer sein als Summy Skim. Verließ der sich denn so auf seine Geschicklichkeit, daß ihn nicht einmal die Furcht, Jane zu treffen, beschlich, als er den Räuber niederstrecken wollte?

Tatsächlich wußte er jetzt gar nicht, was er wagte. Er hatte aufs Geratewohl geschossen, ohne zu zielen, mit der Unwillkürlichkeit einer Reflexbewegung.

Summy Skim fehlte sein Ziel aber bekanntlich niemals. Auch diesmal hatte er von seiner Geschicklichkeit einen neuen und noch erstaunlicheren Beweis als alle frühern geliefert. Gleich nach dem Schusse strauchelte Hunters Gaul schwerfällig, ob der Reiter ihm nun die Zügel hatte schießen lassen, um selbst das Gleichgewicht wieder zu finden, und Jane Edgerton glitt aus dem Sattel und blieb regungslos auf der Erde liegen. Das Pferd tat noch drei bis vier unsichre Schritte, dann brach es zusammen und Hunter stürzte zur Erde, wo er ohne Bewegung liegen blieb.

[406] Das sich so plötzlich abspielende Schauspiel hatte die Kanadier völlig verdutzt. Alle schwiegen ratlos still. Auch Summy Skim, der, ungewiß über die Folgen seines überstürzten Handelns, den Blick starr auf die Ebene gerichtet hielt, rührte sich jetzt nicht. Etwa fünfzig Meter jenseits des Kanals lag Hunter. Tot oder lebend? Das wußte niemand. Noch etwas näher wälzte sich sein Pferd in den letzten Zuckungen. Es atmete noch mühsam und aus seinen Nüstern strömte Blut; und kaum zwanzig Meter entfernt – ein kleiner Fleck auf der weiten Fläche – da lag Jane Edgerton, die Summy Skim vielleicht getötet hatte.

Als sie aber ihren Anführer fallen sah, drang die Bande Hunters ordnungslos hinter der Schutzmauer des Berges hervor. Mehr bedurfte es nicht, die Kanadier wieder zur Besinnung zu bringen. Ein Regen von Blei zwang die Raubgesellen, zurückzuweichen, und belehrte sie, daß die Ebene für sie fortan verbotnes Land sei.

Was für die einen zutraf, galt hier aber leider auch für die andern. Wenn die Schützen Ben Raddles, denen sich auch der Scout mit seinen Leuten angeschlossen hatte, jetzt in der Lage waren, den Texanern zu verwehren, sich vom Vulkan zu entfernen, so konnten auch diese wieder die Kanadier abhalten, über den Erdwall am wiedereroberten Kanal hinauszugehen. Die Ebene war tatsächlich für beide Parteien ungangbar geworden.

Es hatte nicht den Anschein, als sollte sich ein Mittel gegen diese Lage der Dinge finden. Die Kanadier konnten nicht den Kopf über dem Walle sehen lassen, ohne durch einen Hagel von Geschossen begrüßt zu werden. Das lähmte allmählich ihre Spannkraft, und Ben Raddle befürchtete, es könne sie zu Torheiten verführen.

Summy Skim, der sonst so ruhig war, verfiel besonders einer heftigen Überreiztheit. Jane Edgerton auf der Erde und wie tot kaum dreißig Meter vor sich liegen zu sehen, ohne ihr beispringen zu können, das brachte ihn von Sinnen. Man mußte ihn mit Gewalt zurückhalten und wider ihn ankämpfen, daß er nicht nach der Barrikade lief, die Steine herunterwälzte und dem sichern Tode entgegenging, der ihn draußen belauerte.

»Sollen wir sie denn sterben lassen?... Pfui, wir sind erbärmliche Feiglinge! rief er ganz außer sich.

– Wir sind nur keine Tollhäusler, das ist alles, erwiderte ihm Ben Raddle ernsthaft. Beruhige dich nur und gönne uns Zeit zur Überlegung.«

[407] Der Ingenieur mochte nachsinnen, soviel er wollte, sein sonst so erfinderischer Geist bot ihm keine befriedigende Lösung der vorliegenden Aufgabe und die Lage schien sich ins Endlose zu verlängern.

Diese Lösung sollte aber Patrick finden.

Das aufregende Warten dauerte schon fast eine Viertelstunde, als man ihn aus dem Gehölz hervortreten sah, wohin er durch einen außerordentlichen Zufall hatte gelangen können, ohne die Aufmerksamkeit der Texanerbande zu erwecken. Patrick ging nicht schnell, weil er sich rückwärts bewegte und auch weil er auf der Erde eine schwere und umfängliche Last nachschleppte, nämlich den Kadaver eines der Pferde, die kurz vorher durch die Schüsse der Leute des Scouts getötet worden waren.

Was hatte Patrick vor und was wollte er mit dem toten Pferde beginnen? Diese Frage hätte niemand beantworten können.

Von der andern Seite des Kanals her hatten die hinter dem Vorsprunge des Golden Mount versteckten Texaner den Riesen ebenfalls aus dem Gehölz hervortreten sehen.

Sein Erscheinen war das Zeichen zu einem wüsten Geschrei, das ein Hagel von Kugeln begleitete. Patrick schien jedoch weder auf das eine noch auf das andre zu achten. Mit gleichmäßiger und ruhiger Anstrengung zog er seine Last weiter bis an den Damm heran, den er mit unerklärlichem Glück heil und gesund erreichte.

Dann ging er daran, sich in der Barrikade einen genügend weiten Durchgang zu öffnen, was für ihn das Werk weniger Minuten war; darauf packte er das Pferd an den Vorderbeinen, richtete es auf seinen Hinterteil auf und warf es sich mit einem einzigen Ruck auf die Schultern.

Trotz des Ernstes der Lage brachen die Kameraden des Irländers, enthusiasmiert über dieses Kraftstückchen, in hellen Jubel aus. Wenn das Pferd auch nicht sehr groß war, so hatte es doch ein bedeutendes Gewicht und Patricks Heldentat hatte fast etwas Übermenschliches an sich.

Übrigens hätte keiner sagen können, was der Riese eigentlich beabsichtigte. Keiner außer einem einzigen.

»Bravo, Patrick!« rief Summy Skim, der sich mit Gewalt aus den ihn zurückhaltenden Händen befreite, sich schnell erhob und unbesorgt um die Kugeln, die um ihn herpfiffen, dem Irländer zum Damme nachlief, den dieser überschreiten wollte.


Von dem vorhandnen Material waren nur noch Trümmer übrig. (S. 415.)

[408] Die beiden feindlichen Abteilungen konnten jetzt einen wahrhaft originellen Auftritt beobachten.

Den Kadaver des Pferdes, dessen Hinterbeine auf der Erde hinschleppten, auf den Schultern, ging Patrick langsamen und sichern Schrittes über den Damm hin und unter seinem Schutze Summy Skim mit ihm.

Kaum auf die Ebene hinausgetreten, knatterten wieder die Gewehre vom Bergvorsprunge her, über den sich die Texaner nicht hinauswagten. Patrick aber, vor dem Summy hinging, kehrte ihnen den Rücken zu und was vermochten [409] ihre Kugeln gegen seinen dicken Panzer? Weder Summy Skim noch Patrick ließen sich durch diese beunruhigen und setzten nebeneinander ihren Weg fort.

Sie brauchten nur wenige Minuten, die Stelle zu erreichen, wo Jane Edgerton lag. Hier blieb Patrick stehen, während Summy Skim das junge Mädchen vorsichtig aufhob.

Jetzt handelte es sich noch um den Rückweg, der sich schwieriger gestalten mußte, da beide jetzt genötigt waren, den Feinden das Gesicht, statt den Rücken, zuzukehren. Sie mußten deshalb eine schräge Richtung einschlagen und mußten lavieren, wodurch sich der Weg um das Drei- bis Vierfache verlängerte; schließlich gelang es Summy Skim und Patrick, jedem mit seiner Last, aber doch glücklich, über den Kanal wegzukommen, während die Texaner in ein ohnmächtiges Wutgeheul ausbrachen.

Jenseits des Dammes trafen sie schon zwei ihrer Gefährten, die, längs des Walles hinkriechend, hier hergekommen waren und sich beeilten, die Bresche in der Barrikade wieder zu schließen. Die beiden Retter verfolgten, ohne sich stören zu lassen, ihren Weg bis zum Rande des Gehölzes, das sie auch ohne Unfall erreichten.

Hier entledigte sich Patrick des von ihm »erfundenen Schildes«, an dem leicht zu erkennen war, was er genützt hatte: das Pferd war wenigstens von zwanzig Kugeln getroffen worden.

Summy Skim beschäftigte sich nun zunächst mit Jane Edgerton, die nicht die geringste Verletzung zu haben schien. Ihre Bewußtlosigkeit war jedenfalls nur eine Folge des heftigen Sturzes.

Das Besprengen ihres Gesichts mit kaltem Wasser zeigte schnell eine gute Wirkung. Bald schlug das junge Mädchen die Augen auf und kam wieder zum Bewußtsein. Summy trug sie nun eiligst bis zu den Zelten hin; ein wenig Ruhe mußte sie bald wieder völlig herstellen.

Die beiden feindlichen Parteien hatten inzwischen jede ihre Verteidigungsstellung beibehalten. Die Kanadier behaupteten die am Kanal, von der aus ihre Flinten den Texanern das Betreten der Ebene unmöglich machten. Diese wieder hielten, selbst durch den Bergvorsprung gedeckt, ihre Gegner ebenso in Schach. Es war nicht zu erraten, wann die so seltsame Lage ihr Ende finden würde.

Der ganze Tag verlief in gleicher Weise, dann wurde es dämmerig und endlich dunkel.

Das gestattete den kriegführenden Parteien etwas mehr Bewegungsfreiheit. Ben Raddle und seine Gefährten zogen sich vom Kanale zurück; an dem wurden [410] nur drei Mann als Wache zurückgelassen und noch einer nördlich vom Gehölz aufgestellt, um acht zu haben. daß vom Rio Rubber her kein neuer Überfall erfolgte. Die andern begaben sich ins Lager, wo sie nach dem Abendessen einige Stunden Schlaf fanden.

Mit Tagesanbruch waren die Kanadier, vielleicht etwas ermüdet, doch vollzählig, wieder auf den Beinen. Sobald es hell genug geworden war, wendeten sich alle Blicke dem Süden zu.

Ob nun die Texaner die Dunkelheit benützt hatten, ihrem Anführer Hilfe zu bringen? Hatte die Lage jetzt irgendeine Veränderung erfahren?

Vom Vorsprunge des Golden Mount her war kein Geräusch zu vernehmen. Auf großem Umwege längs des Rio Rubber wagten sich einige der Kanadier ein paar hundert Schritt auf die Ebene hinaus, um den Fuß des Vulkans weiterhin übersehen zu können. Da überzeugten sie sich, daß die Feinde ihre Stellung verlassen hatten.

Nichts störte mehr die Ruhe der Ebene, die ebenso still wie vorher dalag. Von den zwei Körpern, die die Finsternis gestern verhüllt hatte, war bei Tagesanbruch nur noch einer vorhanden. In einiger Entfernung vom Kanal lag das tote Pferd, der einzige dunkle Fleck auf dem hellen Wiesengrün. Schon flatterten Raubvögel um die willkommne Beute.

Hunter war verschwunden.

14. Kapitel
Vierzehntes Kapitel.
Der Ausbruch des Vulkans.

Der zweite Angriff war also wie der erste, nur mit noch größerm Erfolge, abgeschlagen worden. Von den Kanadiern fehlte beim Appell kein einziger, die Angreifer dagegen hatten ein Viertel ihrer Mannschaft verloren.

Wenn sich die Lage hiermit auch gebessert hatte, war sie doch noch keineswegs glänzend. Die beiderseitigen Streitkräfte waren immer noch ungleich und von einem wirklichen Siege konnte nur die Rede sein, wenn das Gebiet von [411] dem letzten der Raubgesellen gesäubert war. Bis dahin nahm die Sorge für ihre Verteidigung die ganze Aufmerksamkeit der Karawane in Anspruch und vorher konnte an eine Sicherheit bei der geplanten Ausbeutung des Golden Mount nicht gedacht werden.

Ob es wohl dazu in gelegner Zeit überhaupt noch kam? Oder sollten sich vielleicht alle in nutzlosen Kämpfen erschöpfen und den Sieg erst dann erringen, wenn die Nähe des Winters auch ihn nutzlos machte? In drei Wochen mußte die Karawane nun wieder aufbrechen, wenn sie der schlechten Jahreszeit entgehen wollte, der Zeit mit den Stürmen, dem Schneetreiben und den schrecklichen Blizzards, wenn sie, nach Abweisung des Angriffs der Menschen, sich nicht dem noch hartnäckigern und wildern Angriffe der Natur aussetzen wollte.

Und sollte etwa Ben Raddle, unter dem Vorwande, Zeit zu gewinnen, solange die Texaner noch da waren, seinem Plan, einen Ausbruch herbeizuführen, Folge geben, indem er das Wasser des Rios in den Krater einleitete? Würde da nicht Hunter als Herr des Vulkangipfels die Frucht so vieler Mühen und Anstrengungen pflücken?

Den ganzen Tag des 22. Juli, der übrigens durch keinen Zwischenfall gestört wurde, beschäftigte sich Ben Raddle mit diesem Gedanken.

Die ungewohnte Ruhe konnte ihn nicht täuschen. Hunter beabsichtigte jetzt vielleicht, die Sache in die Länge zu ziehen. Dann sahen sich die Belagerten in die Notwendigkeit versetzt, des nahenden Winters wegen ihren Feinden auf offnem Felde entgegenzutreten und um jeden Preis einen Streit auszufechten, der sich doch nicht endlos hinziehen konnte.

Frühzeitig am folgenden Tage begaben sich der Scout und Ben Raddle über den Kanal hinaus, um die Ebene zu besichtigen. Diese war öde und leer, auch nach der Seite des Waldes kein abziehender Trupp zu sehen. Sollte sich da Hunter wirklich entschlossen haben, seine Pläne endgültig aufzugeben?

»Es ist recht ärgerlich, sagte Bill Stell, daß man den Golden Mount nicht von der Seite unsres Lagers aus ersteigen kann. Vom andern Rande des Plateaus aus hätten wir sie jedenfalls sehen können.

– Ja freilich, Bill, das ist bedauerlich, antwortete Ben Raddle.

– Ich glaube übrigens, fuhr der Scout fort, es kann keine Gefahr dabei sein, wenn wir uns jetzt ein paar hundert Schritt weit vom Berge entfernen.

– Gewiß nicht, Bill, es ist hier ja keine Menschenseele zu sehen. Was unsre Leute gestern getan haben, können wir heute auch tun. Und selbst wenn [412] uns jemand entdeckte, hätten wir immer noch Zeit genug, zum Kanal zurückzukehren und die Barrikade zu verschließen.

– So wollen wir gehen, Herr Raddle; wir können dann wenigstens den Gipfel des Vulkans übersehen. Vielleicht sind die Rauchwolken darüber jetzt dichter und der Krater fängt an, Lava auszuwerfen.«

Beide gingen nun etwa eine Viertellieue nach Süden zu.

Keine Veränderung an der Mündung des Kraters, aus dem mit Flammen vermischte Dampf- und Rauchwolken hervorquollen, die vom Winde nach dem Meere hin getragen wurden.

»Heute kommt es hier noch zu nichts, meinte der Scout.

– Und auch morgen noch nicht, sagte dazu der Ingenieur. Mir ist das übrigens sehr recht, denn ich wünsche jetzt, daß die Eruption nicht eher stattfindet, als bis Hunter davongezogen ist... wenn er das überhaupt tut.

– Das wird wohl nicht geschehen, sagte Bill Stell, während er nach einem leichten Rauche wies, der neben dem äußersten Vorsprunge des Golden Mount aufstieg.

– Ja wahrlich, rief Ben Raddle, die Burschen sind noch immer da und tun, als ob sie hier zu Hause wären! Und da wir keinen Versuch machen, sie zu verjagen, werden sie daraus schließen, daß wir uns dazu zu schwach fühlen.«

Nach einem allseitigen Überblick über die Ebene wandten sich beide dem Kanale wieder zu und kehrten ins Lager zurück.

Jetzt war schon der 23. Juli und der Ingenieur sah mit Schmerzen die Tage verrinnen, ohne daß er einen Schritt weiter kam.

In drei Wochen war es, wie der Scout versicherte, schon sehr spät, den Rückweg nach Klondike einzuschlagen, da die Karawane dort vor dem 15. September nicht eintreffen könnte. Zu dieser Zeit haben aber die Goldgräber, die die rauhe Jahreszeit in Vancouver abzuwarten vorziehen, Dawson City schon verlassen und die letzten Paketboote dampfen bereits den Yukon hinunter.

Summy Skim besprach sich hierüber häufiger mit Bill Stell und auch am heutigen Nachmittag, während Ben Raddle am Kanalufer auf- und abging.

Dieser bog nach Besichtigung des Dammes die Zweige auseinander, die den Eingang zur Galerie verdeckten, und ging darin bis zur Wand, die diese noch vom Kamin des Vulkans trennte.

Noch einmal überzeugte er sich von der Lage der sechs in der Felswand angelegten Bohrlöcher, die er selbst schon geladen und mit Lunten versehen hatte.

[413] Er fand auch, daß sechs andre Sprengpatronen im Damme eingegraben und deren Lunten im besten Zustande waren... Ein Streichhölzchen... und das Wasser stürzte unaufhaltsam in den Gang hinein.

Ohne die Anwesenheit der Texaner hätte er sein Glück schon heute versucht. Warum sonst noch warten, da die Zeit drängte und es nicht den Anschein hatte, daß der Ausbruch von selbst erfolgen würde?

Es hätte genügt, die mehrere Minuten glimmenden Lunten anzuzünden, und nach einem halben Tage, nach zwei Stunden, nach einer, vielleicht noch eher, würde sich der angesammelte Dampf mit Gewalt einen Ausgang ins Freie gebrochen haben.

Ben Raddle stand nachsinnend vor der dünnen Scheidewand und verwünschte seine Ohnmacht und die Unmöglichkeit, die Erreichung seines kühnen Planes auf der Stelle herbeizuführen.

Als er so darüber grübelte, vernahm er die Geräusche aus dem Zentralkamine. Das Donnern und Dröhnen darin schien ihm stärker geworden zu sein.

Er glaubte sogar das Krachen gegeneinander geworfener Felsblöcke zu hören, so als ob diese von Dämpfen emporgehoben und dann zurückgestürzt wären. Ob das wohl Vorzeichen eines baldigen Ausbruchs waren?

Da erschallten plötzlich von draußen Stimmen durcheinander; er unterschied davon nur die Bill Stells, der durch die Mündung der Galerie hereinrief.

»Herr Raddle!... Herr Raddle!

– Was gibt es denn? fragte der Ingenieur.

– Kommen Sie... aber schnell, schnell!« antwortete der Scout.

Ben Raddle glaubte, die Bande unternähme noch einen dritten Angriff, und er beeilte sich deshalb, wieder nach dem Damm zu kommen. Hier fand er Summy Skim und Jane Edgerton nebst Bill Stell.

»Die Texaner wollen uns nochmals angreifen? fragte er.

– Ja, die verwünschten Kerle! rief der Scout. Doch weder von vorn noch von rückwärts, sondern jetzt von oben her!«

Er zeigte dabei nach der Seite des Golden Mount.

»Da... überzeugen Sie sich selbst, Herr Ben,« setzte er hinzu.

Hunter und seine Spießgesellen hatten, da es ihnen von der Nord- und Südseite gleichmäßig mißlungen war, ins Lager einzudringen, tatsächlich auf einen unmittelbaren Angriff verzichtet, um dafür einen andern Plan aufzunehmen, [414] der mindestens die Folge haben mußte, die Karawane zum Verlassen des Lagers zu zwingen.

Sie hatten den Vulkan erstiegen, dessen Endkegel umkreist und hatten sich nach der Seite des Plateaus begeben, an deren Fuße die kanadischen Zelte lagen. Hier brachen sie mit Spitzhaue und Hebeln von dem zum Teil zerklüfteten Felsen große Stücke los, die sich zu Hunderten vorfanden. Bald wurden die wuchtigen Steinmassen bis zum Rande gewälzt und donnerten dann lawinenähnlich hinunter, wobei sie, noch weiter zerspringend, die Bäume zerschmetterten oder aus dem Boden rissen.

Einzelne dieser schrecklichen Geschosse rollten sogar bis in den Kanal, dessen Wasser dadurch hoch über die Ufer aufspritzte. Ben Raddle und seine Gefährten hatten sich dicht an die Flanke des Berges geschmiegt, um diesem tödlichen Hagel zu entgehen.

Im kleinen Gehölz konnte sich niemand halten. Schon verschwand das Lager fast unter den vom Berge heruntergestürzten Blöcken und die Leute hatten Zuflucht am Ufer des Rios gesucht, der so weit entfernt lag, daß ihn die Lawine nicht erreichen konnte.

Von dem vorhandenen Material waren nur noch Trümmer übrig. Zwei von den Karren lagen zerbrochen umher, die Zelte waren weggeschlagen und zerrissen, die Geräte zerstört. Zerquetscht lagen drei von den Maultieren auf der Erde, die andern waren, erschreckt und scheu geworden, mit einem Satze über den Kanal gesprungen und hatten sich auf der Ebene zerstreut. Eine wirkliche Katastrophe!

Von oben tönte wildes Geheul herab, Freudengeschrei der Rotte, die über das entsetzliche Vernichtungswerk jubelte. Und immer noch polterten die Felsblöcke herunter, schlugen zuweilen beim Fallen auf und zerbarsten zu kleineren Stücken, die sich wie Kartätschengeschosse zerstreuten.

»Die werfen uns ja den ganzen Berg auf den Kopf! rief Summy Skim.

– Was sollen wir dagegen tun? fragte der Scout.

– Ja, was wir tun sollen, weiß ich selbst nicht, erwiderte Summy Skim, außer dem einen, Hunter, eine Kugel auf den Pelz jagen, statt etwa mit ihm verhandeln zu wollen. »

Höchst gereizt, zuckte Jane Edgerton mit den Schultern.

»Das sind leere Worte, sagte sie, und inzwischen wird alles, was wir besitzen vernichtet. Bald wird davon nichts mehr übrig sein, wenn wir nicht [415] wenigstens die Trümmer retten. Wir wollen die Karren nach dem Rio schaffen, wo sie nicht mehr getroffen werden können.

– Ganz recht, stimmte der Scout ihr zu. Doch nachher?

– Nachher? wiederholte Jane Edgerton, nachher gehen wir ins Lager der Mordbuben und erwarten sie da. Wenn sie herunterklettern, werden sie aus geeigneter Entfernung niedergeschossen und ihre Wagen mögen uns dann unsre verlornen ersetzen!«

Voller Bewunderung blickte der Scout die tatkräftige Gefährtin an. Ihr Vorschlag war kühn, doch nicht unausführbar. Hunter und seine Leute mußten sich jedenfalls in ungünstiger Lage befinden, wenn sie unter dem Feuer von zwanzig Gewehren den Abhang hinunterklettern wollten.

Das taten sie aber gewiß nicht eher, als bis es ihnen an Steingeschossen fehlte.

Man würde also Zeit genug haben, unbemerkt am Fuß des Berges hinzuschleichen und sich nach dessen anderer Seite zu begeben. Befanden sich da noch einige Leute von der Bande, so mußten diese leicht überwältigt werden können, und dann würde man das Absteigen Hunters und der übrigen abwarten und sie, wie Gemsen oder Steinböcke vom Anstand aus, einzeln wegschießen.

»Ein herrlicher Gedanke! platzte Summy Skim her aus. Schnell die Leute herangerufen und dann hinaus über den Damm! In einer halben Stunde sind wir an Ort und Stelle, während die Schurken mindestens zwei Stunden brauchen, herunterzuklettern.«


Alle starrten verwundert auf das erschreckende Schauspiel. (S. 421.)

Hatte sich Ben Raddle auch nicht an diesen Reden beteiligt, so hatte er doch Jane Edgerton ihren Plan auseinandersetzen gehört, den einzigen, der tatsächlich ausführbar und erfolgreich zu sein schien.

Als Summy Skim sich aber schon in Bewegung setzen wollte, hielt ihn sein Vetter zurück.

»Da können wir doch noch etwas Besseres tun, sagte dieser.

– Was denn? fragte Summy Skim gespannt.

– Nun, der Bande Hunters nach Gebühr antworten. Wir haben eine furchtbare Waffe zur Hand.

– Eine Waffe? wiederholte der Scout.

– Den Vulkan. Wir brauchen nur dessen Ausbruch hervorzurufen und vernichten sie dadurch alle zusammen.«

Nach kurzem Schweigen fuhr der Ingenieur fort:

[416] [419]»Geht ihr am Fuße des Berges und am Rande des Meeres hin zu unsern Leuten, inzwischen zünde ich die Minen an und komme dann schnellstens zu euch.

– Ich bleibe bei dir, Ben! erklärte Summy Skim, der dem Ingenieur die Hand drückte.

– Das wäre nutzlos, erwiderte dieser bestimmt. Ich laufe nicht die mindeste Gefahr. Die Hauptlunte liegt, wie du weißt, bereit und ich brauche nur die eine anzuzünden.«

Da half kein Widerspruch. Summy Skim, Jane Edgerton und der Scout entfernten sich also, um die übrigen am Ufer des Rio Rubber vereinigten Mitglieder der Karawane aufzusuchen. Sofort verschwand Ben Raddle hinter dem Gezweige, das den Eingang verdeckte. Kriechend erreichte er die Mitte der Galerie und nachdem er hier die Lunte in Brand gesetzt hatte, die einerseits mit den Sprengschüssen in der Felswand, anderseits mit denen im Damme verbunden war, eilte er schleunigst davon und ebenfalls näher auf das Meer zu.

Eine Viertelstunde später explodierten die Minen mit dumpfem Krachen; der Berg schien bis zu seinem Fuße zu erzittern. In tausend Trümmern verstreute sich der gesprengte Damm und das Wasser des Kanals stürzte sich rauschend in die nun offen liegende Galerie Doch war auch die Sperrwand an ihrem andern Ende durch die Explosion beseitigt worden? Die dichten, rußigen Dämpfe, die sofort qualmend austraten, hatten diese Frage eher beantwortet, als man sie hätte stellen können. Ja, die Wand war durchbrochen, denn durch die neue Öffnung stieß der Vulkan seinen erstickenden Atem aus.

Gleichzeitig drang aus der Galerie ein betäubendes Getöse hervor. Das siedend und pfeifend aufbrodelnde Wasser kämpfte mit den obersten Lavaschichten und verdampfte bei der Berührung mit diesen.

Feuer und Wasser! Welches von den beiden Elementen würde als Sieger aus dem Titanenkampfe hervorgehen? Würde das Feuer beim Erlöschen die Lavaoberfläche so erhärten, daß das Wasser sie nicht mehr durchdringen könnte, oder würde das aus dem unerschöpflichen Mackensie zuströmende Wasser nicht vielmehr durch das Feuer besiegt werden, wenn es damit zusammentraf?

Zwei Fragen, deren Beantwortung mit begreiflicher Spannung von allen entgegengesehen wurde.

Eine halbe Stunde ging hin, eine ganze Stunde... das Wasser strömte noch immer gurgelnd der Galerie zu und verschwand, die Dämpfe fast zurückdrängend, tosend in der Tiefe des Berges.

[419] Gut bewaffnet, hatte sich die gesamte Truppe der Kanadier über den Rio Rubber hinaus nach der Meeresküste zurückgezogen. Regungslos und schweigend beobachteten sie ängstlich die weitre Entwicklung der Dinge.

Plötzlich wurde der Erdboden wie durch einen Frostschauer erschüttert und ein entsetzliches Dröhnen drang aus der Erde. Dann trat eine seltsame Erscheinung ein. Die ganze Ebene nach Süden schien über Sehweite hinaus in Wellenbewegung zu geraten und bald wurde die Sonnenscheibe von dichten Staubwolken verdunkelt.

Da wurden die Kanadier von heillosem Schrecken gepackt. Alle, selbst die mutigsten, empfanden eine unnennbare Furcht angesichts der unbesieglichen Kräfte, die ihre schwachen Hände entfesselt hatten.

Schon begann das Wüten des Vulkans aber sich zu mäßigen. Die Staubwolke senkte sich zur Erde und die Sonne wurde wieder sichtbar.

Das beruhigte die Leute. Erleichternde Seufzer entrangen sich ihrer Brust und das Herz schlug ihnen langsamer. Einige wagten sogar, leise zu lächeln, und alle ließen die Blicke fragend umherschweifen.

In der Natur hatte sich nichts verändert. Der Rio Rubber ergoß sich wie vorher in den Ozean, dessen Wellen sich an demselben Ufer brachen. Der Golden Mount, der an der Ferse nur von einer unbedeutenden und nicht tödlichen Wunde verletzte Riese, erhob noch immer sein von Rauch und Flammen gekröntes Haupt, scheinbar unempfindlich gegen den Wasserstrom, den der Kanal ihm noch ununterbrochen zuführte.

Eine weitre Viertelstunde verstrich, da donnerte plötzlich, ohne daß etwas darauf hingedeutet hätte, eine furchtbare Explosion.

Oben zerbarst der Berg, von dem ein mächtiges Stück ins Meer fiel, das in einer gewaltigen Woge aufschäumte. Mit Steinen, erhärteten Lavabrocken, mit Schlacken und Asche vermischt, züngelten Flammen und Rauchmassen zischend aus dem Krater und schossen mehr als fünfhundert Meter in die Luft empor.

Von diesem Augenblicke an folgte eine Detonation der andern. Der von neuer Wut geschüttelte Vulkan schleuderte zu tausenden glühende Geschosse heraus. Die einen fielen in den gähnenden Schlund, der sie ausgespien hatte, zurück, die andern folgten dem durch die erste plutonische Kraftentfaltung eröffneten Wege und verschwanden pfeifend und zischend in den Fluten des Arktischen Ozeans.

»Aber... Gott verzeihe mir! stotterte Summy Skim, der vor übergroßer Erregung gar nicht ordentlich sprechen konnte, da fliegen unsre Pepiten ins Meer!«

[420] Wenn Ben Raddle und der Scout diese Bemerkung nicht vorher gemacht hatten, lag das nur daran, daß auch sie jetzt keines Wortes mächtig waren. Die Überraschung, richtiger Verzweiflung, hatte sie völlig gelähmt.

Diese Reise unternommen, sich auf einen Kampf mit der Natur eingelassen zu haben, so viele Anstrengungen, so peinliche Beschwerden... um am Ziele zu scheitern!

Ben Raddle hatte sich ja nicht getäuscht; es war ihm durch Einleitung des Wassers in den Kamin des Vulkans, wie berechnet, gelungen, die Eruption zu erzwingen, ihm fehlte aber die Macht, dieser Eruption den Weg vorzuschreiben, und sein Unternehmen endete mit einem vernichtenden Fehlschlage.

Das Ungeheuer, das er befreit hatte, gehorchte nicht mehr seinem Willen. Nichts hätte den wütenden Ausbruch jetzt beruhigen können. Die Erde zitterte, als wollte sie sich jeden Augenblick öffnen, und die Luft vibrierte unter dem Gebraus der Flammen und dem Gezisch der Dampfmassen. Der Endkegel war hinter einem Vorhange von glühendem Rauch und unatembaren Gasen verschwunden.

Verschiedne der in die Luft emporgeschleuderten Blöcke zerplatzten wie Bomben und zerstreuten sich als goldnes Pulver...

»Unsre Pepiten zerspringen!« jammerte Summy Skim.

Alle starrten verwundert auf das erschreckende Schauspiel.

Augenblicklich dachten sie mit keiner Silbe an die Texaner, sondern nur an die Schätze des reichsten Goldlagers der Welt, die jetzt nutzlos im Wasser des Eismeers versanken.

Von Hunter und seiner Rotte hatte die Karawane freilich nichts mehr zu fürchten. Überrascht von der Plötzlichkeit des ganzen Vorgangs, mochten sie wohl keine Zeit gefunden haben, sich in Sicherheit zu bringen. Vielleicht war das Plateau unter ihren Füßen geborsten, vielleicht waren sie vom Krater verschlungen worden... vielleicht lagen sie, in die Luft geschleudert, verbrannt und verstümmelt, schon in der Tiefe des Polarmeeres!

Ben Raddle war der erste, der seine Kaltblütigkeit wiedergewann.

»Kommt!... Kommt!« rief er dringend.

Ihm nachfolgend, gingen alle am rechten Ufer des Peel River, der oberhalb des Kanals durch eine Furt überschritten wurde, und dann längs des Fußes des Golden Mount über die Ebene hin. Zwanzig Minuten später war das Lager der Texaner erreicht.

[421] Die fünf oder sechs Leute, die zu dessen Überwachung zurückgeblieben waren, entflohen, als sie sich überfallen sahen, eiligst dem Walde zu und die durch das Krachen der Eruption und das Knattern der Gewehre erschreckten Pferde zerstreuten sich wilden Laufs in der Prärie.

Die Kanadier setzten sich in dem von seinen Verteidigern verlassenen Lager fest, dann richteten sie die Blicke nach den steilen Abhängen des Berges.

Die hoch oben donnernde und dröhnende Eruption hatte ihr Vernichtungswerk vollbracht. Von der Truppe der Raubgesellen waren nur noch wenige übrig, die halb besinnungslos die Abhänge des Golden Mount herunterkletterten oder sich gleich hinabgleiten ließen auf die Gefahr hin, Arme und Beine zu brechen.

Unter ihnen sah man jetzt Hunter, der sich, schwer verletzt, kaum fortschleppen konnte, etwa hundert Meter über der Ebene auftauchen. Die Leinenbinden um seinen Kopf verhüllten jedenfalls die Spuren sei nes vorgestrigen Sturzes, der ihn, wie infolge einer Gehirnerschütterung, so lange bewußtlos gemacht hatte.

Als die dezimierten, waffen- und mutlosen Unglücklichen ihr Lager besetzt sahen, verrieten heftige Gesten ihre Verzweiflung, und mehr nach Norden abbiegend, suchten sie das Meer zu erreichen, um diesem bis zum Walde zu folgen.

Zwei von ihnen sollten aber nicht mehr dahin kommen.

Als Hunter, von zweien seiner Leute unterstützt, die ersten Schritte in der neuen Richtung tat, sprang aus dem brüllenden Krater ein ungeheurer Block hervor. Während sich nun die andern Geschosse des Vulkans gleichmäßig nach Norden zu verstreuten, stürzte dieser aus unerkennbarer Ursache abgelenkte Block an der Südseite herunter, beschrieb dabei eine ungeheure Parabel und fiel mit mathematischer Genauigkeit auf die Gruppe der drei flüchtenden Texaner.

Nur einer von ihnen, dem es gelang, dem Steine auszuweichen, rettete sich mit lautem Aufschrei. Ein andrer blieb, buchstäblich zermalmt, an der Stelle liegen.

Hunter drehte sich, am Kopfe schwer getroffen, taumelnd um sich selbst und rollte von Fels zu Fels herunter, bis er zerschmettert am Fuße des Berges liegen blieb.

Inzwischen war der Block, seinem Opfer voraus, den Abhang weiter hinuntergepoltert. Dann verminderte sich seine Schnelligkeit und wie ein gelehriger Diener rollte er langsam noch bis zu den Füßen Ben Raddles.

[422] Dieser beugte sich über ihn. Unter den durch das Aufschlagen entstandenen Schrunden schimmerte eine gelbliche Substanz mit metallischem Glanze hervor, und der Ingenieur, dessen Herzschlag vor Erregung fast stockte, erkannte, daß der Block durchweg aus reinem Golde bestand.

15. Kapitel
Fünfzehntes Kapitel.
Worin Jane Edgerton, Summy Skim und Ben Naddle nichts mehr begreifen.

Das Gold, nach dem Hunters Sinnen und Trachten gestanden hatte, das zeigte ihm ein unerbittliches Schicksal erst in der Stunde seines Todes. Und wie hatte er gedürstet nach dem kostbaren und doch oft so schädlichen Metalle! Wie viele Verbrechen begangen, wie viel mehr noch geplant, sich in dessen Besitz zu setzen! War es nicht wie eine Ironie das Schicksals, daß jetzt das Gold dieses Gehirn zermalmen mußte, das so viele verbrecherische Träume geboren hatte?

Ben Raddle hatte nur gleichsam maschinenmäßig mit dem Auge das merkwürdige Geschoß gemessen, das ihn aber von seinem Feinde befreit hatte, und er schätzte dessen Wert wenigstens auf hunderttausend Francs. Die Metallmasse – jetzt sein unbestreitbares Eigentum – mußte schon allein die Kosten der Expedition decken und erlaubte sogar, jedem der mutigen Teilnehmer noch eine bescheidne Entschädigung zukommen zu lassen.

Welcher Ausgang gegenüber dem, worauf alle gerechnet hatten! Von den unermeßlichen Schätzen des Vulkans brachte man dieses einzige Probestück mit heim!

Unzweifelhaft hatte das feindliche Auftreten der Texaner die Pläne des Ingenieurs durchkreuzt, da er zur Verteidigung der Karawane die Eruption hatte beschleunigen müssen. Doch wenn er sich Tag und Stunde dafür auch hätte wählen können, das im Krater des Vulkans enthaltne Gold wäre für ihn darum nicht weniger verloren gewesen, da der Golden Mount seine Auswurfsmassen nach dem Meere zu schleuderte.

[423] »Das ganze Unglück, äußerte sich der Scout, als sich die Gemüter etwas beruhigt hatten, ist doch nur, daß wir bei unsrer Ankunft hier nicht haben in den Krater hinuntersteigen können.

– Ja freilich, stimmte Summy Skim ein, Jacques Ledun hatte den für erloschen gehalten, während er nur schlummerte, und dann ist er einige Wochen zu zeitig aufgewacht.«

Ja, dieses Mißgeschick war es, das Ben Raddle um das ganze Erträgnis des Zugs hierher betrogen hatte. Wieviel die andern ihm auch zuredeten, trösten konnte ihn über diesen Fehlschlag doch niemand.

»Den Kopf hoch, mein armer Ben, sagte Summy, etwas Mut und Philosophie! Verzichte auf deine Träume und begnüge dich, in unsrer teuern Heimat, die jetzt seit achtzehn Monaten so fern von uns liegt, wieder glücklich zu sein!«

Ben Raddle drückte seinem Vetter die Hand und mit energischer Willenskraft seine Traurigkeit besiegend, wendete er sich sofort der Karawane zu.

Es galt ja das Lager schnell wieder herzustellen, und zwar außerhalb der Gefahrengrenze des Vulkans, selbst für den Fall, daß der Lavastrom eine andre Richtung nahm. Das Lager sollte ja nur für ganz kurze Zeit dienen, da jetzt keinerlei Veranlassung vorlag, in dieser hyperboräischen Gegend noch länger zu verweilen.

Nach der Wahl des Platzes dafür, etwa zwei Kilometer stromaufwärts am Ufer des River, ging man unverzüglich ans Werk. Ein Dutzend Leute wurden nach der andern Seite des Kanals geschickt, wo sie alles zusammensuchen sollten, was vom alten Material noch brauchbar war. Andre beluden mit der eroberten Beute die eignen Wagen der Besiegten. Der Rest der Karawane aber nahm die Verfolgung der entlaufenen Pferde auf, von denen auch mehrere ohne besondre Mühe eingefangen wurden.

Vor dem Ende des Tages war das neue Lager so weit in Ordnung, daß es billigen Ansprüchen recht gut genügte.

Die Nacht blieb ruhig. Immerhin wurde sorgsam Wache gehalten, um einen etwaigen Überfall der zersprengten Rotte zu vereiteln; die Ruhe wurde jedoch durch nichts gestört als durch die Donnerstimme der Eruption.


Ben Raddle konnte den Blick nicht von den Rauchwirbeln des Gipfels losreißen. (S. 429.)

Welch ein Schauspiel bot diese bei ihrer unverminderten Gewalt in den wenigen Stunden der Finsternis! Einer Riesenkuppel gleich, schwebte das mit ungeheurer Kraft emporgeschleuderte Goldpulver weißglühend über dem Krater. Noch über die Feuerwölbung hinaus stiegen flackernde Flammen bis zu den[424] [427] Wolken empor und beleuchteten die ganze Umgebung bis zu den Grenzen des Horizonts mit unheimlichem rötlichen Scheine.

Der Kanalinhalt strömte noch immer über die zitternde Erde hin. Wieviele Wochen oder Monate würde das fortgehen, bis das Wasser aus dem Delta den unergründlichen Schlund gefüllt hatte, wenn die Wunde in der Flanke des Berges nicht geschlossen wurde?

»Wer weiß übrigens, sagte der Scout am Morgen zu Summy Skim, ob eine solche Überflutung den Vulkan nicht völlig zum Erlöschen bringt?

– Möglich wäre es ja, Bill; doch um Himmelswillen, lassen Sie so etwas nicht vor Ben laut werden. Der wäre imstande, darauf zu warten. Und doch ist im Krater jetzt nichts mehr zu ernten.«

Summy Skim hatte unrecht, sich zu beunruhigen. Ben Raddles Entschluß stand jetzt unverrückbar fest. Noch einmal beugte er sich vor der Gewalt der Dinge. Der Claim 129 unter der Überschwemmung verschwunden, der Golden Mount ins Meer entleert... das waren zwei Tatsachen, gegen die er nichts vermochte und mit denen er deshalb sein Gehirn nicht weiter zermartern wollte. Für ihn gehörten diese zwei Enttäuschungen schon der Vergangenheit an und entschlossen wendete er sich der Zukunft entgegen.

Die Zukunft, wenigstens die nächstliegende, sah er jetzt in Dawson City und Gott weiß, warum diese Stadt, auf die jetzt seine Gedanken gerichtet waren, sich für ihn mit dem Zimmer eines Krankenhauses verknüpfte, worin ein blondes junges Mädchen bedächtig sanfte und kluge Worte sprach. Vielleicht lag das nur an dem Kontraste. Inmitten der allgemeinen Verwirrung, die ihn umgab, erweckte er, wie zur Herstellung des Gleichgewichts, in seiner Seele das Bild jener heitern Ruhe. Schon um fünf Uhr am folgenden Morgen eröffnete er seinen Gefährten den Entschluß, noch an demselben Tage nach Süden aufzubrechen. Er befürchtete, dagegen Einwendungen zu hören; dazu kam es aber nicht. Jetzt war alle Hoffnung geschwunden und der frühere Mut mit ihr. Alle atmeten vielmehr erleichtert auf, als sie vernahmen, daß endlich der Rückweg angetreten werden sollte.

Vor Antritt des Aufbruchs gingen Ben Raddle und der Scout noch einmal längs des Fußes des Vulkans hin, um nachzusehen, ob vielleicht goldhaltiger Quarz nach dieser Seite ausgeworfen wäre.

Das war aber nicht der Fall; der Block, der, nachdem er Hunter erschlagen, sich bis vor die Füße des Ingenieurs verirrt hatte, blieb das einzige Andenken, das man aus der obern Dominion mitbringen sollte.

[427] Die Eruption hatte keine andre Richtung genommen. Alle Auswurfstoffe, Steine, Schlacken, Lava und Asche, waren nach Norden zu und über das Meer hin geschleudert worden, in dem sie, teilweise zwei Kilometer vom Ufer, versanken. Auch die Gewalt der Naturerscheinung hatte sich nicht vermindert und jetzt wäre es unbedingt unmöglich gewesen, den Gipfel des Golden Mount zu ersteigen.

Während Ben Raddle und der Scout ihre Besichtigung vornahmen, hatte Jane Edgerton Summy Skim aufgesucht, der, im Grase sitzend, ruhig seine Pfeife rauchte.

Wie kurz vorher, bei der letzten Bergbesteigung, erschien das junge Mädchen etwas erschöpft und gebrochen, was ihr nur noch einen weitern Reiz verlieh.

»Sie müssen mir schon verzeihen, Herr Skim, begann sie etwas verlegen, daß ich mich bei Ihnen noch nicht gebührend bedankt habe; erst diesen Morgen ist mir jedoch bekannt geworden, wie vielen Dank ich nochmals Ihnen schulde.

– Wer hat denn da wieder geschwätzt? Was... erwiderte Skim gereizt.

– O, Patrick hat mir alles gesagt, unterbrach ihn Jane besänftigend. Ich weiß es, wenn ich jetzt noch lebe, so verdanke ich das erstens Ihrer Treffsicherheit und Kaltblütigkeit und zweitens Ihrem Mute. Eines Tages, fügte sie mit schüchternem und rührendem Lächeln hinzu, war ich so vermessen, mir zu sagen, daß ich mit Ihnen quitt wäre; heute erkenne ich, daß mir das niemals möglich sein wird.

– Patrick war es also, der Ihnen das in den Kopf gesetzt hat, Fräulein Jane? antwortete Summy ausweichend. Na, da ist er in diesem Falle sehr bescheiden gewesen, denn in Wahrheit ist er's, der alles getan hat.

– Nein, Herr Skim, entgegnete Jane wärmer werdend. Ich weiß, welche Rolle Patrick dabei gespielt hat, und ich bewahre ihm ein Andenken, wie er es verdient, ich weiß aber auch, welche Rolle Ihnen zugefallen war.

– Mir? rief Summy. Ich habe doch nur die eines Jägers gespielt, weiter nichts. Ein Jäger sieht etwas, das vor ihm flüchtet... das schießt er natürlich. Das ist doch sehr einfach.«

Summy brach seine Rede kurz ab, dann setzte er scheinbar recht zornig noch hinzu:

»Genug hiervon! Ich mag nicht, daß man weiter von der Sache spricht.

– Wie Sie wünschen, gab Jane zu; gesprochen werden wird davon ferner nicht mehr, daran denken werde ich aber immer.«

[428] Gegen acht Uhr setzte sich die Karawane in Bewegung. Der Ingenieur und Summy Skim nahmen die Spitze ein vor Jane Edgerton, die in dem von Neluto geführten Wagen saß. Die mit dem Material des Lagers beladnen Karren folgten unter Führung des Scouts.

Die Ernährung aller war hinreichend gesichert; Jagd und Fischfang hatten gestattet, während des Aufenthalts am Golden Mount an den vorhandenen Konserven zu sparen. Auch unterwegs konnte es nicht fehlen, daß die Jäger manches Rebhuhn, manche Wildente oder ein Stück größres Wild erlegten. Ja, wenn Summy Skim vom Glücke so weit begünstigt wurde, eins der berühmten Orignale vor das Rohr zu bekommen, hätte man fast sagen können, daß er dann die ganze Reise nicht länger bedauerte.

Das Wetter war unsicher; darüber konnte sich bei der schon vorgeschrittenen Jahreszeit aber niemand wundern. Es war übrigens zu erwarten, daß die Hauptstadt von Klondike vor dem Monat September erreicht und daß man bei der Rast in der Nacht jetzt noch von keiner strengen Kälte zu leiden haben würde.

Als die Karawane zum Frühstück anhielt, war der Golden Mount noch am Horizonte sichtbar. Ben Raddle hatte sich umgewendet, er konnte den Blick von den Rauchwirbeln seines Gipfels nicht losreißen.

»Ich bitte dich, Ben, sprach Summy Skim ihn an, laß das! Das Gold geht in Rauch auf wie so vieles in der Welt. Wir wollen nicht mehr daran denken, nicht mehr nach jener Seite, sondern nach dieser da ausschauen.«

Summys Hand wies dabei nach Südosten, etwa in der Richtung, wo das geliebte, ferne Montreal liegen mußte.

Ben Raddle und der Scout hatten sich übereinstimmend für einen andern Weg zur Rückkehr entschieden. Statt einen Umweg nach Osten – über das Fort Macpherson hin – zu machen, zog die Gesellschaft geraden Wegs nach Süden, wodurch die Rückreise wesentlich verkürzt wurde. An Wasser konnte es in der von Creeks durchzognen Gegend nicht fehlen, vorzüglich, wenn man sich den Quellen der Porcupine näherte.

Am Ende des ersten Tages wurde die Aufmerksamkeit der Führer durch viele Spalten im Erdboden erregt. Das zwang unaufhörlich zu Umwegen, die die tatsächlich nutzbar zurückgelegte Strecke empfindlich verkürzten. Ging das ebenso weiter, so mußte man nach rechts oder links abbiegen, bis sich ein für das Fortkommen der Wagen geeigneter Boden fand.

[429] Zum Glück erfuhr die Lage nach einigen Kilometern eine günstige Änderung. Die Spalten wurden tiefer, gleichzeitig aber seltner. Sie schienen sich nach und nach zu vereinigen, so daß bald nur noch wenige, dafür aber vergrößerte Spalten übrig waren, die alle die umfaßten, die in ihnen aufgegangen waren.

Dieselbe Erscheinung zeigte sich mit mathematischer Strenge, je weiter die Karawane vorwärts kam. Sechzig Kilometer vom Golden Mount war nur noch eine einzige, aber so breite und tiefe Spalte vorhanden, daß sie schon mehr den Namen einer Schlucht verdiente. Der fünfzehn Meter tiefe und sechzig Meter breite Riß, mit zackigem Rande infolge seiner plötzlichen Bildung, verlief mit geringer westlicher Abweichung von Norden nach Süden. Er schien also fast genau auf Dawson City zuzuführen und die Karawane brauchte nur seinem östlichen Rande zu folgen, um sich nicht von einer geometrisch geraden Linie zu entfernen.

Diese merkwürdige Erscheinung wurde natürlich von allen lebhaft besprochen. Unverändert geradlinig reichte der ungeheure Graben über Sehweite hinaus. An seinen, von keiner Grasnarbe bekleideten Seitenwänden und an der sozusagen jungfräulichen Erde, die noch kein Regen berührt hatte, konnte man erkennen, daß er gewiß jüngsten Ursprungs war.

Welche Kraft hatte aber mit einem Schlage ein solches Riesenwerk vollbringen können?

»Natürlich der Golden Mount, antwortete Ben Raddle auf eine bezügliche Frage Summy Skims. Das Ganze ist eine sekundäre Wirkung des Vulkans. Vor seinem eigentlichen Ausbruche haben wir, wenn du dich dessen entsinnst, eine heftige seismische Erschütterung, ein Erdbeben, wahrgenommen und im Süden war der Horizont danach von Staubwolken gänzlich verhüllt. Du erkennst jetzt wohl den Ursprung dieses Staubes.

– In so großer Entfernung vom Berge? rief Summy Skim.

– Das braucht dich nicht zu überraschen, versicherte der Ingenieur. Bevor es bei den Vulkanen zur Eruption kommt, verursachen diese oft auf unendlich große Entfernungen hin recht arge Störungen. Das läßt aber nach, sobald es dem Druck im Erdinnern gelingt, sich einen hinreichenden Ausgang durch den Krater zu brechen. So ist die Sache auch hier zugegangen.«

Der Polarkreis wurde erst am 12. August überschritten Der kürzere Weg war leider um ebensoviel schlechter, so daß die Gesellschaft täglich kaum mehr als zwölf bis fünfzehn Kilometer zurücklegen konnte. Der Scout bedauerte es [430] jetzt auch lebhaft, nicht umgekehrt den Weg über das Fort Macpherson bei der Rückfahrt gewählt zu haben.

Zum Glück blieb der Gesundheitszustand aller unverändert gut. Die an Anstrengungen gewöhnten, kräftigen Kanadier zeigten trotz der schweren Ansprüche an ihre Leistungsfähigkeit keine Spur von Erschlaffung.

Der mächtige, durch die vulkanischen Kräfte geschaffne Spalt begleitete die Karawane immer auf ihrem Zuge nach Süden. Hundert Kilometer diesseit des Polarkreises schien er sich aber zu verkleinern. Seine Ränder traten näher aneinander und die Tiefe wurde geringer. Das geschah jedoch nur sehr allmählich und man konnte den getreuen Reisebegleiter lange bequem erkennen, bis er, fünfzig Kilometer weiterhin, mehr nach rechts abschwenkte und, zum einfachen Riß zusammengeschrumpft, sich am westlichen Horizonte verlor.

Die Anhöhen, die die Hauptstadt von Klondike einrahmen, erschienen am 3. September. Schon kurz nach Mittag hielt die Gesellschaft vor dem Tore des Northern Hotel an, von wo aus sie sich nun zerstreute.

Patrick und Neluto begaben sich nach dem Hause in der Vorstadt, wo sie ihren Freund Lorique wiederzufinden hofften. Der Scout brachte seine Leute und sein eignes, jetzt durch das Hunters vermehrte Material nach seiner Niederlage in Dawson City.

Die frühern Arbeiter vom hundertneunundzwanzigsten Claim durchstreiften die Stadt und suchten sich ein passendes Unterkommen.

Jane Edgerton, Summy Skim und Ben Raddle, denen auch alle ausgestandnen Beschwerden den Geschmack am Raffinement der Zivilisation nicht hatten rauben können, widmeten sich mit wahrem Vergnügen einer Erneuerung ihres äußern Menschen. Trotz der sehr hohen Preise in Dawson wurde alles beschafft: Bäder, Friseur, Schneider, Näherin, Wäscherin und Weißwarenhändler. Gegen drei Uhr kamen alle, bestens erholt, guter Dinge und zu ihrem Vorteil verändert, im Salon des Northern Hotel wieder zu sammen.

Während Jane Edgerton, ungeduldig, ihre Cousine zu begrüßen, nach dem Krankenhause eilte, begaben sich Ben Raddle und Summy Skim nach den Bureaus der Anglo-American Transportation and Trading Company, wo sie vor der Abreise alles deponiert hatten, was sie an Barmitteln und Geldwert besaßen. Jetzt brauchten sie wieder Geld. Wie groß auch der Wert der aus dem Golden Mount herausgeschleuderten Goldmasse sein mochte, so fehlte es ihnen doch an umlaufsfähigen Münzen.

[431] Summy Skim legte am Schalter einen Scheck vor. Der betreffende Bankbeamte nahm das Papier mit sehr gleichgültigem Gesichtsausdruck an, dieser veränderte sich aber plötzlich zum höchsten Erstaunen, als er die Namen erkannt hatte, mit denen der Scheck unterzeichnet war. Der Schalter schloß sich mit kurzem Schlage und hinter dem Gitter erscholl ein Durcheinander von gedämpften Stimmen, worüber die beiden Vettern fast erschraken.

In der Vermutung, daß da vielleicht, geschützt vor profanen Augen, die Formalitäten erledigt werden sollten, die für die Auszahlung eines Schecks vorgeschrieben sind, begaben sich die beiden Vettern an einen andern Schalter, wo sie den vom Vulkan unter so dramatischen Umständen herausgeschleuderten Goldblock einlieferten. Der mit der Annahme von Wertobjekten betraute Beamte zeigte, als er die erstaunlich große Pepite empfing, nicht die stolze Gleichgültigkeit seines Kollegen, der die Barzahlungen leistete. Er verriet vielmehr durch lebhafte Bewegungen die Verwunderung, die ihm das prächtige Muster der Minenschätze des Landes einflößte. Der Block hatte wohl kaum seinesgleichen. Abgerieben, gereinigt und von jedem fremden Anhängsel sorgfältig befreit, glänzte er in seinem tiefgelben Gewande und strahlte das Tageslicht von tausend Facetten zurück.

Als der Beamte der Trading Company seiner Überraschung genügend Ausdruck gegeben hatte, wog er die Pepite und bestimmte mittels einer schnellen Berechnung ihren Geldwert.

»Zwanzigtausendsechshundertzweiunddreißig Dollars und fünfzig Cents« (106.876 Francs 35), verkündigte er.

Ben Raddle nickte befriedigt zustimmend.

»Auf Konto der Herren...? fragte der Beamte, der schon die Feder bereit hielt.

– Summy Skim und Ben Raddle aus Montreal,« belehrte ihn der Ingenieur.

Wie vorher flog jetzt der Schalter mit trocknem Schlage zu und hinter dem Gitter erhob sich wieder das seltsame Geräusch von Stimmen, das die Neugier der beiden Vettern schon vorher einmal angestachelt hatte.

Einige Minuten verstrichen. Der von Natur etwas ungeduldige Ben Raddle begann sich ganz laut zu fragen, ob man sich da drin über ihn lustig mache, als ein höherer Bureaubeamter erschien und die Herren Summy Skim und Ben Raddle höflichst ersuchte, ihm folgen zu wollen, da Herr William Broll sie dringend zu sprechen wünschte.

[432] Wie erstaunt sie darüber auch waren, folgten beide der höflichen Aufforderung und standen nach wenigen Augenblicken vor dem Subdirektor, den sie ja schon längst persönlich kannten.

»Ich bitte um Entschuldigung, meine Herren, Sie hierher bemüht zu haben, begann dieser. Ich hatte aber Auftrag gegeben, es mir sofort zu melden, wenn einer von Ihnen in unsre Bureaus käme; jetzt freut es mich desto mehr, Sie beide gleichzeitig begrüßen zu können.«

[433] Summy Skim und Ben Raddle verneigten sich leicht, ohne auf andre Weise ihre Verwunderung über die ihnen widerfahrne Ehre kundzugeben.

»Ich konnte – das wird Ihnen einleuchten – fuhr der Subdirektor fort, Sie unmöglich abreisen lassen ohne die Bitte, unsern Glückwunsch für die bedeutendsten Kunden unsres Hauses entgegenzunehmen.«

Erstaunt aufhorchend, richteten die beiden Vettern gleichzeitig die Augen auf ihr Gegenüber. War es bei Herrn William Broll im Oberstübchen plötzlich nicht mehr ganz richtig? Oder war die Anglo-American Transportation and Trading Company so weit heruntergekommen, daß ihr recht mäßiges Guthaben in deren Büchern eine so hervorragende Rolle spielte?


»Meine Cousine ist verschwunden.« (S. 437.)

»Ah, nahm der Subdirektor inzwischen wieder das Wort, Sie können uns gut auslachen, wir müssen ja zugeben, daß Sie dazu das Recht haben. Wir haben ja wenig Spürsinn bewiesen. Wenn ich bedenke, daß wir uns durch die elende Grenzfrage haben stutzig machen lassen! Wenn ich mir vergegenwärtige, daß wir vorher Ihr Besitztum nur auf fünftausend Dollars – ja, auf erbärmliche fünftausend Dollars! – geschätzt haben! Nun, wir brauchen wenigstens nicht zu befürchten, Sie aus unsrer Verblendung einen Vorwurf machen zu sehen, denn ihr verdanken Sie es ja, noch die glücklichen Eigentümer des hundertneunundzwanzigsten Claims zu sein.

– Unsres alten Claims? riefen Summy Skim und Ben Raddle buchstäblich verblüfft.

– Der wunderbaren, außerordentlichen, überreichen Nummer 129!«

Wenn sich der wortreiche Subdirektor auf diese drei Epitheta beschränkte, geschah das wohl nur, weil ihm weitre nicht gleich einfielen.

»Um Verzeihung... aber...« begann Summy Skim stotternd.

Ben Raddle, der unter allen Verhältnissen gerade aufs Ziel loszugehen gewöhnt war, schnitt ihm kurzerhand das Wort ab.

»Ja, was wollen Sie, Herr Direktor, in Geschäften ist eben des einen Glück das Unglück des andern, sagte er in möglichst natürlichem Tone. Ihnen wird sich noch manche andre Gelegenheit bieten.

– Wie diese eine niemals, versicherte William Broll nachdrücklich. Weder in Klondike noch anderswo gibt es eine Fundstätte, die mit der Ihrigen zu vergleichen wäre. Ich begreife ja, daß Sie lange an ihrem Werte gezweifelt haben. Ein Jahr lang mußten Sie Versuche machen, gegen allerlei Ungemach ankämpfen und wir haben zu unserm Bedauern nur selten von da etwas gehört. Jetzt sind [434] Sie für alle Bemühungen aber königlich belohnt, wie sich aus den Sendungen ergibt, die wir seit einem Monat von Ihnen erhalten haben.

– Alle Tage? stammelte Summy Skim.

– Wenigstens fast alle Tage.

– Seit einem Monat, glauben Sie?« fragte jetzt Ben Raddle mit etwas unsichrer Stimme.

Der Subdirektor schien seine Erinnerungen wachzurufen.

»Ja ja, erklärte er, es ist etwa einen Monat her, daß wir die erste Ihrer jetzigen Einlieferungen erhielten.

– Ja... wahrhaftig! sagte Ben Raddle dazu gutmütigen Tones.

– Wenn Sie übrigens, fuhr William Broll fort, das genaue Datum jener ersten Sendung zu erfahren wünschen, so wird sich das aus unsern Büchern nachweisen lassen.«

Er drückte auf einen Klingelknopf. Sofort erschien ein Angestellter der Bank.

»Lassen Sie mir, redete ihn der Subdirektor an, das Kontokorrent der Herren Ben und Skim, der Eigentümer des Claims 129, zukommen.«

Der junge Mann verschwand.

»Das wird es mir gleichzeitig ermöglichen, Ihnen Ihren genauen Saldo vorzulegen, der dürfte ja auch von einigem Interesse sein,« rief William Broll lachend.

Man brachte das verlangte Buch. Der Subdirektor schlug es vor sich auf.

»Hier, sehen Sie es selbst ein, meine Herren, sagte er. Ich habe mich kaum geirrt. Heute haben wir den dritten September und Ihre erste Einsendung datiert vom fünften August...

– Vom fünften August! murmelte Summy Skim vor sich hin. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Überflutung unsres Claims!

– Und was Ihren Saldo betrifft... fuhr der Direktor fort, dessen Augen einer langen Zahlenreihe folgten. Erlauben Sie... ah, hier... Wollen Sie sich den Abschluß nicht niederschreiben?«

Ben Raddle ergriff einen Bleistift und schrieb mit fester Hand nach dem Diktat Brolls:

»Drei Millionen dreihundertachttausendvierhunderteinunddreißig Dollars und neunzig Cents (17,137.677 Francs 25). Ohne Ihre heutige Einlieferung, die die Gesamtsumme auf drei Millionen dreihundertneunundzwanzigtausendvierundsechzig Dollars und vierzig Cents (17,244.553 Francs 60) bringt.«

[435] Der Ingenieur hatte sorgsam die schwindelerregenden Zahlen aufgeschrieben. Hatte daneben Summy Skim, aus Mitleid mit dem eignen Gehirn, einfach aufgehört zu denken, so summten ihm bei dieser Eröffnung doch die Ohren, während der Ingenieur sich diese weiter klar zu machen suchte. William Broll aber setzte mit einer gewissen Begeisterung noch hinzu:

»Ah, Ihre heutige Einlieferung!... Das ist die wunderbarste von allen, wenn auch nicht dem Geldwerte nach, so doch durch die außerordentliche Schönheit des Metallblockes! Das nenne ich eine Pepite! By God, eine solche findet sich in der Welt nicht wieder und nur Hundertneunundzwanzig konnte eine von dieser Größe liefern!«

Ben Raddle war allmählich mit sich einig geworden. Daß der Subdirektor übergeschnappt wäre, erschien ihm nicht mehr zweifelhaft. Jedenfalls hatte er aber ein einfaches Mittel, sich davon noch weiter zu überzeugen. So sagte er denn ganz gelassen:

»Mein Vetter und ich waren hierhergekommen, einen kleinen Scheck von tausend Dollars einzuziehen; da wir aber Dawson City bald wieder verlassen, halte ich es für besser, wir entnehmen gleich eine größere Summe.

»Ich stehe Ihnen zu Diensten, meine Herren, antwortete William Broll. Wieviel wünschen Sie?

– Hunderttausend Dollars (518.000 Francs),« erklärte Ben Raddle, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Nun mußte es sich ja zeigen. Wenn auch der Subdirektor nicht mehr recht bei Sinnen war, konnte man doch nicht annehmen, daß das auch bei den andern Bankbeamten der Fall wäre.

Der Spaß mußte ein Ende nehmen, wenn die Auszahlung eines solchen Betrages in Frage kam.

»Zu Ihren Diensten, meine Herren, wiederholte Broll auf das Verlangen Ben Raddles. Bewilligen Sie nur die nötige Zeit zur Abzählung der hunderttausend Dollars und dann werden Sie Ihnen gleichzeitig mit einem Quittungsformular in Ihr Hotel gebracht werden.«

»Darauf können wir lange warten,« sagte sich Ben Raddle, als er sich vom Subdirektor verabschiedete, der seine beiden Besucher mit größter Liebenswürdigkeit bis zur Tür begleitete.

Summy hatte sich gleichzeitig mit seinem Vetter erhoben und folgte diesem gelehrig wie ein kleines Kind.

[436] »Was denkst du wohl über die ganze Geschichte? stammelte er, als sie auf der Straße waren.

– Ich?... Gar nichts,« antwortete Ben Raddle, dem die Sache doch mehr, als er zeigen wollte, im Kopf herumging.

Der Rest des Weges wurde schweigend zurückgelegt und die beiden Vettern amen ins Northern Hotel, ohne ein Wort gewechselt zu haben.

Als sie hier die Vorhalle betraten, trafen sie Jane Edgerton, die beide ungeduldig erwartet zu haben schien. Auch das junge Mädchen hatte ihr Teil Aufregung gehabt. Ihre verstörten Züge verrieten eine schmerzliche Unruhe und ihr Gesicht war von Tränen gebadet.

Bei diesem Anblicke vergaß Summy Skim den phantastischen Auftritt beim Subdirektor der Anglo-American Transportation and Trading Company und eilte auf Jane Edgerton zu, deren Hände er teilnahmsvoll ergriff.

»Was fehlt Ihnen, Fräulein Jane? fragte er. Was ist denn geschehen?

– Ach, meine Cousine ist verschwunden,« antwortete Jane Edgerton, die sich vergeblich bemühte, ihr Schluchzen zu unterdrücken.

Jetzt war es an Ben Raddle, erregt zu werden.

»Fräulein Edith ist verschwunden? sagte er mit fast tonloser Stimme. Das ist aber doch unmöglich!

– Und dennoch ist es an dem, versicherte Jane Edgerton. Als ich Sie verließ, ging ich ins Krankenhaus und dort hat mir Doktor Pilcox das mitgeteilt.

– Über weitre Einzelheiten hat sich der Doktor nicht ausgesprochen?

– Doch: er sagte mir, daß Edith ihn ganz unvermutet verlassen habe, und zwar ohne ein Wort davon zu sagen, früh morgens am fünfundzwanzigsten Juli.

– Ohne einen Grund für ihren Fortgang anzugeben?

– Ohne eine Silbe.

– Auch ohne zu sagen, wohin sie ginge?

– Ebensowenig. Sie hat nur hinterlassen, daß sie mit Winteranfang zurück zu sein gedächte.

– Der Doktor hat also keine Ahnung, wohin sie gegangen sein mag?

– Keine Spur davon!

– Alle Wetter, das nenne ich ein Abenteuer!« rief der Ingenieur, der eine Beute der tiefsten Erregung zu sein schien.

[437] In diesem Augenblick trat ein Hoteldiener in den Raum und meldete, daß ein Mann da sei, der die Herren Summy Skim und Ben Raddle zu sprechen wünsche.

»Lassen Sie ihn hereinkommen,« gab Ben Raddle rein mechanisch zur Antwort.

Der Mann trug eine sehr umfängliche Banknotentasche in der Hand.

»Ich bin, sagte er, von unserm Subdirektor Herrn William Broll beauftragt, den Herren hunderttausend Dollars zu überbringen, die sie verlangt haben, und sie zu bitten, mir darüber gefälligst zu quittieren.«

Bei diesen Worten hatte der Bote der Anglo-American Transportation and Trading Company seiner Tasche schon einen Haufen Banknoten entnommen, die er nach deren Wertbetrag geordnet auf den Tisch legte.

»Wollen die Herren sich gefälligst von der Richtigkeit der Summe überzeugen?« sagte er.

Sich zur Ruhe zwingend, zählte Ben Raddle methodisch die Scheine.

»Stimmt, erklärte er.

– Dann haben die Herren wohl die Güte, die Quittung zu vollziehen?«

Ben Raddle nahm eine Feder zur Hand und unterzeichnete seinen Namen. Seinem Vetter mußte er aber die Stelle für seine Namensunterschrift anweisen und ihm fast die Hand führen. Summy war wie traumbefangen und als wandelte er gar nicht mehr in dieser Welt.

Ben Raddle begleitete den Boten der Bank wieder bis zur Tür und ging dann zu Jane Edgerton und seinem Vetter zurück.

Da standen die beiden einander gegenüber und starrten auf die Banknotenhäuschen, die den Tisch bedeckten.

Summy Skim schien noch halb abwesend zu sein und Jane Edgerton weinte noch immer, durch ihre Tränen schimmerte aber ein fragender Blick.

Ben Raddle war jetzt nicht aufgelegt, sich in lange Erörterungen einzulassen, um etwas zu erklären, was er selbst nicht begriff. Bisher hatte er sich beherrscht, jetzt brach aber die Reaktion über ihn herein und raubte ihm die Kräfte. Durch eine Handbewegung deutete er nur an, daß eine Erklärung später folgen werde.

Noch einen Augenblick blieben alle drei wie versteinert stehen. Dann ließen sie sich gleichzeitig jeder in einen Polsterlehnstuhl niedersinken, dessen Seitenlehnen gleichsam dazu einluden, und stützten den Kopf an dem bequemen Rückenpolster.

[438] Lange blieben sie nachsinnend so liegen, Ödipusse, die die Rätsel der Sphinx nicht zu lösen vermochten, während draußen über die Stadt, deren Lärm schon etwas verstummte, die Schatten der Dämmerung niedersanken.

16. Kapitel
Sechzehntes Kapitel.
Ex abysso resurgit.

Daß die gedrückte Stimmung Ben Raddles längere Zeit anhalten sollte, war bei seinem Temperament nicht anzunehmen. Jetzt kamen aber auch noch Umstände hinzu, die eine spontane Reaktion nicht erst eintreten ließen.

Als die elektrischen Lampen in den Straßen von Dawson City aufflammten, meldete ein Diener zum zweiten Male einen Fremden an, der Herrn Summy Skim zu sprechen wünschte.

Der Besucher war kein andrer als Neluto, der jedoch nichts von Bedeutung mitzuteilen hatte. Er glaubte, Herrn Skim nur davon unterrichten zu müssen, daß Patrick und er in dem betreffenden Hause der Vorstadt kein Unterkommen finden könnten, da es verschlossen sei und Lorique es seit einem Monat verlassen hätte.

Daß Lorique nicht da wäre, konnte Ben Raddle nicht verwundern. Wahrscheinlich hatte der Werkführer eine gute Gelegenheit gefunden, wieder tätig zu sein, oder er betrieb zur Stunde wieder die Goldgräberei für Rechnung seines alten Herrn.

Das Erscheinen Nelutos genügte jedoch, den auf allen lastenden Bann zu brechen. Ben Raddle richtete sich auf, bereit zu schnellen Entschließungen, zu neuer, energischer Arbeit.

»Neluto! rief er in dem Augenblick, wo dieser nach Erledigung seiner Meldung sich zurückziehen wollte.

– Herr Raddle?

– Neluto, morgen brechen wir nach dem hundertneunundzwanzigsten Claim auf.

[439] – Nach Nummer 129! wiederholte der Indianer erstaunt.

– Ja. Das Verschlossensein des Hauses in der Vorstadt hat jetzt keine weitre Bedeutung, da du diese Nacht wirst auf den Schlaf verzichten müssen.«

Ben Raddle nahm eine Handvoll Banknoten vom Tische.

»Hier sind zweitausend Dollars, sagte er. Ich werde dir noch mehr, jedenfalls so viele geben, wie du brauchst. Spare also das Geld nicht, sondern sorge nur dafür, daß wir morgen ganz frühzeitig einen Wagen vor der Tür haben, worin wir alle zusammen Platz finden.

– Morgen früh! rief Neluto. Es ist aber schon Nacht, Herr Raddle!

– Bestehe auf deinem Verlangen, bitte, drohe den Leuten und streue die Dollars mit vollen Händen aus... das bleibt immer das beste Mittel. Im übrigen, schloß der Ingenieur, bringe die Sache in Ordnung, wie du willst, wenn der Wagen nur zur genannten Zeit bereit steht.«

Neluto seufzte hörbar.

»Na, versuchen will ich's, Herr Raddle,« sagte er noch im Verschwinden.

Der Indianer war kaum fortgegangen, als der Doktor Pilcox – Jane hatte ihm die Rückkehr der beiden Vettern gemeldet – wie immer eilig, aber lustig eintrat, die Herren unter lauter Beweisen freundschaftlicher Teilnahme zu begrüßen.

Als Arzt mußte er sich natürlich zuerst nach deren Gesundheit erkundigen.

»Sie befinden sich wohl? fragte er.

– Wie Sie sehen, antwortete Summy Skim.

– Und sind befriedigt?

– Das können Sie sich denken.

– Ja, das glaube ich gern, rief der Doktor. Eine so herrliche Reise!

– Da befinden Sie sich auf dem Holzwege. Befriedigt... zurückgekehrt zu sein!«

Der Doktor Pilcox wurde nun von den Erlebnissen auf der Fahrt unterrichtet. Man erzählte ihm von dem Auftauchen der Texaner und ihren feindlichen Angriffen, von der durch den Ingenieur herbeigeführten Eruption des Vulkans und wie so viele Mühe und Arbeit schließlich vergebens gewesen wäre, da die Pepiten des Golden Mount, mit Ausnahme einer einzigen, jetzt auf dem Grunde des Polarmeers lägen.


Der Wagen folgte dem Wege weiter. (S. 455.)

[440] [443]»Da haben wir's, sagte der Doktor, der Vulkan hat es nicht einmal verstanden, sich nach der richtigen Seite hin zu erbrechen. Wahrhaftig, da lohnte es sich ja gar nicht, ihm erst noch ein Emetikum beizubringen!«

Unter dem Emetikum verstand der Doktor die Ableitung des Rio Rubber, der seine Wassermassen in den Magen des Golden Mount ergossen hatte.

Als Trost konnte er nur, mit einigen Varianten medizinischer Natur, wiederholen, was schon Summy Skim zu Ben Raddle gesagt hatte.

»Da heißt's eben: Philosoph sein! Über die Philosophie als hygienisches, gesund erhaltendes Mittel geht doch nichts! Die Hygiene... ja, das ist die Gesundheit selbst, und die Gesundheit ist doch die kostbarste Pepite!«

Ben Raddle ließ den Doktor sich nicht verabschieden, ohne ihn wegen Edith Edgertons befragt zu haben. Er konnte von ihm aber nichts Näheres erfahren.

Der Doktor hatte Jane bereits alles gesagt, was er wußte, und das kam ja auf recht wenig hinaus.

Eines schönen Tages war Edith plötzlich davongegangen, nur mit dem Versprechen, vor dem Winter zurückgekehrt zu sein. Der Doktor hatte sich mit dieser Zusicherung begnügen müssen und Ben Raddle mußte wohl oder übel dasselbe tun.

Am nächsten Morgen, als kaum der Tag angebrochen war, hielt der Wagen vor dem Tore des Hotels. Neluto hatte sich selbst übertroffen. Mundvorräte, Waffen, Sack und Pack, nichts fehlte, ohne zu rechnen, daß das höchst bequeme Gefährt mit zwei tüchtigen Pferden bespannt war. In kurzer Zeit wurde die Fahrt angetreten.

Wenn das mit voller Hand ausgestreute Geld aber imstande gewesen war, die Transportmittel zur Stelle zu schaffen... die Zahl der Kilometer hatte es doch nicht verkleinern können. Im vergangenen Jahre hatte es dreier Tage bedurft, den Claim 129 zu erreichen, und nicht weniger erwies sich jetzt zur Überwindung derselben Entfernung nötig, die inzwischen sogar noch ein wenig gewachsen war.

Beim Fort Cudahy hatte man nämlich den Forty Miles Creek in der Nähe seiner Vereinigung mit dem Hauptstrome überschreiten müssen. Nach der Aussage mit dem Lande bekannter Leute war das rechte Ufer seit einem Monate in der Nähe der Grenze ganz unbefahrbar geworden. Daraufhin setzten die vier Reisenden über den Fluß und folgten dann seinem linken Ufer.

[443] Längs des ganzen Weges und vor allem in Fort Cudahy sprachen die Leute fast von nichts anderm, als von den Claims am Oberlauf des Forty Miles. Ihrer Rede nach waren da seit kurzem ganz außerordentliche Entdeckungen gemacht worden, Entdeckungen von so unermeßlich reichen Erzlagern, wie sie noch kein Goldgräber je gesehen hatte.

Vergebens kochte Ben Raddle vor Ungeduld, als er diese wunderbaren Berichte vernahm. Unbekümmert um sein Vorwärtsdrängen, taten die Pferde keinen Schritt mehr als vorher und erst eine Stunde nach zwölf Uhr mittags kam die Gesellschaft am 6. September an der Grenze an.

Das Land hier war gar nicht zu verkennen.

Auf dem größten Teile ihres Weges hatten die Reisenden keine irgendwie auffällige Veränderung bemerkt. Die Umgegend, die sie bis hierher nur vom rechten Ufer aus vor Augen gehabt hatten und die sie jetzt vom linken aus betrachteten, schien keine andern Veränderungen erlitten zu haben als solche, die aus der verschiednen Orientierung hervorgingen. Alles war an derselben Stelle wie vor der Katastrophe am 5. August.

Als sie aber bis zur Höhe des Claims 127b kamen, den Jane Edgerton früher am rechten Ufer bearbeitet hatte, und als der Wagen nach Überschreitung der Höhen, deren von Nordwest her verlaufende Kette, hier flußabwärts des Rio abbiegend, dessen linkes Ufer bildete, wieder den Abhang hinunterrollte, da lagen die Dinge anders. Statt zu ihren Füßen den auf Kosten des Claims 129 verbreiterten Fluß zu sehen, hatten sie jetzt eine große Landfläche vor sich, die auf beiden Seiten der Grenze etwa einen Kilometer weit hinausreichte und auf der es von Arbeitenden wimmelte.

Ein Wasserspiegel glänzte erst im Süden von diesem Stück festen Landes und schien bis zur nördlichen und südlichen Grenze des alten Claims 129 zu reichen, über den der abgelenkte Creek brausend hinwegflutete. Der Hügel, der vorher das Besitztum der beiden Vettern von dem Jane Edgertons trennte, bildete für den Strom kein Hindernis. Seine äußerste Spitze war verschwunden. An deren Stelle verlief der Fluß und an der Felsenbarre angelangt, die den Claim 127b ehemals in zwei Absätze schied, fiel er als mächtige Kaskade von der obern zur untern Stufe, um hundert Meter weiter in sein altes Bett einzuschwenken, das er bis zur Einmündung in den Yukon nicht wieder verließ.

Die eingetretenen Veränderungen schienen nur eine sehr beschränkte Bodenfläche betroffen zu haben, die aber nach beiden Seiten der Grenze hinausreichte, [444] ein Gebiet, wovon der Teil des Forty Miles Creek, der frühere Rand vom Claim des Onkels Josias, ziemlich genau die Mitte einnahm.

Der Wagen folgte, da- und dorthin von der geraden Linie abweichend, dem Wege weiter und seine Insassen betrachteten verwundert das merkwürdige Bild, das sich ihren Blicken hier darbot. War das wirklich der Claim 129? Die bearbeitete Fläche übertraf ja bei weitem die, die gewöhnlich für einen Claim abgegeben wurde. War das aber doch der Claim 129, dessen wunderbare Erträgnisse sie besser als jeder andre kannten, wem mochte er dann gehören und wie kam es, daß seine Ausbeute für das Guthaben Summy Skims und Ben Raddles eingeliefert worden war? Wer konnte das getan haben? Wer hatte die Arbeiter angeschafft und leitete hier deren Tätigkeit? Lauter Fragen, die sich den Ankommenden gebieterisch aufdrängten.

Mit der weitern Annäherung an den Fuß des Hügelabhangs wurde alles deutlicher sichtbar. Ben Raddle unterschied da vier in zwei Gruppen aufgestellte Rockers, die etwa dreihundert Meter voneinander entfernt waren und von einer Dampfpumpe am Fuße der jenseitigen Anhöhe gespeist wurden. Zweihundertfünfzig Werkleute, alle mit Aufhacken des Bodens oder mit Waschen der Schollen beschäftigt, arbeiteten so eifrig, daß sie das Eintreffen der kleinen Gesellschaft gar nicht zu bemerken schienen.

Nur einer von ihnen verließ seinen Arbeitsplatz, als der Wagen auf das Gebiet des Claims einlenkte, und fragte höflich, was die Besucher wünschten.

»Wir möchten Ihren Werkführer sprechen, antwortete Ben Raddle im Namen der übrigen.

– Wollen Sie mir gefälligst folgen, meine Herren,« sagte der Arbeiter.

Summy Skim, Ben Raddle und Jane Edgerton stiegen nun aus und gingen, von dem Manne geleitet, längs der Anhöhe am jetzigen Ufer des Forty Miles Creek hin.

Nach fünfzig Schritten blieb der Führer vor einem Häuschen stehen, das nahe am westlichen Abhange der Anhöhe lag, über die der Wagen eben gekommen war. Hier klopfte der Mann kräftig an die Tür.

Diese öffnete sich sofort. Auf der Schwelle erschien ein junges weibliches Wesen, das mit Ausrufen des freudigsten Erstaunens begrüßt wurde.

»Edith!« rief Jane, als sie diese erkannte und ihr in die Arme stürzte.

Während aber Edith Edgerton alle Liebkosungen ihrer Cousine erwiderte, richtete sich ihr Blick doch auf Ben Raddle, der ihr zuerst nähertrat.

[445] »Fräulein Edith! rief auch der Ingenieur im höchsten Erstaunen.

– Herr Raddle!« gab Edith in gleichem Tone zurück.

Jedem einigermaßen scharfsichtigen Beobachter wäre es zweifellos gewesen, daß der sonst so klare, ruhige Blick des jungen Mädchens jetzt etwas verändert erschien und daß ihr frisches Gesicht sich – o, nur wenig! – mit einer flüchtigen Röte bedeckt hatte. Das waren freilich nur oberflächliche Erscheinungen, die fast unbemerkt vorübergehen sollten und auch so vorübergingen.

Als man gegenseitig der Freude des Wiedersehens genügend Ausdruck gegeben und warme Händedrücke unter einem wirren Getöse – da alle auf einmal sprachen – gewechselt hatte, begann Ben Raddle:

»Aber wollen Sie wohl erklären, Fräulein...

– Sofort, unterbrach ihn Edith. Erst treten Sie jedoch gefälligst ein; ich glaube, es werden sich genug Sitze finden, alle gebührend aufzunehmen.«

Die Ankömmlinge betraten hierauf das Häuschen, das mit einem Möblement ausgestattet war, welches die Bezeichnung »spartanisch« mit Recht verdiente. Ein Koffer diente als Schrank; daneben sah man eine Matratze aus trocknem Gras und einen Tisch mit mehreren Stühlen... weiter hätte auch der Scharfsichtigste nichts entdecken können. Die dürftige Ausstattung glänzte aber in so vollendeter Sauberkeit, daß sie fast luxuriös aussah.

»Meine Erklärung wird sehr kurz ausfallen, sagte Edith, nachdem sich alle gesetzt hatten. Am vergangnen vierundzwanzigsten Juli erfuhr Lorique zufällig, daß der Forty Miles Creek der Schauplatz einer noch stärkeren Veränderung als der des vorigen Jahres gewesen wäre. Allgemein sagte man, daß die meisten, vorher überschwemmten Claims dabei wieder zutage getreten seien. Wie sich die Nachricht hiervon so schnell hatte verbreiten und binnen vierundzwanzig Stunden über eine Strecke hatte hinausdringen können, die man auch mit den schnellsten Beförderungsmitteln kaum in drei Tagen zurückzulegen vermag, das weiß ich nicht. Sie war gewiß von Mund zu Mund geflogen und hatte sich wie Öl auf dem Wasser überall hin verbreitet. Wenige Stunden, nachdem sie Lorique zu Ohren gekommen war, wußte in Dawson alle Welt davon ebensogut wie er.

– Und was tat darauf Lorique? fragte Ben Raddle.

– Er kam noch denselben Abend, antworte Edith, mich von der Neuigkeit zu unterrichten. Mein Entschluß war auf der Stelle gefaßt. Da die Herren Raddle und Skim abwesend waren, mußte sie doch jemand vertreten und das [446] tun, was sie getan hätten, wenn sie dagewesen wären. Ich konnte das um so leichter auf mich nehmen, da das Krankenhaus im Sommer so gut wie leer steht.

»Nachdem wir uns mit dem nötigen Gelde versorgt hatten, das durch eine Anweisung des Herrn Raddle Lorique zur Verfügung stand, fuhren wir beide gleich am nächsten Tage ganz früh ab und verhehlten aus Vorsicht allen das Ziel unsrer Reise.

– Seit dieser Zeit sind Sie hier?

– Ja, seit dem siebenundzwanzigsten Juli. Hier fanden wir die Dinge, wie Sie es sehen. Das allgemeine Gerede hatte die Wahrheit gesprochen, die Tatsachen nur, wie immer, etwas verdreht. Sie haben sich ja schon überzeugen können, daß die alten Claims eigentlich nirgends wieder aufgetaucht sind. Im Gegenteil: Zuerst infolge Aufsteigens des Grundes des Forty Miles Creek überflutet, ist das durch eine wiederholte Bodenerhebung noch in verstärktem Maße geschehen. Wir arbeiten jetzt eigentlich im Bette und auf dem Grunde des Forty Miles Creek, der, endgültig abgelenkt, nun einzig über die alten Claims hinwegströmt.

– Ja, in diesem Falle, bemerkte Ben Raddle, ist es mir um so unerklärlicher...

– Einen Augenblick Geduld, ersuchte ihn Edith, Sie werden sofort alles begreifen. Als wir hier eintrafen, war uns noch niemand zuvorgekommen. Wie Sie wissen, gewährt die Konzession für einen an einen Fluß grenzenden Claim auch die Berechtigung, den Wasserlauf am Rande auszubeuten. Der zutage getretne Teil des alten Creekbettes gehörte demnach rechtmäßig den Uferinhabern. Diese überall bekannten gesetzlichen Bestimmungen hatten jedenfalls bewirkt, daß niemand hierhergezogen war. Weniger skrupulös, ließen wir es unsre erste Sorge sein, unsre Grenzpfähle aufzurichten, und zwar längs einer Linie, die gleichzeitig die zu den Claims 127b und 129 östlich vom Claim 127 gehörigen Teile und westlich, an der andern Seite der Grenze, den Claim 131 einschloß. Hierauf untersuchten wir erst den bisher von jeder Ausbeutung verschonten Erdboden.

– Das Ergebnis dieser Untersuchung kenne ich bereits, fiel hier Ben Raddle ein. Es kann einem dabei schwindlig werden.

– Ich übergehe alle Einzelheiten, fuhr Edith Edgerton fort, und beschränke mich auf den Ausfall der schnellen Prüfung, die wir damals vornahmen. Da erkannten wir sofort, daß die ganze Fläche, die wenige Tage vorher noch vom [447] Wasser des Forty Miles Creek bedeckt gewesen war, erstaunliche, wenn auch ungleichmäßig verteilte Schätze barg. Wenn sich das Gold hier seit Jahrhunderten überall in dichter Masse niedergeschlagen hätte, wäre die Ablagerung unbedingt eine mehr gleichmäßige gewesen. Wir konnten sogleich erkennen – und die Ausbeutung hat das von der ersten Stunde an bestätigt – daß der übrigens große Gehalt des goldführenden Sandes sich von der Mitte bis zur Grenze der von unsern Pfählen umschlossenen Fläche allmählich verminderte. In der Mitte selbst, d. h. dem alten Claim 129 genau gegenüber, verstummten wir dagegen vor Erstaunen über das, was wir fanden. Was hier vorgegangen sein mochte, das zu sagen bin ich nicht imstande. Vielleicht hat eine Bodensenkung im Bette des Forty Miles Creek Wasserwirbel entstehen lassen, worin sich jahrhundertelang das mitgerissene Gold absetzen konnte; ich vermag das nicht zu entscheiden. Gewiß ist nur, daß wir an dieser Stelle fast reines Gold in einem Haufen fanden, der eine Ellipse von etwa fünfunddreißig Yards Länge und einundzwanzig Yards Breite bildete, deren Tiefe ich zwar für beträchtlich halte, die jedoch noch nicht weiter bekannt ist.«

Die Zuhörer Edith Edgertons lauschten wie traumumfangen der feenhaften Schilderung, die mehr an einen Roman als an die Wirklichkeit erinnerte. Sie hätten nicht sagen können, was sie am meisten verwunderte, ob diese Laune der Natur oder die Voraussicht und die Tatkraft derjenigen, die daraus so großen Nutzen zu ziehen verstanden hatte. Damit sollten sie aber noch nicht am Ende ihres Erstaunens sein.

»Angesichts einer solchen Entdeckung, berichtete Edith weiter, beeilte ich mich nach Möglichkeit, das Recht zu deren Ausbeutung bestätigen zu lassen. So wurde ein Claim auf den Namen des Herrn Raddle, ein zweiter auf den des Herrn Skim und je noch ein anderer auf den Namen meiner Cousine, ferner Loriques und auf meinen Namen eingetragen. Daß ich bei dem Gesuch um diese Konzessionen, zum großen Teile im Namen Abwesender, nicht einige kleine... Unkorrektheiten begangen haben könnte, wage ich nicht zu behaupten. In derlei Dingen ist es aber die Hauptsache, Erfolg zu erreichen.

– Ganz sicherlich! stimmte Ben Raddle ihr zu.

– Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, daß ich keinen Augenblick die wirkliche Sachlage vergessen habe. Die Claims konnten nur mit Hilfe der Kapitalien des Herrn Summy Skim und des Herrn Ben Raddle in Arbeit genommen werden und natürlich sind sie auch deren Eigentum. Ich habe mich immer nur [448] [451]als ihren Beauftragten angesehen und habe nur demgemäß gehandelt. Jetzt ist alles in Ordnung; ich habe auch für den auf amerikanischem Gebiete gelegenen Claim das letzte gerichtliche Dokument erhalten.«


Hier herrschte eine allgemeine Tätigkeit. (S. 451.)

Bei diesen Worten war Edith schon nach dem Koffer gegangen, der in einer Ecke des Raumes stand. Daraus zog sie ein Bündel Papiere hervor.

»Hier sind die Besitztitel, sagte sie, und hier die Erklärung Loriques und die meinige, worin wir die wirklichen Eigentümer anerkennen und jedem Anspruch unserseits von vornherein entsagen. Dazu fehlt nur noch die gleichlautende Erklärung Janes, ich glaube aber dafür einstehen zu können, daß sie eine solche nicht verweigern wird.«

Als Antwort umarmte Jane nur ihre Cousine.

Ben Raddle war einfach erdrückt von der Bewunderung einer derartigen Hochsinnigkeit. »Kaum glaublich! Kaum glaublich!« murmelte er zwischen den Zähnen.

Edith erhob sich.

»Wollen Sie jetzt als Besitzer einen Rundgang über Ihr Eigentum antreten, fuhr sie fort, so werde ich Ihnen als Führer dienen; bei derselben Gelegenheit werden Sie auch Lorique Guten Tag sagen können.«

Alle verließen das kleine Haus und durchstreiften das Gebiet des Claims in jeder Richtung. Hier herrschte eine allgemeine Tätigkeit, für die der Ingenieur fast noch mehr Sinn hatte als für die eben gehörten diplomatischen Heldentaten.

Alles ging mit der Regelmäßigkeit eines Chronometers.

An jeder Seite der einen auf kanadischem und der andern auf amerikanischem Boden gelegenen Platzhälfte bewegte sich ein Rocker (eine Art Wiege), gespeist von einer kleinen, am neuen Ufer des Creek, fast gegenüber dem Mittelpunkte des Werkplatzes, stehenden Dampfpumpe, und auf beiden Seiten arbeiteten mit Schüssel oder mit Schöpflöffel eine große Anzahl Leute.

»Diese Pumpe hat mich nichts gekostet, erklärte Edith. Ich habe sie nach dem Zurückweichen des Wassers im alten Bett des Flusses gefunden. Wahrscheinlich gehörte sie zu einem stromaufwärts gelegenen und bei der vorjährigen Überschwemmung verlassenen Claim. Wie durch ein Wunder war daran nicht das mindeste zerbrochen; es genügte, sie zu säubern, sie aufzustellen und uns Kohle zu besorgen, was – in Parenthese gesagt – nicht gerade leicht war.«

Ben Raddle konnte nicht mehr an sich halten.

[451] »Werden Sie uns endlich auch mitteilen, rief er, wer alles das geleitet, die Arbeit organisiert und die nötigen Einrichtungen getroffen hat?

– Das bin ich gewesen, Herr Raddle, natürlich unter dem Beistande Loriques, antwortete Edith in einem Tone, der von Selbstüberschätzung ebenso fern war wie von unangebrachter Bescheidenheit.

– Sie?« rief der Ingenieur, der von diesem Augenblick tief in Gedanken versanken zu sein schien.

Edith fuhr in ihren Erklärungen fort. Sie führte ihre Begleiter bis zur letzten, auf alaskischem Gebiete gelegnen Konzession, die auf den Namen Loriques eingetragen war. Auf dem Claim, dessen offizieller Eigentümer er war, traf man auch den Werkführer, der von dem Wiedersehen mit Ben Raddle tief bewegt wurde. Ernsthaft nachsinnend, antwortete dieser aber auf die Ergebenheitsbezeigungen des treuen Dieners nur in etwas seltsamer, fast frostiger Weise.

Die Gesellschaft kam, jetzt mit Lorique, nach der Mitte des Arbeitsfeldes zurück.

»Das hier ist die allerergiebigste Fundstelle, sagte Edith.

– Wo wir jedesmal unsre tausend Dollars in der Schüssel haben,« setzte der Werkführer stolz hinzu.

Nachdem sie einigen Waschproben zugesehen hatten, die wirklich den angegebenen Betrag lieferten, begaben sich alle nach dem Wohnhäuschen zurück.

Als sie schon dessen Schwelle überschreiten wollten, hielt Ben Raddle, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, Edith durch einen Wink zurück.

»Sagten Sie nicht vorhin, fragte er, daß Sie Dawson am fünfundzwanzigsten Juli verlassen hätten?

– Jawohl, antwortete Edith.

– An welchem Tage war aber der Boden des Forty Miles Creek aufs neue und so hoch aufgestiegen?

– Am dreiundzwanzigsten Juli.

– Das wußt' ich doch! rief Ben Raddle. Unser Vulkan ist es, dem wir dieses Glück verdanken.

– Unser...? Welcher Vulkan?«

Ben Raddle schilderte ihr nun alle Erlebnisse während der Expedition zur Aufsuchung des Golden Mount. Als er seinen Bericht beendet hatte, zweifelte niemand mehr, daß die so tollkühn erzwungne Eruption die erste Ursache der Umwälzung gewesen sei, deren Schauplatz jener Teil Klondikes geworden war.

[452] Für alle lag es auf der Hand, daß die plutonische Erschütterung sich von einer Stelle zur andern fortgepflanzt und allmählich mit einer Reihe symmetrischer Hebungen und Senkungen des Erdbodens erschöpft habe. Hunderte von Kilometern weit deutete der lange Erdspalt genau die Richtung der unterirdischen Kraftäußerung an, die hier erstorben war. An der schon durch das frühere Erdbeben sozusagen aus den Fugen gerissenen Stelle hatte sie sich damit erschöpft, daß sie einen etwa fünfzig Meter breiten und einen Kilometer langen Landstreifen kaum zwei Meter hoch hob und durch eine den alten Claims des rechten Ufers entsprechende Bodensenkung ausglich.

Jane Edgerton war ganz besonders begeistert für diese Schlußfolgerungen, die ihrer Gewohnheit, das Leben anzusehen, so vollständig entsprachen. Nein, rege Tätigkeit war doch nun und nimmer nutzlos. Jene Reise lieferte dafür einen neuen Beweis. Wo sie vergeblich gekämpft zu haben glaubten, da hatte die Energie des Ingenieurs, hunderte von Kilometern entfernt, noch unerwartete Gegenwirkungen erzeugt und ihnen eine triumphähnliche Rückkehr verschafft.

Mit einem Lächeln dämpfte Edith die Begeisterung ihrer Cousine und wies darauf hin, daß jetzt noch die Buchführung bezüglich der Ausbeute zu prüfen wäre.

Als sich alle im Hause befanden, legte sie wirklich ihre Bücher vor und erklärte die Eintragungen darin so klar, daß es Ben Raddle die allergrößte Bewunderung abnötigte. Für die Aufstellung ihrer Kostpreise und Unkosten, für die Überwachung der Eingänge an Gold und dessen Versendung, ferner zur Sicherung gegen Diebstähle in einem Betriebe, wo diese ja ganz besonders zu befürchten sind, hatte sie mit gesundem, methodisch gebildetem Menschenverstande sehr einfache, doch sicher wirkende Leitsätze gefunden, die weder für einen Irrtum noch für einen Betrug Raum ließen.

»Erst diesen Morgen habe ich meine Arbeit beendigt, sagte sie zum Schlusse. Ich gedachte, wenn Sie nicht eingetroffen wären, nach Dawson zurückzukehren und eine Dublette der Bücher mitzunehmen. Lorique, der hier bleibt, wird bis zum Winter die weitre Ausbeutung leiten, die sich ja, wie Sie sehen, auch aus der Ferne sehr gut überwachen läßt.«

Nach diesen Worten verließ Ben Raddle das Häuschen. Er war dem Ersticken nahe. Das junge Mädchen hatte ihm eine Lektion erteilt, ihm aber nichts zu tun übrig gelassen. Alles »klappte«, sozusagen, bis auf den Punkt überm i, besser als er es selbst hätte ordnen und leiten können.

[453] Voller Unruhe folgte Summy Skim seinem Vetter. Warum hatte sich dieser so plötzlich entfernt? Sollte er zufällig unwohl geworden sein?

Nein, Ben Raddle war wohlauf. Den Blick auf den Horizont gerichtet, atmete er die freie Luft in tiefen Zügen ein wie einer, der sich von einer heftigen Gemütsbewegung erholen will.

»Aber, Ben, sagte Summy an ihn herantretend, nun bist du ja an deinem Ziele und doch wohl auch voll befriedigt. Du besitzest Millionen zu allerlei Unternehmungen. Desto mehr, weil ich dir selbstverständlich auch die meinigen abtrete, da ich mich um dergleichen nur so viel bekümmre!«

Summy schnipste dazu mit einem Fingernagel an seinen soliden Zähnen.

Ben Raddle ergriff den Arm seines Vetters.

»Was denkst du über Fräulein Edith? fragte er vertraulich.

– Ei, daß sie reizend, noch mehr als reizend ist, erklärte Summy mit Wärme.

– Nicht wahr? Doch damit ist nicht genug gesagt: Sie ist ein Wunder, Summy, ein wahres Wunder!« sagte Ben Raddle mit dem Ausdruck eines Träumenden.

17. Kapitel
Siebzehntes Kapitel.
Die Abrechnung.

Nach kurzem Aufenthalt am neuen Claim 129 waren die beiden Vettern und die beiden Cousinen nach Dawson City zurückgekehrt, während Lorique die Ausbeutung daselbst weiter leitete. Mit ihm war alles einzeln abgemacht. Er sollte den Claim bis zu dessen jetzt noch gar nicht vorauszusehender Erschöpfung bearbeiten lassen und die Abrechnung allwöchentlich nach Montreal einsenden, wohin sich Summy Skim und Ben Raddle nun schleunigst zurückbegeben wollten.

Dem Werkführer war natürlich ein Anteil an dem Ertrage zugesichert worden. Das hatte er übrigens gänzlich seinen Herren anheimgestellt, deren [454] Rechtlichkeit und Billigkeit er ja kannte. Da der Tag noch fern war, wo die Lagerstätten des Forty Miles Creek einmal erschöpft sein würden, mußte Lorique dabei selbst zum vermögenden Mann werden und imstande sein, eine Ausbeutung für eigne Rechnung zu beginnen oder sich unter einem mildern Himmelsstriche zur wohlverdienten Ruhe zurückzuziehen.

Die vier Reisenden saßen in dem Wagen, der sie davontrug, zwar etwas zusammengedrängt, es fiel aber keinem ein, sich darüber zu beklagen. Unter der Nachwirkung der letzten glücklichen Ereignisse bewahrten alle eine ungetrübte Heiterkeit. Selbst Edith zeigte nicht mehr die gewöhnliche, etwas frostige Ruhe.

Die beiden Vettern hatten sich unterwegs nach den nunmehrigen Plänen der jungen Mädchen erkundigt, die jede darüber freimütig Aufschluß gaben.

Diese Pläne waren sehr einfacher Natur. Da das Geschick die Bemühungen Janes bisher nicht belohnt hatte, würde sich in ihren Verhältnissen nichts ändern; sie wollte auch ferner als Goldsucherin tätig sein, während ihre Cousine zu ihren Kranken zurückzukehren gedachte.

Ohne sich über diese Erklärungen besonders aufzuregen, hatten Ben Raddle und Summy Skim sich auf die Frage beschränkt, ob die jungen Mädchen sie etwa für undankbare Ungeheuer hielten, und zunächst wurde darüber weiter nichts gesprochen.

Am ersten Abend in der Stadt sollte diese Angelegenheit aber geordnet werden. Auf eine Einladung Ben Raddles hin waren alle vier in einem Salon zusammengekommen, den dieser ausschließlich für sich bestellt hatte.

Der Ingenieur ging sofort auf den Kern der Sache ein.

»Wir haben jetzt in erster Linie unsre Rechnungen in Ordnung zu bringen,« sagte er zur Eröffnung der Sitzung.

Summy gähnte dazu.

»Das wird ziemlich langweilig werden! bemerkte er. Übrigens habe ich dir, du unersättlicher Ben, schon gesagt, du sollst für mich eine Null ansetzen und alles für dich behalten.


Die Lichter von Dawson erloschen.. (S. 463.)

– Wenn wir mit derartigen Scherzreden anfangen, antwortete Ben Raddle streng, werden wir freilich kaum fertig werden. Ich bitte dich, Summy, laß uns bei einer ernsten Sache ernst sein.

– Na, meinetwegen, also ernsthaft! lenkte Summy seufzend ein. Was kostet das aber für viele Zeit, die sich besser verwenden ließe.

[455] – Der erste Punkt, dem wir Rechnung tragen müssen, fuhr Ben Raddle fort, ist, daß die Ausbeutung des Forty Miles Creek eine Folge, wenn auch nur eine indirekte, immerhin aber eine Folge der Auffindung des Golden Mount ist.

– Ganz recht! stimmten die drei andern ein.


Montreal. - Gesamtansicht.

– Folglich bleiben auch die Verpflichtungen, die wir im Zusammenhange mit dem Zuge dorthin eingegangen sind, unverändert bestehen und vor allem [456] [459]die, die Jacques Leduns Mutter betreffen. Sind Sie sich klar darüber, wieviel wir ihr nach Recht und Billigkeit zugestehen sollten?

– Ich meine, den vierten Teil, schlug Jane vor.

– Lieber viermal den vierten Teil, überbot das Summy. Ich begreife nicht, was dagegen einzuwenden wäre.«

Ben Raddle zuckte die Achseln.

»Meiner Ansicht nach, ließ sich Edith vernehmen, wäre eine dauernde Rente vorzuziehen.

– Fräulein Edith hat recht, recht wie immer, sagte der Ingenieur. Wir beschließen also, ihr eine Rente auszusetzen, deren Höhe später bestimmt werden mag, die aber selbstverständlich hübsch reichlich bemessen sein wird.«

Einstimmiger Beifall.

»Außerdem, sagte Ben Raddle weiter, müssen wir Lorique, den Scout und die Leute, die uns auf dem Zuge nach dem Golden Mount begleitet haben, anständig entschädigen.

– Das versteht sich, riefen die beiden Cousinen wie aus einem Munde.

– Was dann übrig bleibt, wäre nach den frühern Vereinbarungen mit Fräulein Jane in zwei Hälften zu teilen, in eine für sie und eine für mich. Ich bezweifle nicht, daß Miß Jane sich weigern könnte, wieder selbst mit ihrer Cousine zu teilen, der wir ja den neuen Claim 129 zu verdanken haben, und ich teile natürlich mit Summy, so unzufrieden er damit auch aussehen mag.

– Ihre Rechnung ist nicht ganz richtig, wendete da Jane ein. Da Sie, ohne dazu genötigt zu sein, mit uns teilen wollen, müssen wenigstens alle Abmachungen eingehalten werden. Sie haben aber vergessen, daß ein früherer Vertrag Sie zum Bezug von zehn Prozenten dessen berechtigt, was ich in Klondike erwerbe.

– Ja ja, das stimmt,« erklärte Ben Raddle mit ernsthafter Miene.

Jetzt nahm er einen Bleistift und Papier zur Hand.

»So wollen wir das zahlenmäßig feststellen, begann er. Wir sagen also, daß mir das Recht auf ein Zehntel Ihrer Hälfte zusteht, das heißt also, auf ein Zwanzigstel des ganzen Betrags, das ergibt elf Zwanzigstel für mich und neun Zwanzigstel für Sie.

– Wenn ich noch rechnen kann, unterbrach ihn Summy mit dem ernsthaftesten Gesichte der Welt, so geht aus der Zusammenstellung hervor, daß der Anteil des Fräulein Edith sieben Fünftel von drei Vierteln des elfthalbneunzigsten [459] Teiles beträgt. Was den meinigen angeht, so ergibt sich der durch die Division der Höhe des Golden Mount mit dem Gebiete des Polarkreises und durch Multiplikation des Quotienten mit dem Alter des Scouts. Damit erhält man eine exponentielle Gleichung, aus der man die Kubikwurzel auszieht und die, einer algebraischen Analyse oder der Integral- oder Differentialberechnung unterworfen, je nach Wahl...

– Ach was, Summy, solche Späße sind hier nicht am Platze, fiel Ben Raddle trocken ein, während die beiden Cousinen herzhaft lachten.

– Welcher Plunder!« seufzte Summy und setzte sich, die größte Gleichgültigkeit zur Schau tragend, in den entlegensten Winkel des Raumes.

Ben Raddle folgte ihm mit unmutigem Blicke, zuckte nochmals die Achseln und fuhr dann fort:

»Nun beträgt unser Guthaben bei der Transportation and Trading Company zur Zeit...«

Da unterbrach ihn Jane Edgerton.

»Wozu das alles, Herr Raddle, sagte sie mit dem natürlichsten Gesichte der Welt, wozu sollen alle diese Rechnereien dienen?

– Nun, ich dächte...

– Ja, wozu denn? Wir werden uns doch wahrscheinlich einmal verheiraten.«

Sich krampfhaft auf die Armlehnen des Stuhles, worauf er sich gemächlich hingestreckt hatte, stützend, schnellte Summy Skim mit einem Schlage empor, stieß ein wirkliches Gebrüll aus und rief mit halberstickter Stimme:

»Verheiraten?... Mit wem denn?«

Wieder zusammengeduckt, mit krampfverzerrten Zügen und geballten Fäusten ähnelte er fast einem auf dem Sprunge stehenden Raubtiere, aber unfähig, bei dem urkomischen Auftritt ihren Ernst zu bewahren, brachen seine Freunde in ein wahrhaft homerisches Gelächter aus.

Summy... Summy lachte nicht. Er hatte ja eben sein Herz aufgetan und geriet dadurch ganz außer Fassung.

Er liebte also, er, der hartgesottne Hagestolz, der in seinem Junggesellentum so glücklich war, er war bis zur Anbetung verliebt, schon lange, schon von jeher, von dem Augenblicke an, wo ihm auf dem Verdeck des »Foot-Ball« das niedliche Mädchen, das jetzt aus vollem Halse lachte, zum ersten Male ins Auge gefallen war. Für sie, für sie allein hatte er so leichten Herzens die Verbannung [460] in diesem so unerträglichen Lande ausgehalten. Da er sie nicht bewegen konnte, Klondike zu verlassen, hatte er sich, nur um mit ihr zusammen zu sein, heimlich sogar entschlossen, hier dauernd zu weilen. Und jetzt... jetzt sprach sie so seelenruhig davon, sich zu verheiraten! Natürlich mit Ben Raddle, der war ja jünger und ansehnlicher als sein unglücklicher Vetter. Gewiß... wenn das der Fall war, würde Summy Skim zurücktreten, doch vielleicht brach ihm das Herz dabei.

»Mit wem? wiederholte er so verzweifelten Tones, daß Janes Lachen verstummte.

– Nun, mit Ihnen, Herr Skim, das versteht sich ganz von selbst. Wozu also...«

Vollenden konnte sie den Satz aber nicht.

Summy war herbeigestürzt. Wie eine Feder hatte er sie kräftigen Armes emporgehoben, tanzte mit ihr wie ein Wilder umher und umarmte sie herzlich. Jane mochte sich sträuben und verteidigen, so viel sie wollte, in seiner wonnigen Erregung fühlte Summy doch keinen Schlag. Erst als er, außer Atem gekommen, in einen weichen Armstuhl niedersank, keuchend wie eine Robbe, erst da gab er seine leichte Bürde frei.

»Großer Tollkopf!« sagte Jane weder erzürnt noch spottend, als sie ihre arg in Unordnung gekommene Frisur wieder zurecht machte.

Ohne sich um Ben Raddle zu bekümmern, der Edith nur schweigend ansah, oder um ihre Cousine, die mit gesenkten Augen dastand, nahm Jane den durch Summys Ungestüm unterbrochnen Satz wieder auf.

»Wozu nützt es, noch etwas zu fragen, was man bereits weiß? Es ist doch ebenso klar, daß ich mich mit Ihnen verheirate, Herr Skim, wie daß Herr Raddle sich meine Cousine zur Gattin erwählt.«

Ediths Augenlider schwankten unruhig auf und nieder.

»Bestätigen Sie, Fräulein Edith, was Ihre Cousine soeben ausgesprochen hat?« fragte Ben Raddle mit etwas zitternder Stimme.

Statt jeder Antwort schlug das junge Mädchen nur die Augen zu ihm auf und streckte ihm freimütig die Hand entgegen.

Der Enthusiasmus Summy Skims kannte jetzt keine Grenzen mehr. Aufgeregt, zitternd, jauchzend, die Glieder schlenkernd und Tische und Stühle umwerfend, lief er im Zimmer überall umher.

»Was warten wir denn noch hier? sagte er. Da wir alle eines Sinnes sind, warum die kostbare Zeit verscherzen? Auf, zum Kuckuck, vom Wort zur Tat!«

[461] Es kostete ziemliche Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß eine Eheschließung oder, wie hier, sogar deren zwei, nicht mitten in der Nacht und so im Handumdrehen erfolgen könnten; schließlich beruhigte er sich aber dabei, daß diese nach möglichst kurzer Zeit stattfinden sollten.

Die Sache wurde wirklich beeilt und wenige Tage darauf wurde die Doppeltrauung in der Dawsoner Hauptkirche unter großer Feierlichkeit vollzogen. Die Abenteuer der beiden Paare verliehen diesen den Schein von Sagengestalten. Die ganze Bevölkerung, die zur jetzigen Jahreszeit wegen der Ausbeute der Goldfundstätten an Zahl vermindert war, bildete beim Vorüberkommen des Hochzeitszuges ein dichtes Spalier. Die gebieterische Schönheit Janes, die vollendete Grazie Ediths, die energische Erscheinung Ben Raddles und die stattliche Haltung Summy Skims wurden von der vielköpfigen Menge ehrlich bewundert.

Gegenwärtig waren auch alle Genossen des Mißerfolges und Sieges, Lorique, der Scout und alle, die an der Fahrt nach dem Golden Mount beteiligt gewesen waren. Edith gab den Arm dem Doktor Pilcox, der heute noch aufgeräumter und rundlicher aussah als je, und Jane wurde zum Altare von dem Riesen Patrick geführt, der so rotgolden glänzte wie die Sonne auf seinem neuen Anzuge. Jane hatte das so gewollt und der Irländer fühlte sich nicht wenig stolz über die ihm von seiner jungen Herrin erwiesene Ehre, die er übrigens unbefangen wie früher »Herr Jean« nannte, trotz ihres weißen Kleides und des Orangenblütenkranzes, den sie trug.

»Gib mir den Arm, Patrick.

– Ja, Herr Jean.

– Sei doch etwas vorsichtiger, Patrick, du trittst mir ja auf die Schleppe!

– Jawohl, Herr Jean.«

Es blieb aber beim alten und Jane lachte darüber herzlich.

Die Neuvermählten verließen Dawson noch am Abend des Hochzeitstages auf einem der Dampfer, die den Yukon hinunterfuhren. Lorique und der Scout winkten ihnen noch vom Ufer Abschiedsgrüße zu. Der Werkführer machte sich schon am nächsten Tage auf den Weg, die Leitung des Claims wieder in die Hand zu nehmen, und der Scout bereitete sich zur Rückkehr nach Skagway über das Seengebiet vor, wobei er sein gesamtes Personal mitnahm. Wenn er aber auch später dem anstrengenden Führerberufe treu blieb, so geschah das bloß aus reiner Liebhaberei. Jetzt, wo der Scout unerwarteterweise reich geworden war, mußte er ja zugestehen, daß die Goldgräberei doch dann und wann ihr Gutes habe.

[462] Anderseits folgten auch zwei andre Personen, die in dieser Erzählung eine gewisse Rolle gespielt hatten, mit den Yukon hinunter und begaben sich in Gesellschaft der jungen Paare ebenfalls nach Montreal. Neluto hatte noch im letzten Augenblick einen Entschluß gefaßt: den, sich von einem so eifrigen Jäger wie Summy Skim nicht zu trennen, und Patrick hätte nur der Tod zwingen können, seinen »Herrn Jean« zu verlassen.

Nach und nach verhallten die Vivats, die die Abreise begleiteten, in der Ferne. Die Lichter von Dawson wurden schwächer und schwächer, erloschen endlich ganz, und die Nacht umhüllte den großen Dampfer, der unermüdet sein lautes Schnaufen hören ließ. Das Wetter war schön. Bei sternbesätem Himmel herrschte eine zu dieser Jahreszeit seltne, milde Temperatur.

Auf dem Achterdeck des Schiffes hatte Summy Skim vier Armstühle aufgestellt und alle genossen friedlich den Reiz der schönen Stunde.

Bald aber brach Ben Raddle das glückselige Schweigen. Er war einmal nicht imstande, sein immer tätiges Gehirn zur Ruhe zu bringen, und schon schwirrten ihm wieder neue Pläne im Kopfe herum. Unterstützt von einem ungeheuern Vermögen, konnte er in Zukunft rein alles unternehmen. Dabei erging er sich aber nicht nur in Träumereien, sondern sprach seine Gedanken auch laut aus. Handeln, schaffen, Werte erzeugen und seinen Berg von Gold in gewaltige Unternehmungen umsetzen, die sich dann wieder zu Gold verwandelten, das für noch größere und noch zahlreichere Unternehmungen verwendet werden sollte, und so weiter, immer weiter!

Jane lauscht voller Spannung seinen Reden und antwortete zuweilen dem zügellosen Schwärmer. Allmählich rückten ihre Stühle einander näher und der Unbeweglichkeit überdrüssig, erhoben sich die beiden gleichzeitig und stützten sich Seite an Seite auf die Reling... der eine hatte seine Gattin, die andre ihren Gatten scheinbar ganz vergessen.

Summy seufzte.

»Da sind sie nun beide weg, sagte er zu Edith, die bei ihm geblieben war.

– Ja, meinte die kleine, vernünftige Hausfrau, man muß die Menschen nehmen und lieben, wie sie eben sind.

– Sie haben ja recht, Edith!« stimmte ihr Summy, freilich kaum überzeugten Tones, bei.

An ihm nagte nämlich doch ein wirklicher Kummer und ein tieferer Seufzer als der erste rang sich aus seiner Brust los.

[463] »Ja, sagte er nochmals, da sind sie nun weg. Wie weit werden sie gehen?«

Edith erhob ihre Hand und ließ sie wieder herabsinken, als nähme sie die Zukunft an, wie diese sich für sie auch gestalten möchte.

»Ich kenne doch meinen Ben, fuhr Summy fort. Noch keine acht Tage in Montreal, da wird er sicherlich schon wieder von der Abenteuersucht befallen. Er wird wieder fort wollen und ich fürchte, er zieht Ihre Cousine dann mit sich weg, die ja im Grunde so wenig veranlagt ist, das Leben mit nüchternem Blicke anzuschauen.

– Nun, wenn sie weggehen, erwiderte Edith, da werden sie auch schon wiederkommen, und wir erwarten sie in der Wohnung.

– Gar zu angenehm ist das wohl nicht, Edith.

– Aber nützlich, Summy. Während sie in der Welt herumschweifen, behüten wir ihr Haus.«

Noch einmal seufzte Summy tiefsinnig..

»Jawohl und auch ihre Kinder!« sagte er, ohne sich Rechenschaft zu geben, daß seine Antwort ebenso urkomisch war, wie er sich damit zu einer schweren Selbstverleugnung verpflichtete.

18. Kapitel
Achtzehntes Kapitel.
Im schönen Green Valley.

Es ist Sommer... kein Wölkchen am Azur des Himmels. Die Mittagssonne strahlt glänzend auf das blühende Land hernieder.

Die Ledergamaschen noch an den Füßen, raucht Summy Skim, der mit Neluto eben von der Jagd heimgekommen ist, seine kurze Pfeife im Schatten der großen Bäume vor dem Wohnhause in Green Valley. Wenige Schritte von ihm spielen drei kleine Kinder – von drei, fünf und sechs Jahren – unter der Aufsicht einer Bonne von vertrauenerweckendem Aussehen. Sie mißt nicht weniger als sechs Fuß, diese Bonne, und ihres schon etwas ergrauenden Bartes hätte sich kein Pionier zu schämen brauchen. Sie führt übrigens den Namen [464] Patrick Richardson und ist durch das Vertrauen des Herrn Jean nach und nach zur Kinderwärterin umgewandelt worden.

Ist Patrick auch etwas gealtert, seine große Kraft ist ihm noch geblieben, nur verwendet er diese nicht mehr, mit plumpen Bären zu boxen, sondern sie steht jetzt auschließlich im Dienste der Söhnchen Janes und Summys.


Über dem friedlichen Hause schwebt der Engel des Glücks. (S. 466)

Man sieht den Riesen gar nicht mehr anders als mit den drei Jüngelchen, von denen der eine ihm auf der Schulter hockt, ein andrer ihm auf der Hand wie auf einem [465] Stuhle sitzt, wovon sein Daumen als Lehne dient, und der dritte zuweilen aus einer Tasche herausguckt, denn Patrick hat sich eigenhändig, eigens zu diesem Zwecke, große Taschen an seine Jacke genäht. Die Kinder können ihn ersteigen wie einen Berg, auf ihm umhertrappeln, ihn am Barte oder an den Haaren zupfen oder können ihm auch die Finger auf die Augen drücken: Patrick läßt alles mit lächelnder Miene über sich ergehen. O, er ist ein herrliches Spielzeug für die kleinen Kinder, der Patrick Richardson.

Eben hat es mittags zwölf geschlagen, da kommt eine junge Frau auf einem schönen Pferde in kurzem Trabe an. Summy erhebt sich, der Reiterin beizustehen, die er in seine Arme schließt, wie dereinst im Salon des Northern Hotel. Es fehlte nicht viel, so hätte Summy getanzt wie damals. Doch Summy tanzt nicht mehr, seit er – ganz heimlich sei es verraten – angefangen hat, sich, wie man sagt, ein Bäuchlein zuzulegen. Jane Edgerton hat sich damit, daß sie Jane Skim wurde, kaum verändert; sie ist noch immer ebenso klein und zart und auch nicht weniger hübsch.

»Zu Tische!« ruft Summy aufgeräumt.

Sofort klettern die drei Kinder auf Patrick. Der Älteste setzt sich auf der Schulter fest, der zweite auf der hohlen Hand und der Kleinste schlüpft in eine Tasche.

»Sind sie denn artig gewesen, Patrick? fragt Jane.

– Sehr artig, Herr Jean,« versichert der Irländer.

Im Augenblick, wo alle ins Haus treten wollen, erscheint auf der Schwelle eine andre junge Frau, eine Blondine. Ja, warum sollte denn Edith Raddle nicht ebenso blond sein, wie es Edith Edgerton war? Edith hält noch ihr »Handwerkszeug« in der Hand, die bewegliche Feder, die sie so gut zu führen versteht.

»Ist Ben noch nicht da? fragt Jane.

– Nein, antwortet Edith, vor drei Uhr wird er nicht hier sein.«

Die kleine Gesellschaft tritt ein und setzt sich zu Tische. In der Wohnung wie draußen herrscht noch immer die frühere Einfachheit. An das alte Haus ist nur noch ein Flügel angebaut worden, um die neuen Bewohner aufnehmen zu können.

Beim Frühstück plaudern alle in ruhigem, freundlichem Tone. Dieser Tag bildet aber keine Ausnahme. Es ist nur die lange Kette gleich glücklicher Tage, der er sich als ein weitres Glied anschließt.

Über dem friedlichen Hause schwebt der Engel des Glücks.

[466] Seit dem Abenteuer am Golden Mount und der Rückkehr nach Montreal sind die Jahre vergangen, ohne die unter dem eisigen Himmel Klondikes aufgekeimte Liebe zu schwächen. Jane und Summy, Edith und Ben bilden nur ein einziges Wesen und jeder fühlt in seiner Brust den Schlag von vier Herzen.

Summys Befürchtungen haben sich nicht verwirklicht. Unterstützt von Edith, ist er Diplomat genug gewesen, den Tätigkeitsdrang seiner Gattin auf den richtigen Weg zu leiten. Das ist jetzt eine ausgemachte Sache und er hat unbegrenztes Vertrauen zu einem Bande gewonnen, das die Geburt der Kinder schon ohnehin noch mehr verstärkt hatte.

Da die Geldfrage bei ihm jetzt keine Rolle mehr spielte, hatte er seinen Landbesitz noch wesentlich vergrößert. Jetzt bildet der fast ein wirkliches Reich, dessen unbestrittner König er ist. Jane hat hier ein geeignetes Feld für ihre Tätigkeit gefunden. Sie schwärmt für eine rationelle Bewirtschaftung und ihre Schuppen sind mit den vorzüglichsten Maschinen angefüllt, die ihr erfinderischer Geist immer noch weiter zu verbessern sucht.

Edith ist die Verwalterin der Gemeinschaft; sie führt die Bücher. Sie prüft, urteilt und entscheidet in letzter Instanz und alle beugen sich ihrem unfehlbaren, gesunden Verstande. Wenn sich Jane einmal von ihrer Phantasie fortreißen läßt und einen gar zu kühnen Weg einzuschlagen droht, braucht ihre Cousine ihr nur ein »Es brennt!« zuzurufen, um alles wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Nur Summy greift etwas störend in ihre Verwaltung ein. Der abscheuliche Grundherr versteift sich, unter dem Vorwande, zu reich zu sein, darauf, den Pächtern den größten Teil ihres Pachtzinses heimlich zurückzugeben. Edith grollt dann der Form halber ein bißchen, denn es bleibt doch im Grunde wahr, daß man zu reich ist.

Summy kann ausgeben, so viel er will, er kann doch das Geld nicht so schnell an den Mann bringen, wie Ben Raddle es gewinnt.

Vor ihrer völligen Erschöpfung haben die Claims des Forty Miles Creek noch das Zwanzigfache ihres ersten Ertrags geliefert und von diesem Golde hat Ben nicht ein Splitterchen im Kasten aufbewahrt. Er hat es in alle Winkel der Welt verstreut, von wo es hartnäckig in verdoppelter Menge wiederkehrt, um ohne Unterbrechung aufs neue hinausgeschickt zu werden.

Gestützt auf eine so ungeheure Macht, hat der Ingenieur seine Träume verwirklicht. Er hat sich mit allem befaßt, für alles interessiert und sein ganzes [467] Leben zum Vergnügen der Arbeit gewidmet. Noch ist der Tag fern, wo er sich dem Kreise der Milliardäre anschließen wird, und auch das würde für ihn nur ein weitrer Antrieb zu arbeiten sein. Ihm gelingt alles. Mit gleichem Glücke hat er in Wolle, Baumwolle, Zucker und Leder spekuliert und das gewonnene Gold hat in den verschiedensten Unternehmungen für ihn wieder weiter gearbeitet. Heute besitzt er Kupferbergwerke und Kohlengruben, Eisenbahnen in Südamerika und den Balkanländern, Petroleumbrunnen in Texas und Rumänien, elektrische Zentralstationen und andre Anlagen. Gestern hat er einen Zinntrust gegründet, morgen wird er einen Nickeltrust ins Leben rufen.

Bei dieser vielseitigen Inanspruchnahme würde sich Ben Raddle kaum auskennen, wenn Edith nicht da wäre, ihm dabei zur Hand zu gehen. Tag für Tag, Stunde für Stunde hält sie ihn über seine Lage unterrichtet. Nach dieser Seite hin braucht er sich um nichts zu kümmern, er kann sorglos schlafen.

Ja, Ben Raddle ist fürwahr ein glücklicher Mann.

Dieser glückliche Mann ist aber niemals da und das ist der einzige dunkle Punkt im Leben Summy Skims. Immer über Berg und Tal, kommt und verschwindet er wie der Blitz. Im Vorübergehen umarmt er zärtlich seine Frau, die ihn lächelnd empfängt und ohne Vorwurf wieder davonziehen läßt. Mit gewohnter Ruhe wartet Edith ihre Stunde ab, von der sie aus gewissen Zeichen weiß, daß sie nicht mehr fern sein wird.

Summy Skim ist nicht so geduldig und geniert sich gar nicht, Ben Raddle mit den schwersten Vorwürfen zu bestürmen. Der läßt ihn dann erst ruhig poltern, dann wird er etwas böse, was die Wirkung hat, den Faden der Moralpredigt kurz abzuschneiden.

Wenn sein Vetter aber zu einer neuen Rundreise ausgezogen ist, ist Summy Skim wieder der erste, ihn zu entschuldigen.

»Ach, man darf den armen Ben nicht zürnen, pflegt er dann zu Edith zu sagen, wenn er immer nahe vor einer Eruption steht. Wenn man in seinem Leben einmal einen Vulkan besessen hat, lieber Gott, da bleibt davon doch ein Restchen übrig!«


Ende.

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TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Der Goldvulkan. Der Goldvulkan. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-75BA-2