Jules Verne
Meister Antifer's wunderbare Abenteuer


1. Theil

1. Capitel
Erstes Capitel.
In dem ein unbekanntes Schiff mit unbekanntem Kapitän auf unbekanntem Meere nach einer unbekannten Insel sucht.

Früh am Morgen – des 9. September 1831 – verließ der Kapitän seine Cajüte und begab sich nach dem erhöhten Hintertheile des Schiffes.

[5] Schon zeigte sich im Osten die Sonne oder es erhob sich vielmehr der Widerschein davon über die tieferen Schichten der Atmosphäre, denn ihre Scheibe bewegte sich noch unter dem Horizonte hin. Ein langer leuchtender Streifen zog sich über das von leichtem Wellenschlag im Morgenwinde gekräuselte Meer.

Nach einer ruhigen Nacht versprach auch der Tag schön zu werden – einer jener Septembertage, deren sich die gemäßigte Zone zu Ende der warmen Jahreszeit häufiger zu erfreuen hat.

Der Kapitän setzte sein Fernrohr vor das rechte Auge und sachte damit den vor ihm liegenden Halbkreis ab bis weit hinaus, wo Himmel und Wasser verschmelzen. Das Fernrohr senkend, näherte er sich dann dem Steuermanne, einem Alten mit struppigem Barte, dessen lebhafter Blick unter blinzelndem Augenlide hervorblitzte.

»Wann hast Du Deine Wache angetreten? fragte er.

– Um vier Uhr, Kapitän.«

Die beiden Männer bedienten sich einer seltsamen rauhen Sprache, die kein andrer Europäer, weder ein Engländer, Franzose, Deutscher oder ein andrer, verstanden hätte, wenn er nicht die Stapelplätze des Morgenlandes besucht hatte. Es war eine Art türkischen, mit syrischen Lauten vermengten Jargons.

»Nichts Neues?

– Nichts, Kapitän.

– Seit heute früh war kein Schiff in Sicht?...

– Nur eines, ein großer Dreimaster, der unter dem Winde an uns vorbeilief. Ich habe da um vier Striche angeluvt, um von ihm so fern wie möglich zu bleiben.

– Das hast Du recht gemacht. Und nun?...«

Der Kapitän durchforschte den ganzen Horizont mit größter Aufmerksamkeit. Dann rief er plötzlich laut:

»Fertig zum Wenden!«

Die Leute der Wache sprangen auf. Das Steuer wurde umgelegt, die Schoten des Focksegels wurden nachgelassen, die übrigen Segel passend gedreht, und dabei wendete das Fahrzeug und setzte unter Backbordhalsen seinen Weg nach Nordwesten fort.

Es war eine Brigg-Goëlette von vierhundert Tonnen, eigentlich ein Handelsschiff, das man aber durch einige Veränderungen zu einer Lustyacht [6] umgewandelt hatte. Unter dem Befehle des Kapitäns stand außer dem Obersteuermann eine Mannschaft von fünfzehn Köpfen, die für jedes Segelmanöver ausreichte und aus kräftigen Leuten bestand, deren aus Jacke und Mütze, langen Beinkleidern und hohen Stiefeln zusammengesetztes Costüm an das der Seeleute des Orients Europas erinnerte.

Weder am Achter der Brigg-Goëlette noch an der Schanzkleidung des Vordertheils war ein Name zu finden. Eine Flagge gab es nicht. Außerdem änderte das Schiff stets seinen Cours, wenn ein andres in seiner Nähe auftauchte, um nicht grüßen oder einen Gruß erwidern zu müssen.

War es ein Piratenschiff – deren gab es jener Zeit noch in den dortigen Gewässern – das vielleicht verfolgt zu werden fürchtete?... Nein. Man hätte an Bord vergeblich nach Waffen gesucht, und mit einer so schwachen Besatzung würde kein Schiff gewagt haben, sich den Gefahren einer solchen Bestimmung auszusetzen.

War es also ein Schmuggler, der sein betrügerisches Gewerbe längs des Ufers oder von einer Insel zur andern betrieb?... Auch das nicht, und der spitzfindigste Zollschnüssler hätte seinen Raum durchsuchen, seine Ladung umwälzen, seine Ballen sondieren, seine Kisten und Kasten durchwühlen können, ohne etwas Verdächtiges zu entdecken. Eigentlich führte es gar keine Ladung. Lebensmittel für mehrere Jahre, Tonnen mit Wein und Branntwein tief unten im Raume, und auf dem Hinterdeck unter dem Oberbau drei eichene, mit Bandeisen gut verwahrte Fässer... das war alles. Es blieb also Platz für den nöthigen Ballast, einen tüchtigen Ballast von Gußeisen, der dem Schiffe erlaubte, viel Segelwerk zu tragen.

Vielleicht denkt der Leser, jene drei Fässer hätten Pulver oder einen andern Explosivstoff enthalten....

Nein, offenbar nicht, denn man beobachtete hier keine der sonst unumgänglichen Vorsichtsmaßregeln beim Betreten des Raumes, in dem sie lagerten.

Uebrigens hätte keiner der Matrosen hierüber nähere Auskunft geben können, ebensowenig freilich über das Ziel der Brigg-Goëlette, noch über den Grund der sofortigen Coursveränderung, sobald ein andres Schiff in die Nähe kam, auch nicht über die Kreuz-und Querfahrten, die es nun bereits fünfzehn Monate lang machte, ja nicht einmal über die Gegend, wo es sich heute befand, da es bald mit vollen Segeln und bald vor nur wenig Leinwand einmal über ein Binnenmeer und dann wieder über den grenzenlosen Ocean hinglitt.

[7] Während dieser unerklärlichen Fahrt war mehrfach hohes Land in Sicht gewesen, der Kapitän entfernte sich dann aber davon so schnell wie möglich. Einzelne Inseln, die gelegentlich signalisiert wurden, umsegelte er in großem Kreise. Eine Einsicht des Logbuchs hätte merkwürdige Coursveränderungen erkennen lassen, die weder durch Umspringen des Windes, noch durch den Zustand des Himmels gerechtfertigt schienen. Sie bildeten ein Geheimniß zwischen dem Kapitän – einem Sechsundvierzigjährigen mit borstigem Kopfhaar – und einer Persönlichkeit mit vornehmer Erscheinung, die eben jetzt aus der Treppenkappe hervortrat.

»Nichts?... fragte der Herr.

– Nichts, Excellenz...«, lautete die Antwort.

Eine Bewegung der Enttäuschung mit den Schultern beendete das, aus ganzen drei Wörtern bestehende Gespräch. Dann stieg der Herr, dem der Kapitän jenen Ehrentitel beigelegt hatte, wieder die Treppe hinunter und verschwand in seiner Cabine. Auf einem Divan ausgestreckt, schien er hier einer Art Schlafsucht zu verfallen. Und obwohl er sich nicht regte, als ob diese sein ganzes Sein und Wesen gefesselt hielte, schlief er doch nicht. Man fühlte vielmehr heraus, daß er unter dem Drucke einer fixen Idee stehen müsse.

Diese Persönlichkeit mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Seine hohe Gestalt, der mächtige Kopf, das üppige, schon ergrauende Haar, sein langer, über die Brust getheilt herabwallender Bart, die durch einen scharfen Blick belebten Augen, der stolze, doch offenbar bekümmerte, ja entmuthigte Gesichtsausdruck und die Würde seines Auftretens verriethen in ihm den Mann von hoher Herkunft. Sein Anzug war unmöglich zu erkennen. Ein weiter brauner Burnus, mit Schnurenbesatz und vielfarbigen Flittern an den Aermeln, verhüllte ihn von den Schultern bis zu den Füßen, und auf dem Kopfe trug er eine grünliche Mütze mit schwarzer Troddel.

Zwei Stunden später setzte ihm ein junger Bursche das Frühstück auf einem, am Fußboden der Cabine befestigten Tische vor. Den Fußboden selbst bedeckte ein dichter bunter Teppich mit etwas hervortretendem Blumenmuster. Kaum that er den verlockend angerichteten Speisen einigen Bescheid, außer dem frischen, duftenden Kaffee, den zwei silberne, sein ciselierte Tassen enthielten, dann wurde ihm ein Nargileh, aus dem wohlriechende Wölkchen aufstiegen, vorgesetzt, und er überließ sich, das Bernsteinmundstück zwischen den über einer blendenden Zahnreihe etwas geöffneten Lippen haltend, inmitten des milden Duftes des Latakieh wieder seiner gewohnten Träumerei.

[8] So verfloß ein Theil des Tages, während die Brigg-Goëlette, von langer Dünung leicht geschaukelt, ihren unbestimmten Lauf über das Meer fortsetzte.

Gegen vier Uhr erhob sich Seine Excellenz, ging einige Male auf und ab, blieb einen Augenblick vor den halboffenen runden Lichtpforten stehen, ließ den Blick über den ganzen Horizont schweifen und machte dann vor einer Art Klappthüre Halt, die durch einen Teppich maskiert war. Diese Klappthür, die sich dadurch in Bewegung setzte, daß man mit dem Fuße gegen eine bestimmte [9] Ecke derselben drückte, gewährte Zutritt zu dem unter dem Fußboden der Cabine befindlichen Laderaume.

Hier lagen dicht nebeneinander die schon erwähnten drei, mit Eisenreifen verwahrten Fässer. Ueber die Oeffnung gebeugt, starrte der Mann kurze Zeit hinunter, als ob der Anblick der Fässer ihn hypnotisierte. Dann richtete er sich auf und murmelte:


Auf einem Divan ausgestreckt... (S. 8.)

»Nein, nein... kein Zögern! Finde ich kein noch unentdecktes Eiland, wo ich sie unbemerkt verscharren kann, so ist es besser, sie werden ins Meer geworfen!«

Wieder schloß er die Klappthür, über die sich der Teppich niedersenkte, und dann bestieg er die Cajütentreppe und begab sich nach dem Oberdeck hinaus.

Es war jetzt Nachmittag um fünf Uhr. Ein Witterungswechsel war nicht eingetreten. Helle rundliche Wölkchen bedeckten den Himmel. Von leichter Brise kaum etwas geneigt, zog das Schiff unter Backbordhalsen dahin und ließ einen seinen Streifen Kielwasser hinter sich, der allmählich mit den niedrigen Wellen verschmolz.

Seine Excellenz durchlief mit dem Blicke langsam einen Theil des klaren, azurblauen Horizontes. Von dem Platze, den er einnahm, wäre eine nur mittelhohe Küste auf vierzehn bis fünfzehn Seemeilen hin gewiß sichtbar gewesen. Kein Profil zeichnete sich aber an der Linie, wo Himmel und Wasser zusammentrafen, ab.

Der Kapitän, der eben herantrat, wurde wie gewöhnlich empfangen mit der Frage:

»Nichts?..., und darauf lautete wie gewöhnlich die Antwort:

– Nichts, Excellenz.«.

Der vornehme Herr schwieg einige Minuten; dann setzte er sich auf eine Bank des Oberdecks, während der Kapitän hin und herging, und er immer einmal durch das Fernrohr blickte.

»Kapitän! rief er nach einer letzten Umschau über das Meer.

– Was steht Eurer Excellenz zu Befehl?

– Ich möchte genau wissen, wo wir uns jetzt befinden.«

Der Kapitän holte eine, in großem Maßstabe gehaltene Seekarte, die er auf dem Dahlbord entfaltete.

»Hier! antwortete er und wies mit einem Bleistifte nach der Durchschnittsstelle eines Breitengrades und eines Meridians.

– In welcher Entfernung von dieser Insel im Osten?

[10] – Gegen zweiundzwanzig Seemeilen.

– Und von dem Lande da?...

– Etwa sechsundzwanzig.

– Auf dem Schiff weiß niemand, in welchem Gewässer wir jetzt segeln?

– Niemand, außer Ihnen und mir, Excellenz.

– Auch nicht, durch welches Meer wir überhaupt fahren?

– Wir kreuzen schon seit so langer Zeit nach rechts und nach links hin, daß das auch der beste Seemann nicht zu sagen wüßte.

– O, warum hindert mich ein Unstern, eine Insel zu finden, die den Nachforschungen der Seefahrer noch entgangen wäre, und wenn keine Insel, nur ein Eiland, nur einen Felsen, dessen Lage mir allein bekannt wäre! Ich hätte diese Schätze vergraben, und eine kurze Fahrt hätte genügt, sie wieder zu holen, wenn die Zeit dazu überhaupt jemals käme.«

Nach diesen halblaut gemurmelten Worten versank der Herr wieder in tiefes Schweigen und neigte sich über die Schanzkleidung hinaus. Hier starrte er in die klare Fluth, die so durchsichtig war, daß man bis auf achtzig Fuß hinunter deutlich sehen konnte; dann wendete er sich etwas heftig zurück.

»Nun wohl, rief er, hier ist der Abgrund, dem ich meine Reichthümer anvertrauen werde.

– Der sie aber niemals wieder herausgeben wird, Excellenz!

– So mögen sie lieber zu Grunde gehen, als in feindliche oder unwürdige Hände zu fallen!

– Wie es Ihnen beliebt.

– Wenn wir bis heute Abend in dieser Gegend nicht ein unbekanntes Eiland aufgefunden haben, werden die drei Fässer ins Meer geworfen.

– Ganz wie Sie befehlen!« erwiderte der Kapitän, der eben wieder mehr gegen den Wind anlaufen ließ.

Der große Herr begab sich hierauf nach dem äußersten Hintertheil und verfiel hier, sich auf den Dahlbord stützend, wieder in die träumerische Starrsucht, die er so häufig zeigte.

Die Sonne sank ziemlich schnell herab. Heute, am 9. September, also vierzehn Tage vor dem Herbstäquinoctium, sollte ihre Scheibe wenige Grade jenseits des Westpunktes verschwinden, das heißt an einer Stelle des Horizontes, die eben die Aufmerksamkeit des Kapitäns besonders auf sich gezogen hatte. Es schien ihm nämlich, als erhebe sich in dieser Richtung ein hohes Vorgebirge, das mit [11] einem größeren Lande oder einer Insel zusammenhängen mochte. Und doch war das nicht anzunehmen, denn die Seekarte verzeichnete kein Land im Umkreise von fünfzehn bis zwanzig Meilen in diesen von Handelsschiffen vielfach befahrenen und daher allen Seeleuten wohlbekannten Gewässern. War es also ein isolierter Felsen, jene die Wasserfläche um mehrere Toisen überragende Klippe, die vielleicht jene, bisher vergeblich gesuchte verborgne Stelle bot, an der Seine Excellenz seine Schätze vergraben wollte? Die hydrographischen, in diesen Meeren besonders sorgfältigen Aufnahmen ließen nichts ähnliches annehmen.

Ein Eiland mit der dasselbe umtosenden Brandung, mit seinem Wasserstaub und Wirbeln hätte der Aufmerksamkeit der Seefahrer hier nicht entgehen können, und dann mußte sich seine Lage auf den Karten genau eingezeichnet finden. Nach der seinigen aber konnte der Kapitän versichern, daß sich nicht einmal eine einsame Klippe in dem Raume vorfand, den er weithin zu überblicken vermochte.

»Eine Täuschung!« dachte er, nachdem er das Fernrohr noch einmal dahin gerichtet und den betreffenden Punkt scharf ins Auge gefaßt hatte. In der That hätte er durch sein Glas die zarteste Linie erkennen müssen.

Eben jetzt – es war einige Minuten nach sechs Uhr – berührte der Sonnenball – zischead, wenn man den alten Iberiern glauben darf – den Rand des Horizonts. Beim Untergang wie beim Aufgang machte ihn die Refraction noch kurze Zeit sichtbar, wenn er sich noch oder wieder unter dem Horizonte befand. Das schräg auf die Wasserfläche fallende Licht schoß in schmalem Strahle weit von Westen bis nach Osten hinaus. Die letzten schwachen Wellen, die mehr Feuerbündeln glichen, flachten sich in der abflauenden Brise mehr und mehr ab. Dieser Schein erlosch sofort, als der obere Theil der Sonnenscheibe, kurz bevor er sich vom Horizonte losriß, seinen letzten grünen Strahl entsandte. Der Rumpf der Brigg-Goëlette färbte sich dunkler, während ihre höheren Segel noch im Purpurscheine des Abendlichtes erglänzten.

Gerade als der Vorhang der Dämmerung herabzusinken begann, ließ sich aus dem Takelwerk des Fockmastes eine Stimme vernehmen.

»Ohe!...

– Was giebt es? fragte der Kapitän.

– Land in Sicht vor Steuerbord!«

Ein Land in der Richtung, in welcher der Kapitän wenige Minuten vorher schwache Umrisse erkannt zu haben glaubte?... Er hätte sich also doch nicht [12] getäuscht? Bei dem Rufe des Ausgucks waren die Leute von der Wache in die Wanten geklettert und blickten nach Westen hinaus. Mit dem Fernrohre am Riemen erklomm auch der Kapitän die Strickleiter des Großmastes, setzte sich reitend auf die Raae des Großsegels und suchte, das Glas vor dem Auge, den Horizont an der bezeichneten Stelle ab.

Der Ausguck hatte sich nicht getäuscht. In der Entfernung von sechs bis sieben Meilen tauchte ein Eiland auf, dessen Umrisse sich dunkel von der noch farbenglühenden Himmelswand abhoben. Man hätte es für eine Klippe von mäßiger Höhe halten können, deren Gipfel eine Wolke schwefliger Dünste umhüllte. Fünfzig Jahre später hätte jeder Seemann das für die Rauchsäule eines Dampfers angesehen.

Im Jahre 1831 aber dachte man noch gar nicht daran, daß die Oceane einmal von jenen gewaltigen Maschinen durchfurcht werden würden.

Der Kapitän hatte indeß kaum Zeit zu sehen, und noch weniger über das Gesehene nachzudenken.

Das signalisierte Land verschwand fast sofort im Nebeldunst des Abends. Doch – es war gesehen, deutlich gesehen worden. Hierüber konnte kein Zweifel bestehen.

Der Kapitän stieg wieder nach dem Oberdeck hinab, und der Herr, den dieser Zwischenfall aus seinem Hinbrüten erweckt hatte, gab ihm ein Zeichen, näher zu kommen.

Wieder entspann sich das gewöhnliche Zwiegespräch.

»Nun?...

.... Eure Excellenz...

– Ein Land in Sicht?

– Wenigstens ein Eiland.

– In welcher Entfernung?

– Etwa sechs Seemeilen im Westen.

– Und auf der Karte findet sich an dieser Stelle nichts?

– Gar nichts.

– Bist Du Deiner Sache sicher?

– Vollkommen!

– Das wäre also eine unbekannte Insel?

– Nach meiner Ansicht, ja.

– Ist das überhaupt glaubhaft?

[13] – Warum nicht, Excellenz, wenn das Eiland erst neuerdings aufgetaucht wäre....

– Neuerdings?..

– Das ist leicht möglich, denn es schien mir von vulcanischen Dämpfen umhüllt. In dieser Gegend kommt es nicht so selten zu Umwälzungen, die sich durch Hebungen und Senkungen des Meeresbodens zeigen.

– Möchtest Du wahr sprechen, Kapitän! Ich könnte mir nichts besseres wünschen, als diese eben aus dem Meere aufgestiegenen Felsmassen! Diese würden noch niemand angehören.

– Oder, Excellenz, sie gehörten vielmehr dem ersten Besitzergreifer.

– Das wäre ich also.

– Jawohl, Sie, Excellenz.

– Laß gerade auf jenes Land zuhalten.

– Gerade... aber vorsichtig! erwiderte der Kapitän. Unsere Brigg-Goëlette liefe Gefahr zertrümmert zu werden, wenn etwa unterseeische Klippen weiter hinausreichten. Ich schlage vor, den Tag abzuwarten, um klar zu sehen und dann das Eiland anzulaufen....

– Gut, warten wir so lange, doch sorge, daß wir inzwischen näher herankommen.

– Zu Ihrem Befehl!«

Eine solche Vorsicht ist stets geboten. Ein Schiff darf sich nicht auf ihm unbekanntes, seichteres Wasser wagen. Bei der Annäherung an ein solches Land muß fortwährend die Sonde benützt werden, und in der Nacht gilt es doppelte Vorsicht.

Der hohe Herr zog sich nach seiner Cabine zurück, und wenn ihm der Schlummer auch sehr bald die Lider schloß, so brauchte ihn diesmal der Schiffsjunge gewiß nicht beim ersten Tagesgrauen zu wecken, er erschien jedenfalls schon vor Sonnenaufgang auf dem Oberdeck.

Der Kapitän selbst wollte das Oberdeck weder verlassen, noch dem Obersteuermann zumuthen, die ganze Nacht hindurch zu wachen. Jetzt wurde es allmählich dunkel und der Horizont verschwand mehr und mehr, während sein Durchmesser sich verkleinerte. Oben im Zenith mußten die letzten, von zerstreutem Licht erhellten Wölkchen bald erlöschen. Seit einer Stunde regte sich kaum ein Lufthauch. Man ließ nur die nothwendigen Segel stehen, um die Brigg-Goulette steuern und in der gewünschten Richtung halten zu können.

[14] Inzwischen flammten am Himmel die ersten Sterne auf. Im Norden blinkte der Polarstern gleich einem unbeweglichen Auge ohne besondern Glanz hernieder, während der Arktur nahe dem Bogen des großen Bären flammte. Dem Polarstern gegenüber leuchtete das doppelte V der Cassiopeja. Weiter unten erschien die Capella, genau an der Stelle, wo sie am Tage vorher aufgegangen war und wo sie – nur mit vier Minuten Vorsprung, die durch den um ebensoviel kürzeren Sideraltag bedingt werden – sich am nächsten Tage erheben sollte. Auf der Oberfläche des eingeschlafenen Meeres herrschte jene unausdrückbare Stille, die sie mit Einbruch der Nacht umfängt.

Der Kapitän auf dem Vorderdeck verhielt sich eben so schweigsam, wie der Arm des Gangspills, auf den er sich stützte. Den Kopf unbewegt haltend, dachte er an nichts, als an den im Dämmerschein des Abends beobachteten Punkt in der Ferne. Leise Zweifel stiegen in ihm auf, Zweifel, die die Finsterniß nur noch drückender machten. Hatte er sich doch vielleicht durch eine Täuschung gefangen nehmen lassen? War wirklich ein neues Eiland an jener Stelle emporgestiegen? Ja... ganz gewiß. Diese von ihm hundertmal befahrne Seegegend kannte er ja ganz genau. Das Besteck hatte ihm seine Lage auf eine Seemeile genau angegeben und acht bis zehn Stunden trennten ihn von dem nächstgelegenen Lande. Doch wenn er sich nicht getäuscht hatte, wenn an dieser Stelle eine Insel aus der Tiefe des Meeres aufgestiegen war, konnte sie ja schon in Besitz genommen sein, wozu nur irgend ein Seefahrer seine Nationalflagge hätte aufzuziehen brauchen. Die Engländer, die Lumpensammler des Oceans, stöbern schnell genug jedes Stückchen Erde auf, das sich in den Fluthen spiegelt, und stecken es in ihren Quersack. Wenn auf dem Felsen jetzt ein Feuer aufleuchtete, bewies das seine schon stattgefundene Besitzergreifung. Der Klippenhausen könnte ja schon seit Wochen oder gar seit Monaten aufgestiegen, und dann würde er den Augen der Seeleute und dem Sextanten der Hydrographen gewiß nicht entgangen sein.

Beunruhigende Gedanken dieser Art erklären es wohl, daß der Kapitän den Morgen mit größter Ungeduld erwartete. Augenblicklich zeigte nichts mehr die Lage des Landes an, nicht einmal der Widerschein der Dämpfe, die es zu bedecken schienen und die ja mit dunklem Glanze schwach hätten durch die Nacht schimmern können. Aeußerlich lag auf Himmel und Wasser die gleiche tiefe Finsterniß.

Die Stunden verflossen. Schon hatten die Sterne rund um den Nordpol mit der sich drehenden Weltaxe den vierten Theil eines Kreises beschrieben.


Inzwischen flammten am Himmel die ersten Sterne auf. (S. 15.)

Gegen vier Uhr drang in Ostnordost der erste blei [15] che Tagesschimmer herauf, als die Sonne noch einige Grade emporzusteigen hatte, um den Horizont zu berühren.


Ein Seemann war es, der Kamylk-Pascha in Schutz nahm. (S. 19.)

Sehr heller Beleuchtung bedurfte aber ein Seemann gar nicht, um die signalisierte Insel, wenn eine solche vorhanden war, wieder aufzufinden.

In diesem Moment trat der Herr aus der Treppenkappe und nahm auf dem Verdeck Platz, wo sich der Kapitän eben befand.

»Nun also... die Insel? begann er.

[16] – Da ist sie, Excellenz, erklärte der Kapitän, der auf ein kaum zwei Seemeilen entferntes Felsengewirr hinwies.

– Wir wollen dort landen....

– Wie Sie befehlen.«

[17]
2. Capitel
Zweites Capitel.
Worin einige unentbehrliche Erklärungen gegeben werden.

Der freundliche Leser möge nicht allzusehr erstaunen, wenn Mehemet Ali zu Anfang dieses Capitels auf der Scene erscheint. Von welcher Bedeutung der berühmte Pascha in der Geschichte der Levante auch ist, er wird in dieser Erzählung nur vorkommen in Folge der – übrigens unangenehmen – Beziehungen, in denen der Gründer des modernen Aegyptens mit der auf der Brigg-Goëlette eingeschifften Persönlichkeit gestanden hatte.

Jener Zeit hatte Mehemet Ali noch nicht begonnen, mit Hilfe der Armee seines Sohnes Ibrahim, Palästina und Syrien zu erobern, die dem Sultan Mahmud, dem Souverän der europäischen und der asiatischen Türkei, gehörten.

Im Gegentheil, der Sultan und der Pascha standen damals auf freundschaftlichstem Fuß miteinander, und dieser hatte jenem seine thatkräftigste Mitwirkung geliehen, um Morea zu unterwerfen und die Unabhängigkeitsbestrebungen des kleinen Königreichs Griechenland zu lähmen.

Einige Jahre hindurch verhielten sich Mehemet Ali und Ibrahim in ihrem Paschalik ganz ruhig. Das Vasallenverhältniß aber, in dem sie zu der Pforte standen, lastete schwer auf ihrem Ehrgeiz, und sie lauerten nur auf eine passende Gelegenheit, sich zu erleichtern und die seit Jahrhunderten eng angespannten Fesseln zu brechen.

In Aegypten lebte jener Zeit ein Mann, dessen von vielen Generationen auf seinem Haupte angesammeltes Vermögen zu den größten im Lande zählte. Dieser Mann wohnte in Kairo. Er nannte sich Kamylk-Pascha, und er war es, den der Kapitän der Brigg-Goëlette mit »Excellenz« anredete.

Ein durchwegs gebildeter Mann, war er vorzüglich in allen mathematischen Wissenszweigen und in deren praktischer und selbst phantastischer Ausnützung wohl erfahren. Stark angesteckt vom Orientalismus, war er vor allem aber von Herzen Ottomane, wenn auch Aegypter von Geburt. In der Ueberzeugung, daß gegenüber den Versuchen des abendländischen Europa zur Unterwerfung der Völker der Levante der Widerstand nachdrücklicher seitens des Sultans Mahmud,

[18] als seitens Mehemet Ali's sein würde, warf er sich mit Leib und Seele in den Kampf.

Im Jahre 1780 in einer Soldatenfamilie geboren, zählte er kaum zwanzig Jahre, als er sich der Armee Djezzar's anschloß, wo er in Folge bewiesenen Muthes bald den Titel und Rang eines Pascha erlangte. Schon 1799 setzte er Freiheit, Vermögen und Leben auf's Spiel, als er sich gegen die Franzosen unter Führung Bonaparte's nebst den Generalen Kleber, Régnier, Lannes, Bon und Murat wie ein Löwe schlug. Nach der Schlacht bei El-Arisch mit den Türken gefangen, hätte er seine Freiheit erlangen können, wenn er das schriftliche Versprechen abgab, nicht ferner gegen die Truppen Frankreichs zu kämpfen. Doch entschlossen, bis an's Ende zu streiten, immer in der Hoffnung auf einen unwahrscheinlichen Glückswechsel und halsstarrig in Thaten wie in Gedanken, verweigerte er es, sein Ehrenwort zu verpfänden. Wirklich gelang es ihm, zu entfliehen, und später traf man ihn wüthender als je vorher bei allen Zusammenstößen, die in dem Conflict der beiden Rassen vorkamen.

Nach der Uebergabe von Jaffa, am 6. März, gehörte er zu denen, die in den Capitulations-Bedingungen freien Abzug zugesichert erhielten. Als die gegen viertausend Mann zählenden Gefangenen, Albanesen und Arnauten, Bonaparte vorgeführt wurden, zeigte sich dieser über die Gefangennahme keineswegs erfreut, denn er fürchtete, daß die Leute sich beeilen würden, die Truppen des Pascha von Saint-Jean d'Acre zu verstärken. Hier zeigte er auch schon, daß er zu den Eroberern gehörte, die vor nichts zurückschrecken, und gab Befehl, alle zu erschießen.

Dieses Mal bot man ihnen nicht, wie früher den Gefangenen von El-Arisch, an, sie unter der Bedingung, nicht wieder ins Feld zu ziehen, zurückzuschicken, man verurtheilte sie einfach zum Tode. So erlagen sie auf dem Strande, und die, die von den Kugeln verschont geblieben waren und glaubten, daß sie begnadigt seien, fanden noch zum größten Theile den Tod, als sie der Küste zueilten.

Kamylk-Pascha sollte freilich hier und auf diese Weise nicht umkommen. Er traf auf einige Männer, Franzosen – zu ihrer Ehre sei hier daran erinnert – die sich vor diesem schauerlichen Gemetzel, wenn es im Krieg vielleicht auch nicht zu umgehen war, entsetzten. Den braven Leuten gelang es, einzelne Gefangene zu retten. Einer davon war es, ein Seemann von der Handelsflotte, der in der Nacht in der Nähe der Klippen umherirrte, auf denen sich einzelne [19] Unglückliche versteckt halten konnten, und der Kamylk-Pascha, welcher von einer Kugel schwer verwundet war, unter seinen Schutz nahm. Er brachte ihn nach einem sichern Orte, pflegte und heilte ihn in einer Weise, daß dieser ihm den erwiesenen Liebesdienst gewiß nie vergessen konnte. Wie er ihn später und unter welchen Verhältnissen wieder fand, das bildet den Inhalt dieser merkwürdigen und wahrhaftigen Erzählung.

Kurz, drei Monate später war Kamylk-Pascha wieder auf den Füßen.

Der Feldzug Bonaparte's war vor Saint-Jean d'Acre gescheitert. Unter dem Commando Abdallah's, des Paschas von Damaskus, hatte die türkische Armee am 4. April den Jordan überschritten, und auf der andern Seite kreuzte das englische Geschwader unter Sydney Smith in den Gewässern Syriens. Obgleich Bonaparte die Division Kleber mit Junot dahin gesendet und er sich sogar persönlich nach dem Kampfplatz begeben hatte, obgleich er die Türken in der Schlacht am Berge Tabor zermalmte, war es doch zu spät, als er eintraf, Saint-Jean d'Acre auf's neue zu bedrohen. Die Festung hatte eine Verstärkung von zwölftausend Mann erhalten. Vereinzelt trat die Pest auf. Am 20. Mai entschloß sich Bonaparte, die Belagerung aufzugeben.

Kamylk-Pascha glaubte jetzt nach Syrien zurückkehren zu dürfen. Sich nach Aegypten, nach dem jener Zeit tief erschütterten Lande, zu begeben, wäre die schlimmste Unklugheit gewesen. Er mußte warten, und Kamylk Pascha wartete volle fünf Jahre. Dank seinem großen Vermögen lebte er in verschiedenen Provinzen auf großem Fuße und geschützt gegen ägyptische Habgier.

In diese Zeit fiel das Auftreten des Sohnes eines einfachen Aga, dessen hoher Muth schon in der Schlacht von Abukir 1799 aufgefallen war. Mehemet Ali erfreute sich bereits eines solchen Einflusses, daß er die Mameluken zu bestimmen vermochte, sich gegen den Gouverneur Khosrew-Pascha zu erheben, sich gegen ihren Anführer aufzulehnen, Khurschid, den Nachfolger Khosrew's abzusetzen, und daß er es schließlich wagen konnte, sich mit Zustimmung der Hohen Pforte zum Vicekönig zu erklären.

Zwei Jahre vorher war Djezzar, der Beschützer Kamylk-Paschas, gestorben. Da dieser sich jetzt im Lande allein sah, glaubte er, durch seine Rückkehr nach Kairo keine weitere Gefahr zu laufen.

Er zählte jetzt siebenundzwanzig Jahre, und neuere Erbschaften, die ihm zufielen, hatten ihn zu einem der reichsten Männer Aegyptens gemacht. Einer Eheschließung mehr abhold, von wenig mittheilsamem Charakter und geneigt zu [20] einem möglichst zurückgezogenen Leben, hatte er nur seine lebhafte Vorliebe für den Soldatenberuf bewahrt. In der Erwartung, daß sich schon noch Gelegenheit zur Bethätigung seiner Fähigkeiten bieten werde, wollte er der natürlichen Lebhaftigkeit seines Alters durch lange und weite Reisen genug thun.

Da Kamylk-Pascha keine directen Nachkommen hatte, entstand die Frage, wem sein ungeheures Vermögen einmal zufallen sollte, und hierbei konnte nur irgend ein Seitenverwandter in Betracht kommen.

Ein gewisser Murad, geboren 1786, also sechs Jahre später als er, war sein Vetter, mit dem er aber, da die politischen Ansichten der beiden Männer nicht übereinstimmten, gar nicht zusammentraf, obwohl Beide in Kairo wohnten.

Kamylk-Pascha huldigte den Interessen der Pforte, und hatte das, wie wir wissen, schon thatsächlich bewiesen. Murad dagegen bekämpfte den ottomanischen Einfluß in Worten und Werken und wurde zum eifrigsten Berather Mehemet Ali's bei dessen Unternehmungen gegen den Sultan Mahmud.

Dieser Murad, der einzige Verwandte Kamylk-Paschas, doch eben so arm, wie der andere reich, konnte auf das Vermögen seines Vetters nur rechnen, wenn es zwischen ihnen zu einer Aussöhnung kam. Das sollte aber nicht der Fall sein. Im Gegentheil höhlte die Gereiztheit, ja der Haß mit allen seinen tollen Folgen zwischen den beiden Mitgliedern dieser Familie einen immer tieferen Abgrund aus.

Achtzehn Jahre verliefen von 1806 bis 1824, während der die Regierung Mehemet Ali's durch keine äußeren Kriege gestört wurde. Dagegen mußte dieser gegen den zunehmenden Einfluß und das bedrohliche Auftreten der Mameluken, seiner Helfershelfer, ankämpfen, denen er früher den Thron zu verdanken hatte. Ein allgemeines Gemetzel, das 1811 in Aegypten stattfand, befreite ihn von dieser lästig gewordenen Miliz.

Seitdem genossen die Unterthanen das Vicekönigs lange Jahre der Ruhe, und dessen Verhältniß zu dem Divan gestaltete sich ganz vorzüglich – wenigstens dem Anscheine nach, denn der Sultan hegte mit Recht stets ein gewisses Mißtrauen gegen seinen Vasallen.

Kamylk-Pascha war gar oft dem Uebelwollen Murad's ausgesetzt. Gestützt auf die Beweise der Gunst und Theilnahme, die er vom Vicekönig erhielt, hörte er nicht auf, seinen Herrn gegen den reichen Aegypter einzunehmen. Er erinnerte ihn unaufhörlich daran, daß dieser ein Parteigänger Mahmud's, ein Freund der Türken sei, für die er sein Blut vergossen habe. Seiner Darstellung nach war er eine gefährliche Persönlichkeit, ein Mann, der überwacht werden mußte... [21] vielleicht ein Spion.... Dieser enorme Reichthum in einer Hand bildete schon an sich eine Gefahr – kurz, er führte alles mögliche an, was nur die Begehrlichkeit eines grundsatz- und gewissenlosen Machthabers reizen konnte.

Kamylk-Pascha legte dem allen zunächst keinen Werth bei. Er lebte in Kairo völlig eingezogen, und es mußte schwierig sein, ihm eine Falle zu stellen, in die er gegangen wäre. Wenn er Aegypten verließ, so geschah das nur, um große Reisen zu unternehmen. Dann verbrachte er sein zielloses, durch stolze Gleichgiltigkeit gegen die Menschen gekennzeichnetes Leben auf einem ihm gehörigen Schiffe, das der um fünf Jahre jüngere und ihm unter allen Umständen ergebene Kapitän Zo seinen Launen gehorsam über die Meere Asiens, Afrikas und Europas führte.

Das legt die Frage nahe, ob er den französischen Seemann, der ihn einst aus dem mörderischen Kugelregen Bonaparte's rettete, vergessen hatte. Vergessen gewiß nicht, denn eines solchen Dienstes vergißt ja keiner. Belohnt hatte er denselben allen Anscheine nach aber auch noch nicht, ebensowenig hätte jemand zu sagen vermocht, ob Kamylk-Pascha das noch nachzuholen gedachte, wenn seine Ausflüge zur See ihn einmal in die französischen Gewässer brachten.

Etwa von 1812 ab konnte der reiche Aegypter sich jedoch nicht länger verhehlen, daß er während seines Aufenthalts in Kairo stets genau überwacht wurde. Mehrere geplante Reisen wurden ihm auf Befehl des Vicekönigs sogar direct untersagt. Infolge der Eingebungen seines Vetters erschien jetzt seine Freiheit ernstlich bedroht.

Im Jahre 1823 verheiratete sich dieser ihm übelgesinnte Verwandte unter Verhältnissen, die ihm auch keine besondre gesellschaftliche Stellung sicherten. Er hatte ein junges Fellahmädchen, fast eine Sclavin, zur Frau genommen. Es ist also nicht so verwunderlich, daß er seine heimlichen Hetzereien in der Hoffnung, Kamylk-Paschas Existenz zu ruinieren, fortsetzte, indem er den Einfluß benutzte, den er bei Mehemet Ali und dessen Sohn Ibrahim noch immer besaß.

Da begann für Aegypten eine kriegerische Periode, in der seine Waffen ruhmvoll glänzten. Griechenland hatte sich 1824 gegen den Sultan Mahmud erhoben, und dieser rief seine Vasallen zur Niederwerfung des Aufstandes zu Hilfe. Mit einer Flotte von hundertzwanzig Segeln begab sich Ibrahim nach Morea, wo er seine Streitkräfte ans Land setzte.

Jetzt bot sich Kamylk-Pascha Gelegenheit, seinem Leben wieder einigen Reiz zu verleihen, sich in gefährlichen – seit zwanzig Jahren ungeübten – [22] Abenteuern neu zu stählen, und danach verlangte ihn desto mehr, als es sich um Aufrechthaltung der durch die Erhebung des Peloponnes bedrohten Rechte der Pforte handelte. Er wollte in die Armee Ibrahim's eintreten – man schlug es ihm ab. Er wollte als Officier unter den Truppen des Sultans dienen – auch hier sah er sich zurückgewiesen. Offenbar war das auf eine ihm feindliche Einwirkung zurückzuführen, der daran lag, den steinreichen Mann nicht aus dem Gesicht zu verlieren.

Der Unabhängigkeitskampf der Griechen sollte diesmal zum Vortheil der heldenhaften Nation ausfallen. Nach drei Jahren, während die Freiheitskämpfer von Ibrahim's Heeresmacht unmenschlich verfolgt wurden, zerstörte eine vereinigte englische, französische und russische Flotte die ottomanischen Kriegsschiffe in der Seeschlacht bei Navarin (1827), was den Vicekönig zwang, seine Schiffe und seine Truppen nach Aegypten heimzuführen. Ibrahim begab sich also mit Murad, der ihn begleitet hatte, wieder nach Kairo zurück.

Von diesem Tage ab verschlimmerte sich die Lage Kamylk-Paschas. Murad's Haß gegen ihn loderte nur noch mehr auf, als jenem 1829 von der jungen Fellah ein Sohn geboren wurde. Damit erhielt wohl die Familie einen Zuwachs, nicht aber deren Vermögen. Desto begehrenswerther erschienen Murad nun die Schätze seines Vetters. Der Vicekönig würde sich ja kaum weigern, zur Beraubung des Mannes die Hand zu leihen. Dergleichen Gefälligkeiten kommen nicht nur in Aegypten, sondern auch in Ländern mit weniger orientalischer Civilisation vor.

Der Sprößling Murad's erhielt – was der Leser gefälligst merken möge – den Namen Saouk.

Gegenüber dieser Lage der Dinge begriff Kamylk-Pascha, daß ihm nur übrig bliebe, sein Vermögen, das großentheils in Diamanten und andern Edelsteinen bestand, zusammenzuraffen und außerhalb Aegyptens in Sicherheit zu bringen. Das that er denn auch in ebenso kluger wie geschickter Weise mit Hilfe einiger in Alexandria ansässiger Ausländer, denen sich der Aegypter offen anvertraute. Er sollte nicht enttäuscht werden, und alles vollzog sich in erwünschter Heimlichkeit. Wer die Fremden waren und welcher Nation sie angehörten, das wußte nur Kamylk-Pascha ganz allein.

Drei doppelwandige und von eisernen Reisen umgebene Fässer, die ganz den Eimerfässern glichen, worin der spanische Wein versendet wird, hatten hingereicht, jene Schätze zu bergen. Diese wurden unbemerkt an Bord eines neapolitanischen Speronare geschafft, auf dem sich ihr Besitzer in Begleitung des[23] Kapitän Zo, freilich unter vielerlei Gefahren, eingeschifft hatte, denn jener war von Kairo bis Alexandria verfolgt und seit seinem Eintreffen in dieser Stadt niemals aus dem Auge gelassen worden.

Fünf Tage darauf setzte der Speronare ihn im Hafen von Latakie ans Land, und von hier aus erreichte er Aleppo, den von ihm vorläufig erwählten Wohnsitz. In Syrien, das unter der Verwaltung seines alten Generals Abdallah, des derzeitigen Pascha von Saint-Jean d'Acre stand, hatte er von Murad ja nichts mehr zu fürchten. So kühn Mehemet Ali auch sein mochte, voraussichtlich konnte er ihm tief in einer Provinz, über die der Hohen Pforte alle Rechte zustanden, weder schaden, noch sich seiner Person bemächtigen.

Und doch sollte das vielleicht möglich werden.

Im Jahre 1830 nämlich brach Mehemet-Ali plötzlich alle Beziehungen zum türkischen Großherrn ab. Die Vasallenbande, die ihn an Mahmud fesselten, zu zerreißen, Syrien seinen ägyptischen Besitzungen einzuverleiben, vielleicht gar Beherrscher des ganzen Türkenreichs zu werden – solche Gedanken waren für den Ehrgeiz des Vicekönigs nicht zu hoch. Ein Vorwand war ja leicht genug gefunden.

Von den Beamten Mehemet Ali's bedrückte Fellahs hatten in Syrien unter Abdallah Schutz gesucht. Der Vicekönig verlangte die Auslieferung der Bauern. Der Pascha von Saint-Jean d'Acre verweigerte diese.

Mehemet Ali bestürmte den Sultan um die Ermächtigung, Abdallah mit Waffengewalt zu zwingen. Mahmud antwortete zunächst, daß jener die Fellahs als türkische Unterthanen dem Vicekönig von Aegypten nicht auszuliefern habe, bald darauf aber gab er, da es ihm darauf ankam, sich der Unterstützung Mehemet Ali's oder wenigstens dessen Neutralität beim Ausbrechen des Aufstandes des Paschas von Scutari zu sichern, die gewünschte Vollmacht.

Verschiedene Ereignisse, unter anderen das Auftreten der Cholera in den Hafenplätzen der Levante, verzögerten den Aufbruch Ibrahim's an der Spitze von zweiunddreißigtausend Mann und einer Flotte von zweiunddreißig Schiffen. Kamylk-Pascha erhielt damit Zeit, die ihm drohende Gefahr zu durchschauen, wenn die Aegypter wirklich in Syrien landeten.

Er war jetzt einundfünfzig Jahre alt, und einundfünfzig Jahre eines schwer bewegten Lebens bringen einen Mann schon nahe an die Schwelle des Greisenalters.

[24] Ermüdet und entmuthigt, aller Illusionen beraubt und nur voll Verlangen nach der Ruhe, die er in der stillen Stadt Aleppo erhofft hatte, sollte ihm diese doch durch die Zeitereignisse nicht gewährt werden.


Bald darauf saß der Kapitän in der Jolle. (S. 29.)

Es war vielleicht schon unklug von ihm, in Aleppo zu bleiben, als Ibrahim sich gegen Syrien in Bewegung setzte, obwohl es sich zu Anfang ja nur um eine Bestrafung des Pascha von Saint-Jean d'Acre handelte. Niemand wußte freilich, ob der Vicekönig nach Absetzung Abdallah's seine siegreiche Armee aufhalten, ob sich sein Ehrgeiz mit Züchtigung eines Schuldigen begnügen würde. Er konnte [25] ja die Gelegenheit wahrnehmen, um Syrien, das langersehnte Ziel seiner Wünsche, zu erobern. Dann waren nach Saint-Jean d'Acre auch Damaskus, Sidon und Aleppo durch die Söldner Ibrahim's bedroht. Und diese Befürchtung lag nur allzunahe.

Diesmal faßte Kamylk-Pascha einen endgiltigen Entschluß. Wenn auch niemand seiner Person zu nahe zu treten drohte, so kam doch sein Vermögen, um das ihn Murad schon lange beneidete, in Gefahr, denn dieser Verwandte sachte es ihm ohne Zweifel mit Gewalt zu entreißen, wenn er auch dem Vicekönig einen großen Theil davon abtreten mußte.

Nun galt es also, diese Schätze verschwinden zu lassen, sie an einem so versteckten Ort unterzubringen, daß kein Mensch sie finden konnte. Dann konnte er den Verlauf der Ereignisse abwarten. Später, ob sich Kamylk-Pascha dann wider Willen genöthigt sah, das ihm so an's Herz gewachsene Morgenland zu verlassen, oder ob Syrien wieder so sicher wurde, daß er sich daselbst ohne Sorge niederlassen konnte, wollte er seinen Schatz wieder heben, wo er ihn verborgen hatte.

Der Kapitän Zo billigte den Plan Kamylk-Paschas und erbot sich zur Ausführung desselben in einer solchen Weise, daß jenes Geheimniß niemals entschleiert werden konnte. Jetzt wurde eine Brigg-Goëlette angekauft und mit einer aus den verschiedensten Elementen gewählten Mannschaft besetzt, mit Seeleuten, die keiner mit dem andern durch irgendwelche Bande verknüpft waren, nicht einmal durch das Band der gleichen Nationalität.

Die Fässer brachte man an Bord, ohne daß jemand von ihrem Inhalt etwas ahnen konnte. Am 13. April stach das Schiff, dem sich Kamylk-Pascha im Hafen von Latakie selbst mit anvertraute, nach seinem unbekannten Ziele in See.

Die Absicht des Pascha ging, wie bekannt, dahin, ein Eiland aufzufinden, dessen Lage niemand außer ihm selbst und dem Kapitän bekannt wäre. Die Besatzung mußte also so irre geleitet werden, daß keiner derselben über den von der Brigg-Goëlette verfolgten Cours klar bleiben konnte. Demnach verfuhr der Kapitän Zo seit fünfzehn Monaten, indem er die Richtung des Schiffes immer und immer wieder änderte. Niemand konnte wissen, ob er das Mittelmeer verlassen hatte, und wenn es so war, ob er wieder dahin zurückgekehrt war.

Ebenso unerkennbar blieb es, ob das Schiff die Meere des alten Continentes besucht hatte oder sich vielleicht gar auf einem solchen befand, als das neue Eiland [26] entdeckt wurde. Jedenfalls war die Brigg-Goulette in sehr verschiedenen Klimaten, also in mehreren Zonen der Erde gewesen, so daß auch der erfahrenste Seemann nicht hätte bestimmen können, wo sie augenblicklich segelte. Für mehrere Jahre verproviantiert, war sie nur zur Einnahme von Wasser mehrere Male an's Land gegangen, doch ohne daß jemand erfuhr, an welchem Orte das geschah.

Kamylk-Pascha hatte also sehr lange umherkreuzen müssen, ehe er ein ihm passendes Eiland auffand, und endlich, als er schon den Entschluß faßte, seine Schätze ins Meer zu versenken, war das so ungeduldig gesuchte Stückchen Land in Sicht gekommen.

Dann kamen die Ereignisse, die sich an die Geschichte Aegyptens und Syriens knüpften und die hier im voraus erwähnt werden mußten. Später wird davon kaum noch die Rede sein, denn unsre Erzählung gewinnt einen weit mehr phantastischen Charakter, als man aus dem etwas ernsten Anfang schließen dürfte. Sie bedurfte aber einer sozusagen soliden Grundlage, und diese hat der Autor ihr gegeben – oder wenigstens zu geben versucht.

3. Capitel
Drittes Capitel.
Worin das Eiland in einen diebessichern Geldschrank verwandelt wird.

Der Kapitän Zo ertheilte dem Steuermann seine Befehle und ließ mehr Segel einziehen, um die Herrschaft über das Schiff zu behalten. Von Nordosten her wehte eine leichte Morgenbrise. Langsam näherte sich die Brigg-Goulette der kleinen Insel. Kam das Meer in heftigere Bewegung, so konnte sie am Fuße dieses Eilands sogar vorläufigen Schutz finden.

Während Kamylk-Pascha, auf die Regeling des Hintercastells gestützt, voller Spannung hinausblickte, segelte der Kapitän Zo nach Seemannsgebrauch vorsichtig näher an das Eiland heran, dessen Lage ihm seine Karten nicht angaben.

Das ist allemal gefährlich. Gerade bei ruhigem Wasser ohne Brandung kann man gar leicht auf verborgne Klippen stoßen; kein Zeichen weist darauf[27] hin, wie man steuern soll. Hier schien die nächste Umgebung jedoch sehr klar zu sein, denn von Unterwasserklippen zeigte sich keine Spur. Der Oberbootsmann, der die Sonde nicht aus der Hand ließ, konnte nirgends eine schroffe Erhebung des Erdbodens entdecken.

In der Entfernung einer Seemeile und zur Zeit, wo die Sonne das Eiland von Osten nach Westen zu beleuchtete, nachdem sie über die Morgennebel aufgestiegen war, bot jenes etwa folgenden Anblick:

Es war nur ein Eiland, nichts weiter als das, und kein Staat hätte daran gedacht, es sich anzueignen, denn das lohnte sich kaum der Mühe – natürlich mit Ausnahme des Länderwucherers England. Ein untrüglicher Beweis dafür, daß diese Felsenanhäufung den Seefahrern und Hydrographen noch unbekannt war, daß es auch auf den neuesten Karten nicht eingezeichnet sein konnte, lag darin, daß Großbritannien daraus noch kein zweites Gibraltar gemacht hatte, um in dieser Gegend die Oberhand zu behalten. Ohne Zweifel lag es außerhalb der befahrnen Straßen und war gewiß erst neueren Ursprungs.

Im großen und ganzen bildete es ein ziemlich zusammenhängendes Hochplateau, dessen Umfang gegen dreihundert Toisen messen mochte und das aus einem Oval von hundertfünfzig Toisen in der Länge und von sechzig bis achtzig Toisen in der Breite bestand.

Es zeigte keine durcheinander geworfnen und übereinandergethürmten Felsmassen, die zuweilen den Gesetzen des Gleichgewichts zu spotten scheinen. Ohne Zweifel verdankte es seinen Ursprung vielmehr einer allmählichen Erhebung der Erdrinde und keinem plötzlichen Aufdringen aus der Tiefe. Seine Ränder waren weder ausgebuchtet, noch durch scharfe Vorsprünge gezähnt. Ohne irgendwelche Aehnlichkeit mit jenen seltsamen Muscheln, die die Natur zuweilen mit den phantastischten Formen ausstattet, zeigte das Eiland vielmehr die Regelmäßigkeit der obern Schale einer Auster oder des Rückenschildes einer Schildkröte. Dieses Schild zeigte sich in der Mitte etwas erhöht und stieg an der höchsten Stelle etwa hundertfünfzig Fuß über die Meeresfläche empor.

Von Bäumen oder sonstigen Erzeugnissen der Pflanzenwelt war darauf ebensowenig eine Spur zu entdecken, wie davon, daß es schon jemand besucht und untersucht hätte. In Berücksichtigung seiner noch von niemand festgestellten Lage und seiner »marmornen« Dürre, die jede etwaige Ansiedlung hier völlig ausschloß, hätte Kamylk-Pascha gar keinen bessern Platz finden können, dem er seine Schätze sichrer anvertrauen konnte.

[28] »Wahrlich, das sieht aus, als ob es die Natur besonders dazu geschaffen hätte,« meinte der Kapitän Zo.

Inzwischen glitt die Brigg-Goëlette, immer mehr Segel bergend, ganz langsam näher, und in der Entfernung von nur einer Kabellänge wurde Befehl zum Ankerwerfen gegeben. Sofort sank der auf dem Krahnbalken liegende Anker herab, zog rasselnd die Kette durch die Klüsen nach und senkte sich bei zwanzig Faden Wasser in den Meeresgrund.

Die nächste Umgebung dieser Felsenmasse fiel also, auf dieser Seite wenigstens, sehr steil ab. Ein Schiff hätte sich ihm noch weiter nähern, ja vielleicht unmittelbar daran anlegen können, ohne auf Grund zu gerathen. Besser erschien es jedoch immer, sich in einiger Entfernung zu halten.

Als die Brigg-Goëlette von ihrem Anker festgehalten wurde, ließ der Obersteuermann die letzten Segel einziehen, und der Kapitän Zo begab sich nach dem Oberdeck.

»Soll ich das große Boot klar machen lassen, Excellenz? fragte er.

– Nein... nur die Jolle. Ich ziehe es vor, daß wir erst beide allein an's Land gehen.

– Wie Sie befehlen.«

Bald darauf saß der Kapitän mit zwei leichten Riemen in der Hand vorn und Kamylk-Pascha hinten in der Jolle. Nach kurzer Fahrt legten sie am Hintergrund eines kleinen Einschnittes an, wo eine Landung leicht zu bewerkstelligen war. Ein Dregganker wurde sorgfältig in einer Felsenspalte befestigt und seine Excellenz nahm von dem Eilande Besitz.

Bei dieser Gelegenheit wurde natürlich keine Flagge gehißt und kein Kanonenschuß abgefeuert. Es war ja kein Staat, der hier Fuß faßte, sondern ein Privatmann, der mit dem Gedanken landete, nach drei bis vier Stunden wieder abzusegeln.

Kamylk-Pascha und der Kapitän Zo überzeugten sich zuerst, daß die Steine des Vorlandes nicht auf sandigem Untergrund ruhten, sondern unter einem Winkel von dreißig bis sechzig Grad unmittelbar aus dem Meere aufstiegen. Seine Entstehung verdankte es also bestimmt einer submarinen Bodenerhebung.

Sie begannen ihre Untersuchung mit einem Rundgange und stießen dabei auf eine Art krystallisierten Quarz, der nirgends die Spuren einer Verletzung zeigte. An keinem Punkte war das Gestade vom Salzwasser des Meeres angenagt Auf der trocknen und krystallinischen Oberfläche fand sich keine andre [29] Flüssigkeit, als etwas Wasser, das von den letzten Regenfällen in kleinen Vertiefungen zurückgeblieben war. Von Vegetation keine Spur, nicht einmal Flechten oder jene Seemoose, die anspruchslos genug sind, aus jedem von Winde dahingetriebenen Keime zwischen Felsenspalten aufzusprossen. Ebenso wenig gab es – lebende oder abgestorbene – Muschelthiere, nur da und dort etwas Vogelguano, von einigen Möwen und Seeschwalben herrührend, die in dieser Gegend das Thierleben allein vertraten.

Nach Umkreisung der Insel bestiegen Kamylk-Pascha und der Kapitän die Mittenerhebung des Eilands. Nirgends hatte das Ufer die Andeutung eines älteren oder neueren Besuchs verrathen, überall zeigte es eine sozusagen krystallinische Sauberkeit ohne Zerbröckelungen oder Fußspuren.

Oben angelangt, befanden sich die beiden Männer etwa hundertfünfzig Fuß über der Meeresfläche und betrachteten gespannt den Horizont, der sich jetzt vor ihren Blicken ausdehnte.

Auf der weiten, von den Strahlen der Sonne glitzernden Wasserfläche zeigte sich nirgends die Linie eines Landes. Dieses Eiland gehörte also nicht zu den Cycladen, wo man überall Gruppen von Attolls antrifft. Hier erhob sich nichts über die Wasserfläche. Auch nach einem Segel suchte der Kapitän Zo trotz Benützung des Fernrohrs vergeblich.

Das Meer war zur Zeit gänzlich verlassen, und die Brigg-Goëlette schien außer Gefahr, während der wenigen Stunden, die sie hier verankert liegen sollte, gesehen zu werden.

»Du bist Dir gewiß über unsre Position, heute, am 9. September? fragte Kamylk-Pascha noch einmal.

– Völlig gewiß, Excellenz, versicherte Kapitän Zo. Zu weiterer Sicherheit werde ich aber das Besteck noch einmal machen.

– Das ist wünschenswerth. Wie soll man aber erklären, daß dieses Eiland auf den Karten nicht eingetragen wurde?

– Weil es meiner Ansicht nach ganz neuerlicher Bildung ist. Jedenfalls muß es Ihnen genügen, daß es noch auf keiner Karte steht und wir es doch wiederfinden können, sobald Sie hierher zurückkehren wollen.

– Gewiß, Kapitän, wenn diese unruhigen Zeiten überstanden sind! Mir soll's nicht darauf ankommen, ob jener Schatz lange Jahre unter diesen Felsen begraben liegt. Hier ist er jedenfalls mehr in Sicherheit, als in meinem Hause in Aleppo, und hier kann mich weder der Vicekönig, noch sein Sohn Ibrahim [30] oder der ehrlose Murad desselben berauben. Ehe Murad dieses Vermögen in die Hand fiele, hätt' ich es zehnmal lieber ins Meer versenkt!

– Ein bedauerliches letztes Hilfsmittel, antwortete Kapitän Zo, denn das Meer giebt nicht zurück, was sein Abgrund verschlungen hatte. Es ist also ein Glück, daß wir dieses Eiland auffanden. Es wird Ihre Reichthümer bewahren und sie getreulich wieder erstatten.

– Komm! sagte Kamylk-Pascha aufstehend. Die Sache muß schnell abgethan sein, und es ist besser, wenn unser Schiff ungesehen bleibt....

– Wie Sie befehlen.

– Niemand an Bord weiß, wo wir sind?

– Ich wiederhole Ihnen: Niemand, Excellenz.

– Auch nicht, in welchem Meere?

– Nicht, ob in einem der Alten oder der Neuen Welt. Seit fünfzehn Monaten durchkreuzen wir die Oceane, und in so langer Zeit kann ein Schiff weite Strecken zwischen den Continenten zurücklegen, ohne sich diesen nur zu nähern.«

Kamylk-Pascha und Kapitän Zo stiegen nach der kleinen Ufereinbiegung hinab, wo die Jolle sie erwartete.

Als sie schon einsteigen wollten, sagte der Kapitän:

»Und nach Erreichung Ihres Zweckes hier gedenken Eure Excellenz nach Syrien zu fahren?

– Zunächst ist das meine Absicht nicht. Vor der Heimkehr nach Aleppo möchte ich abwarten, daß die Truppen Ibrahim's die Provinz geräumt haben und das Land unter der Herrschaft Mahmud's seine Ruhe wiedergewonnen hat.

– Sie glauben nicht, daß es jemals mit den Besitzungen des Vicekönigs vereinigt werden könnte?

– Nein, beim Barte des Propheten, nein! rief Kamylk-Pascha, den diese Hypothese aus seinem gewohnten Phlegma aufrüttelte. Daß Syrien für einen Zeitraum, dessen Ende ich zu erleben hoffe, von Mehemet Ali annectiert werden könnte, ist ja möglich, denn Allah's Wege sind wunderbar. Daß es aber niemals wieder unter die dauernde Gewalt des Sultans käme... nein, das kann Allah nicht wollen!

– Wohin denken sich Eure Excellenz dann zurückzuziehen, wenn wir diese Meere verlassen?


[31]
Die Arbeit war schwer genug. (S. 35.)

– Nirgends... nirgends hin! Da meine Schätze zwischen den Felsen dieses Eilands in Sicherheit sind, mögen sie hier bleiben. Wir, Kapitän Zo, wir segeln weiter umher, wie seit so langer Zeit bis zum heutigen Tage!

– Wie Sie befehlen.«

Nach wenigen Minuten waren die beiden Männer an Bord zurück.

Gegen neun Uhr verschritt der Kapitän zu einer ersten Sonnenbeobachtung zur Bestimmung der Länge, d. h. der Ortszeit – eine Beobachtung, die durch eine zweite, wenn das Gestirn durch den Meridian ging, vervollständigt werden sollte und ihm damit die Breitenlage des Ortes geben würde.


Ein unzerstörbares Kennzeichen wurde angebracht. (S. 36.)

[32] [35]Er ließ sich seinen Sextanten bringen, las die Sonnenhöhe ab und verfuhr, wie er Seiner Excellenz versprochen, bei dieser Aufnahme mit peinlichster Sorgsamkeit. Nach der Niederschrift des Resultats begab sich der Kapitän nach seiner Cabine, um die Berechnung der geographischen Lage des Eilands vorzunehmen.

Vorher hatte er noch Befehl ertheilt, die Schaluppe klar zu machen. Seine Leute sollten die im Raume verstauten drei Fässer in diese schaffen und gleichzeitig Spitzhauen, Schaufeln und eine reichliche Menge Cement mitnehmen.

Noch vor zehn Uhr war alles bereit. Sechs Matrosen nahmen unter Führung des Obersteuermanns in der Schaluppe Platz. Keiner von ihnen hatte die leiseste Vermuthung, was die Fässer enthielten und warum sie in diesem Erdenwinkel vergraben werden sollten. An unbedingten Gehorsam gewöhnt, arbeiteten sie gleich Maschinen, ohne nach dem Warum der Dinge zu fragen.

Kamylk-Pascha und Kapitän Zo setzten sich hinten in der Schaluppe nieder, und schon nach wenigen Ruderschlägen war das Eiland erreicht.

Zunächst handelte es sich nun um die Auswahl einer zur Aushöhlung geeigneten Stelle, die nicht zu niedrig liegen durfte, um dem Wogenanpralle bei den Aequinoctialstürmen entzogen zu bleiben, und nicht zu hoch, um einem Nachstürzen vorzubeugen. Diese Stelle fand sich nahe am Fuße eines steil abfallenden Felsblocks an einem nach Südosten hinausragenden Vorsprunge des Eilands.

Die Leute schifften die Fässer und die Werkzeuge aus. Dann begannen sie den Boden an der betreffenden Stelle zu bearbeiten.

Die Arbeit war schwer genug. Krystallisierter Quarz ist ein sehr harter Körper. Was die Spitzhauen davon absprengten, wurde gesammelt, um die Grube aufzufüllen, wenn die Fässer hineingesenkt waren. Es bedurfte zweier vollen Stunden, um eine Aushöhlung von fünf bis sechs Fuß Länge und gleicher Breite herzustellen – ein wirkliches Grab, worin der Schlummer eines Todten durch kein Sturmeswüthen gestört worden wäre.

Nachdenklich dreinschauend und von schmerzlicher Empfindung erfüllt, hielt sich Kamylk-Pascha etwas beiseite. Vielleicht fragte er sich, ob es für ihn nicht besser sei, sich neben seinen Schätzen gleich selbst zum ewigen Schlafe zu betten. Eine sichrere Zuflucht gegen die Ungerechtigkeit und Bosheit der Menschen hätte er ja nirgends finden können.

Nachdem die Fässer in die Grube hinabgelassen waren, betrachtete Kamylk-Pascha sie zum letzten Male. Seine Haltung dabei war so eigenthümlich, daß [35] Kapitän Zo erwartete, er werde seine Befehle zurücknehmen, auf diese Absicht verzichten und mit seinen Schätzen wieder zu Schiffe gehen.

Doch nein; eine Handwegung bedeutete die Leute, ihre Arbeit fortzusetzen. Dann ließ der Kapitän die drei Fässer sorgsam nebeneinander lagern und durch Quarzbruchstücke, die in hydraulischen Kalk getaucht waren, fest verbinden. Das Ganze bildete bald eine so compacte Masse, wie das Felsengestein des Eilandes selbst. Darauf wurde die Grube vollends bis zum Rande mit durch Cement verkitteten Quarzstücken ausgefüllt. Hatten Wind und Regen dann die Oberfläche abgefegt und abgespült, so war es unmöglich, diese Stelle von ihrer Umgebung zu unterscheiden.

Nun sollte noch ein unzerstörbares Kennzeichen angebracht werden, um die Oertlichkeit genau wieder auffinden zu können. An der hinter der Grube lothrecht aufsteigenden Felsenwand brachte der Obersteuermann mittelst Meißels ein Monogramm an, von dem wir das genaue Facsimile hier wiedergeben:



Das waren verbunden die beiden K aus dem Namen Kamylk-Pascha's, in gleicher Weise, wie sich der Aegypter damit zu unterzeichnen pflegte.

Es lag nun kein Grund vor, den Aufenthalt hier noch auszudehnen. Der Panzerschrank der Grube trug sein Siegel. Wer hätte ihn an dieser Stelle entdecken, wer ihn aus diesem Versteck rauben können? Nein, er war jetzt in Sicherheit, und wenn Kamylk-Pascha und Kapitän Zo ihr Geheimniß mit ins Grab nahmen, so konnte das Ende der Welt herankommen, ohne daß es jemand entschleierte.

Der Obersteuermann ließ seine Leute sich wieder einschiffen, während seine Excellenz und der Kapitän auf einem Uferfelsen zurückblieben. Bald nachher kam die Schaluppe wieder und führte sie nach der Brigg-Goëlette, die unbeweglich vor Anker lag.

Es war jetzt elfdreiviertel Uhr. Am Himmel zeigte sich kein Wölkchen. Nach kaum einer Viertelstunde mußte die Sonne den Meridian erreichen. Der Kapitän ließ den Sextanten wieder holen, um die Mittagshöhe abzulesen. Daraus leitete er die Breitenlage des Ortes ab, deren er sich nun zur Längenbestimmung bediente, indem er den Stundenwinkel unter Zugrundelegung der ersten Beobachtung (um neun Uhr) berechnete. Dadurch erhielt er die Lage des Eilandes so genau,[36] daß ihr höchstens der Fehler von einer halben Seemeile (circa 930 Meter) anhaften konnte.

Nach Beendigung seiner Arbeit wollte er sich eben auf das Deck begeben, als sich die Thüre seiner Cabine öffnete.

Kamylk-Pascha trat herein.

»Hast Du Dein Besteck vollendet? fragte er.

– Ja, Excellenz.

– Gieb es her.«

Der Kapitän reichte ihm ein Blatt Papier mit seinen Berechnungen.

Kamylk-Pascha durchmusterte es so aufmerksam, als wollte er seinem Gedächtniß die Lage des Eilandes einmeißeln.

»Du wirst dieses Papier sorgsamst aufbewahren, ermahnte er den Kapitän. Was aber das Logbuch betrifft, in das Du seit fünfzehn Monaten unsre Fahrten eingetragen hast...

– Das Journal, Excellenz, wird nie jemand zu Gesicht bekommen....

– Und um dessen ganz sicher zu sein, wirst Du es augenblicklich vernichten....

– Wie Sie befehlen, Excellenz.«

Der Kapitän ergriff das Logbuch mit den Aufzeichnungen über die verschiedenen Richtungen, denen die Brigg-Goulette in so vielen Meeren gefolgt war, zerriß es und verbrannte die Stücke an der Flamme einer Schiffslaterne.

Kamylk-Pascha und der Kapitän begaben sich hierauf nach dem Oberdeck und verweilten hier noch einen Theil des Tages.

Gegen fünf Uhr des Nachmittags stiegen am westlichen Horizonte Wolken heraus. Durch die schmalen Risse zwischen denselben schoß die versinkende Sonne ihre Strahlenbündel, die das Meer mit goldnen Flittern bedeckten.

Kapitän Zo erhob den Kopf, wie ein Seemann, dem das kommende Wetter nicht gefällt.

»Excellenz, sagte er, da droht eine tüchtige Brise, wenn nicht gar ein Sturm für die Nacht. Das Eiland bietet uns nicht genug Schutz, und ich möchte, eh' es zu dunkel wird, so ein Dutzend Meilen draußen sein....

– Es hält uns ja nichts mehr zurück, Kapitän, erwiderte Kamylk-Pascha.

– So lichten wir den Anker.

– Noch zum letzten Male: Du hast nicht nöthig, noch einmal die Höhe abzunehmen, um Länge und Breite zu bestimmen?

[37] – Nein, Excellenz, ich bin meiner Sache so sicher wie des Umstandes, daß ich das Kind meiner Mutter bin.

– So fahren wir also ab.

– Nach Ihrem Befehl.«

Sofort wurden die nöthigen Vorbereitungen getroffen. Der Anker löste sich aus dem Grunde und stieg nach dem Krahnbalken hinaus. Die Segel wurden beigesetzt und ein Cours nach West ein Viertel Nord eingeschlagen.

Auf dem Hinterdeck stehend, starrte Kamylk-Pascha nach dem unbekannten Eiland, so lange das Abendlicht dessen Umrisse noch erkennen ließ. Dann verschwand der Felsenhaufen im Nebeldunst. Der reiche Aegypter wußte aber sicher, daß er ihn nach Belieben und gleichzeitig den ihm anvertrauten Schatz wiederfinden konnte, einen Schatz im Werthe von hundert Millionen Francs in Gold, Diamanten und andern Edelsteinen.

4. Capitel
Viertes Capitel.
Worin Meister Antifer und der Rheder Gildas Tregomain, zwei einander sehr unähnliche Freunde, dem Leser vorgestellt werden.

Jeden Sonnabend gegen acht Uhr abends wurde der Meister Antifer, der trotzdem seine kurze Pfeife, mehr einen Stummel, weiter schmauchte, erst blau und eine Stunde später purpurroth vor Ingrimm, nachdem er sich auf Kosten seines Freundes, des Schiffseigners Gildas Tregomain, weidlich ausgetobt hatte. Dieser Zornausbruch kam daher, daß er in einem alten Atlas, von dem eine Karte nach Mercator's planisphärischer Projection entworfen war, etwas nicht finden konnte, was er schon lange suchte.

»Verzwickte Breite!... rief er. Verteufelte Breite! Und wenn sie den Bratofen Belzebubs durchschnitte, ich muß ihr von einem Ende zum andern nachgehen!«

[38] In Erwartung der Ausführung dieses Vorhabens kratzte Meister Antifer die genannte Breitenlinie einstweilen mit dem Fingernagel nach. Die ihm vorliegende Karte war auch mit Bleistiftpunkten übersäet und mit Zirkelstichen wie ein Kaffeesieb durchlöchert.

»24°59' nördl. B.«


so war die Breitenangabe, der Meister Antifer's Wuthausbrüche galten, angegeben auf einem Stück so vergilbtem Pergament, daß es mit einer alten spanischen Flagge hätte rivalisieren können.

Darunter stand, an einer Ecke des Pergaments, mit rother Tinte geschrieben:

»Meinem Jungen ausdrücklich anempfohlen, das niemals zu vergessen.«

Und Meister Antifer rief:

»Keine Angst, braver Mann und Vater, ich habe sie nicht vergessen und werde sie nie vergessen, Deine Breite! Und doch, den Segen meiner drei Taufpathen über mich, wenn ich weiß, wozu das nützen soll!«

An diesem Abend, dem des 23. Februar 1862, überließ sich Meister Antifer seinem gewohnten Wuthausbruche. Die Brust voller Sturm, fluchte er wie ein Mastwächter, dem ein Tau durch die Hände glitt, kante wüthend am Mundstück seiner Pfeife, die zwanzigmal ausging und zwanzigmal wieder in Brand gesetzt wurde, schleuderte den Atlas in einen Winkel, zertrümmerte eine große Muschel, die den Kaminsims schmückte, stieß mit dem Fuße auf, daß die Deckenbalken zitterten und schrie mit einer Stimme, die es gewöhnt war, das Rauschen des Sturmwinds zu übertönen und wobei er sich aus einem Pappstück ein Sprachrohr zusammenbog:

»Nanon!.. Enogate!«

Enogate und Nanon, die eine mit einer Strickarbeit, die andre nahe dem Küchenherde mit dem Plätteisen beschäftigt, hielten es nun für an der Zeit, diesem Aufruhr der häuslichen Elemente einen Dämpfer aufzusetzen.

Der Auftritt spielt in einem jener guten alten Häuser von Saint-Malo, die aus Granit erbaut sind. Seine Façade ist nach der Straße der Hautes-Salles gerichtet. Es besteht aus einem Erdgeschoß nebst zwei Stockwerken, jedes mit zwei Stuben, wovon das obere über den Rundgang auf dem Walle hinausragt Von diesem aus sieht man seine granitnen Mauern, die dick genug sind, den Geschossen früherer Zeit zu widerstehen, seine schmalen, eisenvergitterten Fenster. die massive Thür aus bestem Eichenholz mit Metallbeschlägen und einem Klopfer, den man bis Saint-Servan hört, wenn der Meister Antifer [39] ihn handhabt, und endlich das von Luken durchbrochene Schieferdach, durch das manchmal das lange Fernrohr des in Ruhestand getretenen Seemanns hervorlugt. Dieses Haus, halb Casematte, halb Meierhof, nahe einer Ecke der die Stadt umschließenden Mauern, bietet eine herrliche, weite Aussicht, zur Rechten den Grand-Bey, eine Ecke von Cézembre, die Décolléspitze und das Cap Fréhel, – zur Linken den Hafendamm und den Molo, die Mündung der Rance, den Strand von Prieuré nahe Dinard, und den altersgrauen Dom von Saint-Servan.

Ehemals war Saint-Malo eine Insel, und vielleicht dachte der Meister Antifer mit Bedauern an die Zeit, wo er sich einen Inselbewohner nennen konnte.

Das alte Aaron ist aber einmal eine Halbinsel geworden, und er mußte sich wohl oder übel damit abfinden. Uebrigens hat man alles Recht, stolz zu sein, wenn man ein Kind dieser Stadt Armor's ist, die Frankreich so viele große Männer geschenkt hat, unter andern Duguay-Trouin, dessen Statue unser würdiger Seemann stets begrüßte, wenn er über den Square ging, Lamennais, obwohl dieser Schriftsteller jenen in keiner Weise interessierte, und Chateaubriand, von dem er nur das letzte Werk kannte. Hiermit meinen wir nur dessen bescheidnes und doch stolzes Grabmal auf dem Eiland des Grand-Bey, das den Namen des berühmten Autors trägt.

Der Meister Antifer (Pierre-Servan-Malo) war zur Zeit sechsundvierzig Jahre alt. Seit achtzehn Monaten hatte er sich vom Handwerk mit genügenden Ersparnissen zurückgezogen, um mit den Seinigen wenigstens sorgenlos leben zu können. Einige Tausend Francs Rente hatte ihm seine Dienstleistung auf zwei oder drei von ihm geführten Schiffen abgeworfen, deren Heimathafen stets Saint-Malo gewesen war. Diese Schiffe, dem Hause Le Baillif & Comp. gehörig, dienten der weiteren Küstenfahrt im Canal, in der Nord- und Ostsee und dem Mitteländischen Meere. Bevor er jene hohe Stellung erlangte, hatte sich Meister Antifer schon recht tüchtig in der Welt umgesehen. Eine Theerjacke von altem Schrot und Korn, war er unternehmend, hart gegen sich, wie gegen andre, trat überall schonungslos mit seiner Person ein und war von einer Zähigkeit, die vor keinem Hinderniß zurückbebte, von der Halsstarrigkeit des bretonischen Bretagners. Ob er es bedauerte, das Meer verlassen zu haben?... Wohl nicht, da er es ja im kräftigsten Mannesalter gethan hatte. – Ob seine Gesundheit diesen Entschluß beeinflußt hatte?... Gewiß nicht, denn er schien aus dem reinen Granit der armorikanischen Küsten gemeißelt zu sein.

[40] Es genügte schon, ihn zu sehen, zu hören und von ihm einen Händedruck zu bekommen, womit er nicht besonders geizte. Stelle man sich in ihm einen stämmigen, mittelgroßen Mann mit breitem Nacken vor. Hier sein Signalement: Keltischer Dickschädel; starkes, stachelschweinartig abstehendes Haar, dunkles, doch etwas welkes Gesicht, das vom Meerwasser und der Sonne niedriger Breiten gefärbt war. Barthalskrause, dicht und stark wie die Flechten am Felsen. deren graue Strähne oben mit dem Haupthaar verschmolzen; lebhafte Augen. wahre Karfunkeln unter dem Brauenbogen, mit pechschwarzer funkelnder [41] Iris;


»Verzwickte Breite«! rief er. (S. 38.)

eine unten ziemlich dicke Nase, die auch lang genug war, um die Blättchen beim Drogue- (Soldaten-) Spiel darauf befestigen zu können, und nahe den Augen mit zwei Einsenkungen, wie die Salzfäßchen eines alten Gauls; vollständige, feste und gesunde Zähne, die unter den Zuckungen der Kinnladen krachten, vorzüglich weil ihr Besitzer immer einen Kieselstein im Munde hatte; etwas behaarte Ohren mit trompetenartiger Muschel und herabhängenden Ohrläppchen, deren eines einen kleinen kupfernen Anker trug; endlich ein hoher etwas magrer Körper, nervöse Beine und ziemlich große Füße, die gewöhnlich so weit auseinanderstanden, um gegen jedes Stampfen und Schlingern gesichert zu sein. Aus allem erkannte man eine seltne Kraft, Dank den wie die Fasces der römischen Lictoren festvereinten Muskelbündeln, eine eiserne Gesundheit des gut essenden und tüchtig trinkenden Mannes, der gewiß noch lange auf ein klares Gesundheitspatent Anspruch gehabt hätte. Dagegen wohnte auch eine ungeheure Reizbarkeit und Nervosität in dem Männchen, der vor sechsundvierzig Jahren in das Taufregister seiner Heimat unter den bezeichnenden Namen Pierre-Servan-Malo Antifer eingetragen worden war.

Und heute Abend war er ganz außer sich und wetterte, daß das ganze solide Häuschen erzitterte, so als ob an seinen Grundmauern eine jener Aequinoctialfluthen rüttelte, die oft fünfzig Fuß hoch ansteigen und die halbe Stadt mit Schaum bedecken.

Nanon, Witwe Le Goât, achtundvierzig Jahre alt, war die Schwester unsres immer etwas lauten Seemannes. Ihr Gatte, eine simple Landratte und angestellt im Hause Le Baillif, war schon zeitig gestorben und hatte eine Tochter Enogate hinterlassen, der sich der Onkel Antifer angenommen hatte und der gegen über er auch alle Pflichten des Vormundes und Pflegevaters gewissenhaft erfüllte. Nanon war eine brave Frau, die ihren Bruder liebte, vor ihm zitterte und sich vor seinen Sturmausbrüchen beugte.

Enogate hingegen, ein hübsches Mädchen mit blondem Haar und blauen Augen, frischem Teint, intelligenten Zügen, natürlicher Anmuth und entschlossener als ihre Mutter, widersprach und widersetzte sich bisweilen ihrem schrecklichen Vormund.

Dieser betete sie übrigens an und behauptete, sie sei ebenso das glücklichste Mädchen von St. Malo, wie sie eines der schönsten wäre.

Wahrscheinlich verstand er aber unter Glück etwas, was seine Nichte und Mündel nicht ebenso auffaßte.

[42] Die beiden Frauen erschienen auf der Schwelle des Zimmers. Die eine mit ihren langen Stricknadeln, die andre mit dem Bügeleisen, das sie eben aus der Gluth gezogen hatte, in den Händen.

»Nun, was giebt's denn wieder? fragte Nanon.

– Meine Breite... meine verteufelte Breite!« antwortete Meister Antifer.

Dabei versetzte er sich einen Faustschlag vor die Stirn, von dem jeder andre Schädel, als der ihm von Natur verliehene, unbedingt in Stücke gegangen wäre.

»Lieber Onkel, begann Enogate, weil Dir Deine unselige Breite im Kopf herumspukt, brauchst Du doch nicht das ganze Zimmer durcheinander zu werfen....«

Damit hob sie den Atlas auf, während Nanon die Bruchstücke der Muschel aufsuchte, die wie von einer Pulverexplosion umherlagen.

»Die hast Du zerbrochen, lieber Onkel?

– Ja, ich, Kleine, und wenn's jemand anders gewesen wäre, hätte ihm der Kuckuck in den Nacken fahren sollen!

– Warum hast Du sie denn zu Boden geschleudert?

– Weil mir die Hand durchging!

– Diese Muschel war ein Geschenk unsres Bruders, sagte Nanon, und – es war unrecht von Dir...

– Na, und wenn Du mir bis morgen vorpredigst, daß es unrecht war, wird sie deshalb doch nicht wieder ganz!

– Was wird mein Vetter Juhel dazu sagen! rief Enogate.

– Hoffentlich gar nichts, und daran wird er sehr wohl thun! entgegnete Meister Antifer, dem man das Bedauern darüber ansah, nur zwei weibliche Wesen vor sich zu haben, über die er vernünftiger Weise die Schale seines Zorns nicht wohl entleeren konnte. – Uebrigens, setzte er hinzu, wo steckt denn der Juhel?

– Du weißt, Onkel, daß er nach Nantes gereist ist, erklärte das junge Mädchen.

– Nantes! – Ja, das ist ein ander Ding! Was hat er denn in Nantes zu schaffen?

– Aber, Onkelchen, Du hast ihn ja selbst dahin geschickt... weißt Du nicht... Wegen seiner Prüfung als Kapitän für lange Fahrt.

[43] – Kapitän für lange Fahrt... Kapitän für lange Fahrt! knurrte Meister Antifer. Ihm war's wohl nicht genug, wie ich Kapitän für Küstenfahrt zu werden?...

– Höre, Bruder, fiel da Nanon schüchtern ein, Du hast es ihm ja selbst angerathen... es war Dein Wille....

– Aha, mein Wille! Ein hübscher Grund!... Und wenn's mein Wille nicht gewesen wäre,... na, da wäre er eben auch nach Nantes gegangen... Er wird das Examen übrigens nicht bestehen....

– Doch, lieber Onkel.

– So, liebe Nichte?... Wenn er aber durchfällt, dann soll ihm eine Böe in den Rücken fahren, an die er denkt sein Leben lang!«

Man sieht, daß sich niemand mit diesem Manne verständigen konnte. Auf der einen Seite wollte er, daß Juhel sich der Prüfung als Kapitän für lange Fahrt nicht unterzog, und auf der andern würde genannter Juhel einen Empfang finden, in dem »jene Esel von Examinatoren, jene hydrographischen Händler« auch nicht zum Besten weggekommen wären.

Enogate hatte jedoch das sichre Vorgefühl, daß der junge Mann nicht durchfallen werde, zunächst weil es ihr Vetter, dann, weil er ein gescheiter und fleißiger junger Mann war, endlich, weil er sie und sie ihn liebte und sie sich einmal heiraten wollten. Bessere Gründe als diese drei kann man doch gar nicht haben.

Wir müssen hier einfügen, daß Juhel ein Neffe des Meister Antifer und bis zur erreichten Majorennität sein Mündel gewesen war. Zeitig verwaist durch den Tod seiner Mutter, einer Morlaiserin, der seine Geburt das Leben gekostet hatte, und durch den, nur wenige Jahre später erfolgten Tod seines Vaters, eines Schiffsofficiers, war er, noch ein Kind, der Fürsorge seines Onkels anheimgefallen. Als ein Wunder kann es gewiß nicht erscheinen, daß es ihm in den Sternen geschrieben stand, einst Seemann zu werden. Enogate hatte übrigens ganz recht zu glauben, daß er sein Patent als Kapitän für lange Fahrt ohne Mühe erhalten werde. Der Onkel zweifelte daran auch nicht, er war jetzt nur in zu abscheulicher Laune, es zuzugestehen.

Die Sache hatte für die junge Malouine aber weit mehr Bedeutung, weil die zwischen ihrem Vetter und ihr geplante Heirat schon sehr bald nach Erlangung des betreffenden Patentes stattfinden sollte. Die beiden jungen Leute waren sich in warmer Liebe zugethan, die ja für das Glück zweier Herzen [44] genügen kann. Nanon sah mit Freuden den Tag herankommen, wo diese von der ganzen Familie gewünschte Verbindung stattfinden sollte. Woher hätte ein Hinderniß kommen sollen, da das allmächtige Haupt derselben, der Onkel und Vormund, seine Zustimmung dazu gab, oder sich wenigstens vorbehalten hatte, diese zu geben, wenn der Zukünftige Kapitän wäre?

Es versteht sich von selbst, daß Juhel von unten auf gedient hatte, erst als Schiffsjunge und als Leichtmatrose auf Schiffen der Firma Le Baillif, als Matrose im Dienste des Staats und endlich drei Jahre lang als Deckofficier in der Handelsmarine. So fehlte ihm weder die Theorie noch die Praxis, und Meister Antifer war im Grunde recht stolz auf seinen Neffen. Vielleicht hatte er aber für ihn von einer reicheren Partie geträumt, weil er dessen vorzügliche Eigenschaften kannte, und ebenso für seine Nichte, weil diese das lieblichste Mädchen des ganzen Arrondissements war.

»Und sogar in l'Ille-et-Vilaine!« wiederholte er, die Augenbrauen runzelnd und bereit, seine Behauptung auf die ganze Bretagne auszudehnen. Und wenn ihm etwa eine Million in die Hände gefallen wäre – ihm, der mit seinen fünftausend Livres Rente zufrieden war – so wär's nicht unmöglich gewesen, daß er gar selbst den Kopf verloren und sich unerfüllbaren Träumen überlassen hätte....

Inzwischen hatten Enogate und Nanon in der Stube, wenn auch nicht im Gehirn des schrecklichen Menschen, wieder etwas Ordnung hergestellt. Freilich im Gehirn wäre das am nöthigsten gewesen, um die Käfer, die darin umherschwirrten, auszutreiben, und womöglich auch die Spinnen an der Decke...

Die noch immer Blitze schleudernden Augen rollend, lief Meister Antifer hin und her – ein Beweis, daß das Unwetter noch lange nicht am Ende war und daß jeden Augenblick ein Donnerschlag erfolgen konnte. Und wenn er nach dem an der Wand hängenden Barometer sah, schien sein Zorn sich noch zu verdoppeln, weil dieses gewissenhafte und treue Instrument immer auf schön Wetter zeigte.

»Juhel ist also noch nicht zurück? fragte er, sich an Enogate wendend.

– Nein, Onkel.

– Und es ist schon um zehn Uhr!

– Nein, lieber Onkel.

– Ihr werdet sehen, daß er den Zug verpaßt!

– Ach nein, Onkelchen!

– Alle Wetter! Wirst Du nun aufhören, mir zu widersprechen?

– Nein, bester Onkel.«

[45] Trotz der verzweifelten Winke Nanons war die junge Bretagnerin entschlossen, ihren Vetter gegen die ungerechten Beschuldigungen dieses, in seinen Ausdrücken nicht gerade wählerischen Onkels in Schutz zu nehmen.

Offenbar waren Blitz und Donner jetzt nicht mehr weit. Gab es denn aber keinen Ableiter, der geeignet gewesen wäre, alle in den Reservoirs des Meister Antifer angesammelte Elektricität auszugleichen?

Doch vielleicht. Deshalb beeilten sich auch Nanon und ihre Tochter, ihm zu gehorchen, als er mit Stentorstimme rief:

»Holt mir Tregomain!«

Sie verließen das Zimmer, öffneten die Hausthür und gingen, den Verlangten aufzusuchen.

»Guter Gott! Wenn wir ihn nur antreffen!« sagten sie für sich.

Er war zum Glück zu Hause, und fünf Minuten später saß er dem Meister Antifer gegenüber.

Gildas Tregomain, einundfünfzig Jahre alt. Aehnlichkeiten mit seinem Nachbar: ist Hagestolz wie dieser und hat zu Wasser gefahren wie dieser; fährt nicht mehr wie dieser, ist Malouin wie dieser. Hiermit hören die Aehnlichkeiten auf. Gildas Tregomain ist nämlich eben so ruhig und gelassen, wie Meister Antifer lebhaft, ebenso viel Philosoph, wie Meister Antifer es wenig ist, ebenso fügsam, wie Meister Antifer halsstarrig. So viel bezüglich der geistigen Seite. Physisch sind die beiden Genossen einander wenn möglich noch unähnlicher. Sehr aneinander gefesselt, ist diese Freundschaft Pierre Antifer's gegen Gildas Tregomain recht erklärlich, während sie seitens des letzteren gegen Pierre Antifer nicht so tief zu wurzeln scheint. Der Freund eines solchen Mannes zu sein, hat ja zuweilen auch sein Unangenehmes.

Wir sagten eben, daß auch Gildas Tregomain zu Wasser gefahren sei, es ist aber ein Unterschied zwischen Seefahrer und Seefahrer. Wenn Schiffer Antifer alle bedeutenderen Meere der Erde, zum Theil auf Kauffahrteischiffen, zum Theil in der Küstenfahrt besucht hatte, so traf das nicht auf seinen Nachbar zu. Gildas Tregomain, als Sohn einer Witwe vom Staatsdienst frei, war nicht als Matrose gefahren und überhaupt niemals auf dem Meere gewesen.

Nein, niemals. Den Canal la Manche hatte er sich von der Höhe von Cancale oder vom Cap Frehel aus angesehen, sich aber nie auf denselben hinausbegeben. In der gemalten Cabine eines Lastschiffes geboren, war auch sein Leben in einem solchen verlaufen. Erst Schiffsführer, dann Eigner der »Charmante [46] Amélie«, fuhr er die Rance auf und ab, von Dinard nach Dinan, von Dinan nach Plumangat, um dann mit einer Ladung Bretter, Wein oder Kohlen, je nach Bedarf, zurückzufahren. Kaum waren ihm die andern Küsten der Departements von l'Ille-et-Vilaine und der Côtes-du-Nord bekannt geworden. Er war ein Süßwasser-Seemann, nichts weiter, während der Meister Antifer durch und durch Salzwasser-Seemann war – ein simpler Lastfuhrmann, gegenüber einem Schiffer von der Küstenfahrt. Deshalb senkte er auch die Flagge in Gegenwart seines Nachbars und Freundes, der sich gar nicht genierte, ihn in ehrerbietiger Entfernung zu halten.

Gildas Tregomain bewohnte ein kleines nettes Häuschen, etwa hundert Schritte von dem des Meister Antifer und am Ende der Toulousestraße, nahe dem Bollwerk. Es bot von der einen Seite Aussicht auf die Mündung der Rance und auf der andern hinaus auf's offne Meer. Sein Eigenthümer war ein großer starker Mann mit fast einem Meter Schulterbreite und fünf Fuß sechs Zoll Körperlänge, einem Brustkasten wie ein Reisekoffer, stets bekleidet von einer Weste mit einer Doppelreihe von Beinknöpfen, nebst braunem, stets sauberem Kittel, der auf dem Rücken und an den Aermeln weite Falten schlug. Aus dieser Büste traten ein Paar starke Arme hervor, die einem Manne von mittlerer Größe hätten als Schenkel dienen können und die in ein Paar Hände ausliefen, die für einen Grenadier der alten Garde groß und fest genug gewesen wären. Begreiflicher Weise erfreute sich Gildas Tregomain unter solchen Umständen auch einer wahrhaft herkulischen Kraft. Er war jedoch ein gutmüthiger Herkules. Seine Kraft hatte er niemals mißbraucht, und er drückte Jedem die Hand, aus Furcht, sie zu zerbrechen, nur mit dem Daumen und dem Zeigefinger. Seine Kraft war eben eine latente – sie trat niemals gewaltthätig hervor.

Will man ihn mit einer Maschine vergleichen, so war er nicht der Dampfhammer, der das glühende Eisen mit furchtbarem Schlage bearbeitet, sondern vielmehr eine hydraulische Presse, die das stärkste Blech kalt ohne Schwierigkeiten biegt.


Er war ein Süßwasser-Seemann... (S. 47.)

Auf den Schultern erhebt sich ein mächtiger, dicker Kopf, auf dem gewöhnlich ein hoher, breitkrämpiger Hut saß, ein Kopf mit schlichtem Haar, nicht allzu starkem Backenbart, eine gebogne Nase, die dem Profil Charakter verleiht, ein lachender Mund, zurückstehende Oberlippe, vorspringende Unterlippe, Fettfalten um's Kinn, schöne weiße Zähne, mit Ausnahme eines fehlenden obern Schneidezahns – Zähne, die nicht zwecklos zubeißen und die nie vom Rauche einer Pfeife berührt [47] worden waren – ein wässriges, sanftes Auge unter dicken, rothen Brauen, ein röthlicher Teint, den er den Winden der Rance und nicht den rauhen Stürmen des Oceans verdankte....

Das war Gildas Tregomain, einer jener liebenswürdigen Menschen, von denen man sagt: Ob zu Mittag, ob um zwei Uhr, man wird sie immer zu jeder Gefälligkeit bereit finden. Er war auch eine Art unerschütterlichen Felsens, an den der Wogenschwall des Meister Antifer spurlos anprallte. Jetzt wurde er geholt, als sein Nachbar das richtige Südsüdwestergesicht zeigte, und er [48] stellte sich ein, bereit, dieser stürmisch bewegten Persönlichkeit entgegen zu treten.

Der Expatron der »Charmante Amélie« war im Hause auch ein gern gesehener Gast – bei Nanon, die sich seiner als Schutzwall bediente, bei Juhel, der ihm eine aufrichtige Freundschaft bewahrte, und bei Enogate, die sich gar nicht genierte, ihm einen Kuß auf die rundlichen Wangen oder die glatte Stirn zu drücken – und eine glatte Stirn soll nach Aussage der Physiognomiker das unzweifelhafte Zeichen eines ruhigen Temperaments sein.


»Gesunden?... Wie soll ich ihn denn gefunden haben?« (S. 51.)

Jetzt, gegen viereinhalb Uhr nachmittags, bestieg also der Lastschiffer die hölzerne Treppe, die nach dem Zimmer des ersten Stockwerks hinaufführte, wobei freilich die Stufen ein wenig krachten, und bald darauf befand er sich dem Meister Antifer gegenüber.

[49]
5. Capitel
Fünftes Capitel.
In dem Gildas Tregomain große Mühe hat, dem Meister Antifer nicht zu widersprechen.

»Bist Du endlich da, Kapitän?

– Ich bin gekommen, weil Du mich rufen läßt, lieber Freund.....

– Ohne weitere Verzögerung?...

– Außer der, hierher zu gehen.

– Na, wahrlich, es sieht mir aus, als wärst Du auf der »Charmante Amélie« hierher gefahren!«

Gildas Tregomain achtete nicht auf diese Anspielung bezüglich des langsamen Ganges der Lastschiffe im Vergleich mit den Seeschiffen. Er merkte, daß sein Nachbar bei schlechter Laune war, was ihn nicht besonders verwunderte, und nahm sich vor, dessen Launen willig zu ertragen.

Meister Antifer hielt ihm einen Finger hin, den er sanft zwischen Daumen und Zeigefinger drückte.

»Eh!... nicht so heftig, zum Teufel! Du drückst einen auch allemal wie toll!

– Entschuldige, ich hab' es nicht mit Absicht gethan....

– Na, das hätte auch noch gefehlt!«

Mit einer Handbewegung forderte Meister Antifer seinen Freund auf, an dem Tische in der Mitte des Zimmers Platz zu nehmen.

Der Lastschiffer setzte sich also nieder, die Füße in den absatzlosen Schuhen hübsch auswärts, und breitete dann sein großes Taschentuch über die Knie, ein blau und roth geblümtes Baumwollentuch, das in jeder Ecke einen Anker zeigte.

[50] Dieser Anker hatte das Privilegium, bei Meister Antifer stets ein starkes Achselzucken hervorzurufen.... Ein Anker bei einem Fluß-Frachtschiffer!... Warum dann nicht auch einen Fock-, einen Großmast und einen Besan für eine Schute?

»Du trinkst doch einen Cognac, Kapitän? fragte er, während er schon eine Flasche und zwei Gläschen hinsetzte.

– Du weißt, lieber Freund, daß ich dergleichen niemals trinke.«

Das hinderte den Meister Antifer freilich nicht, die Gläser bis zum Rande zu füllen. Nach einer schon seit zehn Jahren bestehenden Gewohnheit trank er nämlich, wenn er sein Glas geleert hatte, auch das Gildas Tregomain's aus.

»Und nun wollen wir ein Garn zusammen spinnen.

– Wovon denn? antwortete der Frachtschiffer, obwohl er recht gut wußte, weshalb man ihn geholt hatte.

– Wovon, Kapitän?... Ja, wovon sollen wir denn plaudern, wenn nicht...

– Ah, richtig! Hast Du denn nun auf dem Dich so interessierenden Breitengrade den gesuchten Punkt gefunden?

– Gesunden?... Wie soll ich ihn denn gefunden haben?... Etwa beim Zuhören auf das Geschwätz der beiden Weibspersonen, die eben noch hier waren?

– Die gute Nanon und meine hübsche Enogate!..

– Ja, ja... weiß schon... Du bist immer bereit, sie mir gegenüber in Schutz zu nehmen. Doch davon schweigen wir. Jetzt ist mein Vater Thomas seit acht Jahren hinüber gegangen, von wo keiner wiederkehrt, und seit acht Jahren schleppt sich die Geschichte fort, ohne einen Schritt vorwärts zu kommen. Das muß ein Ende nehmen!

– Ich... versetzte der Frachtschiffer mit den Augen zwinkernd, ich machte ihr sofort ein Ende... ich dächte einfach nicht mehr daran....

– Wirklich, Kapitän, das meinst Du? Und was singst Du denn damit an, daß mein sel'ger Vater sie mir noch auf dem Sterbebette ganz besonders an's Herz gelegt hat?... Nein, das sind geheiligte Sachen!

– Es ist zu bedauern, antwortete Gildas Tregomain, daß der gute Mann nicht noch mehr gesagt hat....

– Du lieber Himmel, weil er selbst nichts weiter zu sagen wußte!... Alle Wetter soll ich denn auch nicht mehr davon wissen, wenn ich mich zum letzten Male niederlege?«

[51] Gildas Tregomain wollte schon erwidern, daß das mehr als wahrscheinlich, und eigentlich sogar wünschenswerth sei; er hielt aber an sich, um den Brausekopf nicht noch mehr aufzuregen.

Einige Tage, bevor der alte Thomas Antifer vom Leben in den Tod ging, hatte sich einmal Folgendes ereignet:

Es war im Jahre 1854 – ein Jahr, das der alte Seemann nicht mehr vollenden sollte. Da er sich sehr krank fühlte, glaubte er verpflichtet zu sein, seinem Sohn eine geheimnißvolle Geschichte mitzutheilen, die er nicht zu enthüllen vermocht hatte.

Fünfundfünfzig Jahre früher – 1799 – als Thomas Antifer noch mit einem Handelsschiffe die Häfen des Morgenlandes besuchte, befand er sich gerade nahe an der Küste Palästinas, als Bonaparte die Gefangnen von Jaffa niederschießen ließ. Einer dieser Unglücklichen, der sich auf einen Uferfelsen geflüchtet hatte, wo ihn doch noch ein sichrer Tod erwartete, wurde in der Nacht von dem französischen Seemann aufgefunden, nach seinem Schiffe gebracht, da so gut wie möglich gepflegt und nach Verlauf von zwei Monaten endlich wieder hergestellt.

Der Gefangene gab sich seinem Retter zu erkennen. Er nannte sich Kamylk-Pascha aus Aegypten, und beim Abschiednehmen versicherte er dem braven Malouin, daß er ihn nicht vergessen werde. Zur gelegenen Zeit werde er die Beweise seiner Dankbarkeit erhalten.

Thomas Antifer schied von Kamylk-Pascha, setzte seine Fahrt weiter fort, dachte zuerst wohl dann und wann an das ihm gegebene Versprechen, entschloß sich aber endlich, die ganze Geschichte zu vergessen, denn es sah nicht so aus, als ob jene Zusagen sich jemals erfüllen sollten.

In höheren Jahren stehend, zog sich der alte Seemann zurück nach Saint-Malo, wo ihm nichts andres am Herzen lag, als aus seinem Sohne Pierre einen tüchtigen Seemann zu machen. Da, als er bereits siebenundsechzig Jahre zählte, ging ihm im Jahre 1842 ein merkwürdiger Brief zu.

Daß dieser französisch geschriebene Brief aus Aegypten kam, erkannte man aus dem Poststempel, und zu lesen stand darin Folgendes:

»Der Kapitän Thomas Antifer wird gebeten in sein Notizbuch einzuschreiben: Vierundzwanzig Grad neunundfünfzig Minuten nördlicher Breite; eine dazu gehörige Längenangabe wird ihm später noch zugehen. Er möge das nie vergessen und es als Geheimniß bewahren, da es sich für ihn um [52] wichtige Dinge handelt. Eine ungeheure Summe, in Gold, Diamanten und Edelsteinen bestehend, die er unter dieser Breite und der später mitzutheilenden Länge finden wird, mag ihm als Belohnung für die Dienste gelten, die er dereinst einem Gefangenen von Jaffa erwiesen hatte.«

Dieser Brief war nur mit einem Monogramm, ein doppeltes K bildend, unterzeichnet.

Das erregte nun doch die Neugier des braven Mannes und würdigen Vaters seines Sohnes. Nach dreiundvierzig Jahren erinnerte sich Kamylk-Pascha also seiner noch immer! Zeit dazu hatte er sich freilich gelassen. Ohne Zweifel hatten ihn aber irgendwelche Hindernisse in Syrien aufgehalten, da dessen politische Verhältnisse erst 1840 durch den Londoner Vertrag, und zwar zu Gunsten des Sultans, endgiltig geregelt wurden.

Jetzt war Thomas Antifer nun glücklich »Besitzer« einer Breite, die über irgend einen Punkt der Erde verlief, wo Kamylk-Pascha sein Vermögen vergraben hatte. Und was für ein Vermögen! Seiner Meinung nach doch Millionen! Jedenfalls mußte er über diese Angelegenheit aber strenges Stillschweigen bewahren und den Boten abwarten, der ihm einmal den versprochenen Längengrad übermitteln würde, deshalb sprach er gegen keinen Menschen von der Sache – nicht einmal gegen seinen Sohn.

Er wartete, wartete zwölf lange Jahre... nichts zeigte sich. Sollte er das Geheimniß wohl gar mit ins Grab nehmen, wenn er einst die Augen schloß, ohne dem Boten des Paschas seine Thür geöffnet zu haben?... Nein, das glaubte er wenigstens nicht. Er meinte vielmehr, demjenigen davon Mittheilung machen zu sollen, der einst an seiner Stelle Nutzen davon haben könnte, seinem Sohn Pierre-Servan-Malo. Als der alte Seebär dann 1854, das heißt, im einundachtzigsten Lebensjahre, sein Ende herannahen fühlte, zögerte er nicht mehr, seinen »Jungen« und Erben über die Absichten Kamylk-Paschas zu unterrichten, und ließ ihn schwören, niemals diese Breitenangabe zu vergessen, sich die Unterschrift mit dem doppelten K genau zu merken und mit aller Zuversicht dem Erscheinen des betreffenden Boten entgegenzusehen.

Dann ging der brave Mann, beweint von den Seinen, betrauert von allen, die ihn gekannt hatten, zu seinen Vätern ein und wurde im Erbbegräbniß der Familie beigesetzt.

Bei der Gemüthsart Meister Antifer's kann man sich leicht vorstellen, welchen Eindruck jene Mittheilungen auf seine an sich lebhafte Einbildungskraft[53] machten und welch' brennende Wünsche sie in ihm wachriefen. Er verzehnfachte in Gedanken die Millionen, die sein Vater angenommen hatte, und machte aus Kamylk-Pascha so einen Nabob aus Tausend und eine Nacht. Er träumte nur noch von Gold und Edelsteinen, die in einer verhexten Grube verscharrt lagen. Seiner natürlichen Ungeduld entsprechend, konnte er sich freilich die Zurückhaltung, die sein Vater bewahrt hatte, nicht auferlegen. Zwölf Jahre lang kein Wort verlauten zu lassen, ohne sich jemand anzuvertrauen, nicht den Versuch zu machen, zu erfahren, was aus dem Unterzeichner der zwei K geworden sein möge.... Der Vater hatte es über sich gebracht... der Sohn war dazu unfähig. Als er daher 1855 einmal ins Mittelmeer kam, erkundigte er sich nach dem Anlaufen im Hafen von Alexandria mit aller ihm möglichen Geschicklichkeit nach jenem Kamylk-Pascha. Daß er existiert hatte, dafür lieferte ja der dem alten Seemanne zugegangene Brief von seiner eignen Hand den untrüglichen Beweis. Ob er noch existierte, das war eine schwierig zu beantwortende Frage. Was er erfuhr, lautete ziemlich entmuthigend, denn keiner wußte etwas weiteres, als daß Kamylk-Pascha vor etwa zwanzig Jahren verschwunden und seitdem verschollen sei.

Das war in der That ein harter Stoß, den das Lebensschifflein Antifer's erhielt; es ging davon wenigstens nicht unter. Jedenfalls mußte Kamylk-Pascha 1842 jenem Briefe nach noch gelebt haben. Wahrscheinlich hatte er Gründe, denen er nicht nachzuforschen brauchte, gehabt, die ihn zum Verlassen des Landes zwangen. Zur passenden Zeit würde sich der Bote, der Ueberbringer der interessanten Länge, schon einstellen, und da sein Vater nicht mehr auf dieser Erde weilte, würde er, der Sohn, jenen empfangen und natürlich mit Freuden aufnehmen.

Meister Antifer kam also nach Saint-Malo zurück und äußerte vorläufig, so schwer ihm das auch wurde, gegen niemand etwas von der Sache. Er blieb seinem Berufe getreu, bis er ihn 1857 gänzlich aufgab, und seitdem inmitten seiner Familie lebte.

Diese erschlaffende Existenz mit dem Mangel an ernster Beschäftigung wurde freilich zur Veranlassung, daß er einer wahrhaft fixen Idee verfiel. Jene vierundzwanzig Grad neunundfünfzig Minuten flatterten ihm im Kopfe herum, wie Mücken vor den Augen. Endlich ging ihm die Zunge durch. Er vertraute das Geheimniß seiner Schwester, seiner Nichte, seinem Neffen, und auch Gildas Tregomain an. Natürlich währte es nun nicht lange, bis die ganze Stadt, bis[54] über Saint-Servan und Dinard hinaus, davon Kenntniß bekam. Jedermann wußte, daß eines Tages ein ungeheures, ganz unabschätzbares Vermögen dem Meister Antifer zufallen mußte. Von da an klopfte kein Mensch an seine Thür, ohne daß dieser erwartete, mit den Worten begrüßt zu werden:

»Da bringe ich. Ihnen die ersehnte Länge!«

So verstrichen einige Jahre. Von Kamylk-Paschas Boten kam kein Lebenszeichen, kein Fremdling hatte die Schwelle seines Hauses überschritten, und das brachte unsern Meister Antifer immer mehr in Extase. Seine Familie glaubte gar nicht mehr an das Vermögen, und hielt den alten Brief für eine einfache Mystification. Ohne sich's merken zu lassen, hielt Gildas Tregomain ihn für einen Naiven erster Sorte, und das bedauerte er im Interesse der so ehrenwerthen Küstenschifferzunft. Pierre-Servan-Malo war dagegen nicht umzustimmen. Er blieb bei seiner Ueberzeugung. Er hatte die Schätze des Nabob schon so gut wie in der Tasche, und darin durfte ihm keiner widersprechen, wenn er nicht einen schrecklichen Sturm heraufbeschwören wollte. So vermied es denn auch an diesem Abend der gutmüthige Frachtschiffer, eine Explosion bei der reizbaren Theerjacke hervorzurufen.

»Nun, alter Freund, begann der Meister Antifer, jenem scharf ins Gesicht sehend, antworte mir ohne Umschweife, denn manchmal sieht es aus, als ob Du mich nicht recht verständest. Na, freilich hat der Kapitän der »Charmante Amélie« niemals Veranlassung gehabt, ein Besteck zu machen; das kommt zwischen den Ufern der Rance nicht vor. Auf so einem Bächlein braucht keiner die Höhe der Sonne, des Mondes und der Sterne aufzunehmen.«

Mit dieser Aufzählung der Verfahren, die die Hydrographie vorschreibt, wollte Pierre-Servan-Malo entschieden nur die große Kluft andeuten, die den Führer eines Küstenfahrzeuges von dem »Kapitän« eines Frachtschiffes trennte.

Der vortreffliche Tregomain lächelte resigniert und besah sich die bunten Streifen auf seinem unbeschreiblichen Taschentuche.

»Na, Du hörst wohl gar nicht, Frachtfahrer?...

– O natürlich, lieber Freund.

– Nun also, ein für allemal, weißt Du überhaupt genau, was eine Länge ist?

– Ich denke, so ziemlich.

– Weißt Du auch, was ein Parallelkreis ist und daß der Aequator in dreihundertsechzig Grade oder einundzwanzigtausendsechshundertsechzig Bogenminuten [55] getheilt wird, was so viel wie eine Million zweihundertsechsundneunzigtausend Secunden ausmacht?

– Warum sollt' ich das nicht wissen? antwortete Gildas Tregomain mit freundlichem Lächeln.

– Und weißt Du, daß ein Bogen von fünfzehn Graden einer Zeitstunde entspricht und ein solcher von fünfzehn Minuten einer Zeitminute, und ein Bogen vor fünfzehn Secunden einer Zeitsecunde?

– Soll ich Dir's aus dem Kopfe wiederholen?

– Nein, das ist unnöthig. Nun also, ich habe Kenntniß von jener Breite nämlich vierundzwanzig Grad neunundfünfzig Minuten nördlich vom Aequator. Diese Parallele enthält nun dreihundertsechzig Grade – verstehst Du, dreihundertundsechzig – und über dreihundertneunundfünfzig ärgre ich mich so wenig, wie über einen Anker, dessen Schaufeln abgebrochen sind. Einen aber giebt es, den ich nicht kenne und nicht kennen werde, bevor man mir nicht die Länge, die ihn durchschneidet, angegeben hat... und da... an dieser Stelle... da liegen Millionen.... Lache nur nicht....

– Ich lache nicht. lieber Freund.

– Jawohl, Millionen, die mir, mir gehören, die auszugraben ich das Recht habe, sobald mir die Oertlichkeit, wo sie verscharrt sind, angegeben wird.

– Ja, erwiderte der Frachtschiffer, da mußt Du eben geduldig warten, bis der Bote mit jener erfreulichen Meldung kommt.

– Geduldig... geduldig! Was hast Du denn eigentlich in den Adern?

– Ich glaube Syrup, nichts als Syrup, antwortete Gildas Tregomain.

– Ich aber Quecksilber... und Salpeter, der in meinem Blute aufgelöst ist... ich kann einmal nicht ruhig bleiben... ich zehre mich auf.

– Du mußt Dich aber beruhigen....

– Beruhigen?... Denkst Du gar nicht daran, daß wir schon zweiundsechzig schreiben, daß mein Vater vierundfünfzig gestorben ist, nachdem er das Geheimniß seit zweiundvierzig besessen hatte... und daß es bald zwanzig Jahre sind, seitdem wir auf die Lösung dieses verteufelten Räthsels warten....

– Zwanzig Jahre, murmelte Gildas Tregomain. Wie die Zeit vergeht! Vor zwanzig Jahren, ach, da führte ich ja noch die »Charmante Amélie«....

– Wer spricht denn von Deiner »Charmante Amélie«, rief Meister Antifer heftig. Ist denn von der »Charmante Amélie« oder von der Breite die Rede, die in diesem Briefe angegeben ist?«


Man grüßte ihn von hier und von da. (S. 64.)

[56] Dazu ließ er vor den blinzelnden Augen des Frachtschiffers den berühmten, schon vergilbten Brief umhertanzen, der das Monogramm Kamylk-Paschas trug.

»Ja... dieser Brief... dieser verdammte Brief... fuhr er fort, dieser verteufelte Brief, den ich zerreißen, in Asche verwandeln möchte....

– Das wäre vielleicht das klügste, wagte der Frachtschiffer zu bemerken.

– Hollah... Kapitän Tregomain, rief Meister Antifer flammenden Auges und drohender Stimme, daß es Dir nie wieder beikommt, mir so zu antworten, wie Du's eben gethan hast!

[57] – Nimmermehr!

– Und wenn ich in einem Anfalle von Tollheit diesen Brief zerreißen wollte, den Brief, der für mich ein Eigenthumsdocument darstellt, wenn ich unvernünftig genug wäre, zu vergessen, was ich mir und den Meinen schuldig bin, und Du hindertest mich nicht daran...

– Ich würde Dich daran hindern, alter Freund, verlass' Dich darauf«... beeilte sich Gildas Tregomain zu versichern.

Ganz gerührt ergriff der Meister Antifer sein Glas, stieß damit an das des Nachbars und sagte:

»Auf Deine Gesandheit, Kapitän!

– Wohl bekomm's Dir!« antwortete Gildas Tregomain, der das Glas bis zur Höhe seiner Augen hob und es dann wieder hinsetzte.

Pierre-Servan-Malo war nachdenklich geworden, er fuhr sich mit fiebernder Hand durch's Haar, murmelte, von Flüchen und Seufzern unterbrochne Worte und kaute dabei seinen Kiesel im Munde hin und her. Plötzlich kreuzte er die Arme und ließ den Blick auf dem Freunde ruhen....

»Weißt Du wenigstens, was dieser vermaledeite Parallelkreis durchschneidet... dieser vierundzwanzigste Grad nördlicher Breite?

– Warum sollt' ich das nicht wissen? erwiderte der Frachtschiffer, der dieses kleine Examen in der Geographie schon oft genug zu bestehen gehabt hatte.

– Glaube, Kapitän, solche Sachen kann man gar nicht genau genug wissen!«

Damit schlug er im Atlas die Planisphärenkarte auf, die ein Bild der ganzen Erdoberfläche zeigte.

»Sieh, hier! commandierte er mit einem Tone, der kein Zögern und keine Erwiderung zuließ.

– Du siehst doch Saint-Malo, nicht wahr?

– Ja, und hier die Rance...

– Von der Rance ist keine Rede! Du wirst mich toll machen mit Deiner Rance!... Nun also, lege den Finger auf den Meridian von Paris und gleite dann bis zum vierundzwanzigsten Grad hinunter.

– Ich gleite schon.

– Nun durch Frankreich und Spanien hindurch... nach Afrika hinein... durch Algerien... da kommst Du nach dem Wendekreis des Krebses... da oberhalb Timbuktu...

[58] – Bin schon da.

– Also richtig, da sind wir an der berühmten Breite.

– Ja, ja, da wären wir nun.

– So begeben wir uns nach Osten zu, durchmessen ganz Afrika, waten durch's rothe Meer... fallen in Arabien oberhalb Mekkas ein... begrüßen den Iman von Mascat... setzen nach Indien über und lassen dabei Bombay und Calcutta auf Steuerbord... dann streifen wir den untern Theil Chinas, die Insel Formosa, den Stillen Ocean, die Gruppe der Sandwichinseln... aber folgst Du auch ordentlich nach?

– Ob ich Dir folge, seufzte Gildas Tregomain, der sich mit dem großen Taschentuche die Stirn abtrocknete.

– Nun, jetzt bist Du in Amerika, in Mexiko... dann im Golf... nachher neben Habanah. Du begiebst Dich durch die Meerenge von Florida... steuerst auf den Atlantischen Ocean hinaus... an den Canarischen Inseln vorüber und kommst wieder nach Afrika. Jetzt marschierst Du am Meridian von Paris hinauf und bist in Saint-Malo zurück nach einer Rundreise um die Erde auf dem vierundzwanzigsten Breitengrade.

– Uf! stieß der gefällige Frachtschiffer hervor.

– Und kannst Du mir nun, fuhr Meister Antifer fort, nachdem wir die ganze Reise zurückgelegt, Meere durchkreuzt, Inseln überflogen und Länder durchwandert haben – kannst Du mir, Wasserlastträger, wohl sagen, wo die Stelle liegt, die meine Millionen festhält?

– Ja, das weiß man leider nicht....

– Wird es aber erfahren....

– Natürlich... sobald der Bote eingetroffen ist...«

Der Meister Antifer langte sich das zweite Gläschen Cognac zu, da der Kapitän der »Charmante Amélie« es nicht geleert hatte.

»Dein Wohlsein! sagte er.

– Wohl bekomm' Dir's!« antwortete Gildas Tregomain, der mit dem leeren Glase an das gefüllte seines Freundes stieß.

Eben schlug es zehn Uhr. Ein heftiger Schlag mit dem Klopfer machte die Hausthür erzittern.

»Wenn das der Mann mit der Länge wäre! rief der allzu nervöse Malouin.

– Oho! sagte sein Freund, der diesen kleinen Ausdruck des Zweifels nicht zurückhalten konnte.

[59] – Und warum nicht? versetzte Meister Antifer, dessen Wangen schon mehr als purpurroth wurden.

– Ja freilich.... Warum könnte er's nicht sein?« gab der Frachtschiffer nach und begann schon eine begrüßende Bewegung, um den Ueberbringer der guten Nachricht zu empfangen.

Plötzlich erschallten aus dem Erdgeschoß laute Freudenrufe – ja, Freudenrufe, die, da sie von Nanon und Enogate ausgingen, dem Abgesandten Kamylk-Paschas wohl nicht gelten konnten.

»Er ist es! Er ist es! wiederholten die beiden Frauen.

– Er?... Welcher er...?« knurrte Meister Antifer.

Schon wollte er sich nach der Treppe begeben, als jemand die Thür seines Zimmers öffnete.

»Guten Abend, liebster Onkel, guten Abend!«

Diese Worte ertönten von einer heitern, offenbar zufriedenen Stimme, die den Onkel in leise Verzweiflung zu setzen vermochte.

»Er,« das war Juhel, der eben zurückkam. Er hatte den Zug von Nantes nicht versäumt und sein Examen auch bestanden, denn er rief:

»Erhalten, lieber Onkel, erhalten!

– Erhalten! wiederholten die bejahrte Frau und das junge Mädchen.

– Erhalten... Was denn?... versetzte Meister Antifer.

– Das Patent eines Kapitäns der langen Fahrt... mit Auszeichnung!«

Und da sein Onkel ihm die Arme nicht öffnete, fiel er in die Gildas Tregomain's, der ihn an's Herz drückte, daß dem jungen Mann der Athem ausging.

»Sie werden ihn ersticken, Gildas, bemerkte Nanon.

– Ei was, ich hab' ihn doch kaum umarmt!« meinte lächelnd der Exkapitän der »Charmante Amélie«.

Inzwischen war Juhel wieder zu sich gekommen und wandte sich nun an Meister Antifer, der unruhigen Schrittes im Zimmer auf- und abging.

»Und nun, lieber Onkel, wann soll nun die Hochzeit sein?

– Welche Hochzeit?

– Die meinige mit der lieben Enogate, antwortete Juhel. Ist das nicht ausgemacht?

– Ja, freilich, schon lange, bestätigte Nanon.

[60] – Wenigstens, wenn Enogate mich noch mag, seitdem ich Kapitän für lange Fahrt....

– Ach, mein Juhel!« rief das junge Mädchen, indem sie ihm eine Hand hinstreckte, in der der gute Tregomain – er hat es wenigstens behauptet – zu sehen glaubte, daß sie ihr ganzes Herz hinein gelegt hatte.

Meister Antifer antwortete nicht und schien nur zu schnüffeln, woher der Wind wehte.

»Nun, lieber Onkel? fragte der junge Mann noch einmal, während er seine hübsche Gestalt aufrichtete, sein Gesicht leuchten und seine Augen von Glück erglänzen ließ. Hast Du, lieber Onkel, fuhr er fort, nicht gesagt: die Hochzeit findet statt, wenn Du Dein Patent erhalten hast, und wir bestimmen die Zeit dafür am Tage Deiner Heimkehr?

– Ich glaube, das hast Du gesagt, alter Freund, wagte der Frachtschiffer zu bemerken.

– Nun also, mein Patent hab' ich, wiederholte Juhel, hier bin ich auch zurück, und wenn Du nichts einzuwenden hast, lieber Onkel, bestimmen wir die Sache für die ersten Tage des April....«

Pierre-Servan-Malo schnellte in die Höhe.

»In acht Wochen, warum nicht gleich in acht Tagen, in acht Stunden... oder gar in acht Minuten?...

– Wahrhaftig, wenn das ausführbar wäre, lieber Onkel, ich hätte wahrlich nichts dagegen.

– Nein, nein, das will Zeit haben, meinte Nanon. Da giebt es Vorbereitungen zu treffen, Einkäufe zu machen....

– Ja, ich muß mir auch einen neuen Anzug dazu bauen lassen, sagte Gildas Tregomain, der zukünftige Brautführer.

– Nun also... am fünften April? fragte Juhel.

– Meinetwegen, stieß Meister Antifer hervor, der sich gar zu sehr in die Enge getrieben fühlte.

– Ach, mein liebster guter Onkel! jubelte das junge Mädchen, sich ihm an den Hals werfend.

– O, mein bester Onkel!« rief der junge Mann.

Und da er diesen von der einen Seite und Enogate ihn von der andern Seite umarmte, ist's nicht ganz unmöglich, daß die Lippen der jungen Leute sich dabei ein wenig berührten.

[61] »Gut... also abgemacht..., ließ der Onkel sich vernehmen..., am fünften April... doch unter einer Bedingung...

– O, keine Bedingungen....

– Noch eine Bedingung? rief Gildas Tregomain, der einen listigen Schachzug seines Freundes fürchtete.

– Ja freilich... eine Bedingung noch....

– Und die wäre, lieber Onkel? fragte Juhel mit leichtem Stirnrunzeln.

– Sie besteht darin, daß ich bis dahin meine Länge noch nicht erfahren habe.«

Alle seufzten erleichtert auf.

»Ja!... Ja wohl!« riefen die andern wie aus einem Munde.

Es wäre ja grausam gewesen, dem Meister Antifer diese kleine Genugthuung zu versagen. Welche Wahrscheinlichkeit lag auch dafür vor, daß der nun seit zwanzig Jahren erwartete Sendling Kamylk-Paschas gerade noch vor dem für Juhels und Enogates Hochzeit bestimmten Tage eintreffen könnte?

6. Capitel
Sechstes Capitel.
Erste Scharmützel zwischen Abendland und Morgenland, wobei dem Morgenlande vom Abendlande arg mitgespielt wird.

Eine Woche verstrich. Von einem Boten keine Spur. Gildas Tregomain meinte, er würde darüber auch nicht weniger erstaunt sein, als wenn der Prophet Elias aus dem Himmel zurückkehrte; er hütete sich aber, seine Ansicht vor dem Meister Antifer in dieser biblischen Fassung auszusprechen.

Enogate und Juhel dachten in ihrem Glück überhaupt nicht an einen Abgesandten Kamylk-Paschas, der für sie als rein imaginäres Wesen galt. O, wenn kein andrer als dieses Männchen die bevorstehende Hochzeit stören oder verzögern sollte!... Nein, sie bereiteten sich zur Abfahrt in das schöne Land der Ehe, von dem der junge Mann die Länge und das junge Mädchen die Breite kannte, das Land, das sie so leicht zu finden wußten, wenn sie jene [62] beiden geographischen Elemente combinierten... und diese Combination sollte am fünften April vor sich gehen.

Meister Antifer war inzwischen immer ungeselliger und unzugänglicher geworden. Das Datum für die Trauung rückte mit jedem Tage um vierundzwanzig Stunden näher. Nur noch wenige Wochen, und die Verlobten waren durch unlösliche Bande vereinigt.

Wahrhaftig ein schönes Band! Und ihr Onkel hatte für Beide von den stolzesten Verbindungen für's Leben geträumt, wenn er erst reich wäre. Denn wenn er jene Millionen, jene unfindbaren Millionen einmal im Kasten hatte, so dachte er gewiß nicht daran, allein den Genuß davon zu haben, auf großem Fuße zu leben, etwa in einem Palaste zu wohnen, in Equipagen umherzukutschieren, aus goldnen Schüsseln zu essen und Diamantknöpfchen im Vorhemdchen zu tragen.... Du lieber Himmel, nein! Er wollte Juhel an eine Prinzessin und Enogate natürlich an einen Prinzen verheiraten. Das war nun einmal die Marotte des braven Mannes. Dieser Lieblingswunsch schien aber nicht in Erfüllung gehen zu sollen, wenn der Bote nicht noch in letzter Minute eintraf und keine Nachricht Kamylk-Paschas – wegen Mangels weniger Ziffern – dessen Schätze in seinen Kasten ausleerte.

Meister Antifer wüthete nicht mehr, er konnte sich aber auch nicht mehr im Hause halten, was für die Ruhe der Uebrigen ja nur vortheilhaft war. Man sah ihn nur zur Stunde des Essens, und auch da schlang er alles eiligst hinunter. Bei jeder passenden Gelegenheit bot sich ihm der gute Tregomain als Ableiter dar, in der Hoffnung, die innere Aufregung seines Freundes – der ihn übrigens stets zum Teufel schickte – etwas zu besänftigen. Jetzt konnte man wohl befürchten, daß der Mann geisteskrank würde. Seine einzige Beschäftigung bestand nur noch darin. allemal bei Ankunft der Züge den Bahnhof abzusuchen, beim Eintreffen von Dampfern die Quais des Sillon unsicher zu machen, in der Erwartung, eine etwas exotische Erscheinung auftauchen zu sehen, die er für den Abgesandten Kamylk-Paschas halten konnte; wahrscheinlich einen Aegypter, vielleicht einen Armenier, kurz, einen an seinem Typus, an seiner Sprache, seiner Tracht erkennbaren Ausländer, der einen Bahnhofsbeamten nach der Adresse Pierre-Servan-Malo Antifer's fragen würde.

Nichts! Nein, nichts dieser Art! Leute aus der Normandie, Bretonen, Engländer oder Norweger, so viel man verlangte. Von einem Reisenden aus dem Orient Europas, einem Malteser, einem Levantiner... keine Spur.

[63] Am 9. Februar, nach seinem Frühstück, wobei er die Lippen, außer zum Essen und Trinken, gar nicht aufgethan hatte, begab sich Meister Antifer wieder auf seine Promenade, die Promenade eines Diogenes, der einen Menschen sucht. Wenn er nicht, wie der große Philosoph des Alterthums, am hellen Tage eine angezündete Laterne mit sich führte, hatte er doch zwei vorzügliche Augen mit heller Pupille, die ihn den, den er erwartete, schon von ferne her zu erkennen gestatteten.

Rasch wanderte er durch die engen, von hohen Granithäusern begrenzten und mit spitzen Steinen gepflasterten Straßen der Stadt dahin, er begab sich durch die Rue de Bay nach dem Square Duguay Trouin, las die Stunde vom Zifferblatt an der Unterpräfectur ab, wandte sich nach dem Chateaubriand-Platze, schlüpfte um den Kiosk, unter dessen dichte blätterlose Platanen, eilte durch das Thor in der Stadtmauer und gelangte damit nach dem Quai des Sillon.

Meister Antifer guckte nach rechts und nach links, vor und hinter sich und blies gewaltige Tabakswolken aus seiner Pfeife in die Luft. Man grüßte ihn von hier und von da, denn er gehörte zu den Notablen von Saint-Malo und war ein geschätzter und hochgeachteter Mann. Viele Grüße erwiderte er freilich gar nicht, da er sie nicht bemerkte, so versessen, so zerstreut war er in Folge seiner gespannten Erwartung.

Im Hafen lagen viele Fahrzeuge, Segler und Dampfer, Dreimaster, Briggs, Goëletten, Lugger und Sardellenboote. Es war jetzt die Zeit der Ebbe und mußten zwei bis drei Stunden vergehen, ehe die vom Semaphor gemeldeten Schiffe von der hohen See her einlaufen konnten.

Meister Antifer hielt es daher für wichtiger, inzwischen im Bahnhof die Ankunft des nächsten Schnellzuges abzuwarten, immer in der Hoffnung, heute mehr als vorher vom Glück begünstigt zu werden.

Nun liegt es aber einmal in der schwachen Menschennatur, gerade wenn es darauf ankommt, das Richtige nicht zu treffen. Während Meister Antifer die Vorübergehenden musterte, bemerkte er nämlich nicht, daß ihm schon seit zwanzig Minuten ein gewisser Jemand nachfolgte, der seine Aufmerksamkeit wohl hätte erwecken müssen.

Es war das ein Fremder mit rothem Fez nebst schwarzer Troddel auf dem Haupte, gehüllt in einen langen einreihigen, bis zum Hals hinausreichenden Rock und bekleidet mit weiter Pluderhose, die auf die breiten Schuhe – eigentlich Babuschen – herabfiel. Zu jung war der Mann gerade nicht... so gegen [64] sechzig bis fünfundsechzig Jahre, dazu etwas gekrümmt in der Haltung, während er die knochigen Hände auf der Brust liegen hatte. Mochte dieses Männchen nun der erwartete Levantiner sein oder nicht, jedenfalls kam er unzweifelhaft aus den Ländern, die das östliche Mittelmeer bespült... es war also ein Aegypter, ein Armenier, ein Syrier, ein Ottomane oder dergleichen.

Kurz, der Fremde folgte dem Meister Antifer zögernden Schrittes und schien jetzt an ihn herantreten, dann wieder, aus Furcht, einen Irrthum zu begehen, mehr zurückbleiben zu wollen. Am Ende des Quais beschleunigte er [65] seinen Schritt, überholte den Malouin, und kehrte dann so plötzlich wieder um, daß beide Massen aneinander prallten.


»Zum Teufel mit dem Tölpel!« (S. 66.)

»Zum Teufel mit dem Tölpel!...« rief Meister Antifer aufbrausend.

Dann rieb er sich die Augen, überspannte diese in Stirnhöhe als Schirm mit der Hand und stieß – wie Kugeln aus einem Revolver – die Worte hervor:

»Hm... Ah?... Oho?... Er?... Sollte er's sein?... Ganz bestimmt, das ist der Abgesandte des doppelten K....«

Wenn es der besagte Abgesandte war, muß man zugeben, daß er nicht ganz danach aussah mit dem bartlosen Gesicht, den runzligen Wangen, der spitzen Nase, den abstehenden Ohren, dünnen Lippen und unsteten Augen, mit dem Teint einer alten, überreifen Citrone – kurz, mit einer Erscheinung, die bei der aus dem winzigen Antlitz leuchtenden Arglist kein besondres Vertrauen einzuflößen vermochte.

»Hab' ich nicht die Ehre, Herrn Antifer – wie mir ein gefälliger Matrose sagte – vor mir zu sehen? fragte er in gebrochener Sprache, die indeß, selbst für einen Bretonen, vollkommen verständlich war.

– Antifer, Pierre-Servan-Malo! lautete die Antwort. Und Sie?...

– Ben Omar.

– Ein Aegypter?...

– Und Notar aus Alexandrien, der eben im Hôtel de l'Union, Poisonneriestraße, abgestiegen ist.«

Ein Notar mit Amtssiegel! Offenbar sahen die Notare im Morgenlande anders aus als die Herren bei uns, die ohne weißes Halstuch, schwarze Kleidung und goldne Brille nicht denkbar sind. Es war ja schon erstaunlich genug, daß es unter den Unterthanen der Pharaonen überhaupt officielle Notare gab.

Meister Antifer zweifelte gar nicht mehr, den geheimnißvollen Boten, den Ueberbringer der berühmten Länge, den seit zwanzig Jahren durch den Brief Kamylk-Paschas angekündigten Messias vor sich zu haben. Statt, wie man fürchten könnte, diesen Ben Omar mit Fragen zu bestürmen, bewahrte er sich so viel Selbstbeherrschung, ihn damit kommen zu lassen, da die auf diesem Gesicht einer lebenden Mumie ausgeprägte Doppelzüngigkeit in ihm einen argen Verdacht erweckte. Gildas Tregomain hätte seinen hitzigen Freund niemals einer so klugen Zurückhaltung für fähig gehalten.

»Nun, was wünschen Sie von mir, Herr Ben Omar? fragte er, mit einem scharfen Blick auf den Aegypter, der sich in Verlegenheit hin und her wand.

[66] – Einen Augenblick unter vier Augen, Herr Antifer.

– Muß das bei mir zu Hause sein?

– Nein, es ist wünschenswerth, an einem Orte, wo uns niemand hören kann.

– Es handelt sich also um ein Geheimniß?

– Ja und nein, oder vielmehr um einen Handel....«

Meister Antifer zitterte bei diesem Worte. Wenn dieser Kauz ihm seine Länge brachte, wollte er sie offenbar nicht gratis ausliefern, und doch erwähnte der mit dem doppelten K signierte Brief keines Handels.

»Achtung am Steuer, dachte er für sich, laßt Euch den guten Wind nicht von der Hand gehen!«

Damit wandte er sich nach dem Fremdling und wies nach einer ganz verlassnen Stelle am Ausgang des Hafens.

»Kommen Sie mit dorthin, sagte er, dort werden wir allein genug sein, über geheime Angelegenheiten sprechen zu können. Doch schnell, es ist so verteufelt kalt, daß es einem ins Gesicht schneidet!«

Sie brauchten nur zwanzig Schritte weit zu gehen. Auf den am Quai liegenden Fahrzeugen befand sich keine lebende Seele. Der dienstthuende Zollbeamte wandelte in der Entfernung einer halben Kabellänge von ihnen umher.

Sehr bald hatten Beide die einsame Ecke erreicht und ließen sich auf einem Maststumpf nieder.

»Paßt Ihnen die Oertlichkeit, Herr Ben Omar? fragte Pierre-Servan-Malo.

– Sehr gut... o, sehr gut!

– Nun, so sprechen Sie sich frei von der Leber weg aus und nicht nach Art jener Sphinxe, die sich ein Vergnügen daraus machen, der armen Welt Räthsel aufzugeben.

– Ich habe keine Hinterhalte, Herr Antifer, und werde ganz frei sprechen,« erwiderte Ben Omar, in einem Tone, der mit wirklicher Offenheit nicht viel Verwandtschaft zu haben schien.

Er hustete zweimal und begann darauf:

»Sie haben einen Vater gehabt?...

– Ja, wie das bei uns zu Lande so Sitte ist. Nun, und?

– Ich habe gehört. daß dieser gestorben sei?

– Schon vor acht Jahren. Weiter?...

[67] – Er ist zur See gefahren?...

– Jedenfalls, da er Seemann war. Nun, und...?

– In welchen Meeren?...

– In allen. Und?...

– Nun... da ist er wohl auch nach der Levante gekommen?

– Ins Morgenland wie ins Abendland. Nun?...

– Hat er sich während seiner Reisen, fuhr der Notar fort, der in diesen kurzen Antworten noch keinen richtigen Anknüpfungspunkt fand, hat er sich da vor sechzig Jahren nicht auch an den Küsten Syriens befunden?...

– Vielleicht ja... vielleicht nein. Nun, und...?«

Diese ewigen »Nun, und?« empfand Ben Omar wie Peitschenhiebe in die Seiten und sein Gesicht verzog sich dabei in der unglaublichsten Weise.

»Laviere nur, Männchen, immer laviere, so viel es Dir beliebt, dachte Meister Antifer. Brauchst nicht auf mich als Lootsen zu rechnen.«

Der Notar begriff, daß er mehr auf die Hauptsache zusteuern müsse.

»Haben Sie Kenntniß davon, fuhr er fort, daß Ihr Vater Gelegenheit gehabt hätte, jemand einen Dienst zu leisten.... einen sehr wichtigen Dienst... gerade an der Küste von Syrien?

– Daß ich nicht wüßte. Nun, und?

– Ah! stieß Ben Omar hervor, der über diese Antwort höchlichst erstaunt war. Und Sie wissen auch nicht, ob er je einen Brief von einem gewissen Kamylk-Pascha erhalten hat?

– Von einem Pascha?

– Ja.

– Mit wie vielen Roßschweifen?

– Darauf kommt nichts an, Herr Antifer. – Wichtig ist nur, ob Ihr Vater jemals einen Brief erhielt, der Mittheilungen von sehr, sehr großem Werthe enthielt?

– Davon weiß ich nichts. Nun, und?...

– Haben Sie denn seine Papiere nicht durchgesehen?... Es ist unmöglich, daß er diesen Brief vernichtet hätte.... Er enthielt, wie ich Ihnen wiederhole, eine Nachricht von höchster Wichtigkeit....

– Für Sie, Herr Ben Omar?...

– Auch für Sie, Herr Antifer, denn... nun ja, gerade um diesen Brief zurückzuerhalten, bin ich hier... den Brief, der den Gegenstand eines Handels bilden könnte.«

[68] Unserm Pierre-Servan-Malo war es nun vollständig klar, daß irgend welche Leute, deren Mandatar Ben Omar war, Kenntniß von der Längenangabe haben müßten, die ihm fehlte, um die Lage jener Millionen bestimmen zu können.

»Die Spitzbuben! knurrte er; die wollen mir mein Geheimniß entlocken, mir den Brief abkaufen und nachher meinen Geldkasten ausgraben.«

Vielleicht hatte er damit nicht Unrecht. Bei diesem Punkt ihres Zwiegesprächs vernahmen Meister Antifer und Ben Omar die Schritte eines Mannes, der von ihrer Seite herkommend um die Ecke des Quais in der Richtung nach dem Bahnhofe ging. Sie schwiegen, oder der Notar ließ wenigstens einen eben angefangenen Satz unvollendet. Man hätte auch glauben können, daß er auf genannten Vorüberkommenden einen Seitenblick warf und ein verneinendes Zeichen machte, wodurch jener unangenehm berührt wurde. Jedenfalls machte dieser ein Zeichen unerwarteter Enttäuschung und verschwand bald, indem er seinen Weg schleuniger fortsetzte.

Es war ein Fremder von etwa dreiunddreißig Jahren in ägyptischer Tracht, von braunem Teint, mit schwarzen blitzenden Augen, von übermittlerer Größe, starkem Körperbau, entschlossenem Aussehen und einem wenig anziehenden, eher wilden Gesicht. Es schien, als ob er und der Notar bekannt wären, doch als ob sie das augenblicklich nicht merken lassen wollten.

Der Meister Antifer bemerkte indeß von diesem Zwischenfall – der ja nur in einem Blicke und einer Geste bestand – nichts, und er nahm das Gespräch wieder auf.

»Nun, mein Herr Ben Omar, sagte er, wollen Sie mir wohl erklären, warum Ihnen so viel an dem Besitz jenes Briefes liegt, warum Sie erfahren wollen, was er enthält, und das sogar um den Preis, ihn mir abzukaufen, wenn ich ihn gehabt hätte?...

– Herr Antifer, antwortete der Notar ziemlich verlegenen Tones, ich habe einen gewissen Kamylk-Pascha zu meinen Clienten gerechnet. Mit Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt...

– Sie haben gerechnet, sagen Sie.

– Ja... und als Mandatar seiner Erben....

– Seiner Erben? rief Meister Antifer mit einem Ausdruck der Ueberraschung. die den Notar erstaunen machte. Er ist also todt...?

– Ja, er ist todt.

. – Achtung! murmelte Pierre-Servan-Malo, der seinen Kiesel zwischen den Zähnen knirschen ließ. Kamylk-Pascha ist todt.... Das ist zu beachten. und wenn sich jetzt etwas anzetteln sollte...

[69] – Also, Herr Antifer, fragte Ben Omar, ihn von der Seite ansehend. Sie haben diesen Brief also nicht?

– Nein.

– Das ist schade, denn die Erben Kamylk-Paschas, die alles zu sammeln wünschen, was ihnen das Andenken an ihren geliebten Verwandten wach halten könnte....

– Ach so, es handelt sich nur um's Andenken?... Diese guten Herzen!

– Nur darum allein, Herr Antifer, und diese guten Herzen, wie Sie selbst sagen, würden sich nicht geweigert haben, Ihnen eine anständige Summe dafür zu bieten, daß sie wieder in Besitz jenes Briefes gelangten.

– So?... Wie viel hätten die Leute denn drangewendet?

– Das ist ja nun, da Sie den Brief nicht haben, ganz belanglos.

– Einerlei... sagen Sie es nur...

– Nun, gewiß einige hundert Francs.

– Pah!... Eine rechte Lappalie! rief Meister Antifer.

– Vielleicht sogar einige tausend...

– Na, ich will Ihnen etwas sagen, fiel Meister Antifer ein, indem er Ben Omar an den Schultern packte und ihm – mit großer Lust, den verschmitzten Kerl ins Ohr zu beißen – die Worte zuraunte: Hören Sie, ich habe Ihren Brief! Ihren Brief mit dem doppelten K darunter!

– Ja... das Doppel-K!... So pflegte mein Client sich stets zu unterzeichnen.

– Ich habe ihn... hab' ihn gelesen und wieder gelesen. Ich weiß auch, oder vermuthe es wenigstens, warum Ihnen am Besitz desselben gar so viel liegt...

– Mein Herr...

– Sie werden den Brief aber nicht bekommen!

– Sie verweigern seine Zurückgabe?

– Gewiß, alter Omar, wenn Sie mir ihn nicht abkaufen...

– Für wieviel? fragte der Notar, der schon mit der Hand in die Tasche fuhr, um die Börse zu ziehen.

– Wie viel?... Nun sagen wir: fünfzig Millionen Francs!«

Hei, da schnellte Ben Omar in die Höhe, während Meister Antifer ihn mit offenem Munde, zurückgezognen Lippen und freistehenden Zähnen ansah, wie der Mann wohl Zeit seines Lebens noch nicht angesehen worden war.

[70] Dann fuhr er trocknen Tones, als ob er auf Deck einen Befehl ertheilte, fort:

»Sie nehmen ihn dafür oder lassen's bleiben, wie's beliebt!

– Fünfzig Millionen! wiederholte der Notar mit bebender Stimme.

– Feilschen Sie nicht, Herr Ben Omar! Ich sage Ihnen, Sie bekommen keine fünfzig Centimes Rabatt!

– Fünfzig Millionen?

– Das ist er unter Brüdern werth... und zwar baar... in Banknoten oder meinetwegen in einem Check auf die Bank von Frankreich«

Der Notar, der einen Augenblick ganz verblüfft gewesen war, kam allmählich wieder zu sich. Ohne Zweifel wußte dieser vermaledeite Seebär, welche Bedeutung der Brief für die Erben Kamylk-Paschas hatte. Er enthielt ja in der That die näheren Angaben zur Hebung des vergrabnen Schatzes Der Anschlag, sich durch List in dessen Besitz zu bringen, war also gescheitert. Der Malouin war auf seiner Hut. Es blieb nichts andres übrig, als ihm jenen Brief oder vielmehr die Breitenangabe abzukaufen, die als Vervollständigung zu dem Längengrade gehörte, welche wieder Ben Omar anvertraut war.

Nun konnte die Frage entstehen, woher Ben Omar wußte, daß Meister Antifer der jetzige Inhaber des Briefes war, und ob er, der alte Rechtsbeistand des alten Aegypters, in Ausführung des letzten Willens Kamylk-Paschas wirklich beauftragt war, die vor langer Zeit in Aussicht gestellte Längenangabe zu überbringen. Das wird aus dem Folgenden bald klar werden.

Welcher Beweggrund Ben Omar auch leiten mochte, ob er nur auf Anregung der natürlichen Erben des Verstorbenen handelte oder nicht, jedenfalls sah er ein, daß jener Brief nur gegen schweres Geld zurückgegeben werden würde. Doch fünfzig Millionen!...

Er begnügte sich also eine süßlich pfiffige Miene anzunehmen.

»Sie sagten, glaub' ich, fünfzig Millionen, Herr Antifer?


»Für wieviel?« fragte der Notar. (S. 70.)

– Ganz richtig.

– O, das ist wirklich das lustigste Ding von den Welt, das mir je vorgekommen ist.

– Herr Ben Omar, wollen Sie vielleicht etwas hören, was noch weit lustiger klingt?

– Recht gern.

– Nun, Sie sind ein alter Filou, ein alter ägyptischer Spitzbube, ein altes Nilkrokodil...

[71] – Mein Herr!...

– Nun, 's ist schon gut!... Sie versuchten im trüben Wasser zu fischen und wollten mir mein Geheimniß entlocken, statt mir das Ihrige mitzutheilen, zu welchem Zwecke Sie jedenfalls hierhergeschickt wurden.


Jetzt ging Meister Antifer... (S. 75.)

– Sie könnten annehmen?...

– Ich nehme nur an, was in der That so ist.

– Nein, was Sie sich nur einbilden.

– Genug, abscheulicher Betrüger!

[72] – Mein Herr...

– Ich nehme das Wort abscheulich zurück! Soll ich Ihnen auch sagen, was Ihnen von meinem Briefe vor allem am Herzen liegt?«

Der Notar spannte schon darauf, daß Pierre-Servan-Malo sich bei Vollendung dieses Satzes verrathen würde. Jedenfalls blitzten seine Augen wie ein paar Karfunkelsteine auf.

Doch nein, so aufgebracht der Malouin auch war, so daß sein Gesicht purpurroth glühte, er wußte sich davor zu hüten, denn er sagte nur:

[73] »Ja wohl, was Ihnen am Herzen liegt, alter Omar, schlauer Fuchs, das sind nicht die paar Worte über den Dienst, den mein Vater dem Herrn, der sich mit einem doppelten K unterschrieb, geleistet hat... nein, das sind vier Ziffern darin... verstehen Sie mich?... jene vier Ziffern...

– Vier Ziffern? murmelte Ben Omar.

– Natürlich... die vier Ziffern, die er enthält und die Sie anders als für zwölfeinhalb Millionen jede nicht erfahren. Doch, darüber haben wir nun genug geschwatzt. Gute Nacht!«

Damit stopfte Meister Antifer die Hände in die Taschen und wandte sich weg, indem er sein Lieblingslied pfiff, dessen Ursprung keine Menschenseele kannte und das schon mehr einem Hundegebell, als einer Melodie von Auber ähnelte.

Ganz versteinert blieb Ben Omar wie eine Granitsäule oder ein Meilenstein auf der Stelle stehen. Er, der darauf gerechnet hatte, mit dieser Sorte von Matrosen wie mit einem beschränkten Fellah fertig zu werden – und Mohammed weiß, daß er diese armen Bauersleute tüchtig gerupft hatte, wenn ihr Unstern sie in seine Hände lieferte.

Mit verdutztem Blicke sah er den Malouin schweren Trittes dahingehen, sich in den Hüften wiegen und bald die eine, bald die andre Schulter emporhieben, wozu der Mann gestikulierte, als hätte er seinen Freund Tregomain vor sich, dem er eben in gewohnter Weise seine Meinung sagte.

Plötzlich blieb Meister Antifer noch einmal stehen. War er auf ein Hinderniß getroffen? Ja!... Das Hinderniß bestand in einem Gedanken, der ihm durch den Kopf flog. Es handelte sich um ein Vergessen, das mit wenigen Worten wieder gut gemacht werden konnte.

So wandte er sich also an den Notar zurück, der noch immer dastand wie die reizende Daphne, als sie zum großen Leidwesen Apollos in einen Lorbeerbaum verwandelt worden war.

»Herr Ben Omar? begann er.

– Was steht zu Ihren Diensten?

– Ich habe noch etwas vergessen, was ich Ihnen ins Ohr flüstern wollte.

– Und das wäre?...

– Ja, die Nummer....

– Aha, die Nummer? wiederholte Ben Omar.

– Jawohl, die Straßennummer meines Hauses.... Drei, Rue des Hautes-Salles. Sie müssen doch meine Adresse kennen, und Sie können [74] sich des freundlichsten Empfanges versichert halten, wenn Sie mich aufsuchen...

– Wenn ich Sie aufsuche...

– Natürlich mit den fünfzig Millionen in der Tasche!«

Jetzt ging Meister Antifer wirklich seines Wegs, während der Notar fast zusammensank und Allah und seinen Propheten um Hilfe anflehte.

7. Capitel
Siebentes Capitel.
Worin eine andre, wenig anziehende Persönlichkeit, Namens Nazim, ihren Zorn über Ben Omar ausgießt.

In der Nacht vom 9. zum 10. Februar wären die Reisenden im Hôtel de l'Union, die die Zimmer nach dem Platz Jacques-Coeur inne hatten, gewiß aus dem tiefsten Schlafe geweckt worden, wenn die Thür des Zimmers Nummer 17 nicht hermetisch geschlossen und mit einem Polsterbelag versehen gewesen wäre, der es verhinderte, daß ein Geräusch von innen nach außen dringen konnte.

Hier thaten nämlich zwei Männer, oder wenigstens einer derselben, ihrem Unmuthe keinen Zwang an, sie sprachen sehr laut, fluchten und stießen Drohungen aus, wie sie nur der ärgste Zorn eingeben kann. Der zweite sachte den ersten zwar zu beruhigen, doch das wollte ihm, so viel Mühe er sich darum auch gab, nicht recht gelingen.

Uebrigens hätte wahrscheinlich niemand von diesem Zwiegespräch etwas verstanden, denn es wurde in türkischer Sprache geführt, die ja im Abendlande nicht viel bekannt ist. Von Zeit zu Zeit fielen dazu freilich auch einzelne französische Worte, ein Beweis, daß die beiden Streitenden recht wohl sich in der hiesigen Landessprache hätten ausdrücken können.

Im Kamin loderte ein lustiges Feuer, und eine, auf einem Tischchen stehende Lampe beleuchtete verschiedene Papiere, die unter einem großen abgenützten Portefeuille halb versteckt lagen.

[75] Der eine der Männer war Ben Omar – mit getäuschtem Gesicht und gesenkten Augen stierte er in die Flammen des Kamins, die weniger Gluth ausstrahlten, als die Augen seines Gefährten.

Dieser war die exotische Persönlichkeit mit wildem Ausdruck und unruhiger Haltung, der der Notar ein unbemerkbares Zeichen gemacht hatte, als Meister Antifer und er am Ende des Hafens miteinander sprachen.

Und dieser Mann wiederholte zum zwanzigsten Male:

»Du hast also keinen Erfolg gehabt?...

– Leider, Excellenz, doch Allah ist mein Zeuge...

– Ich brauche kein Zeugniß, weder von Allah noch von sonst jemand! Es ist Thatsache, daß Dein Versuch gescheitert ist.

– Zu meinem größten Bedauern.

– Der Malouin, den der Teufel rösten möge... (diese Worte wurden französisch gesprochen) hat es abgeschlagen, Dir den Brief auszuliefern?

– Ja, ganz bestimmt.

– Oder ihn Dir zu verkaufen?...

– Dazu war er bereit.

– Und Du hast ihn nicht gekauft, Unseliger?... Er ist nicht in Deinen Händen, und Du trittst mir hier entgegen, ohne ihn mitzubringen?

– Wissen Sie, was er dafür forderte, Excellenz?

– Nun, was liegt daran?

– Fünfzig Millionen Francs!

– Fünfzig Millionen...«

Und wieder flogen die Verwünschungen aus dem Munde des Aegypters wie die Kanonenkugeln einer Fregatte, die von beiden Seiten zugleich feuert. Dann – während er seine Kanonen von neuem lud – fuhr er fort:

»Der Seebär weiß also, Du Schwachkopf von einem Notar, welche Bedeutung diese Geschichte für ihn haben kann?

– Er mag es wohl vermuthen.

– Möge ihn Mohammed erwürgen... und Dich dazu! schrie der zornsprühende Mann, der mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab ging, oder vielmehr, was Dich angeht, werd' ich ihm die Mühe abnehmen, denn ich mache Dich verantwortlich für alles Unglück, das aus der Geschichte entsteht.

– Und doch ist es mein Fehler nicht, Excellenz!... Ich war in die Geheimnisse Kamylk-Paschas nicht genügend eingeweiht.

[76] – Du hättest sie aber kennen, hättest sie ihm entreißen müssen, während er noch lebte, Du, als sein Notar, konntest und mußtest es können!«

Wiederum spien die Stückpforten ganze Breitenlagen von Flüchen hervor.

Dieser schreckliche Mann war niemand anders als Saouk, der Sohn Murads, jenes Vetters von Kamylk-Pascha. Er zählte jetzt dreiunddreißig Jahre. Nach dem Ableben seines Vaters der einzige Erbe seines reichen Verwandten, wäre ihm dessen ungeheures Vermögen zugefallen, wenn dieses seinen habgierigen Händen nicht entzogen gewesen wäre. Der Leser weiß, warum und unter welchen Verhältnissen das geschah.

Wir erzählen hier – nur ganz kurz – die Ereignisse seit der Zeit, wo Kamylk-Pascha Aleppo verlassen hatte und seine Schätze mitnahm, um diese in den Eingeweiden eines unbekannten Felsens zu verbergen.

Einige Zeit nachher, im October 1831, hatte Ibrahim mit zweiundzwanzig Kriegsschiffen, die dreißigtausend Mann Truppen brachten, Gazza, Jaffa und Caissa erobert, und auch Saint Jean d'Acre war im folgenden Jahre am 27. März in seine Hände gefallen.

Es schien also, als ob Palästina und Syrien der Herrschaft der Hohen Pforte entgiltig entrissen werden sollten, als die Einmischung der europäischen Mächte den Sohn Mehemet Ali's in seinem Siegeszuge aufhielt. Im Jahre 1833 wurde den beiden Gegnern, dem Sultan und dem Vicekönig, der Vertrag von Kataye aufgenöthigt, nach dem die Sachen im Status quo ante blieben.

Zum Glück für seine Sicherheit hatte Kamylk-Pascha während dieser unruhigen Zeit seine Schätze in der mit dem Doppel-K bezeichneten Grube verborgen und seine Fahrten weiter fortgesetzt. Wohin ihn seine Brigg-Goëlette unter dem Commando des Kapitän Zo führte, welche nahe oder entfernte Länder und Meere er berührte, das hätte außer seinem Kapitän und ihm kein Mensch zu sagen gewußt, denn bekanntlich kam niemand von der Besatzung je ans Land und die Matrosen wußten niemals, nach welcher Himmelsgegend die Laune ihres Herrn sie geführt hatte.

Nach diesen erfolgreichen Irrfahrten beging Kamylk-Pascha jedoch die Unklugheit, nach der Levante zurückzukehren. Der Friede von Kataye hatte dem ehrzeizigen Vormarsche Ibrahim's Halt geboten, der Norden von Syrien war dem Sultan wieder unterthan, und der reiche Aegypter glaubte deshalb, ohne Gefahr nach Aleppo heimkehren zu können.

[77] Da wollte es das Unglück, daß sein Schiff – es war im Jahre 1834 – durch stürmisches Wetter bis in die Nähe von Saint Jean d'Acre verschlagen wurde. Noch immer in offensiver Haltung, kreuzte die Flotte Ibrahim's hier an der Küste, und auf einem der Schiffe befand sich gerade Murad, der von Mehemet Ali mit einer officiellen Mission betraut worden war.

Die Brigg-Goëlette führte die türkische Flagge am Top. Ob man nun wußte oder nicht, daß diese Kamylk-Pascha gehörte, jedenfalls wurde das Schiff verfolgt, geentert und – nicht ohne vorher muthig vertheidigt worden zu sein – besetzt. Dabei kam dessen Mannschaft ums Leben, die Brigg selbst wurde zerstört und deren Eigenthümer, sowie der Kapitän, gefangen genommen.

Murad erkannte Kamylk-Pascha sofort wieder, und damit hatte dieser seine Freiheit für immer verloren. Einige Wochen später warf man ihn und den Kapitän, die ganz geheim nach Aegypten gebracht worden waren, im Fort von Kairo ins Gefängniß.

Auch wenn es ihm gelungen wäre, sein Haus in Aleppo zu erreichen, hätte Kamylk-Pascha dort schwerlich die gewünschte Sicherheit gefunden. Der Theil von Asien, der vorläufig unter ägyptischer Verwaltung stand, seufzte schwer unter diesem verhaßten Joche. Das dauerte bis 1839, wo die Ausschreitungen der Beamten Ibrahim's so unleidlich geworden waren, daß der Sultan die ihm früher abgenöthigten Concessionen zurückzog. Das veranlaßte einen neuen Feldzug Mehemet Ali's, dessen Truppen den Sieg von Nezib davontrugen. Mahmud sah sich hierdurch selbst in der Hauptstadt der Europäischen Türkei bedroht. Jetzt schritten England, Preußen und Oesterreich zu Gunsten der Pforte ein, und setzten dem Sieger einen Damm entgegen, sicherten ihm jedoch den Besitz Aegyptens und überließen ihm die Verwaltung Asiens vom Rothen Meere an bis zum Tiberiassee im Norden und vom Mittelländischen Meere bis zum Jordan, das heißt ganz Palästinas diesseits dieses Stromes.

Der siegestrunkne Vicekönig, der an die Unüberwindlichkeit seiner Soldaten glaubte und vielleicht von der französischen Diplomatie auf Anregung Thiers' aufgestachelt wurde, lehnte das Angebot der verbündeten Mächte ab. Jetzt traten indeß deren Flotten in die Action ein. Der Commodore Napier bemächtigte sich im September 1840 der Stadt Beyrut trotz der Vertheidigung derselben durch Oberst Selves, der Soleyman Pascha geworden war. Sidon ergab sich am 25. desselben Monats und Saint Jean d'Acre capitulierte nach heftiger Beschießung und nachdem sein Pulvermagazin in die Luft geflogen war. Mehemet Ali [78] mußte nachgeben. Er ließ seinen Sohn Ibrahim zurückkehren und ganz Asien kam damit wieder unter die Oberhoheit des Sultans Mamuhd.

Kamylk-Pascha hatte sich also zu sehr beeilt, nach dem von ihm bevorzugten Land zurückzukehren, wo er einst sein vielfach beunruhigtes Leben zu beschließen gehofft hatte. Hierher wollte er seine Schätze zurückbringen, einen Theil zur Begleichung seiner Schuld der Dankbarkeit verwenden, einer Schuld, die von denen, die ihm einst das Leben gerettet hatten, gewiß längst vergessen war. Jetzt hatte man ihn nun in Kairo eingekerkert, wo sein Leben der Gnade oder Ungnade unversöhnlicher Feinde preisgegeben war.

Kamylk-Pascha sah ein, daß er verloren sei. Der Gedanke, seine Freiheit durch das Opfer seines Vermögens zu erkaufen, kam ihm gar nicht in den Sinn. Die Energie seines Charakters ging sogar so weit, seinen Kopf eher noch mehr aufzusetzen, eine Hartnäckigkeit, die sich nur aus dem Fanatismus des Ottomanen erklären läßt.

Die Jahre, die er im Gefängniß von Kairo schmachtete, waren freilich sehr hart, dazu hatte man ihn auch vom Kapitän Zo getrennt, auf dessen Discretion er jedoch unerschüttert baute. Durch die Gefälligkeit eines Wärters gelang es ihm endlich, im Jahre 1842, einige Briefe an verschiedene Personen abgehen zu lassen, mit denen er irgendwie in Verbindung stand – unter anderen auch einen an Thomas Antifer in Saint-Malo – gleichzeitig ging ein Päckchen mit seinem Testamente an Ben Omar, der früher in Alexandrien sein Rechtsbeistand gewesen war.

Seit 1845, wo der Kapitän Zo verschied, war Kamylk-Pascha nun noch der Einzige, der die Lage des Eilandes kannte, das seine Schätze barg. Seine Gesundheit fing jetzt aber an zu leiden, und die strenge Hast konnte nur dazu beitragen, ein Leben abzukürzen, das sonst gewiß noch eine lange Dauer versprochen hätte. Im Jahre 1852 nach achtzehnjährigem Kerker starb er endlich, vergessen von denen, die ihn gekannt hatten, im zweiundsechzigsten Lebensjahre, doch ohne daß weder Drohungen noch grausame Behandlung ihm sein Geheimniß hatten entreißen können.

Im nächsten Jahre folgte ihm sein unwürdiger Vetter in das Grab nach, ohne von dem ungeheuren Reichthum etwas genossen zu haben, nach dem er verlangte und um deswillen er selbst ein Verbrechen nicht gescheut hatte.

Murad hinterließ aber einen Sohn, jenen Saouk, der die schlechten Eigenschaften seines Vaters alle geerbt hatte. Trotz seiner dreiundzwanzig Jahre hatte [79] er doch schon ein recht wildes, schamloses Leben hinter sich, denn er gehörte den politischen Banditen an, die damals Aegypten durchstreiften. Als einziger Erbe Kamylk-Paschas wäre dessen Vermögen nun an ihn gekommen, wenn jener es seiner Habsucht nicht zu entziehen gewußt hätte. Seine Wuth kannte deshalb auch gar keine Grenzen, als mit dem Tode Kamylk-Paschas – seiner Meinung nach – auch jeder Anhaltspunkt dafür verschwunden war, wo sich die ungeheuren Schätze seines Onkels befinden möchten.

So verliefen zehn Jahre, und Saouk hatte bereits darauf verzichtet, je zu erfahren, was aus der ihm entgangnen Erbschaft geworden sei.

Wie erstaunte er aber, als ihm mitten in seinem Abenteurerleben eine Nachricht zukam – eine Nachricht freilich, die ihn wieder in zahllose unerwartete Abenteuer verwickeln sollte.

In den ersten Tagen des Jahres 1862 erhielt Saouk nämlich einen Brief mit der Aufforderung, sich im Bureau des Notars Ben Omar wegen einer wichtigen Angelegenheit einzufinden.

Saouk kannte diesen Notar als ein furchtsames Männchen, mit dem ein entschlossener Charakter alles mußte anfangen können, was ihm beliebte. Er begab sich also nach Alexandrien und fragte Ben Omar sehr brutal, mit welchem Rechte er sich erlaubt habe, ihn nach seinem Bureau zu verlangen.

Ben Omar empfing seinen Clienten, den er zu allem fähig wußte, mit tiefster Ehrerbietung, versah er sich's doch, womöglich gleich von dem Raufbolde erwürgt zu werden. Er entschuldigte sich wegen der ihm verursachten Störung und erklärte mit verbindlicher Stimme:

»Ist es nicht der einzige Erbe Kaniyik-Paschas, an den ich mich in Ihrer werthen Person gewendet habe?

– Natürlich der einzige Erbe, rief Saouk, da ich der leibliche Sohn Murad's bin, der der Vetter des Erblassers war.

– Wissen Sie bestimmt, daß es nicht noch einen andern erbberechtigten Verwandten Ihres seligen Onkels giebt?

– Keinen Menschen. Kamylk-Pascha hatte keinen andern Menschen als mich. Es fragt sich nur, wo ist die Erbschaft?


Dieser schreckliche Mann war kein andrer als Saouk. (S. 77.)

– Hier... zur gefälligen Verfügung Eurer Excellenz.«

Saouk ergriff das versiegelte Packetchen, das ihm der Notar hinhielt.

»Was enthält dieses Papier? fragte er.

– Das ist das Testament Kamylk-Paschas.

[80] – Und wie kommt das in Deine Hände?...

– Er hat es mir mehrere Jahre nach seiner Gefangensetzung im Fort Kairo zugehen lassen.

– Wann war das?

– O, schon vor zwanzig Jahren.

– Vor zwanzig Jahren! rief Saouk. Jetzt ist er bereits seit zehn Jahren todt... und Du hast gewartet...

– Lesen Sie selbst, Excellenz.«

[81] Saouk las eine Bemerkung auf dem Umschlag des Packetes. Danach war bestimmt, daß das Testament nicht früher als zehn Jahre nach dem Ableben des Testators eröffnet werden dürfe.

»Kamylk-Pascha starb im Jahre 1852, sagte der Notar, jetzt schreiben wir 1862, und da hab' ich mir gestattet, Euer Excellenz einzuladen....

– Verdammter Formelkrämer! stieß Saouk hervor. Schon seit zehn Jahren müßt' ich im Besitz meines Eigenthums sein....

– Vorausgesetzt, daß Kamylk-Pascha Sie als Erben eingesetzt hat, bemerkte der Notar.

– Ob er mich dazu eingesetzt hat?... Wen denn sonst?... Das werd' ich sofort wissen....«

Schon wollte er die Siegel erbrechen, als Ben Omar ihn mit den Worten zurückhielt:

»In Ihrem eigenen Interesse, Excellenz, ist es besser, die Sache nach gesetzlicher Vorschrift in Gegenwart von Zeugen zu erledigen...«

Damit öffnete Ben Omar schon die Thür und ließ zwei Kaufleute aus der Nachbarschaft eintreten, um der Testamentseröffnung beizuwohnen.

Die beiden Herren konnten bestätigen, daß das Packet unverletzt war, und darauf wurde es geöffnet.

Das Testament erhielt nur gegen dreißig Zeilen in französischer Sprache mit folgendem Tenor:

»Ich ernenne zu meinem Testamentsvollstrecker den Notar Ben Omar in Alexandrien, dem eine Entschädigung von ein Procent meines in Gold, Diamanten und andern Edelsteinen bestehenden Vermögens zukommen soll. Der Werth meiner Nachlassenschaft beläuft sich etwa auf hundert Millionen Francs. Im Monat September 1831 sind die drei Fässer, die obigen Schatz enthalten, an der Spitze eines gewissen Eilandes vergraben worden. Die Lage dieses Eilandes wird sich leicht bestimmen lassen, wenn man die Länge von vierundfünfzig Grad siebenundfünfzig Minuten östlich von Paris mit der Breite combiniert, die im Jahre 1842 einem gewissen Thomas Antifer in Saint-Malo, Frankreich, heimlich mitgetheilt worden ist.

»Ben Omar wird diese Längenangabe genanntem Thomas Antifer persönlich übermitteln oder, im Falle, daß dieser bereits gestorben wäre, seinem nächsten Erbberechtigten davon Mittheilung machen. Es wird ihm ferner hiermit aufgetragen, genannten Erben bei seinen Nachforschungen zu begleiten, bis der [82] vergrabne Schatz gehoben ist, dessen genaue Stelle am Fuße eines Felsens von mir selbst durch ein Doppel-K bezeichnet wurde.

»Unter Ausschluß meines unwürdigen Vetters Murad und seines ebenso unwürdigen Sohnes Saouk, wird Ben Omar sich beeilen, mit Thomas Antifer oder dessen directen Nachkommen in Verbindung zu treten und im übrigen nach den Anordnungen zu verfahren, die sich bei Gelegenheit jener Nachgrabungen finden werden.

»Das ist mein Wille, und ich erwarte, daß derselbe nach allen Seiten gewissenhaft beachtet werde.

»Geschrieben am 9. Februar 1842 im Gefängniß zu Kairo mit meiner eignen Hand.

Kamylk-Pascha.«

Wir brauchen wohl nicht auszumalen, wie Saouk dieses merkwürdige Testament aufnahm, und wie befriedigt Ben Omar über einen Auftrag schmunzelte, der ihm von der Summe, um die es sich handelte, ein Procent, das heißt, eine Million einbrachte, die von der Erbschaft für ihn abgesetzt werden sollte. Freilich mußte der Schatz erst gefunden werden, und das war nur möglich nach Bestimmung der Lage jenes Eilandes, indem man die im Testamente angegebene Länge mit der Breite verband, welche wieder Thomas Antifer ganz allein kannte.

Saouk's Plan war schnell gefaßt, und unter den furchtbarsten Drohungen mußte Ben Omar sich zum Theilnehmer desselben hergeben. Eine schleunigst eingezogene Erkundigung belehrte sie, daß Thomas Antifer 1854 mit Tode abgegangen sei und einen einzigen Sohn hinterlassen habe. Nun galt es also, diesen Sohn Pierre-Servan-Malo aufzusuchen, geschickt an's Werk zu gehen, um ihm das Geheimniß der seinem Vater bekannt gegebenen Breite zu entlocken, und dann Besitz von der ungeheuern Erbschaft zu nehmen, von der Ben Omar vorher seine Provision abziehen mochte.

Saouk und der Notar ließen nun keinen Tag verstreichen. Von Alexandrien aus dampften sie nach Marseille, benützten hier den Schnellzug nach Paris, dann den nach der Bretagne und waren an eben diesem Tage in Saint-Malo eingetroffen.

Weder Saouk noch Ben Omar zweifelten einen Augenblick daran, daß sie den Brief, der die kostbare Breitenangabe enthielt, bekommen würden. Der [83] Malouin kannte wahrscheinlich gar nicht die Bedeutung der Sache, und schlimmsten Falls wollten sie ihm das Schriftstück abkaufen.

Der Leser weiß, wie das verlief, und erklärlich ist es wohl auch, daß Seine Excellenz darüber höchst ungehalten und in ungerechtfertigtem Zorn nicht abzuhalten war, den armen Ben Omar für diesen Mißerfolg verantwortlich zu machen.

Daher jene hitzigen Auftritte im Hôtelzimmer, aus dem der unglückliche Notar gar nicht mehr lebend fortzukommen fürchtete.

»Ja, ja, wiederholte Saouk, Deine Ungeschicklichkeit ist es, die all' dieses Unheil verschuldet hat!... Du hast die Sache falsch angefangen! Hast Dir von dem Kerle, einem simplen Matrosen, eine Nase drehen lassen.... Vergiß aber nicht, was ich Dir sage: Wehe über Dich, wenn die Millionen Kamylk-Paschas mir verloren gehen!

– Ich schwöre Ihnen, Excellenz...

– Ach was da... ich... ich schwöre Dir, wenn ich mein Ziel nicht erreiche, wirst Du mir's und zwar theuer bezahlen!«

Ben Omar wußte nur zu gut, daß Saouk der Mann dazu war, wenigstens in solchen Dingen Wort zu halten.

»Sie glauben vielleicht, Excellenz, stammelte er in der Absicht, den Wütherich zu besänftigen, daß jener Seemann ein armer Teufel wäre, so einer jener erbärmlichen Fellahs, die sich eben so leicht übertölpeln wie in Angst setzen lassen....

– Das gilt mir gleich!

– Nein, das ist ein hitziger, schrecklicher Mann, der nichts hören will...«

Er hätte hinzufügen können : »Ein Mann Ihres Schlages«, hütete sich aber vor einem solchen Zusatze.

»Ich meine also, es ist besser zu verzichten...«

Kaum wagte der Aermste seinen Gedanken völlig auszusprechen.

»Verzichten! schrie Saouk auf, der mit der Hand auf den Tisch schlug, daß die Lampe tanzte und deren Glocke zersprang... verzichten auf hundert Millionen?...

– Nein... nein... Excellenz, beeilte sich Ben Omar zu erklären, so war es nicht gemeint, nur darauf einzugehen, diesem Bretonen die Länge mitzutheilen, wozu das Testament mich ja verpflichtet...

[84] – Damit er den Vortheil davon hat, Schwachkopf, und sich aufmacht, die Millionen auszuscharren!«

Der Zorn ist ja allemal ein schlechter Rathgeber. Auch Saouk, dem es weder an Intelligenz, noch an Schlauheit mangelte, sah das schließlich selbst ein.

Er beruhigte sich, soweit das möglich war, und überlegte den Vorschlag, den Ben Omar eben ge macht hatte.

Bei dem Charakter des Malouin lag es auf der Hand, daß von ihm durch List nichts zu erlangen war, hier mußte man noch geschickter vorzugehen versuchen.

So wurde denn zwischen Seiner Excellenz und dessen ergebenen Diener, der ihm wohl oder übel zu Willen sein mußte, folgender Plan geschmiedet: Am nächsten Tage wollten sie sich noch einmal zu Meister Antifer begeben, ihm die geographische Länge des Eilandes, wie sie das Testament angab, mittheilen, dabei aber auch deren Breite zu erfahren suchen. Dann beabsichtigte Saouk, dem Franzosen zuvorzukommen, ehe dieser die Hand auf jene Schätze legen konnte. Erwies sich das als unausführbar, so würde er Mittel finden, den Meister Antifer bei seinen Nachforschungen zu begleiten und dann versuchen, sich der Millionen zu bemächtigen.

Lag das betreffende Eiland, was ja anzunehmen war, in weiter Ferne, so vermehrte das die Aussicht auf Erfolg und die Sache versprach zu Gunsten Saouk's auszugehen.

Als sich die Beiden hierüber klar waren, fügte Saouk hinzu:

»Ich verlasse mich auf Dich, Ben Omar, und empfehle Dir, die Sache geschickt einzufädeln... sonst...

– Excellenz, Sie dürfen ruhig sein, doch Sie versprechen mir, daß ich meine Prämie unverkürzt erhalte....

– Ja, weil sie Dir nach dem Wortlaute einmal zukommt... doch unter der Bedingung, daß Du den Meister Antifer während seiner Fahrt nicht einen Augenblick verläßt!

– Ich werde stets bei ihm sein!

– Und ich ebenfalls!... Ich begleite Dich!

– Doch in welcher Eigenschaft?... Unter welchem Namen?

– O, als erster Gehilfe des Notar Ben Omar und unter dem Namen Nazim.

– Sie... Sie wollten wirklich?...«

[85] Und dieses »Sie« wurde mit einer so verzweifelten Stimme hervorgestoßen, daß man daraus erkannte, daß der unglückliche Ben Omar für die nächste Zukunft das Schlimmste erwartete.

8. Capitel
Achtes Capitel.
Worin der Leser einem Quartett ohne Musik beiwohnt, an dem auch Gildas Tregomain theilnimmt.

Vor der Thür seines Hauses angelangt, öffnete Meister Antifer dieselbe und begab sich nach dem Eßzimmer. Hier setzte er sich an den Kamin und wärmte seine Füße, ohne ein Wort zu sprechen.

Enogate und Juhel plauderten in der Nähe des Fensters; er bemerkte sie gar nicht. Nanon war in der Küche noch mit dem Essen beschäftigt; heute fragte er nicht, wie es seine Gewohnheit sonst war, zehnmal, »ob sie denn bald fertig wäre?«

Pierre-Servan-Malo war offenbar mit seinen Gedanken beschäftigt. Seinen Angehörigen durfte er ja nicht wohl mittheilen, was aus seinem Zusammentreffen mit Ben Omar, dem Notar Kamylk-Paschas, geworden war.

Auch während des Abendessens blieb der sonst so geschwätzige Meister Antifer stumm wie ein Fisch. Er vergaß sogar, von allen Gerichten zuzulangen und blieb nur länger mit dem Nachtisch beschäftigt, indem er ganz maschinenmäßig einige Dutzend Strandschnecken verzehrte, die er mittelst einer langen Nadel mit kupfernem Kopfe aus ihren grünlichen Schalen angelte.

Juhel sprach ihn mehrmals an; er antwortete nicht.

Enogate fragte, was ihm fehle; er schien sie gar nicht zu hören.

»Aber, Bruder, was hast Du denn nur?.. sagte Nanon, als er schon aufstand, um nach seinem Stübchen zu gehen.

– Ach, mich schmerzt ein Weisheitszahn, das ist alles!« antwortete er.

Da dachte jeder im Stillen, zu frühzeitig sei es gerade nicht, ihn auf seine alten Tage endlich »weise« zu machen.

[86] Ohne seine Pfeife anzuzünden, die er sonst den lieben langen Tag über auf dem Walle zu rauchen liebte, stieg er die Treppe hinan und sagte den Seinigen nicht einmal Gute Nacht.

»Dem Onkel steckt etwas im Kopfe! bemerkte Enogate.

– Was könnte er denn wieder haben? murmelte Nanon, den Tisch abräumend.

– Wir werden wohl den Herrn Tregomain holen müssen,« meinte Juhel.

In der That fühlte sich Meister Antifer jetzt mehr gepeinigt und von Unruhe verzehrt, als je vorher in seinem Leben, seit er jenen unentbehrlichen Boten erwartete. Er quälte sich mit der Frage ab, ob er wohl bei seinem Gespräche mit Ben Omar die nöthige Geistesgegenwart und Schlauheit bewahrt habe. Vielleicht war es doch thöricht gewesen, so kategorisch aufzutreten, den Mann zu hänseln, statt ihn gefügig zu machen und die Hauptpunkte der Angelegenheit in Ruh' und Frieden zu besprechen. Auch daß er jenen einen Spitzbuben, einen Schelm, ein Krokodil genannt und mit ähnlichen liebenswürdigen Titeln bezeichnet hatte, wollte ihm jetzt nicht ganz richtig erscheinen. Er hätte sein Interesse besser wahrnehmen, hätte handeln, die Sache in die Länge ziehen und sich stellen sollen, als wolle er den Brief ausliefern und als sei ihm dessen Werth unbekannt. Warum mußte er auch gleich fünfzig Millionen verlangen! Daß jener Brief das werth war, unterlag bei ihm keinem Zweifel. Immerhin hätte er die Sache geschickter anfangen sollen. Der Notar konnte sich ja schwer verletzt fühlen und die Lust verloren haben, sich einem solchen Empfange noch einmal auszusetzen. Und wenn der seinen Koffer packte, von Saint-Malo abfuhr und nach Alexandria zurückkehrte, dann blieb sein Räthsel ebenso ungelöst wie früher, und Meister Antifer hätte seiner Länge nach Aegypten nachlaufen können.

Beim Niederlegen verabreichte er sich denn auch eigenhändig einige tüchtige Ohrfeigen. Die Nacht über konnte er kein Auge schließen. Am Morgen war er fest entschlossen, den Cours zu wechseln, Ben Omar aufzusuchen, ihn durch einige freundliche Worte für die gestrigen Grobheiten zu entschädigen und sich mit ihm unter annehmbaren Bedingungen zu einigen....

Als er beim Ankleiden um acht Uhr morgens alles noch einmal überlegte – siehe, da öffnete der Frachtschiffer vorsichtig die Zimmerthür.

Nanon hatte nach ihm geschickt, und der vortreffliche Mann war gekommen, den Unmuth des Nachbars auf sich abladen zu lassen.

»Was führt Dich denn hierher, Kapitän?

[87] – Eh... die Fluth war's, alter Freund, antwortete Gildas Tregomain in der Hoffnung. den Brausekopf damit ein Lächeln abzuzwingen.

– Die Fluth?... versetzte dieser mürrisch. Ich sage Dir, bei mir ist Ebbe, und die wird mich auf der Stelle forttragen.

– Du willst also ausgehen?

– Ja wohl, mit oder ohne Deine Erlaubniß, Du Frachtfuhrmann!

– Wohin denn?...

– Wohin es mir beliebt.

– Das versteht sich, nirgends andershin. Du willst mir also nicht sagen, was Du vorhast?...

– O, ich will eine Dummheit wieder gut machen....

– Oder sie vielleicht noch verschlimmern?«

Obwohl diese Antwort nur so hingeworfen wurde, schien sie dem Meister Antifer doch zu Herzen zu gehen. Er beschloß also, seinen Freund in die Lage der Dinge einzuweihen. So erzählte er ihm denn, beim weitern Ankleiden, sein Zusammentreffen mit Ben Omar und sprach von den Bemühungen des Notars, ihm sein Geheimniß zu entlocken, ebenso, wie von seiner, wohl etwas übertriebenen Forderung von rund fünfzig Millionen für den bewußten Brief.

»Da hat er sich wohl aufs Abhandeln gelegt? meinte Gildas Tregomain.

– Vielleicht, wenn er Zeit dazu gehabt hätte. Ich wandte ihm aber sofort den Rücken, und das war vielleicht unrecht.

– Meine ich auch. Der Notar ist also einzig deshalb nach Saint-Malo gekommen, um Dir den Brief abzuluchsen?

– Nur deshalb, statt sich einfach der Botschaft an mich zu entledigen, mit der er beauftragt war. Dieser Ben Omar ist ja der vorher angemeldete und seit zwanzig Jahren erwartete Bote Kamylk-Paschas.

– Aha, die Geschichte ist also ernsthaft!« konnte Gildas Tregomain zu bemerken nicht unterlassen.

Das brachte ihm aber von Pierre-Servan-Malo nicht nur einen schrecklichen Seitenblick ein, sondern dieser belegte ihn auch mit so nichtswürdigen Schmeichelnamen, daß das gute Männchen sich gesenkten Auges umdrehte und über seinem rundlichen Leibe verlegen die Hände faltete.

Jetzt war Meister Antifer's Toilette beendigt und er griff eben nach dem Hute, als die Zimmerthür von neuem aufging und Nanon sichtbar wurde.


Das war das Testament Kamylk-Paschas. (S. 93.)

»Was giebt's denn schon wieder? fragte ihr Bruder.

– O, da unten ist ein Fremder... der Dich zu sprechen wünscht.

– Sein Name?

[88]

– Hier ist er.«

Nanon überreichte ihm eine Karte mit der Aufschrift : »Ben Omar, Notar in Alexandria.«

»Das ist er! fuhr es Meister Antifer heraus.

– Wer denn? fragte Gildas Tregomain.

[89] – Nun. der erwähnte Omar.... Ah, das ist mir noch lieber! Sein Wiederkommen ist ein gutes Vorzeichen. Laß ihn herauskommen, Nanon!

– Er ist aber nicht allein....

– Nicht allein?... rief Meister Antifer verblüfft. Wer kommt denn mit ihm?

– Ein noch jüngerer Herr... den ich nicht kenne und der auch ein Fremder zu sein scheint.

– Es sind ihrer also zwei?... Na gut, wir sind auch zwei, um sie zu empfangen. Bleib' mit hier, Kapitän!

– Wie?... Du wolltest?...«

Eine befehlerische Geste nagelte den Nachbar auf seinen Platz, eine andre bedeutete Nanon, die Herren herauskommen zu lassen.

In der nächsten Minute befanden sich diese im Zimmer, dessen Thüre sorgfältig geschlossen wurde. Wenn die hier zu entschleiernden Geheimnisse nach außen drangen, so konnten sie nur durch das Schlüsselloch schlüpfen.

»Ah, Sie sind es, Herr Omar? begann Meister Antifer sorglos und etwas hochmüthigen Tones, den er gewiß nicht angeschlagen hätte, wenn er die Verhandlungen im Hôtel de l'Union hätte wieder anknüpfen müssen.

– Ich bin es, Herr Antifer.

– Und Ihr Begleiter?

– Das ist mein erster Bureaugehilfe.«

Meister Antifer und Saouk, der jetzt unter dem Namen Nazim vorgestellt wurde, wechselten miteinander einen nichtssagenden Blick.

»Ihr Schreiber ist von allem unterrichtet?

– Vollständig, und ich kann ihn bei dieser Angelegenheit nicht entbehren.

– Wie Sie denken, Herr Omar. – Wollen Sie mir nur gefälligst sagen, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft?

– Ich möchte mich mit Ihnen noch einmal aussprechen, Herr Antifer... mit Ihnen allein, setzte er mit einem Seitenblick auf Gildas Tregomain hinzu. dessen Daumen sich jetzt wie ein Mühlrad um einander drehten.

– Gildas Tregomain, mein Freund, antwortete Meister Antifer, Ex-Kapitän der »Charmante Amélie«, der ebenfalls in die Sache eingeweiht und dessen Unterstützung mir ebenso nothwendig ist, wie Ihnen die Ihres Schreibers Nazim....«

Ben Omar konnte gegen dieses Ausspielen Gildas Tregomain's gegen Saouk nicht wohl etwas einwenden.

[90] Alle vier setzten sich nun um den Tisch, auf den der Notar seine Schreibmappe niederlegte. Dann ward es still im Zimmer, weil jeder wartete, daß ein andrer das erste Wort sprechen sollte.

Meister Antifer brach endlich das Schweigen, indem er sich an Ben Omar wandte.

»Ihrem Schreiber ist unsre Landessprache doch geläufig, nicht wahr?

– Nein, antwortete der Notar.

– Er versteht sie aber wenigstens?

– Leider auch nicht.«

Das war zwischen Saouk und Ben Omar verabredet worden in der Hoffnung, der Malouin, der dann nicht zu fürchten brauchte, von dem falschen Nazim verstanden zu werden, würde vielleicht ein Wort fallen lassen, aus dem man seinen Vortheil ziehen könnte.

»Nun zur Sache, Herr Ben Omar, sagte Meister Antifer nachlässig. Beabsichtigen Sie, unser gestriges Gespräch an dem Punkte wieder aufzunehmen, wo wir es abbrachen?

– Gewiß.

– So bringen Sie mir also die fünfzig Millionen?...

– Scherzen Sie nicht, mein Herr!

– Ja, seien wir ernsthaft, Herr Ben Omar. Mein Freund Tregomain gehört nicht zu den Leuten, die ihre Zeit gern mit unnützen Späßen vertrödeln. Nicht wahr, Tregomain?«

Nie in seinem Leben hatte der Frachtschiffer ernsthafter ausgesehen und niemals eine würdigere Haltung bewahrt als jetzt, wo er den Gesichtserker in die Falten seiner Flagge – seines Taschentuches, wollten wir sagen – wickelte und diesem wahrhafte Generalbaßtöne entlockte.

»Herr Ben Omar, fuhr Meister Antifer mit einer, bei ihm ganz ungewohnten trocknen Stimme fort, ich glaube, zwischen uns herrscht ein Mißverständniß, das wohl aufgeklärt werden muß, wenn wir zu erwünschtem Ziele kommen wollen. Sie wissen, wer ich bin, und ich weiß, wer Sie sind.

– Ein Notar....

– Ja, ja, ein Notar, und überdies ein Abgesandter Kamylk-Paschas, auf dessen Eintreffen meine Familie bereits seit zwanzig Jahren wartete.

– Sie werden entschuldigen, Herr Antifer; ich glaube Ihnen gern, mir war's aber unmöglich, eher zu kommen....

[91] – Und warum das?

– Weil ich es erst seit der vor vierzehn Tagen erfolgten Eröffnung des Testamentes selbst weiß, unter welchen Verhältnissen Ihr Herr Vater jenen Brief erhielt.

– Ah, den Brief mit dem Doppel-K?... Auf den kommen wir wohl zurück, Herr Omar?

– Gewiß, es war ja bei meiner Reise nach Saint- Malo der einzige Zweck, von seinem Inhalt Kenntniß zu erhalten.

– Nur deshalb hätten Sie die weite Fahrt unternommen?

– Einzig deshalb!«

Während dieses Frage- und Antwortspiels verhielt sich Saouk ganz theilnahmlos und gab sich das Aussehen, als verstehe er davon keine Silbe. Er spielte seine Rolle so ausgezeichnet, daß Gildas Tregomain, der ihn immer von unten ansah, nichts verdächtiges an dem Manne entdecken konnte.

»Nun, Herr Ben Omar, fuhr Pierre-Servan-Malo fort, ich hege vor Ihnen die größte Hochachtung, und Sie wissen, ich würde mir gegen Sie nie ein unpassendes Wort erlauben...«

Das versicherte er mit überzeugendem Nachdruck, er, der den Mann erst den Tag vorher mit Spitzbube, Schelm, Mumie, Krokodil, u.s.w. tractiert hatte.

»Ich kann mich indeß nicht enthalten, Ihnen zu sagen, daß Sie soeben gelogen haben.

– Mein Herr...

– Ja, gelogen, wie ein Schiffsbottler, wenn Sie behaupten, Ihre Reise nur unternommen zu haben, um den Inhalt meines Briefes kennen zu lernen.

– Ich schwör's Ihnen zu! versicherte der Notar, der schon die Hand aufhob.

– Was da! Die Kneipzange herunter, alter Omar, rief Meister Antifer, der trotz seiner besten Vorsätze schon wieder in die Wolle kam. Ich weiß sehr gut, warum Sie hierhergekommen sind....

– Glauben Sie mir...

– Und auch in wessen Auftrage...

– Kein Mensch... ich versichre Ihnen...

– Immerhin im Auftrage des seligen Kamylk-Pascha...

– Der schon zehn Jahre lang todt ist!

[92] – Thut nichts! In Ausführung seines letzten Willens befinden Sie sich heute bei Pierre-Servan-Malo, dem Sohne Thomas Antifer's, und Ihr Auftrag geht nicht dahin, von ihm die Auslieferung des betreffenden Briefes zu verlangen, sondern ihm gewisse Ziffern mitzutheilen....

– Gewisse Ziffern?...

– Jawohl... die ziffermäßige Angabe einer Länge, deren es bedarf, um die Breite zu vervollständigen, die Kamylk-Pascha vor einigen zwanzig Jahren meinem Vater brieflich mittheilte!

– Gut heimgeleuchtet!« sagte Gildas Tregomain befriedigt und schwenkte dazu sein Taschentuch, als ob er einem Semaphor am Strande Signale gäbe.

Der angebliche Schreiber verhielt sich noch immer ganz theilnahmlos, obwohl er jetzt wissen mußte, daß Meister Antifer über die Sachlage vollständig unterrichtet war.

»Sie, mein Herr Ben Omar, sind es, der die Rollen vertauscht hat und nun versucht, mir meine Breite zu stehlen...

– Stehlen!...

– Gewiß!... Zu stehlen!... Und offenbar von ihr, die mein ausschließliches Eigenthum ist, zu eignem Vortheil Gebrauch zu machen!

– Herr Antifer, erwiderte Ben Omar ganz außer Fassung, glauben Sie doch meinem Worte: sobald Sie mir jenen Brief auslieferten, hätte ich Ihnen die Ziffern mitgetheilt...

– Aha, Sie gestehen damit also, sie zu besitzen?...«

Der Notar fühlte sich an die Mauer gedrückt. Sonst kaum jemals um Ausflüchte in Verlegenheit, mußte er sich doch gestehen, daß sein Gegner zu schlagfertig war und es das beste sei, so weit klein beizugeben, wie es zwischen ihm und Saouk verabredet worden war. Als Meister Antifer also fortfuhr:

»Also, offne Karten, Herr Ben Omar! Hin und her gekreuzt ist nun genug, wir wollen endlich vor Anker gehen!... Da antwortete er:

– Gut... es sei!«

Er öffnete damit sein Portefeuille und entnahm diesem ein mit großen Schriftzügen bedecktes Blatt Pergament.

Das war das in französischer Sprache abgefaßte Testament Kamylk-Paschas, von dem Meister Antifer nun Kenntniß nahm. Nachdem er es mit so lauter Stimme vorgelesen hatte. daß auch Gildas Tregomain kein Wort davon entgehen konnte, zog er ein Notizbüchelchen aus der Tasche und schrieb die [93] Zahlen hinein, die die geographische Länge des Eilands angaben – die vier Ziffern, für deren jede er einen Finger seiner Hand hingegeben hätte. Dann rief er. als stände er auf einem Schiffsdecke und wollte die Sonnenhöhe abnehmen:

»Achtung, Frachtschiffer!

– Achtung! wiederholte Gildas Tregomain, der aus den Tiefen seiner Weste ebenfalls ein kleines Buch hervorholte.

– Jetzt!...«

Mit äußerster Genauigkeit wurde die kostbare Länge – 54°57' östlich von Paris – festgestellt und aufgezeichnet.

Dann wanderte das Testament wieder in die Hände des Notars, der es in sein Portefeuille versenkte, welches nun unter dem Arme des falschen Bureaugehilfen Nazim Platz fand. Letzterer saß übrigens noch immer so gleichgiltig da, wie etwa ein alter Hebräer aus Abrahams Zeit in der Sitzung einer heutigen Gesellschaft der Wissenschaften dasitzen würde.

Jetzt war die Sache nun auf dem Punkte, wo sie Ben Omar und Saouk besonders zu interessieren anfing. Mit der Kenntniß der Parallele und des Meridians der kleinen Insel, brauchte Meister Antifer diese beiden Linien auf der Karte nur zu kreuzen, um deren Lage im Durchschnittspunkte derselben zu finden, und das schien er auch sofort vornehmen zu wollen. Er stand nämlich auf, und aus dem flüchtigen Gruße, den er Saouk und Ben Omar neben einer bezeichnenden Handbewegung nach der Treppe zu sendete, konnten diese leicht abnehmen, daß er sie ersuchte, sich nun gefälligst zu entfernen.

Aufmerksam und schmunzelnd beobachtete der Frachtschiffer sein Benehmen. Doch weder der Notar noch Nazim schien gewillt, vom Tische wegzugehen. Daß der Mann sie vor die Thür setzte, lag ja klar vor Augen. Entweder hatten sie ihn aber nicht verstanden oder wollten ihn nicht verstehen, dagegen bemerkte der verdutzte Ben Omar sehr gut, daß Saouk ihn mit einem Blicke – sehr befehlerisch! – aufforderte, noch eine letzte Frage zu stellen.

Er mußte sich also wohl oder übel drein fügen.

»Jetzt, wo ich den Auftrag, den das Testament Kamylk-Paschas mir zuwies, erfüllt habe...

– Brauchen wir nur noch in aller Freundschaft von einander Abschied zu nehmen, fiel ihm Meister Antifer ins Wort. Der nächste Zug geht zehn Uhr siebenunddreißig von hier ab....

– Seit gestern zehn Uhr dreiundzwanzig, berichtigte ihn Gildas Tregomain.

[94] – Wahrhaftig, schon zehn Uhr dreiundzwanzig, und ich möchte weder Sie, Herr Ben Omar, noch Ihren Schreiber Nazim der Gefahr aussetzen, diesen Schnellzug zu versäumen.«

Saouk's Fuß fing an, im Zweivierteltacte auf dem Erdboden zu hämmern, und da er gleichzeitig nach der Uhr sah, konnte man glauben, daß ihm daran gelegen sei, bald abzufahren.

»Wenn Sie etwa noch Gepäck aufzugeben haben, fuhr Meister Antifer höflichst fort, so ist es jetzt Zeit....

– Um so mehr, setzte der Frachtschiffer hinzu, weil auf unserm Bahnhof zuweilen starker Andrang ist.«

Jetzt raffte sich Ben Omar doch noch einmal auf und begann, sich halb erhebend und mit niedergeschlagenen Augen:

»Um Vergebung, mir scheint, wir sind mit unserm Gespräch wohl noch nicht zu Ende....

– Im Gegentheil, vollständig fertig, Herr Ben Omar; ich habe an Sie keine weitere Frage zu stellen.

– Dagegen hab' ich noch eine an Sie, Herr Antifer....

– Das wundert mich, Herr Ben Omar, doch wenn Sie meinen.. bitte...

– Ich habe Ihnen die im Testamente Kamylk-Paschas enthaltene Längenangabe mitgetheilt....

– Ganz richtig, und ich und mein Freund Tregomain, wir haben sie in unsre Notizbücher eingetragen.

– Jetzt müssen Sie mir auch die Breite angeben, die in Ihrem Briefe steht....

– In dem Briefe an meinen seligen Vater?

– Ja, in diesem.


Der nächste Zug geht zehn Uhr... (S. 94.)

– Halt, halt, Herr Ben Omar! antwortete Meister Antifer, dessen Stirn sich runzelte. Hatten Sie das Mandat, mir die fragliche Länge zu überbringen?

– Ja, und dieses Mandat hab' ich erfüllt....

– Mit viel Eifer und gutem Willen, das muß ich gestehen! Was mich aber angeht, so hab' ich nirgends, weder in dem Testamente, noch in meinem Briefe, eine Spur davon gesehen, daß ich irgend jemand die Breitenangabe mittheilen müßte, die einst meinem Vater zugegangen war.

– Indeß...

[95] – Indeß, wenn Ihnen etwas derartiges bekannt ist, ließe sich über die Sache reden.

– Es scheint mir doch... stotterte der Notar, daß zwischen Männern, die einander achten...

– Da irren Sie sich, Herr Ben Omar. Die Achtung hat mit unsrer Sache gar nichts zu thun, so viel oder so wenig wir auch vor einander hegen mögen.«

Offenbar ging Meister Antifer's Geduld schon wieder zu Ende und machte einer gereizten Stimmung Platz. Um einem peinlicheren Auftritte vorzubeugen,[96] öffnete Gildas Tregomain auch schon die Thüre, damit die beiden Herren sich leichter entfernen könnten.

Saouk hatte den Mund nicht aufgethan. Ihm als Gehilfen des Notars und als der Landessprache nicht mächtigen Fremden kam es ja nicht zu, aufzubrechen, ehe sein Principal ihn nicht dazu aufgefordert hatte.


Nanon, leuchte diesen Herren hinaus! (S. 99.)

Ben Omar erhob sich jetzt aber vom Stuhle, rieb sich den Schädel, schob auf der Nase die Brille zurecht und sagte mit dem Tone eines Mannes, der das thut, was er unmöglich lassen kann:

[97] »Um Verzeihung, Herr Antifer, Sie sind also unwiderruflich entschlossen, mir keine Aufklärung zu geben...

– Um so mehr, Herr Ben Omar, als meinem Vater in dem Briefe Kamylk-Paschas unbedingte Geheimhaltung auferlegt war, und diese Verpflichtung hat nachher mein Vater mir ebenfalls auferlegt.

– Nun, Herr Antifer, bemerkte dazu Ben Omar, wollen Sie einen guten Rath hören und annehmen?

– Der wäre?

– Diese ganze Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.

– Und warum das?

– Weil Sie unterwegs einer gewissen Person begegnen könnten, die im Stande wäre, Sie berauben zu lassen...

– So?... Wer wäre denn das?

– Saouk, der leibliche Sohn des Vetters Kamylk-Paschas, der sich zu Ihren Gunsten enterbt sieht und nicht der Mann dazu ist, sich das...

– Kennen Sie diesen leibeigenen Sohn, Herr Ben Omar?

– Nein, antwortete der Notar ohne Zögern, ich weiß jedoch, daß er ein sehr gefährlicher Gegner sein dürfte...

– Schon gut, wenn Ihnen dieser Saouk also jemals in den Weg kommt, so sagen Sie ihm von mir, daß ich auf ihn, wie auf die ganze Säoukerle Aegyptens pfeife!«

Saouk verzog keine Miene. Pierre-Servan-Malo ging jetzt nach dem Treppengeländer.

»Nanon!« rief er hinunter.

Der Notar näherte sich gleichfalls der Thür und nun folgte ihm auch Saouk, der aus Ungeschick einen Stuhl umgestoßen hatte, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er den unglücklichen Mann des Rechts lieber gleich die Treppe hinuntergeworfen. Schon an der Schwelle blieb Ben Omar noch einmal stehen und sagte zu Meister Antifer, ohne diesen frei anzusehen.

»Sie haben hoffentlich eine Clausel aus dem Testament Kamylk-Paschas nicht vergessen, mein Herr?

– Welche meinen Sie, Herr Ben Omar?

– Die eine, die mir die Verpflichtung auferlegt, Sie bis zu dem Augenblick, wo sie das Legat erheben, zu begleiten, dabei zu bleiben, bis die Fässer ausgegraben sein würden...

[98] – Sehr schön, Herr Ben Omar, so werden Sie mich also begleiten.

– Dazu muß ich auch wissen, wohin Sie sich begeben...

– Das werden Sie ja erfahren, wenn wir an Ort und Stelle sind.

– Und wenn das am Ende der Welt wäre?

– Dann... ja dann ist's eben am Ende der Welt.

– Ja freilich, doch erinnern Sie sich auch, daß ich dabei meinen ersten Bureaugehilfen nicht entbehren kann....

– Das ist ganz Ihre Sache, ich werde mich ebenso geehrt fühlen, mit ihm zu fahren wie mit Ihnen.«

Damit neigte er sich über das Geländer:

»Nanon!« rief er ein zweites Mal, doch in einem Tone, der verrieth, daß ihm nun die Geduld ausgegangen war.

Unten erschien Nanon.

»Leuchte diesen Herren hinaus! befahl Meister Antifer.

– Es ist ja heller Tag, Bruder! erwiderte Nanon.

– Gleichgiltig, leuchte ihnen nur hinaus!«

Nach dieser etwas gar zu unzweideutigen Aufforderung, sich aufzumachen, verließen Saouk und Ben Omar das ungastliche Haus, dessen Thür hinter ihnen geräuschvoll zugeschlagen wurde.

Jetzt verfiel Meister Antifer in eine Art lustigen Deliriums, einen Anfall, den er in seinem Leben nur recht selten gehabt hatte. Doch wenn er an diesem Tage nicht lustig war, wann hätte er dazu wohl sonst Veranlassung gehabt?

Er hatte sie in der Hand, die vielerwähnte, so lange erwartete Länge! Er konnte jetzt in Wirklichkeit verwandeln, was bisher nur ein Traum gewesen war! Sein Besitz jenes unglaublichen Vermögens hing nur noch von der Eile ab, mit der er sich nach dem Inselchen aufmachte, wo jenes seiner wartete.

»Hundert Millionen! Hundert Millionen! rief er wiederholt.

– Das heißt tausendmal tausend Francs!« setzte der Frachtschiffer hinzu.

Da konnte sich Meister Antifer nicht mehr halten, er hüpfte jetzt auf einem Fuße, dann auf dem andern, beugte sich zusammen, streckte sich wieder aus, wiegte sich in den Hüften, drehte sich wie ein Gyroskop – wenn auch nicht in derselben Ebene – und begann schließlich einen Matrosentanz, wie das Repertoire der lustigen Theerjacken deren eine ganze Menge mit ebenso verschiedenen, wie bezeichnenden Namen enthält.

[99] In die Kreisbewegung dieser Masse riß er dabei auch seinen Freund Gildas Tregomain mit hinein und schwenkte den dicken Mann so heftig herum, daß das ganze Haus bis zum Grunde zitterte. Dazu sang er mit einer Stimme, die alle Fensterscheiben zittern machte:

»Ich habe meinen Me...

Mo me!

Ich habe meinen ri...

Ro ri!

Ich habe meinen ri... ich habe meinen Meridian!«

9. Capitel
Neuntes Capitel.
Worin auf einer Karte des Antifer'schen Atlas ein Punkt mit Rothstift ganz genau eingezeichnet wird.

Während ihr Onkel sich in diesem »Zweimännertanz« abhetzte, waren Enogate und Juhel nach dem Stadthause und nach der Kirche gegangen. Im Stadthause hatte der Standesbeamte, der »Flitterwochenfabrikant«, ihnen auf der Tafel schon die Veröffentlichung ihres Aufgebots gezeigt und der Hilfsgeistliche in der Kathedrale ihnen eine Trauung mit Gesang und Orgelklang und mit allem kirchlichen Pompe versprochen.

Ob sie jetzt glücklich waren, dieser Vetter und diese Base, nachdem sie die Trauungserlaubniß eingeholt! Ob sie mit einer Ungeduld, die Juhel nur schlecht verhehlte und die Enogate nicht viel mehr verbarg, jenen 5. April erwarteten, den sie trotz des Zögerns ihres Onkels diesem abgenöthigt hatten! Natürlich beschäftigten sie sich mit allen Vorbereitungen, mit der Ausstattung der Braut, Schmuckgegenständen und Möbeln für die gute Stube im ersten Stock, die der gute Tregomain alle Tage mit weiteren Kleinigkeiten schmückte, die er in früheren Jahren an den Ufern der Rance gesammelt hatte – darunter eine kleine Statue der Jungfrau Maria, ehedem ein Schmuck der Cabine seiner »Charmante Amolie«, die er den Neuvermählten schenken wollte. Er war ja überhaupt ihr Vertrauter, einer, wie sie ihn gar nicht besser hätten finden können, der Großsiegelbewahrer[100] ihrer Hoffnungen, ihrer Pläne für die Zukunft. Doch zwanzigmal des Tages wiederholte der würdige Frachtschiffer:

»Ich gäbe viel darum, wenn die Hochzeit erst vorüber wäre und Standesbeamter und Pfaffe das Ihrige schon gethan hätten.

– Doch warum das, mein guter Gildas? fragte das junge Mädchen etwas beunruhigt.

– Ja, der Freund Antifer ist gar nicht zu berechnen, sobald er sein Steckenpferd sattelt und auf den Millionen herumreitet!«

Das war auch Juhels Ansicht. Wenn man von einem Onkel, von einem vortrefflichen, zuweilen aber etwas aus dem Gleise kommenden Manne abhängt, kann man sich auf nichts verlassen, bevor nicht das feierliche »Ja« vor dem Standesbeamten ausgesprochen ist.

Handelt es sich nun gerade um Familiensachen von Seeleuten, so ist erst recht keine Zeit zu verlieren. Entweder muß so ein Seemann Hagestolz bleiben, wie unser Küstenfahrer und der Kapitän des Frachtschiffes, oder er muß sich verheiraten, sobald das erlaubt und möglich ist. Juhel wollte sich bekanntlich als zweiter Officier auf einem dem Hause Le Baillif gehörenden Dreimaster einschiffen. Nachher vergingen wohl Monate oder gar Jahre, die er auf fremden Meeren und tausende von Meilen entfernt von seiner jungen Gattin getrennt war, wenn der Himmel ihren Herzensbund jetzt segnete. Enogate war als Tochter eines Seemannes freilich schon an den Gedanken gewöhnt, daß ihr Gatte auf weiten Reisen lange Zeit von ihr fort sein würde, und dachte gar nicht daran, daß das anders sein könnte. Ein Grund mehr keinen Tag zu verlieren, da sie ja in Zukunft so sehr viele Tage getrennt sein würden.

Von dieser Zukunft plauderten der junge Kapitän und seine Braut, als sie an diesem Morgen von ihren Wegen zurückkehrten. Sie erstaunten da nicht wenig, aus dem Hause in der Rue des Hautes-Salles zwei Fremde kommen zu sehen, die sich offenbar wüthend davon entfernten. Juhel vermuthete aus deren Besuche bei Meister Antifer, daß hier etwas außergewöhnliches vorgegangen sein müsse.

Das wurde ihm zur Gewißheit, als er und Enogate den Lärmen von oben her und das improvisierte Lied vernahmen, dessen Refrain bis zum Ende der Stadtmauer hinaustönte.

Der »gute Onkel« schien rein besessen zu sein, so als ob sein ewiges Grübeln über die unbekannte Länge ihm schließlich einen Hirndefect zugezogen[101] hätte. Wenn nicht an Größenwahn, mußte er jetzt mindestens an Reichthumswahn laborieren.

»Was in aller Welt hat er denn, Tante? wendete sich Juhel fragend an Nanon.

– Ja, Euer Onkel scheint an der Tanzmanie zu leiden, liebe Kinder.

– Er kann aber doch das ganze Haus unmöglich so erschüttern....

– Nein, dazu hilft Tregomain getreulich mit.

– Was? Tregomain tanzt ebenfalls?

– Wahrscheinlich aus Nachgiebigkeit gegen unsern Onkel,« meinte Enogate.

Alle drei stiegen jetzt die Treppe hinauf; sie mußten aber, als sie Meister Antifer so toll umherspringen sahen, wirklich glauben, daß er übergeschnappt wäre, vorzüglich da er aus Leibeskräften immer gröhlend wiederholte:

Ich habe meinen Me...

Mo me!

Ich habe meinen ri...

Ro ri...

Und puterroth, dampfend, von einem Schlaganfalle bedroht, fiel der gute Tregomain ein:

Ja, er hat seinen ri... Er hat seinen Meridian!

Da ging Juhel plötzlich ein Licht auf: die beiden Fremden, die eben das Haus verlassen hatten... sollte einer davon der endlich eingetroffene Abgesandte Kamylk-Paschas gewesen sein?

Der junge Mann war ganz blaß geworden; er hielt den Meister Antifer mitten in einem tollen Sprunge auf.

»Lieber Onkel, rief er, Sie haben ihn?...

– Ich hab' ihn, mein Junge!

– Er hat ihn«, murmelte Gildas Tregomain.

Dieser sank dabei erschöpft auf einen Stuhl nieder, der, nicht imstande, einen solchen Stoß auszuhalten, unter ihm zusammenbrach.

Bald nachher, als ihr Onkel wieder etwas zu Athem gekommen war, hörten Juhel und Enogate alles, was sich seit gestern zugetragen hatte, die Ankunft Ben Omar's mit seinem ersten Schreiber, deren Versuche sich den Brief Kamylk-Paschas zu erschwindeln, den Text des Testaments, die genaue Längenbestimmung für die Lage des Eilands mit den vergrabenen Schätzen... Meister Antifer brauchte sich nur zu bücken, um diese aufzuheben!

[102] »Doch, lieber Onkel, jetzt, wo jene das Nest wissen, werden sie sich beeilen. es schon vor uns auszunehmen!

– Stopp, stopp, Herr Neffe! rief Meister Antifer, die Achseln zuckend. Hältst Du mich denn für so einfältig, daß ich ihnen den Schlüssel zum Geldschrank ausgeliefert hätte?«

Gildas Tregomain bestätigte durch ein Schütteln mit dem Kopfe, daß das nicht geschehen sei.

»... zu einem Geldschrank, der seine hundert Millionen enthält!«

Das Wort »Millionen« schwoll in Pierre-Servan-Malos Munde so auf, daß es diesen bald verrenkt hätte.

Doch wenn der Mann erwartet hatte, daß seine Erklärung mit Jubelrufen aufgenommen werden würde, irrte er ganz gewaltig. Wahrhaftig, ein Goldregen, der Danaës Eifersucht erregt hätte, ein Schwall von Diamanten und Edelsteinen ergoß sich über das bescheidne Haus in der Rue des Hautes-Salles, und keiner streckte die Hand aus, den Segen aufzufangen, keiner deckte das Dach ab, um ihn bis zum letzten Tropfen einströmen zu lassen?

Ja, so war es. Ein eisiges Stillschweigen folgte der mit Millionen gespickten Phrase, die der Sprecher so triumphierend declamiert hatte.

»Was zum Teufel! rief er, mit starrem Blicke Schwester, Neffe, Nichte und Freund nach einander musternd, was seht Ihr denn aus, als ob einer Euern Segeln den Wind abgefangen hätte?«

Trotzdem wollten die Gesichter der andern sich nicht wieder erheitern.

»Wie, fuhr Meister Antifer fort, ich verkündige Euch, daß ich nun reich bin wie ein Crösus, daß ich aus dem Eldorado heimsegle mit einer Goldfracht zum versinken, daß der reichste Nabob gegen mich ein Betteljunge ist, und Ihr fliegt mir nicht an den Hals, um mich zu beglückwünschen?...«

Keine Antwort. Nur niedergeschlagene Augen und bekümmerte Gesichter.

»Nun, Nanon?...

– Ach ja, lieber Bruder, antwortete die Schwester, das sichert ein erträgliches Auskommen.

– Ein hübsches Auskommen! Jeden Tag in einem Jahre dreimalhunderttausend Francs verzehren zu können, wenn man's sonst will! Und Du, Enogate, meinst Du auch, daß das ein erträgliches Auskommen ist?

– Mein Gott, lieber Onkel, man braucht ja gar nicht so reich zu sein...

[103] – Ja, ja, das weiß ich... ich kenne den Refrain: »Reichthum macht nicht glücklich!«... Ist das wohl auch Deine Ansicht, Herr Kapitän der langen Fahrt? fragte der Onkel direct seinen Neffen.

– Meine Ansicht, erklärte Juhel, ist die, daß der Aegypter Ihnen noch obendrein den Titel »Pascha« hätte vermachen sollen; denn so viel Geld ohne einen Titel...

– Ha, ha... da hast Du Dein Fett... Antifer Pascha! platzte der Frachtschiffer heraus.

– Sag' einmal, rief Meister Antifer in einem Tone, als ob er seine Matrosen zum Segelreesen commandierte, sag' einmal, Ex-Kapitän der »Charmante Amélie«, willst Du Dir etwa anmaßen, mich zu höhnen?

– Nein, mein würdiger Freund, versicherte Gildas Tregomain, da sei Gott vor! Wenn Du einmal so entzückt bist, hundertfacher Millionär zu sein so bring' ich gern meine hundert Millionen Segenswünsche dazu!«

Es erschien in der That kaum erklärlich, daß die Familie die Jubelbotschaft ihres Hauptes mit so sauersüßer Miene aufnahm. Dieser dachte ja vielleicht gar nicht mehr an die stolzen Verbindungen für seine Nichte und seinen Neffen, und konnte wohl ganz darauf verzichtet haben, die Eheschließung zwischen Juhel und Enogate zu hintertreiben oder doch zu verzögern, obwohl er seinen Meridian vor dem 5. April bekommen hatte. Diese Befürchtung aber war es wirklich, die Enogate und Juhel, Nanon und Gildas Tregomain im jetzigen Augenblicke bekümmerte.

Letzterer wollte seinen Freund zu einer Erklärung veranlassen. Gewiß schien es besser, sich darüber klar zu sein, woran man wäre. Dann ließ sich wenigstens über die Sache verhandeln und man konnte dem schrecklichen Onkel einen andern Cours aufnöthigen, statt ihn im bisherigen Kielwasser gerade weiter steuern zu lassen.

»Doch, alter Freund, begann er nun, den Rücken wie eine alte Schmeichelkatze krümmend, nehmen wir einmal an, Du hättest jene Millionen...

– Annehmen, Frachtschiffer?... Warum nur annehmen?


Die beiden Fremden die eben das Haus verlassen hatten... (S. 102.)

– Schön, also zugegeben, Du hättest sie schon... und als braver Mann, der an ein bescheidnes Leben gewöhnt ist, was würdest Du nun damit anfangen?

– Was mir beliebt, antwortete Meister Antifer sehr trocken.

– Nun, Du wirst doch nicht etwa ganz Saint-Malo kaufen wollen, denk' ich....

[104] [107]– Ganz Saint-Malo, ganz Saint-Servan und ganz Dinard noch dazu, wenn mir das paßt, vielleicht auch noch den lächerlichen Bach, die Rance, die freilich kein Wasser hat, außer wenn ihr die Fluth etwas davon abläßt!«

Er wußte recht gut, daß er mit einer Herabsetzung der Rance einen Mann empfindlich traf, der diesen schönen Fluß zwanzig Jahre seines Lebens immer hinauf- und hinabgefahren war.

»Meinetwegen! erwiderte Gildas Tregomain mit zusammengezogenen Lippen. Du wirst deshalb aber nicht einen Bissen mehr essen und keinen Schluck mehr trinken, wenn Du Dir nicht auch einen Extramagen dafür kaufst...

– Ich werde kaufen, was mir beliebt, Du Süßwasserpflüger, und wenn man mir entgegentritt, wenn ich Widerspruch sogar noch bei den Meinigen finde...«

Diese Worte waren an die beiden Verlobten gerichtet.

»... so verzehre ich sie allein, meine hundert Millionen, so zerstreue ich sie in alle Winde, lasse sie in Rauch aufgehen, zermalme sie zu Staub, und Juhel und Enogate werden nichts von den fünfzig Millionen haben, die ich ihnen einst zu vermachen gedachte....

– Das heißt also so viel wie hundert für zwei, alter Freund....

– Wie so denn?

– Nun, weil die beiden sich ja heiraten werden....«

Damit war die brennende Frage berührt.

»Oho, Frachtfuhrmann, steig' einmal die Wanten bis zur Mars hinauf, um zu sehen, ob Du mich da findest!«

Das war so seine Art, Gildas Tregomain – natürlich bildlich-spazieren zu schicken, seine Masse bis zum Top eines beliebigen Mastes hinaufzuhissen, was freilich ohne Benützung eines Ankerspills nicht möglich gewesen wäre.

Weder Nanon noch Juhel oder Enogate wagten eine Einmischung in dieses Zwiegespräch. An der Blässe des jungen Kapitäns erkannte man, daß dieser einen Ausbruch seines Zornes nur mit Mühe zurückhielt. Der Frachtschiffer war jedoch nicht der Mann dazu, ihn auf offenem Meere allein umherkreuzen zu lassen, er näherte sich also seinem Freunde....

»Du hast aber das Versprechen gegeben... begann er vorsichtig.

– Welches Versprechen?

– Ihrer Verheiratung zuzustimmen...

[107] – Gewiß... wenn die Länge nicht eintraf, nun, ist die Länge aber eingetroffen...

– So ist das ein Grund mehr, ihr Glück zu sichern...

– Natürlich, Frachtschiffer, ganz einverstanden... deshalb wird Enogate einen Prinzen heiraten...

– Wenn sich einer für sie findet...

– Und Juhel eine Prinzessin.

– Es ist keine mehr zu haben! erwiderte Gildas Tregomain, der schon am Ende seiner Weisheit war.

– Wenn man fünfzig Millionen Mitgift mitbekommt, giebt'schon immer noch eine!

– Na, dann such' einmal danach....

– Ich werde suchen... werde eine finden... sogar eine aus dem Gothoner Almanach!«

Er wollte Gothaer Almanach sagen, der unzugängliche Starrkopf, der sich nun einmal in den Gedanken verirrt hatte, das Blut der Antifer's mit königlichem Blute zu mischen. Um ein Gespräch nicht weiter fortzusetzen, das kein gutes Ende zu nehmen drohte, und entschlossen, in der Frage der Heirat keinen Zoll breit nachzugeben, ließ er den andern – und mehr als deutlich – merken, daß er in seinem Zimmer allein zu bleiben wünsche, indem er hinzufügte, daß er vor dem Mittagessen für niemand zu Hause sei.

Gildas Tregomain hielt es für gerathen, ihm nicht zu widersprechen, und so begaben sich alle nach dem Erdgeschoß hinunter.

Die ganze kleine Gesellschaft war in heller Verzweiflung, und schmerzliche Thränen rieselten über die hübschen Wangen Enogates herab. Das brachte unsern Gildas Tregomain aus dem Häuschen.

»Ich seh's nicht gern, wenn eins weint, sagte er, nein, nicht einmal, wenn man Kummer hat, Kleine!

– Aber bester Freund, erwiderte sie, nun ist ja alles verloren! Unser Onkel giebt doch nicht nach!... Der große Reichthum hat ihm den Kopf verdreht...

– Ja, leider, stimmte auch Nanon ein, und wenn mein Bruder sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat...«

Juhel sprach nicht. Er ging im Vorsaal auf und ab, kreuzte einmal die Arme und schlug sie dann wieder auseinander, ballte die Hände und öffnete sie wieder. Plötzlich aber rief er:

[108] »Uebrigens ist er nicht unser Herr und Meister!... Ich brauche seine Erlaubniß zu meiner Verheiratung nicht!... Ich bin volljährig...

– Doch Enogate leider nicht. fiel der Frachtschiffer ein, und kraft seines Rechtes als Vormund könnte er Einspruch erheben...

– Ja freilich... und wir hängen ja alle von ihm ab! setzte Nanon, den Kopf senkend, hinzu.

– Deshalb geht mein Rath dahin, äußerte Gildas Tregomain, ihm lieber nicht schroff entgegenzutreten.... Vielleicht geht diese Schrulle ja vorüber, vorzüglich wenn man sich ihr zu fügen scheint...

– Sie haben Recht, Herr Tregomain, sagte Enogate; wir erzielen – das hoffe ich wenigstens – gewiß mehr durch Güte als durch Gewalt.

– Und schließlich, bemerkte der Frachtschiffer, hat er seine Millionen ja noch nicht in der Tasche!

– Nein, stimmte auch Juhel zu, und trotz seiner berühmten Länge und Breite könnte es noch einen Haken haben, die Hand darauf zu legen. Auf jeden Fall erfordert die Sache viel Zeit...

– Viel Zeit! murmelte das junge Mädchen.

– Ach ja, meine liebste Enogate, und das giebt Verzögerungen!... O, der verwünschte Onkel!

– Und die verwünschten Kerle, die von dem verwünschten Pascha gekommen sind! platzte Nanon heraus. Ich hätte sie doch gleich mit dem Besen...

– Sie hätten sich doch an ihn herangedrängt, fiel Juhel ein, und jener Ben Omar, der mit Erledigung der Angelegenheit betraut ist, würde ihm keinen Aufschub zugestanden haben.

– So wird mein Onkel also fortreisen? fragte Enogate.

– Höchst wahrscheinlich, antwortete Gildas Tregomain, weil er jenes Eiland selbst aufsuchen muß.

– Dann begleit' ich ihn, erklärte Juhel.

– Du, mein Herz?... rief das junge Mädchen.

– Das ist unumgänglich... Ich will mit da sein, um ihn zu hindern, eine Dummheit zu begehen.... ihn zurückzulootsen... wenn er sich draußen zu lange aufhält.

– Recht so, mein Junge! sagte der Frachtschiffer.

– Wer weiß, wohin und wozu er sich auf der Suche nach jenem Schatze verführen läßt und welche Gefahren ihm drohen können!«

[109] Enogate wurde ganz traurig, sie sah die Sache aber doch ein. Der gesunde Menschenverstand war es, der Juhel diesen Entschluß eingab, und vielleicht wurde die Dauer der Abwesenheit dadurch wesentlich abgekürzt.

Der junge Kapitän tröstete sie nach Kräften. Er werde ihr häufig schreiben, ihr über den Stand der Sache berichten... Nanon werde sie ja nicht verlassen, so wenig wie Herr Tregomain, der sie täglich sehen, ihr Muth zusprechen würde...

»Rechne auf mich, meine Kleine, sagte der Frachtschiffer ganz bewegt. Will mich schon bemühen, Dich aufzuheitern!... Du kennst doch die Fahrten und Abenteuer der »Charmante Amélie« noch nicht?«

Nein, Enogate kannte sie nicht, denn er hatte sie aus Furcht vor Meister Antifer noch nicht zu erzählen gewagt.

»Nun gut, das sollst Du hören. O, das ist sehr interessant... da vergeht Dir die Zeit wie nichts. Eines schönen Tages sehen wir dann unsern Freund mit sei nen Millionen unter dem Arm heimkehren... oder auch mit leerem Säckel... und unser wackrer Juhel... der macht nur noch einen Sprung von zu Hause nach der Kathedrale von Saint-Malo... und ich werd' ihn wahrlich nicht zurückhalten. Willst Du, so laß ich mir während seiner Abwesenheit meinen Hochzeitsstaat anfertigen und den ziehe ich dann gleich jeden Morgen an....

– Stopp, stopp!... Frachtschiffer?«

Die wohlbekannte Stimme flößte der ganzen Gesellschaft einen heiligen Schreck ein.

»Hier! Was ist mit mir? fragte Gildas Tregomain.

– Was mag er von Ihnen wollen? fragte Nanon.

– Das ist nicht seine Stimme, wenn er unwirsch ist, bemerkte Enogate.

– Nein, bekräftigte auch Juhel, dieses Mal verräth sie mehr Ungeduld als Jähzorn.

– Wirst Du wohl kommen, Tregomain?

– Ich komme schon!« rief Gildas Tregomain hinaus.

Sogleich seufzte die Treppe unter der Wucht seiner Schritte.

Gleich darauf schob ihn Meister Antifer durch die Thür seines Zimmers, die er sorgfältig wieder verschloß. Dann schleppte er ihn nach dem Tische mit dem Atlas, auf dem die planisphärische Erdkarte aufgeschlagen war, und drückte ihm den Zirkel in die Hand.

»Hier, nimm ihn!

[110] – Den Zirkel?

– Ja, antwortete Meister Antifer mit scharfer Stimme. – Ich möchte die Lage eines Eilandes – des Millioneneilandes – auf der Karte suchen....

– Nun, und es findet sich wohl nicht? rief Gildas Tregomain in einem Tone, der weniger Erstaunen als Befriedigung ausdrückte.

– Wer sagt Dir das? versetzte Meister Antifer. Und warum sollte jenes Eiland nicht da sein, Du unseliger Frachtfuhrmann?

– Nun, so ist es also da?...

– Ob es da ist, das versteht sich, daß es da ist. Ich bin nur so aufgeregt... mir zittert die Hand... der Zirkel brennt mir in den Fingern.... Ich kann damit nicht auf der Karte hantieren....

– Und nun willst Du, daß ich es thue, alter Freund?...

– Wenn Du es im Stande bist....

– Oho, weshalb denn nicht! erwiderte Gildas Tregomain.

– Verdammt, so ein abgedankter Frachtfuhrmann von der Rance!.. Doch versuche nur Dein Heil... werden ja sehen... halte den Zirkel ordentlich und folge mit dessen Spitze dem fünfundfünfzigsten Meridian... da das Eiland unter vierundfünfzig Grad siebenundfünfzig Minuten liegt....«

Die Ziffern der Länge singen an, den Kopf des vortrefflichen Mannes zu verwirren.

»Siebenundfünfzig Grad und vierundfünfzig Minuten?... wiederholte er, die Augen aufreißend.

– Nein, Schwachkopf! rief Meister Antifer. Gerade umgekehrt! Nun vorwärts... Stoß' ab!«

Gildas Tregomain setzte die Zirkelspitze auf der Westseite der Karte ein.

»Nein doch, heulte sein Freund. Nicht westlich... östlich vom Meridian von Paris!... Hörst Du, Unglückseliger?... Oestlich... östlich!«

Durch dieses Poltern und Wettern war Gildas Tregomain so eingeschüchtert worden, daß er seine Aufgabe unmöglich zur Zufriedenheit lösen konnte. Vor seinen Augen schwebte es wie ein Schatten, von der Stirn perlte ihm der Schweiß und in seinen Händen zitterte der Zirkel, wie der kleine Hammer einer elektrischen Klingel.

»Nun. so stich doch auf den fünfundfünfzigsten Grad ein! trieb Meister Antifer ihn an. Oben an der Karte fängst Du an und gleitest dann herunter, bis Du den vierundzwanzigsten Breitengrad triffst.

[111] – Den vierundzwanzigsten Breitengrad? stammelte Gildas Tregomain.


»Was zum Teufel!« rief er. (S. 103)

– Ja wohl! Er wird mich noch rasend machen, der Elende! Jawohl!... Und der Punkt, wo die beiden Linien sich schneiden, der bezeichnet die Lage des Eilandes...

– Die Lage...

– Nun also, fährst Du hinunter?...

– So schnell ich kann!

– O, der Spitzbube! Nun fährt er wieder hinauf!«


»Mascat!« rief Meister Antifer. (S. 114.)

In der That wußte der Frachtschiffer gar nicht mehr, wo er war, und schien noch weniger als sein Freund zur Lösung dieses Problems geeignet zu sein. Beide befanden sich eben in aufgeregtem Zustande, und ihre Nerven zitterten wie die Saiten einer Baßgeige zu Ende einer Ouverture.

Meister Antifer fürchtete bald den Verstand zu ver [112] lieren. Da griff er denn zu dem einzigen Mittel, das ihm noch zu Gebote stand.

»Juhel!« rief er mit einer Stimme, die hinaus dröhnte, als käme sie aus einem Sprachrohre.

[113] Der junge Kapitän erschien fast augenblicklich.

»Was wünschen Sie, lieber Onkel?

– Juhel... wo liegt Kamylk-Paschas Insel?

– Auf dem Punkt, wo sich die Länge und Breite kreuzen, die...

– Schon gut... jetzt suche mir sie!«...

Es klang fast, als müßte Meister Antifer gleich dazu setzen:

»Und bring' sie mir her!«

Juhel verlangte keine weitere Anleitung. Die Unruhe seines Onkels ließ ihn erkennen, was hier vorging. Er ergriff den Zirkel mit sichrer Hand, stellte dessen Spitze auf den Anfang des fünfundfünfzigsten Meridians am Nordende der Karte ein und begann der Linie nach abwärts zu folgen.

»Sage an, wo der Meridian hindurchgeht! befahl Meister Antifer.

– Gern, lieber Onkel,« antwortete Juhel.

Darauf wiederholte er Folgendes:

»Das Franz-Josephsland im Eismeere.

– Gut.

– Das Barentzmeer!

– Gut.

– Novaja Semlja!

– Nachher?

– Das nördliche asiatische Rußland.

– Welche Stadt durchschneidet er da?

– Zuerst Jekaterinenburg.

– Darauf?

– Den Aralsee.

– Immer weiter!

– Chiwa und Turkestan.

– Sind wir zur Stelle?

– Beinahe! Herat in Persien.

– Sind wir bald da?

– Ja. Mascat am Südende von Arabien.

– Mascat!« rief Meister Antifer, der sich jetzt über die Karte beugte.

Der Kreuzungspunkt des fünfundfünfzigsten Meridians mit dem vierundzwanzigsten Parallelkreise lag in der That im Gebiete des Imans von Mascat, [114] in dem Theile des Golfes von Oman vor dem Persischen Meerbusen, der Arabien von Persien trennt.

»Mascat! wiederholte Meister Antifer.

– Mascot? fragte Gildas Tregomain, der schlecht gehört hatte, noch einmal.

– Nicht Mascot... Mascat, Frachtschiffer!« schrie ihn sein Freund an, dessen Schultern sich bis an die Ohrläppchen erhoben.

Bis jetzt besaß man natürlich nur eine annähernde Coordinate, da sich diese nur auf die Grade, noch nicht aber auf die Bogenminuten bezog.

»Es ist also in Mascat, Juhel?

– Ja, lieber Onkel... bis auf hundert Kilometer genau.

– Kannst Du das nicht genauer feststellen?

– Gewiß, lieber Onkel.

– So thu' es, Juhel... aber schnell! Siehst Du nicht, daß ich vor Ungeduld koche!«

Ein Dampfkessel, den man bis zu diesem Punkte erhitzt hätte, wäre allerdings in Gefahr gewesen, zu explodieren.

Juhel nahm den Zirkel wieder zur Hand und bestimmte unter Berücksichtigung der Minuten der Länge und der Breite die Lage mit solcher Genauigkeit, daß der Unterschied von der wirklichen Lage höchstens einige Kilometer betragen konnte.

»Nun, und nun? fragte Meister Antifer.

– Nun, lieber Onkel, der gesuchte Punkt liegt nicht auf dem Gebiete des Imans von Mascat selbst, sondern etwas weiter östlich im Golfe von Oman.

– Das wollt' ich meinen!

– Warum das? fragte bescheiden Gildas Tregomain.

– Weil es sich um eine Insel handelt, die doch nicht mitten im Lande liegen kann, Du Ex-Plattschiffer von der »Charmante Amélie«!«

Das schleuderte er mit einem unmöglich wiederzugebenden Tone heraus, und doch sehr ungerechter Weise, denn ein Frachtkahn ist niemals ein Plattschiff. »Morgen, fügte Meister Antifer hinzu, beginnen wir unsre Vorbereitungen zur Abfahrt.

– Das ist recht, stimmte Juhel zu, der entschlossen war, seinem Onkel nicht entgegenzutreten.

– Wir werden nachsehen, ob sich in Saint-Malo nicht ein Schiff vorfindet, das ehestens nach Port-Saïd abgeht.

[115] – Damit kämen wir gewiß am besten an Ort und Stelle, denn am Ende sind wir keinen Tag sicher....

– Nein, nein! Mein Eiland wird mir keiner stehlen!

– Es müßte denn ein ganz durchtriebener Schlaukopf sein! bemerkte Gildas Tregomain, dessen Worte mit einem neuen Achselzucken Meister Antifer's aufgenommen wurden.

– Du wirst mich begleiten, Juhel, sagte der letztere.

– Gewiß, lieber Onkel, antwortete der junge Kapitän, dessen Entschlusse diese Aufforderung ja entsprach.

– Und Du ebenfalls, Frachtschiffer....

– Ich?... rief Gildas Tregomain entsetzt.

– Ja... Du!«

Diese beiden Worte kamen in so befehlerischem Tone hervor, daß sich der Kopf des würdigen Mannes als Zeichen der Zustimmung senken mußte.

Und vorher hatte er darauf gerechnet, während der Abwesenheit Pierre-Servan-Malos die arme Enogate damit zu unterhalten, daß er ihr von den Fahrten der »Charmante Amélie« auf dem zahmen Wasser der Rance erzählte!

10. Capitel
Zehntes Capitel.
Mit einem kurzen Bericht über die schnelle Fahrt des Dampfers »Steersman« von Saint-Malo nach Port-Said.

Am 21. Februar verließ der englische Dampfer »Steersman« mit der eintretenden Ebbe des frühen Morgens den Hafen von Saint-Malo. Es war ein Kohlenschiff von neunhundert Tonnen, das nur zwischen Newcastle und Port-Saïd fuhr und Steinkohlen beförderte. Gewöhnlich lief der Dampfer unterwegs nirgends an. Diesmal hatte eine leichte Havarie, eine Undichtheit seiner Condensatoren, ihn dazu gezwungen, die ihm nöthige Reparatur vornehmen zu lassen. Statt in Cherbourg einzulaufen, hatte sich dessen Kapitän aber nach Saint-Malo gewendet, weil er daselbst einen alten Freund hatte. Achtundvierzig Stunden[116] später war der Dampfer zur Weiterfahrt fertig und er hatte zur Zeit, wo wir ihn dem freundlichen Leser vorstellen, das Cap Fréhel bereits gegen dreißig Seemeilen im Nordosten hinter sich gelassen.

Wir lenken aber die Aufmerksamkeit des Lesers vornehmlich auf diesen Dampfer, obwohl Hunderte solcher durch den Canal fahren, auf denen das Vereinigte Königreich seine schwarzen Bodenschätze nach allen Theilen der Welt versendet – und zwar vornehmlich deshalb, weil sich Meister Antifer, mit ihm auch sein Neffe Juhel und mit beiden sein Freund Gildas Tregomain, an Bord desselben befand. Es könnte ja auffallen, daß man sie nicht in einem bequemen Eisenbahnwagen traf. Wenn es sich um eine Reise handelt, bei der einer hundert Millionen einzuheimsen gedenkt, da kann er sich's bequem machen, und braucht nicht gerade besonders zu sparen.

Das hätte Meister Antifer, der Erbe des reichen Kamylk-Pascha, wahrscheinlich auch gethan, wenn sich ihm nicht die Gelegenheit bot, unter annehmbaren Verhältnissen zu reisen.

Kapitän Cip, der Befehlshaber des »Steersman«, war ein alter Freund Meister Antifer's. Während seines Aufenthalts im Hafen verfehlte der Engländer auch nicht, den Malouin aufzusuchen, und selbstverständlich fand er in der Rue des Hautes-Salles die freundschaftlichste Aufnahme. Als er vernahm, daß sich sein Freund zu einer Reise nach Port-Saïd rüstete, bot er ihm für mäßigen Preis an, diese an Bord des »Steersman« auszuführen. Es war ein tüchtiges Schiff, das bei ruhigem Wasser seine neun Knoten lief und das zur Zurücklegung der fünftausendfünfhundert Seemeilen, die Großbritannien von dem Ostende des Mittelländischen Meeres trennen, nur dreizehn bis vierzehn Tage brauchte. Für den Personentransport war der »Steersman« jetzt freilich nicht eingerichtet, Seeleute machen aber nicht so große Ansprüche. Jedenfalls fanden sie an Bord eine geräumige Cabine und die Fahrt sollte ohne Umsteigen vor sich gehen, was immerhin gewisse Vortheile bot.

Meister Antifer hätte sich auf einer Bahnfahrt auch nicht wohl fühlen können. Das Geschwätz im Waggon bei einer langen Reise wäre ihm zuwider gewesen. Seiner Meinung nach erschien es weit besser, sich zwei Wochen lang auf einem tüchtigen Schiff einzuschränken und dabei die erquickende Meeresluft zu athmen, als in einen rollenden Kasten gezwängt immerfort Rauch und Staub durch die Nase einzuziehen. Das war auch Juhels Ansicht, freilich nicht die des Frachtschiffers, dessen seemännische Thätigkeit sich ja nur auf das Wasserband [117] zwischen den Ranceufern beschränkt hatte. Mit der Eisenbahn des westlichen und des östlichen Europa hatte er darauf gerechnet, den größten Theil der Fahrt abzumachen. Sein Freund entschied aber einmal anders. Auf einen Tag kam's ja nicht so genau an. Wenn man erst nach einem oder zwei Monaten eintraf, so mußte sich das Eiland ja immer noch an dem bezeichneten Punkte vorfinden. Kein Mensch kannte dessen Lage – mit Ausnahme des Meisters Antifer, Juhels und Gildas Tregomain's. Der seit einundzwanzig Jahren in der mit dem Doppel-K bezeichneten Grube versenkte Schatz lief keine Gefahr, wenn er auch noch einige Wochen länger schlummerte.

Hieraus erklärt sich, daß Pierre-Servan-Malo, so eilig er es im Grunde hatte, das Anerbieten des Kapitän Cip für sich und seine Begleiter annahm – und nur deshalb haben wir den »Steersman« unsern geneigten Lesern vorgestellt.

Meister Antifer hatte also für sich, seinen Neffen und seinen Freund Tregomain, der eine hübsche Summe in Gold im Gürtel trug, den Fahrpreis entrichtet. Außer den Baarmitteln führten sie noch einen Sextanten und ein Nachschlagebuch zur Ablesung der Sonnenhöhe bei sich und hatten auch eine Spitzhaue und eine Schaufel zur Aufgrabung des Bodens auf dem Eilande mitgenommen. Der Dampfer war ein sehr gutes Schiff mit einer aus zwei Maschinisten, vier Heizern und einem Dutzend Matrosen bestehenden Besatzung. Der Kapitän der »Charmante Amélie« hatte seinen Widerwillen wohl oder übel bekämpfen und sich zu einer Ueberfahrt zur See entschließen müssen, wo er vielleicht die schlimmen Launen Neptuns kennen lernen sollte – er, der nur an das Lächeln schöner Flußnymphen gewöhnt war. Meister Antifer hatte ihm jedoch auf den Kopf zugesagt, daß er sein Bündel zu schnüren und es an Bord des »Steersman« zu befördern habe – und dagegen wagte er nicht die leiseste Einwendung. Alle nahmen zärtlich von einander Abschied; Enogate lag schluchzend an Juhels Brust, Nanon theilte ihre Zärtlichkeit zwischen ihrem Neffen und ihrem Bruder, und Gildas Tregomain hatte große Angst, die nicht zu sehr in seine Arme zu pressen, die den Muth gehabt hatten, sich in dieselben zu werfen. Schließlich war auch die Versicherung gegeben worden, daß die Abwesenheit nicht lange dauern werde und nicht sechs Wochen vergehen würden, ohne daß die ganze Familie wieder im Hause der Rue des Hautes-Salles vereinigt wäre, und dann wollte man Meister Antifer – ob dieser nun Millionär geworden wäre oder nicht – schon dazu zu bringen suchen, die so traurig unterbrochne Eheschließung vor sich gehen zu lassen.

[118] Dann war das Schiff nach Westen hinaus gefahren und das junge Mädchen folgte ihm mit nassen Augen, bis sein Mastwerk am Horizonte untertauchte.

Da hat wohl der Dampfer »Steersman« zwei Personen vergessen, die doch nicht von so geringer Bedeutung waren und denen die Pflicht oblag, den Legatär Kamylk-Paschas zu begleiten? In der Liste befanden sich der Notar Ben Omar und Saouk oder Nazim nicht und auch nicht an Bord des Schiffes, dessen Abfahrt sie aber nicht etwa versäumt hatten.

Es lag das vielmehr so, daß die Zustimmung des ägyptischen Notars, mit auf den Dampfer zu gehen, nicht zu erlangen gewesen war. Schon bei der Fahrt von Alexandrien nach Marseille war er so jämmerlich seekrank gewesen, wie das überhaupt, sogar für einen Notar, nur statthaft ist. Jetzt, wo sein Unstern ihn gar bis nach Suez und wer weiß wohin sonst noch verschlagen sollte, hatte er feierlich geschworen, nur den Landweg zu benützen, so lange der Seeweg zu vermeiden war. Saouk hatte dem in keiner Weise widersprochen, und Meister Antifer brannte ja im Grunde auch nicht darauf, Ben Omar als Reisegesellschafter zu haben. Er hatte sich vielmehr begnügt, mit diesem gegen Ende des Monats zusammenzutreffen, ohne ihm zu sagen, daß sie bis Mascat weiter reisen mußten. Dann würde der Notar noch genügend Gelegenheit haben, den Zorn des unzuverlässigen Elements zu kosten.

Meister Antifer hatte sogar hinzugefügt:

»Da Ihr Client Sie beauftragt hat, als Testamentsvollstrecker bei der Ausgrabung meines Legats gegenwärtig zu sein, so kommen Sie mit dorthin. Wenn die Umstände uns aber nöthigen, gemeinschaftlich zu reisen, so bleiben wir einander möglichst weit vom Leibe, denn ich verspüre keine Lust, mit Ihnen oder Ihrem Schreiber noch nähere Bekanntschaft zu machen!«

Aus dieser wenig freundlichen Bemerkung erkennt man ja unsern Malouin.

Saouk und Ben Omar hatten Saint-Malo darauf vor der Abfahrt des »Steersman« verlassen, und deshalb befanden sie sich also nicht unter den Passagieren des Kapitän Cip – worüber es auch keinem Menschen einfiel, sich irgendwie zu beklagen.

Der Leser weiß ja, daß der Notar, von einer Seite bedrängt von der Furcht. seinen Antheil einzubüßen, wenn er der Hebung des Schatzes nicht beiwohnte, und von der andern durch den unbeugsamen Willen Saouks angespornt, den Meister Antifer schon nicht verlassen würde. Er mußte ja vor [119] diesem in Suez eintreffen und würde ihn hier gewiß mit einiger Ungeduld erwarten.

Inzwischen glitt der »Steersman« unter Volldampf längs der französischen Küste hin. Er wurde vom Südwind nicht allzusehr belästigt, da ihm das nahe Land noch einigen Schutz gewährte. Gildas Tregomain konnte sich entschieden Glück wünschen. Er hatte sich vorgenommen, diese Reise bestens auszunützen, die Sitten und Gebräuche der verschiedenen Länder zu studieren, in die ihn das Schicksal nun einmal verschlug. Da es aber zum ersten Male war, daß er sich aufs hohe Meer wagte, fürchtete er mit Recht, von der Seekrankheit belästigt zu werden. So ließ er die Blicke halb neugierig, halb ängstlich über den Horizont schweifen, wo Himmel und Wasser sich berührten. Er versuchte es gar nicht, den wetterfesten Seemann zu spielen, der brave Mann, und etwa, große Schritte machend, sich zu stellen, als ob er die Bewegungen des Schiffes gar nicht spürte. Seine Füße hätten wohl auch bald ihren Stützpunkt verloren, da sie nur das unbewegte Deck eines Flußschiffes gewöhnt waren. So saß er denn auf die Arme gestützt und etwas zusammengebogen auf einer Bank des Hinterdecks, wobei ihn der unerbittliche Pierre-Servan-Malo mit seinen schlechten Witzen nicht verschonte.

»Na, Frachtschiffer, wie gehts denn?

– O, bis jetzt hätt' ich mich nicht gerade zu beklagen.

– Na freilich, jetzt gondeln wir auch eigentlich noch durch Süßwasser hin, und Du hast am Ende das Recht zu glauben, Du wärst auf der »Charmante Amélie« zwischen den engen Ufern der Rance. Wenn aber so ein steifer Nordwester käme und das Meer die Zähne zeigte, dann würdest Du die Deinigen wohl nicht mehr so stille halten!

– Das Meer hat doch keine Zähne, alter Freund!

– Na, das ist so eine Redensart, und ich erwarte vom Ocean, wenn wir erst den Aermelcanal im Rücken haben...

– Du meinst, dann würde ich krank werden?...

– Und ganz gehörig, das will ich Dir schriftlich geben!«

Meister Antifer verstand wirklich die Leute, die sich nur an seine Worte hielten, ins Bockshorn zu jagen. Juhel glaubte sich also verpflichtet, die schlechte Wirkung dieser Vorhersagungen abzuschwächen.

»Mein Onkel übertreibt gern, Herr Tregomain, Sie werden vielleicht gar nicht mehr seekrank werden...


»Bin ich schlimmer krank - als der Führer einer Frachtschule.« (S. 122.)

– Als ein Meerschwein? Weiter verlange ich ja gar nichts,« antwortete der Frachtschiffer, der nach eini [120] gen Schaumkronen hinwies, die das Kielwasser des »Steersman« aufwirbelte.

Gegen Abend passierte das Schiff die äußerste Spitze der Bretagne. Als es in den, durch die Höhen von Quessant gedeckten Canal du Four einlief, hatte es nicht zu schwere See, obwohl der Wind gerade von vorn stand. Die Passagiere legten sich zwischen acht und neun Uhr nieder und ließen den Dampfer während der Nacht die Landspitze Saint-Mathieu, die Einfahrt von Brest, die [121] Bai von Douarnenez, das Inselgewirr der de Seins umschiffen und den Cours nach Südwesten der Iroise gegenüber einschlagen.

Der Frachtschiffer träumte, so krank zu sein, als wäre sein letztes Stündlein gekommen. Zum Glück war's aber nur ein Traum. Am nächsten Morgen begab er sich, obwohl das Fahrzeug tüchtig schaukelte und stampfte und sich einmal auf einen Wogenkamm emporhob, um dann wieder hinabzusinken, doch ohne Zögern auf's Verdeck hinaus. Da es sein Geschick einmal bestimmt hatte, daß er seine Laufbahn als Schiffer durch eine Fahrt auf dem Meere abschließen sollte, gedachte er sich wenigstens alle Vorkommnisse dabei fest ins Gedächtniß einzuprägen.

Eben erschien er also auf den letzten Stufen unter der Treppenkappe, von wo er mit dem halben Leibe hervorguckte. Doch wen erblickte er da auf einem Gitter ausgestreckt... bleich... blutlos, glucksend, wie eine sich entleerende Tonne?...

Den Meister Antifer in Person – Antifer, Pierre-Servan-Malo, angegriffen, wie es nur die zarteste Lady auf der Ueberfahrt von Boulogne nach Folkestone sein kann!

Hei, der fluchte und wetterte aber, als er das ruhige und muntre Gesicht seines Freundes erblickte, dem auch nicht das geringste zu fehlen schien!

»Ja... tausend Donnerwetter! rief er. Sollt' einer das glauben? Nach zehn Jahren, wo ich den Fuß auf keine Planke gesetzt habe... bin ich... ein alter Küstenfahrer... schlimmer krank als so ein Führer einer Frachtschule!

– Ja... aber... ich bin überhaupt nicht krank, wagte Gildas Tregomain zu bemerken, indem er so freundlich wie möglich lächelte.

– Du nicht!... Und warum bist Du's nicht?...

– Ich wundre mich selbst darüber, lieber Freund.

– Deine Rance hat doch aber niemals so ausgesehen, wie hier das Meer bei steifem Südwest!...

– Nein, das nicht.

– Und Du siehst auch nicht aus, als ob Du kentern müßtest....

– Ich bedaure es, erwiderte Gildas Tregomain, weil Dir das nicht zu gefallen scheint.«

Nun denke man sich einen aus noch besserem Teige gekneteten Menschen auf diesem Erdenrund!

Wir beeilen uns übrigens hinzuzufügen, daß das Unwohlsein des Meister Antifer bald vorüberging. Ehe der »Steersman« noch das Cap Ortegal an der[122] Nordwestspitze Spaniens passierte und als er noch im Golfe de Gascogne, der vom Wogenschwall aus dem Atlantischen Ocean immer gehörig gepeitscht wird, dahinschwankte, hatte der Malouin seinen sichern Tritt und seinen Theerjackenmagen bereits wiedergewonnen. Es war ihm nur ergangen, wie es so vielen Seeleuten zu ergehen pflegt, die längere Zeit nicht auf's Wasser hinausgekommen sind. In seinem Stolze fühlte er sich darum nicht weniger gedemüthigt, wenn er bedachte, daß dieser Führer der »Charmante Amélie«, der Kapitän eines Flußkahns, ganz unversehrt geblieben war, während sich ihm alle Eingeweide umgewendet hatten. Die Nacht wurde recht peinlich, während der »Steersman« bei hohem Seegang seinen Weg längs der Buchten von Corunna und Ferrol fortsetzte. Der Kapitän Elp wollte sogar schon einen Hafen anlaufen und hätte das wohl auch gethan, wenn ihn Meister Antifer nicht davon abhielt. Ein irgend längerer Aufenthalt machte ihn besorgt wegen des Packetboots über Suez, das nur monatlich einmal den Persischen Golf berührt.

Jetzt, zur Zeit der Frühlingssonnenwende, mußte man sich allemal und überall auf schlechtes Wetter gefaßt machen. So erschien es also richtiger, keinen Nothhafen anzulaufen, so lange eine wirkliche Gefahr nicht vorlag.

Der »Steersman« steuerte in sichrer Entfernung von den Klippen der spanischen Küste dahin. Er ließ die Bai von Vigo und die drei Zuckerhüte, die deren Eingang bezeichnen, auf Backbord liegen, ebenso die malerischen Küsten von Portugal. Am nächsten Morgen peilte man auf Steuerbord die Berlengainseln, die nur zum Aufstellen von Leuchtthürmen gemacht zu sein scheinen und die den Schiffen, die aus hoher See kommen, die gefährliche Nähe des Landes anzeigen.

Es liegt auf der Hand, daß während der langen Mußestunden meist nur von der großen Angelegenheit, von dieser außergewöhnlichen Reise und von ihren bestimmten Ergebnissen die Rede war. Meister Antifer hatte seine ganze moralische und physische Würde wiedergewonnen. Mit gespreizten Beinen, den Horizont nachlässig musternd, schritt er festen Ganges einher und sachte höchstens auf dem Gesicht des Frachtschiffers ein Zeichen von Uebelbefinden zu entdecken, das sich doch nimmermehr einstellen wollte.

Da rief er ihm die Worte zu:

»Nun, wie findest Du denn den Ocean?

– O, sehr viel Wasser, lieber Freund.

– Ja, freilich etwas mehr als in Deiner Rance!...

[123] – Gewiß, deshalb ist ein Fluß, der auch seinen Nutzen hat, doch nicht zu unterschätzen...

– Ich unterschätze ihn nicht, Frachtschiffer... ich verachte ihn...

– Lieber Onkel, fiel da Juhel ein, man darf niemand verachten, und ein Fluß kann ja auch seinen Werth haben...

– Genau soviel wie ein Eiland!« fügte Gildas Tregomain hinzu.

Da spitzte Meister Antifer die Ohren, denn dieses Wort hatte seine schwache Stelle getroffen.

»Gewiß, rief er, es giebt aber Eilande, die unter solche ersten Ranges zu rechnen sind... zum Beispiel das meinige!«

Dieses Fürwort deutete die Arbeit an, die sich im Gehirn des Bretonen vollzogen hatte – ein besitzanzeigendes Fürwort, wenn es überhaupt eines gab. Jenes Eiland im Golfe von Oman gehörte ihm ja nach Erbrecht an.

»Doch, da von meinem Eiland die Rede ist, sag' einmal, Juhel, beobachtest Du denn auch alle Tage den Gang Deines Chronometers?...

– Selbstverständlich, lieber Onkel; ich habe wirklich kaum je ein so vorzügliches Instrument gesehen.,

– Und Deinen Sextanten?

– Seien Sie überzeugt, daß er dem Chronometer die Wage hält.

– Gott sei Dank, sie haben auch Geld genug gekostet.

– Wenn sie hundert Millionen einbringen sollen, ließ Gildas Tregomain sich vernehmen, da braucht man den Preis nicht so genau anzusehen.

– Ganz recht, Frachtschiffer!«

Das war auch in der That nicht geschehen, der Chronometer war im Atelier von Breguet gefertigt – mit welcher Sorgfalt, bedarf keiner weiteren Erwähnung.

Der Sextant erwies sich des Chronometers würdig und lieferte in geschickter Hand Winkelangaben bis auf weniger als eine Secunde. Was die Handhabung aber betraf, so konnte man sich schon auf den jungen Kapitän verlassen. Mit Hilfe dieser beiden Instrumente ließ sich die Lage der Insel also mit absoluter Genauigkeit bestimmen.

Neben diesem guten Zutrauen des Meister Antifer und seiner Gefährten auf ihre Meßinstrumente, hegten sie doch ein nur zu begründetes Mißtrauen gegen Ben Omar, den Testamentsvollstrecker Kamylk-Paschas. Davon sprachen sie sehr häufig, und eines Tages sagte der Onkel zu seinem Neffen:

[124] »Er gefällt mir nicht im geringsten, dieser Omar, und ich werde ein scharfes Auge auf ihn haben!

– Pah, wer weiß, ob wir ihn überhaupt in Suez wiederfinden, meinte der Frachtschiffer zweifelnd.

– Das wäre! rief Meister Antifer. Der erwartete uns doch wochen- und monatelang, wenn's sein müßte!... War der Spitzbube nicht nach Saint-Malo einzig aus dem Grunde gekommen, mir meine Breite abzuluchsen?

– Sie haben ganz recht, lieber Onkel, stimmte Juhel zu. Der ägyptische Federfuchser muß gut beobachtet werden. Meiner Ansicht nach ist er nicht viel werth, und ich gestehe, daß mir sein Schreiber Nazim auch nicht mehr werth erscheint.

– Ich denke wie Du, Juhel, ließ sich der Frachtschiffer vernehmen. Jener Nazim sieht mir ebensoviel wie ein Schreiber aus, als ich selbst das Aussehen...

– Eines Theaterneulings habe! sagte Pierre-Servan-Malo, der seinen Kiesel im Munde umherrollte. Nein, genannter Schreiber sieht nicht so aus, als könne er Acten verfassen. Nun, in Aegypten ists ja nicht so sehr zu verwundern, wenn solche Federhelden das Aussehen von Beys mit Sporen und Schnurrbart haben!... Ein Unglück ist nur, daß er nicht französisch spricht.... Man hätte ihn vielleicht aushorchen können...

– Ihn aushorchen, bester Onkel? Wenn Sie vom Principal nicht viel herausgebracht haben, dann glauben Sie mir, wäre das beim Schreiber noch weniger möglich gewesen. Ich meine, Sie sollten sich lieber jenes Saouk's erinnern...

– Welches Saouk's?...

– Jenes Sohnes Murad's, des Vetters von Kamylk- Pascha, jenes Mannes, der zu Ihren Gunsten enterbt wurde....

– Nun, wenn der sich uns quer in den Wind legte, würd' ich ihm schon einen Cours geradeaus anweisen! Ist denn an dem Testamente noch zu deuteln?... Was will er also von uns, jener Abkömmling von Paschas, denen ich mich verpflichte, alle Roßschweife abzukaufen?...

– Und doch, lieber Onkel...

– Ach was, ich kümmere mich um ihn ebensowenig, wie um Ben Omar, und wenn dieser Contractfabrikant krumme Wege einschlägt...

– Nimm Dich in Acht, lieber Freund! ermahnte ihn Gildas Tregomain, von dem Notar kannst Du nicht loskommen... Er hat das Recht, sogar die [125] Pflicht, Dich bei Deinen Nachsuchungen zu begleiten... Dir nach dem Eilande zu folgen...

– Nach meinem Eilande, Frachtschiffer!...

– Ja doch... also nach Deinem Eiland! Das Testament enthält ausdrücklich diese Bestimmung, und da ihm eine Provision von einem Procent, das heißt einer Million Francs zusteht...

– Eine Million Fußtritte soll er bekommen!« rief der Malouin, dessen Reizbarkeit bei dem Gedanken an die hohe Belohnung, die Ben Omar erhalten sollte, wach gerufen wurde.

Das Gespräch wurde hier durch ein betäubendes Pfeifen unterbrochen. Der »Steersman«, der sich dem Lande stark genähert hatte, glitt eben zwischen der Spitze des Cap Saint-Vincent und dem Felsen hin, der sich von diesem nach der Seeseite zu erhob.

Der Kapitän Cip unterließ es niemals, dem auf dem hohen Ufer liegenden Kloster einen Gruß zu entsenden, den der Prior durch seinen väterlichen Segen erwiderte. Einige alte Mönche erschienen auf einer Art Söller, und reichlich gesegnet umschiffte der Dampfer die äußerste Spitze, um nach Südosten zu steuern.

Während der Nacht und längs der Küste hin erkannte man das Leuchtfeuer von Cadiz und kam durch die Bai von Trafalgar. Weiter dampfte der »Steersman« im Süden des Leuchtthurms von Cap Spartel vorüber, ließ die schönen Hügel von Tanger mit ihren hübschen weißen Landhäusern auf Steuerbord, und die terrassenförmigen Abhänge hinter Tarifa auf Backbord liegen, während er in die Meerenge von Gibraltar einfuhr.

Von hier aus dampfte der Kapitän Cip, unterstützt durch die Strömung im Mittelmeere, schneller vorwärts, wobei er sich der Küste von Marokko näherte. Da kam Ceuta, ein in den Felsen gesprengtes spanisches Gibraltar, in Sicht; dann wurde ein Cours nach Südosten eingehalten und man ließ schon vierundzwanzig Stunden später die Insel Alboran hinter sich.

Eine herrliche Fahrt, deren Reize die Passagiere ruhig genießen konnten. während das Schiff sie längs der afrikanischen Küste hintrug. Es giebt kaum etwas Malerischeres als dieses Panorama mit seinen schön geformten Bergen im Hintergrunde, den vielfachen Einschnitten des Ufers und den Hafenstädten, die, von keinem Winter belästigt, plötzlich hinter hohen Küstenfelsen in grüner Umrahmung auftauchen. Leider ist es nie historisch festgestellt worden, ob [126] der Frachtschiffer diese Naturschönheiten auch nach Gebühr würdigte und sie in seiner Erinnerung die Reize der geliebten Rance zwischen Dinard und Dinan aufwogen. Das Gleiche gilt davon, als er das von seinem mit einem Fort bedeckten Spitzberge beherrschte Oran erblickte, als er das unter seiner Casbah amphitheatralisch aufgebaute Algier sah, oder das in großartigen Felsenmassen halb verlorene Bougie, Philippeville, das halb moderne, halb antike Bona, das tief hinten in seinem Golfe liegt.

Etwa gegenüber La Calle entfernte sich dann der »Steersman« mehr vom Lande und schlug die Richtung nach dem Cap Bona ein. Am Abend des 5. März hoben sich die Höhen von Karthago kurze Zeit von einem reinweißen Himmel ab, als die Sonne in einem Dunstschleier versank. Noch während der Nacht gelangte der Dampfer dann nach Umschiffung des Cap Bona in den östlichen Theil des Mittelmeeres, das sich bis zu den Hafenplätzen der Levante hinzieht.

Das Wetter hielt sich recht günstig. Zuweilen gab es eine mäßige Böe, dazu aber wölbte sich der schönste Himmel über den Reisenden. So bekamen sie die Insel Pantellaria in Sicht, vorzüglich deren spitzen Gipfel, einen ehemaligen Vulcan, der recht wohl eines Tages wieder thätig werden könnte. Der Untergrund dieses Theiles des Meeres ist übrigens vom Cap Bona an bis tief hinten im griechischen Archipel vulcanischer Natur. Hier sind Inseln wie Santorin und viele andre aufgestiegen, die vielleicht einst selbst einen neuen Archipel bilden.

Juhel hatte gewiß ganz recht, als er zu seinem Onkel sagte:

»Es ist wirklich ein Glück, daß Kamylk-Pascha nicht ein Eiland in dieser Gegend gewählt hat, um seine Schätze zu verbergen.

– Ja, das ist ein Glück... ein großes Glück!« stimmte Meister Antifer ein.

Sein Gesicht wurde schon ganz bleich bei dem Gedanken, daß sein Eiland hätte aus einem Meer emporsteigen können, das immerfort durch unterirdische Gewalten beunruhigt wurde. Glücklicher Weise ist der Golf von Oman gegen Störungen dieser Art gesichert, kennt derartige Erschütterungen nicht, und die Insel lag gewiß noch an derselben Stelle, die ihre geographischen Coordinaten ergaben.

Nachdem der »Steersman« an den Inseln Gozzo und Malta vorübergekommen war, wandte er sich geraden Wegs der ägyptischen Küste zu.


Es giebt kaum etwas Malerischeres als dieses Panorama. (S. 126).

Es giebt kaum etwas Malerischeres als dieses Panorama. (S. 126).


Der Kapitän Cip bekam Alexandrien in Sicht. Hierauf steuerte er an dem Netze der Nilmündungen, einer Art Fächer zwischen Rosette und Damiette, [127] vorbei, und wurde am Morgen des 7. März noch vor Port-Saïd nach dem Lande gemeldet.


»Geehrter Herr! Ich bin es... ich... (S. 131.)

Der Suezcanal war jener Zeit noch im Bau, er wurde ja erst 1869 eröffnet. Der Dampfer mußte also in Port-Saïd anhalten. Hier sind unter französischem Antrieb französische Häuser, Hütten mit spitzen Dächern, phantastische Villen längs eines schmalen Landstreifens emporgewachsen, der sich zwischen dem Meere, dem Canal und dem Menzalehsee hinzieht. Das ausgegrabne Erdreich diente zur Ausfüllung eines Theiles des hiesigen Sumpflandes, und die dadurch [128] gewonnene Ebene trägt jetzt die Stadt, der es weder an einer Kirche, noch an einem Krankenhause oder an Werften fehlt. Malerische Bauwerke erheben sich mit der Front nach dem Mittelländischen Meere zu und der benachbarte See ist mit grünen Eilanden besäet, zwischen denen Fischerboote umhergleiten. Eine Art Rhede von zweihundertdreißig Hektar Oberfläche wird von zwei Dämmen geschützt, deren einer, der westliche, einen Leuchtthurm hat und eine Länge von dreitausendfünfhundert Metern aufweist, während der andre, der östliche, siebenhundert Meter kürzer ist.

[129] Meister Antifer und seine Freunde nahmen vom Kapitän Cip Abschied, dankten ihm aufrichtig für die gute Aufnahme, die sie auf seinem Schiffe gefunden hatten, und am nächsten Morgen schon begaben sie sich nach der Eisenbahn, die damals die Verbindung zwischen Port-Saïd und Suez herstellte.

Wäre der Canal jener Zeit schon vollendet gewesen, so hätte sich Juhel gewiß für die Fahrt durch denselben entschieden und Gildas Tregomain konnte sich zwischen den Ufergeländen der Rance glauben, obwohl die Bitterseen und die Ismailas weniger bretonisch als Dinan und mehr orientalisch als Dinard sind.

Und Meister Antifer?... Der hätte nicht daran gedacht, diese Wunder anzuschauen, nein, weder die der Natur, noch die der Menschenhand, für ihn gab's ja auf der Erde nur einen einzigen Punkt, das Eiland des Golfes von Oman, sein Eiland, das wie ein glänzender Metallknopf sein ganzes Wesen hypnotisierte.

Er wollte auch nichts von Suez sehen, der Stadt, die jetzt so viel genannt wird; sehr deutlich bemerkte er aber beim Verlassen des Bahnhofs zwei Männer, von denen der eine sich in höflichsten Grüßen überbot, während der andre seine orientalische Würde vollständig bewahrte.

Das waren Ben Omar und Nazim.

11. Capitel
Elftes Capitel.
Worin Gildas Tregomain erklärt, daß sein Freund Antifer schließlich überschnappen könnte.

Der Testamentsvollstrecker, der Notar Ben Omar, und sein Schreiber befanden sich also richtig am Orte des Stelldicheins. Sie hätten sich wohl auch gehütet, auszubleiben. Schon vor einigen Tagen in Suez eingetroffen, erwarteten sie hier mit Ungeduld das Erscheinen des Malouins.

Auf ein Zeichen des Meisters Antifer rührten sich weder Juhel noch Gildas Tregomain von der Stelle. Alle drei gaben sich den Anschein, in einer Unterhaltung zu sein, in der sie niemand stören konnte.

[130] Ben Omar kam in der ihm zur zweiten Natur gewordenen ehrerbietigen Haltung auf sie zu.

Man schien sein Vorhandensein gar nicht zu bemerken.

»Nun endlich... mein Herr...« wagte er zu sagen, indem er seiner Stimme den liebenswürdigsten Ton verlieh.

Meister Antifer drehte nur den Kopf um, sah ihn an und hatte entschieden das Aussehen, als ob er ihn nicht kenne.

»Geehrter Herr... ich bin es... ich... wiederholte der Notar sich verneigend.

– Wer... Sie?...«

Er hätte gar nicht deutlicher aussprechen können: was zum Teufel, will denn dieser Reißaus aus einem Mumiensarge von mir?

»Aber... ich bin's... Ben Omar... der Notar aus Alexandrien.... Kennen Sie mich denn nicht?

– Kennen wir vielleicht diesen Herrn?« fragte Pierre-Servan-Malo.

Er wandte sich dabei, mit den Augen blinzelnd, an seine Gefährten, während der Kiesel im Munde einmal die rechte und dann die linke Wange aufblähte.

»Ich glaub' es, antwortete Gildas Tregomain, dem die Verlegenheit des Notars leid zu thun anfing. Das ist ja Herr Ben Omar, mit dem wir schon zusammenzutreffen das Vergnügen hatten....

–... Ah, wirklich... wahrhaftig... erwiderte Meister Antifer, als wenn er sich seiner endlich erinnerte. Ja, richtig... Bon Omar oder Ben Omar?...

– Ich selbst.

– Na... was machen Sie denn hier?

– Wie... was ich hier mache?... Nun, ich erwarte Sie, Herr Antifer.

– Sie erwarten mich?

– Gewiß! Haben Sie denn ganz vergessen?... Wir hatten ja verabredet, in Suez zusammenzutreffen?

– Zusammenzutreffen?... Weshalb denn? antwortete der Malouin, der den Erstaunten so vortrefflich spielte, daß es den Notar wirklich verblüffte.

– Weshalb?... Ei, wegen des Testaments Kamylk-Paschas... wegen der vermachten Millionen... und wegen des Eilandes....

– Sie dürften sich ausdrücken: meines Eilandes, scheint mir!

[131] – Jawohl, Ihres Eilandes.... Ich sehe, daß sich Ihr Gedächtniß wieder einstellt... und da mir das Testament die Verpflichtung auferlegt...

– Ja, ja, das ist richtig, Herr Ben Omar.... Adieu, Adieu!...«

Und ohne sich mit einem auf Wiedersehen zu verabschieden, veranlaßte er Juhel und den Frachtschiffer durch ein Zeichen, ihm zu folgen.

Eben als sie sich vom Bahnhof entfernen wollten, hielt der Notar die kleine Gruppe noch einmal auf.

»Wo denken Sie in Suez zu wohnen? fragte er.

– Im ersten besten Hôtel, antwortete Meister Antifer.

– Würde Ihnen das passen, in dem ich mit meinem Schreiber abgestiegen bin?

– Das, oder ein andres, daran liegt ja nichts! Für die achtundvierzig Stunden, die wir uns hier aufhalten...

– Achtundvierzig Stunden? wiederholte Ben Omar in einem Tone, der die schlimmste Unruhe erkennen ließ. Sie sind also noch nicht am Ziel Ihrer Reise?

– Nicht im geringsten, erklärte Meister Antifer. Jetzt haben wir noch eine Seefahrt vor uns....

– Seefahrt? unterbrach ihn der Notar, der schon erbleichte, als schwankte das Verdeck eines Schiffes unter seinen Füßen.

– Eine Seefahrt, die wir, wenn es Ihnen gefällig ist, an Bord des Packetbootes »Oxus« ausführen werden, das den Dienst zwischen hier und Bombay versieht....

– Bombay!

– Und das übermorgen von Suez abgehen wird Ich lade Sie also ein, sich darauf Platz zu sichern, da uns Ihre Gesellschaft einmal aufgedrängt ist.

– Wo liegt denn aber jenes Eiland? fragte der Notar mit dem Ausdrucke heller Verzweiflung.

– Das liegt, wo es liegt, Herr Ben Omar!«

Damit begab sich Meister Antifer, begleitet von Juhel und Tregomain. nach dem nächsten Hôtel, wohin ihr nicht umfängliches Gepäck bald nachgebracht wurde.

Eine Minute später befand sich Ben Omar wieder bei Nazim, und ein Beobachter hätte sehen müssen, daß der angebliche Schreiber ihn nicht in respectvollster Weise empfing. O, ohne jenes Procent, das ihm von den Millionen [132] zukam, und ohne die Angst, die ihm Saouk einflößte, hätte er mit Vergnügen den Erben Kamylk-Paschas mit sammt dem Testamente und der unbekannten Insel seines Weges ziehen lassen oder sich gar nicht darum gekümmert, wer sich etwa aufmachte, den Schatz zu heben.

Hätte jemand etwa unserm Malouin gesagt, daß Suez früher von den Arabern Sueys und von den Aegyptern Kleopatris genannt worden war, so würde dieser sofort geantwortet haben:

»Bei dem Zwecke, um deswillen ich hierher kam, ist mir das völlig gleichgiltig!«

An den Besuch einiger Moscheen, einiger alten Bauwerke ohne besondern Charakter, zweier oder dreier Plätze, deren merkwürdigster der Getreidemarkt ist, oder eines nach dem Meere zu stehenden Hauses, in dem einst General Bonaparte gewohnt hatte... an dergleichen dachte das ungeduldige Männchen gar nicht. Juhel meinte dagegen, er könne die achtundvierzig Stunden nicht besser ausnützen, als durch eine Besichtigung der Stadt mit fünfzehntausend Seelen, deren unregelmäßige Wälle freilich in recht schlechtem Zustande waren.

Er und Gildas Tregomain trotteten also durch alle Straßen und Gassen, besahen sich die Rhede, wo fünfhundert Schiffe bei sechzehn bis zwanzig Meter Tiefe recht guten Ankergrund finden und gegen den hier fast stets wehenden Nordwest geschützt sind.

Suez betrieb schon einen nicht unbeträchtlichen Seehandel, ehe jemand an den heutigen Canal dachte – Dank der Eisenbahn, die Kairo und Alexandrien verbindet. Durch seine Lage im Hintergrunde des Golfes, dem es seinen Namen entlehnt hat – ein Golf, der sich zwischen der ägyptischen Küste und der Landenge hundertsechsundachtzig Kilometer weit ins Land erstreckt – beherrschte diese Stadt das Rothe Meer und wird sich, wenn auch langsam, doch auch in Zukunft weiter entwickeln.

Meister Antifer hatte für so etwas, wie gesagt, nicht das geringste Interesse. Während die beiden andern durch die Straßen lustwandelten, verließ er fast gar nicht den herrlichen, in eine Promenade umgewandelten Strand. Er fühlte freilich, daß man ihn überwachte. Bald war es Nazim, bald wieder Ben Omar, der ihn nicht aus den Augen verlor, ohne daß sich einer von ihnen an ihn herangedrängt hatte. Er gab sich übrigens den Anschein, von dieser Ueberwachung nichts zu merken. In Gedanken versanken, auf einer Bank sitzend, überflog sein Blick den Horizont des Rothen Meeres und suchte noch darüber [133] hinauszudringen, und zuweilen – so sehr unterlag seine Phantasie seiner fixen Idee – glaubte er das Eiland zu sehen – sein Eiland – wie es aus dem Nebeldunst des Südens auftauchte in Folge einer Luftspiegelung, die übrigens an solchen sandigen Küsten nicht selten und so täuschend sind, daß sich das Auge davon allemal beirren läßt.

Endlich, am 11. März, hatte das Packetboot seine Vorbereitungen zur Abfahrt vollendet und die nöthigen Kohlen eingenommen, die es zur Fahrt über den Indischen Ocean und zum Anlaufen gewisser Häfen brauchte.

Selbstverständlich hatten sich Meister Antifer, Gildas Tregomain und Juhel schon sehr frühzeitig an Bord begeben und auch Ben Omar und Saouk sich eingeschifft.

Das in der Hauptsache nur zum Waarentransport eingerichtete große Dampfschiff konnte doch auch Passagiere mitnehmen, von denen übrigens die meisten nach Bombay gingen, und nur wenige in Aden und Mascat absteigen wollten.

Der »Oxus« lichtete um elf Uhr morgens die Anker und dampfte durch die lange Wasserstraße von Suez hin. Es wehte eine ziemlich frische Nordwestbrise, die nach Westen umzulaufen versprach. Da die Reise gegen vierzehn Tage in Anspruch nehmen sollte, weil unterwegs mehrmals angehalten wurde, hatte Juhel eine Cabine mit drei Lagerstätten belegt, die am Tage zum Ausruhen und nachts zum Schlafen dienen konnte.

Natürlich nahmen Saouk und Ben Omar eine andre Cabine ein, aus der Ben Omar jetzt gewiß nur immer für sehr kurze Zeit auftauchen würde. Meister Antifer, der dem Manne, den er nicht loswerden konnte, ihr gegenseitiges Verhältniß möglichst klar zu machen strebte, hatte mit der ihm eignen Höflichkeit des Seebären den Notar in folgender Weise angelassen:

»Herr Ben Omar, wir fahren zwar in Gesellschaft, das versteht sich, doch jeder hält sich auf seiner Seite... Ich mich auf der meinigen... Sie sich auf der Ihrigen. Es wird genügen, wenn Sie zur Zeit bei der Hand sind, um meine Besitzergreifung zu bestätigen, und wenn das geschehen ist, hoffe ich, daß wir einander weder in dieser noch in jener Welt wieder begegnen werden!«

So lange der »Oxus« in dem durch die seitlichen Anhöhen des Isthmus geschützten Golfe hindampfte, verlief die Fahrt ebenso ruhig, wie über einen Binnensee. Als er aber in das eigentliche Rothe Meer einlenkte, fiel ihm die frische Brise, die von den arabischen Ebenen herwehte, recht anständig in die [134] Flanke. Da erlagen viele Passagiere sehr bald der schlimmsten Seekrankheit. Nazim schien davon nicht belästigt zu werden – ebensowenig wie Meister Antifer, dessen Neffe und Gildas Tregomain, der in seiner Person die Ehre der Süßwasserschiffer rettete. Was den Notar betraf, so müßte man freilich darauf verzichten, seinen Zustand malen zu wollen. Er erschien nie auf dem Deck des Schiffes, und auch weder im Salon, noch im Diningroom. Man hörte ihn nur in seiner Cabine jammern, sah ihn aber während der ganzen Fahrt nicht wieder. Für das Männchen wäre es besser gewesen, als Mumie zu reisen. Der gutmüthige Lastschiffer, der mit dem armen Manne etwas Mitleid fühlte, besuchte ihn dann und wann einmal – was ja bei seiner Natur nicht zu verwundern ist. Meister Antifer dagegen, der es Ben Omar nicht vergessen konnte, daß er ihm seine Breite hatte entwenden wollen, zuckte nur die Achseln, als Gildas Tregomain es versuchte, ihm etwas Mitgefühl für den unglücklichen Passagier einzuflößen.

»Nun, Frachtschiffer, sagte er zu ihm, die rechte und die linke Wange immer abwechselnd aufblasend, ist denn Dein Omar nun ordentlich leer?

– Beinahe!

– Meinen Glückwunsch!

– Alter Freund, würdest Du denn nicht einmal zu ihm gehen?... Nur ein einziges Mal?...

– O gewiß, Frachtschiffer, gewiß! Ich werde gehen, sobald von ihm nur noch die äußere Schale übrig ist!«

Mit einem Manne, der das lachend herauspolterte, soll einer nun etwas anzufangen versuchen!

Blieb nun auch während der Fahrt jede Belästigung seitens des Notars aus, so erweckte doch dafür sein Schreiber Nazim bei Meister Antifer wiederholt ein nicht unbegründetes Mißtrauen. Er drängte sich ihm übrigens nicht etwa persönlich auf. Wozu auch? Sie hätten ja doch, da sie die gleiche Sprache nicht beherrschten, nicht mit einander reden können. Der angebliche Schreiber war jedoch immer in der Nähe und beobachtete alles, was der Malouin that, in einer Weise, als wäre er von seinem Principal damit beauftragt worden. Der Meister Antifer verspürte die größte Lust, ihn über Bord zu werfen, vorausgesetzt, daß der Aegypter sich eine solche Behandlung gefallen ließ.

Die Fahrt durch das Rothe Meer hinunter war recht peinlich, – obwohl man jetzt von der erstickenden Hitze des Sommers hier noch nichts zu leiden [135] hatte. Zu dieser Zeit kann man bekanntlich als Kesselheizer nur noch Araber gebrauchen, die noch nicht braten, wo Eier schon sieden.

Am 15. März erreichte der »Oxus« den engsten Theil der Straße Bab-el-Mandeb. Nachdem sie die englische Insel Perim zur Linken gelassen hatten, konnten die drei Franzosen auch einmal die Flagge ihres Vaterlandes begrüßen, die vom Fort Obock über der afrikanischen Küste wehte. Dann steuerte der Dampfer durch den Golf von Aden und auf den gleichnamigen Hafen zu, wo er einige Passagiere absetzen sollte.

Aden, wiederum ein Schlüssel zu dem Schatze des Rothen Meeres, der am Gürtel Großbritanniens hängt, dieser guten Haushälterin, die ihr Geschäft niemals vernachlässigt. Mit der Insel Perim, aus der England ein zweites Gibraltar gemacht hat, beherrscht es den Eingang zu jenem sechshundert Lieues langen Durchgang, der nach dem Indischen Ocean hinführt. Wenn der Hafen von Aden zum Theil versandet ist, so besitzt er doch im Osten einen weiten und bequemen Ankerplatz, und im Westen ein Bassin, in dem eine große Flotte Schutz finden könnte.

Die Engländer haben hier seit 1823 Fuß gefaßt. Die jetzige Stadt, die schon im elften und zwölften Jahrhundert eine Periode der Blüte hatte, scheint sich mehr und mehr zum Handelsemporium des fernen Morgenlandes zu entwickeln.

Aden, das dreißigtausend Einwohner hat, zählte jetzt deren drei mehr. Für die Zeit von achtundvierzig Stunden war auch Frankreich hier durch die drei abenteuerlustigen Malouins – Prachtexemplare der alten Armorica – vertreten.

Meister Antifer hielt es nicht für angezeigt, das Schiff erst zu verlassen. Er schimpfte vielmehr weidlich über den Aufenthalt, vorzüglich, da dieser es dem Notar ermöglichte, auf dem Verdeck des »Oxus« zu erscheinen, freilich in so erbärmlichem Zustande, daß er sich kaum herauf zu schleppen vermochte.

»Ah, sieh' da, Herr Ben Omar? sagte Pierre-Servan-Malo mit ironischem Ernste. Wahrlich, hätte Sie fast gar nicht wiedererkannt!... Sie werden wohl nicht mehr bis ans Ziel der Reise kommen!... Ich an Ihrer Stelle... ich bliebe gleich in Aden zurück....

– Das möcht' ich wohl gern, antwortete der Unglückliche, dessen Stimme zum schwachen Lispeln geworden war.


Im Gedanken versunken, auf einer Bank sitzend... (S. 133.)

Einige Tage der Ruhe könnten mich ja... wieder her stellen, und wenn Sie das nächste Packetboot abwarten....

[136] [139]– Bedaure sehr, Herr Ben Omar. Ich hab' es eilig, Ihnen die für Sie bestimmte hübsche Tantième auszuliefern; da kann ich mich unterwegs leider nicht aufhalten.

– Ist's denn noch weit von hier?...

– Mehr als weit!« antwortete Meister Antifer, der mit der Hand einen Kreis von unglaublichem Durchmesser beschrieb.

Ben Omar schlich darauf wieder in seine Cabine. Das kurze Gespräch hatte ihm wenig Trost gewährt.

Juhel und der Frachtschiffer kehrten zur Zeit der Tafel wieder auf das Schiff zurück, ohne von ihren Erlebnissen zu erzählen, denn Meister Antifer hätte ihnen doch nicht zugehört.

Am Nachmittag des nächsten Tages stach der »Oxus« wieder in See, konnte aber von der indischen Amphitrite – Gildas Tregomain sagte »Amphitruite« – kein großes Rühmens machen. Die Göttin zeigte sich eigensinnig, launisch, nervös, was man an Bord gar zu deutlich fühlte. Von Ben Omar wollen wir lieber schweigen. Doch wenn man den in ein Tuch gehüllt, nach dem Verdeck getragen, wenn man ihn, mit einer Kanonenkugel an den Füßen, nach dem Fußschemel der Göttin hinuntergesendet hätte, er würde nicht mehr Kraft gehabt haben, gegen das Unzeitgemäße dieser Bestattung zu protestieren.

Erst am dritten Tage ließ das schlechte Wetter nach, als der Wind nach Nordost umsprang, wodurch der Dampfer unter den Schutz der Küste von Hadramaut kam.

Wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß Saouk, wenn er sich von den Unbilden der Fahrt auch körperlich keineswegs belästigt fühlte, doch geistig nicht in der gleich guten Verfassung war. Ihn wurmte es, von der Gnade des verwünschten Franzosen abhängig zu sein, ihm das Geheimniß der Insel nicht haben entlocken zu können und ihm folgen zu müssen, nach Mascat, nach Sunate, nach Bombay, oder wo der »Oxus« sonst einen Hafen anlief. Das war nicht dazu angethan, ihn bei guter Laune zu erhalten.

Diese Ungewißheit und Unkenntniß reizten Saouk im Gegentheil mit jeder Stunde mehr, er hätte jenes Geheimniß am liebsten den Eingeweiden des Meister Antifer entrissen.

Immer wieder bemühte er sich, einzelne zwischen diesem und seinen Begleitern gewechselte Worte aufzuschnappen. Da diese glaubten, daß er kein Französisch verstehe, konnte sie seine Anwesenheit nicht genieren. Doch auch [139] das war vergeblich. Im Gegentheil schienen die Drei gegen den angeblichen Schreiber Verdacht zu haben, jedenfalls wichen sie ihm absichtlich aus, was Saouk natürlich nicht entgehen konnte.

Der »Oxus« hielt sich gegen zwölf Stunden in Birbat an der arabischen Küste auf. Von da aus steuerte er längs des Gebietes von Oman hin und auf Mascat zu. Noch zwei Tage, und er mußte das Cap Raz-el-Had umschiffen und vierundzwanzig Stunden später die Hauptstadt des Imanats erreichen, womit Meister Antifer am vorläufigen Ziel seiner Reise ankam.

Es war übrigens die höchste Zeit. Je näher der Malouin seinem Ziele kam, desto nervöser und ungeselliger wurde er. Nur das ersehnte Eiland beschäftigte noch seine Gedanken, jene Gold- und Diamantengrube, die ihm angehörte. Er sah schon eine Höhle Ali Baba's vor sich, deren Eigenthum ihm gesetzmäßig im Lande der Tausend und eine Nacht, wohin Kamylk-Pascha ihn entführte, überwiesen worden war.

»Wißt Ihr, begann er eines Tages zu seinen Gefährten, daß, wenn das Vermögen des braven Aegypters...«

Er sprach in familiärster Weise, wie etwa ein Neffe von dem amerikanischen Onkel gesprochen hätte, dessen Hinterlassenschaft er antrat.

».... Wißt Ihr, daß ich, wenn jenes Vermögen aus Goldbarren bestanden hätte, sehr in Verlegenheit gekommen wäre, es nach Saint-Malo zu befördern?

– Das glaube ich Dir, Onkel, antwortete Juhel.

– Ich meine doch, wagte der Frachtschiffer zu bemerken, wenn wir jeder unsern Reisesack, unsre Taschen und zur Noth auch die Hüte vollgestopft hätten...

– Das sind nun Ansichten des Flußkleppers! rief Meister Antifer. Er stellt sich vor, man könne eine Million in der Hosentasche forttragen....

– Ich dachte mir, lieber Freund...

– Du hast wohl in Deinem Leben noch keine Million in Gold gesehen?...

– Niemals... nicht einmal im Traume!

– Und Du weißt auch nicht, was eine solche wiegt?...

– Darum laß' ich mir kein graues Haar wachsen.

– Nun, ich, ich weiß es aber, Frachtschiffer, denn es hat mich gedrängt, es auszurechnen.

– Nun, wie viel denn?

[140] – Ein Goldbarren im Werthe von einer Million wiegt ungefähr dreihundertzweiundzwanzig Kilogramm....

– Nicht mehr?« warf Gildas Tregomain naiv ein.

Meister Antifer sah ihn von der Seite an. Dessen Bemerkung schien aber in so gutem Glauben gefallen zu sein, daß er sich entwaffnet fühlte.

»Und, fuhr er fort, wenn eine Million schon dreihundertzweiundzwanzig Kilogramm wiegt, so wiegen hundert Millionen zweiunddreißigtausendzweihundert Kilogramm!

– Oho! platzte Frachtschiffer heraus, – nur nicht zu viel!

– Ja, weißt Du auch, wie viele Menschen, wenn jeder hundert Kilogramm trüge, nöthig wären, um diese hundert Millionen fortzuschaffen?

– Na, sag's nur, alter Freund!

– Dazu brauchte man wieder dreihundertzweiundzwanzig. Da wir nun blos ihrer drei sind, so kann man sich unsre Verlegenheit vorstellen, wenn wir nach dem Eiland kämen! Zum Glück besteht mein Schatz aber in der Hauptsache aus Diamanten und Edelsteinen....

– Ja, ja, mein Onkel hat ganz recht, fiel Juhel ein.

– Und ich möchte noch hinzusetzen, sagte Gildas Tregomain, daß dieser Kamylk-Pascha alles zum besten eingerichtet hat.

– O, jene Diamanten! rief Meister Antifer; jene Diamanten, die man bei den Juwelieren in Paris oder London so bequem verkaufen kann!... Das wird einmal ein Handel werden!... Natürlich nicht alle... nein, alle nicht!

– Du wirst nur einen Theil davon in Geld umsetzen...

– Jawohl, Frachtschiffer, natürlich! erwiderte Meister Antifer, dessen Gesicht zuckte, während seine Augen Blitze sprühten. Ja wohl... und im Voraus behalte ich davon einen für mich... einen Diamanten im Werthe von einer Million... den ich im Brustlatz trage...

– Im Brustlatz, alter Freund! bemerkte Gildas Tregomain. Dann mußt Du aber strahlen! Ich glaube, es kann Dich gar keiner mehr ansehen!...

– Und einen zweiten für Enogate, erklärte Meister Antifer weiter. Das wird ein Kieselsteinchen, das sie noch hübscher machen wird.

– Nein, hübscher nicht, als sie's schon ist, Onkel! beeilte sich Juhel zu versichern.

– Gewiß, mein Herr Neffe, gewiß... Dann giebt es noch einen dritten Diamanten für meine Schwester.

[141] – Ach, für die gute Nanon! rief Gildas Tregomain. Sie wird dann ebenso geschmückt sein, wie zu Hause die Jungfrau Maria von der Rue Porçon. Alle Wetter, ich glaube, Du willst sie so putzen, daß ihr einer noch einen Heiratsantrag macht?...«

Meister Antifer zuckte nur die Achseln, dann fuhr er fort:

»Und einen vierten Diamanten für Dich, Juhel, einen schönen Stein, den Du an der Busennadel tragen kannst...

– Ich danke, lieber Onkel.

– Und einen fünften für Dich, Kapitän!

– Für mich?... Wenn's noch einer wäre, den ich an der Gallion der »Charmante Amélie« anbringen könnte....

– Nein, Frachtschiffer, an Deinem Finger... in einem Ring... einem Siegelring...

– Ein Diamant an meinen großen, rothen Händen... das wird mich kleiden, wie einen Franciskaner etwa Lackstiefeln, erwiderte der Frachtschiffer, indem er seine gewaltige Hand zeigte, die eher geeignet war, ein dreifaches Tau einzuholen, als mit Ringen zu flunkern.

– Thut nichts, Frachtfuhrmann! Es ist ja nicht unmöglich, daß sich eine Frau fände, die Dich wollte...

– Ich bitte Dich, alter Freund! Es existiert ja eine hübsche und kräftige Wittwe... eine Gewürzkrämerin in Saint-Servan....

– Eine Hökerin... Gewürzhändlerin!... rief Meister Antifer. Stelle Dir einmal vor, welche Jammergestalt Deine Hökerin in unsrer Familie spielen müßte, wenn Enogate erst einen Prinzen und Juhel seine Prinzessin geheirathet hat!«

Das Gespräch brach hiermit ab und der junge Kapitän konnte sich nicht enthalten, zu seufzen, wenn er dachte, daß sein Oheim noch immer an solcher tollen Idee festhielt.

Wie würde er ihn wohl zur Vernunft bringen können, wenn es ein Unstern, ja, ein richtiger Unstern wollte, daß er in Besitz der Millionen des Eilandes kam?

»Ohne allen Zweifel, er verliert noch den Verstand, wenn das so weiter geht! sagte Gildas Tregomain zu Juhel, als sie allein waren.

– Das ist leider zu fürchten!« bestätigte Juhel, der seinem vor sich hinmurmelnden Onkel nachblickte.

[142] Zwei Tage später traf der »Oxus« im Hafen von Mascat ein, und drei Matrosen schleppten Ben Omar aus der Tiefe seiner Cabine. Doch in welchem Zustand! Er war nur noch ein Skelett... oder vielmehr eine Mumie, da ihm noch die Haut über das Knochengerüst weghing!

12. Capitel
Zwölftes Capitel.
In dem Saouk sich entschließt, die Hölle des Schatzes Kamylk-Paschas zu opfern, um sich die andre Hälfte zu sichern.

Und als Gildas Tregomain Juhel bat, ihm auf der Karte seines Atlas den Punkt zu zeigen, wo Mascat lag, da wollte er kaum seinen Augen trauen. Der Exkapitän der »Charmante Amélie«, der Schiffer von der Rance, hierher geschafft... so weit... so weit... bis nach den Meeren Asiens!

»Wir befinden uns also am Ende von Arabien, Juhel? fragte er, sein Glas auf der Nase zurecht schiebend.

– Ja, Herr Tregomain, am südlichsten Ende davon.

– Und der Golf da, der sich im Hintergrunde ausbreitet?

– Ist der Golf von Oman.

– Und der andre, der einer Pöckelkeule ähnelt?

– Das ist der persische Golf.

– Und die Meerenge, die sie verbindet?

– Ist die Straße von Ormuz.

– Und endlich das Eiland unsres Freundes?

– Das muß irgendwo im Golfe von Oman liegen....

– Wenn es da liegt!« versetzte der Frachtschiffer, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Meister Antifer ihn nicht hören konnte.


Der »Oxus« steuert durch den Golf von Aden. (S. 136.)

Das Imanat von Mascat, zwischen dem zweiundfünfzigsten und dem siebenundfünfzigsten Meridian und dem zweiundzwanzigsten und siebenundzwanzigsten Breitengrade, erstreckt sich bei einer Länge von fünfhundertvierzig über eine Breite von zweihundertachtzig Kilometern.


Ankunft des »Oxus« im Hafen von Mascat. (S. 143.)

Ankunft des »Oxus« im Hafen von Mascat. (S. 143.)


Pachtweise gehört dazu [143] auch noch ein Streifen der persischen Küste von Laristan bis Maghistan, ein zweiter Streifen an der Küste von Ormuz und Kistrim, ferner in Afrika der große Theil, der sich vom Aequator bis zum Cap Delgado – mit Zanzibar, Jula, Molinde und Sofala – hinzieht, alles zusammen ein Staat von einer halben Million Quadratkilometern – etwa so groß wie Frankreich – und mit zehn Millionen Einwohnern, Arabern, Persern, Hindus und Juden nebst vielen Negern. Der Iman ist also ein Herrscher, der eine gewisse Beachtung erdient.

[144] [147]Bei der Fahrt den Golf von Oman hinauf und in der Richtung nach Mascat war der »Oxus« an einem öden, unfruchtbaren und hohen, von senkrecht abfallenden Wänden umrahmten Ufer vorübergekommen, das an einzelnen Stellen wie mit Burgen aus der Feudalzeit besetzt erschien. Etwas weiter rückwärts wölbten sich einige Hügel von etwa fünfhundert Meter Höhe, die ersten Anfänge der Gebel-Achdar-Kette, die bis etwa tausend Meter ansteigt. Daß das Land so unfruchtbar ist, erklärt sich aus dem vollständigen Fehlen irgend eines bedeutenden Wasserlaufs. Immerhin vermögen die Umgebungen der Hauptstadt eine Bevölkerung von sechzigtausend Köpfen zu ernähren. An Weintrauben, Mangofrüchten, Pfirsichen, Feigen, Granatäpfeln, Wassermelonen, sauern und süßen Citronen und vorzüglich an Datteln giebt es hier Ueberfluß. Die Dattelpalme ist vor allem der Baum des arabischen Landes. Nach ihm schätzt man den Werth der Besitzungen und spricht z.B. von einem Gute von drei- oder viertausend Dattelpalmen, wie bei uns von einem solchen von drei- oder vierhundert Hektaren. Das Imanat treibt ziemlich schwunghaften Handel, da der Iman nicht allein das Staatsoberhaupt, sondern auch der Hohepriester und gleichzeitig der größte Kaufmann des Landes ist. Sein Königreich besitzt nicht weniger als zweitausend Fahrzeuge mit siebenunddreißigtausend Tonnen. Die Kriegsflotte zählt gegen hundert Schiffe mit mehreren Kanonen, das Landheer bilden fünfundzwanzigtausend Mann. Das Einkommen des Herrschers wird auf dreiundzwanzig Millionen Francs berechnet. Selbst Besitzer von fünf Schiffen, hat er das Recht, die Schiffe seiner Unterthanen zum Besten seiner Geschäfte zu verwenden – was ihm gestattet, diesen eine ganz besondre Ausdehnung zu geben.

Der Iman ist der völlig unbeschränkte Herrscher seines Gebiets, das, zu erst von Albuquerque erobert, 1507 die portugiesische Oberhoheit abschüttelte. Seit einem Jahrhundert ganz unabhängig, wird das Imanat von den Engländern unterstützt, die ohne Zweifel darauf speculieren, nach dem Gibraltar in Spanien, dem Gibraltar von Aden und dem Gibraltar von Perim, auch noch ein Gibraltar des Golfes von Persien zu errichten. Die hartnäckigen Sachsen werden schließlich noch alle geeigneten Stellen der Erdkugel »gibraltarisieren«.

Meister Antifer selbst und seine Begleiter hatten sich um die politischen, die industriellen und commerciellen Verhältnisse des Landes vor der Abreise aus Frankreich nicht im mindesten gekümmert.

Für sie hatte das Imanat ja kein weiteres Interesse, als das einer Station auf der Fahrt nach einem der Eilande des Golfes.

[147] Jetzt drängte sich ihnen aber gleichsam die Gelegenheit auf, den heutigen Zustand dieses Königreichs wenigstens etwas genauer kennen zu lernen, da sie sich in die Nothlage versetzt sahen, einen Consularbeamten Frankreichs in diesem Winkel Arabiens um Auskunft anzugehen.

Seit einem, 1841 zwischen dem Iman und der französischen Regierung abgeschlossenen Vertrag wohnte hier nämlich ein solcher Vertreter.

Ihm fällt es nur zu, seinen Landsleuten zur Seite zu stehen, wenn deren Geschäfte sie bis zur Küste des Indischen Oceans führen.

Pierre-Servan-Malo hielt es also für angezeigt, diesen Consularagenten aufzusuchen. Die recht gut organisierte und deshalb spürsinnige Polizei des Landes hätte in dem Eintreffen der drei Fremden in Mascat etwas Verdächtiges sehen können, wenn diese nicht einen glaubhaften Grund für ihre Reise angaben. Selbstverständlich wollten sie ihr Geheimniß dabei nicht preisgeben.

Der »Oxus« sollte nach achtundvierzigstündigem Aufenthalt nach Bombay weitergehen. Meister Antifer und seine Begleiter schifften sich also sofort aus, ohne sich nach Ben Omar und Nazim auch nur umzusehen. Diesen lag es ja ob, sie im Auge zu behalten und sich ihnen anzuschließen, wenn sie die Nachsuchungen im Golfe unternahmen.

Meister Antifer an der Spitze, Juhel in der Mitte und Gildes Tregomain als Nachtrupp, begaben sie sich, von einem Führer geleitet, nach einem englischen Hôtel durch die Straßen und über die Plätze des modernen Babylon. Ihr Gepäck kam nach. Es versteht sich von selbst, daß der Chronometer, der kostbare Chronometer, der ihnen zur Auffindung der Länge des Eilandes dienen sollte, ganz besonders in Acht genommen wurde. Meister Antifer hatte ihn sogar eigenhändig tragen wollen. Ein Seemann hätte nicht so viel Rücksicht auf seine Gattin nehmen können, wie Meister Antifer auf dieses Instrument, das ihm immer die Pariser Zeit anzeigte. Am meisten erstaunte der Frachtschiffer, sich hier in Mascat, wie der Doge von Genua am Hofe Ludwigs XIV. zu sehen.

Nachdem sie ihre Zimmer gewählt hatten, begaben sich unsre Reisenden zum Bureau des Consularagenten, der sehr erstaunt war, mit einem Male drei Franzosen auf seiner Schwelle erscheinen zu sehen.

Er war Provençale, etwa fünfzig Jahre alt und hieß Joseph Bard. Der Mann trieb Handel mit Baumwolle und Manufacturen, mit indischen Shawls und chinesischer Seide, sowie mit gold- und silbergestickten Stoffen, die von den reichen Orientalen sehr begehrt werden.

[148] Unter Landsleuten war die Bekanntschaft bald gemacht und alles Nothwendige besprochen.

Meister Antifer und seine Begleiter hatten zuerst ihren Namen und ihren Beruf angegeben. Ein Händedruck, und da bot der Agent ihnen auch schon einige Erfrischungen an und fragte sie nach dem Zwecke ihrer Reise.

»Ich habe nur selten Gelegenheit, Landsleute zu empfangen, sagte er, es ist daher ein Vergnügen für mich, Sie, meine Herren, bei mir zu sehen, und ich stelle mich ganz zu Ihrer Verfügung.

– Wir sind Ihnen sehr dankbar, antwortete Meister Antifer, denn Sie können durch einige Auskunft über die Verhältnisse des Landes uns einen großen Gefallen erweisen.

– Handelt es sich bei Ihnen nur um eine Lustreise?...

– Ja und nein, Herr Bard. Wir sind alle drei Seeleute, mein Neffe, Kapitän der langen Fahrt, und Gildas Tregomain, früherer Befehlshaber der »Charmante Amélie«.«

Meister Antifer, der seinen Freund zum »Befehlshaber« stempelte, sprach von dessen Flußschiff jetzt ganz wie von einer Fregatte.

»Und ich, ich bin Kapitän in der Küstenfahrt, setzte er hinzu. Wir sind von einem bedeutenden Hause in Saint-Malo beauftragt, in Mascat oder in einem Hafenorte des Golfes von Oman oder auch des Persischen Meerbusens ein Handelscomptoir zu errichten.

– Mein Herr, antwortete Joseph Bard, sehr bereitwillig, ein Unternehmen zu unterstützen, von dem er vielleicht selbst Nutzen ziehen konnte, ich kann Ihre Absicht nur loben und biete Ihnen meine Dienste an, Sie zu gutem Ende zu führen.

– Dann, mischte Juhel sich ein, gestatten wir uns, Sie zunächst zu fragen, ob es sich empfiehlt, ein solches Comptoir in Mascat oder in einer andern Stadt an der Küste zu eröffnen.

– Am besten in Mascat selbst, versicherte der Agent. Dieser Hafen nimmt durch seine Verbindungen mit Persien, Indien, Mauritius, la Réunion, Zanzibar und mit der Küste Afrikas täglich an Bedeutung zu.

– Und welche Artikel werden hier vorzugsweise ausgeführt? fragte Gildas Tregomain.

– Datteln, Rosinen, Schwefel, Fische, Copal, arabischer Gummi, Schildpatt, Rhinoceroshörner, Oel, Cocosnüsse, Reis, Hirse, Kaffee und Zuckerbackwerk.

[149] – Zuckerbackwerk? wiederholte der Frachtschiffer, dessen Zungenspitze schon zwischen den Zähnen sichtbar wurde.

– Gewiß, mein Herr, bestätigte Joseph Bard, jenes Backwerk, das man hier zu Lande »Hulwah« nennt und das aus Honig, Zucker, Gluten und Mandeln besteht.

– Das müssen wir kosten!

– So viel Du willst, erwiderte Meister Antifer. Doch kommen wir auf unsre Fragen zurück. Herr Bard war so freundlich, uns die wichtigsten Ausfuhrartikel zu nennen...

– Denen noch die Erzeugnisse der Perlenfischerei im persischen Meerbusen hinzuzufügen wären, antwortete der Agent, eine Fischerei, deren Ertrag sich jährlich auf acht Millionen Francs beläuft...«

Da hätte man sehen sollen, welche verächtliche Miene sich um den Mund des Meister Antifer legte. Perlen für acht Millionen! Das ist was Rechtes in den Augen eines Mannes, der hundert Millionen Edelsteine sein eigen nannte!

»Freilich, fuhr Joseph Bard fort, befindet sich der Perlenhandel in den Händen von Hindukaufleuten, die sich eine Concurrenz nicht würden bieten lassen.

– Auch außerhalb Mascats? sagte Juhel.

– Auch außerhalb der Hauptstadt, wo die Händler, das muß ich Ihnen gestehen, es mit kritischem Blicke betrachten würden, wenn sich Fremde niederließen....«

Juhel benützte diese Antwort, um das Gespräch auf ein andres Gebiet überzuleiten.

Die Hauptstadt des Imanats liegt nämlich genau unter 50°20« der Länge und 23°33' nördlicher Breite. Daraus ergab sich, daß die Lage des Eilandes etwas oberhalb derselben zu suchen war. Die Hauptsache blieb nur, Mascat unter dem Vorwand verlassen zu können, daß man einen geeigneten Ort zur Einrichtung eines malouinischen Comptoirs aufsuchen wolle. Deshalb fragte auch Juhel, nachdem er erklärt, daß es rathsam sein möchte, vor einer endgiltigen Niederlassung in Mascat die andern Städte des Imanats zu besuchen, nach denen, die an der Küste lagen.

»Das ist zunächst Oman, antwortete Joseph Bard.

– Im Norden von Mascat?...

– Nein, im Südosten.

[150] – Und im Norden?

– Ist die bedeutendste Stadt Rostak.

– Am Golfe?

– Nein, im Innern.

– Und an der Küste?

– Ist es Sohar.

– Wie weit liegt das von hier?

– Etwa zweihundert Kilometer.«

Ein Augenblinzeln Juhels machte seinen Onkel auf die Wichtigkeit dieser Antwort aufmerksam.

»Und ist Sohar auch eine handelsthätige Stadt?

– Eine sehr thätige, der Iman residiert dort zuweilen, wenn es Seiner Hoheit gerade beliebt....

– Seiner Hoheit!« wiederholte Gildas Tregomain.

Dieser Titel hatte für die Ohren des Lastschiffers offenbar einen angenehmen Klang. Eigentlich kam dieser nur dem Großtürken zu; Joseph Bard hielt es aber für angebracht, ihn auch auf den Iman anzuwenden.

»Seine Hoheit ist in Mascat, fügte er hinzu, und wenn Sie sich für eine Stadt entschieden haben, meine Herren, wird es nöthig sein, seine Genehmigung zur Errichtung eines Comptoirs einzuholen.

– Die uns Seine Hoheit hoffentlich nicht verweigern wird? versetzte der Malouin.

– Im Gegentheil, versicherte der Agent, er wird sich beeilen, sie gegen klingende Münze zu ertheilen.«

Meister Antifer machte eine Bewegung, als wollte er sagen, daß er bereit sei, königlich zu bezahlen.

»Wie gelangt man nach Sohar? fragte Juhel.

– Mit einer Karawane.

– Mit einer Karawane!... rief der Frachtschiffer etwas beunruhigt.

– Ja, erklärte Joseph Bard, wir haben im Imanat weder Eisenbahnen, noch Tramways, nicht einmal Postverbindungen. Der Weg dahin wird im Karren oder auf dem Rücken eines Maulesels zurückgelegt, wenn man es nicht vorzieht, zu Fuß zu gehen....

– Solche Karawanen ziehen aber wohl nur nach längeren Zwischenräumen aus? fragte Juhel.


Ein Laden in Mascat. (S. 156.)

– Entschuldigen Sie, erwiderte der Consularagent. Der Handel zwischen Mascat und Sohar ist ziemlich lebhaft, und gerade morgen...

– Morgen? fiel Meister Antifer ein. Das trifft sich gut, morgen werden wir uns einkarawanen! »

[151]

Die Aussicht, »sich einzukarawanen«, wie sein Freund sich ausdrückte, erschien Gildas Tregomain keineswegs verlockend, und die Grimasse, die er dabei zog, ließ das deutlich genug erkennen.


»Erste Straße rechts, zweite links.« (S. 158.)

Nun war er indeß nicht nach Mascat gekommen, um seinen Kopf aufzusetzen, und so mußte er sich [152] wohl entschließen, auch in der beschwerlichsten Weise mit weiter zu reisen. Immerhin glaubte er bezüglich dieser Fahrt von Mascat nach Sohar eine Bemerkung nicht unterdrücken zu dürfen.

»So schieß' los, ermunterte ihn Meister Antifer.

– Nun, sagte Gildas Tregomain, wir sind doch alle Drei Seeleute, nicht wahr?

– Alle Drei, bestätigte sein Freund, der dabei freilich einen Seitenblick auf den Kapitän der »Charmante Amélie« fallen ließ.

[153] – Ich sehe deshalb nicht ein, fuhr der Frachtschiffer fort, warum wir nach Sohar nicht zu Wasser gehen sollten. Zweihundert Kilometer... mit einem soliden Fahrzeuge...

– Ja, warum nicht, stimmte da Meister Antifer zu, dadurch könnten wir Zeit gewinnen.

– Gewiß, erklärte Joseph Bard, und ich würde der Erste sein, das anzurathen, wenn damit nicht gewisse Gefahren verknüpft wären.

– Welche Gefahren? fragte Juhel.

– Der Golf von Oman ist nicht sicher, meine Herren. Vielleicht an Bord eines größeren Handelsschiffes mit nicht zu schwacher Besatzung dürfte nichts zu fürchten sein.

– Fürchten? polterte Meister Antifer heraus. Fürchten? Etwa Windstöße oder so einen kleinen Sturm?

– Nein, aber Seeräuber, die in der Nähe der Meerenge von Ormuz nicht so selten sind.

– Teufel!« rief der Malouin.

Wir müssen ihm aber die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu versichern, daß er sich vor den Piraten selbst keineswegs fürchtete, nur wegen der Rückfahrt, wenn er die Millionen bei sich führte, war er etwas besorgter.

Auf jene Bemerkung des Agenten hin entschlossen sich die Reisenden auch, den Heimweg nicht zur See zu nehmen. Sie wollten mit einer Karawane abreisen und mit einer solchen zurückkehren, da das offenbar die größte Sicherheit bot. Gildas Tregomain mußte sich also bequemen, mit über Land zu gehen, empfand aber doch einige Unruhe, wie er dabei fortkommen würde.

Die Verhandlung brach hiermit ab. Die drei Franzosen waren sehr erfreut, einen französischen Agenten getroffen zu haben. Bei der Rückkehr wollten sie ihm einen Besuch abstatten; sie versprachen, ihm über ihre Unternehmung auf dem Laufenden zu halten und sich nur nach seinen Rathschlägen zu richten. Der Schlaukopf Antifer ließ sogar durchblicken, daß die Gründung eines Comptoirs gewiß recht umfängliche Geschäfte zur Folge haben werde, deren Nutzen der Agentur zufließen müßte.

Ehe sie sich trennten, wiederholte Joseph Bard seine Empfehlung, sich bei Seiner Hoheit vorzustellen, und erbot sich übrigens, eine Audienz für die distinguierten Fremdlinge zu vermitteln.

[154] Die genannten »distinguierten Fremdlinge« machten sich wieder auf den Weg nach dem Hôtel.

Inzwischen conserierten Ben Omar und Nazim in einem Zimmer des nämlichen Hôtels miteinander, und es versteht sich von selbst, daß es dabei von Seiten Saouk's zuweilen recht heftig herging.

Der angebliche Schreiber und der Notar waren in Mascat angekommen. Gut. Noch wußten sie aber nicht, ob Mascat auch das Endziel der Reise sei oder ob Meister Antifer sie noch darüber hinaus führen werde. Das zu wissen war aber die Pflicht des einfältigen Omar, der es zu erfahren ja ein Recht hatte, und doch war dieser bisher nicht weiter gekommen als der falsche Nazim.

»Das kommt davon, wenn man so schauderhaft seekrank wird! zankte Nazim. Du hättest auch besser daran gethan, gesund zu bleiben!«

Ja, das meinte der Notar wohl auch... ebenso wie er gern mit diesem Schelm von Franzosen gesprochen, in sein Geheimniß eingedrungen wäre und erfahren hätte, wo der Schatz niedergelegt war.

»Beruhigen sich Eure Excellenz, antwortete Ben Omar; noch heute werd ich den Herrn Antifer sehen und alles erfahren... das heißt, wenn es nicht noch einmal zu Schiffe weiter geht!«

Daß der Notar Kenntniß von der Oertlichkeit bekommen mußte, wohin der Legatar Kamylk-Paschas sich begab, um sich in Besitz seiner Erbschaft zu setzen, stand ja außer Frage. Da das Testament die Mitanwesenheit des Testamentsvollstreckers, also Ben Omar's, dabei ausdrücklich vorschrieb, konnte Meister Antifer ihm diese ja nicht vorenthalten. Anders lag es nur, wie Saouk, wenn das Eiland erreicht war und seine Schätze ausgeliefert hatte, sie ihrem Eigenthümer rauben könne. Auf diese vom Notar öfters wiederholte Frage hatte er niemals eine Antwort gegeben, einfach, weil er keine zu geben wußte. Jedenfalls würde er vor keinem Mittel zurückschrecken, sich ein Vermögen anzueignen, das er für das seinige ansah und um das ihn Kamylk-Pascha zu Gunsten eines ganz Fremden gebracht hatte. Das erschreckte Ben Omar, den einfachen versöhnlichen Notar. der Gewaltmitteln abhold war, schon im voraus, denn er wußte, daß Seine Excellenz das Leben eines Menschen ebenso hoch schätzte. wie eine vertrocknete Feige. Jetzt handelte es sich nur darum, die weitere Entwicklung der Angelegenheit sorgsam zu verfolgen und je nach Umständen zu handeln, wenn der Malouin seine Schätze erst in der Hand hätte.

[155] Darüber einigten sich beide, freilich erst nach furchtbaren Drohungen gegen Ben Omar und nachdem Saouk ihm wiederholt hatte, daß er ihn für den Ausgang verantwortlich mache. Damit ging Seine Excellenz fort und legte ihm ans Herz, auf die Rückkehr Meister Antifer's nach dem Hôtel ein Auge zu haben.

Diese Rückkehr erfolgte übrigens erst spät am Abend. Gildas Tregomain und Juhel hatten sich das Vergnügen gegönnt, durch die Straßen von Mascat zu flanieren, während Meister Antifer – in Gedanken – einige hundert Kilometer weiter östlich auf seiner Insel umherspazierte. Man hätte ihn gar nicht über den Eindruck fragen dürfen, den die Hauptstadt des Imanats auf ihn machte, ob ihre Straßen belebt, ihre Läden reich ausgestattet wären, oder ob die aus Arabern, Indiern und Persern gemischte Bevölkerung irgend einen originellen Typus aufweise. Er hatte nichts sehen wollen, während Juhel und der Frachtschiffer sich lebhaft für alles interessierten, was ihnen in dieser so orientalisch gebliebenen Stadt vor Augen kam. Sie waren stehen geblieben vor den Magazinen mit Waaren aller Art, mit Turbans, Gürteln, Wollenmänteln, rohen Baumwollstoffen und mit den, »Mertaban« genannten Oel- und Weinkrügen, deren Färbung durch ihr Email schimmerte. Angesichts der schönen Sachen dachte Juhel daran, wie sich Enogate über den Besitz derselben freuen würde. Welch reizendes Andenken an diese recht unzeitige Reise müßten jene für sie bilden! Und gewiß würde sie sich glücklicher schätzen, diese wunderbar gearbeiteten Kleinigkeiten, diese Nichtse von künstlerischem Werth, aus der Hand ihres Verlobten zu erhalten, als sich mit den prächtigen Diamanten ihres Oheims zu schmücken.

Das meinte auch Gildas Tregomain, denn er sagte zu seinem jungen Freunde:

»Wir wollen doch dieses Halsband für die Kleine kaufen und Du übergiebst es ihr bei der Heimkehr.

– Bei der Heimkehr! antwortete Juhel seufzend.

– Und auch den hübschen Ring hier... was sag' ich?... nur einen Ring... nein, zehn Ringe, einen für jeden Finger....

– Woran mag meine arme Enogate jetzt wohl denken? murmelte Juhel.

– An Dich, mein Junge, gewiß immer nur an Dich....

– Und wir sind Hunderte von Meilen von einander getrennt!

– Halt! Vergessen wir auch nicht, eine Schachtel mit dem vortrefflichen Zuckergebäck, das uns Herr Joseph Bard so sehr empfohlen hat, auszuwählen!

[156] – Es ist da, bemerkte Juhel, vielleicht rathsam, es erst zu kosten, ehe wir es kaufen.

– Nein, mein Junge, nein! erwiderte Gildas Tregomain. Ich bin der Meinung, daß Enogate als die erste davon naschen soll....

– Und wenn ihr das Zuckerbackwerk nicht schmeckt?...

– O, sie wird es schon köstlich finden, da Du ihr's so weit her mitgebracht hast.«

Ja, der vortreffliche Seeheld verstand sich auf das Herz junger Mädchen, obwohl keine – weder in Saint-Malo, noch in Saint-Servan oder in Dinard – je daran gedacht hatte, Frau Tregomain zu werden!

Kurz, beide bedauerten keineswegs ihren Spaziergang durch die Hauptstadt des Imanats, die mehr als eine große europäische Stadt um ihr gefälliges Aeußere und ihre Sauberkeit hätte beneiden können – mit Ausnahme seiner Vaterstadt, die Pierre-Servan-Malo nun einmal für eine der ersten der Welt ansah.

Juhel bemerkte übrigens, daß die Polizei hier sehr streng von zahlreichen, etwas verdächtig erscheinenden Beamten ausgeübt wurde.

Diese Leute verfehlten auch nicht, alle Schritte der in Mascat gelandeten Fremdlinge zu beobachten, vorzüglich da sich diese über den Zweck ihres Hierherkommens ganz ausschwiegen. Im Gegensatz zu den polizeilichen Scheerereien mancher europäischer Staaten, die die Vorzeigung eines Passes verlangen und eine Menge gestrenger Fragen stellen, begnügte man sich hier jedoch wahrscheinlich damit, den Malouins so weit, wie es diesen beliebte, nachzugehen, man enthielt sich voraussichtlich aber jeder indiscreten Frage. So geschah es auch; doch da sie den Fuß einmal auf das Gebiet des Imanats gesetzt hatten, sollten sie nicht wieder von hier fortkommen, ohne daß der Iman über ihre Absichten unterrichtet war.

Zum Glück argwöhnte Meister Antifer davon nichts, denn er hätte dann mit Recht für den Ausgang seines Abenteuers gefürchtet. Hundert Millionen einem Eilande des Golfes von Oman zu entnehmen, das hätte Seine – für Ihre Interessen sehr besorgte – Hoheit gewiß nicht zugegeben. Wenn in Europa der Staat die Hälfte eines gefundenen Schatzes beansprucht so zögert in Asien der Souverän, der hier der Staat ist, nicht im mindesten, gleich alles einzustecken.

Als Meister Antifer ins Hôtel zurückgekehrt war, konnte sich Ben Omar nicht enthalten, ihn mit einer unklugen Frage zu behelligen. Nachdem der [157] Notar die Zimmerthür sehr vorsichtig ein wenig geöffnet hatte, begann er mit einschmeichelnder Stimme:

»Dürfte ich vielleicht erfahren?...

– Was?

– Erfahren, Herr Antifer, welche Richtung wir nun einschlagen?

– Erste Straße rechts, zweite links und dann immer geradeaus!«

Und damit stieß ihm Meister Antifer die Thür vor der Nase zu.

13. Capitel
Dreizehntes Capitel.
Zu dem Gildas Tregomain ziemlich glücklich auf einem »Schiff der Wüste« segelt.

Am frühen Morgen des 23. März verließ eine Karawane die Hauptstadt des Imanats und folgte einem Wege ganz in der Nähe der Küste.

Eine wirkliche Karawane, und eine, wie sie der Frachtschiffer durch das Gebiet der Ille-et-Villaine noch nie hatte ziehen sehen, das gestand er Juhel ein, der sich darüber keineswegs wunderte. Die Karawane zählte gegen hundert Araber und Hindus und eine etwa gleiche Anzahl Saumthiere. Bei dieser numerischen Stärke war eine Gefährdung der Reise ausgeschlossen. Jedenfalls brauchte man von Landpiraten, die nicht einmal so gefährlich sind wie Seepiraten, keinen Handstreich zu fürchten.

Unter den Eingebornen befanden sich zwei oder drei jener Kaufleute oder Händler, von denen der französische Agent gesprochen hatte. Sie reisten ohne Prunk und Aufwand und dachten nur an die Geschäfte, die sie nach Sohar riefen. Von Fremden war nur unsre Reisegesellschaft bei dem Zuge.

Nazim und Ben Omar hatten sich vorgesehen, den Aufbruch der Karawane nicht zu versäumen. Von Meister Antifer, der daraus kein Geheimniß machte, unterrichtet, daß diese am folgenden Morgen abziehen sollte, hatten sie sich darauf eingerichtet. Der Malouin hatte sich um Ben Omar und dessen Schreiber sonst natürlich gar nicht gekümmert. Ihre Sache war es ja, ihm [158] wohl oder übel nachzufolgen, ohne daß er sich darum zu sorgen brauchte. Er hatte sich auch wie früher vorgenommen, sie gar nicht zu kennen, und als er sie inmitten des Zuges gewahr wurde, beehrte er sie gar nicht mit einem Gruße, der Frachtschiffer aber wagte vor seinem drohenden Blicke nicht einmal, den Kopf nach ihrer Seite zu wenden.

Zum Transport der Reisenden und der Waarenfracht dienten Kameele, Maulthiere und Esel, denn an die Benützung eines Wagens irgendwelcher Art war hier gar nicht zu denken. Auf dem holprigen, ungebahnten und zuweilen sumpfigen Wege wäre auch das leichteste Gefährt nicht vorwärts gekommen. So ritten denn alle, wie es ihnen gerade beliebte.

Zwei mittelgroße, kräftige und muntre Maulthiere trugen Onkel und Neffen, die sie von jüdischen Verleihern in Mascat zu gutem Preise erhalten hatten. Auf ein paar Pistolen mehr oder weniger konnte es Meister Antifer hierbei ja nicht ankommen. Ein für das Gewicht Gildas Tregomain's geeignetes Maulthier war freilich um keinen Preis aufzutreiben gewesen. Für den Exkapitän der »Charmante Amélie« hatte also ein noch kräftigeres Thier beschafft werden müssen.

»Höre, Frachtfuhrmann, Du bringst uns wirklich in Verlegenheit! hatte der »höfliche« Meister Antifer ihn angelassen, nachdem alle probierten Maulthiere zurückgeschickt worden waren.

– Ja, was willst Du denn, alter Freund? – Du brauchtest mich ja nur ruhig zu Hause zu lassen! – Weißt Du, ich werde hier in Mascat bleiben und Eure Rückkehr abwarten.

– Nimmermehr!

– Ich kann mich aber doch nicht in einzelnen Stücken wegtragen lassen....

– Herr Tregomain, fiel da Juhel ein, würden Sie etwas dagegen haben, sich eines Kameels zu bedienen?

– Ganz und gar nichts, mein Junge, wenn das Kameel darunter nicht zu sehr zu leiden hat.

– Das wäre eine Idee! rief Meister Antifer. Er würde vortrefflich aufgehoben sein auf einem jener Kameele....

– Die man mit Recht »Schiffe der Wüste« nennt, setzte Juhel hinzu.

– Also ein Schiff der Wüste her!« begnügte sich der nachgiebige Frachtschiffer zu antworten.

[159] So thronte denn Gildas Tregomain heute rittlings zwischen den beiden Höckern eines kräftigen Wiederkäuers. Das mißfiel ihm keineswegs. An seiner Stelle wäre wohl mancher stolz gewesen. Wenn das auch bei ihm zutraf, so ließ er doch nichts davon merken, sondern bemühte sich nur, sein Schiff nach besten Kräften zu steuern. Als die Karawane dann eine etwas schnellere Gangart annahm, wurde die Bewegung des Thieres freilich etwas stoßend. Der Frachtschiffer erfreute sich aber eines so prallen Fettpolsters, daß es dieses »Stampfen des Schiffes« zum größten Theile ausglich.

Am Ende der Karawane, wo er mit Vorliebe blieb, trottete Saouk auf einem etwas lebhaften Maulthiere als sattelfester Reiter dahin. Neben ihm, oder doch immer aufmerksam, nicht zurückgelassen zu werden, hockte Ben Omar auf einem so kleinen Eselein, daß seine Füße die Erde streiften – wodurch er vor einem gefährlicheren Sturze gesichert war. Ein Maulthier zu besteigen, dazu wäre der Notar nicht zu bewegen gewesen; von einem solchen fällt man zu hoch herunter. Uebrigens sind die arabischen Maulthiere sehr muthwillig und eigensinnig, und es bedarf einer starken, geübten Hand, sie im Zaume zu halten.

Die Karawane legte mit einer Tagreise, bei zweistündiger Mittagsrast, etwa zehn Lieues zurück. Ohne eine unerwartete Verzögerung mußte Sohar binnen vier Tagen erreicht sein.

Vier Tage erschienen Meister Antifer, dem immer die eiligste Besitzergreifung seines Eilandes durch den Kopf ging, eine unendlich lange Zeit. Und doch sah er sich jetzt dem Endziele seiner abenteuerlichen Reise so nahe. Das machte ihn aber so unruhig, so nervös, daß seine Begleiter ihm kein Wort mehr entlocken konnten und sich darauf beschränkt sahen, nur mit einander zu plaudern.

So machte der Frachtschiffer von der Höhe seines Wiederkäuers, zwischen dessen Höckern er hin und her schwankte, die Bemerkung:

»Juhel, unter uns, glaubst Du überhaupt an den Schatz Kamylk-Paschas?

– Hm! erwiderte dieser zögernd, die Sache gleicht mir zu sehr einer Phantasmagorie!

– Juhel... wenn's nun jenes Eiland gar nicht gäbe?...

– Nun, das auch angenommen, Herr Tregomain wie aber, wenn sich gar kein Schatz daselbst vorfände?.. Dann muß es mein Onkel machen wie jener berühmte Marseiller Kapitän, der nach Bourbon absegelte und, weil er Bourbon nicht hatte finden können, nach Marseille zurückkehrte.

[160] – Das würde ein furchtbarer Schlag für ihn sein, Juhel, und ich bezweifle, daß sein Gehirn den aushielte!«

Selbstverständlich hüteten sich der Frachtschiffer und sein junger Freund, derlei Hypothesen in Gegenwart Meister Antifer's laut werden zu lassen.


Die »Charmante Amélie« glitt nicht sicherer dahin. (S. 164.)

Die Ueberzeugung des Starrkopfs hätte doch nichts zu erschüttern vermocht. Ein Zweifel an dem Vorhandensein des ungeheuern Schatzes auf dem, seiner Lage nach nur ihm bekannten Eiland war ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen. Höchstens beunruhigten ihn gewisse Schwierigkeiten, die er bei der [161] schließlichen Ausführung seines Vorhabens fürchtete. Die Hinreise verlief ja wahrscheinlich ohne Hindernisse. Von Sohar aus sollte ein Fahrzeug gechartert werden, damit wollte er zur Aufsuchung des Eilandes ausziehen, dann die drei Fässer ausgraben... darin lag nichts, was den so entschlossenen Sinn unsres Malouin hätte lähmen können. Hier mit dem Frachtschiffer und Juhel sich unter einer ganzen Karawane mit über Land tragen zu lassen, war ja die leichteste Sache der Welt. Auch die Ueberführung des Schatzes vom Eiland nach Sohar machte voraussichtlich keine Schwierigkeiten. Um aber nach Mascat zurückzukommen, mußten die mit Gold und edlem Gestein gefüllten Fässer auf Lastthiere verladen werden, ganz wie die gewöhnlichen Waaren, die auf diese Weise längs der Küste hin befördert wurden.

Wie sollten sie aber endlich eingeschifft werden, ohne die Aufmerksamkeit der Zollbeamten zu erregen... ohne dafür einen sehr großen Ausfuhrzoll erlegen zu müssen?... Vielleicht legte dann gar noch der Iman Beschlag darauf, als auf einen in seinem Gebiete gefundenen Schatz, denn Meister Antifer mochte immer von »seinem Eiland« sprechen... Kamylk-Pascha hatte ihm das ja doch nicht rechtskräftig vererben können, es gehörte vielmehr zweifellos zum Imanat von Mascat!

Das waren, von allen übrigen ganz abgesehen, Schwierigkeiten, die einem wohl den Kopf verdrehen konnten. Welch wahnwitzige Idee aber auch von dem reichen Aegypter, seine Schätze einem Eiland im Golfe von Oman anzuvertrauen! Es gab ja in manchen Meeren Hunderte, ja, Tausende solcher Inseln, z.B. unter den unzähligen Gruppen im Stillen Ocean, die ganz unbeachtet sind und deren Besitz von niemand beansprucht wird, wo der Erbe jene Schätze hätte erheben können, ohne den geringsten Verdacht zu erwecken.

Doch an der Sachlage war leider nichts zu ändern. Das Eiland nahm seit der geologischen Gestaltung unsres Erdsphäroïds eine gewisse Stelle im Golfe von Oman ein und lag da bis zum Ende der Welt. Ja, wenn man es hätte ins Schlepptau nehmen und so bis vor Saint-Malo bringen können!

Man wird zugeben, daß Meister Antifer von schweren Sorgen bedrückt wurde, die sich in Paroxismen innrer Wuth umsetzten. Der bedauernswerthe Mann grübelte nur immer, sprach kein Wort, ritt allein dahin und versetzte seinem Maulthiere zuweilen einen so unverdienten Hieb, daß er sich gar nicht hätte beklagen können, wenn dieses einmal ausschlug und seinen Reiter aus dem Sattel brachte.

[162] Juhel errieth wohl, wie es mit seinem Onkel stand, wagte aber nicht dreinzureden. Auch Gildas Tregomain erkannte von seinem hohen, zweihöckerigen Reitthiere aus recht gut, was im Gehirn seines Freundes vorging. Beide mußten jedoch darauf verzichten, dieser seelischen Erregung Einhalt zu thun, und warfen sich nur dann und wann verständnißvolle Blicke zu.

Der erste Tag brachte ihnen nicht zu große Anstrengung – vielleicht außer der warmen Luft. Das Klima des südlichen Arabiens nahe dem Wendekreis des Krebses ist für Europäer oft schon sehr lästig. Ein glühender Wind kommt meist von der Seite der Berge her, gegen den die schwache Brise vom Meere nicht aufkommen kann.

Nach Westen hin strebt die Wand der Höhen von Gobel empor, von der die Sonnenstrahlen wie von einem Hohlspiegel zurückzuprallen scheinen. In der trocknen Jahreszeit ist dann auch die Nacht erstickend und an Schlaf gar nicht zu denken.

Wenn die drei Franzosen am ersten Reisetage doch nicht besonders zu leiden hatten, rührte das daher, daß die Karawane durch die bewaldeten Ebenen nahe der Küste hinzog. Die Umgebung Mascats hat ausnahmsweise eine ziemlich üppige Vegetation. Auf den trockneren Bodenstellen baut man hier Hirse, und Reis da, wo das Land von Sümpfen durchfeuchtet ist. Bananenwälder bieten reichlichen Schatten, ebenso die Mimosen, von denen das Gummi arabicum kommt, dessen ausgedehnter Export eine hervorragende Einnahmequelle des Landes bildet.

Gegen Abend wurde das Lager an einem kleinen Flusse aufgeschlagen, der, von den Bergquellen des Westens gespeist, träg nach dem Golfe zu fließt Ihrer Zäume entledigt, weideten die Thiere nach Belieben und ohne Aufsicht, da sie an die regelmäßigen Ruheplätze des Zuges gewöhnt sind. Onkel und Neffe ließen ihre Maulthiere auch mit frei umherlaufen – was Saouk, sobald die Karawane anhielt, ebenfalls that. Das Kameel des Frachtschiffers kniete zur Stunde des Gebets wie ein gläubiger Moslem nieder, und herabkletternd streichelte Gildas Tregomain den Kopf des willigen Lastträgers. Ben Omar's Esel blieb ganz plötzlich stehen, und da sein Reiter nicht sofort abstieg, bockte das Thier und warf das Männchen dadurch einige Schritte weit auf die Erde hin. Gleich einem Muselmann im Gebet, lag der Notar, mit dem Gesicht nach Mekka gewendet, der Länge nach da. Wahrscheinlich lag es ihm aber näher, tüchtig zu schimpfen, als Allah seine Verehrung darzubringen.

[163] Die Nacht verlief in dem, gegen vierzig Kilometer von Mascat entfernten Lager ohne jede Störung, und früh am nächsten Morgen setzte sich der Zug nach Sohar zu wieder in Bewegung.

Hier wurde die Landschaft nun offener. Bis zum Horizonte hin erstreckten sich öde Ebenen, auf denen der Sand an die Stelle des Grases trat – ganz wie in der Sahara, fand sich nur selten Wasser, kaum jemals Schatten, dafür wurde der Weg aber desto beschwerlicher.

Für die an solche Karawanenreisen gewöhnten Araber hatte das nicht viel zu bedeuten; diese legen auch sehr lange Strecken oft in der drückendsten Sommerhitze zurück. Wie unsre Europäer das aushielten, war freilich eine andre Frage.

Wir beeilen uns, zu versichern, daß sie ohne Schaden davon kamen, selbst der Frachtschiffer, dessen Masse einige Wochen später unter den Strahlen der Tropensonne wohl zerflossen wäre. Durch den regelmäßigen Gang und den elastischen Tritt seines Kameels eingewiegt, lag er im Halbschlummer zwischen dessen beiden Höckern so sicher, als ob er selbst einen integrierenden Theil des Thieres bildete. Er hatte bald herausgefunden, daß sein gefälliges Reitthier die Hindernisse des Weges besser erkannte als er, was ihn veranlaßte, auf jede Lenkung desselben zu verzichten. Die »Charmante Amélie« glitt nicht sicherer dahin, wenn sie ein Gespann vom Leitwege neben der Rance auf dem Wasser stromauf schleppte.

Der junge kräftige Juhel weilte, während er das Gebiet des Imanats zwischen Mascat und Sohar durchzog, im Geiste immer in der ihm theuern Stadt der Bretagne in der Rue des Hautes-Salles, vor dem Hause, wo Enogate seiner wartete... um die Prinzessin, mit der sein Oheim ihn verkuppeln wollte, machte er sich keine Sorgen. Nur seine reizende Cousine konnte und wollte er als Gattin heimführen, denn auf der ganzen Erde gab es keine Herzogin, und wäre sie auch aus königlichem Blute gewesen, die sich mit ihr hätte vergleichen können! Die Millionen Kamylk-Paschas – selbst wenn diese sich nicht als ein Traumgebilde erwiesen – sollten daran nichts ändern. Natürlich hatte Juhel von Mascat aus sofort an seine Verlobte geschrieben. Doch wann würde sie diesen Brief erhalten?...

Meister Antifer wurde mit jedem Tage nur sorgenvoller, und später drohte das noch schlimmer zu werden. Der Transport der drei kostbaren Fässer wollte ihm gar nicht mehr aus dem Kopfe gehen.

[164] Wie sehr hätten sich seine Besorgnisse erst gemehrt, wenn er gewußt hätte, daß er, sogar in der Karawane, ganz besonders scharf beobachtet wurde! Es hatte sich nämlich ein etwa vierzigjähriger, recht gut aussehender Eingeborner, der in ihm nie einen Verdacht erweckt hatte, näher an Meister Antifer angeschlossen.

Jedesmal, wenn das Packetboot von Suez – in halbmonatlichen Zwischenräumen – in Mascat anlegte, war die Polizei des Imans immer auf dem Posten. Abgesehen von der Steuer, die jeder das Land betretende Fremde erlegen mußte, war der Souverän auch stets sehr neugierig zu erfahren, was Europäer, die hier landeten, wohl vorhaben möchten. Auch als die drei Malouins den Quai betraten und sich in dem englischen Hôtel einquartiert hatten, widmete ihnen der Chef der Polizei eine wahrhaft zärtliche Sorgfalt.

Wie erwähnt, thut die wohlorganisierte Polizeimacht Mascats ihre Pflicht in tadelloser Weise. Nach regelrechten Pässen fragt sie zwar nicht, denn mit solchen sind alle Spitzbuben gewöhnlich versehen, und sie stellt auch keine hochnothpeinlichen Fragen, auf die zu antworten jeder Schwindler schon vorbereitet ist. Sie verliert die Leute aber nicht aus den Augen und beobachtet sie mit einer Discretion, einer Zurückhaltung, die der Intelligenz der Orientalen alle Ehre macht.

Auch Meister Antifer's Schritte wurden also von einem Beamten sorgsam überwacht. Ohne eine Frage an diesen oder seine Begleiter zu richten, mußte der Mann sich doch nach und nach über die Absicht klar werden, die die drei Europäer nach dem Imanat geführt hatte. Wenn sie sich hier unter einem Volke bewegten, dessen Sprache sie nicht verstanden, so bot er sich ihnen höchstens zuvorkommend als Dolmetscher an. Dann, von dem Beamten unterrichtet, ließ sie der Iman gewiß nicht wieder abreisen, außer wenn es für ihn ganz interesselos war, sie zurückzuhalten.

Diese Ueberwachung mußte das große Vorhaben Meister Antifer's natürlich wesentlich erschweren. Wenn es schon schwierig genug war, einen Schatz von unglaublichem Werthe auszugraben, ihn nach Mascat zu bringen und auf das Suezer Packetboot zu schaffen, so wurde das, wenn Seine Hoheit wußte, um was es sich handelte, fast zur Unmöglichkeit.

Zum Glück – wir müssen das wiederholt betonen – ahnte Pierre-Servan-Malo nichts von der Verschlimmerung seiner Aussichten für die Zukunft. Er wußte ja nicht, daß er unter den Augen einer Art Geheimpolizisten des [165] Imanats reiste, und auch seine Begleiter hatten gegenüber dem höflichen und gefälligen Araber, der sich doch nicht aufdrängte, irgendwelchen Verdacht nicht geschöpft.

Saouk hatte für den unauffälligen Vorgang aber schärfere Augen. Der des Arabischen etwas mächtige, angebliche Schreiber Ben Omar's konnte mit einigen, auch nach Sohar reisenden Händlern dann und wann etwas plaudern. Diese Leute, denen jener Polizeibeamte nicht unbekannt war, machten aus dessen Eigenschaft kein Geheimniß. Saouk ahnte, daß der Mann ganz besonders um Meister Antifer's willen hier sein möchte; das verursachte ihm doch einige Sorge. Wollte er die Erbschaft Kamylk-Paschas nicht in die Hände eines Franzosen fallen lassen, so gönnte er sie dem asiatischen Iman doch ebensowenig. Der Beamte wendete übrigens den beiden Aegyptern keinerlei Aufmerksamkeit zu, er konnte ja auch gar nicht wissen, daß sie mit den drei Europäern dem nämlichen Ziele zustrebten. Landsleute von ihnen kamen ja öfters nach Mascat, und auf diese hatte man nicht besonders Acht – ein Beweis, daß die Polizei doch noch nicht ganz vollkommen ist, nicht einmal im Imanat Seiner Hoheit.

Nach anstrengendem, nur durch die Mittagspause unterbrochenem Tagesmarsche machte die Karawane kurz vor Sonnenuntergang Halt.

Hier zeigte sich, neben einer halb ausgetrockneten Lagune, eine der Naturmerkwürdigkeiten dieser Gegenden: ein Baum, unter dem die ganze Karawane Platz fand, und der am Mittag, wegen seines jeden Sonnenstrahl abwehrenden Laubdaches, recht wünschenswerth gewesen wäre.

»Einen solchen Baum hab' ich doch mein Lebtag noch nicht gesehen! rief Juhel, als sein Maulthier unter den ersten Zweigen von selbst still stand.

– Und ich werde seinesgleichen wohl in meinem Leben nicht wiedersehen! antwortete der Frachtschiffer, der sich auf seinem niederknieenden Kameel erhob.

– Was sagst Du dazu, lieber Onkel?« fragte Juhel.

Der »liebe Onkel« sagte indeß gar nichts, einfach weil er nichts davon gesehen hatte, was das Erstaunen seines Freundes und seines Neffen erweckte.

»Mir scheint, ließ sich Gildas Tregomain vernehmen, wir haben da in Saint-Pol de Léon, in einer Ecke unsrer Bretagne, einen Weinstock, der auch ziemlich berühmt ist....

– Ja, Herr Tregomain, doch mit dem Baume hier hält er keinen Vergleich aus!«

[166] Nein, so groß der Weinstock von Saint-Pol de Léon auch sein mochte, gegen diesen Goliath der Pflanzenwelt hätte er doch wie ein einfacher Busch ausgesehen.

Es war das eine Banane – eine Art Feigenbaum – mit einem unglaublich dicken Stamme, der im Umfange wohl hundert Fuß messen mochte. Von diesem thurmähnlichen Stamme gingen in etwa fünfzehn Fuß Höhe eine Menge Aeste ab, die sich hundertfach verzweigten und zusammen eine Fläche von gut fünftausend Quadratmetern überdachten. Ein ungeheurer Schirm, der ebenso jeden Sonnenstrahl wie jeden Regentropfen vom Boden abhielt.

Bei genügender Zeit – denn Geduld genug besaß er dazu – hätte der Frachtschiffer gern die Zweige der Banane gezählt, denn es plagte ihn die Neugier, wie viele es deren wohl sein möchten.

Da sollte seine Neugier, und zwar unter folgenden Umständen, befriedigt werden.

Als er die unteren Aeste der Banane zu zählen anfing und sich mit weit ausgespreizter Hand, die Finger nach oben, hier- und dorthin drehte, hörte er hinter sich die Worte rufen:

»Ten thousand.«

Diese beiden englischen, deutlich mit orientalischem Accent ausgesprochenen Wörter verstand er freilich wegen gänzlicher Unkenntniß des Englischen nicht, wohl aber Juhel, der nach einigen Worten, die er mit dem Eingebornen, der jene eben ausrief, gewechselt hatte, zu ihm sagte:

»Wie es scheint, trägt der Baum zehntausend Aeste und Zweige.

– Zehntausend?

– Das sagte wenigstens der Araber.«

Dieser Araber war kein andrer als der Polizist, den man den Fremden für die Reise durch das Imanat nachgesendet hatte und der die passende Gelegenheit aufgriff, mit ihnen in nähere Beziehung zu treten.

So wurden jetzt einige Fragen und Antworten in angelsächsischer Sprache zwischen Juhel und dem Araber gewechselt, der sich als Dolmetscher der britischen Gesandtschaft in Mascat vorstellte und den drei Europäern höflichst seine Dienste anbot.

Juhel dankte dem Eingebornen und machte seinem Onkel von dem Vorfalle Mittheilung, da er diesen wegen der Schritte, die sie nach dem Eintreffen in Sohar thun mußten, für recht vortheilhaft ansah.

[167] »Gut... schon gut!... begnügte sich Meister Antifer zu antworten. Sieh, was Du mit dem Manne anfangen kannst und sage ihm, daß er freigebig bezahlt werden solle....

– Wenn sich etwas zum Bezahlen vorfindet!« murmelte der ungläubige Tregomain.

Glaubte sich nun Juhel wegen dieser Bekanntschaft beglückwünschen zu dürfen, so war Saouk davon gewiß weit weniger befriedigt. Den Polizisten im Einvernehmen mit den Malouins zu sehen, das konnte seine Unruhe nur verschlimmern, und er nahm sich vor, das Thun und Treiben des Eingebornen zu beobachten. Ja, wenn Ben Omar nur erfahren hätte, wohin die Fahrt ging, ob man dem Ende derselben nahe wäre oder nicht! Er wußte ja nichts davon, ob das Eiland im Gewässer des Golfs von Oman, in der Meerenge von Ormuz oder vielleicht im persischen Golfe lag, ob man es an den Küsten Arabiens oder nahe denen Persiens, bis dahin, wo das Reich des Schahs mit dem des Großsultans zusammenstößt, suchen sollte. Wie viel Zeit sollte die ganze Angelegenheit beanspruchen? Würde Meister Antifer von Sohar aus noch einmal zu Schiffe gehen? Da er das in Mascat nicht gethan hatte, erschien es annehmbar, daß das Eiland jenseits der Meerenge von Ormuz zu suchen wäre, wenn sich die Karawanenreise nicht etwa bis Chardjra, bis El Kalif, vielleicht gar bis Korenc, ganz oben im persischen Meerbusen, fortsetzte.

Diese Ungewißheit erregte Saouk tief, und der arme Teufel von Notar hatte natürlich die Folgen davon auszustehen.

»Ist's denn meine Schuld, jammerte er, daß der Herr Antifer mich wie einen Stockfremden behandelt!...«

Wie einen Stockfremden?... O nein, noch schlimmer, wie einen Eindringling, den Kamylk-Paschas Testament ihm auf den Hals gehetzt hatte. Ja, wenn das eine Procent nicht gewesen wäre! Dieses eine Procent war schon einige Mühen und Qualen werth. Wann sollten diese aber aufhören?

Am nächsten Tag zog die Karawane über eine endlose Ebene, eine Art Wüste ohne jede Oase dahin. Auch die beiden folgenden Tage wurden sehr beschwerlich, ganz besonders durch die Hitze. Der Frachtschiffer konnte wohl fürchten, daß er sich auflösen würde, wie die Eisberge aus den nördlichen Meeren, die nach niedrigeren Breiten hinabtreiben. Jedenfalls verlor er, zur großen Befriedigung seines zweihöckerigen Trägers, wenigstens ein Zehntel seines Gewichtes.

[168] [171]Aus den letzten Etappen ist kein besondrer Zwischenfall zu erwähnen. Höchstens wäre zu bemerken, daß der Araber – der sich Selik nannte – mit Juhel noch nähere Bekanntschaft machte, da beide der englischen Sprache mächtig waren. Der junge Kapitän bewahrte jedoch immer eine kluge Zurückhaltung und hütete sich, von den Geheimnissen seines Onkels etwas verlauten zu lassen. Auch dem angeblichen Dolmetscher diente er mit der Fabel, daß es sich ihnen nur um die Auswahl einer Küstenstadt zur Eröffnung einer Geschäftsniederlassung handle.


Die Karawane machte vor Sonnenuntergang Halt. (S. 166.)

Juhel mochte wohl annehmen, daß der andre seinen Worten Glauben schenkte; der geriebene Bursche stellte sich aber nur so, um leichter noch mehr aus ihm herauszulocken.

Am 27. März und nach viereinhalbtägigem Marsche zog die Karawane durch die Stadtmauer von Sohar ein.

14. Capitel
Vierzehntes Capitel.
Worin Meister Antifer, Juhel und Gildas Tregomain einen recht unangenehmen Tag in Sohar zubringen.

Es war ein Glück, daß unsre drei Europäer nicht um des Vergnügens, sondern um eines bestimmten Zweckes willen nach Sohar gekommen waren. Die Stadt verdient keineswegs, den Touristen empfohlen zu werden und ist eine Reise dahin nicht werth. Sie hat zwar ziemlich saubre Straßen, doch gar zu sonnige Plätze, einen Wasserlauf, der kaum dem Bedürfnisse der wenigen Tausend Einwohner genügt, wenn deren Kehlen von der Gluth des Hundssterns ausgetrocknet sind, ziemlich willkürlich zerstreute Häuser, die, nach orientalischer Sitte, nur von einem innern Hofe her Licht erhalten, ein etwas umfänglicheres Bauwerk ohne jeden Stil und aller Feinheiten der arabischen Sculptur entbehrend, mit dem der Iman sich aber doch begnügt, wenn er zwei oder drei Monate im Norden seines Königreiches weilt [171] Wenn auch von keiner besondern Wichtigkeit, so existiert Sohar doch an der Küste des Golfes von Oman, und der beste Beweis dafür ist, daß man seine geographische Lage mit jeder wünschenswerthen Genauigkeit festgestellt hat.

Die Stadt liegt nämlich unter 54°29' der Länge und 24°37' nördlicher Breite.

Nach den Angaben in jenem Briefe Kamylk-Paschas hatte man das Eiland also achtundzwanzig Bogenminuten im Osten von Sohar und zweiundzwanzig Minuten nördlich zu suchen, das bedeutet eine Entfernung zwischen vierzig und fünfzig Kilometer vom Lande.

In Sohar giebt es nicht viel Gasthäuser, sondern nur eine Art Karawanserei, worin einige Zimmer oder vielmehr Zellen, die den Hof kreisförmig umgeben, mit je einer Lagerstätte versehen sind. Dorthin führte der dienstwillige Dolmetscher Selik auch Meister Antifer, dessen Neffen und dessen Freund.

»Welches Glück, rief Gildas Tregomain immer wieder, einen so gefälligen Araber gefunden zu haben! Es ist nur bedauerlich, daß er nicht französisch oder wenigstens bretonisch spricht!«

Jedenfalls verständigten sich Juhel und Selik hinreichend für das, was sie einander zu sagen hatten. An diesem Tage verlangte es nach den Beschwerden der Reise Juhel und den Frachtschiffer natürlich nach nichts anderem als nach einer tüchtigen Mahlzeit und einem darauffolgenden zwölfstündigen Schlummer.

Es war aber nicht leicht, auch Meister Antifer diesem so vernünftigen Plane geneigt zu machen. Immer erhitzt von seinem Verlangen, jetzt, wo er sich »seinem« Eilande so nahe befand, wollte er von Verzögerung nichts mehr wissen, sondern auf der Stelle ein Fahrzeug miethen. Wer könnte ans Ausruhen denken, wenn es sich nur noch um einen Katzensprung handelte... einen Katzensprung von kaum einem Dutzend Lieues, um den Fuß auf den Winkel der Erde zu setzen, wo Kamylk-Pascha seine verlockenden Fässer vergraben hatte!

Kurz, es gab einen erregten Auftritt, der den Beweis lieferte, bis zu welchem Grade von Ungeduld, Nervosität – Erethismus, könnte man sagen – der Onkel Juhels gekommen war. Endlich begann er sich zu beschwichtigen. Es mußten doch einige Vorsichtsmaßregeln getroffen werden.... Zu viel Eifer konnte der Polizei von Sohar verdächtig vorkommen. Der Schatz würde ja binnen jetzt und vierundzwanzig Stunden auch nicht verschwinden....

[172] »Wenn er überhaupt da ist, sagte Gildas Tregomain für sich. Mein armer Freund schnappte unbedingt über, wenn er nicht da wäre oder gar nichtmehr da wäre!«

Und die Befürchtungen des wackern Frachtschiffers schienen sich in gewissem Grade bestätigen zu sollen.

Bedenken wir übrigens, daß, wenn Meister Antifer in seinen Hoffnungen betrogen, Gefahr lief, geisteskrank zu werden, so mußte die nämliche Enttäuschung auf Saouk eine Wirkung hervorbringen, die zwar nicht die gleiche, doch deshalb von nicht minder schrecklichen Folgen zu werden drohte. Der falsche Nazim ließ sich dann gewiß zu Wuthausbrüchen hinreißen, denen sich Ben Omar nicht ohne Schaden zu entziehen vermochte. Das Fieber der Ungeduld schüttelte ihn ganz ebenso wie den Malouin, und man kann sicher sein, daß diese Nacht wenigstens zwei Reisende in ihren Zellen die Augen nicht schlossen. Sie zogen ja auf zwei verschiedenen Wegen demselben Ziele zu. Wenn der eine nur den Tag erwartete, um ein Fahrzeug zu acquirieren, so dachte der andre nur daran, einige zwanzig entschlossene Schurken zu engagieren, die er durch den Köder einer reichen Belohnung an sich fesseln wollte, um den Raub des Schatzes auf der Rückreise zu versuchen.

Das Morgenroth erschien und verkündete mit den ersten Sonnenstrahlen den Anbruch des denkwürdigen Tages des 28. März.

Natürlich erschien es gerathen, die Anerbietungen Selik's sich zu nutze zu machen, und Juhel fiel die Aufgabe zu, mit dem gefälligen Araber alles so vorzubereiten, daß es zum guten Ende führte. Letzterer, dessen Verdacht immer mehr und mehr anwuchs, hatte die Nacht gleich im Hofe der Karawanserei zugebracht.

Juhel war in einiger Verlegenheit wegen des Dienstes, um den er Selik angehen wollte. Man stelle sich nur vor: drei Europäer, die am Tage vorher von Sohar eingetroffen sind, suchen sofort ein Fahrzeug.... Es handle sich dabei um eine Lustfahrt... denn einen andern Vorwand konnte man ja nicht machen... eine Lustfahrt durch den Golf von Oman, die höchstens achtundvierzig Stunden dauern würde... mußte ein solches Vorhaben nicht auffallen? Vielleicht beunruhigte sich Juhel doch etwas zu viel darum, daß der Dolmetscher in diesem Vorschlage etwas gar so Sonderbares finden könne.

Doch wie dem auch sein mochte, die Sache mußte zu Ende kommen, und sobald er Selik begegnete, bat ihn Juhel, ihm ein Fahrzeug zu beschaffen, das im Stande wäre, mehrere Tage lang die offne See zu halten.

[173] »Wollen Sie etwa über den Golf fahren, sagte Selik, und an der persischen Küste ans Land gehen?«

Da fiel es Juhel ein, dieser Frage durch eine sehr natürliche Gegenfrage auszuweichen, die jeden Verdacht selbst seitens der Behörden von Sohar abwenden mußte.

»Nein, es handelt sich nur um eine geographische Untersuchung, erwiderte er, sie bezweckt die Lagebestimmung der größten Eilande des Golfes. Giebt es solche nicht in den Gewässern von Sohar?

– O ja, es finden sich wohl mehrere solche, antwortete Selik, doch keins von irgendwelcher Bedeutung.

– Thut nichts, antwortete Juhel, ehe wir uns an der Küste niederlassen, möchten wir den Golf besuchen.

– Wie es Ihnen beliebt.«

Selik hütete sich vor weiteren Fragen, obwohl ihm die Antwort des jungen Kapitäns etwas verdächtig erscheinen mochte. Da der Polizist über die dem französischen Consularagenten mitgetheilten Absichten unterrichtet war, das heißt über die angebliche Begründung eines Handelscomptoirs in einer der Hafenstädte des Imanats, so mußte er sich wohl sagen, daß diese Gründung mit einer Bereisung des Golfes von Oman doch wenig zu thun habe.

Das veranlaßte den Mann natürlich, den Malouin und seine Begleiter noch etwas schärfer ins Auge zu fassen.

Damit wurde der Erfolg des Vorhabens freilich noch weiter in Frage gestellt. Sobald der Schatz auf dem Eilande entdeckt wurde, erhielt die Polizei Seiner Hoheit davon ebenfalls sofort Kenntniß, und Seine Hoheit, der ebenso skrupellos wie allmächtig war, würde den Legatar Kamylk-Paschas vielleicht ganz verschwinden lassen, um jeder späteren Reclamation aus dem Wege zu gehen.

Selik unternahm es, das zur Untersuchung des Golfes nöthige Fahrzeug zu beschaffen, und versprach auch, daß es mit Leuten bemannt werden solle, auf deren Ergebenheit man rechnen könne. An Lebensmitteln sollte ein Vorrath für drei bis vier Tage mitgenommen werden. Bei dem unsichern Wetter der Aequinoctialzeit mußte man, wenn auch nicht wahrscheinliche, so doch mögliche Verzögerungen in Rechnung ziehen.

Juhel dankte dem Dolmetscher und versicherte ihm, daß seine Dienste reichlich belohnt werden sollten, und Selik drückte schon im voraus seinen Dank für diese Zusage aus. Dann setzte er hinzu:

[174] »Vielleicht ist es besser, daß ich Sie bei dieser Fahrt begleite? Bei Ihrer Unkenntniß der arabischen Sprache könnten Sie gegenüber dem Schiffsführer und der Mannschaft doch in Verlegenheit kommen....

– Sie haben Recht, meinte Juhel. Bleiben Sie für die Zeit unsres Aufenthaltes in Sohar zu unsern Diensten, und ich wiederhole Ihnen, Sie sollen sich nicht umsonst bemüht haben.«

Damit trennten sie sich. Juhel begab sich zu seinem Oheim, der in Gesellschaft seines Freundes Tregomain lustwandelte. Er berichtete ihm von seiner Abmachung.

Der Frachtschiffer war höchst erfreut, den jungen Araber als Führer und Dolmetscher in der Nähe zu haben, zumal da dieser ihm – und zwar mit Recht – ganz intelligent erschien.

Pierre-Servan-Malo gab seine Zustimmung durch ein einfaches Zeichen mit dem Kopfe zu erkennen. Nachdem er dann den durch das Reiben an seinen Kinnladen schon abgenutzten Kieselstein im Munde zurecht geschoben hatte, sagte er:

»Aber das Fahrzeug...?

– Das wird unser Dolmetscher zu schaffen wissen, lieber Onkel, und er wird es auch mit Proviant versehen.

– Mir scheint, binnen einer oder zwei Stunden müßte doch so ein Hafenkahn zur Abfahrt fertig sein.... Zum Teufel, es handelt sich doch nicht um eine Reise um die Erde!

– Nein, alter Freund, antwortete der Frachtschiffer, es kostet aber doch einige Zeit, eins zu finden. Sei nicht so ungeduldig, ich bitte Dich!

– Wenn's mir aber beliebt, das zu sein! versetzte Meister Antifer, während er die Stichflamme seines Blickes auf Gildas Tregomain richtete.

– Na, dann sei es meinetwegen!« sagte der Frachtschiffer mit höflicher Verbeugung.

Inzwischen ging der Tag dahin, ohne daß Juhel eine Nachricht von Selik erhielt, was die Aufregung des Meister Antifer natürlich über die Maßen steigerte. Er sprach schon davon, den Araber, der sich mit seinem Neffen offenbar nur einen Scherz erlaubte, in den Grund des Golfes zu versenken. Vergeblich bemühte sich Juhel, ihn zu vertheidigen, ja er kam damit sogar recht schlecht an Gildas Tregomain erhielt gleich den Befehl, den Mund zu halten, als er die Intelligenz jenes Selik herauszustreichen versuchte.

[175] »Ein Schelm ist es, rief Meister Antifer, ein Spitzbube, Euer Dolmetscher, ein Straßenräuber, der mir nicht das geringste Vertrauen einflößt und der nur darauf ausgeht, uns das Geld zu stehlen....

– Ich habe ihm noch nichts gegeben, lieber Onkel.

– Das war eben Unrecht von Dir. Hättest Du ihm eine gute Anzahlung geleistet...

– Du sagtest doch, daß er uns nur bestehlen wolle....

– Einerlei!«

Sich mit diesen einander widersprechenden Gedanken zurecht zu finden, das versuchten Gildas Tregomain und Juhel gleich gar nicht! Es kam ja auch nur darauf an, den Malouin im Zaume zu halten, ihn zu verhindern, daß er eine Dummheit, mindestens eine Unklugheit beging, und ihn zu einer Haltung zu bestimmen, die keinen Verdacht auf ihn lenkte. Der brave Mann wollte freilich unbedingt nichts hören. Seiner Ansicht nach lagen doch gewiß Fischerbarken im Hafen. Von denen brauchte man ja nur eine zu wählen, mit der Mannschaft ins Reine zu kommen, sich dann einzuschiffen, vom Lande zu stoßen und nach Nordosten zu steuern....

»Wie sollten wir uns aber mit den Leuten verständigen, warf Juhel ein, da wir kein Wort Arabisch verstehen?

– Und sie wieder kein Wort französisch? setzte der Frachtschiffer hinzu.

– Ja, zum Kuckuck, warum verstehen sie das nicht? entgegnete Meister Antifer in voller Wuth.

– Das ist unrecht von ihnen... gewiß unrecht, lenkte Gildas Tregomain ein, der seinen Freund durch diese Concession beruhigen wollte.

– Das ist alles Dein Fehler, Juhel!

– O nein, lieber Onkel, ich habe gethan, was ich konnte, und unser Dolmetscher wird sich gewiß bald einstellen. Wenn er Ihnen übrigens kein Vertrauen einflößt, so nehmen Sie doch Ben Omar und dessen Schreiber mit, die ja arabisch sprechen... dort sind sie auf dem Quai....

– Die beiden Burschen?... Nimmermehr! Es ist schon genug, mehr als genug, zu wissen, daß wir sie im Schlepptau haben!

– Ben Omar scheint die Absicht zu haben, uns anzusprechen, bemerkte Gildas Tregomain.

– Er mag's nur versuchen, Frachtschiffer, da bekommt er aber eine Breitseite, daß er auf der Stelle untergeht!«

[176] In der That steuerten Saouk und der Notar im Fahrwasser des Malouin. Schon als dieser die Karawanserei verlassen hatte, waren sie ihm sofort nachgefolgt. Es war ja ihre Pflicht, ihn nicht aus dem Auge zu verlieren, und ihr Recht. der Abwicklung dieses finanziellen Unternehmens zu assistieren, das sich in ein Drama zu verwandeln drohte.


»Nun könnt' Ihr Euch alle beide zum Teufel scheeren!...« (S. 179.)

Saouk drängte daher Ben Omar, den schrecklichen Pierre-Servan-Malo weiter auszufragen. Bei der Wuth aber, die der Notar an diesem erkannte, empfand er kein Verlangen, sich als Ableiter derselben anzubieten. Saouk hätte den feigen [177] Actenwurm am liebsten auf der Stelle umgebracht, und vielleicht bedauerte er jetzt, seine Kenntniß der französischen Sprache verleugnet zu haben, weil ihn das verhinderte, in seiner Sache selbst handelnd aufzutreten.

Juhel begriff sehr wohl, daß die von seinem Onkel Ben Omar gegenüber eingenommene Haltung die Sachlage nur verschlimmern könne, und noch einmal versuchte er, ihm das beizubringen. Die Gelegenheit schien günstig, denn der Notar war nur gekommen, um mit ihm zu reden.

»Lieber Onkel, sagte also Juhel, Sie müssen mich doch anhören, und sollten Sie dadurch zehnmal außer Rand und Band kommen. Wir sollen doch so denken, wie es uns als vernünftigen Wesen zukommt....

– Na, wir werden ja sehen, was Du damit sagen willst. Also, was steht Dir zu Diensten?

– Ich möchte Sie fragen, ob Sie jetzt, wo das Ziel vor uns liegt, Ben Omar unbedingt den Rücken zukehren wollen?

– Und wenn ich daran sterben sollte! Der Schurke hat versucht, mir mein Geheimniß zu stehlen, wo es seine Pflicht war, mir das seinige mitzutheilen... Das ist ein Betrüger... ein Caraïbe...

– Das weiß ich, lieber Onkel, und will ihn auch gar nicht als unschuldig hinstellen. Seine Gegenwart ist Ihnen aber einmal durch eine Testamentsclausel Ka mylk-Paschas aufgenöthigt.

– Ja freilich.

– Muß er danach nicht auch dabei sein, wenn die drei Fässer ausgegraben werden?

– Ja.

– Und hat er nicht das Recht, sich von dem Werthe ihres Inhalts zu überzeugen, schon da ihm eine Provision von ein Procent zugesichert ist?

– Ja, leider!

– Nun, um jenem Vorgang beizuwohnen, muß er dann nicht auch wissen, wo und wann Sie die Ausgrabung vornehmen?

– Ja.

– Und wenn er durch Ihre Schuld, sogar durch einen ganz beliebigen Umstand, verhindert würde, als Testamentsvollstrecker dabei zugegen zu sein, könnte Ihnen dann nicht die ganze Erbschaft bestritten werden und gäb' das nicht Anlaß zu einem Proceß, den Sie gewiß verlieren würden?

– Ja, das mag sein.

[178] – Endlich, lieber Onkel, fühlen Sie sich verpflichtet, die Gesellschaft Ben Omar's bei der Nachsuchung auf dem Golf mit in den Kauf zu nehmen?

– Ja.

– Stimmen Sie also zu, daß ihm gesagt werde, er solle sich bereit halten, mit uns abzufahren?

– Nein!« antwortete Meister Antifer.

Dieses »Nein!« wurde mit so schrecklicher Stimme hervorgestoßen, daß es wie eine Bombe die Brust des Notars traf.

»Ah so, mischte sich jetzt Gildas Tregomain ein, Du willst nicht Vernunft annehmen, Du hast aber Unrecht! Warum sich gegen Wind und Fluth auflehnen? Du kannst nichts besseres thun, als Juhel anzuhören und seinem Rathe zu folgen. Der Ben Omar ist mir gewiß ebensowenig angenehm wie Dir. Da wir uns ihn aber nicht von den Schultern schütteln können, so müssen wir schon gute Miene zum bösen Spiel machen« u.s.w.

Es war selten, daß Gildas Tregomain sich eine so lange Rede leistete, und noch seltner, daß sein Freund sie ihn vollenden ließ. Freilich ballte er die Hand, arbeitete er mit den Kinnladen und verzog er das Gesicht ganz entsetzlich, während der Frachtschiffer seinen Rosenkranz abbetete. Letzterer glaubte, befriedigt von seiner Eloquenz, vielleicht gar, den starrsinnigen Bretonen besiegt zu haben, als sein letzter Satz zu Ende war.

»Bist Du fertig, Frachtschiffer? fragte der Meister Antifer.

– Ja, antwortete Gildas Tregomain mit einem triumphierenden Seitenblick auf Juhel.

– Und Du auch, Juhel?

– Ja, lieber Onkel.

– Schön; nun könnt' Ihr Euch alle beide zum Teufel scheeren!... Verhandelt meinetwegen mit diesem Federfuchser, so viel Ihr wollt.... Von mir... von mir wird er nichts andres hören, als daß ich ihn für einen Spitzbuben halte... wie er es verdient!... Und nun guten Tag oder guten Abend, wie Ihr das wollt!«

Dazu wetterte Pierre-Servan-Malo das ganze Lexikon der Seemannssprache herunter, so daß ihm dabei, wie die Kugel aus dem Blasrohr, sein Kiesel aus dem Munde flog, und ohne sich weiter zu besinnen, drehte er den übrigen den Rücken zu und verschwand. Immerhin hatte Juhel seinen Zweck, wenigstens zum Theil, erreicht. Sein Oheim konnte, da er sich der Sachlage [179] nicht zu verschließen vermochte, nichts mehr dagegen haben, den Notar von ihren nächsten Absichten zu unterrichten. Da dieser, von Saouk gedrängt, nach dem Weggang des Malouin etwas weniger furchtsam herantrat, bedurfte es dazu nur einiger Worte.

»Mein Herr, begann Ben Omar, der durch die Unterwürfigkeit seiner Haltung die Kühnheit seines Unterfangens wett zu machen wünschte, Sie werden verzeihen, wenn ich mir erlaube...

– Nur gerade herausgesprochen, fiel ihm Juhel ins Wort. Was wünschen Sie?

– Zu wissen, ob wir nun am Ziele der Reise sind?

– So ziemlich.

– Wo ist also das Eiland, das wir suchen?

– Das liegt etwa ein Dutzend Meilen seewärts von Sohar.

– Ah, rief Ben Omar, da müßten wir noch einmal zu Schiffe gehen?

– Natürlich.

– Ach, und das paßt Ihnen wohl gar nicht?« sagte der Frachtschiffer mit Theilnahme für den armen Mann, der schon bei dem Gedanken daran allen Halt zu verlieren schien.

Saouk beobachtete ihn, doch scheinbar gleichgiltig – so gleichgiltig wie Einer, der die Sprache, die vor ihm gesprochen wird, nicht im geringsten versteht.

»Na, na, nur Muth, redete ihn Gildas Tregomain zu. Zwei bis drei Tage Seefahrt, die gehen schnell vorüber. Ich glaube, Sie werden noch auf einem Schiffsdeck stehen lernen!... Wenn man Omar heißt....«

Der Notar schüttelte den Kopf, nachdem er sich den kalten Schweiß von der Stirn gewischt hatte. Dann fuhr er kläglichen Tones fort:

»Und wo denken Sie sich einzuschiffen, mein Herr?

– Hier auf der Stelle.

– Wann?

– Sobald unser Fahrzeug zum Auslaufen fertig ist....

– Und das wird sein?

– Vielleicht noch heute Abend, wenn nicht, jedenfalls morgen früh. Halten Sie sich also bereit, mit abzufahren, auch mit Ihrem Schreiber Nazim, wenn der Ihnen so unentbehrlich ist.

– Ja, ja... ich werde bereit sein, seufzte Ben Omar.

[180] – Und Allah erbarme sich Ihrer!« setzte Gildas Tregomain hinzu, der in Abwesenheit des Meister Antifer seiner natürlichen Herzensgüte freien Lauf lassen konnte.

Ben Omar und Saouk brauchten nun nichts weiter zu erfahren, als die Lage des berühmten Eilandes. Da der junge Kapitän diese aber nicht angegeben hatte, zogen sie sich vorläufig wieder zurück.

Juhel konnte sich vielleicht etwas übereilt haben, als er erklärte, die Abfahrt werde noch an diesem Abend oder am folgenden Morgen vor sich gehen, das hielt ihm wenigstens Gildas Tregomain ein.

Schon war es um drei Uhr Nachmittag und der Dolmetscher immer noch nicht zu sehen. Dieser Umstand beunruhigte beide ein wenig. Mußten sie auf seine Dienste verzichten, so hatten sie gewiß manche Schwierigkeit, sich mit den Seeleuten aus Sohar nur durch Zeichen zu verständigen, wenn sie von diesen verlangten, hier oder da zu halten oder den oder jenen Cours zu steuern. Im Nothfall waren ja aber Ben Omar und Nazim bei der Hand, und diese verstanden arabisch... doch sich an diese beiden zu wenden? Zum Glück hielt jedoch Selik sein Versprechen, und hätte sich wohl überhaupt gehütet, diesem nicht nachzukommen. Gegen fünf Uhr, als der Frachtschiffer und Juhel schon nach der Karawanserei wollten, trat der Dolmetscher noch am Hafen an sie heran.

»Endlich!« rief Juhel.

Selik entschuldigte sich wegen der Verzögerung. Er habe nur mit Mühe ein Fahrzeug austreiben können und dafür auch einen recht hohen Preis bieten müssen.

»Das thut nichts! sagte Juhel darauf. Können wir noch heute Abend in See gehen?

– Nein, erwiderte Selik, die Mannschaft wird erst zu spät beisammen sein.

– Wann fahren wir also ab?

– Morgen mit Tagesanbruch.

– Gut.

– Ich werde Sie in der Karawanserei abholen, setzte Selik hinzu, und dann fahren wir mit der einsetzenden Ebbe ab.

– Und wenn der Wind sich hält, bemerkte Gildas Tregomain, werden wir ganz gute Fahrt machen!«

Gute Fahrt, gewiß, denn der Wind stand aus Westen, und nach Osten hin mußte Meister Antifer sein Eiland suchen.

[181]
15. Capitel
Fünfzehntes Capitel.
Worin Juhel für seinen Onkel und beim herrlichen Wetter der Welt eine Höhenmessung vornimmt.

Am nächsten Morgen, noch ehe die Sonne die Oberfläche des Golfes mit ihren ersten Strahlen vergoldete, klopfte Selik bereits an die Zimmer in der Karawanserei. Meister Antifer, der keine Minute geschlafen hatte, war augenblicklich auf den Füßen und Juhel erschien ebenfalls sofort.

»Das Fahrzeug ist fertig, meldete Selik.

– Wir folgen Ihnen. antwortete Juhel.

– Und der Frachtschiffer? fragte Meister Antifer. Ihr werdet sehen, daß der noch wie ein Meerschwein schnarcht! Ich werd' ihn aufschütteln!«

Er begab sich nach dem Gemach des genannten Meerschweins, das wirklich noch in tiefem Schlummer lag, aber, von kräftigen Armen aufgescheucht, bald die Augen öffnete.

Inzwischen machte Juhel dem Notar und Nazim verabredetermaßen Mittheilung, doch diese waren schon zum Aufbruche fertig. Nazim hatte einige Mühe, seine Ungeduld zu bemeistern, Ben Omar aber wankte todtenbleich und unsichern Schrittes dahin.

Als Selik die beiden Aegypter erscheinen sah, konnte er eine Bewegung des Erstaunens nicht unterdrücken, die der junge Kapitän recht wohl bemerkte. Am Ende war das ja nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, daß diese Leme von verschiedener Nationalität sich also kannten, miteinander zu Schiffe gehen und eine Untersuchung des Golfes vereinigt vornehmen wollten. Natürlich erregte das in etwas den Verdacht des Polizisten.

»Diese beiden Fremden wollen also mit Ihnen fahren? fragte er Juhel.

– Ja, bestätigte dieser nicht ohne einige Verlegenheit. Es sind Reisegefährten von uns. Wir kamen mit dem Packetboote von Suez zugleich nach Mascat.

– Und Sie kennen die Herren?

– Gewiß.... Wenn sie sich bisher abseits hielten, so geschah das, weil mein Onkel immer bei recht schlechter Laune war....«

[182] Offenbar verwickelte sich Juhel bei seinen Erklärungen, doch es zwang ihn ja nichts, Selik solche zu geben. Jene Aegypter schlossen sich ihnen an, weil ihnen das paßte....

Selik gab sich scheinbar zufrieden, die Sache erschien ihm aber doch so auffällig, daß er sich vornahm, die beiden Aegypter ebenso scharf zu beobachten, wie die drei Franzosen.

Jetzt erschien Meister Antifer mit dem Frachtschiffer im Schlepptau, ein Schlepper, der ein großes Handelsschiff zieht. Um die Metapher weiter zu führen, kann man auch sagen, daß das fragliche Schiff kaum angefangen hatte, die Anker zu lichten. Der Mann schlief noch halb und blinzelte nur durch die müden Augenlider.

Natürlich stellte sich Pierre-Servan-Malo auch jetzt so, als ob er die Anwesenheit Ben Omar's und Nazim's gar nicht bemerkte. Mit Selik an seiner Seite, schritt er voraus, und die übrigen folgten den beiden in der Richtung nach dem Hafen.

Am Ende des kleinen Molo wiegte sich eine Perme (eine Art türkischer großer Gondel mit Verdeck), das heißt, ein mittelgroßes Fahrzeug mit zwei Masten, jetzt noch vorn und hinten von Tauen gehalten. Das Großsegel war noch eingerollt, doch es brauchte nur herabgelassen zu werden, um das Schiffchen nach dem offnen Meere hinauszutreiben.

Diese Perme, namens »Berbera«, war mit etwa zwanzig Leuten bemannt, eigentlich etwas reichlich für ein Fahrzeug von ungefähr neunzig Tonnen. Juhel fiel das zwar auf, er unterdrückte aber eine Bemerkung darüber. Dagegen konnte er sich bald einer andern nicht enthalten, darüber nämlich, daß die Hälfte dieser Männer gar keine Seeleute zu sein schienen. In der That waren es nämlich Polizeibeamte aus Sohar, die unter dem Befehl Selik's mit an Bord gekommen waren. Kein vernünftiger Mensch hätte unter diesen Umständen noch zehn Pistolen für die hundert Millionen des Erben Kamylk-Paschas gegeben – wenn sich diese überhaupt vorfanden.

Mit der Behendigkeit erfahrener Seeleute sprangen die Passagiere an Bord der »Berbera«, doch legte sich das Fahrzeug unter dem Gewicht Gildas Tregomain's fühlbar nach Backbord auf die Seite.


Meister Antifer starrte der Verzweiflung nahe... (S. 186.)

Die Einschiffung des Notars hätte einige Schwierigkeiten gemacht, denn dem drehte sich schon das Herz im Leibe herum, doch da packte ihn Nazim einfach in der Taille und warf ihn über den Bordrand hinein. Da das Rollen des Fahrzeugs auf Ben Omar schon [183] die schlimmste Wirkung ausübte, verschwand er durch die Treppenkappe der Cajüte im Hinterdeck, die nun von langen, schmerzlichen Seufzern widerhallte.


Die »Berbera« im Sturme.

Den Instrumenten widmete man natürlich die peinlichste Sorgfalt – vor allem dem Chronometer, den Gildas Tregomain in sein Taschentuch eingebunden trug, dessen vier Zipfel er krampfhaft festhielt.

Der Kapitän der Perme – ein alter Araber von roher Erscheinung – ließ die Sorrtaue schießen, Segel beisetzen und auf Anordnung Juhels durch Vermittlung Selik's den Cours nach Nordosten einschlagen.

[184] Man war jetzt also auf dem Wege nach dem Eilande. Bei dem herrschenden Westwinde mußten wohl vierundzwanzig Stunden genügen, um dasselbe zu erreichen. Die Natur ist nur manchmal so boshaft, die Leute zum Narren zu haben. Wehte der Wind auch in günstiger Richtung, so jagten die Wolken doch geradezu in den höhern Luftschichten dahin. Es genügte ja nicht, nur nach Osten zu vorwärts zu kommen, sondern auch den richtigen Punkt aufzufinden, und dazu mußte eine mehrfache Beobachtung der Länge und der Breite, die eine am Vor- oder Nachmittage, die andre in dem Augenblicke des Meridiandurchganges[185] der Sonne, ausgeführt werden. Um die Höhe zu erfahren, genügte es ja, daß die Sonne geruhte, sich sehen zu lassen, doch an diesem Tage schien es, als ob das launische Gestirn sich zu zeigen keine Lust verspürte.

Meister Antifer lief auf dem Verdeck der »Berbera« in größter Aufregung hin und her und betrachtete stets weit mehr den Himmel als das Wasser. Vorläufig sachte er ja kein Eiland am Horizonte, sondern die Sonne inmitten der Dunstmassen des Ostens.

Nahe der Gallion stehend, zuckte der Frachtschiffer mit den Achseln als Zeichen der Enttäuschung. Juhel, der sich an seiner Seite hielt, gab seinem Unmuthe durch ein Verziehen des Mundes Ausdruck. Verzögerungen... immer wieder Verzögerungen... sollte diese Reise denn gar kein Ende nehmen? Und hunderte und aberhunderte von Meilen weit glaubte er in dem kleinen Hause von Saint-Malo die geliebte Enogate auf einen Brief warten zu sehen, der ihr noch nicht zugekommen sein konnte.

»Nun, wird sich denn die liebe Sonne gar nicht zeigen? fragte der Frachtschiffer.

– Es wird mir nicht möglich sein, eine Rechnung vorzunehmen, antwortete Juhel.

– Kann man wegen Mangels an Sonne eine solche Rechnung nicht auch nach Mond und Sternen aufstellen?

– Gewiß, Herr Tregomain, wir haben aber leider Neumond, und was die Sterne betrifft, so fürchte ich, daß es in der Nacht ebenso bewölkt sein wird, wie am Tage, übrigens sind das verwickelte Beobachtungen, die ohne größere Rechnung nicht zum Ziele führen.«

Gildas Tregomain beruhigte sich im Vertrauen darauf, daß der junge Kapitän schon nichts unterlassen werde, sie zum gewünschten Punkte zu führen. Meister Antifer aber starrte der Verzweiflung nahe hinaus in die Luft, nach dem Himmel und nach dem Horizonte, ohne einen Trost finden oder gar etwas entdecken zu können, was einer verlornen Insel ähnlich sähe.

Der Wind frischte mehr und mehr auf; die Perme tanzte lustig auf den kurzen Wellen und alle fühlten ihre Bewegungen mehr oder weniger unangenehm. Nur Nazim schien – ein treuer Diener seines unter Deck »verstauten« Herrn – nichts davon zu bemerken, und ohne ein Wort zu sprechen, beobachtete er nur immer den, der für ihn der Räuber seines Vermögens war. Meister Antifer würdigte den vermeintlichen Schreiber keines Blickes... er bemerkte diesen [186] fast gar nicht... und hielt auf seiner Stelle, innerlich erregt und äußerlich versteinert, aus, bis ihn der späte Abend nach der Cabine hinunterzugehen nöthigte.

Juhel freilich hatte mehr die Augen offen; ihm kam die ganze Besatzung des Fahrzeuges, von der einige Mann sogar seekrank geworden waren, entschieden verdächtig vor.

Tregomain bemerkte, daß ihn etwas bedrückte, und fragte freundlich, doch so leise, daß es Meister Antifer nicht hören konnte:

»Nun, Herr Kapitän der langen Fahrt, wir werden doch das berühmte Eiland zeitig genug erreichen und schnell genug wieder in der Rue des Hautes-Salles zurück sein, ehe die gute Enogate sich zu sehr abgehärmt hat?

– Wer weiß, lieber Tregomain, vor seinem Ende ist niemand glücklich zu preisen, und wenn diese ungünstige Witterung, bei der wir in der Irre herumfahren, anhält und uns gar zwingt, irgendwohin ans Land zu gehen, um frische Nahrungsmittel einzunehmen, dann verlieren wir nicht nur wieder Zeit, sondern es muß unsre Hartnäckigkeit, den Golf von Oman so gründlich abzusuchen, auch andern Leuten verdächtig erscheinen, und dann...«

Er verschwieg dabei, daß es nicht der Zustand der Atmosphäre war, der ihm Sorge machte. Die Sonne mußte ja, selbst über dem Golfe von Oman, einmal zum Vorschein kommen. Das Eiland wurde gewiß gefunden, wenn es überhaupt vorhanden war... doch die zu fürchtende Einmischung der verdächtigen Gesellschaft, die sich auf der »Berbera« mit eingeschifft hatte....

Die pechschwarze Nacht brachte das Fahrzeug noch in recht ernste Gefahr, nicht in Folge seiner Leichtigkeit, denn diese gestattete ihm, über die Wogen hinweg zu gleiten, doch dann und wann brauste der Sturm stoßweise so gewaltig daß man zehnmal ein Kentern desselben befürchten mußte.

Nach Mitternacht, wo ein starker Regen niederging, flaute der Wind ein wenig ab, und vielleicht leitete das für morgen einen Witterungsumschlag ein. Doch nein, denn als es wieder heller wurde, zeigte sich der Himmel noch ebenso stark bewölkt, wenn die Atmosphäre sich auch wesentlich beruhigt hatte. Dem schweren Platzregen der Nacht folgte nun der feinere Niederschlag aus den niedern Wolkenschichten, der – ohne Zeit zur Bildung großer Tropfen zu haben – mehr halb staubförmig niederrieselte.

Als Juhel nach dem Verdecke kam, konnte er eine Bewegung der Enttäuschung nicht unterdrücken. Bei diesem Zustande des Himmels war es ihm [187] ganz unmöglich, sein Besteck zu machen. Wo sich die Perme nach so häufigen Courswechsel und ohne Kenntniß des zurückgelegten Weges jetzt befände, das hätte auch deren Führer, trotz seines Vertrautseins mit den heimischen Gewässern, gewiß nicht zu sagen gewußt. Vielleicht war die »Berbera« schon an dem Eiland vorübergekommen und durch den heftigen Wind viel zu weit nach Osten verschlagen worden.

Unter dem Pfortsegel hervorkriechend, nahm Pierre-Servan-Malo wieder ganz vorn auf dem Verdeck Platz. Doch wie wetterte und schimpfte er beim Anblick des Himmels! An seinen Neffen richtete er aber kein Wort, sondern hielt sich regungslos neben dem Krahnbalken des Steuerbords.

Wenn Juhel sich nun hütete, das von seinem Onkel schon seit gestern bewahrte Schweigen zu brechen, so mußte er sich dafür einige Fragen von Selik gefallen lassen, die er nur ausweichend beantworten konnte.

Der Dolmetscher trat nämlich an ihn heran und sagte:

»Heut scheint sich der Tag auch schlecht anzulassen, mein Herr!

– Sehr schlecht.

– Sie werden Ihre Instrumente zur Sonnenbeobachtung wieder nicht benutzen können.

– Das ist leider zu fürchten.

– Was machen Sie aber dann?

– Nun, dann wart' ich eben.

– Ich erinnre Sie daran, daß die Perme nur für drei Tage Proviant mitführt, und wenn das schlechte Wetter anhielte, müßte sie nach Sohar zurücksegeln.

– Ja freilich!

– Werden Sie in diesem Falle auf Ihr Project einer Untersuchung des Golfs von Oman verzichten?

– Wahrscheinlich... oder wir verschieben die Sache wenigstens bis zu günstigerer Jahreszeit.

– Sie würden sich also in Sohar aufhalten?

– In Sohar oder Mascat, das ist ja gleichgiltig.«

Der junge Kapitän legte sich eine, bei dem Verdacht, den ihm Selik einflößte, sehr gerechtfertige Zurückhaltung auf, und dieser erhielt deshalb nicht den erwünschten Aufschluß. Der Frachtschiffer erschien jetzt fast gleichzeitig mit Saouk auf Deck. Der eine verzog recht ärgerlich den Mund, der andre verrieth[188] durch seine Haltung, wie wüthend er darüber war, daß die Dunstmassen die »Berbera« schon auf zwei bis drei Kabellängen wie eine Wand umschlossen.

»Nun, es macht sich nicht? begann Gildas Tregomain, der dem jungen Seemann die Hand drückte.

– Ganz unmöglich! erklärte Juhel.

– Und unser Freund?...

– Der steht dort... im Vordertheile.

– Wenn er sich nicht etwa über Bord stürzt!« murmelte der Frachtschiffer.

Er befürchtete wirklich schon lange, daß der Malouin sich schließlich zu einem Schritt der Verzweiflung hinreißen lassen möchte.

Der Morgen verlief ohne Veränderung. Der Sextant verblieb als nutzlos in seinem Kasten. Kein Sonnenstrahl blinkte durch den dicken Dunstvorhang. Zu Mittag konnte auch der Chronometer, den Gildas Tregomain gewissenhaft herbeibrachte, nicht zur Längenbestimmung durch den Stundenunterschied zwischen Paris und dem von der Perme im Golf von Oman eingenommenen Punkte verwendet werden. Der Nachmittag erwies sich nicht günstiger. Wenn man sich auch bemühte, die zurückgelegte Strecke bestens abzuschätzen, so wußte man doch nur sehr unvollkommen, wo die. Berbera« sich zur Zeit befand.

Darüber schien der Schiffer der Perme auch mit Selik zu sprechen, dem er mittheilte, daß er, wenn sich das Wetter auch morgen nicht änderte, wieder nach Westen, dem Lande zu, steuern müsse. Wo man freilich auf eine Küste treffen würde, ob in der Höhe von Sohar, von Mascat, oder weiter nördlich am Eingange der Meerenge von Ormuz, oder auch südlicher nach dem Indischen Meere zu in der Höhe von Raz-el-Had... das konnte niemand voraussagen.

Selik glaubte Juhel von den Absichten des Führers der »Berbera« unterrichten zu müssen.

»Meinetwegen!« warf Juhel nachlässig hin.

Das war seine ganze Antwort.

Bis zur Nacht kein Zwischenfall. Selbst als sie hinter den Dunstmassen im Westen herabsank, vermochte die Sonne diese nicht zu durchbrechen. Jetzt dauerte aber nur noch ein ganz seiner Staubregen weiter und das versprach eine Aenderung im Zustande der Atmosphäre. Der Wind hatte sich so vollständig gelegt, daß man nur zuweilen einen Hauch davon bemerkte. Der Frachtschiffer, der dazwischen immer einmal die Hand emporstreckte, glaubte schon eine ganz leichte Brise aus Osten einsetzen zu fühlen.

[189] »O wär' ich nur auf der »Charmante Amélie«, sagte er, da unten... zwischen den lieblichen Ufern der Rance, da würde ich mich schon ausfinden!«

Die »Charmante Amélie« war freilich schon seit langem als Brennholz verkauft worden, und die Perme segelte auch nicht zwischen jenen lieblichen Ufern hin.

Juhel machte dieselbe Bemerkung wie Gildas Tregomain. Es schien übrigens, daß die Sonne gerade beim Verschwinden unter dem Horizonte, noch einmal, wie ein Neugieriger durch's Schlüsselloch, durch eine Oeffnung in den Wolken gelugt hätte. Pierre-Servan-Malo beobachtete diesen Strahl gewiß auch, denn sein Auge flammte auf und beantwortete jenen Strahl des Tagesgestirns mit einem Blitze ohnmächtiger Wuth.

Am Abend speisten alle, doch mit Rücksicht auf Ersparung am vorhandenen Proviant, von dem nur noch für vierundzwanzig Stunden übrig war. Von morgen ab mußte man also daran denken, wieder nach dem Lande hin zu segeln, wenn sich nicht herausstellte, daß die »Berbera-sich überhaupt in dessen Nähe befand.

Die Nacht war ruhig. Die Dünung legte sich auffallend schnell, wie das in beschränkten Golfen ja gewöhnlich der Fall ist. Der Wind ging wirklich dabei nach Osten um. Bei der Ungewißheit der Lage des Schiffes ließ dessen Führer, auf einen durch Selik übermittelten Rathschlag Juhels hin, jetzt gegenbrassen.

Um drei Uhr am Morgen ließ der inzwischen klar gewordene Himmel noch die letzten Sterne herniederblinken. Alles ließ auf eine gute Beobachtung hoffen.

Wirklich erhob sich später die Sonnenscheibe in vollem Glanze über die Linie des Horizontes. Vergrößert durch die Refraction und purpurn gefärbt durch die niedrigeren Luftschichten, irisierte ihr blendendes Licht auf der Oberfläche des Golfes.

Gildas Tregomain glaubte sie begrüßen zu müssen und nahm höflich den Wachstuchhut ab. Ein Ghebr oder Parsi hätte die Erscheinung des Tagesgestirns auch nicht ehrfurchtsvoller begrüßen können.

Da lebten die Geister nun wieder auf! Mit größter Ungeduld harrten alle, Passagiere und Seeleute, der Stunde entgegen, wo das Besteck gemacht werden sollte. Die Araber wissen nicht, daß die Europäer Mittel besitzen, die Lage eines Schiffes, auch wenn kein Land in Sicht ist, genau zu bestimmen. Jetzt interessierte es sie, zu erfahren, ob die »Berbera« sich noch im Golfe befände oder etwa nach dem Cap Raz-el-Had zu verschlagen worden wäre.

[190] Inzwischen stieg die Sonne in wunderbarer Reinheit weiter empor, und es war nicht zu fürchten, daß eine Wolke sie verschleiern würde, wenn der junge Kapitän die Stunde der Ablesung der Mittagshöhe gekommen glaubte.

Etwas vor zwölf Uhr traf Juhel seine Vorbereitungen. Mit festgeschlossenen Lippen, brennenden Augen, und ohne eine Silbe zu sprechen, pflanzte sich Meister Antifer neben ihm auf. Der Frachtschiffer hielt sich, den großen, ganz rothen Kopf hin und her wiegend, zu seiner Rechten; Saouk auf dem Hinterdeck und Selik an Backbord paßten auf, wie die Sache vor sich ging.

Mit gespreizten Beinen, um sicher zu stehen, hielt Juhel den Sextanten mit der linken Hand und richtete das Fernrohr nach dem Horizonte.

Die Perme schwankte kaum fühlbar mit der schwachen Dünung auf und nieder.

Sobald er die Sonnenhöhe erhalten hatte, rief Juhel:

»Es ist gelungen!«

Und nachdem er die betreffenden Zahlen auf dem getheilten Bogenstücke abgelesen hatte, begab er sich zur Ausführung der nöthigen Berechnung nach der Cabine hinunter, von wo er nach zwanzig Minuten zurückkehrte, um das Resultat zu verkündigen.

Die Perme befand sich zur Zeit unter 25°2' nördlicher Breite, das heißt also, um drei Minuten nördlicher als die Breitenlinie der Insel.

Zur Vollendung der Beobachtung mußte nun noch der Stundenwinkel gemessen werden. Niemals waren die Stunden dem Meister Antifer, Juhel, dem Frachtschiffer und Saouk aber so lang vorgekommen! Es schien, als ob der ersehnte Augenblick nie herannahen wollte.

Endlich kam er doch, während die »Berbera« auf Anordnung Juhels etwas nach Süden zurückgesegelt war.

Um zweieinhalb Uhr maß der junge Seemann eine Reihe von Höhen, während der Frachtfuhrmann die zugehörige vom Chronometer angegebene Zeit aufschrieb. Nach der Rechnung ergab sich dann eine Länge von 54°58'.


Juhel richtete das Fernrohr nach dem Horizont. (S. 191.)

Die Perme befand sich also eine Bogenminute östlich von dem Eilande.

Plötzlich ließ sich ein Ausruf vernehmen. Ein Araber zeigte nach einer dunkeln Erhebung etwa zwei Meilen im Westen.

»Mein Eiland!« platzte der Meister Antifer heraus.


»Mein Eiland!« platzte Meister Antifer heraus.« (S. 191.)

Es konnte nur dieses Eiland sein, denn ringsum war kein Land in Sicht.

[191] Da lief und sprang, taumelte und fuchtelte der Malouin umher, als ob er vom großen Veitstanz befallen wäre. Gildas Tregomain mußte ihn wohl oder übel mit seinen kräftigen Armen festhalten.

Sofort steuerte die Perme auf den bezeichneten Punkt zu. Bei der leichten Ostbrise, die ihre Segel schwellte, mußte eine halbe Stunde genügen, ihn zu erreichen. Sie kam in der That dahin, und unter Abschätzung des seit der Minute der Beobachtung zurückgelegten Weges, konnte Juhel die Versicherung abgeben, daß die Lage dieses Eilandes den von Kamylk-Pascha erhaltenen [192] Coordinaten desselben entspreche, also der von Thomas Antifer seinem Sohne übererbten Breite von 24°59' nördlich vom Aequator, und der von Ben Omar nach Saint-Malo überbrachten Länge von 54°57' östlich von Paris.

So weit der Blick reichte, überflog er sonst aber nur die öde Wasserwüste des Golfs von Oman.

[193]
16. Capitel
Sechzehntes Capitel.
Das völlig schlagend beweist, daß Kamylk-Pascha seine Seefahrten wirklich bis nach dem Golf von Oman ausgedehnt hatte.

Da lag es also vor ihm, jenes Eiland, das Meister Antifer in Gedanken auf den Werth von wenigstens hundert Millionen schätzte. Nicht fünfundsiebzig Centimes hätte er sich abhandeln lassen, wenn die Gebrüder Rothschild es »wie es steht und liegt« hätten kaufen wollen.

Der äußern Erscheinung nach war es nur eine nackte, dürre Felsmasse ohne jedes Grün, die bei länglich runder Gestalt einen Umfang von zweitausend bis zweitausendfünfhundert Metern haben mochte. Ihre Ränder zeigten vielfache Einschnitte, hier Spitzen, dort wenig tiefe Buchten. In einer solchen, die nach Westen zu gelegen und gegen den eben herrschenden Wind geschützt war, fand die Perme jedoch gute Zuflucht. Das Wasser darin war sehr klar, so daß man bei zwanzig Fuß Tiefe den sandigen, mit Meerpflanzen bedeckten Grund sehen konnte. Als die »Berbera« festgelegt war, vermochte die nahe Brandung sie kaum leicht zum Schwanken zu bringen.

Das war immerhin genug, ja sogar zuviel, als daß der Notar noch eine Minute hätte an Bord bleiben mögen. Mit Mühe hatte er sich nach dem Verdeck geschleppt und wollte eben aufs Land hinüberspringen, als Meister Antifer ihn aufhielt und dem Männchen zurief.

»Halt, halt! Herr Omar!... Erst ich, wenn's Ihnen beliebt!«

Ob ihm das nun beliebte oder nicht, jedenfalls mußte der Notar warten, bis der unregierbare Malouin von seinem Eiland Besitz genommen hatte, was er dadurch that, daß er die Sohlen seiner Schifferstiefeln tief in den Sand eindrückte.

Dann durfte ihm Ben Omar nachfolgen, und der seufzte erleichtert auf, als er festen Boden unter den Füßen fühlte. Gildas Tregomain, Juhel und Saouk befanden sich bald bei ihnen.

Inzwischen hatte Selik das Eiland mit dem Blicke gemustert und sich gefragt, was die Fremdlinge hier wohl vorhätten, daß sie eine so lange [194] Reise und so große Unkosten daransetzten. Nur die Lage dieses Felsennestes zu bestimmen, das ließ sich wohl kaum annehmen, wenigstens wenn jene Leute nicht reine Narren waren. Wenn sich auch bei Meister Antifer einige Spuren davon zeigten, so hatten doch Juhel und der Frachtschiffer offenbar Sinn und Verstand bei einander. Und dennoch betheiligten sie sich bei dieser auffälligen Geschichte! Da waren ferner die beiden Aegypter, die daran auch Interesse zu haben schienen...

Selik hatte jetzt also mehr als jemals Ursache, die Schritte dieser Fremdlinge zu beobachten, und er wollte ihnen eben nach dem Eilande folgen. Da gab Pierre-Servan-Malo seinem Neffen ein von diesem verstandenes Zeichen, und letzterer wendete sich an Selik mit den Worten:

»Es ist unnöthig, daß Sie uns begleiten. Hier brauchen wir keinen Dolmetscher... Ben Omar spricht französisch wie seine Muttersprache....

– Dann ist's gut!« begnügte sich Selik zu antworten.

Der Polizist wollte keine Verhandlung hervorrufen. Er hatte sich dem Meister Antifer zur Verfügung gestellt und mußte sich dessen Anordnungen nun auch fügen. Dagegen behielt er sich vor, mit seinen Leuten einzugreifen, wenn die Fremden nach dem Fahrzeuge zurückkehrten und irgendwelche Gegenstände mit an Bord bringen sollten.

Jetzt war es schon dreieinhalb Uhr nachmittags. An Zeit fehlte es also nicht, sich in den Besitz der drei Fässer zu setzen, wenn sich diese überhaupt vorfanden, und daran zweifelte der Malouin keinen Augenblick.

Die »Berbera« sollte also in der kleinen Bucht liegen bleiben. Durch Vermittelung Selik's verständigte der Führer der Perme Juhel aber, daß er nur bis sechs Uhr warten werde. Die Nahrungsmittel waren fast zu Ende. Jetzt galt es also, den günstigen Wind zu benützen, um, etwa mit Anbruch des nächsten Tages, Sohar wieder zu erreichen. Meister Antifer erhob dagegen keinen Einwand. In mehreren Stunden konnte er sein Vorhaben ja recht gut erledigt haben.

Es handelte sich ja nicht darum, das überdies beschränkte Eiland zu durchmessen oder es Schritt für Schritt zu untersuchen. Nach dem bekannten Briefe lag die Oertlichkeit mit dem Schatze an einer der südlichen Spitzen und am Fuße einer durch das Doppel-K bezeichneten Felswand. Die Spitzaxt mußte die drei Fässer bald bloßlegen, die Meister Antifer bequem nach der Perme zu rollen gedachte. Natürlich hätte er das gern ohne Zeugen vorgenommen [195] – mit Ausnahme des ihm als solchen aufgenöthigten Ben Omar und dessen Schreibers Nazim. Da es die Besatzung der »Berbera« gar nichts angehen konnte, was jene Fässer enthielten, drohte höchstens die Karawanenreise nach Mascat einige Schwierigkeiten zu bieten. Doch damit hatte man sich ja erst später abzufinden.

Meister Antifer, Gildas Tregomain und Juhel einerseits, sowie Ben Omar und Nazim andrerseits, begannen nun den Abhang des Eilandes zu erklimmen, dessen mittlere Höhe über dem Meere etwa hundertfünfzig Fuß betrug. Bei ihrer Annäherung flatterten einige Völker Wildenten auf, die gegen diesen Einbruch in ihr gewohntes Heim mit lautem Geschrei protestierten. Gewiß mochte seit Kamylk-Paschas Besuche hier keines Menschen Fuß den öden Felsblock betreten haben. Der Malouin trug die Spitzhaue auf der Schulter – er hätte sie auch keinem andern überlassen. Der Frachtschiffer hatte eine Schaufel bei sich, und mit einem Compaß in der Hand bestimmte Juhel die Himmelsgegenden.

Der Notar hatte einige Mühe, von Saouk nicht überholt zu werden. Noch zitterten ihm die Beine, obwohl er nicht mehr auf dem Verdeck der Perme stand. Dennoch hatte er seine Sinne wieder beisammen, seine Intelligenz wieder erlangt und die Beschwerden der Fahrt vergessen, wogegen er schon an die der Rückreise dachte. Auf diesem Eiland gab es ja eine Stelle, die für ihn eine ungeheure Provision barg, und wenn's ihm nicht um die Verschwiegenheit des Notars zu thun gewesen wäre, so hätte es Saouk wohl fertig gebracht, ihm diese zu verweigern, wenn es ihm gelang, sich des Schatzes zu bemächtigen.

Der Erdboden war ziemlich steinig und nicht leicht zu begehen. Nach der Mitte zu gelangte man nur durch Umgehung mehrerer kaum zu überwindender Einzelerhöhungen. Als die Gruppe den hervorragendsten Punkt erreicht hatte, erblickte sie die Perme, deren Flagge im Winde flatterte.

Von hier aus war auch der Umfang des Eilandes klar zu erkennen. Da und dort traten an demselben Spitzen hervor, unter diesen die... Millionenspitze! Ein Irrthum war nicht möglich, da das Testament angab, daß diese nach Süden zu liege.

Mit Hilfe des Compasses hatte Juhel sie schnell genug aufgefunden. Sie bildete eine dürre Zunge, die an dem weißen Schaume der leichten Brandung leckte.

Und noch einmal kam dem jungen Kapitän der peinigende Gedanke, daß die unter diesem Felsen verscharrten Reichthümer sich zwischen ihm und seiner[196] Verlobten als unüberwindliches Hinderniß aufzuthürmen drohten. Den Starrsinn seines Onkels würde doch niemand zu brechen vermögen. Da kam ihm die Lust – eine wilde, doch von ihm bemeisterte Lust – an, den Oheim auf eine falsche Fährte zu leiten.

Der Frachtschiffer fühlte sich von zwei entgegengesetzten Empfindungen zermartert: von der Furcht, daß Juhel und Enogate niemals ein Paar würden, und von der, daß sein Freund Antifer ganz den Verstand einbüßen könnte, wenn ihm die Erbschaft Kamylk-Paschas entging. In einer Art Wuth schlug er mit der Schaufel auf den Boden ein, daß die Steinstücke nur so um ihn herumflogen.

»He... Du da... Frachtschiffer, Dich sticht wohl der Hafer? fragte Meister Antifer.

– Keineswegs! antwortete Gildas Tregomain.

– Warte gefälligst mit Deinen Axthieben, bis wir an Ort und Stelle sind!

– Ja, ja, ich werde warten, alter Freund!«

Nach Süden hin weiter wandernd, stieg die kleine Gesellschaft nach einer dort hinausragenden Spitze hinab, die kaum sechshundert Schritte weit entfernt war.

Meister Antifer, Ben Omar und Saouk, die letzt vorausgingen, beschleunigten ihre Schritte, als würden sie von einem Magnete angezogen – jenem Magnete Gold, der auf alle Menschen wirkt. Ihr Athem keuchte. Es schien, als witterten sie jenen Schatz, als athmeten, als saugten sie ihn ein, als durchdränge sie eine Atmosphäre von Millionen, und als müßten sie ersticken, wenn ihnen diese entschwände.

In zehn Minuten war die Spitze erreicht, die weit hinausragend sich im Meer verlief. Am Anfang derselben sollte Kamylk-Pascha also die Felswand mit einem doppelten K bezeichnet haben.

Hier erreichte nun die Aufregung des Meister Antifer einen solchen Grad, daß er zusammenzusinken drohte. Ohne daß Gildas Tregomain ihn mit den Armen auffing, wäre er wie eine leblose Masse niedergefallen, denn das Leben verrieth sich in ihm nur noch durch krampfhafte Zuckungen.

»Onkel!... Liebster Onkel! rief Juhel.

– Alter, lieber Freund!« secundierte diesem der Frachtschiffer.

Saouk machte ein Gesicht, über dessen Bedeutung man sich nicht täuschen konnte, und als wollte er sagen:

[197] »Möchte er crepieren, der Christenhund, dann bin ich der einzige Erbe Kamylk-Paschas!«

Die Physiognomie Ben Omar's dagegen schien vielmehr auszudrücken:

»Doch wenn dieser Mann, der allein die genaue Stelle des Schatzes weiß, sterben sollte, wär' ich ja um meinen Antheil!«

Der Anfall ging zum Glück ohne schlimme Folgen vorüber. Die kräftigen Reibungen des Frachtschiffers brachten den Malouin wieder zu sich, so daß er die ihm entfallene Spitzhacke von neuem ergriff. Dann begannen die Männer eine genauere Besichtigung der Felsenwand..

Längs derselben zog sich eine Art schmalen Weges hin, hoch genug. um vom Meere selbst bei stürmischem Südwest nicht überspült zu werden. Man hätte vergeblich einen geeigneteren Platz gesucht, um Millionen sicher niederzulegen. Die Stelle wiederzuerkennen, konnte keine große Schwierigkeit bieten, wenn Wind und Wetter seit einem Vierteljahrhundert das Monogramm nicht zerstört hatten.

Pierre-Servan-Malo war bereit, die ganze Spitze einzeln zu untersuchen; er hätte die Felsen einen nach dem andern gesprengt, und wenn es ihm Wochen oder Monate kostete. Die Perme konnte ja in Sohar frischen Proviant holen. Nein! Er verließ jetzt das Eiland nicht eher, als bis er ihm die Schätze, deren rechtmäßiger Eigenthümer er war, entrissen hatte.

Dieselben Gedanken erfüllten Saouk, so daß der Seelenzustand bei beiden, nicht gerade zur Ehre der menschlichen Natur, völlig übereinstimmte.

Jetzt waren alle beim Werke, suchten und spähten umher, wühlten die Algendecke auseinander und rissen den Tang los, wo er sich abgelagert hatte. Mit seiner Spitzhaue bohrte Antifer in die Spalten des Gesteins, der Frachtschiffer hämmerte mit der Schaufel daran herum. Ben Omar kroch auf allen Vieren wie eine Krabbe über die Rollsteine des Bodens hin. Juhel und Saouk waren ebenfalls nicht müßig. Kein Wort wurde mehr gewechselt – bei einer Leichenfeier hätte kein größeres Stillschweigen herrschen können....

In der That war es ja auch ein Kirchhof, dieses im Golfe verlorene Eiland, und ein Grab war es, was die Männer so eifrig suchten, ein Grab, aus dem sie die Millionen des Aegypters wieder herausholen wollten.

Nach einer halben Stunde war noch nichts gefunden, deshalb erlahmte aber keiner; unterlag es doch keinem Zweifel, daß sie sich auf dem Eiland Kamylk-Paschas befanden und daß die Fässer an dessen Südvorsprünge vergraben lagen.

[198] Verzehrend brannte die Sonne; der Schweiß strömte über die Gesichter – die Leute wollten nichts von Erschöpfung spüren. Alle arbeiteten mit dem Eifer von Ameisen, die sich ihren Bau aushöhlen, alle – selbst der Frachtschiffer, den der Dämon Habgier jetzt auch gepackt hatte. Nur um Juhels Lippen prägte sich zuweilen die Erschöpfung deutlicher aus.

Endlich ließ sich ein Ausruf der Freude – oder war es der Aufschrei eines Raubthieres? – vernehmen.

Meister Antifer war es, der ihn ausgestoßen hatte. Halb vorgeneigt, das Haupt entblößt und die Hand hinausgestreckt, zeigte er auf einen, gleich einem Monolithen emporstrebenden Felsen.

»Da!... da!« rief er wiederholt.

Und hätte er sich jetzt vor diesem Steingebilde niedergeworfen, wie ein Trasteveriner vor einer Nische mit der Madonna – keiner seiner Gefährten hätte sich darüber verwundert. Sie hätten sich ihm vielmehr zu gemeinsamer Anbetung angeschlossen....

Juhel und der Frachtschiffer, Ben Omar und Saouk hatten sich dem Meister Antifer genähert, der eben niederkniete... sie sanken mit ihm in die Knie....

Was war denn Besondres an diesem Felsblock?

Da befand sich, sichtbar für die Augen, fühlbar für die Hände, das berühmte Monogramm Kamylk-Paschas, jenes Doppel-K, dessen Kanten zwar abgenagt waren, das aber trotzdem deutlich erkennbar vor ihnen stand.

»Da!... Da!« wiederholte Meister Antifer.

Damit bezeichnete er am Fuße des Felsens die Stelle, wo man einschlagen sollte, wo der seit zweiunddreißig Jahren niedergelegte Schatz in seinem Steinbette ruhte.

Sofort drang die Spitzhaue in den Erdboden ein, der knatternd aufbrach. Dann beseitigte Gildas Tregomain mit der Schaufel und Axt die mit Cementstücken vermengten Bruchstücke. Das Loch wurde tiefer... weiter. Die Brust der Männer keuchte, ihre Herzen hämmerten zum Zerspringen in Erwartung des letzten Schlages, der aus den Eingeweiden des Bodens eine Quelle von Millionen eröffnen sollte.

Noch immer drang man tiefer hinein, noch immer zeigten sich die Fässer nicht, die Kamylk-Pascha der Sicherheit wegen gewiß recht tief versenkt hatte. Doch was verschlug es, wenn es etwas mehr Zeit kostete.

[199] Plötzlich klang es wie ein metallischer Ton. Unbedingt war die Spitzhaue auf einen tönenden Gegenstand getroffen.

Meister Antifer bückte sich nach der Oeffnung nieder. Sein Kopf verschwand darin, während die Hände begierig umhertasteten....

Er erhob sich wieder mit blutgefüllten Augen...

Was er in der Hand hielt, war ein metallener Kasten in der Größe von höchstens einem Cubikdecimeter.

Alle starrten diesen mit dem Ausdrucke der Enttäuschung an, und Gildas Tregomain übersetzte gewiß den Gedanken aller übrigen, als er ausrief:

»Wenn da drin hundert Millionen stecken, soll mich der leibhaftige...

– Schweig still!« fuhr Meister Antifer auf.

Noch einmal durchsuchte er die Aushöhlung, brachte aber nur einige Felsenbruchstücke daraus hervor. Vergebliches Mühen! Hier fand sich nichts weiter vor als jener eiserne Kasten, auf dessen Deckel das erhaben ausgearbeitete Doppel-K des Aegypters sichtbar war.

Hatten Meister Antifer und seine Begleiter so vielen Mühen und Gefahren wirklich für nichts und wieder nichts Trotz geboten?... Wären sie so weit hierher gekommen, um das Opfer einer grausamen Mystification zu werden?

Juhel hätte wirklich lächeln mögen, wenn ihn sein Onkel nicht mit den gläsernen Augen des Irrsinnigen und mit verzerrtem Munde, aus dem unarticulierte Töne hervorquollen, zu seinem Entsetzen angestarrt hätte.

Gildas Tregomain erklärte später, er habe damals jeden Augenblick erwartet, ihn starr und steif umsinken zu sehen.

Plötzlich richtete sich Meister Antifer auf, ergriff die Spitzhacke, schwang sie wild herum und mit heftigem Schlage zertrümmerte er den Kasten. Diesem entfiel ein Schriftstück.


Das Haupt entblößt und die Hand hinausgestreckt, zeigt er auf einen Felsen. (S. 199.)

Es war ein von der Zeit vergilbtes Pergament, auf dem einige, noch recht gut lesbare Zeilen in französischer Sprache standen.

Meister Antifer ergriff das Document. Ohne daran zu denken, daß Ben Omar und Saouk ihn hören könnten und er diesen vielleicht ein Geheimniß verriethe, das er besser für sich behalten sollte, begann er mit zitternder Stimme folgende Zeilen zu lesen:

»Dieses Document enthält die Längenangabe eines zweiten Eilandes, die Thomas Antifer oder dessen directer Erbe zur Kenntniß des Banquiers Zambuco zu bringen haben. Der Genannte wohnt in...«

[200] Meister Antifer hielt inne. Mit einem Faustschlage stopfte er den unklugen Mund, der beinahe zuviel gesagt hätte.

Saouk verstand sich genügend zu beherrschen, um seine grausame Enttäuschung zu verbergen. Noch wenige Worte, und er hätte die Länge der Insel erfahren, zu der genannter Zambuco offenbar die Breite kannte, und außerdem gehört, in welchem Lande jener wohnte.... Der nicht minder enttäuschte Notar stand mit offnem Munde und heraushängender Zunge da, wie ein Hund, der stark durstet und dem man eben den Napf weggezogen hat.

[201] Bald darauf aber, nachdem jener Satz durch den erwähnten Faustschlag abgebrochen worden war, erhob sich Ben Omar und fragte, auf Grund seines Rechtes, die Intentionen Kamylk-Paschas kennen zu lernen:

»Nun... jener Banquier Zambuco... der wohnt...?

– In seinem Hause!« fertigte ihn Meister Antifer ab.

Damit faltete er das Schriftstück zusammen, steckte es in die Tasche und ließ Ben Omar verzweifelt die Hände zum Himmel emporstrecken.

Der Schatz befand sich also nicht auf dem Eiland des Golfes von Oman! Die Reise hatte nur den Zweck gehabt, den Meister Antifer aufzufordern, sich mit einer neuen Persönlichkeit, dem Banquier Zambuco, in Verbindung zu setzen. Vielleicht war dieser Mann ein zweiter Legatar, den Kamylk-Pascha für früher geleistete Dienste belohnen wollte. Vielleicht sollte er mit dem Malouin den diesem vermachten Schatz theilen. Das war nicht so unglaublich. Daraus ergab sich dann aber mit logischer Nothwendigkeit, daß der Tasche Meister Antifer's statt der geträumten hundert Millionen nur deren fünfzig zufließen würden.

Juhel ließ den Kopf hängen bei dem Gedanken, daß das noch immer viel zu viel wäre, um die Ansichten seines Onkels bezüglich seiner Verheiratung mit Enogate zu verändern.

Was Gildas Tregomain angeht, so schien dessen heimliches Lächeln sagen zu wollen, daß fünfzig Millionen immer noch ein artiger Pfennig Geld seien, wenn sie einem glatt in den Schoß fallen.

Juhel hatte aber eigentlich ganz richtig errathen, was jetzt Meister Antifer durch den Kopf ging und daß dieser, wenn er darüber klar geworden war, nur sagen würde:

»So braucht Enogate an Stelle eines Prinzen blos einen Herzog zu heiraten und Juhel kommt mit einer Herzogin an Stelle einer Fürstin als Ehegespons davon!«

Ende des ersten Theiles. [202]

2. Theil

1. Capitel
Erstes Capitel.
Ein Brief Juhels an Enogate, worin die Abenteuer, deren Held Meister Antifer war, mitgetheilt sind.

Wie traurig war das Haus in der Rue des Hautes-Salles in Saint-Malo und wie verödet sah es aus, seitdem Meister Antifer es verlassen hatte!

[203] In welcher Unruhe verliefen die Tage für die beiden Frauen, die Mutter und die Tochter! Juhels leeres Zimmer machte die ganze Wohnung leer – so erschien es wenigstens Enogate. Dazu rechne man noch, daß ihr Onkel nicht da war und daß Freund Tregomain auch nicht mehr kam!

Es war jetzt der 29. April, zwei Monate, schon zwei Monate, seit der »Steersman« mit den drei Malouins zu jener abenteuerlichen Fahrt zur Hebung eines Schatzes abgedampft war. Doch wie mochte die Reise abgelaufen sein?... Wo befanden die Drei sich jetzt?... Hatten sie ihren Zweck erreicht?...

»Mutter, liebe Mutter, klagte das junge Mädchen, gieb Acht, sie kommen niemals wieder!

– Doch, doch, mein Kind! Habe nur Vertrauen! Sie kehren schon noch zurück! antwortete allemal die alte Bretagnerin. Freilich hätten sie vielleicht besser gethan, uns gar nicht erst zu verlassen....

– Ja, murmelte Enogate, und gerade als ich Juhels Frau werden sollte!«

Wir fügen hier ein, daß die Abfahrt des Meisters Antifer in der Stadt viel Aufsehen erregt hatte. Man war zu sehr daran gewöhnt, ihn mit der Pfeife im Munde durch die Straßen, längs des Silton und auf den Wällen dahin spazieren zu sehen. Und dabei folgte ihm, ein wenig zurückbleibend, auch Tregomain mit der Adlernase und dem freundlichen Gesicht, das immer von Liebe und Güte strahlte.

Und Juhel, der junge Kapitän der langen Fahrt, auf den seine Vaterstadt sich etwas einbildete, den sie liebte, wie Enogate ihn liebte – oder doch wie eine Mutter ihren Sohn liebt – der war auch ausgeflogen, jetzt, wo er zum zweiten Officier eines dreimastigen Barkschiffes des Hauses Le Baillif und Cie. ernannt werden sollte!

Wo diese drei jetzt wären, davon hatte man keine Ahnung. Niemand fiel es ein, daß der »Steersman« sie nach Port-Saïd entführt hätte. Enogate und Nanon wußten allein, daß jene sich das Rothe Meer hinabbegeben und fast bis zur Nordgrenze des Indischen Oceans hinauswagen sollten. Meister Antifer hatte klug daran gethan, sein Geheimniß zu bewahren, weil er wünschte, daß Ben Omar von der Lage des berühmten Eilandes keinen Wind bekäme.

War nun auch sein Reiseziel unbekannt, so traf das doch für seine Projecte nicht zu, denn es wäre dem mittheilsamen Manne unmöglich gewesen, hiervon ganz zu schweigen. In Saint-Malo wie in Saint-Servan und in Dinard sprach man über die Lebensgeschichte Kamylk-Paschas, den Brief, den Thomas [204] Antifer erhalten hatte, über das endliche Eintreffen des darin angemeldeten Boten, die Feststellung der geographischen Länge und Breite des Eilandes und über den, alle Begriffe der braven Spießbürger übersteigenden Schatz von hundert Millionen – hundert Milliarden, sagten sogar die besser (?) Unterrichteten. Natürlich sah man jetzt mit größter Spannung einer Nachricht über die Auffindung des Inselchens und der Rückkehr des zum Nabob verwandelten Küstenschiffers entgegen, der mit einer Schiffsfracht von Diamanten und Edelsteinen in den Hafen einlaufen sollte.

Enogate verlangte freilich nicht so viel. Auch wenn ihr Verlobter, ihr Onkel und ihr Freund sogar mit leeren Taschen heimkämen, würde sie befriedigt sein, Gott aufrichtig dafür danken und ihre tiefe Traurigkeit würde sich zur größten Freude verkehren.

Das junge Mädchen hatte von Juhel einige Briefe erhalten, den ersten von Suez aus, der den Verlauf der Fahrt erzählte und über das Verhältniß zu Ben Omar und dessen Schreiber berichtete. Der zweite, von Mascat aus gesendete Brief brachte die Fortsetzung der Reiseerlebnisse bis vor dem Aufbruch nach Sohar und deutete auch den geistigen Zustand des Onkels an, für dessen Verstand der Neffe zu fürchten anfing.

Natürlich wurden Juhels Briefe geradezu verschlungen, weil sie dem jungen Mädchen auch versicherten, wie betrübt ihr Verlobter war, fast am Tage vor der Hochzeit von seinem Herzblättchen getrennt worden und jetzt so weit von ihr zurückgehalten zu sein. Dann sprachen sie von der Hoffnung, sie selbst bald wiederzusehen und dem Oheim seine Einwilligung abzuzwingen, selbst wenn er mit den Händen voller Millionen nach Hause käme. Immer und immer wieder lasen Nanon und Enogate diese Briefe, auf die sie – sogar dieser Trost war ihnen geraubt – nicht antworten konnten. Dann überließen sie sich allen Auslegungen, die jene Berichte ihnen eingaben, zählten an den Fingern die Tage ab, die die Abwesenden noch auf fernen Meeren zurückgehalten sein würden, und strichen sie alle vierundzwanzig Stunden auf dem an der Wand hängenden Almanach aus. Nach der letzten Botschaft gaben sie sich dann der Hoffnung hin, daß der zweite Theil der Fahrt der Heimkehr gewidmet sein werde.

Ein dritter Brief traf am 29. April, etwa zwei Monate nach dem Weggange Juhels ein. Enogate fühlte ihr Herz lebhafter schlagen, als sie auf dem Umschlag den Poststempel »Tunis« entdeckte. Ihre Freunde hatten Mascat also wieder verlassen... schwammen auf europäischen Meeren... Frankreich, der [205] Heimat zu! Bis Marseille brauchten sie kaum drei Tage und von da mit dem Schnellzuge bis Saint-Malo höchstens sechsundzwanzig Stunden!

Mutter und Tochter saßen in einem Parterrezimmer, nachdem sie die Thür hinter dem braven Manne, dem Briefträger, sorgsam geschlossen hatten. Nun konnte sie niemand stören und sie brauchten ihren Gefühlen keinen Zwang anzuthun.

Als Enogate die etwas feucht gewordenen Augen getrocknet hatte, erbrach sie den Umschlag, zog den Brief heraus und las ihn laut und zum bessern Verständniß jedes Satzes langsam vor.


Regentschaft Tunis, La Goulette,

22. April 1862.


»Meine herzliebste Enogate!


Ich umarme Dich zuerst im Namen Deiner Mutter, in Deinem eignen und auch in meinem Namen! Ach, was sind wir so weit auseinander und wann wird diese endlose Reise alle sein!

Ich habe Dir schon zweimal geschrieben und hoffe, daß meine Briefe in Deine Hände gekommen sind. Hier erscheint nun der dritte, ein noch wichtigerer, in erster Linie, weil er Dir mittheilen soll, daß die Sache mit dem Schatze zum großen Kummer unsres Onkels eine sehr unerwartete Wendung genommen hat...«

In die Hände klatschend, stieß Enogate einen kurzen Freudenschrei aus.

»Sie haben nichts gefunden, Mutter, rief sie, nun brauch' ich keinen Prinzen zu heiraten...

– Lies nur weiter, mein Kind!« antwortete Nanon.

Enogate vollendete den unterbrochenen Satz.

»... und dann, weil ich Dir leider sagen muß, daß wir unsre Nachsuchungen noch weit – sehr weit – fortzusetzen gezwungen sind...«

Der Brief zitterte in den Händen Enogates.

»Die Nachsuchungen fortsetzen... sehr weit! murmelte sie. Sie kommen nicht zurück... ach, Mutter, sie kommen noch immer nicht zurück!

– Nur Muth, mein Herz; lies nur erst weiter!« wiederholte Nanon.

Die Augen voller Thränen, nahm Enogate die Lectüre des Briefes nieder auf. Juhel erzählte darin kurz, was sich auf dem Eilande im Golfe von Oman zugetragen und wie man dort statt des gehofften Schatzes nur [206] ein Pergament aufgefunden hatte, das erst noch einer neuen Länge erwähnte. Dann schrieb er weiter:

»Nun denke Dir selbst, meine liebste Enogate, die Enttäuschung unsres Onkels, seine Wuth, doch auch meine gedrückte Stimmung, nicht darüber, daß wir den Schatz nicht heben konnten, doch darüber, daß sich unsre Heimfahrt nach Saint-Malo, meine Rückkehr zu Dir auf unbestimmbare Zeit hinausschob! Ich glaubte, das Herz müsse mir brechen....«

Enogate hatte Mühe, das stürmische Klopfen des ihrigen zu unterdrücken, und sie fühlte dabei, was Juhel wohl hatte leiden müssen.

»Armer Juhel! seufzte sie.

– Und Du Aermste! murmelte ihre Mutter. Doch fahre fort, mein Kind!«

Enogate begann wieder mit vor Erregung zitternder Stimme:

»Kamylk-Pascha verlangt nämlich von uns, jene verwünschte Länge einem gewissen Zambuco, einem Banquier in Tunis, zu übermitteln, der wieder eine zweite Breite kennen würde. Der Schatz war also offenbar auf einer andern Insel vergraben worden. Wahrscheinlich hatte der Pascha auch gegen diesen Mann gewisse Verpflichtungen, ähnlich wie gegen unsern Großvater Antifer. Danach wäre die Erbschaft also unter Zwei zu vertheilen – auf jeden die Hälfte. Den Ingrimm eines gewissen Jemand kannst Du Dir wohl vorstellen. Nur fünfzig Millionen statt deren hundert!... Ich wünschte, der Aegypter hätte gleich hunderttausend Erben bezeichnet; dann käme auf den Onkel so wenig, daß er sich unsrer Verehelichung gar nicht mehr widersetzte!«

Enogate unterbrach sich.

»Braucht man denn Geld, wenn man sich so lieb hat? sagte sie kleinlaut.

– Nein, Geld ist manchmal sogar beschwerlich dabei, erwiderte die alte Frau in gutem Glauben. Nun weiter, meine Tochter!«

Enogate gehorchte.

»Als unser Onkel das aufgefundne Document durchlas, war er so vor den Kopf gestoßen, daß er die Ziffern der neuen Länge sammt der Adresse dessen, dem er sie überbringen sollte, um danach erst die Lage des richtigen Eilands zu erfahren – kurz, alles miteinander zu vergessen schien. Zum Glück raffte er sich bald wieder zusammen.

Unser Freund Tregomain, mit dem ich so oft von Dir, mein Herzblättchen, plaudere, verzog das Gesicht auch nicht wenig, als er hörte, daß nun erst noch ein zweites Eiland aufgesucht werden müsse.

[207] Mein armer Juhel, sagte er zu mir, sollte dieser Paschi-Pascho-Pascha nur seine Possen mit uns treiben?... Will der uns etwa bis an's Ende der Welt schicken?

Ja, ob's bis an's Ende der Welt geht, weiß ich jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, selbst noch nicht.

Wenn unser Onkel die Angaben des zweiten Documentes für sich behalten hat, so geschah das aus Mißtrauen gegen Ben Omar. Seit dieser Bursche ihm in Saint-Malo sein Geheimniß entlocken wollte, hat er ihn im Verdacht – vielleicht nicht mit Unrecht, und ich gesteh' es Dir, liebe Enogate, sein Schreiber Nazim kommt mir auch gar nicht geheuer vor. Tregomain stößt sich ebenso wie ich an seine wilde Physiognomie und seine düstern Augen. Ich versichre Dir, daß unser Notar, der Herr Calloch in der Bey-Straße, ihn nicht in sein Bureau aufnähme.

Wüßten Ben Omar und er die Adresse jenes Zambuco, so bin ich überzeugt, daß sie versuchen würden, uns den Rang abzulaufen. Der Onkel aber hat, selbst uns beiden gegenüber, davon keine Silbe verlauten lassen. Die beiden Aegypter wissen nicht einmal, daß wir nach Tunis gehen, und so verlassen wir denn Mascat ohne jede Ahnung, wohin die Schrulle des Paschas uns noch verschlagen wird.«

»Diese verteufelten Kniffe gefallen mir auch nicht!« bemerkte Nanon.

Juhel schilderte im weiteren die Vorkommnisse bei der Rückfahrt, die Abreise vom Eiland, die Verblüffung des Dolmetschers Selik, die Fremden mit leerer Hand wiederkommen zu sehen, so daß er nicht mehr daran zweifeln konnte, daß es sich diesen nur um eine einfache Spazierfahrt gehandelt habe. weiter den beschwerlichen Zug mit der Karawane, die Ankunft in Mascat und endlich die zwei Tage, die sie auf das Packetboot von Bombay hatten warten müssen.

»Wenn ich Dir nicht noch einmal von Mascat aus schrieb, fügte Juhel hinzu, so geschah es, weil ich etwas neues zu erfahren hoffte, das ich Dir mittheilen könnte. Leider vergeblich! Ich weiß nur, daß wir nach Suez zurückfahren. um uns von da aus nach Tunis zu begeben.«

Enogate schwieg und warf einen Blick auf Nanon, die die Achseln zuckend murmelte:

»Wenn sie nicht ans Ende der Welt gehen! Bei den Ungläubigen muß man sich auf alles gefaßt machen!...«

[208] Die vortreffliche Frau sprach von den Orientalen in der Weise, wie es während der Kreuzzüge Sitte war. Bei ihren Skrupeln als fromme Bretagnerin wären ihr auch die aus solcher Quelle fließenden Millionen von schlechtem Schrot und Korn erschienen.... So etwas hätte einer aber vor Meister Antifer hören lassen sollen!


Nach schneller Wanderung durch la Goulette mit dem Reisesacke in der Hand... (S. 213.)

Dann berichtete Juhel noch über die Fahrt nach Suez und daß Ben Omar während derselben wieder ganz jämmerlich seekrank gewesen sei.

»Desto besser!« meinte Nanon.

[209] Ferner über Pierre-Servan-Malo, aus dem während der Reise keiner ein Wort herausgebracht habe.

»Siehst Du, liebe Enogate, ich weiß nicht, was daraus werden sollte, wenn unser Onkel sich in seinen Erwartungen betrogen sähe, oder ich weiß es vielmehr zu gut, er würde überschnappen. Wer hätte das von einem so gesetzten, in seinen Bedürfnissen so bescheidenen Mann geglaubt!... Die Aussicht, hundertfacher Millionär zu werden... nun, würde das nicht viele Köpfe wacklig machen? Ja, unsre beiden gewiß nicht. Doch das kommt davon, daß unser Leben ganz im Herzen concentriert ist.

Von Suez aus kamen wir nach Port-Saïd, wo wir die Abfahrt des Dampfers nach Tunis abwarten mußten. Dort wohnt nämlich jener Banquier Zambuco, dem unser Onkel das infernalische Document ausliefern soll. Wohin wir aber gehen sollen, wenn sich durch die Länge des einen und durch die Breite des andern die Lage des neuen Eilandes hat bestimmen lassen... das wissen die Götter! Hier liegt der Schwerpunkt und meiner Ansicht nach ein sehr gewichtiger, denn er bestimmt unsre Rückkehr nach Frankreich... meine Heimkehr zu Dir...«

Enogate ließ den Brief fallen, den ihre Mutter wieder aufhob. Sie konnte ihn nicht weiter lesen. Schon sah sie die Abwesenden tausende Meilen weit von sich entfernt, den größten Gefahren und den schrecklichsten Gegenden preisgegeben... vielleicht kamen sie niemals wieder...

»Ach, Onkel, Onkel, rief sie, was hast Du denen Schlimmes angethan, die Dich ja so aufrichtig lieben!

– Uns ziemt es, ihm zu verzeihen, mein Kind, und Gott zu bitten, daß er ihn in seinen Schutz nehmen möge!«

Jetzt folgten einige Minuten des Schweigens, während die beiden Frauen ein Gebet stammelten.

Dann fuhr Enogate fort:

»Am 16. April haben wir Port-Saïd verlassen und konnten vor Tunis nicht wieder an's Land gehen. In den ersten Tagen dampften wir an der ägyptischen Küste hin, doch den Blick Ben Omar's hättest Du sehen sollen, als Alexandria schwach in Sicht kam! Ich glaubte schon, er wolle sich ausschiffen und seine Provision laufen lassen... da mischte sich aber sein Schreiber ein und brachte ihn in ihrer Sprache, von der wir ja kein Wort verstehen, zur Vernunft... doch, wie mir schien, in recht brutaler Weise. Offenbar fürchtet sich [210] Ben Omar vor diesem Nazim, und ich habe mich mehrfach gefragt, ob dieser Aegypter wohl überhaupt der Mann ist, der er sein soll, so räuberähnlich sieht er mir aus. Auf jeden Fall werd' ich ihn scharf im Auge behalten.

Jenseit Alexandrias steuerten wir auf das Cap Bon zu und ließen die Golfe von Tripolis und Gabes südlich liegen. Endlich zeigten sich am Horizonte die tunesischen Höhenzüge mit ihren verlassnen Forts auf dem Kamm und ein oder zwei Marabuts zwischen der grünen Decke. Am Abend des 21. April erreichten wir dann die Rhede von Tunis, und am 22. warf unser Schiff vor den Molen von la Goulette Anker.

Meine liebste Enogate, bin ich Dir in Tunis auch weit näher als da draußen im Golfe von Oman, so bin ich doch immer noch weit entfernt, und wer weiß, ob ein Unstern uns nicht noch weiter von einander trennt. Freilich, ob man fünf oder fünftausend Lieues von einander entfernt ist, ist ja eines so schlimm wie das andre. Verzweifle mir nur nicht, ich wiederhole Dir, wie der Ausgang dieser Reise auch sein möge, sie selbst soll nicht in Ewigkeit dauern.

Ich schreibe Dir diesen langen Brief gleich an Bord, um ihn zur Post zu geben, sobald wir nach la Goulette kommen. In wenigen Tagen wird er in Deinen Händen sein! Er sagt Dir freilich nicht, was ich selbst nicht weiß, das heißt, wohin wir nun etwa verschlagen werden. Unser Onkel weiß das aber auch selbst nicht, denn es kann erst festgestellt werden, nachdem wir uns mit dem Banquier ins Einvernehmen gesetzt haben, den wir in Tunis wahrscheinlich aus seiner Ruhe unwillkommen aufstören. Wenn er jedoch erfährt, daß es sich um jene enorme Erbschaft handelt, von der ihm die Hälfte zufallen soll, so wird der Herr Zambuco wohl mit bei der Sache sein, wird sich uns bei den weiteren Nachsuchungen anschließen und wahrscheinlich den Kopf ebenso voll haben wie unser braver Onkel....

Sobald ich übrigens die Lage des Eilandes Nummer Zwei kenne – und es kann nicht lange dauern, da ich es bin, der diese auf der Karte feststellen wird – so erhältst Du weitre Nachricht. Vielleicht folgt diesem dritten Briefe also binnen wenigen Tagen noch ein vierter.

Wie der vorliegende, liebste Enogate, wird er Dir die herzlichsten Grüße von Herrn Tregomain und von mir bringen... doch auch die von unserm Onkel, obwohl dieser jede Erinnerung an Saint-Malo, wie von seinem alten Vaterhause und von allen Geliebten darin, verloren zu haben scheint. Was mich betrifft, meine herzinniggeliebte Braut, sende ich Dir alle meine Liebe, wie [211] ich die Deinige erhalten würde, wenn es mir möglich wäre, einen Brief von Dir zu erhalten.


Für jetzt und immer


Dein getreuer, Dir aufrichtig ergebener Juhel Antifer.«

2. Capitel
Zweites Capitel.
Worin der Miterbe Antifer's in gewohnter Weise vorgestellt wird.

Auf der Rhede in Tunis angekommen, ist man noch nicht in Tunis. Vorher muß man sich der Boote vom Schiffe bedienen oder sich den einheimischen »Mahomes« anvertrauen, um nach La Goulette zu gelangen.

Dieser Hafen ist in der That kein Hafen in dem Sinne, daß Schiffe, selbst von mittlerem Tiefgange, einfahren und sich festlegen könnten; das ist höchstens den Küstenfahrzeugen und den Fischerbooten möglich. Alle übrigen müssen draußen vor Anker liegen bleiben, und wenn die Bergkette sie auch vor den Stürmen aus Osten schützt, so sind sie doch den aus Westen und Norden vollständig preisgegeben, und Frankreich sacht deshalb auch entweder den Hafen von Biserta an der Westküste der Regentschaft zu erweitern, oder durch einen zehn Kilometer langen Canal durch den Bahira-See dahin zu gelangen, um Handels- und Kriegsschiffen einen sichern Platz zu schaffen.

Wenn Antifer und seine Begleiter aber in la Goulette waren, so waren sie damit noch nicht in der Stadt Tunis. Sie mußten erst die von einer italienischen Gesellschaft erbaute Schmalspurbahn benützen, die längs des Hügels von Karthago den Bahira-See umkreist.

Auf dem Quai angelangt, fanden unsre Reisenden eine breite Straße mit dem Hôtel des Gouverneurs, der katholischen Kirche, mit Cafés und Privathäusern, kurz, alles vereinigt, was es hier Europäisches und Modernes giebt. Man muß bis nach dem Strandpalast hinausgehen, den der Bey zur [212] Seebadezeit zuweilen bewohnt, um das erste Zeichen von orientalischer Färbung zu entdecken.

»Die orientalische Färbung« – darum bekümmerte sich Pierre-Servan-Malo freilich ebensowenig, wie um die hier spielenden Sagen und geschichtlichen Merkwürdigkeiten von Regulus, den Scipionen, Cäsar, Marius und Hannibal! Die Namen dieser großen Persönlichkeiten kannte er gewiß nur so vom Hörensagen, denn, wie den guten Tregomain, befriedigte der Ruhm seiner Vaterstadt die Eigenliebe des Mannes schon vollständig. Nur Juhel hätte sich historischen Erinnerungen hingeben können, wenn die Gegenwart für ihn nicht gar so sorgenvoll gewesen wäre. Von ihm konnte man dasselbe sagen, was in der Levante von einem zerstreuten Menschen gesagt wird: »Er sacht seinen Sohn, den er auf den Schultern trägt.« Er freilich suchte seine Verlobte, bekümmert, sich noch weiter von ihr entfernen zu sollen.

Nach schneller Wanderung durch la Goulette, kamen Meister Antifer, der Frachtschiffer und Juhel, in der Hand den Reisesack – den sie in Tunis wieder zu füllen gedachten – nach dem Bahnhof, um den nächsten Zug abzuwarten. Ben Omar und Nazim folgten ein kleines Stück hinter ihnen. Da Meister Antifer die Zähne fest zusammengebissen hielt, wußten sie noch nichts von jenem Banquier Zambuco, den die Laune Kamylk-Paschas ihnen noch zugesellen sollte. Das war ja ärgerlich, wenn auch nicht für den Notar, der seine Provision jedenfalls einheimste, wenn er nur bei der Gesellschaft ausharrte, so doch für Saouk, der es dann mit zwei Erben statt mit einem zu thun bekam. Und was für ein Mann würde der neue wohl sein?

Nach halbstündigem Warten nahmen die Reisenden in einem Zuge Platz, hielten bald einige Minuten an einer nahen Station, von wo aus die Rückseite des Hügels von Karthago und das wegen seines archäologischen Museums berühmte Kloster der Weißen Brüder zu sehen war, erreichten dann binnen vierzig Minuten Tunis und begaben sich durch dessen Marine-Allee nach dem im Europäerviertel gelegnen Hôtel de France. Hier erhielten sie drei etwas nackte Zimmer, nach denen man auf sehr breiter Treppe gelangte und deren Betten mit Moskitonetzen überspannt waren. Im Restaurant des Erdgeschosses konnten sie in einem geräumigen Saale mit recht guter Ausstattung zu beliebiger Zeit ihr Frühstück und Mittagbrod einnehmen. Das Haus machte in der That einen großstädtischen Eindruck. Unsre Malouins dachten freilich nicht daran, hier längere Zeit zu verweilen.

[213] Meister Antifer scheute sogar die Mühe, sich erst einmal nach seinem Zimmer hinauf zu begeben.

»Ich hoffe, Euch hier wieder zu finden, sagte er zu seinen Begleitern.

– Geh' nur, alter Freund, antwortete der Frachtschiffer, mache Deine Geschäfte gleich bei der Landung ab!«

Diese »Landung« beunruhigte Juhels Oheim freilich ein wenig. Gewiß fiel es ihm nicht ein, seinen Miterben überlisten zu wollen, wie es Ben Omar bei ihm versucht hatte. Als ehrlicher Mann und, trotz seiner Eigenheiten, von vollendeter Geradheit, stand es für ihn fest, keine Winkelzüge zu machen. Er wollte vor den Banquier treten und zu ihm sagen:

»Hier sehen Sie, was ich Ihnen bringe... wir wollen nun sehen, was Sie dafür zu bieten haben, und dann: Vorwärts!«

Was das auf dem Eiland gefundene Document betraf, mußte genannter Zambuco ja davon unterrichtet sein, daß ein gewisser Antifer, ein Franzose, ihm die Länge bringen würde, die zur Lagebestimmung des Eilandes mit dem verborgenen Schatze nothwendig war... der Banquier konnte sich über sein Erscheinen also nicht besonders wundern.

Eine Furcht bedrückte Meister Antifer aber doch – die Furcht, daß sein Miterbe des Französischen nicht mächtig wäre. Sprach Zambuco wenigstens englisch, so war ja mit Hilfe des jungen Kapitäns zur Noth auszukommen. Verstand er aber keine dieser beiden Sprachen, so mußte man einen Dolmetscher in Anspruch nehmen. Und dann war das Hundertmillionen-Geheimniß schon einem Dritten bekannt....

Beim Verlassen des Hôtels hatte Meister Antifer, ohne zu sagen, wohin er wolle, einen Führer verlangt, und bald verschwand er mit diesem um die Ecke einer auf dem Marine-Platze ausmündenden Straße.

»Da er uns nicht braucht... hatte der Frachtschiffer hingeworfen.

–... Gehen wir eben spazieren, fiel Juhel ein, und schaffen zuerst meinen Brief nach der Post.«

Von dem nahe beim Hôtel gelegnen Postgebäude aus schlenderten sie dann nach Bab-el-Mandeb, dem Thore des Meeres, um von hier aus um die, Tunis in der Länge von zwei Lieues umschließende, zinnengekrönte Mauer zu lustwandeln.

Kaum hundert Schritte vom Hôtel aber hatte Meister Antifer zu seinem Führer-Dolmetscher gesagt:

[214] »Sie kennen doch wohl den Banquier Zambuco?

– Den kennt hier jedes Kind.

– Und er wohnt...?

– In der Untern Stadt, im Malteserviertel.

– Zu ihm sollen Sie mich führen.

– Ganz zu Ihrem Befehl, Excellenz.«

Hierzulande sagt man »Excellenz«, wo man bei uns nur »Herr« gebraucht.

Meister Antifer ging nach der Untern Stadt. Den Merkwürdigkeiten des Weges schenkte er freilich keinerlei Beachtung, weder hier einer der Moscheen, von denen es in Tunis hunderte giebt, die alle von schlanken Minarets überragt werden, noch den Ueberresten aus der Römer- oder Saracenenzeit; noch weiterhin einem schönen, von Feigenbäumen und Palmen beschatteten Platze, den engen Straßen mit ihren Auge in Auge gegenüberliegenden Häusern, die hier steigen, dort fallen und von düstern Läden besetzt sind, welche Lebensmittel, Stoffe und Schmuckwaaren enthalten, je nachdem sie das Quartier der Franken, der Italiener und der Juden oder der Malteser versorgen. Pierre-Servan-Malo dachte nur an seinen bevorstehenden Besuch, den ihm Kamylk-Pascha aufgenöthigt hatte, und an den Empfang, den er finden würde.... Nun, er meinte, wenn man einem Manne so fünfzig Millionen ins Haus trägt, darf man sich eines freundlichen Empfanges wohl versichert halten.

Nach halbstündigem Marsche war das Malteserviertel erreicht. Es ist nicht gerade das sauberste der hundertfünfzigtausend Einwohner zählenden Stadt, die sich, vorzüglich in den älteren Theilen, überhaupt nicht durch Reinlichkeit auszeichnet. Jener Zeit wehte übrigens das Banner Frankreichs noch nicht von ihren Zinnen.


Meister Antifer ging nach der Untern Stadt. (S. 215.)

Meister Antifer ging nach der Untern Stadt. (S. 215.)


Am Ende einer Straße, vielmehr eines Gäßchens in diesem Handelsviertel, blieb der Führer vor einem, von außen recht mittelmäßig erscheinenden Hause stehen. Nach dem Muster aller tunesischen Wohnungen erbaut, bildete es einen würfelförmigen Block mit Terrasse, ohne äußere Fenster, und mit einem Hofe, einem jener »Patios« nach arabischer Mode, von dem aus die Zimmer Licht erhalten.


Meister Antifer schenkte den Merkwürdigkeiten des Weges keinerlei Beachtung. (S. 215.)

Der Anblick dieses Bauwerkes erregte in Meister Antifer nicht den Gedanken, daß sein Inhaber in Ueberfluß schwimmen – er sagte: »seinen Kiel eintauchen« – könnte, und das hielt er für den Ausgang seines Vorhabens für um so besser.

[215] »Hier haust also der Banquier Zambuco? fragte er den Führer.

– Allerdings, Excellenz.

– Das ist sein Bankhaus...?

– Gewiß.

– Eine andre Wohnung hat der Mann nicht?

– Nein, Excellenz.

– Gilt er denn für reich?

– Der besitzt Millionen!

[216] [219]– Sapperment! stieß Meister Antifer hervor.

– Ist aber ebenso geizig, wie reich.

– Tausendsapperment!« platzte Meister Antifer heraus.

Hiermit entließ er den »Excellenz«-Burschen, der nach dem Hôtel umkehrte.

Natürlich war Saouk den beiden nachgegangen, ohne sich sehen zu lassen. Jetzt wußte er, wo Zambuco wohnte, und überlegte, ob er, vorzüglich wenn die beiden Erben etwa in Uneinigkeit geriethen, daraus nicht Nutzen ziehen könnte. Ja, hätte Antifer, als sie sich alle auf dem Eiland Nummer Eins befanden, neben dem Namen Zambuco auch die neue Längenangabe fallen lassen, so würde er ihm vorausgeeilt sein und sich mit dem Tunesier – unter oder ohne Zusicherung eines Antheils an dem zu hebenden Schatze – verständigt haben. Dabei fiel ihm freilich wieder ein, daß das Document nicht ihn, sondern den Meister Antifer als Erbberechtigten bezeichnete... doch... gleichgiltig, er wollte sein Ziel verfolgen, und wenn der Malteser und der Malouin erst in Besitz ihrer Legate waren, hoffte er sie beide berauben zu können.

Pierre-Servan-Malo trat in das Haus des Banquiers und Saouk wartete draußen.

Das linke Hintergebäude enthielt das Comptoir. Im Hofe befand sich niemand. Dieser schien ebenso verlassen, als ob das Bankhaus an demselben Morgen in Folge von Zahlungseinstellung geschlossen worden wäre.

Der Banquier Zambuco hatte aber nicht falliert.

Der tunesische Geldhändler war ein mittelgroßer, etwa sechzigjähriger Mann, mager und nervös, mit lebhaften, stechenden, doch unsteten Augen, bartlosem Gesicht, gelblichem Teint, grauem Haar, das wie eine Filzmütze auf seinem Schädel geleimt saß, mit leicht gekrümmtem Rücken und faltigen Händen, die in lange Hakenfinger ausliefen. Er besaß noch ein volles Gebiß, das gern zwischen den dünnen Lippen hervorschimmerte. Wenn auch kein erfahrner Beobachter, erkannte Meister Antifer doch, daß er in Zambuco keine sympathische Persönlichkeit vor sich hatte, mit der in Beziehung zu treten, für ihn kein Vergnügen sein würde.

In der That war der Banquier mehr ein Wucherer, ein Pfandleiher, der ebensogut als Jude wie als Malteser hätte geboren sein können. Solcher Malteser giebt es in Tunis übrigens zwischen fünf- und sechstausend Exemplare.

Von Zambuco sagte man, daß er durch allerhand nicht ganz reinliche Bankoperationen – durch solche, die man mit »Vogelleim an den Fingern« [219] ausführt – ein beträchtliches Vermögen zusammengescharrt habe. Reich war er in der That und bildete sich auch etwas darauf ein. Seiner Meinung nach konnte man aber nie reich genug sein, um nicht noch reicher werden zu können. Die Leute erklärten ihn für einen mehrfachen Millionär und irrten hierin nicht, trotz des mehr als bescheidenen Aussehens seines Hauses – das ja auch den Meister Antifer getäuscht hatte. Jedenfalls sparte dieser Zambuco an allen Ecken und Enden und hatte sich wohl vieler Bedürfnisse entwöhnt, um nur Gold zusammenzuhäufen. Bei seinem Geize hatte er es denn zu mehreren Millionen gebracht, die fast zinslos im Cassenschranke ruhten.

Daß ein solcher Knauser Hagestolz bleiben mußte, liegt am Ende auf der Hand, und wenn das Cölibat in irgend einem Falle eine gewisse Berechtigung hat, so ist es in dem der Leute dieses Schlages. Zambuco war es auch niemals eingefallen, sich verehelichen zu wollen, und das sei »ein wahres Glück für seine Frau« – so spotteten die Witzbolde des Malteserviertels. Von näheren Verwandten, außer einer Schwester des Mannes, wußte man auch nichts. Die früheren Generationen Zambuco's liefen in ihm zusammen. Er lebte als Einsiedler in seinem Hause, eigentlich in seinem Comptoir, oder noch richtiger, in seinem »Feuerfesten«, und hatte nur eine alte Tuneserin zur Bedienung, die ihm an Nahrung und Lohn blutwenig kostete. Was einmal in diese Höhle hineintrat, das kam nicht wieder heraus. Meister Antifer bekam es hier also mit einem etwas eigenthümlichen Rivalen zu thun, von dem man sich fragen durfte, welchen Dienst er Kamylk-Pascha einst wohl geleistet haben könnte.

Und doch läßt sich das in einigen Zeilen klar machen.

Mit siebenundzwanzig Jahren und vater- und mutterlos – wozu hätten ihm Eltern, um die er sich doch nicht bekümmert haben würde, auch genützt? – hatte Zambuco in Alexandria gewohnt. Daselbst betrieb er, mit Scharfsinn und unermüdlicher Ausdauer, allerlei Courtagegeschäfte, nahm von Käufern und Verkäufern Aufträge entgegen und spielte also vorläufig den Geldvermittler um später Geldhändler zu werden – nebenbei gesagt, das einträglichste Handwerk für die menschliche Intelligenz.

Im Jahre 1829 kam, wie erinnerlich, Kamylk-Pascha, der für sein von seinem Vetter Murad begehrtes Vermögen fürchtete, der Gedanke, seinen Besitz zu realisieren und seine Schätze nach Syrien zu schaffen, wo er sie für sichrer als in irgend einer Stadt Aegyptens hielt. Zu dieser umfänglichen Operation brauchte er einige Agenten, als welche er nur vertrauenswürdige Landesfremde wählen [220] wollte. Diese Leute setzten dabei selbst viel aufs Spiel, mindestens ihre Freiheit, wenn sie den reichen Aegypter gegen den Vicekönig unterstützten. Der junge Zambuco gehörte zu ihnen. Mit Feuereifer, der auch genügend belohnt wurde, ging er an die Sache, reiste wiederholt nach Aleppo und trug überhaupt am meisten dazu bei, die Schätze seines Klienten in Sicherheit zu bringen.

Das ging nicht ohne Schwierigkeiten und Gefahren ab, und nach dem Weggange Kamylk-Paschas wurden einige Agenten desselben, darunter Zambuco – die der Polizei Mehemet Ali's verdächtig erschienen waren – gefangen gesetzt. Wegen Mangels an Beweisen mußte man sie zwar wieder laufen lassen, bestraft waren sie für ihre Ergebenheit aber doch.

Sowie der Vater des Meister Antifer also Kamylk-Pascha 1799 einen großen Dienst erwiesen hatte, als er ihn halbtodt aus der Klippe von Jaffa rettete, so hatte sich dreißig Jahre später auch Zambuco ein An recht auf dessen Erkenntlichkeit erworben.

Kamylk-Pascha sollte seiner nicht vergessen.

Das erklärt also sehr einfach, warum Thomas Antifer einerseits und der Banquier Zambuco andrerseits, der eine in Saint-Malo, der andre in Tunis, im Jahre 1842 einen Brief erhalten hatten, der ihnen ankündigte, daß sie eines Tages ihren Antheil an einem Schatze von hundert Millionen auf einem Eilande zu erheben haben würden, von dem jeder die Breitenangabe empfing, während sie die Länge einander seiner Zeit mitzutheilen hätten.

Daß die Wirkung dieser Mittheilung auf eine Persönlichkeit wie diesen Zambuco die gleiche war, wie auf Thomas Antifer und später auf dessen Sohn, ist ja leicht zu vermuthen. Natürlich äußerte der Banquier hierüber gegen keinen Menschen auch nur ein Wörtchen. Er verschloß die Ziffern seiner Breite im Tresor des dreifach gesicherten Geldschrankes, und seitdem verfloß keine Minute, wo er nicht dem Eintreffen des von Kamylk-Pascha angekündigten Antifer entgegensah. Vergeblich bemühte er sich, das Schicksal jenes Aegypters auszukundschaften. Von seiner Gefangennahme an Bord der Brigg-Goëlette, 1834, von seiner Ueberführung nach Kairo, seiner achtzehnjährigen Einkerkerung und von seinem 1852 erfolgten Ableben war nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen.

Jetzt schrieb man 1862. Zwanzig Jahre waren seit 1842 verflossen, ohne daß der Malouin erschien, und die Länge hatte sich der Breite noch nicht zugesellt. Zambuco verlor die Hoffnung darauf jedoch nicht, daß die Absichten Kamylk-Paschas sich schon früher oder später erfüllen würden. Seiner Ueberzeugung[221] nach mußte sich genannter Antifer ebenso sicher noch in der Malteserstraße zeigen, wie ein von allen Sternwarten angekündigter Komet am Himmel aufzieht. Der Nimmersatt bedauerte nur, die Erbschaft mit einem Zweiten theilen zu müssen, und in Gedanken schickte er diesen zu allen Teufeln. An den Verfügungen des dankbaren Aegypters vermochte er freilich nichts zu ändern. Die hundert Millionen zu theilen, erschien ihm aber immer entsetzlich. Jahrelang hatte er deshalb schon gegrübelt und die unsinnigsten Pläne entworfen, wie er wohl die ganze Erbschaft einstecken könnte. Jedenfalls war er auf den Empfang jenes Antifer, wenn dieser ihm die versprochene Länge brachte, gebührend vorbereitet.

Natürlich hatte der vom Schiffahrtswesen nicht unterrichtete Banquier Zambuco sich erklären lassen, wie man mittelst einer Länge und einer Breite, d. h. durch Kreuzung zweier nur gedachter Linien, die Lage eines Punktes auf der Erdkugel bestimmen könne. Jedenfalls hatte er aber begriffen, daß die Zusammenwirkung der beiden Legatare dazu unerläßlich sei, daß er nichts ohne Antifer, und Antifer nichts ohne ihn ausrichten könne.

3. Capitel
Drittes Capitel.
Worin Meister Antifer sich einem so unsinnigen Vorschlage gegenüber sieht, daß er die Flucht ergreift, um nicht darauf antworten zu müssen.

»Kann ich den Banquier Zambuco sprechen?

– Wenn in Geschäften, ja.

– Es handelt sich um Geschäftsangelegenheiten.

– Ihr Name?

– Melden Sie einen Ausländer, das genügt.«

Diese Fragen und Antworten wurden zwischen Meister Antifer und einem bejahrten, griesgrämigen Eingebornen (in schlechtem Französisch) gewechselt, der in einem engen, durch ein Drahtgitter in zwei Hälften getheilten Comptoir am Pulte hockte.

[222] Der Malouin hatte seinen Namen nicht nennen wollen, weil er die Wirkung dieses Namens zu beobachten wünschte, wenn er vor den Banquier hintrat und sagte:

»Ich bin Antifer, der Sohn Thomas Antifer's, aus Saint-Malo!«

Eine Minute darauf sah er sich in ein Cabinet ohne Gardinen, mit weißgetünchten Wänden und vom Lampenruß geschwärzter Decke eingeführt, dessen ganze Ausstattung in einem Geldschranke, einem Cylinderbureau, einem Tische und zwei Schemeln bestand.

Vor dem Tische saß der Banquier. Die beiden Erben Kamylk-Paschas befanden sich jetzt also Auge in Auge gegenüber.

Ohne aufzustehen, schob Zambuco mit Daumen und Mittelfinger die große rundglasige Brille auf der Papageiennase zurecht und fragte, kaum den Kopf aufrichtend, in einem Französisch, das dem Bewohner von Languedoc oder der Provence ganz gut angestanden hätte:

»Mit wem habe ich die Ehre...

– Mit dem Küstenschiffs-Kapitän Antifer,« antwortete der Malouin, überzeugt, daß diese fünf Worte einen Aufschrei Zambuco's und dessen Emporschnellen vom Stuhle zur Folge haben müßten. Statt dessen lautete die kurze Antwort aber nur:

»Sie... endlich!«

Der Banquier fuhr weder in die Höhe, noch kam ein Aufschrei aus seinem zusammengekniffenen Munde. Ein aufmerksamer Beobachter hätte jedoch bemerkt, daß hinter der Brille ein Blitz aufleuchtete – ein Blitz, den die niedersinkenden Augenlider sofort verhüllten.

»Ich sagte Ihnen, daß ich der Meister Antifer bin.

– Hab' es schon verstanden.

– Antifer, Pierre-Servan-Malo, Sohn des Thomas Antifer aus Saint-Malo... Ille et Villaine... Bretagne... Frankreich...

– Besitzen Sie einen auf mich gezogenen Creditbrief? fragte der Banquier, ohne daß seine Stimme die leiseste Erregung verrieth.

– Einen Creditbrief?... Ja! erwiderte Meister Antifer, ganz außer Fassung über den mehr als kühlen Empfang. Einen Creditbrief auf hundert Millionen.


Der Führer blieb vor einem mittelmäßig erscheinenden Hause stehen. (S. 215.)

– So geben Sie ihn her!« erwiderte Zambuco nachlässig, als handelte es sich um eine Sache von wenigen Piastern.


Banquier Zambuco.

[223] Der Malouin fühlte sich plötzlich aus dem Sattel gehoben. Wie? Seit zwanzig Jahren war dieser phlegmatische Banquier unterrichtet, daß er einst seinen Antheil an einem kaum glaublichen Schatze erhalten, daß eines Tages ein gewisser Antifer erscheinen würde, um ihm diesen, so zu sagen, ins Haus zu tragen, und er ließ sich in diesem Augenblicke gar nicht aus der Ruhe bringen? Er gab kein Zeichen des Erstaunens, der Befriedigung von sich?... Sollte das Document einen Fehler enthalten haben?... Hätte er sich an jemand anders als an diesen tunesischen Malteser zu wenden?... War der Banquier [224] Zambuco nicht der Besitzer der Breite, die die Eroberung des zweiten Eilandes ermöglichen sollte?...

Vom Kopf bis zu den Füßen durchrieselte den enttäuschten Miterben ein erkältender Schauer. Das Blut stürmte ihm zum Herzen zurück, so daß er kaum Zeit gewann. sich niederzusetzen. Ohne eine Bewegung, ihm beizuspringen, betrachtete der Banquier ihn durch die Brille, während um seine Lippen ein leichtes Zucken spielte. Wenn er sich nicht bemüht hätte, sie zurückzuhalten, wären ihm die Worte entflohen:

[225] »Nicht sehr stark, der Matrose hier!«

Das bedeutete: »Mit dem ist leicht fertig zu werden!«

Pierre-Servan-Malo hatte sich inzwischen gefaßt. Nachdem er sich mit dem Taschentuche das Gesicht abgetrocknet hatte, fragte er, mit der großen Hand kräftig auf den Tisch schlagend:

»Sie sind doch der Banquier Zambuco?

– Ja... in Tunis der einzige dieses Namens.

– Und Sie haben mich nicht erwartet?...

– Nein.

– War Ihnen mein Erscheinen nicht längst angekündigt?...

– Wie sollte das geschehen sein?...

– Durch den Brief eines gewissen Pascha...

– Eines Pascha? warf der Banquier dazwischen. Briefe von Paschas hab' ich schon hunderte erhalten...

– Kamylk-Pascha... aus Kairo?...

– Daß ich nicht wüßte.«

Dieses ganze Spiel Zambuco's ging darauf hinaus, daß Meister Antifer sich ihm völlig offenbaren und ihm seine Waare, das heißt seine Länge, anbieten sollte, ohne daß er seine Breite dafür anbot. Immerhin sah er bei Nennung des Namens Kamylk-Paschas so aus, als ob ihm dieser Name nicht unbekannt wäre. Er sachte im Schranke seines Gedächtnisses nach.

»Halt, warten Sie, sagte er, die Brille anders rückend. Kamylk-Pascha... von Kairo?...

– Ja, erklärte Meister Antifer, eine Art ägyptischer Rothschild, der ein ungeheures Vermögen in Gold, Diamanten und Edelsteinen besaß...

– Richtig, dessen entsinn' ich mich...

– Und der Sie benachrichtigt haben muß, daß die Hälfte dieses Vermögens eines Tages Ihnen zufallen solle....

– Sie haben recht, Herr Antifer, ich muß den betreffenden Brief irgendwo aufgehoben haben....

– Wie... irgendwo!... Sie wissen nicht einmal, wo er ist?...

– O, bei mir kommt nichts weg... Ich werd' ihn schon wiederfinden.«

Bei dieser Antwort verriethen die Haltung des Meisters Antifer und seine sich zusammenballenden Hände deutlich, daß er den Banquier den Hals umdrehen würde, wenn der Brief sich nicht wiederfand.

[226] »Das muß einer sagen, Herr Zambuco, sagte er, sich mit Mühe bemeisternd, Ihre Ruhe ist zum toll werden!... Sie sprechen von dieser Geschichte mit einer Gleichgiltigkeit...

– Pah!... machte der Banquier.

– Wie... was... pah!... Wenn sich's um hundert Millionen handelt...«

Um die Lippen Zambuco's flog nur ein verächtliches Lächeln. Der Mann machte sich aus einer Million so viel wie aus einer Orangenschale oder aus einem Citronenkern.

»Hah, der Spitzbube! dachte Antifer, der ist doch schon hundertfacher Millionär!«

In diesem Augenblick lenkte der Banquier das Gespräch jedoch auf ein andres Gebiet, um zu erfahren, was er noch nicht wußte, das heißt in Folge welcher Verkettung der Verhältnisse er den Besuch dieses Malouin erhielte. So begann er in sehr ungläubigem Tone und während er die Brillengläser mit einem Taschentuchzipfel abwischte:

»Glauben Sie denn übrigens im Ernste an diese Geschichte mit dem Schatze?

– Ob ich daran glaube! Wie ich an die heilige Dreieinigkeit in drei Personen glaube!«

Das versicherte er mit einer Ueberzeugung, mit einer Glaubensfestigkeit, die nur ein bretonischer Bretagner auszudrücken vermag.

Darauf erzählte er alles Vorhergegangene, unter welchen Umständen sein Vater im Jahre 1799 dem Pascha das Leben gerettet habe, wie 1842 in Saint-Malo ein geheimnißvoller Brief eingetroffen sei, der die Stelle des Schatzes auf dem zu suchenden Eilande bezeichnete; wie er, Antifer, das nur ihm allein bekannte Geheimniß von seinem sterbenden Vater erhalten und er zwanzig volle Jahre auf das Erscheinen des angekündigten Boten gewartet habe. Dann schilderte er das Zusammentreffen mit Ben Omar, der ihm die ersehnte Länge gebracht hätte... u.s.w., die Reise, in Begleitung seines Neffen Juhel und seines Freundes Tregomain, nach dem Golfe von Oman und schließlich, daß sich an der mit einem Doppel-K bezeichneten Stelle nur ein Kasten mit einem Document darin gefunden hätte, das die Länge eines zweiten Eilandes angab, die er, Antifer, dem Banquier Zambuco in Tunis mitzutheilen habe, der wiederum die Breite besitzen würde, die zur Lagebestimmung des zweiten Eilandes unentbehrlich wäre.

[227] So gleichgiltig er sich zu sein stellte, hatte der Banquier diesen Bericht doch mit gespanntester Aufmerksamkeit angehört. Ein leichtes Zittern der Finger verrieth seine innere Erregung.

Als Meister Antifer, dem dicke Schweißtropfen von der Stirn fielen, geendigt hatte, begnügte sich Zambuco zu sagen:

»Ja... wirklich... das Vorhandensein des Schatzes scheint hierdurch außer Zweifel zu stehen. Welches Interesse konnte aber Kamylk-Pascha daran haben, in dieser merkwürdigen Weise zu verfahren?...«

In der That, dieses Interesse war nicht sofort zu begreifen.

»Was man davon denken soll, antwortete Meister Antifer, das ist... doch zunächst, Herr Zambuco, sind Sie an den Kreuz- und Querzügen des Paschas in irgend einer Weise betheiligt gewesen?... Haben auch Sie ihm irgend welchen Dienst erweisen können?

– Gewiß... sogar einen großen.

– Bei welcher Gelegenheit?

– Als er sein Vermögen zu Gelde machen wollte, während er noch in Kairo wohnte, wo ich mich jener Zeit ebenfalls aufhielt.

– Nun ja... das Eine ist klar... er hat an der Hebung des Schatzes die zwei Personen betheiligen wollen, denen er eine gewisse Dankbarkeit schuldig zu sein glaubte... Sie... und an Stelle meines Vaters... mich.

– Und warum nicht noch Andre? bemerkte der Banquier.

– Herr, sagen Sie das nicht! rief Meister Antifer, der den Tisch durch einen gewaltigen Faustschlag erschütterte. Es ist schon an Zweien genug... eigentlich zu viel....

– Ja freilich, bestätigte der Banquier. Doch ich bitte noch um eine gefällige Erklärung. Warum hat Sie jener Notar von Alexandria bei ihren Nachsuchungen begleitet?

– Eine Clausel des Testaments sichert ihm eine Provision unter der ausdrücklichen Bestimmung zu, daß er persönlich der Hebung jenes Schatzes beiwohnt....

– Und wie viel beträgt jene Provision?

– Ein Procent.

– Ein Procent!... Der Spitzbube!

– Der Spitzbube!... Ja, das ist für ihn der rechte Name, rief Meister Antifer, und glauben Sie mir, ich hab' ihm diesen auch nicht vorenthalten!«

[228] Das war also eine Qualification, über die die beiden Erben wunderbar übereinstimmten, und so wenig interessiert der Banquier Zambuco auch bei der ganzen Sache zu erscheinen sachte, darf man doch glauben, daß jenes Wort ihm aus dem Herzen kam.

»Nun, fuhr der Malouin fort, sind Sie in die Sachlage eingeweiht, und ich sehe keinen Grund, warum wir beide nicht ganz offen gegen einander handeln sollten.«

Der Banquier rührte sich nicht.

»Ich besitze die auf dem Eilande Nummer Eins gefundne Länge, fuhr Meister Antifer fort, und Sie müssen im Besitz der Breite des Eilandes Nummer Zwei sein....

– Nun... ja... antwortete Zambuco etwas zögernd.

– Warum gaben Sie sich dann, als ich hierher kam und meinen Namen nannte, den Anschein, als wüßten Sie von der ganzen Sache gar nichts?

– Ganz einfach, weil ich mich nicht dem ersten besten in die Hände geben wollte. Sie konnten auch ein Eindringling sein, Herr Antifer. Zürnen Sie darüber nicht, ich wünschte sicher zu gehen.... Da Sie aber das Document haben, das Sie beauftragt, sich mit mir in Beziehung zu setzen....

– Das hab' ich allerdings.

– So zeigen Sie mir's.

– Einen Augenblick, Herr Zambuco – eine Hand wäscht die andre. Sie, haben Sie denn den Brief von Kamylk-Pascha?

– Gewiß hab' ich den.

– Nun also... Brief gegen Document. Der Austausch muß in aller Ordnung und gegenseitig erfolgen.

– Meinetwegen!« erklärte der Banquier.

Er trat zu dem Geldschranke, ließ dessen geheimen Mechanismus spielen, machte alles aber so langsam, daß Meister Antifer ganz aus dem Häuschen kam.

Warum diese eigenthümlichen Manieren? Wollte Zambuco es vielleicht Ben Omar in Saint-Malo nachmachen und den Malouin seines Geheimnisses berauben. wie es der Notar früher – vergeblich! – versucht hatte?

Das war ja gegenüber einem Manne, der seine Waare nicht ohne Bezahlung hinzugeben entschlossen war, so gut wie unmöglich. Der Banquier hatte aber ein schon lange reiflich erwogenes Project, das, im Falle des Gelingens, die Millionen Kamylk-Paschas seiner Familie – das heißt ihm [229] – sichern mußte, ein Project, das unerläßlicherweise verlangte, daß sein Miterbe Witwer oder Hagestolz war.

Während er noch die Rosetten an seinem Geldschranke einschnappen ließ, fragte er deshalb mit etwas zitternder Stimme:

»Sie sind wohl nicht verheiratet?...

– Nein, Herr Zambuco, und deß freue ich mich jeden Morgen und jeden Abend neu.«

Der letzte Theil der Antwort rief ein Stirnrunzeln des Banquiers hervor, der mit seinem heimlichen Plan herausrücken wollte.

Zambuco hatte natürlich, das glaubten in Tunis alle, eine Familie. Diese bestand jedoch, wie bereits mitgetheilt, nur aus einer Schwester. Fräulein Talisma Zambuco führte in Malta ein sehr bescheidnes Leben von einer Pension, die ihr Bruder ihr ausgesetzt hatte. Allein – und das darf nicht unerwähnt bleiben – sie lebte daselbst schon seit siebenundvierzig Jahren, also bald einem halben Jahrhundert. Nie hatte sie Gelegenheit gehabt, sich zu vermählen, erstens weil sie in Bezug auf Schönheit, Verstand, Geist und Vermögen zu wünschen übrig ließ, und dann, weil ihr Bruder noch keinen Mann für sie gefunden hatte, und die Freier dachten gar nicht daran, sich von selbst einzustellen.

Zambuco rechnete indeß fest darauf, daß seine Schwester sich einmal verheiraten würde. Mit wem, großer Gott?... Nun eben mit jenem Antifer, dessen Besuch er seit zwanzig Jahren erwartete und der die Sehnsucht des alten Mädchens stillen sollte, wenn er Witwer oder noch Junggeselle war. Mit Abschluß dieser Ehe wären die Millionen der Familie verblieben und Fräulein Talisma Zambuco hätte mit ihrem langen Warten nichts verloren gehabt. Es versteht sich, daß sie gänzlich von ihrem Bruder abhing und einen von diesem vorgeschlagenen Gatten mit geschlossenen Augen annehmen würde.

Eine andre Frage war es freilich, ob auch der Malouin die seinigen schließen würde, um diese antike Malteserin zu ehelichen. Der Banquier zweifelte daran nicht, denn er glaubte sich in der Lage, seinem Miterben nach Gefallen Vorschriften machen zu können. Uebrigens haben gerade Seeleute gar nicht das Recht, wählerisch zu sein – so meinte er wenigstens.

Schöne Aussichten für unsern Pierre-Servan-Malo, der besser daran gethan hätte, auf dem Frachtschiffe des Freundes Tregomain zwischen den lieblichen Ufern der Rance hinzufahren, als sich in eine solche Galeere zu begeben. Das Spiel, das der Banquier spielte, liegt jetzt klar zu Tage. Nichts konnte einfacher und [230] besser durchdacht sein. Er wollte seine Beute nur im Austausch gegen das Opfer des Meister Antifer – wohlverstanden, das durch die unlösliche eheliche Verbindung des Malouin mit Fräulein Talisma Zambuco – ausliefern.

Ganz zuerst – bevor er den Brief Kamylk-Paschas dem Geldschrank entnahm und als er schon den Schlüssel an diesen steckte – schien er noch zu überlegen und setzte sich noch einmal nieder. Die Augen des Meister Antifer schleuderten einen zweifachen Blitz, wie solche unter gewissen atmosphärischen Verhältnissen, wenn die Luft mit Elektricität überladen ist, vorkommen.

»Was erwarten Sie noch? fragte er.

– Ich überlege nur noch etwas, antwortete der Banquier.

– Und was, wenn ich bitten darf?

– Glauben Sie, daß unsre Ansprüche in dieser Angelegenheit ganz gleichwerthig sind?

– Gewiß... das sind sie natürlich.

– Ja, ich... ich denk' das nicht.

– Und warum?

– Weil es Ihr Vater gewesen ist, der den Pascha jenen Liebesdienst geleistet hat, und nicht Sie, während ich... ich es in eigner Person war, der...«

Meister Antifer unterbrach ihn, und der durch den Doppelblitz angekündigte Donnerschlag krachte nieder.

»Was zum Teufel, Herr Zambuco, könnten Sie wohl glauben, mit einem Kapitän der Küstenschiffahrt Fangball spielen zu können?... Sind die Rechte meines Vaters nicht auch die meinigen, da ich sein einziger Erbe bin?... Ja oder nein, wollen Sie dem Willen des Testators nachkommen?...

– Ich werde thun, was mir gefällt!« antwortete der Banquier kurz und trocken.

Meister Antifer packte den Tisch, um nicht an die Decke zu fahren, nachdem er mit dem Fuße seinen Schemel umgestoßen hatte.

»Sie sehen doch ein, daß Sie ohne mich nichts beginnen können! erklärte der Malteser.

– Und Sie nichts ohne mich!« versetzte der Malouin.

Das Gespräch wurde hitziger. Der eine war scharlachroth vor Wuth, der andre bleicher als gewöhnlich, doch seiner vollständig Herr.

»Wollen Sie mir Ihre Breite geben? schrie Meister Antifer auf dem Gipfel der Erregung.

[231] – Fangen Sie doch mit Ihrer Länge an, erwiderte der Banquier.

– Niemals!

– Wie Sie wollen.

– Hier ist mein Document, heulte Meister Antifer, indem er sein Portefeuille aus der Tasche zog.

– Behalten Sie es nur... Ich kann damit nichts anfangen!

– Sie wissen damit nichts anzufangen? Vergessen Sie denn, daß es sich um hundert Millionen handelt?

– Um hundert Millionen... ganz richtig.

– Und daß diese verloren sind, wenn wir die Lage des Eilandes nicht feststellen, wo sie verscharrt wurden?

– Pah!«... pustete der Banquier.

Er machte dabei wieder eine so wegwerfende Miene, daß der andre, der sich nicht mehr bemeistern konnte, sich in Stellung setzte, ihm an die Kehle zu springen... dem Elenden, der es abschlug, hundert Millionen einzucassieren – ohne daß ein andrer davon Nutzen hatte.

Vielleicht niemals war der Wucherer Zambuco, der in seinem langen Leben so manchen armen Teufel moralisch erwürgt hatte, so nahe daran gewesen, physisch erwürgt zu werden, denn er sagte, wieder einlenkend:

»Es gäbe vielleicht ein Mittel, sich zu arrangieren!«

Meister Antifer klappte die Hände wieder zu und steckte sie in die Tasche, um weniger versucht zu sein, von ihnen Gebrauch zu machen.

»Mein Herr, fuhr der Banquier fort, ich bin reich, habe sehr geringe Bedürfnisse, und fünfzig oder auch hundert Millionen würden an meiner gewohnten Lebensweise nichts zu ändern vermögen. Ich habe aber eine Leidenschaft, nämlich die, Goldsäcke über Goldsäcke zu häufen, und ich gestehe, der Schatz Kamylk-Paschas würde in meinem Geldschranke eine recht hübsche Rolle spielen. Seit mir nun das Vorhandensein jenes Schatzes bekannt ist, hab' ich keinen andern Gedanken gehabt, als in den Besitz des Ganzen zu kommen.

– Sehen Sie einmal an, Herr Zambuco.

– Warten Sie!

– Und der mir zukommende Theil?...

– Ihr Theil?... Ja, ließe sich das, wenn Sie ihn auch erhielten, nicht so einrichten, daß er in meiner Familie bliebe?

– Dann wäre dies aber nicht die meinige...


Sich wie ein Toller geberdend, lief er die Straße hinab. (S. 834.)

– Nach Belieben, ich zwinge Sie zu nichts.

– Nun, keine solchen Umstände, Herr Lavierer, erklären Sie sich!

– Ich habe eine Schwester, Fräulein Talisma...

– Mein Compliment!

[232]

– Sie wohnt in Malta.

– Desto besser für sie, wenn das Klima dort ihr zusagt.

– Sie zählt siebenvierzig Jahre, ist aber für ihr Alter eine noch recht ansehnliche Person.

[233] – Das wundert mich nicht, wenn Sie Ihnen ähnelt.

– Nun also... da Sie unvermählt sind... können Sie da nicht meine Schwester heiraten?

– Ihre Schwester heiraten?... rief Pierre-Servan-Malo, dessen schon erhitztes Gesicht jetzt purpurroth wurde.

– Ja wohl, sie heiraten, wiederholte der Banquier in dem entschiedenen Tone, der keinen Widerspruch zuläßt. Durch diese Verbindung würden die fünfzig Millionen von der einen und die fünfzig Millionen von der andern Seite in meiner Familie bleiben.

– Herr Zambuco! erwiderte Meister Antifer, der den Kiesel im Munde umherwarf, wie die Brandung die Strandkiesel hin und her kollert.

– Herr Zambuco...

– Herr Antifer...

– Ist's Ihnen ernst... mit diesem Vorschlag?

– So ernst, wie irgend etwas, und wenn Sie sich weigern, meine Schwester zur Frau zu nehmen, so schwöre ich Ihnen zu, ist es zwischen uns aus, und Sie können getrost wieder nach Frankreich zurücksegeln!«

Ein dumpfes Grollen wurde vernehmbar. Meister Antifer war am Ersticken. Er griff nach seinem Halstuche, nahm den Hut, öffnete die Thür des Cabinets und lief über den Hof, und dann, sich wie ein Toller geberdend, die Straße hinab.

Saouk, der noch immer gewartet hatte, folgte ihm, sehr beunruhigt, den Mann so aufgeregt zu sehen, vorsichtig nach.

Am Hôtel angelangt, stürzte der Malouin geradezu in die Hausflur. Als er dann den Freund und den Neffen in einem Nebenraume des Speisesaales sitzen sah, rief er ihnen polternd zu:

»Der Elende!... Wißt Ihr, was er wollte?...

– Dich doch nicht umbringen?... fragte Tregomain.

– Etwas schlimmeres als das!... Er will, daß ich seine Schwester zur Frau nehme!«

[234]
4. Capitel
Viertes Capitel.
In dem der schreckliche Kampf zwischen Abendland und Morgenland zu Gunsten des letzteren ausgeht.

So sehr der Frachtschiffer und Juhel seit einiger Zeit an Zwischenfälle und Hindernisse gewöhnt waren, so etwas hätten sie sich doch nicht träumen lassen.... Meister Antifer, der hartgesottene Hagestolz, so an die Wand gedrückt... und an welche Wand!... die Wand der Ehe, die er – bei Strafe des Verlustes seines ungeheuern Erbantheiles – übersteigen sollte!

Juhel bat seinen Oheim, die Sache etwas ausführlicher zu erzählen. Das that dieser unter Begleitung eines ganzen Breitenfeuers flammender Verwünschungen, die leider dem in seinem Hause des Malteserviertels geschützten Zambuco kein Härchen versengen konnten.

Man denke sich nur den alten Knaben, der mit sechsundvierzig Jahren eine siebenundvierzigjährige Jungfrau heimführte und so ein Stückchen Orientale, etwas wie ein Antifer-Pascha würde!

Juhel und Gildas Tregomain sahen sich verlegen stillschweigend an; jedenfalls durchzuckte sie aber der nämliche Gedanke.

»Untergegangen, die fünfzig Millionen! sagte sich der Frachtschiffer.

– Nichts mehr, was der Heirat mit meiner Enogate im Wege stände!« sagte sich Juhel.

Daß Meister Antifer den Forderungen Zambuco's nachgeben, daß er sich entschließen könnte, der Schwager des Banquiers zu werden, daran war doch wohl gar nicht zu denken. Einer solchen Bedingung hätte er sich auch für eine Milliarde nicht unterworfen.

Der Malouin lief inzwischen von einem Ende des Raumes zum andern hin und her. Dann blieb er stehen, setzte sich, und trat wieder an seinen Freund und seinen Neffen heran, wie um sie ganz genau anzusehen, und wandte die Augen ebenso schnell wieder ab. In Wahrheit war er schmerzlich anzusehen, und wenn ihn Gildas Tregomain je für nahe daran hielt, den Verstand zu verlieren, so war das jetzt der Fall. Juhel und er schienen auch stillschweigend übereingekommen [235] zu sein, nichts zu erwidern, er mochte sagen, was er wollte. Mit der Zeit würde er ja wieder Vernunft annehmen.

Endlich fand er die Sprache wieder und haspelte nun seine Reihe wüthender Onomatopoetica herunter.

»Hundert Millionen... verloren durch den Trotzkopf jenes Schurken!... Verdiente er nicht die Guillotine... eine Kugel... einen Strick... Dolch... oder Gift! Gepfählt werden müßte er!... Seine maltesische Scharteke heiraten... die kein Affe aus Senegambien haben möchte!... Seht Ihr mich nicht schon als Ehegespons dieses Fräuleins Talisma?«

Nein, das sahen beide nicht, und die Einführung einer solchen Schwägerin und Tante in den Schoß der ehrbaren Familie Antifer gehörte zu den unwahrscheinlichsten Dingen, die niemand für möglich gehalten hätte.

»So thu' doch den Mund auf, Frachtschiffer!

– Lieber Freund?

– Sage mir, hat einer das Recht, hundert Millionen in einem Loche versteckt liegen zu lassen, wenn er nur einen Schritt zu machen braucht, um sie herauszuholen?

– Ich bin nicht vorbereitet, auf diese Frage zu antworten, erklärte Tregomain ausweichend.

– Ah so, da fehlt Dir's an der nöthigen Vorbereitung!... rief Antifer, der seinen Hut in eine Ecke schleuderte. Sehr schön! Bist Du vielleicht vorbereitet, auf diese hier zu antworten?

– Auf welche denn?

– Wenn ein Mensch ein Schiff – sagen wir eine Galeere – meinetwegen eine »Charmante Amélie«...

Gildas Tregomain ahnte, daß es seiner »Charmante Amélie« jetzt schlecht gehen würde.

»... Wenn er so einen alten Kasten mit hundert Millionen in Gold belüde und öffentlich anzeigte, er wolle aufs hohe Meer hinausfahren, um seine Millionen zu ersäufen, glaubst Du, daß die Regierung ihn so ohne weiteres gewähren ließe?... Heraus mit der Sprache!

– Nein, das glaub' ich nicht, alter Freund.

– Eben das hat sich jenes Ungeheuer Zambuco in den Kopf gesetzt!... Er braucht nur ein Wörtchen zu sagen, so finden wir seine und meine Millionen... doch er versteift sich darauf, zu schweigen!

[236] – Ich kenne keinen abscheulicheren Hallunken! erwiderte Tregomain mit einer Miene, als ob er auch in Wuth gerathen wäre.

– Nun, und Du, Juhel?...

– Lieber Onkel?...

– Wenn wir ihn nun bei Gericht denuncierten?...

– Gewiß, das wäre wenigstens das letzte Mittel....

– Denn dem Gericht ist erlaubt, was der Einzelne nicht thun darf... das kann ihn ins Verhör nehmen... ihn mit glühenden Zangen zwicken... ihn bei langsamem Feuer braten... und das muß noch so kommen!

– Die Idee ist nicht schlecht, lieber Onkel.

– Ausgezeichnet, sag' ich Dir, Juhel. Nur um diesen schrecklichen Schacherer zur Vernunft zu bringen, ließ ich lieber meine fünfzig Millionen im Stiche und opferte sie den Armen....

– O, das wäre schön, das wäre edelmüthig, großherzig! rief der Frachtschiffer, das wäre eines Franzosen... eines Malouin... eines echten Antifer würdig....«

Als der Onkel Juhels jene Worte hervorpolterte, war er freilich weiter gegangen, als er gewollt hatte, denn er warf einen so schrecklichen Blick auf Gildas Tregomain, daß der brave Mann seine Lobhymne kurz abbrach.

»Hundert Millionen!... Hundert Millionen! wiederholte Meister Antifer... ich mache ihn todt... diesen Unglücks-Zambuco...

– Aber, Onkel!...

– Alter, guter Freund!«

Bei der Ueberreizung, in der er sich befand, konnte man dem Malouin in der That den dümmsten Streich zutrauen... für den er nicht verantwortlich gewesen wäre, da er in Folge momentaner Geistesstörung gehandelt hätte. Als Gildas Tregomain und Juhel ihn aber zu beruhigen suchten, stieß er sie heftig von sich und beschuldigte sie, daß sie es mit seinen Feinden hielten, dem Zambuco die Brücke verträten und ihm nicht helfen wollten, den Erbschleicher zu vernichten.

»Laßt mich... laßt mich in Ruhe!« schrie er endlich.

Den Hut aufhebend, warf er die Thüre zu und verließ den Salon.

In der Vermuthung, Meister Antifer werde nach dem Hause des Banquiers laufen, beschlossen beide, ihm nachzueilen, um ein Unglück zu verhüten. Sie beruhigten sich jedoch, als sie ihn die große Treppe hinaufsteigen und sich nach seinem Zimmer begeben sahen, das er zuschloß.

[237] »Das Gescheiteste, was er anfangen konnte! meinte der Frachtschiffer, die Achseln zuckend.

– Ja... der arme Onkel!« antwortete Juhel.

Nach einem solchen Auftritte hatten sie den Appetit zum Essen natürlich fast ganz verloren.

Sie betheiligten sich an der Tafel also nur sehr wenig, und dann verließen die beiden Freunde das Hôtel, um am Ufer des Bahira etwas frische Luft zu schöpfen. Beim Hinaustreten begegneten sie Ben Omar mit Nazim. Sie fanden nichts dabei, den Notar von dem Vorgegangenen zu unterrichten, und dieser hatte kaum von den Bedingungen des Banquiers Zambuco gehört, als er auch schon ausrief:

»Natürlich muß er das Fräulein Zambuco heiraten!... Er hat gar kein Recht, das abzuschlagen!... Nein, das Recht hat er nicht!«

Das war auch die Ansicht Saouk's, der nie gezögert hätte, irgendwelche Ehe einzugehen, wenn sie ihm nur eine solche Mitgift einbrachte.

Gildas Tregomain und Juhel wandten ihnen den Rücken und gingen nachdenklich die Marine-Allee hinunter.

Ein schöner, durch den Seewind abgekühlter Abend lud die Bevölkerung von Tunis zu einem Spaziergang ein. Der junge Kapitän und der Frachtschiffer schlenderten der Stadtmauer zu, gingen durch das Thor derselben, legten noch die hundert Schritte bis zum Ufer des Sees zurück und nahmen endlich an einem Tische im Café Wina Platz, wo sie, nach Bestellung eines Flacons Manubro, ungestört plaudern konnten. Für sie lag ihre Angelegenheit sehr einfach. Meister Antifer würde sich den Zumuthungen des Banquiers Zambuco niemals fügen... Daraus ergab sich die Nothwendigkeit, auf die Aufsuchung des Eilandes Nummer Zwei zu verzichten... daraus wieder die Veranlassung, von Tunis mit dem nächsten Postdampfer abzufahren... und daraus endlich die ungeheure Befriedigung, baldigst nach Frankreich heimzukehren.

Das war offenbar die einzig mögliche Lösung. Sie würden auch nicht unglücklicher sein, ohne den großen Geldsack Kamylk-Paschas nach Saint-Malo zurückzukommen. Warum hatte Seine Excellenz auch solche Schliche und Kniffe beliebt!

Gegen neun Uhr schlugen Gildas Tregomain und Juhel den Weg nach dem Hôtel wieder ein und begaben sich in ihre Zimmer, nachdem sie kurze Zeit vor dem des Onkels gewartet hatten. Dieser schlief noch nicht, er hatte sich [238] noch nicht einmal niedergelegt. Er marschierte vielmehr noch immer auf und ab, sprach mit keuchender Stimme vor sich hin und man hörte nur die Worte:

»Millionen... Millionen... Millionen!«

Der Frachtschiffer legte die Fingerspitze an die Stirn, als wollte er sagen, daß es mit dem da drinnen nun wirklich nicht mehr ganz richtig sei, dann wünschten sich beide gute Nacht und gingen sehr beunruhigt auseinander.

Am folgenden Morgen standen Gildas Tregomain und Juhel sehr frühzeitig auf. Sie mußten sich ja überzeugen, was Meister Antifer nach der gestrigen Weigerung Zambuco's begann, und sie wollten in der ganzen Sache zu einem endgiltigen Entschlusse kommen, der doch nur dahin zielen konnte, ihr Bündel zu schnüren und Tunis schnellstens zu verlassen. Nach den Erkundigungen, die der junge Kapitän eingezogen hatte, sollte das la Goulette anlaufende Postschiff noch am nämlichen Abend nach Marseille abgehen. Was hätte Juhel nicht darum gegeben, seinen Onkel schon an Bord, in seine Cabine eingeschlossen und zwanzig Seemeilen von der afrikanischen Küste entfernt zu wissen!

Der Frachtschiffer und er folgten dem Corridor, der nach Meister Antifer's Zimmer führte.

Sie klopften an die Thür.

Keine Antwort.

Juhel klopfte noch einmal und stärker.

Dasselbe Stillschweigen.

Lag sein Onkel wohl in jenem Seebärenschlaf, der auch durch einen Vierundzwanzigpfünder nicht gestört wird? Oder hatte er vor Verzweiflung und in einem Anfalle hitzigen Fiebers etwa gar...?


Sie klopften an die Thüre. (S. 239.)

Vier Stufen auf einmal nehmend, stürmte Juhel zum Portier hinunter, während der Frachtschiffer, dem die Beine schlotterten, sich am Treppengeländer fest hielt, um nicht hinunter zu kollern.

»Meister Antifer?...

– Ist schon sehr zeitig ausgegangen, erklärte der Portier auf die Frage des jungen Kapitäns.

– Und hat nicht hinterlassen, wohin?


Ihre Arme streckten sich vorsichtig aus. (S. 244.)

– Nein... kein Wort.

– Sollte er den Spitzbuben Zambuco doch wieder aufgesucht haben? fragte Juhel, der Gildas Tregomain nach dem Marineplatze hin eiligst mit fortzog.

[239] – Wenn's aber an dem ist... so stimmt er doch am Ende zu... murmelte der Frachtschiffer, der die Arme zum Himmel emporhob.

– Das ist unmöglich!... rief Juhel.

– Ja, das ist unmöglich!... Kannst Du ihn Dir vorstellen, wie er nach Saint-Malo in sein Haus der Rue des Hautes-Salles zurückkehrt mit Fräulein Talisma Zambuco an der Seite, wie er unsrer kleinen Enogate eine maltesische Tante mit heimbringt?

– Eine Scharteke... hat mein Onkel gesagt!«

[240] Im höchsten Grade beunruhigt, setzten sie sich an einem Tischchen des dem Hôtel de France gegenüber liegenden Cafés nieder. Von hier aus konnten sie die Rückkehr Meister Antifer's beobachten.

Man sagt, daß der Rath über Nacht kommt, freilich aber nicht, daß dieser Rath immer gut sei. In der That hatte sich unser Malouin schon mit Tagesanbruch nach dem Malteserviertel auf den Weg gemacht und das Haus des Banquiers so schnell erreicht, als hätte ihn eine Meute Hunde gehetzt. Zambuco pflegte mit der Sonne aufzustehen und sich mit dieser niederzulegen. Der [241] Banquier und das Tagesgestirn vollendeten ihren Tageslauf übereinstimmend. Der erstere saß also schon in seinem Armstuhle, das Bureau vor, den Geldschrank hinter sich, als der Meister Antifer zu ihm hereingeführt wurde.

»Guten Morgen, sagte er, die Brillengläser putzend, um seinen Besucher deutlicher sehen zu können.

– Bleibt das Ihr letztes Wort? fragte dieser, ohne Vorrede auf sein Ziel lossteuernd.

– Mein letztes!

– Sie weigern sich, mir Kamylk-Paschas Brief auszuliefern, wenn ich nicht Ihre Schwester heirate?

– Unbedingt!

– Nun, so heirat' ich sie...

– Ah, das wußt' ich! Eine Frau, die Ihnen fünfzig Millionen mitbringt!... Der Sohn Rothschild's hätte sich glücklich geschätzt, Talismas Mann werden zu können....

– Möglich... ich werde auch glücklich sein! antwortete Meister Antifer mit einer Grimasse, die er gar nicht zu verbergen suchte.

– So kommen Sie, Schwager,« erwiderte Zambuco.

Er erhob sich, als ob er nach der Treppe und ins Obergestock hinauf gehen wollte.

»Ist sie denn gar schon hier?«... rief Meister Antifer entsetzt.

Sein Gesicht glich dem eines Verurtheilten, wenn er zum letzten Gange geweckt wird und ihm der Gefängnißwärter zuruft: »Nun vorwärts... Muth... 's ist ja nur heute einmal!«

»Beruhigen Sie sich, mein feuriger Bräutigam! entgegnete der Banquier. Haben Sie denn vergessen, daß sie in Malta ist?

– Wohin gehen wir dann? erkundigte sich Meister Antifer, erleichtert aufseufzend.

– Nach dem Telegraphen.

– Um ihr von dem Handel Mittheilung zu machen?

– Ja... und sie aufzufordern, daß sie sofort hierherkommt....

– Machen Sie ihr die Meldung, wenn Sie wollen, Herr Zambuco, ich erkläre Ihnen aber, daß es mir gar nicht einfällt, meine Zukünftige hier – in Tunis – zu erwarten.

– Und warum nicht?

[242] – Weil Sie und ich keine Zeit zu verlieren haben. Ist es nicht das Nothwendigste, das Eiland aufzusuchen, sobald dessen Lage festgestellt ist?

– O, Herr Schwager, acht Tage eher oder später, das macht nichts aus!

– Im Gegentheil, das macht sehr viel aus, und Sie müssen doch ebensolche Eile haben wie ich, die Erbschaft Kamylk-Paschas anzutreten.«

Der geizige und habgierige Banquier hatte es in der That mindestens ebenso eilig, und wenn er seine Ungeduld auch hinter einer gemachten Gleichgiltigkeit verbarg, brannte er doch vor Verlangen, seinen Theil der Millionen einzustecken. Jetzt wollte er dem andern auch nicht widersprechen.

»Nun gut, sagte er, Sie mögen ja recht haben. Ich werde meine Schwester erst nach unsrer Rückkehr kommen lassen, doch will ich sie wenigstens unterrichten von dem Glücke, das ihrer wartet.

– Ach ja... das ihrer wartet! wiederholte Pierre-Servan-Malo, ohne die Art des Glücks näher zu bezeichnen, das er der heiratslustigen alten Jungfrau aufbewahrte.

– Ich möchte nur ein schriftliches Eheversprechen haben, fuhr Zambuco fort.

– Setzen Sie es auf... ich unterschreibe.

– Mit Reugeld bei Nichteinhaltung?

– Meinetwegen... Wie viel Reugeld?

– Sagen wir, die fünfzig Millionen, die auf Ihren Antheil fallen.

– Einverstanden... nun machen wir aber ein Ende!« antwortete Meister Antifer, entschlossen, der Ehegemahl des Fräulein Talisma Zambuco zu werden, da er diesem Glücke einmal nicht entgehen konnte.

Der Banquier holte einen Briefbogen und setzte in seiner großen Handschrift einen Ehevertrag, dessen Einzelbedingungen genau formuliert wurden, nach allen Regeln der Kunst auf. Darin war festgesetzt, daß der Erbantheil des Meisters Antifer dem Fräulein Talisma Zambuco unverkürzt zufallen solle, wenn ihr Verlobter sich weigerte, sie vierzehn Tage nach Hebung des Schatzes als rechtmäßige Gattin heimzuführen.

Pierre-Servan-Malo setzte – mit etwas plumpen Schnörkeln verziert – seinen Namen unter den Vertrag, den der Banquier in einem Geheimfach seines Geldschranks verschloß.

Gleichzeitig brachte er ein vergilbtes Papier hervor. Das war der vor zwanzig Jahren eingetroffene Brief Kamylk-Paschas. Dann nahm auch Meister Antifer ein durch die Länge der Zeit nicht minder gelbgewordenes Schriftstück [243] aus seiner Brieftasche: das auf dem Eiland Nummer Eins gefundene Document.

Da standen sich nun die beiden Erben wie die Waffen eben kreuzende Duellanten Auge in Auge gegenüber. Ihre Arme streckten sich vorsichtig aus, die Finger zitterten bei der Berührung der Papiere, die sie einander nur ungern übergaben. Das war ein Bild für Zuschauer! Hundert Millionen durch eine kleine Bewegung in einer Familie vereinigt!

»Ihr Brief?... stammelte Meister Antifer.

– Ihr Document?«... antwortete der Banquier.

Der Austausch war erfolgt. Es war die höchste Zeit, denn die Herzen der beiden Männer arbeiteten so heftig, daß sie zu erlahmen drohten.

Das Document mit dem Auftrage, durch einen gewissen Antifer aus Saint-Malo einem gewissen Zambuco in Tunis übergeben zu werden, enthielt die Längenangabe: 7°23' östlich von Paris.

Der Brief mit der Meldung, daß genannter Zambuco eines Tages den Besuch des genannten Antifer erhalten werde, enthielt die Breitenangabe 3°17' südlich des Aequators.

Jetzt brauchte man auf einer Karte nur die entsprechenden beiden Linien zu kreuzen, um die Lage der Insel Nummer Zwei zu ersehen.

»Sie haben ohne Zweifel einen Atlas? fragte der Banquier.

– Einen Atlas und auch einen Neffen, antwortete Meister Antifer.

– Einen Neffen?

– Ja... einen jungen Kapitän der langen Fahrt, der die nöthige Operation ausführen wird.

– Wo ist denn dieser Neffe?

– Hier, im Hôtel de France.

– Da wollen wir sofort hin, Herr Schwager! rief der Banquier, einen breitkrämpigen alten Hut aufstülpend.

– Nun, also vorwärts!« erwiderte Meister Antifer.

Beide begaben sich nach dem Marineplatze. Vor dem Postgebäude angelangt, wollte Zambuco erst noch eine Depesche nach Malta aufgeben.

Meister Antifer hatte nichts einzuwenden. Fräulein Talisma Zambuco mußte doch wenigstens die Kunde erhalten, daß sich »ein Officier der französischen Marine« um ihre Hand beworben und ihr Bruder sie diesem, unter höchst annehmbaren Bedingungen bezüglich der Vermögens- und Familienverhältnisse, fest[244] zugesagt habe. Nach Erledigung der Telegrammangelegenheit begaben sich beide Männer wieder nach dem Platze hinaus. Gildas Tregomain und Juhel hatten sie schon bemerkt und eilten jetzt herbei.

Als er sie sah, wollte Meister Antifer zuerst am liebsten den Kopf wegwenden. Er überwand jedoch diese unpassende Schwächeanwandlung und stellte seinen Begleiter mit fester Stimme vor.

»Der Banquier Herr Zambuco,« sagte er.

Der Banquier maß die beiden Gefährten seines Schwagers von unten her mit nicht besonders sympathischem Auge.

Dann setzte Meister Antifer, sich an Zambuco wendend, hinzu:

»Mein Neffe Juhel... Gildas Tregomain, ein alter Freund von mir.«

Auf einen Wink folgten ihm nun alle nach dem Hôtel und gingen dabei Ben Omar und Nazim, die sie scheinbar gar nicht kannten, aus dem Wege, dann ging's die Treppe hinauf und in das Zimmer des Malouin, das sorgsam abgeschlossen wurde.

Meister Antifer holte aus dem Reisesacke den von Saint-Malo mitgebrachten Atlas hervor. Er schlug die Planisphärenkarte auf und sagte, indem er sich an Juhel wendete:

»Sieben Grad dreiundzwanzig Minuten östlicher Länge und drei Grad siebzehn Minuten südlicher Breite.«

Juhel konnte seine Verblüffung nicht verhehlen. Eine südliche Breite?... Kamylk-Pascha jagte sie noch bis unter den Aequator hinaus?... Ach, seine arme Enogate! Gildas Tregomain wagte kaum ihn anzusehen.

»Nun... was wartest Du noch?« fragte da schon sein Onkel in einem Tone, der ihm nichts übrig ließ, als zu gehorchen.

Er nahm also den Zirkel zur Hand, folgte mit der Spitze dem siebenten Längengrade, dem er noch dreiundzwanzig Minuten hinzufügte, und kam so bis zum Aequator hinunter.

Die Parallele von 3°17' durchlaufend, gelangte er dann an deren Durchschnittspunkt mit jener Länge.

»Nun? begann Meister Antifer wieder. Wo sind wir denn da?

– Im Busen von Guinea.

– Genauer?

– In der Höhe von Loango.

– Und noch genauer?...

[245] – Im Gewässer der Ma-Yumba-Bai.

– Morgen früh, erklärte darauf Meister Antifer, fahren wir mit der Post nach Bona und von da aus mit der Eisenbahn nach Oran.«

Das kam in dem gewöhnlichen Tone der Schiffskapitäne heraus, wenn diese, angesichts des Feindes, etwa: »Hängematten herunter!« commandieren.

Dann wendete er sich an den Banquier zurück.

»Sie begleiten uns ohne Zweifel?

– Natürlich.

– Bis zum Busen von Guinea?

– Bis ans Ende der Welt, wenn's sein muß!

– Gut... so richten Sie sich zur Abreise ein....

– Ich werde bereit sein, Herr Schwager!«

Gildas Tregomain ließ sich ein unwillkürliches »Oho!« entschlüpfen. Vor dieser, seinen Ohren so ungewohnten Qualification stand er so verblüfft, daß er es zu keiner Erwiderung des ironischen Grußes brachte, mit dem der Banquier ihn beim Fortgehen beehrte.

Jetzt standen die drei Malouins allein zusammen.

»Was... Du hast zugestimmt? sagte Gildas Tregomain.

– Jawohl... Frachtschiffer!... Nun...?«

Nun?... Ja, hier war nichts dagegen zu sagen, und deshalb hielten es Gildas Tregomain und Juhel für rathsamst, darüber zu schweigen.

Zwei Stunden später erhielt der Banquier ein Telegramm aus Malta.

Fräulein Talisma Zambuco erklärte sich für das glücklichste Mädchen unter der Sonne, in Erwartung, bald die glücklichste Ehefrau zu werden.

5. Capitel
Fünftes Capitel.
Worin Ben Omar Gelegenheit findet, die beiden Arten des Fortkommens, zu Wasser und zu Lande, genügend zu vergleichen.

Jener Zeit war das tunesische Bahnnetz, das jetzt mit dem algerischen in Verbindung steht, noch nicht in Betrieb. Unsre Reisenden konnten also erst von[246] Bona aus die Eisenbahn benützen, die die Provinzen Constantine, Algerien und Oran verbindet.

Am frühen Morgen hatte Antifer mit seinen Gefährten die Hauptstadt der Regentschaft verlassen. Natürlich war der Banquier Zambuco von der Partie und hatte es Ben Omar mit seinem Anhängsel Nazim nicht versäumt, sich jenen anzuschließen. Eine richtige Karawane von sechs Personen, die diesmal genau wußten, wohin der unersättliche Millionenhunger sie entführte. Es hatte ja kein Grund vorgelegen, daraus Ben Omar gegenüber ein Geheimniß zu machen, und so war es auch Saouk nicht unbekannt geblieben, daß der Zug zur Aufsuchung des Eilands Nummer Zwei den weiten Busen von Guinea, der unter der linken Hüfte Afrikas die Gegend von Loango einschließt, zum Schauplatz haben würde.

»Da haben wir eine hübsche Strecke vor uns, hatte Juhel zu Ben Omar gesagt, und Ihnen steht es frei, davon zurückzubleiben, wenn Sie die Mühseligkeiten der neuen Reise fürchten.«

Von Algier bis Loango sind freilich verschiedene hundert Meilen zurückzulegen.

Ben Omar hatte jedoch nicht gezögert, mit abzureisen, und Saouk hätte ihm das wohl verwehrt. Dazu auch noch die glänzende Provision, die seine Augen blendete....

Am 24. April nahmen also Meister Antifer, der Gildas Tregomain und Juhel, Saouk, der Ben Omar, und Zambuco, der sich selbst mitschleppte, die Plätze des Postwagens ein, der zwischen Tunis und Bona verkehrt. Vielleicht wechselte man unterwegs kein Wort, doch jedenfalls reiste man zusammen.

Vergessen wir nicht zu bemerken, daß Juhel am Vorabend noch einen Brief an Enogate abgesendet hatte. Binnen wenigen Tagen mußten das junge Mädchen und ihre Mutter wissen, an welchem Punkte der Erde Meister Antifer sein berühmtes Legat, das nun auf fünfzig Procent zusammengeschmolzen war, zu erheben gedachte. Die Dauer dieses zweiten Theiles der Reise konnte nicht wohl geringer, als einen Monat geschätzt werden, und die Verlobten durften also auf ein Wiedersehen vor der zweiten Hälfte des Mai nicht hoffen. Das würde auf Enogate leider recht niederschlagend wirken! Doch wenn sie nur voraussehen konnte, daß bei der Rückkehr auch alle früheren Hindernisse ihrer Eheschließung geebnet wären.... Auf einen solchen Onkel war freilich kein Verlaß!

[247] Was Gildas Tregomain angeht, beschränken wir uns auf die Bemerkung, daß es nun gar in seinem Schicksalsbuch geschrieben stand, daß er den Aequator überschreiten mußte. Er, der Schiffer von der Rance, schwamm auf den Meeren der südlichen Halbkugel! Das Leben bereitet einem aber einmal solche Ueberraschungen. daß der gute Mann nun bald über nichts erstaunte – vielleicht nicht einmal mehr darüber, daß in den Eingeweiden des Eilandes Nummer Zwei die drei berühmten Fässer Kamylk-Paschas aufgefunden würden.

Diese Gemüthsstimmung hinderte ihn indeß nicht, einen Blick auf das merkwürdige Land zu werfen, das sie mit der Post durchfuhren – das Land, das den Ebenen der Bretagne, und auch den mehr hügligen derselben, so wenig ähnelte. Vielleicht war er von den sechs Reisenden aber der einzige, der daran dachte, sich eine Erinnerung an die verschiedenen tunesischen Landschaften zu bewahren.

Das etwas unbequeme Gefährt rollte nur langsam dahin. Von einem Relais zum andern trotteten sich seine drei Pferde ziemlich müde auf der unebenen Straße, die – vor allem in dem malerischen Theile von Medjerdah – alpenartige Steigungen mit engen Windungen und rauschende Bergbäche ohne Brücken hatte, so daß das Wasser zuweilen bis an die Wagenachsen heranreichte.

Das Wetter war schön, der Himmel tiefblau – wie gesotten von der ungeheuern Hitze der Sonne.

Der Barda, der Palast des Bey, der zur Linken sichtbar wurde, leuchtete in so reinem Weiß, daß man ihn nur mit angeblakten Gläsern ansehen konnte, ebenso andre Paläste, die in Dickichten von Feigen-und Pfefferbäumen versteckt lagen, welche mehr Trauerweiden mit zur Erde herabhängenden Zweigen glichen. Da und dort zeigten sich Gurbis (arabische Hütten) mit gelbstreifigem Leinendache, unter dem Araberfrauen mit ernsten Gesichtszügen und bräunliche Kinderköpfe, die nicht weniger ernst als ihre Mütter aussahen, hervorlugten. Weiter draußen, auf Feldern und Abhängen, weideten Schafheerden und tummelten sich rabenschwarze Ziegen umher.

Wenn die Peitsche durch die Luft schwirrte, flatterten zuweilen einige Vögel am Wege auf, von denen sich schöne Sittige durch ihre lebhaften Farben auszeichneten. Diese gab es zu Tausenden, und wenn die Natur ihnen singen gelehrt hatte, so hatte sich doch der Mensch noch nicht bemüht, sie sprechen zu lehren. Die Fahrt verlief also inmitten eines Concertes, nicht eines Geplauders.


[248]
Das Wasser reichte zuweilen bis an die Wagenachsen heran. (S. 248.)

[249] [251]Die Pferde wurden recht oft gewechselt. Gildas Tregomain und Juhel stiegen an jedem Relais ab, um sich die Beine geschmeidig zu erhalten. Dann und wann that es der Banquier ihnen nach, sprach aber kein Wort mit seinen Reisegefährten.

»Das ist ein Männchen, bemerkte der Frachtschiffer, der auf die Millionen des Paschas ebenso zu brennen scheint, wie unser Freund Antifer!

– Wahrhaftig, Herr Tregomain, die beiden Erben sind einander würdig!«

Wenn Saouk einen Fuß auf die Erde setzte, bemühte er sich stets, etwas von den Gesprächen zu erlauschen, während er sich noch immer stellte, als ob er die Sprache nicht verstehe. Ben Omar blieb unbeweglich in seiner Ecke sitzen, nur beschäftigt mit dem Gedanken, daß er nun bald wieder zur See fahren mußte, und nach den kurzen Wellen des Mittelmeeres sollte er nun gar den großen Wogen des Atlantischen Meeres trotzen!

Auch Pierre-Servan-Malo rührte sich nicht von seinem Platz. Seine Gedanken weilten nur bei dem inmitten der siedenden afrikanischen Gewässer verlornen Eiland Nummer Zwei.

Am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, kam noch eine Gruppe von Moscheen, Marabuts, weißen Kuppeln und spitzen Minarets in Sicht – das war der Flecken Tabourka, der, in grünem Rahmen eingeschlossen, noch ganz das Aussehen einer tunesischen Stadt bewahrt hat.

Hier hält die Post einige Stunden an. Die Reisenden fanden beim Relais ein Hôtel oder vielmehr eine Herberge, wo sie ein nur wenig schmackhaftes Essen vorgesetzt bekamen. An eine Besichtigung der Stadt war nicht zu denken. Von den sechs Personen hätten höchstens der Frachtschiffer und auf dessen Aufforderung vielleicht Juhel einen solchen Gedanken gehabt. Meister Antifer legte ihnen aber ein für allemal aus Herz, sich – um Verzögerungen zu vermeiden – ja nicht zu entfernen, und sie ließen sich das gesagt sein.

Um neun Uhr abends ging die Fahrt in sternenheller Nacht weiter. Immerhin ist es nicht ohne Gefahr, diese Gegenden zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang zu durchfahren – Gefahren, die zum Theil durch den schlechten Zustand der Wege bedingt werden, doch theils auch von den hiesigen Straßenräubern, den Krumirs, oder von hungrigen Raubthieren drohen. In der dunkeln Stille der Nacht hörte man auch, wenn die Post am Rande von Wäldern vorüberrollte, gar deutlich das Brüllen von Löwen und das Bellen von Panthern Die Pferde wurden dadurch wild und es bedurfte der ganzen Kunst des Wagenlenkers,[251] sie im Zaum zu halten. Wegen des Miauens der Hyänen, dieser anmaßlichen Katzen, machte man sich gar keine Sorge.

Um vier Uhr morgens erhellte sich endlich der Zenith wieder, so daß man die Einzelheiten der Umgebungen nach und nach deutlicher unterscheiden konnte.

Immer blieb die Aussicht ziemlich beschränkt, da lange graue Hügel sich ringsum ausdehnten. Das Thal von Medjerdah schlängelte sich ihnen zu Füßen, und zwischen Lorbeerrosen und blühenden Eucalypten floß, einmal ruhig murmelnd und dann wieder wild aufbrausend, der dasselbe durchziehende gelbe Bach dahin.

Der Theil der Regentschaft, der an Krumirien grenzt, ist besonders bergig. Hätte der Frachtschiffer Tirol ein wenig bereist, so würde er hier – abgesehen von der geringeren Höhe der Berge – sich in einem Alpenlande zu befinden geglaubt haben. Er war aber nicht in Tirol, nicht einmal in Europa, sondern entfernte sich davon mit jedem Tage mehr. Da erhoben sich seine Mundwinkel mehr und mehr, was ihm ein nachdenkliches Aussehen verlieh, und seine dicken Augenlider sanken herab als Zeichen der Unruhe des braven Mannes.

Zuweilen sahen der junge Kapitän und er einander lange Zeit an, und diese Blicke bildeten eine ganze Unterhaltung, die stumm geführt wurde.

An diesem Morgen fragte Meister Antifer seinen Neffen:

»Wo werden wir heute Abend sein?

– Beim Relais von Gardiman, lieber Onkel.

– Und wann kommen wir nach Bona?

– Morgen Abend.«

Der düstre Malouin verfiel wieder in sein gewöhnliches Schweigen, oder seine Gedanken irrten viel mehr wieder durch das unterbrochne Traumbild, das ihn vom Gewässer des Golfes von Oman nach dem Busen von Guinea führte. Dann hefteten sie sich an den einzigen kleinen Punkt der Erdkugel, der für ihn wirklich Interesse hatte, und er sagte sich, daß das zwei andern Augen ebenso ergehen möge. In der That schienen der Banquier Zambuco und er – zwei Wesen von verschiedner Rasse, von so abweichenden Gewohnheiten, die einander auf Erden niemals hätten begegnen sollen – jetzt nur eine einzige Seele zu haben, schienen sie zwei Galeerensclaven an derselben Kette – freilich einer Kette aus Gold – zu sein.

Die Wälder mit Feigenbäumen wurden inzwischen immer dichter und dichter. Da und dort tauchten in einiger Entfernung Araberdörfer aus dem meergrünen[252] Laub auf. Dann wieder zeigte sich eine jener horizontalen Flächen, die man, wenn sie von einem Bergabhang abstehen, »Dreches« (Malztennen) zu nennen pflegt. Hier erhoben sich Gurbis, dort weideten Heerden an einem Bergstrome, in dessen Bett das Wasser nach der Küste zu hinunterrauschte. Endlich erschien wieder ein Relais – meist ein erbärmlicher Stall, in dem Menschen und Vieh in vollständiger Eintracht lebten.

Am Abend hielt man bei Gardiman oder vielmehr an der Holzhütte, die, von einigen andern umgeben, zwanzig Jahre später eine der Stationen der Bahn von Bona nach Tunis bilden sollte. Nach zweistündigem Aufenthalt – der für das magre Abendessen in der Schänke viel zu lang war – setzte sich der Postwagen wieder in Bewegung und rollte durch die Windungen des Thales, zuweilen am Saume der Medjerdah, zuweilen gleich durch Flüsse, deren Wasser den Reisenden im Kutschkasten bis an die Füße kam, oder er klomm steile Strecken hinan, wo ihn die Pferde kaum erziehen konnten, und stürmte wieder Abhänge hinunter, wo die Zügel die rasenden Pferde kaum zu halten vermochten.

Das Land war herrlich, vorzüglich in der Umgebung von Mughtars, nur konnte leider niemand bei der stockfinstern und noch obendrein nebligen Nacht etwas davon sehen. Im übrigen bedurfte jeder nach achtundvierzigstündiger, unbequemer Fahrt endlich des Schlafs.

Der Tag begann zu grauen, als Meister Antifer und seine Gefährten in Soukhara ankamen, das am Ende einer Straßenwindung liegt, die sich an der Seite des Hügels hinzieht, welcher den Flecken mit dem Thalwege verbindet.

Ein hübsches Hôtel – das Hôtel Thagaste – ganz nahe dem gleichnamigen Platze, bot den erschöpften Reisenden einen guten Empfang. Dieses Mal erschienen ihnen die hier verbrachten Stunden nicht allzulang, und sie würden ihnen sogar zu kurz vorgekommen sein, wenn sie das malerische Soukhara hätten besuchen wollen. Natürlich schimpften Meister Antifer und Banquier Zambuco weidlich über die verlorne Zeit. Der Wagen durfte aber vor sechs Uhr morgens nicht weiter fahren.

»Beruhige Dich, sagte Gildas Tregomain zu seinem reizbaren Freunde. Wir werden zeitig genug in Bona sein, um morgen früh den Zug zu erreichen....

– Warum aber bei etwas mehr Eile nicht den von heute Abend? versetzte Meister Antifer.

– Da geht keiner ab, lieber Onkel, bemerkte Juhel.

[253] – Was thut das?... Ist das ein Grund, hier in diesem Loche sitzen zu bleiben?

– Halt einmal, alter Freund, fiel der Frachtschiffer ein, hier ist ein Kieselstein, den ich für Dich aufgehoben habe. Der Deinige muß doch ganz abgenutzt sein, so lange kaust Du schon darauf herum!«

Gildas Tregomain übergab dem Meister Antifer dabei einen Kieselstein, so groß wie eine grüne Nuß, den er in der Medjerdah aufgelesen hatte und der nun sehr bald zwischen den Zähnen des Malouin knirschte.

Der Frachtschiffer schlug dann vor, er möchte ein Stück mitkommen, nur bis zu dem großen Platze der Ortschaft. Er verweigerte es und schlug in dem aus dem Reisesack hervorgeholten Atlas die Karte von Afrika auf, wo er sich, auf die Gefahr hin, seinen Verstand dabei zu ertränken, in die Gewässer des Busens von Guinea versetzte.

Gildas Tregomain und Juhel lustwandelten also allein nach dem nahegelegenen Thagaste-Platze, einem großen Viereck mit einzelnen Bäumen und umgeben von orientalischen Wohnstätten, nebst einigen, trotz der frühen Morgenstunde schon offnen Cafés, die von Eingebornen besetzt waren. Unter den ersten Strahlen der Sonne hatten die Nebel sich zerstreut, und es versprach ein zwar warmer, doch schöner Tag zu werden.

Auf dem Spazierwege war der Frachtschiffer ganz Auge und ganz Ohr. Er lauschte auf die hier und da ertönenden Worte, von denen er doch keine Silbe verstehen konnte; er sachte zu erkennen, was in den Cafés, im Innern einzelner Läden vorging, obgleich er in den einen weder etwas kaufen, noch in den andern etwas verzehren wollte. Da das launische Schicksal ihn aber einmal auf diese unglaubliche Reise verschlagen hatte, erschien es ihm als das Geringste, davon wenigstens einige dauernde Eindrücke mit heimzubringen.

So verstieg er sich zu dem Ausspruche:

»Nein, Juhel, so wie wir, darf man nicht reisen! Da wird ja niemals Halt gemacht. Drei Stunden in Soukhara, eine Nacht in Bona, nachher zwei Tage Bahnfahrt mit ganz kurzer Rast auf den Stationen.... Was werd' ich denn da von Tunis und später von Algerien zu sehen bekommen haben?

– Ich geb's zu, Herr Tregomain, es ist kein Sinn und Verstand darin! Doch sagen Sie das nur meinem Onkel, und Sie werden sehen, wie er Sie annimmt!... Es handelt sich bei uns ja nicht um eine Vergnügungs-, sondern um eine Geschäftsreise, und der Himmel weiß, wie diese zu Ende geht.

[254] – Mit einer Mystification, fürchte ich, antwortete der Frachtschiffer.

– Ja freilich, stimmte ihm Juhel zu, und warum könnte das Eiland Nummer Zwei nicht ein Document enthalten, das uns nach einem Eiland Nummer Drei verwiese!

– An ein Eiland Nummer Vier, an eins Nummer Fünf und an alle Eilande der fünf Erdtheile! erwiderte Gildas Tregomain, der den großen Kopf auf- und abwärts bewegte.

– Und Sie, Herr Tregomain, wären im Stande, meinem Onkel dabei zu folgen....

– Ich?

– Gewiß... Sie... Sie können ihm ja doch nichts abschlagen.

– Das ist wahr. Der arme Mann macht mir rechte Noth und ich fürchte gar so sehr für seinen Schädel....

– Nun, Herr Tregomain, was mich betrifft, so bin ich fest entschlossen, es mit dem Eiland Nummer Zwei genug sein zu lassen. Muß Enogate denn einen Prinzen und muß ich mit aller Gewalt eine Prinzessin heiraten?...

– Nein, ganz gewiß nicht! Jetzt übrigens, wo er den Schatz mit jenem Krokodil Zambuco zu theilen hat, ist ja für sie nur noch von einem Herzog und für Dich von einer Herzogin die Rede....


Da und dort zeigten sich Gurbis. (S. 248.)

– Ach, scherzen Sie nicht, Herr Tregomain!

– Ja, es ist unrecht von mir, lieber Juhel, die ganze Geschichte ist nicht dazu angethan, einen heiter zu stimmen, und wenn wir unsre Nachsuchungen gar noch weiter ausdehnen sollten...

– Noch ausdehnen? fiel ihm Juhel ins Wort. Nein, wir gehen nach dem Golf von Loango. doch noch weiter... keinen Schritt!... Ich werde meinen Onkel zur Rückkehr nach Saint-Malo schon zu bringen wissen!

– Und wenn er sich weigert, der Trotzkopf?

– Sich weigert?... Dann laß' ich ihn allein ziehen... ich fahre nach Hause zu Enogate... und da sie in einigen Monaten volljährig ist, so heirat' ich sie... trotz Fluth und Gegenstrom!

– Wir werden ja sehen, mein lieber Junge; vorläufig setze Dir keine Raupen in den Kopf und fasse Dich in Geduld!... Ich denke, es wird sich alles noch machen. und die Sache endigt mit Eurer Verheiratung. Dann tanz' ich bei Eurer Hochzeit den Fackeltanz.... Laß uns indeß den Wagen nicht verpassen und ins Hôtel zurückkehren. Wenn's nicht zu viel verlangt ist, möcht' ich [255] vor dem Dunkelwerden in Bona sein, um noch etwas von der Stadt zu sehen. denn von allem andern, das auf unserm Wege liegt, wie Constantine und Philippeville, sieht man beim Vorübersausen mit der Bahn doch nichts. Sollte es aber nicht möglich sein, so werd' ich das Versäumte in Algierr nachzuholen wissen...«

Gildas Tregomain sprach den Namen »Algierr« aus... warum, das wissen die Götter.

»Ja... in Algierr... wo wir doch hoffentlich ein paar Tage liegen bleiben....


Die Pferde wurden dadurch wild. (S. 251.)

[256] – Freilich, bestätigte Juhel, wird sich da nicht sofort ein Schiff finden das nach der Westküste Afrikas abgeht, und wir werden also warten müssen.

– Wir warten... natürlich, wir warten! erwiderte der Frachtschiffer, erfreut durch den Gedanken. die Wunder der algerischen Hauptstadt kennen lernen zu sollen. Dir ist Algierr doch bekannt, Juhel?

– Ja wohl, Herr Tregomain.

– Ich habe von Seeleuten gehört, daß alles dort sehr schön sei, die amphitheatralisch gelegene Stadt, ihre Quais und Plätze, ihr Arsenal und [257] Versuchs-Garten, ihr oberes Mustapha (ein nahes Dorf) und ihre Casbah (Citadelle)... vorzüglich ihre Casbah....

– Alles sehr schön, Herr Tregomain, antwortete Juhel. Ich kenne aber doch etwas noch weit schöneres... nämlich Saint-Malo....

– Und das Haus in der Rue des Hautes-Salles, das hübsche Stübchen eine Treppe hoch... und das reizende Mägdelein darin. Bin ganz Deiner Ansicht, mein Junge! Doch da wir nun einmal durch Algierr müssen, so laß mir die Hoffnung, das auch besuchen zu können!«

Ganz in dieser Hoffnung schwelgend, begab sich der Frachtschiffer mit seinem jungen Freunde nach dem Hôtel Thagaste zurück. Es war die höchste Zeit. Schon wurden die Pferde angeschirrt. Meister Antifer lief hin und her und schimpfte auf die Nachzügler, obgleich diese gar nicht zu spät eintrafen.

Gildas Tregomain ließ vor dem wüthenden Blicke, der ihn traf, den Kopf sinken. Gleich darauf hatten alle ihre Plätze wieder eingenommen und der Wagen schwankte die steilen Abhänge von Sukhara hinunter.

Es blieb nur zu bedauern, daß dem Frachtschiffer keine Gelegenheit geboten war, das tunesische Land eingehender zu besichtigen. Wie malerisch erheben sich hier die – fast Berge zu nennenden – Hügel, wie reizend nehmen sich die Waldschluchten aus, die die spätere Bahnlinie zu vielfachen Krümmungen nöthigen dürften! Durch das üppige Grün treten dazu mächtige Felsmassen hervor, da und dort liegen volkreiche Duars, neben denen man in der Nacht große, zur Abwehr von Raubthieren unterhaltene Feuer auflodern sieht.

Gildas Tregomain erzählte gern von dem, was der Kutscher ihm mittheilte, denn er plauderte mit dem wackern Manne, so oft es sich thun ließ.

In einem Jahre wurden in den Dickichten hier nicht weniger als vierzig Löwen erlegt, Panther gleich zu Hunderten, und die heulenden Schakale zählte man gleich gar nicht mehr. Wie man sich denken kann, blieb Saonk, der von der Sprache scheinbar ja nichts verstand, bei diesen Schauerberichten ganz gleichgiltig, und Meister Antifer fürchtete sich vor den tunesischen Panthern und Löwen auch nicht. Ja. wenn's deren auf seinem Eiland Nummer Zwei auch Millionen gab, wär' er noch keinen Fuß breit zurückgewichen.

Der Notar auf der einen und der Banquier auf der andern Seite schrieben sich aber, was Gildas Tregomain erzählte, weislich hinters Ohr. Wenn Zambuco zuweilen, bei einem scheuen Blick durch das Wagenfenster, die Stirn runzelte, so hauchte Ben Omar, zitternd und bleich, in seiner Ecke zusammen, sobald[258] aus dem Gebüsch neben der Straße sich ein verdächtiges Heulen vernehmen ließ.

»Meiner Treu, plauderte Gildas Tregomain unbeirrt weiter, die Post ist hier sogar einmal wirklich überfallen worden, so daß man die Bestien mit Flintenschüssen abwehren mußte. Ja, in vergangner Nacht hat man selbst den Postwagen anzünden müssen, um eine Heerde Panther durch den Feuerschein zu verscheuchen.

– Nun, aber die Reisenden? fragte Ben Omar.

– O, die mußten bis zum nächsten Relais zu Fuß gehen, erklärte der Frachtschiffer.

– Zu Fuß! rief der Notar mit bebender Stimme. Ich... ich könnte nimmer...

– Da blieben Sie eben zurück, Herr Ben Omar, und wir... wir warteten natürlich nicht auf Sie!«

Wie man sich denken kann, kam diese herzlose, wenig beruhigende Antwort aus dem Munde des Meister Antifer. In andrer Weise betheiligte er sich an keinem Gespräche, und Ben Omar erkannte zu seinem Schrecken, daß er weder zum Reisen auf dem Lande, noch zu dem auf dem Wasser geschaffen sei.

Der Tag verging indeß, bis auf einiges, doch entferntes Raubthiergebrüll, ohne jede Störung. Gildas Tregomain überzeugte sich nur zu seinem Leidwesen. daß es vor dem Eintreffen in Bona schon ganz dunkel sein werde.

Wirklich war es bereits um sieben Uhr abends, als der Wagen, drei bis vier Kilometer vor der Stadt, nahe bei Hippone, erst an einer, durch den unvergeßlichen Namen des heiligen Augustin berühmten Stelle vorüberkam, wo viele Araber ihre Gebete und Hexereien abzuhalten und vorzunehmen pflegen. Einige zwanzig Jahre später hätte man hier die Grundsteine zu der Basilica und dem Hospital sehen können, die die mächtige Hand des Kardinal Lavigerie aus dem Boden aufsteigen ließ.

Kurz, tiefe Dunkelheit verhüllte ganz Bona, seine Strandpromenade vor den Wällen, seinen länglichen Hafen mit der an der Westseite weit hinausragenden Sandbank, das saftige Grün, das den Hintergrund des Quais bildet den modernen Stadttheil mit seinem großen Platze, aus dem sich jetzt eine Statue von Thiers im bronzenen Ueberrock erhebt, und endlich seine Casbah, die dem Frachtschiffer hätte einen Vorgeschmack von der Casbah von Algier geben können.

[259] Ja, den vortrefflichen Mann verfolgte das Unglück und er tröstete sich nur noch mit dem Gedanken, in der Hauptstadt des »Zweiten Frankreich« seine Revanche zu nehmen.

Die Reisenden begaben sich in ein Hôtel am Platze, speisten zu Abend und legten sich gegen neun Uhr schlafen, um zum Frühzuge bereit zu sein. Und diese Nacht, scheint es, fielen, durch eine sechzigstündige Wagenfahrt abgemattet, alle, sogar der schreckliche Antifer, in tiefen Schlummer.

6. Capitel
Sechstes Capitel.
Worin die Vorkommnisse aufgeführt sind, die die Bahnfahrt (??) von Bona nach Algier und die Schiffahrt von Algier nach Dakar bezeichneten.

Meister Antifer hatte auf eine von Bona nach Algier führende Eisenbahn gerechnet: er war freilich zwanzig Jahre zu zeitig gekommen. Am folgenden Morgen war er deshalb sehr verdutzt über die Antwort, die er vom Hôtelier auf seine bezügliche Frage erhielt.

»Was?... Es giebt keine Eisenbahn von Bona nach Algier? rief er auffahrend.

– Nein, mein Herr, doch in einigen Jahren wird sie in Betrieb sein, und wenn Sie zu warten belieben...«, sagte der drollige Gastwirth.

Ben Omar hätte nichts sehnlicher gewünscht. Denn nun hieß es jedenfalls wieder zur See gehen, um Verzögerungen zu vermeiden. Pierre-Servan-Malo dachte freilich ganz anders.

»Geht etwa ein Schiff bald ab? fragte er gebieterischen Tones.

– Ja... noch diesen Morgen.

– Nun also: eingeschifft!«

Um sechs Uhr des Morgens verließ schon Meister Antifer mit seiner kleinen, theils selbstgewählten, theils ihm aufgedrängten Gesellschaft den Hafen von Bona.

Bei dieser kurzen Fahrt von wenigen hundert Kilometern brauchen wir uns nicht aufzuhalten.

[260] Gildas Tregomain hätte es zwar vorgezogen, sie im Bahnwagen zurückzulegen, um die Landschaft, die Umgebung der späteren Bahnlinie, in Augenschein zu nehmen, doch er hoffte sich ja in Algier schadlos zu halten. Meister Antifer irrte sich, wenn er da ein nach Westafrika gleich segelfertiges Schiff zu finden glaubte, und dann würde er Gelegenheit haben, seine Geduld zu üben. Während dem konnte man die herrlichsten Spaziergänge in der Umgebung, vielleicht sogar bis Blidah am Affenflusse, ausführen. Von der Hebung des Schatzes hatte der Frachtschiffer persönlich doch nichts, so wollte er wenigstens eine reiche Sammlung von Andenken aus der algerischen Hauptstadt mit heimbringen.

Um acht Uhr am Abend ging das recht schnell laufende Dampfschiff im Hafen von Algier schon vor Anker.

Trotz ihres Sternenglanzes war die Nacht, selbst in der Märzwoche, in diesen Breiten noch recht finster. Schwarz hob sich nach Norden hin die verschwimmende Masse der Stadt, abgerundet durch den Hügel ihrer Casbah... der so ersehnten Casbah!... vom Himmel ab. Was Tregomain beim Betreten der Stadt er kennen konnte, beschränkte sich darauf, daß man eine am Quai ausmündende Treppe hinaufsteigen mußte, daß sie dann einen schön beleuchteten Platz, wo er gern etwas verweilt hätte, zur Linken lassend, diesem Quai folgten und schließlich nach einer Gruppe hoher Gebäude, die zusammen das Hôtel de l'Europe bildeten, gelangten, wo Antifer und seine Gefährten freundliche Aufnahme fanden.

Nachdem sie sich in ihre Zimmer – die Juhels und Tregomain's lagen nebeneinander – etwas zurecht gemacht, begaben sie sich zum Souper nach dem Speisesaal hinunter. Hier verweilten sie bis gegen neun Uhr, und da bis zum Abgange eines Dampfers Zeit genug übrig war, legten sie sich nieder, um am nächsten Morgen gestärkt und frisch eine Reihe Spaziergänge durch die Stadt zu beginnen.

Ehe Juhel aber sich zur Ruhe begab, wollte er noch an seine Verlobte schreiben Der Brief konnte dann schon am nächsten Morgen mit abgehen und nach kaum drei Tagen in den Händen der Adressatin sein. Freilich enthielt er für Enogate nichts besonders Interessantes, außer daß Juhel wüthend war über die Entwickelung der Dinge und daß er sie von ganzem Herzen liebte – das letztere in der That nichts neues für die hübsche Bretagnerin. Hier ist noch hervorzuheben, daß, wenn Saouk und Ben Omar, Gildas Tregomain und [261] Juhel ihre Zimmer aufsuchten, Antifer und Zambuco, die beiden Schwäger – so darf man sie nach Unterzeichnung jenes Ehecontractes wohl nennen – das Hôtel nach dem Abendessen noch einmal verließen. Dem Frachtschiffer und dem jungen Kapitän mußte das auffallen, Ben Omar und Nazim mochten sich darüber sogar beunruhigen – sehr wahrscheinlich hätte der Malouin aber gar nicht geantwortet, wenn man ihn hierüber gefragt hätte.

Daß die beiden Erben von dem Verlangen verführt worden wären, die malerischen Stadtviertel Algiers (im Finstern!) zu betrachten oder aus bloßer Neugier die Ben-Azumstraße und andre oder die noch menschenbelebten Quais zu besuchen, das war unwahrscheinlich und wurde von ihren Gefährten auch gar nicht vermuthet.

»Nun... was mögen sie dann vorhaben?...« sagte Gildas Tregomain.

Auf der Fahrt hierher hatten der junge Kapitän und die andern bereits bemerkt, daß Meister Antifer wiederholt aus seinem Stillschweigen erwacht war und mit dem Banquier heimliche Worte gewechselt hatte. Zambuco schien dabei das zu billigen, was der andre ihm zuflüsterte. Worüber hatten sie sich also geeinigt? – Dieses späte Ausgehen ließ doch wohl auf einen vorbedachten Plan schließen.... doch auf welchen?... Konnte man sich bei zwei so merkwürdigen Gesinnungsgenossen nicht auf das Unerwartetste gefaßt machen?

Nach einem mit Juhel gewechselten Händedrucke hatte sich der Frachtschiffer indeß nach seinem Zimmer begeben. Hier öffnete er vor dem Auskleiden noch das Fenster, um ein wenig die gute algerische Luft zu athmen. Bei dem milden Sternenscheine konnte er eine weite Fläche überblicken und sah da die Rhede bis zum Cap Matifu und auf dieser die Signallichter der Schiffe, die zum Theil vor Anker lagen, zum Theil noch mit der Abendbrise dem Hafen zusteuerten. Längs des Strandes schimmerten die Fischerboote mit ihren Fackeln. Näher im Hafen wirbelten dichte Rauchwolken aus den gleichzeitig Funken ausspeienden Schornsteinen der Dampfer hervor, die sich zur Abfahrt rüsteten.

Jenseit des Cap Matifu dehnte sich das weite Meer aus, bis zur Grenze des Horizonts von einem Kranze prächtiger Sternbilder besetzt, die wie ein Kunstfeuerwerk aufglänzten.

Nach der Nacht zu urtheilen, mußte der nächste Tag sehr schön werden und die Sonne sich – die letzten Sterne auslöschend – strahlend erheben.

»Welch eine Lust, dachte Gildas Tregomain, diese vornehme Stadt Algier zu besuchen, hier nach der verwünschten Reise von Mascat aus und ehe man [262] auf's neue nach einem Eiland Nummer Zwei »abgeschossen« wurde, einige Tage hübsch auszuruhen. Ich habe von dem Restaurant Moïse, an der Pescadespitze, reden hören. Warum sollten wir morgen nicht eine schmackhafte Mahlzeit bei diesem Moïse einnehmen?...«

Da donnerte es, eben schlug es zehn Uhr, kräftig an die Zimmerthür.

»Bist Du es, Juhel? fragte Gildas Tregomain.

– Nein... ich bin's, Antifer.

– Ich mache sofort auf, alter Freund.

– Unnöthig.... Ziehe Dich an und packe Deinen Reisesack!

– Meinen Reisesack?

– Wir fahren binnen vierzig Minuten weiter.

– In vierzig Minuten?...

– Und säume nicht, die Postdampfer haben nicht die Gewohnheit, zu warten. Ich werde Juhel benachrichtigen.«

Der verblüffte Frachtschiffer fragte sich, ob er denn nicht träume.... Nein, er hörte auch an Juhels Thür pochen, und die Stimme des Onkels, der dem Neffen befahl, sich schleunigst zu erheben. Darauf seufzten die Stufen der Treppe unter den Schritten des Mannes.

Juhel, der noch beim Briefschreiben war, setzte noch eine Zeile hinzu und meldete Enogate, daß sie alle Algier noch heute Abend verlassen würden. Deshalb waren Zambuco und Antifer also ausgegangen, sie wollten sich erkundigen, ob nicht ein Dampfer nach der Westküste Afrikas abging. Ganz unerwarteter Weise fanden sie ein Schiff, das bereits die Vorbereitungen zur Abfahrt traf. Sofort hatten sie Plätze an Bord belegt und Antifer beeilte sich nur noch, Juhel und Gildas Tregomain, der Banquier aber Ben Omar und Nazim Meldung zu machen.

Während der Frachtschiffer seine Sachen wieder einpackte, fühlte er sich aufs grausamste enttäuscht. Doch hier half kein Verhandeln. Der Herr hatte gesprochen – die andern mußten gehorchen.

Da trat Juhel schon in das Zimmer Gildas Tregomain's ein und sagte:

»Das hatten Sie doch nicht erwartet?...

– Nein, mein Junge, obwohl man sich von Deinem Onkel jeder Tollheit versehen darf. Und ich, ich hatte schon auf eine Promenade von achtundvierzig Stunden durch ganz Algier gerechnet.... Und der Hafen.. der Versuchs-Garten... die Casbah!

[263] – Ja, Herr Tregomain, es ist wahrlich das reine Pech, daß mein Onkel hier ein gleich segelfertiges Schiff treffen mußte.

– Gewiß... und schließlich setz' ich doch einmal auch meinen Kopf auf! rief der Frachtschiffer, der einmal seinem Ingrimm gegen den Freund Zügel schießen ließ.

– Ach, nein, Herr Tregomain, das thun Sie nicht, oder, wenn Sie es doch versuchten, so genügte es, daß mein Onkel, den Kiesel umherrollend, einen gewissen Blick auf Sie würfe....

– Hast Recht, lieber Juhel, antwortete Gildas Tregomain, der den Kopf sinken ließ.... Ich würde gehorchen.... Du kennst mich ja zu gut!... Schade ist's aber dennoch!... Das schöne Mittagsmahl, zu dem ich Euch nach dem Restaurant Moïse an der Pescadespitze führen wollte!...«

Vergebliches Wehklagen! Mit einem tiefen Seufzer beendigte der arme Mann seine Vorbereitungen. Zehn Minuten später fanden Juhel und er den Meister Antifer, den Banquier, Ben Omar und Nazim schon im Vorraum des Hôtels.

Auf den guten Empfang bei ihrer Ankunft folgten jetzt saure Mienen bei ihrem Weggang, wenn sie auch die Zimmer wie für vierundzwanzigstündige Benützung bezahlen mußten. Juhel warf seinen Brief in einem im Hause vorhandenen Briefkasten. Dann wanderten alle nach den Quais und stiegen die Treppe nach dem Hafen hinunter, während Gildas Tregomain einen letzten Blick über den noch hell erleuchteten Gouvernementsplatz schweifen ließ.

Eine halbe Kabellänge vom Ufer lag ein Dampfer vor Anker, dessen Kessel unter dem Drucke des angesammelten Dampfes hörbar erzitterte. Schwärzlicher Rauch wirbelte nach dem gestirnten Himmel empor. Ein betäubendes Pfeifen verrieth, daß der Dampfer sofort vom Lande abstoßen werde.

Ein an den Stufen des Quais liegendes Boot erwartete die Reisenden, um sie an Bord zu bringen. Meister Antifer und die Uebrigen stiegen hinein. Mit wenigen Ruderschlägen war das Schiff erreicht.


Schwärzlicher Rauch wirbelte nach dem gestirnten Himmel empor. (S. 264.)

Ehe Gildas Tregomain noch recht zu Verstande gekommen war, sah er sich in seine Cabine geführt, die er mit Juhel theilen sollte. Meister Antifer und Zambuco bewohnten eine zweite und Ben Omar und Nazim eine dritte Cabine.

Dieser Dampfer, der »Catalan«, gehörte der Vereinigten Frachtengesellschaft von Marseille. Zum regelmäßigen Dienst an der Westküste Afrikas nach Saint-Louis und nach Dakar bestimmt, lief er auch Zwischenhäfen an, um [264] [267]Passagiere aufzunehmen und abzusetzen oder Waaren zu löschen und zu laden. Ziemlich gut ausgerüstet und eingerichtet, legte er zehn bis zwölf Knoten in der Stunde, also genug für seine Zwecke, zurück.

Eine Viertelstunde nach dem Eintreffen des Meister Antifer zerriß der Ton der Heulpfeife zum letzten Male die Luft. Dann wurden die Taue losgeworfen, der »Catalan« erzitterte leise, als seine Schraube sich zu drehen anfing und die Wasserfläche mit Schaum bedeckte; er glitt zwischen den weiter draußen liegenden Fahrzeugen hin und an den großen Frachtdampfern vorüber, die auf ihrer Stelle eingeschlafen schienen, folgte dem Canal zwischen der Festung und den Molen, gelangte damit ins freie Meer und schlug nun einen Cours nach Westen ein.

Da zeigte sich eine verschwommene Gruppe von weißen Bauwerken; das ist die Casbah, von der der Frachtschiffer nur eine unbestimmte Silhouette zu sehen bekommen sollte. Vor dem klippenreichen Ufer streckte sich noch eine Landzunge hinaus, die Pescadespitze mit dem Restaurant Moïse darauf, wo man ein so vorzügliches Essen bereitete.

Das war auch alles, was Gildas Tregomain an Erinnerungen von seinem Aufenthalte in Algier mitnahm.

Kaum aus dem Hafen heraus, lag Ben Omar natürlich schon auf der Bank seiner Cabine von der elendesten Seekrankheit ergriffen. Und wenn er nun gar daran dachte, daß er nach dem bevorstehenden Besuche des Bassins von Guinea von da auch wieder nach Hause fahren mußte.... Doch, auf dem zweiten Eilande mußte ja der Schatz entdeckt werden, mußte seine schöne Provision ihm zufallen. Ja, wenn nur noch einer von der Gesellschaft sich ebenso schlecht befunden hätte wie er.... Doch nein, keiner fühlte auch nur das geringste Unwohlsein.... Er allein mußte leiden.... Er empfand nicht einmal den so menschlichen Trost, andre seine Leiden theilen zu sehen.

Die Passagiere des »Catalan« bestanden zum größten Theile aus Seeleuten, die sich nach den Häfen der Küste zurückbegaben, nebst verschiedenen Singalesen und einer kleinen Anzahl Marinesoldaten, die an das Seefahren schon gewöhnt waren. Alle sollten nach Dakar, wo der Dampfer seine Fracht zu löschen hatte. Unterwegs sollte also kein Aufenthalt stattfinden. Meister Antifer konnte sich wahrhaftig Glück wünschen, gerade an Bord des »Catalan« gekommen zu sein. In Dakar angelangt, hatte man freilich das Ziel noch nicht erreicht, eine Bemerkung, die Zambuco wiederholt laut werden ließ.

[267] »Zugegeben, antwortete er, ich hatte aber niemals darauf gerechnet, einen Dampfer von Algier nach Dakar so schnell zu finden, und sind wir nur erst an letzterem Orte, so wird sich das weitere schon finden.«

Andres war natürlich nicht zu erfahren. Immerhin fürchteten die beiden Schwäger, daß jener letzte Theil der Reise ihnen noch rechte Verlegenheiten bereiten würde.

Während der Nacht folgte der »Catalan« der Küste in zwei bis drei Seemeilen Entfernung. Dabei zeigte sich das Leuchtfeuer von Temy, auch konnte man die dunkle Masse des Weißen Vorgebirges unklar erkennen. Im Laufe des nächsten Vormittags erschienen dann die Höhen von Oran, und eine Stunde später umschiffte der Dampfer das Vorgebirge, an dessen Rückseite sich die Rhede von Mers-el-Kebir ausdehnt.

Weiterhin lag nach Backbord die Küste von Marokko mit den entfernten Bergkämmen, die die wildreiche Landschaft des Riff beherrschen. Am Horizonte erschien Tetuan in hellem Sonnenschein, und wenige Meilen im Westen Ceuta auf einem Felsen zwischen zwei Buchten, wie ein Fort, das den einen Flügel des Thores zum Mittelmeere regiert, während der Schlüssel zum andern in den Händen Englands ist. Jenseit der Meerenge erglänzte endlich die endlose Fläche des Atlantischen Oceans.

Vom marokkanischen Ufer stiegen bewaldete Gipfel empor. Jenseit Tanger, das hinter einer Windung seines Golfes liegt, schimmerten Villas durch das Baumgrün und leuchteten Marabuts so hell, daß es einem die Augen blendete. Auf dem Meere standen viele Segler in Erwartung geeigneten Windes, um in die Meerenge von Gibraltar einlaufen zu können.

Der »Catalan« hatte solche Verzögerungen nicht zu fürchten. Weder Wind noch Strömung, die man an ihrem eigenthümlichen Anschlag an die Küste erkannte, konnten gegen die mächtige Schraube aufkommen, und abends gegen neun Uhr wühlte diese mit ihren drei Blättern das Wasser des Atlantischen Oceans auf.

Der Frachtschiffer und Juhel plauderten auf dem Oberdeck, ehe sie sich einige Stunden der Ruhe gönnten. Natürlich kam ihnen der gleiche Gedanke, als der »Catalan«, nach Südwest steuernd, die äußerste Spitze Afrikas umschiffte – ein Gedanke des Bedauerns.

»Ja, mein Junge, begann Gildas Tregomain, es wäre viel hübscher gewesen, von der Meerenge aus nach Steuerbord, statt nach Backbord zu fahren. Wir würden dann Frankreich wenigstens nicht die Schuhabsätze zukehren...

[268] – Um wer weiß wohin zu fahren, fiel Juhel ein.

– Ja, Sapperment, Juhel, ich habe auch Angst davor, erwiderte der Frachtschiffer. Doch besser, man trägt sein Leiden mit Geduld. Man kommt ja von überallher einmal zurück.... Selbst vom leibhaftigen Teufel! In wenigen Tagen werden wir in Dakar und von da aus im Busen von Guinea schwimmen....

– Wer weiß, ob wir in Dakar sofort ein Fahrzeug finden. Regelmäßige Schiffsverbindungen giebt es von dort aus nicht. Wir könnten leicht wochenlang aufgehalten werden, und wenn mein Onkel sich etwa einbildet...

– Er bildet sich ohne Zweifel alles ein!

– daß es ihm so leicht werden würde, sein Eiland Nummer Zwei zu erreichen, so täuscht er sich sehr. Wissen Sie, woran ich denke, Herr Tregomain?

– Nein, mein Junge, doch wenn Du mir's sagen willst...

– Ich denke, mein Großvater, Thomas Antifer, hätte diesen verteufelten Kamylk-Pascha ruhig auf der Klippe von Jaffa sitzen lassen sollen....

– Aber, Juhel, den armen Mann...

– Hätte er ihn dort gelassen, so hinterließ der Aegypter dem Retter nicht seine Millionen, und wäre das unterblieben, so brauchte mein Onkel diesen nicht nachzulaufen und Enogate wäre schon meine Frau!

– Das ist freilich wahr, meinte der Frachtschiffer. Wärst Du aber an der Stelle Deines Großvaters gewesen, Juhel, Du hättest dem armen Pascha auch das Leben gerettet. Da sieh, fuhr er fort und wies, um dem Gespräch eine andre Wendung zu geben, nach einem leuchtenden Punkt zur Linken, welches Leuchtfeuer ist denn das?

– Das ist das Licht vom Cap Spartel,« antwortete der junge Kapitän.

Es war in der That jener Leuchtthurm, der, auf der Westspitze des afrikanischen Festlandes aufragend und von den verschiedenen Seestaaten Europas unterhalten, seinen Schein am weitesten von der Küste über das Meer hinauswirft.

Von der Fahrt des »Catalan« ist nichts weiter zu berichten. Er wurde von der Witterung auffallend begünstigt. Bei andauerndem Landwind konnte er der Küste stets in geringer Entfernung folgen. Das Meer erhob sich nur in glatten Wellen, und es gehörte die große Empfindlichkeit eines Ben Omar dazu, um bei so schönem Wetter irgendwie zu leiden.

Die ganze Küste blieb in Sicht, die Höhen von Meklnez, von Mogador, der Berg Thesal, der seine Umgebung um tausend Meter überragt, Tarudant und das Vorgebirge Dschuby, mit dem die marokkanische Küste abschließt.

[269] Gildas Tregomain hatte nicht die Genugthuung, die Canarischen Inseln zu sehen, denn der »Catalan« kam einige fünfzig Meilen von Fuerteventura, der nächsten der Gruppe, vorüber. Dagegen konnte er das Cap Bojador begrüßen, ehe er den Wendekreis des Krebses passierte.

Das Weiße Vorgebirge wurde am Nachmittage des zweiten Mai gepeilt, dann sah man am nächsten Morgen Portendik und endlich die Ufer von Senegal sich vor den Blicken der Reisenden ausbreiten.

Wie gesagt, wollten alle Passagiere nach Dakar, so daß der »Catalan« keine Unsache hatte, in Saint-Louis, dem Regierungssitze dieser französischen Colonie, einzulaufen.

Dakar scheint indeß eine größere maritime Bedeutung zu haben als Saint-Louis. Die meisten überseeischen Dampfer, die den Dienst auf der Linie von Rio de Janeiro in Brasilien und von Buenos-Ayres in der Republik Argentina versehen, gehen hier vor Anker, ehe sie über den Aequator steuern. Höchst wahrscheinlich fand Meister Antifer in Dakar also nachher Transportmittel, um nach Loango zu gelangen.

Endlich am 5. umschiffte der »Catalan« das berühmte Cap des Grünen Vorgebirges, das in derselben Breite wie die gleichnamigen Inseln liegt. Er kam um die dreieckige Halbinsel herum, die von der äußersten Spitze des afrikanischen Festlandes wie eine Flagge nach dem Atlantischen Meer hinaushängt, und der Hafen von Dakar erschien im hintern Winkel der Halbinsel, nach einer Fahrt von achthundert Lieues von dem, von Gildas Tregomain so bedauerten Algier.

Dakar ist zwar französisches Land, das dem Senegalgebiet Frankreichs gehört – und doch, wie fern, wie fern von Frankreich!

7. Capitel
Siebentes Capitel.
Worin verschiedene Ereignisse und Zwischenfälle erzählt werden, die die Reisenden zwischen Dakar und Loango erlebten.

Niemals hätte Gildas Tregomain es sich träumen lassen, daß einst der Tag kommen sollte, wo er mit Juhel auf den Quais von Dakar, dieser alten [270] Hauptstadt der goreanischen Republik, lustwandeln würde. Und doch geschah das an diesem Tage, als er den von zweifachen Granitmauern geschützten Hafen besuchte, während sich Antifer und der Banquier Zambuco, zwei ebenso Unzertrennliche wie Ben Omar und Saouk, nach der französischen Seeagentur begaben.

Ein ganzer Tag reicht übrig aus, die Stadt zu besichtigen. Sie bietet keinerlei Merkwürdigkeiten... einen hübschen öffentlichen Garten, eine Citadelle, die der Besatzung als Kaserne dient, und die Bel-Air-Spitze mit dem Krankenhaus für Seeleute, die vom Gelben Fieber befallen wurden. Wenn unsre Reisenden mehrere Tage in diesem Bezirke, der Gorea als Regierungssitz und Dakar als Hauptstadt hat, blieben, so mußte ihnen die Zeit gehörig lang werden.

Gildas Tregomain und Juhel sagten sich jedoch, daß es hier gelte, gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Inzwischen schlenderten sie über die Quais und durch die sonnigen Straßen der Stadt dahin, die hier von Strafgefangenen in ziemlich gutem Stande erhalten werden.

Am meisten interessierten sie natürlich die Schiffe, diese »Stücke von sich selbst«, die Frankreich von Bordeaux nach Rio de Janeiro entsandte – jene Packetboote der Messageries impériales, wie sie 1862 noch hießen. Dakar war damals kein so wichtiger Platz wie heute, obwohl der Handelswerth von Senegal sich schon auf fünfundzwanzig Millionen Francs belief. Es zählte nur neuntausend Einwohner, eine Bevölkerung, die jedoch in Folge verschiedener Hafenmeliorationsarbeiten im Wachsen war.

Wenn der Frachtschiffer jener Zeit z.B. mit den M'Bambaras-Negern keine Bekanntschaft gemacht hatte, so wäre ihm das jetzt sehr leicht gewesen, denn nun wimmelt es in den Straßen Dakars von diesen Eingebornen. Dank ihrem Temperament, ihrem dicken Schädel und krausen Wollhaar können sie der Gluth der Tropensonne ungestraft Trotz bieten. Gildas Tregomain freilich hatte nicht umhin gekonnt, das bekannte großkarrierte Taschentuch als Sonnenschirm über seinen Kopf zu breiten.

»Herr, mein Gott, ist das eine Hitze! rief er. Nein, ich bin wahrhaftig nicht für die Tropen geschaffen!

– Das ist jetzt noch gar nichts, Herr Tregomain, antwortete Juhel, wenn wir erst mitten drin im Busen von Guinea sind, so ein paar Grade unterhalb des Aequators...

– Dann zerschmelz' ich, das steht fest, seufzte der Frachtschiffer, dann bring' ich nur noch Haut und Knochen mit nach Hause!... Na, übrigens, setzte [271] er mit seinem gutmüthigen Lächeln und das von Schweiß triefende Gesicht abwischend hinzu, weniger kann man ja nicht gut mit heimbringen, nicht wahr?

– O, Sie sind auch schon recht abgemagert, Herr Tregomain, bemerkte der junge Kapitän.

– Findest Du das?... Pah, ich habe ja Zeit, ehe ein Skelet aus mir wird! Meiner Ansicht nach ist es sogar besser, mager zu sein, wenn man nach Gegenden geht, wo die Leute sich von Menschenfleisch nähren.... Giebt es denn Cannibalen da an der Küste von Guinea?

– Nicht mehr, das hoff' ich wenigstens, antwortete Juhel.

– Nun, mein Junge, da wollen wir die Kerle jedenfalls durch unsre Wohlgenährtheit nicht noch lüsterner machen. Und – wer weiß? – vielleicht müssen wir nach dem Eiland Nummer Zwei noch eins Nummer Drei in Ländern aufsuchen, wo man sich gegenseitig aufißt....

– Wie in Australien und auf den pacifischen Inseln, Herr Tregomain.

– Ja, wo die Einwohner Anthropophagen sind!«

Er hätte auch »Philantrophagen« sagen können, der würdige Frachtschiffer, wenn er im Stande gewesen wäre, dieses Wort zu erfinden, denn in jenen Ländern verzehrt man seinesgleichen aus reiner Leckerei.

Daß sich der Meister Antifer von seiner tollen Millionensucht aber auch noch bis dorthin jagen ließe, war ja nicht wohl anzunehmen. Jedenfalls wollten sein Freund und sein Neffe ihm dann nicht mehr folgen und ihn – müßte er dazu auch in ein Irrenhaus gesperrt werden – verhindern, eine solche Fahrt zu unternehmen.

Als Tregomain und Juhel ins Hôtel zurückkamen, trafen sie Meister Antifer und den Banquier daselbst an.

Der französische Agent hatte seinen Landsmann freundlichst empfangen. Als letzterer aber fragte, ob sich in Dakar wohl ein nach den Häfen von Loango abgehendes Schiff vorfände, erhielt er eine recht entmuthigende Antwort. Packetboote, die diesen Dienst versehen, verkehren sehr unregelmäßig und laufen Dakar nur einmal monatlich an. Wohl besteht ein wöchentlicher Verkehr zwischen Sierra Leone und Grand-Bassam, von da nach Loango ist's aber noch recht weit. Vor Ablauf von acht Tagen sollte das erste Packetboot in Dakar nicht eintreffen. Welches Unglück! Acht Tage lang in diesem Flecken am Zügel zu kauen! Und der müßte auch noch aus bestgehärtetem Stahle sein um den Zähnen Pierre-Servan-Malos, die jetzt tagtäglich einen Kiesel zermalmten, Widerstand[272] zu leisten. – An Kieselsteinen fehlt es an der Küste Afrikas ja nicht, und Meister Antifer konnte seinen Vorrath daran leicht erneuern.


»Herr mein Gott, ist das eine Hitze!« (S. 271.)

Wir müssen wahrheitsgemäß anerkennen, daß eine Woche in Dakar lang, sehr lang ist. Die Spaziergänge am Hafen, die Ausflüge bis zu dem sumpfigen Gewässer, das östlich von der Stadt abfließt, bieten dem Touristen kaum für einen Tag genug Abwechslung. Hier heißt's also, sich mit der Geduld zu wappnen, die nur eine glückliche Philosophie verleihen kann. Mit Ausnahme Gildas Tregomain's aber, der sich nach dieser Seite hervorthat, waren der reizbare Malouin[273] und die andern Persönlichkeiten, die er mit sich herumschleppte, alle weder Geduldsmuster noch Philosophen. Wenn sie Kamylk-Pascha segneten, von ihm zu Erben eingesetzt zu sein, so verwünschten sie ihn wegen der Schrulle, seinen Nachlaß in so weiter Ferne verscharrt zu haben. Es war ja schon zu viel, bis zum Golf von Oman gegangen zu sein, und jetzt sollten sie gar bis zum Busen von Guinea hinunter! Hätte der Aegypter denn nicht auch ein anständiges, recht verstecktes Inselchen in europäischen Meeren aussuchen können? Im Mittelmeere, in der Ost- und Nordsee, dem Schwarzen Meere und längs der oceanischen Küstenstrecken giebt es doch wahrlich genug solche, die sich zum Panzergeldschrank vortrefflich eignen. Der Pascha hatte sich mit einem wahren Luxus von Vorsichtsmaßregeln umgürtet. Indeß, was da war, das war einmal, und ohne die ganze Sache aufzugeben.... Aufzugeben? O, der wäre schön angekommen, der dem Meister Antifer, dem Banquier Zambuco und selbst dem von der Faust des jähzornigen Saouk gefesselten Notar einen derartigen Vorschlag zu machen gewagt hätte!

Das gemeinschaftliche Band, das alle diese verschiedenen Personen verknüpfte, lockerte sich aber sichtlich. Es gab jetzt drei wohlgeschiedene Gruppen: die Gruppe Antifer-Zambuco, die Omar-Saouk und die Gruppe Juhel-Tregomain. Diese lebten getrennt, sahen sich nur zu den Stunden der Mahlzeiten, wichen sich unterwegs aus und sprachen von der großen Angelegenheit unter einander niemals. Sie beschränkten sich auf Duette, die zu keinem Schluß-Sextett zu verschmelzen versprachen – das übrigens auch nur zur entsetzlichen Kakophonie geworden wäre.

Die erste Gruppe: Juhel-Tregomain. Man kennt das gewöhnliche Thema ihrer Gespräche: die unbestimmte Verlängerung der Reise, die räumlich zunehmende Trennung der beiden Verlobten, die Furcht, daß der Lohn für alle Mühen und Beschwerden auf eine Mystification hinauslaufen werde, der Gemüthszustand ihres Onkels und Freundes, dessen Aufregung mit jedem Tage wuchs und seinen Verstand bedrohte. Lauter Ursachen des Kummers für den Frachtschiffer und den jungen Kapitän, die sich darein gefügt hatten, jenem nicht entgegenzutreten und ihm bis ans Ende zu folgen.

Zweite Gruppe: Antifer-Zambuco. Welch merkwürdige Studie hätten die beiden zukünftigen Schwäger der Beobachtung eines Moralisten geboten! Der Eine, bisher anspruchslos ein ruhiges Leben in seiner ruhigen Provinz führend, erfüllt von der natürlichen Philosophie des pensionierten Seemannes, und jetzt[274] eine Beute der sacra fames nach Gold, den Kopf verwirrt durch jenes Spiegelbild von Millionen, das seine Augen blendete! Der Andre, schon vorher steinreich, und doch nur darauf versessen, Schätze auf Schätze zu häufen, so daß er sich sogar solchen Mühseligkeiten, ja solchen Gefahren aussetzte, nur um seine Reichthümer zu vermehren!

»Acht Tage lang in diesem Loche zu schimmeln! wetterte Meister Antifer, und wer weiß, ob das verwünschte Packetboot dann nicht gar eine Verspätung hat.

– Und obendrein, setzte der Banquier hinzu, will's das Unglück, daß es uns auch nur bis Loango befördert, von wo aus wir noch an die fünfzig Lieues bis zur Ma-Yumbabai haben!

– Ach, um das Eckchen Weg kümmr' ich mich nicht! versetzte der wüthende Malouin.

– Wir werden uns aber darum kümmern müssen, bemerkte Zambuco.

– Gut... später... zum Kuckuck!... Man läßt den Anker nicht fallen, ehe man über der richtigen Stelle ist! Erst wollen wir nach Loango kommen, dann wird sich das weitere schon finden.

– Vielleicht könnte man den Kapitän des Packetbootes bestimmen, den Hafen von Ma-Yumba anzulaufen... das würde ihn nur wenig aus seiner Route bringen.

– Ich zweifle, daß er darauf eingeht, weil ihm das nicht erlaubt sein wird.

– Wenn wir ihm für den kleinen Umweg eine anständige Entschädigung bieten... meinte der Banquier.

– Das werden wir ja sehen, Zambuco; doch Sie haben immer den Kopf voller Dinge, die mir zunächst sehr gleichgiltig sind. Jetzt handelt sich's darum. nach Loango zu kommen, von dort werden wir schon – tausend Bomben und Kanonen! – nach Ma-Yumba zu gelangen wissen! Wir haben ja Beine, und wenn von Dakar nicht anders wegzukommen ist, na, da geht's eben längs der Küste hin....

– Zu Fuß?...

– Natürlich zu Fuß.«

Er plapperte das so hin, der Pierre-Servan-Malo. An die Gefahren, die Hindernisse an die Unmöglichkeit einer solchen Wanderung dachte er nicht. Achthundert Lieues durch Liberia und die Elfenbeinküste, durch das Aschantiland, Dahomey und Groß-Bassam hinzuziehen! Nein, er mußte sich wohl sehr glücklich schätzen, allen da unvermeidlichen Gefahren durch die Reise auf einem [275] Packetboote entgehen zu können. Keiner, der ihn auf einem solchen Landmarsche begleitet hätte, wäre davon zurückgekehrt und Fräulein Talisma Zambuco hätte in ihrem Hause auf Malta das Eintreffen ihres allzu waghalsigen Freiers vergeblich erwartet!

Sie mußten sich also auf das Packetboot verlassen, wenn das auch erst nach acht Tagen erscheinen sollte. Freilich würden ihnen die Stunden in Dakar recht langweilig dahinschleichen.

Ganz anders klang das Gespräch des Paares Saouk-Omar. Nicht etwa, daß der Sohn Murad's minder ungeduldig gewesen wäre, nach dem Eiland zu kommen und den Schatz Kamylk-Paschas zu heben. Bewahre! Er überlegte nur, zum Schrecken Ben Omar's, wie er die beiden Erben zu seinen Gunsten berauben könne. Nach dem unmöglichen Versuche in Mascat, wollte er das jetzt in gleicher Weise durch gedungene Schurken auf dem Rückwege von Ma-Yumba nach Loango ausführen. Unter den Landeseingebornen oder den Schmugglern der Factoreien fand er gewiß Leute, die zu allem fähig waren, selbst Blut zu vergießen, und die gegen ein gutes Stück Geld für seinen verbrecherischen Zweck zu haben sein mußten.

Diese Aussicht erschreckte den zaghaften Ben Omar, wenn auch nicht in Folge übermäßigen Zartgefühls, so doch aus Furcht, in eine böse Geschichte mit hineingezogen zu werden – und das ließ ihm keinen Augenblick Ruhe.

Er wagte darauf hin auch eine schüchterne Einwendung zu machen und versicherte, Meister Antifer und seine Gefährten seien die Leute dazu, ihr Leben theuer zu verkaufen. Er hob hervor, daß sich Saouk trotz guter Bezahlung auf die von ihm ermietheten Schurken doch nicht verlassen könne, daß sie früher oder später schwatzen würden, daß der Ueberfall bekannt werden müsse, da die Wahrheit ja endlich einmal, selbst z.B. dann ans Licht komme, wenn Forschungsreisende tief drin in unbekanntem Lande ermordet worden wären. Alles das bezog sich, wie man sieht, nicht auf das Verbrecherische des Vorhabens selbst, sondern war nur von der Furcht vor dem Entdecktwerden eingegeben – dem einzigen Grunde, der Saouk vielleicht zurückhalten konnte.

Diesen rührte das jedoch gar nicht. Er hatte ja schon andre Dinge gesehen und selbst mit ausgeführt, und mit einem Blicke, der dem Notar das Mark erfrieren machte, antwortete er:

»Ich kenne nur einen Schwachkopf, der mich verrathen könnte!

– Und der wäre, Excellenz?...

[276] – Du, Ben Omar!

– Ich?

– Ja. Doch nimm Dich in Acht, ich habe ein gutes Mittel, den Leuten den Mund zu stopfen!«

An allen Gliedern zitternd, ließ Ben Omar den Kopf sinken. Er wußte ja, daß es Saouk auf einen Cadaver mehr oder weniger auf der Straße von Ma-Yumba nach Loango gewiß nicht ankam.

Das erwartete Packetboot ging am Morgen des 12. Mai im Hafen von Dakar vor Anker. Es war die »Cintra«, ein portugiesischer Dampfer für Personen- und Güterbeförderung nach San Paolo de Loanda, jener wichtigen lusitanischen Colonie im tropischen Afrika. Dieses lief Loango regelmäßig an, und da es früh am nächsten Morgen weiter fuhr, beeilten sich unsre Reisenden, darauf Plätze zu erhalten. Bei seiner mittleren Geschwindigkeit von neun bis zehn Meilen sollte die Ueberfahrt eine Woche dauern, während der sich Ben Omar schon wieder der jämmerlichsten Seekrankheit versah.

Nach der Landung einiger Passagiere verließ die »Cintra« am folgenden Morgen den Hafen bei schönstem Wetter und mäßigem Landwinde. Meister Antifer und der Banquier stießen einen mächtigen Seufzer der Befriedigung aus, als ob ihre Lungen eine Woche lang unthätig gewesen wären. Das war ja ihre letzte Fahrstrecke, ehe sie den Fuß auf das Eiland Nummer Zwei setzten und die Hand auf die von diesem treubewahrten Schätze legten. Die Anziehung, die jenes Eiland auf sie ausübte, wurde nach Naturgesetz und umgekehrt mit dem Quadrate der Entfernung immer stärker. Und mit jeder Drehung der Schraube der »Cintra« verminderte sich diese immer mehr... immer mehr....

Leider vergrößerte sie sich aber für Juhel... er kam immer weiter weg von Frankreich, von der Bretagne, wo Enogate trauerte. Er hatte ihr gleich nach der Ankunft in und kurz vor der Abfahrt von Dakar geschrieben, und das arme Kind mußte also erfahren, daß ihr Verlobter sich immer noch weiter von ihr entfernte. und dazu war er nicht einmal in der Lage, den wahrscheinlichen Zeitpunkt seiner Rückkehr zu bestimmen!

Zunächst hatte Saouk zu erfahren gesucht, ob die »Cintra« etwa Passagiere nach Loango hätte. Vielleicht fand er unter Abenteurern mit weitem Gewissen, die ihr Glück in entlegnem Lande suchten, solche, die außer ihrer Bekanntschaft mit diesem geeignet gewesen wären, seine Spießgesellen zu spielen. Hierin hatte Seine Excellenz sich getäuscht. Er mußte seine Wahl also erst in Loango [277] treffen. Zum Unglück kannte er die portugiesische Sprache ebenso wenig, wie Ben Omar. Das war hinderlich, wenn es darauf ankommt, delicate Geschäfte zu behandeln, bei denen man sich unbedingt klar und deutlich aussprechen können mußte. Auch die Uebrigen sahen sich auf den Verkehr nur unter einander beschränkt, da wiederum niemand an Bord französisch sprach.

Nur einer, dessen Verwunderung seiner Befriedigung gleich kam, war hier: der Notar Ben Omar. Es wäre übertrieben, zu behaupten, daß er sich auf der »Cintra« gar nicht unwohl gefühlt hätte, jedenfalls blieben ihm aber die früheren ärgeren Leiden erspart. Die Fahrt verlief unter den günstigsten Umständen. Das Meer blieb ruhig längs der Küste, der die »Cintra« in zwei- bis dreimeiliger Entfernung folgte. Kaum machte sich eine leichte Dünung vom hohen Meere her fühlbar.

Das blieb auch ebenso, als das Packetboot das Cap Palmas an der äußersten Spitze des Busens von Guinea umschiffte. Wie es häufiger beobachtet wird, folgte der Wind der Gestaltung der Küste, und der Golf erwies sich jetzt ebenso freundlich, wie vorher der Ocean, obwohl der »Cintra« beim Course auf Loango die Anhöhen des Landes außer Sicht kamen. So erblickte man nichts vom Aschantilande oder von Dahomey, nicht einmal den Kamerunberg, der sich hinter der Insel Fernando-Po und an der Grenze Ober-Guineas auf dreitausendneunhundertsechzig Meter Höhe erhebt.

Am Nachmittage des 19. Mai erlebte Gildas Tregomain eine gewisse Aufregung. Juhel hatte ihm gesagt, daß er nun den Aequator überschreiten werde. Zum ersten und ohne Zweifel auch zum letzten Male sollte der Exkapitän der »Charmante Amélie« also nach der südlichen Halbkugel der Erde kommen. Welch ein Abenteuer, er, der Schiffer von der Rance! So opferte er denn, dem Beispiele aller Mitreisenden folgend, ohne großes Bedauern ebenfalls seinen Piaster als Willkomm zu Ehren der Passage der Linie.

Mit Sonnenaufgang am nächsten Morgen befand sich die »Cintra«in der Breite der Ma-Yumbabai und etwa hundert Meilen davon entfernt. Wenn der Kapitän des Packetbootes sich nur dazu verstanden hätte, diesen zum Staate Loango gehörigen Hafen anzulaufen, hätte er dem Meister Antifer und den Seinen viele Mühen und Fährlichkeiten ersparen können. Das würde sie eines sehr beschwerlichen Zuges längs der Küste hin enthoben haben.

Auf Betreiben seines Oheims sachte Juhel auch den Kapitän, der nothdürftig englisch sprach, hierfür zu gewinnen. Er stellte ihm vor, daß der Umweg [278] dahin seine Reisedauer kaum um achtundvierzig Stunden verlängern würde... man wünsche auch nichts mehr, als für diese Verzögerung zu bezahlen und die Rheder der »Cintra« nach allen Seiten hin schadlos zu halten u.s.w.

Der Kapitän verstand wohl, was Juhel von ihm wünschte, vor allem als dieser sein Anliegen durch eine Erklärung mittelst der Karte des Golfes von Guinea unterstützte, und es erschien ja so einfach, ein halbes Dutzend Reisende in Ma-Yumba abzusetzen, Leute, die für diese Gefälligkeit reichlich bezahlen wollten.

Und doch schlug der Kapitän das Verlangen ab. Ein Sclave des Schiffreglements, war er verpflichtet, nach Loango zu dampfen, und dabei mußte es bleiben – von Loango ging er dann nach San Paolo de Loanda – doch nirgends anders hin, und hätte man ihm das Gewicht seines Fahrzeuges in Gold angeboten. So lautete seine Antwort, die Juhel dem Meister Antifer übersetzte.

Natürlich brauste dieser, unter einem Schwall von Schimpfreden auf den Kapitän, gehörig auf. Das half alles nichts. Ja, ohne das Dazwischentreten Gildas Tregomain's und Juhels wäre Meister Antifer als Rebell für den Rest der Fahrt beinahe noch in den untern Laderaum eingesperrt worden.

So kam es denn, daß die »Cintra« am übernächsten Tage, am Abend des 21. Mai, vor den langen Sandbänken stoppte, die die Küste von Loango schützen, mittelst der Schaluppe die Passagiere landete und drei Stunden später nach San Paolo de Loanda, der Hauptstadt der portugiesischen Colonie, weiter dampfte.

8. Capitel
Achtes Capitel.
Worin gezeigt wird, daß es nicht gerathen ist, eine gewisse Art Passagiere an Bord eines afrikanischen Küstenschiffes aufzunehmen.

Am folgenden Tag unterhielten sich im Schatten eines gewaltigen Baobab zwei Männer mit großer Lebhaftigkeit. Die Hauptstraße von Loango hinausgehend hatten sie sich durch großen Zufall getroffen und einander verwundert angesehen.

[279] Da rief der eine:

»Du... hier?

– Ja... ich!« hatte der zweite geantwortet.

Auf einen Wink des ersteren, der Saouk war, war ihm der zweite, ein Portugiese, namens Barroso, vor die Stadt hinaus gefolgt.

Wenn Saouk nicht die Muttersprache Barroso's beherrschte, so war dieser doch der Seiner Excellenz völlig mächtig, da er lange Zeit in Aegypten gelebt hatte. Man sieht, es waren zwei alte Bekannte. Barroso gehörte früher zu der Rotte von Uebelthätern, die Saouk unterhielt, als er auf allerlei Raub ausging und von der Polizei des Vicekönigs, Dank dem Einflusse seines Vaters Murad, des Neffen Kamylk-Paschas, sehr wenig belästigt wurde. Nach einigen Greuelthaten, die denn doch nicht ungeahndet bleiben konnten, war Barroso verschwunden. Zunächst nach Portugal, wo er seine verbrecherischen Gelüste zügeln mußte, heimgekehrt, hatte er Lissabon verlassen, um in einer Factorei von Loango Beschäftigung zu suchen. Jener Zeit beschränkte sich der, durch die Unterdrückung der Sclavenausfuhr fast vernichtete Handel der Colonie auf die Verfrachtung von Elfenbein, Palmenöl, Arachiden und Acajouholz.

Jetzt befehligte der Portugiese, der schon früher zur See gefahren war, ein verhältnißmäßig großes Küstenfahrzeug, die »Portalegre«, die für Rechnung der Händler im Lande hier- und dorthin segelte.

Barroso, ein Mann mit solchem Vorleben, einem Gewissen, das keine Scrupel kannte, einer Kühnheit, die er sich bei seinem früheren »Berufe« erwarb, war ganz der Mann, den Saouk brauchte, um seinen teuflischen Plan durchzuführen. Am Fuße des Baobab stehend, dessen Stamm zwanzig Männer kaum umspannen konnten – doch was war das gegen die berühmte Banane von Mascat? – konnten sie, ohne die Befürchtung, gehört zu werden, von einer, die Sicherheit des Meister Antifer und seiner Begleiter arg bedrohenden Sache sprechen. Nachdem sich die beiden ihren Lebenslauf kurz mitgetheilt, ging Seine Excellenz ohne Umschweife auf sein Ziel los. Hütete sich Saouk dabei auch klüglich, Barroso den hohen Werth des Schatzes zu verrathen, so reizte er doch dessen Habgier durch den Köder, daß hier ein hübsches Geld zu verdienen sei.

»Indeß, setzte er hinzu, da brauch' ich als Unterstützung einen entschlossenen, muthigen Mann....


Es handelt sich darum, vier Männer verschwinden zu lassen.« (S. 281.)

– Sie kennen mich, Excellenz, antwortete der Portugiese, und wissen, daß ich vor keiner Aufgabe zurückschrecke.

[280] – Wenn Du Dich nicht verändert hast, Barroso....

– Nein, bestimmt nicht!

– So wisse denn, daß es sich darum handelt, vier Männer verschwinden zu lassen vielleicht auch einen fünften, wenn es mir rathsam erscheint, mich eines gewissen Ben Omar zu entledigen, für dessen Schreiber, namens Nazim, ich hier gelte.

– Einen mehr oder weniger, darauf kommt's nicht an! versicherte Barroso.

[281] – Dem braucht man auch nur das Lebenslicht auszublasen, so kräht kein Hahn mehr nach ihm.

– Wie wollen Sie die Sache anstellen?

– So höre meinen Plan, antwortete Saouk, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ihn niemand belauschen konnte. Die Leute, um die es sich handelt, drei Franzosen, der Malouin Antifer, sein Freund und sein Neffe, ferner ein tunesischer Banquier namens Zambuco, sind nach Loango gekommen, um von einem Schatze Besitz zu ergreifen, der auf einem Eiland des Busens von Guinea verborgen ist....

– Wo?... Wo denn? forschte Barroso lebhaft.

– Im Gewässer der Bai von Ma-Yumba, erwiderte der Aegypter. Sie beabsichtigen, bis zu diesem Orte zu Lande längs der Küste hinzuziehen, und ich dachte, man könnte sie überfallen, wenn sie mit ihren Schätzen nach Loango zurückkehren, um hier das Packetboot von San Paolo zu erwarten, das sie nach Dakar zurückführen soll.

– Nichts leichter als das, Excellenz! rief Barroso. Ich verpflichte mich, ein Dutzend ehrbarer Abenteurer aufzutreiben, die immer nach einem guten Geschäfte lungern und sofort bereit sein werden, Ihnen – natürlich für einen bestimmten, anständigen Preis – zu Diensten zu sein.

– Daran hab' ich nicht gezweifelt, Barroso, und in diesem öden Lande muß der Streich wohl gelingen.

– Gewiß, Excellenz, doch hab' ich Ihnen etwas vortheilhafteres vorzuschlagen.

– So sprich.

– Ich befehlige hier ein Küstenschiff von hundertfünfzig Tonnen, die »Portalegre«, das gewöhnlich Waaren von einem Hafen zum andern befördert. Mein Schiff soll binnen zwei Tagen gerade nach Baracka du Gabon, etwas nördlich von Ma-Yumba, abgehen.

– Ei, rief Saouk, das ist ein Glücksumstand, den wir ausnützen müssen! Der Meister Antifer wird sich beeilen, an Bord Deines Schiffes zu gehen, um die Mühen und Gefahren einer Fußtour am Ufer hin zu vermeiden. Du setzest uns da in Ma-Yumba ab, schaffst Deine Fracht nach Gabon und holst uns bei der Rückfahrt ab. Dann, während wir wieder nach Loango segeln...

– Einverstanden, Excellenz!

– Wie viel Mann hast Du an Bord?

[282] – Zwölf.

– Bist Du ihrer sicher?

– Wie meiner selbst.

– Was schaffst Du nach Gabon?

– Eine Ladung Arachiden und außerdem sechs, von einem Handlungshause in Baracka gekaufte Elephanten, die dieses nach einer holländischen Menagerie befördern soll.

– Du sprichst wohl nicht französisch, Barroso?

– Nein, Excellenz....

– So vergiß auch nicht, daß ich hier dafür gelte, das weder zu sprechen, noch zu verstehen. Ich werde deshalb auch Ben Omar beauftragen, den Malouin wegen der Reise auf Deinem Schiffe fragen zu lassen; er geht ohne Zweifel ohne Zögern darauf ein.«

Daran war in der That nicht zu zweifeln, und so gewann es den Anschein, als ob die beiden Erben und die übrigen auf der Rückfahrt durch den Busen von Guinea für immer verschwinden sollten.

Das Verbrechen hätte auch niemand verhindern, und niemand die Uebelthäter zur Rechenschaft ziehen können.

Loango steht nicht unter portugiesischer Herrschaft, wie Angola und Benguela. Es ist eines der damals noch unabhängigen Königreiche des Congobeckens zwischen dem Gabon im Norden und dem Zaïre im Süden. Jener Zeit erkannten die eingebornen Könige vom Cap Lopez bis zum Zaïre die Oberherrschaft des Souveräns von Loango an und zahlten an ihn Tribut, meist in Gestalt von Sclaven – wie die von Cassange, Tomba Libolo und verschiedene Vasallen, die nur sehr kleine Gebiete regieren. An Rangstufen in dieser Negergesellschaft giebt es: zuerst die des Königs nebst Familie, dann die der Prinzen von Geblüt, d. h. die, die von einer Prinzessin geboren sind, welche ihnen allein ihren Rang übererben kann, ferner die Gatten der Prinzessinnen, die suzerän sind, weiter die der Priester und Fetische oder »Yangas«, deren erster, Chitome, göttliche Verehrung genießt, endlich die der Zwischenhändler, der Kaufleute u.s.w., d. h. die des eigentlichen Volkes.

Sclaven giebt es genug, eigentlich zu viele. Jetzt werden sie in Folge des europäischen Vertrages über die Abschaffung dieses Handels zwar nicht mehr nach auswärts verkauft, die Fürsorge für Menschenwürde und Freiheit war es aber wohl nicht, die zu jener Maßregel gedrängt hat. Das war wenigstens [283] nicht die Ansicht Gildas Tregomain's, der sich als guter Menschenkenner erwies, als er sagte:

»Wäre nicht der Rübenzucker erfunden worden und servierte man noch heute nur Rohrzucker zum Kaffee, so würde der Sclavenhandel wohl noch jetzt und für alle Zeit fortbestehen!«

Erfreute sich der König von Loango aber auch völliger Unabhängigkeit, so folgt daraus nicht, daß die Landwege genügend überwacht und die Reisenden gegen jede Gefahr geschützt gewesen wären. Entschieden hätte man ein günstigeres Land oder ein geeigneteres Meer zur Ausführung eines Verbrechens gar nicht finden können.

Solche Gedanken gingen auch Juhel durch den Kopf, wenigstens so weit es das Landgebiet anging. Sein halb geistesabwesender Onkel beunruhigte sich darum zwar gar nicht, Juhel sah aber der zweihundert Kilometer langen Wanderung längs der Küste bis Ma-Yumba mit großer Besorgniß entgegen und sprach sich gegen den Frachtschiffer auch darüber aus.

»Ja, was willst Du, mein Junge, meinte dieser, der Wein ist abgezapft, nun muß er auch getrunken werden!

– Von Mascat nach Sohar, bemerkte Juhel, war es hiergegen nur ein Spaziergang, und dazu befanden wir uns dort auch noch in guter Gesellschaft.

– Nun, Juhel, könnten wir nicht in Loango eine Karawane aus Eingebornen bilden?

– Diesen Mohrenköpfen trau' ich ebensoviel wie den Hyänen, Panthern, Leoparden und Löwen ihres Landes.

– O, hier giebt's so viele Raubthiere?...

– In Ueberfluß, ohne die Lentas, das sind sehr giftige Vipern, die Cobras zu zählen, die einem ihren Speichel ins Gesicht spritzen, und ohne die zehn Meter langen Boas...

– Eine hübsche Gegend, mein Junge! Wahrlich, einen bessern Platz hätte der vortreffliche Pascha nicht auswählen können. Und die Eingebornen...

– Sind ziemlich beschränkt, wie alle Congolesen, aber doch gescheut genug, um zu stehlen, zu rauben und die Narren zu ermorden, die sich in diese abscheuliche Gegend wagen.«

Bei diesen Besorgnissen Juhels, die auch Tregomain theilte, empfanden sie es als eine wirkliche Erleichterung, als Saouk durch Vermittlung Ben Omar's dem Meister Antifer und dem tunesischen Banquier jenen Portugiesen Barroso [284] vorstellen ließ; das versprach, sie unendlichen Mühen und großen Gefahren zu entheben. Da Juhel doch kaum argwöhnen konnte, daß die beiden Schurken von früher her bekannt waren, erweckte das Angebot in ihm keinerlei Verdacht. Die Hauptsache blieb doch, daß die kleine Gesellschaft zu Wasser und – bei der herrschenden schönen Witterung – binnen zwei Tagen nach Ma-Yumba kommen sollte. Barroso wäre dann nach Baracka gesegelt, hätte sie mit dem Schatze später wieder abgeholt, nach Loango zurückbefördert, und von dort brachte sie endlich das nächste Packetboot nach Marseille.... Nein, günstiger hatten sich die Verhältnisse für Pierre-Servan-Malo niemals gestalten können, wenn für das Küstenschiff auch ein guter Preis zu zahlen war.

Zwei Tage mußten sie in Loango warten, bis das halbe Dutzend aus dem Binnenlande kommender Elephanten an Bord der »Portalegre« geschafft war. Gildas Tregomain – der sich überall zu unterrichten suchte – und Juhel spazierten inzwischen durch den Flecken, die »Banga«, wie die Congolesen sagen.

Loango oder Buala, die alte Stadt mit einem Umfange von etwa viereinhalb Kilometer, ist inmitten eines Palmenwaldes erbaut. Sie besteht nur aus einer Anzahl Factoreien, die von »Chirubeks«, das sind aus Raphiastengeln errichtete und mit Papyrusblättern überdachte Hütten, umgeben sind. Alle Handelsvölker haben hier ihre Comptoire. Doch wie viel neues gab's hier für den Frachtschiffer! Die Bretonen an der Rance ähneln kaum den halbnackten, mit Bögen, hölzernen Säbeln und gekrümmten Beilen bewaffneten Eingebornen von Loango. Der in einer alten, lächerlichen Uniform steckende König erinnert nur sehr entfernt an den würdigen Präfecten von Ille-et-Villaine. Die Ortschaften zwischen Saint-Malo und Dinan zeigen keine von riesigen Cocospalmen beschatteten Hütten. Endlich pflegen die Malouins keine Vielweiberei, wie die faulen Congolesen, die alle schweren Arbeiten den Frauen überlassen und sich hinlegen. wenn jene erkrankt sind. Der Boden der Bretagne kommt freilich dem von Loango nicht gleich. Hier genügt es, das Ackerland oberflächlich umzuwenden, um die reichsten Ernten zu erzielen, den »Manfrigo«, eine Riesenhirse mit bis zu einem Kilogramm schweren Aeren, den »Holcus«, der ohne jede Nachhilfe gedeiht, den »Luco«, der zur Brodbereitung dient, den Mais, der jährlich drei Ernten liefert, den Reis, die Pataten, den Maniac, den »Tamba«, eine Art Pastinaken, die »Isanguis« oder Linsen, den Tabak, in sumpfigen Gegenden das Zuckerrohr und in der Nachbarschaft des Zaïre den Wein, der einst von den Canarien und von Madeira aus hier eingeführt wurde, die Feigen,[285] die Bananen, die »Mambrochas« oder Orangen, die Citronen, Granatäpfel, die »Cudes«, das sind Früchte in der Form von Tannenzapfen, die eine mehlige Substanz enthalten, die »Neubanzams«, eine Art bei den Negern sehr beliebter Nüßchen, und die Ananas, die ganz wild wachsen.

Und dann die ungeheuern Bäume, die Wurzelträger (Leuchterbäume), die Santelbäume, Cedern, Tamarinden, Palmen, die vielen Baobabs, von denen man eine vegetabilische Seife und ein von den Negern sehr begehrtes Fruchtmark gewinnt.

Dazu die bunte Menge von Thieren, von Schweinen, Ebern, Zebras, Büffeln, Ziegen, Gazellen, Antilopenheerden, von Elephanten, Mardern, Zobeln, Schakalen, Unzen (das sind kleine Panther), Stachelschweinen, fliegenden Eichhörnchen, wilden Katzen, Tigerkatzen, ohne die unzähligen Arten von Affen, Schimpansen und kleinen »Löwenäffchen« mit langem Schwanze und bläulichem Gesicht, von Straußen, Pfauen, Krammetsvögeln, grauen und rothen Rebhühnern, eßbaren Heuschrecken, Bienen, endlich von Muskitos, »Canzos«, und von Schnaken und von Mücken mehr, als man sich wünschte. Ein erstaunliches Land, und aus welch unerschöpflicher Quelle hätte Gildas Tregomain schöpfen können, wäre es ihm vergönnt gewesen, hier Naturgeschichte zu studieren!

Man kann getrost behaupten, daß weder Meister Antifer noch der Banquier Zambuco hätte sagen können, ob Loango von Weißen oder von Schwarzen bevölkert sei. Ihre Augen blickten ganz anderswo hin. Sie suchten in der Ferne, mehr im Norden, eine unsichtbare Stelle, einen ganz einzigen Punkt der Erde, eine Art ungeheuern Diamanten mit verzauberndem Glanze, der Tausende von Karats wog und Millionen von Francs werth war. Ach, wie drängte es sie, den Fuß auf dieses Eiland Nummer Zwei zu setzen, auf das endliche Ziel ihrer abenteuerlichen Reise!

Am 22. Mai war das Fahrzeug mit Sonnenaufgang zum Absegeln fertig. Die am Abend vorher eingetroffenen Elephanten waren mit der so großen Herren schuldigen Sorgfalt eingeschifft worden. Prächtige Thiere, die einem Circus Renz Ehre gemacht hätten. Natürlich waren sie im Laderaume des breiten Schiffes untergebracht worden.

Vielleicht war es etwas unklug, ein Fahrzeug von nur hundertfünfzig Tonnen mit solchen Massen zu belasten, die sein Gleichgewicht in Gefahr bringen konnten. Juhel äußerte sich in diesem Sinne auch gegen den Frachtschiffer. Das Küstenschiff war jedoch ziemlich breit gebaut und hatte nur geringen Tiefgang, um [286] auch über seichtes Wasser ans Land gehen zu können. Es trug zwei weit von einander abstehende Masten mit viereckigen Segeln, denn ein Fahrzeug dieser Art kommt nur bei Rückenwind gut vorwärts, und wenn es nicht schnell läuft, so ist es wenigstens so construiert, um angesichts der Küste sicher zu segeln.

Jetzt war überdies das Wetter sehr schön. In Loango, wie in ganz Guinea, beginnt die Regenzeit im September und endigt bei aufspringenden Nordwestwinden etwa Mitte Mai. Wenn es dann bis zum September schön bleibt, so herrscht dafür eine unerträgliche, auch durch den reichlichen Thau der Nacht kaum gemilderte Hitze. Seit ihrer Einschiffung schmolzen unsre Reisenden sozusagen zusammen. Ueber vierunddreißig Centigrade im Schatten! Nach manchen, freilich nicht recht glaubwürdigen Berichterstattern, die mit dem seligen Münchhausen verwandt sein mochten, sollen die Hunde hier zu Lande immer gezwungen sein zu springen, um sich an dem glühenden Boden nicht die Pfoten zu verbrennen, auch fände man hier zuweilen Eber gleich gesotten in ihrer Bucht. Gildas Tregomain war nahe daran, solche Geschichtchen für baare Münze hinzunehmen.....

Gegen acht Uhr früh ging die »Portalegre« unter Segel. Passagiere, Menschen und Elephanten, waren vollzählig da, immer die bekannten Gruppierungen: Meister Antifer und Zambuco, mehr als je hypnotisiert von jenem Eiland Nummer Zwei, bei dessen Signalisierung durch den Ausguck ihnen gewiß ein schwerer Stein vom Herzen fiel; Gildas Tregomain und Juhel, von denen der eine die Meere Afrikas um des bretonischen Gewässers und des Hafens von Saint-Malo willen vergaß, und der andre nichts andres zu thun hatte, als sich durch Einathmung der Brise zu erfrischen, und Saouk und Barroso, die mit einander plauderten, was ja nicht auffallen konnte, da sie die gleiche Sprache sprachen und das Fahrzeug dem Meister Antifer nur in Folge ihres Zusammentreffens zur Verfügung gestellt worden war.

Die Mannschaft bestand aus einem halben Dutzend Kerlen von mehr oder weniger portugiesischem, doch jedenfalls abschreckendem Aussehen. Bemerkte das der in seine Gedanken versunkene Onkel auch nicht, so theilte doch der Neffe den Eindruck den jene auf ihn machten, dem Frachtschiffer mit.


Eine unerschöpfliche Quelle, aus der Gildas Tregomain Naturgeschichte hätte studieren können. (S. 286.)

Dieser meinte, bei einer solchen Hitze sei es gewagt, die Leute nach der äußern Erscheinung zu beurtheilen, und wenn sich's um ein afrikanisches Fahrzeug handle, dürfe man nicht so hohe Ansprüche machen.


Die Panther und Löwen, die durch das Dickicht trotteten. (S. 291.)

Bei dem eben wehenden Winde mußte die Fahrt längs der Küste herrlich werden. Portentosa Africa! würde Gildas [287] Tregomain gerufen haben, wenn er das pompöse Epitheton gekannt hätte, mit dem einst die Römer diesen Erdtheil begrüßten. Wahrlich, wäre ihr Geist nicht ganz wo anders gewesen, so müßten Meister Antifer und seine Gefährten, als sie z.B. an der Factorei Chilln vorüberkamen, die Naturschönheiten dieser Küste rückhaltlos bewundert haben. Der Frachtschiffer allein sah sich um wie Einer. der Erinnerungen von seiner Reise mit nach Hause bringen will. Was hätte man sich aber auch Entzückenderes vorstellen können, als diese Reihe tiefgrüner Wälder auf den ersten Bodenwellen, da und dort überragt von prächtigen Berghöhen, [288] [291]den »Strauch«, um die weiter landeinwärts zarte Dunstschleier wogten. Von Meile zu Meile zeigt das Ufer Einschnitte, um einer Wasserader aus dichten Waldmassen, unter denen selbst die Tropensonne sie nicht auszutrocknen vermag, den Austritt zu gestatten. Das ganze Wasser derselben gelangt freilich nicht bis zum Meere. Zahlreiche Vögel, Pfauen, Strauße, Pelikane und Taucherenten, die hier umherschwärmen, trinken manchen Tropfen davon weg. Daneben kommen ganze Heerden schlanker Antilopen heran und große Gesellschaften von »Empolangas« (Elennthiere vom Cap) löschen ihren Durst aus den Flüssen. Dort wälzen sich darin wieder ungeheure Dickhäuter herum, die gleich eine Tonne des klaren Wassers verschlucken können, plumpe Flußpferde, die von weitem röthlichen Schweinen ähneln und deren Fleisch von den Eingebornen, wie es scheint, nicht verachtet wird.

Gildas Tregomain bemerkte auch gegen Meister Antifer, neben dem er auf dem Verdeck stand:

»Gelt, alter Freund, solche Hyppopotamussüße mit Erbsbrei... könnte Dich das nicht locken?«

Pierre-Servan-Malo begnügte sich mit einem Achselzucken und warf dem Frachtschiffer einen jener Blicke zu, die gar nichts sagen.

»Er versteht mich schon nicht mehr!« murmelte Gildas Tregomain, dessen Taschentuch ihm als Fächer diente.

Am Rande der Küste bemerkte man auch Affengesellschaften, die heulend und zähnefletschend von Baum zu Baum sprangen, wenn sich die »Portalegre« ihnen einmal mehr näherte.

Um die genannten Vögel und Thiere hätten sich unsre Reisenden bei einer Fußwanderung von Loango nach Ma-Yumba gewiß keine Sorge gemacht. Eine ernsthafte Gefahr aber bilden die Panther und Löwen, die da und dort durch das Dickicht trotteten – wunderbar geschmeidige Thiere, denen zu begegnen nicht rathsam ist. Gegen Abend drang das heisere Gebrüll, das verdächtige Bellen bei sonstiger auffallender Stille wie das Grollen fernen Sturmes bis zum Schiffe herüber. Die Elephanten im Raume wurden dadurch unruhig und trampelten herum, daß der ganze Rippenbau der »Portalegre« erzitterte. Entschieden bildeten sie eine etwas beunruhigende Fracht für die Passagiere.

Vier Tage gingen in dieser Weise hin. Nichts unterbrach die Einförmigkeit der Ueberfahrt. Das Meer lag bei dem Prachtwetter so glatt da, daß selbst Ben Omar kein Unwohlsein verspürte. Kein Rollen, kein Stampfen und [291] obwohl in der Tiefe schwer belastet, folgte die »Portalegre« kaum den langen Hebungen und Senkungen des Wassers, die als leichte Brandung über das Ufer ausliefen.

Der Frachtschiffer hätte nimmer geglaubt, daß eine Fahrt auf dem Meere so friedlichstill verlaufen könnte.

»Das kommt einem ja vor, als wäre man auf der »Charmante Amélie« zwischen den Ufern der Rance, sagte er zu seinem jungen Freunde.

– Jawohl, erwiderte Juhel, doch mit dem Unterschiede, daß auf der »Amélie« kein Kapitän wie dieser Barroso und kein Passagier wie dieser Nazim war, dessen Intimität mit dem Portugiesen mir mehr und mehr verdächtig erscheint.

– Ach, was sollten sie denn besondres ausklügeln, mein Junge? antwortete Gildas Tregomain. Das wäre etwas spät, denn nun müssen wir doch bald am Ziele sein.«

Als am 27. Mai mit Sonnenaufgang das Cap Banda umschifft war, befand sich das Fahrzeug in der That nur noch zwanzig Meilen von Ma-Yumba. Das erfuhr Juhel durch Vermittelung Ben Omar's, der es selbst von Saouk hörte, welcher Barroso darum gefragt hatte.

Am Abend sollte man also in dem kleinen Hafen des Loangostaates eintreffen. Schon wich die Küste hinter der Matootispitze zurück und bildete eine breite Bai, in deren Hintergrunde die Ortschaft selbst sich versteckt. Wenn das Eiland Nummer Zwei existierte, wenn es die nach der letzten Angabe berechnete Stelle einnahm, so mußte man es in dieser Bai aufsuchen.

Meister Antifer und Zambuco starrten schon unausgesetzt durch ihr Fernrohr, dessen Ocular sie immer und immer wieder abputzten.

Leider hatte sich der Wind fast ganz gelegt. Das Fahrzeug kam höchstens noch zwei Knoten in der Stunde vorwärts.

Gegen ein Uhr war die Matootispitze umschifft. Ein Freudenschrei an Bord! Die zukünftigen Schwäger hatten gleichzeitig eine Reihe Inselchen in der Bai entdeckt. Gewiß gehörte das von ihnen gesuchte zu diesen Eilanden. Doch welches war es? Das sollte morgen durch eine Sonnenbeobachtung festgestellt werden.

Fünf bis sechs Meilen östlich erschien Ma-Yumba auf seiner Sandspitze zwischen dem Meere und dem Sumpfe von Banya, mit seinen Factoreien und blendend weißen Häusern zwischen den Bäumen. Am Strande glitten einige [292] Fischerbarken gleich großen weißen Vögeln umher. Doch welche Ruhe herrschte in dieser Bai! Ein Boot hätte nicht regungsloser auf einem See – was sagen wir? – auf einem Teiche oder einer Fläche Oel liegen können. Der Widerschein der fast senkecht herabschießenden Sonnenstrahlen zitterte in der warmen Luft. Gildas Tregomain »rieselte« wie ein Springbrunnen in einem königlichen Park, wenn alle Künste spielen.

Die »Portalegre« kam, Dank einigen schwachen Windstößen aus Westen, näher heran. Die Eilande der Bai traten deutlicher hervor. Sechs oder sieben, schwammen sie gleich Blumenkörben auf dem Wasser.

Um sechs Uhr abends befand sich das Fahrzeug ihnen gegenüber. Meister Antifer und Zambuco wichen nicht mehr vom Vordertheile. Saouk, der sich etwas vergaß, konnte seine Ungeduld nicht mehr bezwingen und rechtfertigte durch sein Verhalten Juhels Verdacht nur noch weiter. Die drei Männer verschlangen das erste dieser Eilande geradezu mit den Augen, als erwarteten sie, aus seiner Seite eine Garbe von Millionen wie aus einem goldnen Krater hervorbrechen zu sehen.

Hätten sie freilich gewußt, daß das Eiland, in dessen Eingeweiden Kamylk-Pascha seinen Schatz verborgen hatte, aus nacktem, baum- und strauchlosem Felsgestein bestand, so würden sie jedenfalls gerufen haben:

»Nein!... Das hier ist es noch nicht!«

Seit 1831, d. h. im Laufe von einundreißig Jahren, konnte die Natur genanntes Eiland freilich längst mit dichtem Grün bedeckt haben.

Friedlich, die Segel vom leisen Abendwinde kaum geschwellt, glitt das Fahrzeug neben ihm hin, um seine Nordspitze zu umschiffen. Schlief die Brise ganz ein, so sah man sich genöthigt, Anker zu werfen und den Tag abzuwarten.

Da ließ sich plötzlich neben dem Frachtschiffer, der auf der Regeling des Steuerbords lehnte, ein klagendes Seufzen vernehmen.

Gildas Tregomain drehte sich um.

Das Seufzen rührte von Ben Omar her.

Der Notar ist bleich, bläulich im Gesicht, seine Lippen zucken... er ist seekrank.

Bei einem so ruhigen Wetter, so spiegelglatten Wasser?

Ja, und es ist fast kein Wunder zu nennen, daß das arme Männchen jämmerlich erkrankt ist.

[293] Das Fahrzeug ist nämlich in unangenehmes und ganz unerklärliches Rollen gekommen, d.h. es schwankt von einer Langseite zur andern fühlbar auf und ab.

Die Mannschaft rennt nach vorn... nach hinten. Der Kapitän Barroso läuft herzu.

»Was giebt es denn? fragt Juhel.

– Was ist denn los?« fragt Tregomain.

Handelt es sich um eine unterseeische Eruption, deren Stöße die »Portalegre« zum kentern zu bringen drohen?...

Doch weder Meister Antifer, noch Zambuco oder Saoukscheinen überhaupt etwas zu bemerken.

»Ah... die Elephanten!« ruft Juhel.

Richtig, die Elephanten waren's, die dieses Rollen erzeugten. Durch eine unerklärliche Laune sind sie darauf verfallen, sich abwechselnd auf die Vorder-und auf die Hinterbeine zu stellen. Dadurch bringen sie das Schiff in furchtbares Schwanken, das ihnen zu gefallen scheint, wie dem Eichhörnchen sein Rundlauf im Rollkäfig. Doch welche Eichhörnchen, diese riesigen Dickhäuter!

Das Rollen wird immer stärker, die Regeling taucht ins Wasser, das Fahrzeug droht sich einmal über Back- und dann wieder über Steuerbord mit Wasser anzufüllen....

Barroso stürzt mit einigen seiner Leute in den Laderaum. Sie versuchen die tollen Thiere zu beruhigen.

Vergebens. Den Rüssel schwingend, mit den Ohren klappend und mit dem Schweif wedelnd, schaukeln sich die Elephanten lustig weiter, die »Portalegre« rollt... rollt... rollt und das Wasser rauscht im Schwall über Bord.

Jetzt dauerte es nicht lange: Binnen zehn Minuten hatte das Meer den Laderaum gefüllt und das Küstenschiff sank unter, während allmählich das Geschrei der unklugen Rüsselthiere verstummte.

[294]
9. Capitel
Neuntes Capitel.
Worin Meister Antifer und Zambuco erklären, daß sie das ihnen als Zufluchtsstätte dienende Eiland vor gründlicher Durchsuchung desselben nicht verlassen werden.

»Endlich!... Nun hab' ich doch einmal Schiffbruch gelitten!« konnte der Exkapitän der »Charmante Amélie« am andern Morgen rufen.

Seit dem Vorabend und nach dem Versinken ihres Fahrzeuges auf den dreißig bis vierzig Meter tiefen Grund der Bai von Ma-Yumba, diente das Eiland, auf das sie zugefahren waren, den Schiffbrüchigen von der »Portalegre« als Zufluchtsort. Niemand war bei der so unerwarteten Katastrophe ums Leben gekommen. Einander unterstützend, wobei Meister Antifer den Banquier Zambuco und Saouk Ben Omar über Wasser hielt, hatten alle, eine kleine Strecke schwimmend, die Uferfelsen des Eilands glücklich erreicht. Nur die Elephanten waren in einem Elemente, wofür die Natur sie nicht geschaffen hat, kläglich umgekommen. Sie hatten sich ja eigentlich selbst ersäuft. Einen Küstenfahrer darf man nicht zur Wiege machen wollen.

Der erste Angstschrei, den Meister Antifer auf dem Eilande stehend ausstieß, war:

»Und unsre Instrumente... unsre Seekarten?...«


Sie versuchen die tollen Thiere zu beruhigen. (S. 294.)

Leider – und das war ein unersetzlicher Verlust – waren weder Sextant und Chronometer, noch Atlas und »Zeitablesungsbuch« gerettet worden. Das Unglück vollzog sich ja in wenigen Secunden. Zum Glück trugen der Banquier und der Notar einer- und der Frachtschiffer anderseits hinreichend Reisegeld im Gürtel so daß die Schiffbrüchigen wenigstens nach dieser Seite nicht in Verlegenheit kamen.


Die Schiffbrüchigen lagen rings um das Feuer. (S. 301.)

Gildas Tregomain hatte übrigens keine Schwierigkeit gehabt, sich über Wasser zu halten, da das durch sein Volumen verdrängte Wassergewicht das seines Körpers übertraf, und einfach dem leichten Wellengange nachgebend, war er, wie ein verirrter Wal, auf gelblichem Sande gestrandet.

[295] Sich zu trocknen, war hier ja leicht genug. Nachdem die Kleider eine halbe Stunde lang der Sonne ausgesetzt gewesen waren, konnte man sie rein »gedörrt« wieder anlegen.

Während der immerhin unangenehmen Nacht unter den Bäumen gab sich jeder seinen eignen Gedanken hin. Daß man sich in der Gegend befand, wo das im letzten Document genau bezeichnete Eiland lag, darüber konnte ja kein Zweifel aufkommen. Doch wie sollte man den mathematischen Punkt bestimmen, wo die Parallele 3°17' und der Meridian 7°23' östlich von Paris sich [296] [299]kreuzten, jetzt, wo Juhel, des Sextanten und des Chronometers beraubt, kein Besteck zu machen vermochte?

Je nach Charakter und innerem Bestreben sagte sich nun jede dieser Persönlichkeiten:

Zambuco:

»Das heißt aber im Hafen stranden.«

Meister Antifer:

»Ich weiche keinen Schritt, eh' ich nicht alle Eilande der Ma-Yumbabai abgesucht habe, und sollt' es zehn Jahre meines Lebens kosten!«

Saouk:

»Der Streich war so gut ausgedacht, und nun scheitert er an diesem albernen Schiffbruche!«

Barroso:

»Und meine Elephanten, die nicht versichert waren!«

Ben Omar:

»Allah beschütze uns! Das ist aber eine Provision, die mir theuer genug zu stehen gekommen ist, wenn ich sie überhaupt noch einstreiche!«

Juhel:

»Und jetzt soll mich nichts mehr abhalten, nach Europa zu meiner geliebten Enogate zurückzukehren!«

Gildas Tregomain:

»Nie darf man sich auf so eine Schute mit einer Ladung lustiger Elephanten einschiffen!«

In der Nacht kam es wenig zum schlafen; nicht daß die Schiffbrüchigen von Kälte zu leiden gehabt hätten, sie sorgten sich aber darum, wie sie am nächsten Morgen die Bedürfnisse des Magens befriedigen könnten, wenn die Bäume hier nicht gerade Früchte tragende Cocospalmen waren, die ihnen, mangels etwas besseren, einige Nahrung bieten konnten, bis sie nach Ma-Yumba selbst kamen. Doch wie konnten sie dahin gelangen, da diese Ortschaft noch über fünf Meilen von ihnen lag? – Nothsignale geben?... Würden diese bemerkt werden?... Fünf Meilen weit schwimmen?... Sollte das einem aus der Mannschaft der »Portalegre« möglich sein?... Nun, wenn erst der Tag graute, sollte Rath werden.

Nichts deutete darauf hin, daß das Eiland bewohnt wäre – natürlich von Menschen. An andern lärmenden, unbequemen, durch ihre Zahl vielleicht gar [299] gefährlichen lebenden Wesen fehlte es dagegen nicht. Gildas Tregomain meinte, hier müßten sich sämmtliche Affen der Erde ein Stelldichein gegeben haben. Man befand sich hier wirklich in der Hauptstadt des Königreiches Jockos... in Jockolien?

Und obgleich die Luft still war und die Brandung kaum hörbar ans Ufer schlug, hätten unsre Schiffbrüchigen doch nicht schlafen können, denn das Stillschweigen wurde plötzlich recht peinlich unterbrochen.

In den Bäumen entstand nämlich ein eigenthümliches Geräusch. Es klang wie Trommelwirbeln von congolesischen Soldaten. In den Aesten und Zweigen hörte man ein Hin- und Herspringen unter heiserem Geschrei von erschreckten Wachposten. Bei der nächtlichen Finsterniß war freilich nichts zu sehen.

Als der Tag kam, wurde man sich über die Sache klar. Das Eiland diente einem Volke von Vierhändern, großen Schimpansen, als Aufenthalt, von deren Streichen der Franzose du Chaitbu, als er auf sie Jagd machte, so mancherlei berichtet.

Und obgleich sie ihm den Schlummer raubten, konnte Gildas Tregomain nicht umhin, diesen prächtigen Vertretern der Anthropoïden seine Bewunderung zu zollen. Es waren das nämlich jene Jockos Buffon's, die da fähig sind, manche sonst nur der menschlichen Intelligenz vorbehaltene Arbeiten auszuführen, und die auch fast menschliche Hände haben. Dabei sind sie groß und stark, zeigen sehr wenig ausgeprägten Prognatismus des Schädels und haben fast normal geschwungene Augenbrauen. Das trommelähnliche Geräusch erzeugen sie dadurch, daß sie die Brust aufblasen und diese kräftig reiben.

Warum diese Bande von Affen – es mochten ihrer fünfzig sein – sich dieses Eiland zur Wohnung erwählt hatte, wie sie vom Festland aus hierher kamen und hinreichende Nahrung fanden... das mögen andre erklären. Wie Juhel sehr bald erkannte, war das zwei Meilen lange und eine Meile breite Eiland übrigens mit verschiedenen Arten, den Tropen gemeinschaftlicher Bäume bedeckt. Ohne Zweifel lieferten diese Bäume eßbare Früchte, was den Unterhalt der Vierhänder sicherte. Früchte, Wurzeln und Gemüse aber, die die Affen verzehren, mußten Menschen ebenfalls essen können. Darüber wollten sich Juhel, der Frachtschiffer und die Matrosen also zuerst Rechenschaft geben. Nach einem Schiffbruche, nach einer Nacht ohne Nahrung, ist es gestattet, Hunger zu haben und diesen, wenn möglich, zu befriedigen. Der Boden hier erzeugte, freilich im wilden Zustande, eine Menge solcher Früchte und Gemüse.

[300] Diese roh zu verzehren, ist nun nicht gerade ergötzlich, außer wenn man sich eines Affenmagens erfreut. Es ist aber nicht verboten, sie zu kochen, wenn man in der Lage ist, sich Feuer zu verschaffen.

Ist das nicht, wenn auch schwierig, so doch möglich, selbst ohne Streichhölzchen zur Hand zu haben? Zum Glück hatte Nazim jedoch seinen Vorrath an solchen in Loango erneuert und das Kupferetui, das sie enthielt, war im Innern nicht feucht geworden. Mit dem ersten Tagesscheine lohte unter den Bäumen denn auch ein lustiges Holzfeuer auf.

Die Schiffbrüchigen lagen rings um dasselbe. Meister Antifer und Zambuco grollten und murrten wie bisher. Der Zorn muß wohl nahrhaft sein, denn sie weigerten sich, an dem mehr als einfachen Frühstücke theilzunehmen, das aus einer Menge der kleinen Nüsse bestand, die bei den Bewohnern von Guinea sehr beliebt sind.

Die Schimpansen verzehren diese aber auch sehr gern, und sie sahen die Eindringlinge wahrscheinlich nicht mit freundlichem Auge an, diese Fremden, die ihre Vorräthe verminderten. Bald hatten sie, theils umherspringend, theils unbeweglich dasitzend, doch alle Grimassen schneidend, um Meister Antifer und seine Gefährten einen Kreis gebildet.

»Hier heißt's in Acht nehmen! bemerkte Juhel seinem Onkel. Diese Affen sind starke Burschen, uns an Zahl zehnfach überlegen, und wir sind ohne Waffen....«

Der Malouin machte sich um die Affen freilich keine Sorgen.

»Hast Recht, mein Junge, sagte der Frachtschiffer. Das sind Herren, die mir die Gebote der Gastfreundschaft nicht zu kennen scheinen, und ihre Haltung ist ziemlich bedrohlich....

– Hat es Gefahr für uns? fragte der ängstliche Ben Omar.

– Nun, ganz einfach die Gefahr, tüchtig durchgeprügelt werden,« antwortete Juhel ganz ernst.

Darauf hin wäre der Notar gern auf und davon gegangen... das war aber leider unmöglich.

Barroso hatte inzwischen seine Leute zur Abwehr eines etwaigen Angriffes aufgestellt. Dann trat er zu einem, scharf beobachteten Zwiegespräch mit Saouk etwas zur Seite.

Was sie besprachen, kann man sich ja denken. Saouk verhehlte nur schlecht seinen Verdruß darüber, daß dieser Schiffbruch den verabredeten Plan abermals zu zerstören drohe. So mußte ein andrer ausgeklügelt werden. Hier [301] in dem Gewässer des Eilandes Nummer Zwei mußte irgendwo der Schatz Kamylk-Paschas vergraben liegen. Was Saouk thun wollte, nachdem er sich des Franzosen und seiner Begleiter entledigt, das gedachte er mit Hilfe Barroso's und seiner Leute auszuführen. Obwohl der junge Kapitän keine Instrumente mehr zur Verfügung hatte, mußten die Angaben der letzten Notiz doch ausreichen, mit Aussicht auf Erfolg Nachsuchungen vorzunehmen, was Saouk nicht unterlassen wollte.

Alles das wurde zwischen den beiden, einander würdigen Schurken sorglich verabredet. Natürlich sollte Barroso für den Verlust seines Fahrzeugs und der Fracht desselben reichlich entschädigt werden.

Zunächst kam es darauf an, baldigst nach der Ortschaft Ma-Yumba zu gelangen. Vom Strande stießen eben einige Fischerboote ab, die deutlich zu sehen waren, da das nächste bald in der Entfernung von nur drei Meilen von dem Eiland vorüberkam. Bei dem schwachen Winde konnte es die Stelle des Lagers vor drei bis vier Stunden freilich nicht erreichen, dann sollten ihm Signale gegeben werden. Voraussichtlich verging der Tag also nicht, ehe die Schiffbrüchigen der »Portalegre« in einer der Factoreien des Fleckens untergebracht waren, wo sie sich einer gastfreundlichen Aufnahme versehen konnten.

»Juhel!... Juhel!«

Dieser Ausruf unterbrach plötzlich das Zwiegespräch Saouk's und des Portugiesen.

Er rührte von Meister Antifer her und ihm folgte als zweiter:

»Gildas!... Gildas!«

Der junge Kapitän und der Frachtschiffer, die nahe dem Strande weilten, um das Fischerboot im Auge zu behalten, liefen zu Meister Antifer hin.

Der Banquier Zambuco stand schon bei ihm und Ben Omar näherte sich eben auf einen Wink des Malouins.

Saouk, der Barroso jetzt wieder zu seinen Leuten gehen ließ, schlich sich langsam heran, um hören zu können, was gesprochen wurde. Da man ja glaubte, daß er französisch nicht verstand, konnte seine Gegenwart niemand beunruhigen.

»Juhel, begann Meister Antifer, höre mich wohl an, denn jetzt ist die Stunde gekommen, einen Beschluß zu fassen.«

Er sprach mit abgebrochener Stimme, wie ein Mann, der im höchsten Grade erregt ist.

[302] »Das letzte Document sagt, daß das Eiland Nummer Zwei in der Ma-Yumbabai liege. Nun... jetzt sind wir doch in dieser Bai, nicht wahr?

– Unzweifelhaft, lieber Onkel.

– Wir besitzen aber weder Sextant noch Chronometer mehr, weil der ungeschickte Tregomain, dem ich die Instrumente anvertraute, sie verloren hat.

– Aber... bester Freund... stammelte der Frachtschiffer.

– Ich wäre lieber ertrunken, als daß ich sie losgelassen hätte! unterbrach ihn herzlos Pierre-Servan-Malo.

– Ich auch! versicherte der Banquier.

– Wirklich... Herr Zambuco? erwiderte Gildas Tregomain etwas verächtlich.

– Nun, mit einem Worte, sie sind eben weg, fuhr Meister Antifer fort, und ohne diese Hilfsmittel wird es Dir, Juhel, unmöglich sein, die Lage des Eilands genau zu bestimmen?

– Leider ganz unmöglich, lieber Onkel, und meiner Ansicht nach ist es am klügsten, wir fahren in einem jener Boote nach Ma-Yumba, kehren zu Fuß nach Loango zurück und schiffen uns dort auf dem ersten Dampfer ein...

Das?... Nimmermehr!« platzte Meister Antifer dazwischen.

Und wie ein getreues Echo wiederholte der Banquier:

»Nimmermehr!«

Kopfschüttelnd wie ein Idiot sah Ben Omar einen nach dem andern an, während Saouk zuhörte, als ob er keine Silbe verstände.

»Ganz recht, Juhel; nach Ma-Yumba gehen wir, doch um dort zu bleiben und nicht nach Loango abzumarschieren. Wir bleiben da, so lange es erforderlich ist – verstehe mich recht – um die Eilande der Bai abzusuchen... alle... alle hintereinander.

– Wie, liebster Onkel?...

– Viele sind es ja nicht... fünf oder sechs... und wenn es Hunderte, wenn es Tausende wären, ich durchsuchte sie doch alle!

– Doch, lieber Onkel, das wäre unvernünftig...

– Höchst vernünftig ist es, Juhel! Eines davon enthält den Schatz... Das Document giebt auch die Himmelsgegend der Spitze an, wo er von Kamylk-Pascha vergraben wurde...

– Den der Kukuk holen möge! murmelte Gildas Tregomain.

– Mit gutem Willen und mit Geduld, fuhr Meister Antifer fort, werden wir die mit dem Doppel-K bezeichnete Stelle schon finden...

[303] – Und wenn wir sie doch nicht finden? fragte Juhel.

– Sag' so etwas nicht! rief Meister Antifer. Beim leibhaftigen Gotte, sage das nicht!«

In einem Anfalle unbeschreiblicher Wuth zerknackte er den Kiesel zwischen den Zähnen. Nie war der Mann einem Schlaganfalle näher gewesen.

Juhel glaubte gegen einen solchen Starrsinn nicht ankämpfen zu dürfen. Die Nachsuchungen, die doch zu nichts führen würden, konnten ja höchstens vierzehn Tage beanspruchen. War dann Meister Antifer überzeugt, daß er hier nichts zu hoffen hatte, so mußte er wohl oder übel der Heimfahrt nach Europa zustimmen. Deshalb antwortete Juhel:

»Halten wir uns fertig, jenes Fischerboot zu besteigen, sobald es hier ans Land stößt.

– Nicht eher, als bis wir dieses Eiland abgesucht haben, antwortete Meister Antifer; denn... nun ja... warum könnte das nicht das richtige sein?«

Das war doch am Ende logisch gedacht. Warum sollte der Zufall nicht getroffen haben, was sie aus Mangel an Sextant und Chronometer nicht zu bestimmen vermochten? Wenn dazu auch wenig Aussicht war, konnte die Glücksgöttin ihnen nach so viel Noth und Mühsal doch auch einmal lächeln wollen.

Juhel wagte keinen Einwand, und so war es das beste, jetzt keine Zeit zu verlieren. Das Eiland mußte durchsucht werden, ehe jenes Boot hier landete. War es erst nahe den Felsen, so konnte es den Leuten vom versunkenen Schiffe wohl einfallen, jenes gleich zu besteigen, um sich in Ma-Yumba durch Speise und Trank zu stärken. Ohne ihnen einen Grund dafür mitzutheilen, hätte man jene zu einer Verzögerung doch nicht bestimmen können. Und von dem Schatze Kamylk-Paschas durften sie doch auf keinen Fall etwas hören, sonst wäre das ganze Geheimniß preisgegeben gewesen.

Das ist ja richtig, und doch mußte es Barroso und dessen Leuten ja schon auffallen, wenn sich Meister Antifer und Zambuco, von Juhel und Gildas Tregomain, von dem Notar und von Nazim begleitet aufmachten, das Lager zu verlassen.


Meister Antifer und Zambuco hatten das Lager verlassen. (S. 306.)

Hierin lag eine ernste Schwierigkeit. Wenn der Schatz nun entdeckt wurde, wie würden sich jene Leute verhalten, wenn die drei Fässer mit dem Hundertmillionenwerthe ausgegraben wurden? Konnte das eine Rotte Abenteurer, die den Strick zum Henken kaum werth waren, nicht zu Gewaltthaten jeder Art verführen? Zweimal so zahlreich wie Meister Antifer und seine Begleiter, hätten sie diese [304] wohl bald überwältigt... mißhandelt... ermordet, und ihr Kapitän würde sie schwerlich zurückgehalten haben. Wahrscheinlich hätte er sie, in der Hoffnung auf den Löwenantheil von der Beute, dazu eher noch angefeuert.

Den Meister Antifer freilich zu bestimmen, nur mit größter Vorsicht zu Werke zu gehen, ihm begreiflich zu machen, daß es besser sei, einige Tage zu verlieren, erst mit der Mannschaft von der »Portalegre« nach Ma-Yumba zu gehen sich dort häuslich einzurichten und nachher, wenn man diese verdächtigen Gesellen los war, nach dem Eiland in besonders dazu gemiethetem Boote zurückzukehren – [305] das war kein so leichtes Ding. Juhels Onkel weigerte sich voraussichtlich doch, Vernunft anzunehmen... ihn konnte nichts vermögen, das Eiland ohne eine Untersuchung desselben zu verlassen... ihn hielt keine Ueberlegung zurück....

Der gute Frachtschiffer wurde auch rücksichtslos davongejagt, als er sich ähnliche Bemerkungen erlaubte, auf die sein unlenksamer Freund einfach mit dem Rufe: »Also vorwärts!« antwortete.

»Aber ich bitte Dich...

– Ach was, bleib wo Du willst... ich brauche Dich nicht...

– Nur ein wenig Klugheit...

– Komm, Juhel!«

Der junge Mann mußte gehorchen.

Meister Antifer und Zambuco hatten das Lager verlassen. Gildas Tregomain und Juhel rüsteten sich, ihnen zu folgen. Die Schiffsmannschaft legte ihnen kein Hinderniß in den Weg. Auch Barroso schien sich nicht darum zu bekümmern, weshalb sie das Lager verließen.

Woher kam diese Zurückhaltung?

Daher, daß Saouk das ganze Gespräch verstanden und, da er die Nachsuchung weder verzögern noch verhindern wollte, es von ihm nur eines Wortes bedurft hatte, um den portugiesischen Kapitän zu verständigen.

Barroso war darauf zu seinen Leuten zurückgekehrt, denen er befahl, an Ort und Stelle die Ankunft der Fischerboote abzuwarten und sich vom Lager jedenfalls nicht zu entfernen.

Auf ein Zeichen Saouk's setzte sich dann auch Ben Omar in Gang, um sich Meister Antifer anzuschließen, der ja nicht darüber erstaunen konnte, auch seinen Schreiber Nazim bei ihm zu sehen.

[306]
10. Capitel
Zehntes Capitel.
Worin Meister Antifer und der Banquier Zambuco ungeheuer lange Nasen bekommen.

Nach der Höhe der Sonne über dem Horizonte zu urtheilen, war es um acht Uhr morgens – oder »ungefähr so weit«, womit man sich zufrieden geben mußte, da die Uhren der Schiffbrüchigen durch eingeströmtes Wasser stehen geblieben waren.

Wenn die Leute Barroso's den Schatzsuchern nicht nachfolgten, so war das doch mit den Vierhändern anders.

Etwa ein Dutzend Schimpansen trennte sich von dem Haufen, offenbar in der Absicht, die Eindringlinge zu begleiten, die sich erlaubten, ihre Insel zu durchsuchen.

Die andern waren rund um das Lager zurückgeblieben.

Unterwegs warf der Frachtschiffer immer einen Seitenblick auf die wilde Leibwache, die ihm mit abscheulichen Grimassen, mit drohenden Bewegungen und mit heiserem Geschrei antwortete.

»Offenbar, so dachte er, können die Bestien mit einander sprechen. Ich bedaure nur, sie nicht zu verstehen. Es wäre doch lustig, in ihrer Sprache plaudern zu können!«

Wahrlich, das wäre eine gute Gelegenheit zu philologischen Beobachtungen gewesen sich zu überzeugen, ob die Affen, wie es der Amerikaner Garner behauptet, Laute haben. die ihnen zur Bezeichnung gewisser Dinge dienen, wie whouw für »Futter«, cheny für »Getränk«, iegk für »Vorsicht!«, und ob in der Affensprache a und o fehlen, ob i selten ist, e und é wenig vorkommen und u und ou die Grundvocale sind. 1

Bekanntlich hatte das auf dem Eilande des Golfs von Oman gefundene Document für das in der Ma-Yumbabai die Stelle angegeben, wo das Doppel-K die Lage des Schatzes bezeichnete.

[307] Auf dem ersten Eiland war das ein nach Süden gerichteter Landvorsprung gewesen; für das zweite dagegen sollte es eine nach Norden zu liegende Spitze sein, wo ein Felsen dasselbe Monogramm trüge.

Nach dem Schiffbruche waren unsre Reisenden nur nach dem Südende des Eilands gekommen. Sie mußten sich also nach Norden wenden und gegen zwei Meilen weit hinwandern.

Meister Antifer und Zambuco an der Spitze, Ben Omar mit Nazim in zweiter Linie und Gildas Tregomain mit Juhel als Nachtrupp, schlug die Gesellschaft diese Richtung ein.

Daß die beiden Erben vorauseilten, kann ja nicht auffallen. Raschen Schrittes gingen sie stumm dahin und hätten auch keinem gestattet, sie zu überholen.

Dann und wann warf der Notar einen ängstlichen Blick auf Saouk. Er bezweifelte nicht, daß dieser, in Uebereinstimmung mit dem portugiesischen Kapitän, einen schlechten Streich vorhabe. Noch ein andrer Gedanke wollte auch nicht von ihm weichen: Wenn der Schatz dem Malouin entging, würde es mit dem ihm zustehenden Procent wohl ebenso gehen. Ein-oder zweimal versuchte er, Saouk darüber auszuforschen, doch dieser, der düster und wild vor sich hinstarrte und sich von Juhel beobachtet wußte, gab ihm keine Antwort.

Das Mißtrauen Juhels nahm, wenn er Ben Omar und Nazim bei einander sah, in der That mehr und mehr zu. Auch in einem Bureau von Alexandria konnte es nicht wohl vorkommen, daß der Schreiber befehligte und der Notar gehorchte, und so verhielt es sich doch zwischen diesen beiden Persönlichkeiten.

Der Frachtschiffer beschäftigte sich nur mit den Affen. Zuweilen antwortete sein gutmüthiges Gesicht auf ihre Grimassen, schloß sich sein Auge, rümpfte sich seine Nase und rundeten sich seine Lippen. Nanon und Enogate hätten ihn nicht wiedererkannt, als er diesen Vierhänderstudien oblag.

Enogate!... Ach, das arme Kind! Gewiß dachte sie in diesem Augenblick an ihren Verlobten, weil sie seiner ja stets gedachte. Daß Juhel heute aber, nach erlittenem Schiffbruche, unter einem Gefolge von Schimpansen dahin spazierte, das wäre ihr doch nicht in den Sinn gekommen!

Unter dieser Breite und zu dieser Jahreszeit beschreibt die Sonne einen vollen Halbkreis von Osten nach Westen, wobei sie also durch den Zenith geht. Infolge dessen fallen ihre Strahlen nicht schräg, sondern lothrecht herunter. Die heiße Zone trägt deshalb ihren Namen mit Recht, denn hier wird einem vom Morgen bis zum Abend tüchtig eingeheizt.

[308] »Und den Possenreißern da oben scheint es gar nicht warm zu sein! sagte sich der Frachtschiffer, wenn er das Dutzend Vierhänder betrachtete, die an der Seite der Gruppe ihre Sprünge machten. Da bekommt man wirklich Lust, selbst so ein Affe zu sein!«

Um dieser Fluth von Sonnenschein zu entgehen, hätte es ja besser geschienen, unter dem Schatten der Bäume zu wandern. Das aus sehr tief unten verästelten Stämmen bestehende Waldesdickicht wäre aber gar nicht zu durchdringen gewesen. Ohne Vierhänder zu sein – wie Gildas Tregomain es sich wünschte – hätte sich, wer nicht von Zweig zu Zweig springen konnte, niemand einen Weg hier hindurch brechen können. Deshalb wanderte die kleine Gesellschaft am Ufer hin, umkreiste dessen Buchten, ging den da und dort verstreuten Felsblöcken aus dem Wege und mühte sich auf dem Steingeröll ab, da der sandige Strand bereits wieder von der wachsenden Fluth bedeckt wurde. Der Weg zum Glücke ist ja immer schwierig. Sie schwitzten Blut und Wasser, doch wenn sie schließlich mit tausend Francs für jeden Schritt belohnt wurden, war das ja wohl für die gehabte Mühe genug.

Eine Stunde nach dem Aufbruche aus dem Lager war erst eine Meile – etwa die Hälfte des Weges – überwunden, von der nun erreichten Stelle aus konnte man aber die Nordspitzen des Eilands erkennen. Drei oder vier solche erstreckten sich ins Meer hinaus. Welche war die richtige? Ohne einen kaum denkbaren Zufall würde es die, die zuerst untersucht wurde, wahrscheinlich nicht sein, und welche Mühsal mußte das unter dem Brande der Mittagssonne kosten!

Der Frachtschiffer war am Ende seiner Kräfte.

»Laßt uns einen Augenblick ausruhen, bat er.

– Nicht eine Minute! versetzte Meister Antifer.

– Lieber Onkel, erklärte Juhel, Herr Tregomain zerschmilzt beinahe!

– So laß ihn schmelzen!

– Ich danke, alter Freund!«

Gildas Tregomain setzte sich, da er nicht zurückbleiben wollte, wieder in Bewegung. Am Ziele der Wanderung kam er aber sicherlich nur noch als Bach an, der durch die Uferfelsen rieselte.

Noch bedurfte es einer halben Stunde, um die Gegend der vier Spitzen zu erreichen. Die Schwierigkeiten des Weges dahin nahmen nur noch zu. Dichtes Stachelgras bedeckte den Boden, auf den keiner hinfallen konnte, ohne sich ernstlich zu verletzen. Wahrlich, Kamylk-Pascha hatte eine so glückliche Hand gehabt beim [309] Verbergen seiner Schätze, daß ihn die Könige von Bassora, von Bagdad und von Samarkand darum beneidet hätten.

An dieser Stelle hörte der Wald auf. Die Herren Schimpansen zeigten offenbar keine Lust, weiter mit zu gehen. Diese Thiere verlassen nicht gern den Schutz der Bäume, und der Anschlag der brodelnden Wellen hat kein Interesse für sie. Ein Wort im Sinne von »Poesie« hätte Garner schwerlich in ihrer lückenhaften Sprache entdeckt.

Als die Escorte am Waldessaume Halt machte, geschah das nicht ohne recht feindselige Drohungen gegen diese Fremdlinge, die ihre Untersuchung bis zum Ende des Eilandes auszudehnen im Begriff waren. Da erscholl ein wildes Geheul, und wüthend rieben die Affen sich die Brust. Einer davon hob Steine auf, die er mit kräftigem Arme schleuderte, und da die andern ihm nachahmten, liefen Meister Antifer und seine Genossen große Gefahr, gesteinigt zu werden. Dazu wäre es gewiß auch gekommen, wenn sie, an Zahl und Kräften ihren Gegnern unterlegen, es sich hätten einfallen lassen, gleiches mit gleichem zu vergelten.

»Nicht wieder werfen... halt! Haltet ein! rief Juhel, da er Gildas Tregomain und Saouk schon Steine sammeln sah.

– Und doch sollte... begann der Frachtschiffer, dem durch einen Steinwurf eben der Hut vom Kopfe geworfen worden war.

– Nein, nein, Herr Tregomain! Schnell fort von hier, so sind wir in Sicherheit, da die Affen jedenfalls nicht nachkommen!«

Das war auch das klügste, und kaum fünfzig Schritte weiter waren alle außer Schußweite vom Feinde.

Es war jetzt etwa halb elf Uhr. Wie lange hatte der Marsch gedauert! Im Norden reichten die Ausläufer des Eilands hundertfünfzig bis zweihundert Meter weit hinaus. Den längsten nach Norwesten zu beschlossen Meister Antifer und Zambuco zuerst zu besichtigen.

Nichts Oederes als diese Wüstenei von Felsen, deren einige in den sandigen Erdboden eingesenkt, andre verstreut und bei schlechtem Wetter dem Anprall des Meeres ausgesetzt waren. Von Vegetation keine Spur, nicht einmal bescheidne Moose, die doch gern jeden feuchten Felsblock überdecken. Kein Gewirr von Tang, der in gemäßigten Zonen so massenhaft antreibt. Hier war also auch wegen des von Ka mylk-Pascha vor einunddreißig Jahren eingemeißelten Monogramms nicht zu fürchten, daß es nicht ganz unversehrt geblieben wäre. Nun begannen unsre Schatzgräber dieselben Nachsuchungen, wie früher auf dem[310] Eiland im Golfe von Oman. Es erscheint kaum glaublich, doch die beiden, von ihrer Habgier beherrschten Erben schienen weder von den Anstrengungen des Marsches, noch von der Gluth der Sonne etwas zu empfinden. Auch Saouk nicht, der im Interesse seines Principals – man hätte glauben können, in seinem eigenen? – eifrig ans Werk ging.

Der zwischen zwei Felsblöcken ausruhende Ben Omar sprach kein Wort. Würde der Schatz gefunden, so war es für ihn immer noch Zeit, sich wegen der Tantième zu melden, auf die er als mit anwesender Testamentsvollstrecker Anspruch hatte. Und, bei Allah! er würde dann in Hinsicht auf die überstandenen Mühen und Gefahren der letzten langen drei Monate immer noch nicht überreichlich bezahlt sein.

Natürlich blieb Juhel auf Anordnung Pierre-Servan-Malos bei diesem und unterzog den Erdboden einer methodischen genauen Prüfung.

»Es ist kaum annehmbar, sagte er für sich, daß wir das Millionennest hier finden. Zuerst muß der Schatz auf diesem, und nicht auf einem andern Eilande vergraben sein. Zweitens müßten wir in dem Gewirr von Felsen hier den entdecken, der das Doppel-K trägt. Und endlich, wenn das alles einträfe, wenn dann nicht alles eine Mystification durch den abscheulichen Pascha ist, wäre es nicht, wenn ich die Hand auf sein Monogramm legte, doch vielleicht das klügste, gar nichts davon zu sagen? Mein Onkel würde auf die bedauerliche Idee verzichten, mich mit einer Herzogin und meine liebe Enogate mit einem disponibeln Herzoge verheiraten zu wollen. Doch nein, mein Onkel müßte einem solchen Schlage unterliegen... er würde den Verstand verlieren. Dann hätt' ich eine schlechte That auf dem Gewissen. Jetzt heißt's aushalten bis zum Ende!«

Während sich Juhel solchen Gedanken hingab, saß der Frachtschiffer mit schlaff herabhängenden Armen und Beinen und triefenden Wangen auf einem Steinblock und fauchte wie eine Robbe, die aus dem Wasser aufs Trockne kam.

Die Untersuchungen gingen inzwischen erfolglos weiter. Meister Antifer, Zambuco, Juhel und Saouk besichtigten und betasteten die Steinwände, die ihrer Gestalt und Lage nach das kostbare Monogramm tragen konnten. Vergebens wurden zwei mühselige Stunden diesem Zwecke bis zum Ende der Spitze geopfert. Nichts... nichts! Und in der That, wie hätte einer auf den Gedanken kommen können, eine Stelle zu wählen, die der Brandung und dem Wogenschlage so sehr ausgesetzt war? Nein, nach Absuchung der einen Spitze, mußte man diese an einer andern wieder aufnehmen. Gewiß, das sollte geschehen...[311] morgen... und Meister Antifer fing seine Arbeit sicherlich auch auf einem andern Eiland wieder an, wenn sie auf diesem ohne Erfolg blieb.


Der Frachtschiffer beschäftigte sich nur mit den Affen. (S. 308.)

Er würde sein Vorhaben nicht aufgeben, nicht bei allen Heiligen seines Taufzeugnisses!


Der Frachtschiffer saß mit schlaff herabhängenden Armen... (S. 311.)

Da sich keine Spur vorgefunden hatte, ging die Truppe längs der Spitze zurück, faßte noch einmal jede Felswand, jeden Steinblock scharf ins Auge... Nichts... nichts! Jetzt blieb nichts andres übrig, als zurückzukehren, sich auf einem der gewiß beim Lager gelandeten Boote einzuschiffen und einstweilen nach Ma-Yumba zu gehen, um dann die Operationen auf einem andern Eilande fortzusetzen.

[312] Als alle am Anfang der Inselspitze zurück waren, fanden sie den Notar und den Frachtschiffer noch am alten Platze.

Ohne ein Wort zu äußern, wendeten sich Meister Antifer und Zambuco dem Waldesrande wieder zu, wo die Schimpansen nur warteten, um sich feindseligen Demonstrationen hinzugeben.

Juhel trat an Gildas Tregomain heran.

»Nun, wie steht's? fragte dieser.

– Keine Spur eines doppelten, nicht einmal eines einfachen K!

[313] – So... muß es also... wo anders versucht werden?

– Allerdings, Herr Tregomain. Doch jetzt stehen Sie auf und kommen Sie mit nach dem Lager...

– Aufstehen?... Ja wohl, wenn ich's nur könnte! Na, hilf mir einmal ein bischen nach, mein Junge!«

Für Juhels kräftige Arme war es keine zu schwere Aufgabe, Gildas Tregomain wieder auf die Füße zu helfen.

Ben Omar befand sich bereits bei Saouk.

Meister Antifer und Zambuco wanderten zwanzig Schritte voraus. Von Geberden und Geschrei gingen die Vierhänder nun zu Thätlichkeiten über. Es regnete Steine, und man mußte sich doch in der Defensive halten.

Die verwünschten Affen schienen die Schatzgräber verhindern zu wollen, sich Barroso und seinen Leuten im Lager wieder anzuschließen.

Plötzlich erscholl ein Aufschrei. Ben Omar hatte ihn ausgestoßen, als wenn er von einem Steine an der empfindlichsten Körperstelle getroffen worden wäre.

Nein, kein Schmerzens-, ein Freudenschrei war es, den er von sich gab.

Die andern blieben stehen. Mit weit offenem Munde und blinzelnden Augen zeigte der Notar mit der Hand nach Gildas Tregomain.

»Da!... Da! wiederholte er.

– Was soll das heißen? fragte Juhel. Sind Sie übergeschnappt, Herr Ben Omar?

– Nein... da... das K... das doppelte K!« antwortete der Notar mit vor Erregung erstickter Stimme.

Auf diese Worte hin kamen Meister Antifer und Zambuco eiligst zurückgelaufen.

»Das K... das Doppel-K? riefen sie.

– Ja.

– Wo?«

Sie suchten mit den Augen nach dem Felsen, auf dem, nach Ben Omar's Rufe, das Monogramm Kamylk-Paschas eingraviert sein sollte. Nichts... sie sahen nichts!

»Wo denn.. Langohr! rief der Malouin aufbrausend.

– Da!« wiederholte der Notar noch einmal.

Seine Hand wies nach dem Frachtschiffer, der sich achselzuckend halb umwendete.

[314] »Da seht... auf seinem Rücken!« rief Ben Omar.

In der That ließ die Jacke Gildas Tregomain's deutlich den Abdruck eines Doppel-K erkennen. Ohne Zweifel trug der Felsen, an den er sich angelehnt hatte, das Monogramm, von dem der Rücken des würdigen Mannes den Abdruck bewahrte.

Meister Antifer springt in die Höhe, packt den Frachtschiffer beim Arme und zwingt ihn, nach seinem Ruheplätzchen zurückzukehren.

Binnen einer Minute stehen alle vor einem Felsblock, an dem das so eifrig gesuchte Monogramm deutlich zu lesen ist.

Gildas Tregomain hatte sich nicht nur an den mit dem Doppel-K gezeichneten Stein gelehnt, sondern auch genau an der Stelle des Schatzes ausgestreckt gehabt.

Keiner sprach ein Wort. Alle gingen ans Werk. Ohne Werkzeuge mußte die Arbeit recht schwierig werden. Sollten einfache Messer hinreichen, den Steinboden auszuhöhlen? Gewiß, und wenn man sich dabei auch die Nägel zerbrach und die Finger abnutzte!...

Glücklicher Weise ließen sich die von der Zeit benagten Steine im Boden ziemlich leicht beseitigen. Eine Stunde Arbeit, und die drei Fässer mußten bloßgelegt sein! Dann waren diese nur noch nach dem Lager und nach Ma-Yumba zu schaffen. Freilich, der Transport mochte schwierig werden und ohne Verdacht zu erregen kaum ausführbar sein.

Doch, wer dachte jetzt an so etwas? Erst der Schatz, der Schatz, gehoben aus dem Grabe, worin er seit einunddreißig Jahren verborgen lag... das übrige würde sich später schon finden.

Meister Antifer arbeitete sich die Hände blutig. Er hätte es keinem andern vergönnt. die Eisenreifen der kostbaren Fässer zuerst zu fühlen... zu betasten.

»Endlich!« jubelte er auf, als sein Messer an einem metallenen Gegenstand abbrach...

Doch welch' ein Aufschrei gleich danach?... Allmächtiger Gott!... Das ist nicht die Freude, das ist die Verblüffung, die Enttäuschung, was von seinem erbleichenden Gesichte zu lesen ist...

Statt der in Kamylk-Paschas Testamente erwähnten Fässer, fand sich auch hier ein eisernes Kästchen vor – ein Kästchen ganz gleich dem, das auf dem Eiland Nummer Eins gefunden worden war, und das auch das nämliche Monogramm zeigte.

[315] »Noch einmal!« konnte Juhel sich nicht enthalten zu rufen.

– Es war unbedingt nur eine Mystification!« murmelte Gildas Tregomain.

Der Kasten wurde aus der Grube gezogen und Meister Antifer öffnete ihn gewaltsam....

Da wurde ein Schriftstück, ein vom Alter vergilbtes Pergament sichtbar, auf dem einige Zeilen standen, die Meister Antifer laut vorlas:

»Länge des Eilands Nummer Drei: fünfzehn Grad elf Minuten östlich von Paris. Nach Kenntnißnahme dieser Länge durch die beiden Collegatare Antifer und Zambuco, ist sie, im Beisein des Notars Ben Omar, dem Herrn Tyrcomel, Esqu., Edinburg, Schottland, zu überbringen und mitzutheilen. Der Genannte besitzt die Breite jenes dritten Eilands.«

Innerhalb der Gewässer der Ma-Yumbabai lag der Schatz also auch nicht vergraben! Man mußte ihn an einer andern Stelle der Erdkugel suchen und dazu diese neue Länge mit der im Besitz des genannten Tyrcomel in Edinburg befindlichen Breite combinieren!... Jetzt waren es nicht mehr Zwei, sondern schon Drei, die sich in Kamylk-Paschas Hinterlassenschaft zu theilen hatten!

»Und warum sollte jenes dritte Eiland uns nicht nach zwanzig... nach noch hundert andern verschlagen? rief Juhel ärgerlich.... Ich bitte Sie, lieber Onkel, könnten Sie so halsstarrig, so... beschränkt sein, auf der ganzen Erde umherzulaufen?

– Ohne zu berücksichtigen, setzte Gildas Tregomain dazu, daß die Legate, wenn sich Hunderte von Berechtigten fänden, es gar nicht mehr werth wären, sich darum zu bemühen!«

Der Onkel betrachtet seinen Freund und seinen Neffen von unten bis oben, zermalmt den Kiesel zwischen den Kinnladen und commandiert:

»Ruhe im Gliede!... Die Sache ist noch nicht zu Ende!«

Er hebt das Schriftstück noch einmal in die Höhe und liest dessen letzte Zeilen mit folgendem Inhalt:

»Für ihre Mühe und zur Deckung der bisherigen Unkosten finden die Collegatare in diesem Kästchen zwei Diamanten, deren Werth weit unter dem der Steine steht, die sie später noch erhalten werden.«

Zambuco stürzte auf Meister Antifer zu und riß ihm das Kästchen aus den Händen.

»Diamanten!« rief er voller Habgier.

[316] In der That lagen in dem Behälter zwei ungeschliffne Edelsteine, die – der Banquier verstand sich darauf – wenigstens ihre hunderttausend Francs werth sein mochten.

»Noch immer die alte Geschichte, sagte er, nahm den einen Diamanten und überließ den andern seinem Miterben.

– Ein Tropfen ins Meer! knurrte dieser, während er seinen Diamanten in die Westen-, und das Schriftstück in die Rocktasche steckte.

– Ei, ei!... stieß der Frachtschiffer hervor, die Sache wird ernsthafter, als ich dachte!... Na, werden ja sehen... werden ja sehen!«

Juhel begnügte sich mit einem Achselzucken. Saouk... nun, der ballte die Fäuste bei dem Gedanken, eine so gute Gelegenheit nicht gleich wieder zu finden.

Ben Omar endlich, der nicht den winzigsten Diamanten bekommen hatte, obgleich auch die letzte Mittheilung seine fernere Mitwirkung zur Bedingung machte, stand mit schlaffen Gesichtszügen, herabhängenden und halb geknickten Knien dabei, wie ein fast ausgeleerter Sack, der gleich vollends zusammensinken soll.

Saouk und er befanden sich zwar nicht in derselben Lage, wie: Erstens, als sie Saint-Malo verlassen hatten, ohne zu wissen, daß sie nach Mascat reisen sollten, zweitens, als sie Mascat verließen, ohne zu wissen, daß sie sich nach Loango begeben müßten. Von bedauerlicher Erregung übermannt, hatte Meister Antifer ein Geheimniß preisgegeben, das er hätte sorgsam bewahren sollen. Alle hatten ihn die neue Längenangabe: fünfzehn Grad elf Minuten östlich von Paris, verkündigen hören, alle kannten den Namen des Herrn Tyrcomel, Esquire, wohnhaft in Edinburg, Schottland....

Wenn auch nicht Ben Omar, so hatte doch Saouk diese Zahlen und diese Adresse seinem Gedächtniß sicherlich fest eingeprägt, um sie baldigst in sein Notizbuch einzuschreiben. Meister Antifer und der Banquier Zambuco achteten aber gewiß auch darauf, weder den Notar oder den schnurrbärtigen Schreiber aus den Augen zu verlieren, noch sich von ihnen in der zweiten Hauptstadt Großbritanniens den Rang ablaufen zu lassen.

Saouk mochte ja, bei der ihm mangelnden Kenntniß des Französischen, nichts verstanden haben, dagegen durfte als ausgemacht gelten, daß Ben Omar ihm jenes Geheimniß verrathen würde.

Juhel hatte indeß recht wohl bemerkt, wie Nazim ordentlich befriedigt aussah, als die Zahlen der Länge und der Name Tyrcomel den Lippen des Meister Antifer so unkluger Weise entschlüpften.

[317] Immerhin erschien es ihm als sinnlos, sich noch ein drittes Mal den posthumen Launen Kamylk-Paschas zu fügen. Jetzt galt es nur noch, nach Loango zurückzukehren und das erste Passagierschiff zu benutzen, um wieder nach der guten Stadt Saint-Malo zu gelangen.

Dahin zielte der weise und logische Vorschlag, den Juhel seinem Onkel machte.

»Nimmermehr! antwortete Meister Antifer. Der Pascha schickt uns nach Schottland, und wir gehen dahin, müßt' ich auch den Rest meines Lebens an weitere Nachforschungen setzen....

– Meine Schwester Talisma liebt Sie zu innig, um nicht – wenn's sein müßte – auch zehn Jahre lang zu warten! setzte der Banquier hinzu.

– Sapperment! dachte der Frachtschiffer, da steuert das Mägdlein aber stark auf die Sechzig zu!«

Alle Einwendungen blieben unnütz. Meister Antifer hatte seinen Entschluß gefaßt: er wollte dem Schatze nachjagen, damit punktum! – ob sich der Nachlaß des reichen Aegypters auch statt auf die Hälfte, nun auf ein Drittel davon vermindert hatte, wenn jenem Tyrcomel auch ein gleicher Antheil zukam....

Gut, so würde sich Enogate begnügen, einen Grafen, und Juhel eine Gräfin zum Altare zu begleiten.

Fußnoten

1 Der amerikanische Naturforscher Garner hatte die Affensprache an Ort und Stelle studiert und es über sich gebracht, einige Monate in den Wäldern von Guinea ganz in der Art und Weise der Affen zu verleben.

11. Capitel
Elftes Capitel.
Worin Meister Antifer und seine Genossen einer Predigt des Reverend Tyrcomel beiwohnen, die ihnen ganz und gar nicht gefällt.

»Ja, geliebte Brüder, ja, geliebte Schwestern, der Besitz von Reichthümern führt nothwendig zum Mißbrauch derselben! Er ist der hauptsächlichste, um nicht zu sagen, der einzige Grund aller Uebel, die diese Erde belasten. Der Durst nach Gold muß die bedauerlichsten Seelenverirrungen zur Folge haben! Denkt Euch, in dem Herrn geliebte Zuhörer, eine Gesellschaft, in der es weder Reiche noch Arme gäbe. Wie viel Unglück und Sorge, Trauer und Kummer, wie viel [318] Betrübniß, Enttäuschung, wie viel Jammer und Noth würde dem Geschlechte der Menschen erspart bleiben!«

Der zungenfertige Clergyman hatte sich zum Gipfel der Beredtsamkeit emporgeschwungen, als er diesen Haufen von Synonymen, die noch immer kaum ausreichten, alles irdische Elend zu bezeichnen, so schnell aufstapelte. Er hätte noch manche andre auf diesem Redestrom loslassen können, den er von der Höhe der Kanzel über die Köpfe seiner Zuhörer niederrauschen ließ. So konnte man ihm fast dankbar sein, daß er sich eine weise Beschränkung auferlegte.

Es war am Abend des 25. Juni in der Tron Church, von der ein Theil zur Verbreiterung der High street abgebrochen worden war, wo der Reverend Tyrcomel, von der »Freien schottischen Kirche« vor einer durch seine schweren Perioden bedrückten Zuhörerschaft in diesem Tone predigte. Nach Anhörung desselben hätten seine Gläubigen sich eigentlich beeilen müssen, ihre Geldschränke auszuleeren und alle Werthsachen in den Golf des Forth zu werfen, der zwei Meilen von hier das Nordufer von Mid-Lothian benetzte, jener berühmten Grafschaft, deren Hauptstadt zu sein, Edinburg, das Athen des Nordens, sich brüstete.

Bereits eine Stunde lang predigte Reverend Tyrcomel zur großen Erbauung der frommen Heerde des Kirchspiels über dieses Thema. Er schien ebenso wenig müde zu werden, zu sprechen, wie die Kirchenbesucher, ihm zuzuhören. Warum sollte eine Predigt denn überhaupt ein Ende finden? Die jetzige endete, wenigstens in dieser Minute, wirklich noch nicht, sondern der Vortragende fuhr darin fort wie folgt:

»Geliebte Brüder und Schwestern, der Evangelist hat gesagt: Beati pauperes spiritu, ein tiefsinniger Ausspruch, dessen Bedeutung Uebelwollende oder Unkundige mehrfach zu verdrehen gesucht haben. Nein, es handelt sich dabei nicht um die, die »arm an Geist«, die eigentliche Schwachköpfe sind, sondern um die, die sich »arm im Geiste« machen und die elenden Reichthümer, die Quelle so vieler Uebel in der neuzeitlichen Gesellschaft, im Herzen verachten. Das Evangelium empfiehlt uns auch, Glück und Vermögen gering zu schätzen, und wenn Ihr unglücklicher Weise mit Gütern dieser Welt überhäuft seid, wenn Ihr im Gelde erstickt, wenn das Gold Euch in breitem Strome zufließt, liebe Schwestern«...

Hier folgte ein mächtiges Gleichniß, das unter die Umhänge der andächtigen Frauen in der Kirche einen kalten Schauer jagte.

[319] »Wenn Diamanten und Edelsteine Euch am Halse, an den Armen und den Fingern sitzen wie ein krankhafter Ausschlag, wenn Ihr zu denen gehört, die man die Glücklichen der Erde zu nennen pflegt..., ich, ich sage Euch, daß Ihr die Unglücklichen seid, und versichere Euch, daß Eure Krankheit mit den stärksten Mitteln, mit Eisen und Feuer bekämpft werden muß.«

Man empfand ein Zittern im Zuhörerkreise, als ob schon das Bistouri des Chirurgen in den vom Redner bloßgelegten Wunden wühlte.

Etwas Originelles in der Behandlung, die er den armen, vom Meteorismus des Reichthums gequälten Leuten als bevorstehend ausmalte, war es, daß er ihnen befahl, sich ihrer Schätze materiell zu entledigen – mit andern Worten, sie zu vernichten. Er sagte nicht etwa: »Vertheilt Euer Vermögen unter die Armen! Enteignet Euch Eurer Habe zum Besten derer, die nichts besitzen! Nein, was er predigte, war die thatsächliche Vernichtung dieses Goldes, dieser Diamanten, dieser Besitztitel, dieser commerciellen und industriellen Actien, das war ihr vollständiges Verschwinden, und hätte man alles ins Feuer oder ins Meer werfen sollen.

Um die Unversöhnlichkeit seiner Lehren zu begreifen, muß man wissen, welcher religiösen Secte dieser jähzornige Tyrcomel, Esquire, angehörte.

Das in etwa tausend Kirchspiele zerfallende Schottland hat zur Verwaltung und Ausübung des nationalen Cultus Kirchenversammlungen, Synoden und eine Art Obergericht. Außer dieser recht ansehnlichen Zahl giebt es, da im Vereinigten Königreiche alle Religionen Duldung erfahren, noch etwa fünfzehnhundert Gotteshäuser für Dissidenten, Katholiken, Baptisten, Episcopalen, Methodisten u.s.w. Von diesen fünfzehnhundert Kirchen dient über die Hälfte der »Freien Kirche von Schottland« – »Free Church of Scotland« – die sich vor zwanzig Jahren von der presbyterianischen Kirche Großbritanniens offen trennte, nur weil sie diese nicht genug von calvinistischem Geiste durchränkt, sagen wir, nicht puritanisch genug fand.

Reverend Tyrcomel predigte im Namen der fanatischten dieser Secten, die jedes Compromiß mit allen Sitten und Gebräuchen verwerfen. Er hielt sich für einen Sendboten Gottes, der ihm einen seiner Donnerkeile anvertraut hatte, um die Reichen, oder wenigstens deren Reichthümer, zu zermalmen, und wie wir sahen, ließ er es an dem Versuche nicht fehlen.


Die durch die Signale unterrichtete Schaluppe. (S. 322.)

Geistig war er eine Art Erleuchteter und gleich streng gegen sich selbst wie gegen andre. Körperlich erschien er als Fünfzigjähriger, groß, hager, mit [320] abgezehrtem, glattem Gesicht, einer Flamme im Blicke, mit der Physiognomie eines Apostels und der Stimme eines Dominicaners. Seine Umgebung erklärte ihn für vom Hauche des Höchsten inspiriert. Doch wenn sich die Beichtkinder des Eiferers nach seinen Predigten drängten und diesen andächtig lauschten, so verlautete doch nichts darüber, daß jener viele Proselyten gemacht hätte, und wenige oder wohl keiner hatte sich bisher entschlossen, durch Verzicht auf alle Güter dieser Erde seine Lehren in die Praxis zu übersetzen. Reverend Tyrcomel verdoppelte noch seine Anstrengungen und häufte über den Köpfen der Zuhörer [321] mit Elektricität geladene Wolken, aus denen die Blitze seiner Eloquenz niederzuckten.

Die Predigt ging im besten Flusse weiter: Tropen, Metaphern, Antonymien, Epiphoneme – alle durch eine blendende Einbildungskraft gesalzen – tummelten sich darauf mit unvergleichlicher Kühnheit. Doch wenn auch die Köpfe sich senkten, schienen die Taschen gar nicht geneigt, ihren Inhalt in die Gewässer des Forth zu ergießen.

Die das Schiff der Tron Church füllende Menge verlor keine Silbe dieses Besessenen, und wenn sie sich nicht beeilte, seinen Lehren Folge zu geben, so lag das gewiß nicht daran, daß sie ihn nicht verstanden hätte. Hiervon sind jedoch fünf Zuhörer auszuschließen, die, der englischen Sprache nicht mächtig, nicht gewußt hätten, was der Clergyman sagte, wäre nicht ein sechster im Stande gewesen, ihnen in gutem Französisch die schrecklichen Wahrheiten zu übersetzen, die in Form einer evangelischen Sturmfluth von der Höhe der Kanzel herabrauschten.

Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, daß diese sechs Individuen der Meister Antifer und der Banquier Zambuco, der Notar Ben Omar und Saouk, der Frachtschiffer Gildas Tregomain und der junge Kapitän Juhel waren.

Auf dem Eiland der Ma-Yumbabai hatten wir sie am 28. Mai verlassen, in Edinburg finden wir sie am 25. Juni wieder.

Was in der Zwischenzeit geschehen, war kurz folgendes:

Nach Auffindung des zweiten Documentes blieb nichts andres übrig, als die Affeninsel schleunigst zu räumen und sich der Schaluppe zu bedienen, die, durch die Signale der congolesischen Mannschaft unterrichtet, dem Lager gegenüber ans Land gegangen sein mußte. Meister Antifer und seine Begleiter kehrten also längs des Ufers zurück, aber immer verfolgt von der Schimpansengesellschaft, die ihre feindliche Gesinnung durch Geheul, drohende Haltung und durch Steinwürfe zu erkennen gab.

Das Lager wurde trotzdem ohne Unfall erreicht. Zwei Worte Saouk's an Barroso unterrichteten diesen, daß der Plan gescheitert sei. Man konnte doch einen Schatz nicht Leuten entreißen, die ihn nicht mitbrachten.

Die im Hintergrunde eines kleinen Landeinschnitts vertäute Schaluppe konnte alle Schiffbrüchigen von der »Portalegre« aufnehmen, wenn's dabei auch etwas eng herging. Das hatte aber für eine Fahrt von sechs Meilen nicht viel zu bedeuten. Zwei Stunden später lag die Schaluppe an der Landzunge, worauf der Flecken [322] Ma-Yumba sich ausdehnt. Ohne Unterschied der Nationalität fanden alle in einer französischen Factorei freundliche Aufnahme, und hier bemühte man sich, ihnen Transportmittel nach Loango zu verschaffen. Da sie sich einer nach der Hauptstadt ziehenden Gesellschaft von Europäern anschließen konnten, hatten sie unterwegs weder von Raubthieren noch von Eingebornen etwas zu fürchten. Doch welch verzehrendes Klima, welch unerträgliche Hitze! Bei der Ankunft erklärte der Frachtschiffer, trotz aller Gegenversicherungen Juhels, daß er zum Skelett heruntergekommen sei. Der brave Mann übertrieb natürlich ein wenig.

Durch ein glückliches Zusammentreffen von Umständen – was der Frachtschiffer gar nicht mehr gewöhnt war – brauchte sich die kleine Gesellschaft in Loango nicht lange aufzuhalten. Ein spanischer Dampfer auf der Fahrt von San Paolo de Laonda nach Marseille lief hier schon nach zwei Tagen ein, um einen leichten Maschinendefect auszubessern. Mit dem aus dem Schiffbruche glücklich geretteten Gelde wurden auf diesem Plätze belegt. Kurz, am 15. Juni verließen Meister Antifer und seine Gefährten Westafrika, wo sie neben zwei Diamanten ein neues Document gefunden und eine neue Täuschung erfahren hatten. Den Kapitän Barroso wollte Saouk später schadlos halten, wenn er die Hand erst auf die Millionen des Paschas gelegt hätte, und der Portugiese mußte sich wohl oder übel mit diesem Versprechen begnügen.

Juhel versuchte gar nicht, seinen Onkel von seinen Ideen abzubringen, obgleich er allen Grund hatte zu glauben, daß die ganze Sache auf eine ungeheure Mystification hinauslaufen werde. Die Ansicht des Frachtschiffers schlug indeß etwas um; die beiden in dem Kästchen gefundenen Diamanten im Werthe von hunderttausend Francs gaben ihm doch zu denken.

»Da uns der Pascha, so sagte er für sich, diese beiden kostbaren Steine zum Geschenk gemacht hat, warum sollten sich die übrigen auf dem Eilande Nummer Drei nicht vorfinden?«

Und wenn er sich in dieser Weise gegen Juhel, der dazu die Achseln zuckte, äußerte, so wiederholte er nur:

»Wir werden ja sehen – werden ja sehen!«

Das war auch die Meinung Pierre-Servan-Malos. Da der dritte Erbe, der Besitzer der Breite des dritten Eilandes, in Edinburg wohnte, wollte er eben nach Edinburg gehen und wohl darauf achten, daß ihm weder Zambuco noch Ben Omar zuvorkamen, da ja auch sie die Länge fünfzehn Grad elf Minuten kannten, die jenem Herrn Tyrcomel, Esquire, überbracht werden sollte.

[323] Man wollte sich also nicht trennen und die Hauptstadt Schottlands auf schnellstem Wege aufsuchen, wo genannter Tyrcomel den Besuch der ganzen Gesellschaft auf einmal bekommen sollte. Dieser Beschluß paßte Saouk freilich sehr wenig. Im Besitz des Geheimnisses, hätte er sich am liebsten allein an die im Document bezeichnete Persönlichkeit herangemacht, von dieser die Lage des neuen Eilands erfahren, sich dahin begeben und hätte er die Schätze Kamylk-Paschas selbst ausgegraben. Dazu hätte er aber auch allein abreisen müssen, ohne Verdacht zu erregen, und er fühlte doch, daß Juhel ihn beobachtete. Die Fahrt nach Marseille hätte übrigens doch gemeinschaftlich erfolgen müssen. Da Meister Antifer nun Edinburg auf schnellstem Wege und in kürzester Zeit zu erreichen suchen wollte, indem er die Schienenwege Frankreichs und Englands benützte, konnte Saouk schwerlich darauf rechnen, ihm zuvorzukommen. War die Sache mit dem Herrn Tyrcomel einmal ins Reine gebracht, so gelang der Streich, der in Mascat und Loango mißglückte, dafür vielleicht in Edinburg.

Die Ueberfahrt ging rasch von Statten, da der spanische Dampfer keinen Hafen anlief. Natürlich wurde Ben Omar – ein Mann, der seinen Gewohnheiten nicht so leicht entsagte – wieder aufs schlimmste seekrank und in Marseille im Zustand eines bewußtlosen Gepäckstückes ans Land befördert.

Juhel hatte einen langen Brief an Enogate geschrieben, worin er sie über alle Vorkommnisse in Loango unterrichtete. Er sagte ihr, zu welch' neuem Zuge die Starrsinnigkeit ihres Oheims sie verführe, und wer wisse, ob die Schrullen des Paschas sie nicht überhaupt nur an der Nase herumführten. Dann fügte er hinzu, Meister Antifer sei seiner Meinung nach in einem Gemüthszustande, in dem er gleich dem ewigen Juden die ganze Welt durchirren könnte, und das werde nicht eher ein Ende finden, als bis er als Geisteskranker gefesselt werden müßte – das werde aber nicht ausbleiben, so sehr habe seine Erregtheit durch die letzte Enttäuschung zugenommen....

Alles das war ja recht traurig. Ihre Hochzeit war damit auch aufs unbestimmte verschoben... und ihr Glück... ihre Liebe...

Juhel fand gerade noch Zeit, diesen traurigen Brief der Post zu überliefern. Dann sprang man in den Schnellzug von Marseille nach Paris, von hier in den Blitzzug von Paris nach Calais, ins Schiff zur Ueberfahrt nach England, dann in den Eilzug von Dover nach London und hierauf in den Fliegenden Schottländer nach Edinburg – alle Sechs, als wären sie an eine Kette gebunden gewesen. So hatten sie sich am Abend des 25. Juni, gleich [324] nachdem ihre Zimmer in Gibb's Royal Hôtel belegt waren, zur Aufsuchung des Herrn Tyrcomel aufgemacht. Großes Erstaunen! Der Herr Tyrcomel war nichts anderes als ein Clergyman, so kam es, daß sie, nachdem sie sich in seiner Wohnung, 17 North-Bridgestreet, eingefunden, – die Adresse des allbekannten Mannes hatten sie leicht erhalten – sich nach der Tron Church begeben hatten, wo jener eben von der Höhe der Kanzel herabdonnerte.

Sie beabsichtigten, ihn gleich nach der Predigt anzusprechen, ihn nach Hause zu begleiten und von ihrem Anliegen, von ihm die letzte Angabe zu erbitten, zu unterrichten. Was, ein Mann, dem man eine ansehnliche Zahl von Millionen darbringt, hatte sich ja nicht zu beklagen, wenn er auch einmal zu ungewöhnlicher Zeit gestört wurde.

Immerhin hatte die Sache ihre eigenthümlichen Seiten.

Welche Beziehungen mochten wohl zwischen Kamylk-Pascha und dem schottischen Clergyman bestanden haben? Der Vater des Meister Antifer hatte dem Aegypter das Leben gerettet... gut. Der Banquier Zambuco hatte ihm geholfen, seine Schätze zu retten... auch gut. Das erklärte ja seine Dankbarkeit gegen die Beiden – doch ob der Reverend Tyrcomel dieselben Ansprüche auf seine Erkenntlichkeit besaß?... Ohne Zweifel. In welch unerklärlicher Weise hatte sich ein Geistlicher aber Kamylk-Pascha ebenso verpflichtet? Es mußte doch wohl der Fall sein, wenn dieser Clergyman der Inhaber der dritten Breite war, die man zur Auffindung des dritten Eilands brauchte....

»Des guten Eilands... dieses Mal!« sagte Meister Antifer immer wieder, so daß Gildas Tregomain seine Hoffnungen und... vielleicht seine Illusionen zu theilen anfing.

Als unsre Schatzsucher auf der Kanzel aber einen Mann von höchstens fünfzig Jahren erblickten, mußten sie sich eine andre Erklärung zurechtlegen. Der Reverend Tyrcomel konnte in der That kaum fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein, als Kamylk-Pascha auf Befehl Mehemet Ali's in Kairo gefangen gesetzt wurde, und es schien doch schwerlich annehmbar, daß er diesem schon vor dieser Zeit irgend einen so wichtigen Dienst geleistet haben könnte. Sollte es ein Vater, ein Großvater, ein Onkel Tyrcomel's gewesen sein, gegen den der Aegypter Verpflichtungen hatte? Doch darauf kam ja wenig an. Die Hauptsache blieb immer, daß der Clergyman im Besitz der kostbaren Breite war, wie das Document aus der Bai von Ma-Yumba angab, und der Tag sollte nicht vergehen, ehe darüber Klarheit gewonnen wäre.

[325] Jetzt saßen sie also in der Tron Curch, der Kanzel gegenüber. Meister Antifer, Zambuco und Saouk verschlangen den leidenschaftlichen Prediger fast mit den Blicken, obgleich sie von seiner Rede nicht ein Sterbenswörtchen verstanden, und Juhel wieder konnte bei dem, was er hörte, gar nicht seinen Ohren trauen.

Die Predigt ging weiter. Immer dasselbe Thema mit der gleichen wüthenden Beredtsamkeit. Sie empfahl den Königen, ihre Civilliste ins Meer zu werfen, den Königinnen, die Brillanten aus ihrem Schmucke in Rauch aufgehen zu lassen, den Reichen, ihre Schätze zu vernichten. Man wird zugestehen, daß es unmöglich war, größere Dummheiten mit noch unversöhnlicherem Proselytismus auszusprechen.

Ganz verblüfft murmelte Juhel:

»Da giebt's ja noch eine neue Schwierigkeit! Mein Onkel hat wirklich kein besonderes Glück! Wie, an einen solchen Eiferer verweist uns Kamylk-Pascha?... Diesem besessenen Clergyman sollen wir das Mittel, unsern Schatz zu heben, abverlangen? Einem Manne, der gewiß nichts eiligeres zu thun wüßte, als diesen sofort zu zerstören, wenn er ihm in die Hände fiele!... Das ist freilich ein unerwartetes Hinderniß... und auch ein unüberwindliches, das unserm ganzen Zuge ein Ende setzen dürfte. Hier werden wir jedenfalls nur eine unbedingte Weigerung erfahren, eine Weigerung, die dem Reverend Tyrcomel eine ungeheure Popularität sichert! Das giebt meinem Onkel den Rest, dem vermag sein Verstand nicht mehr zu widerstehen... Zambuco und er, vielleicht auch Nazim, werden gewiß versuchen, dem Reverend sein Geheimniß zu entreißen. Sie sind im Stande, ihm die Tortur angedeihen zu lassen. Nun, wir werden ja sehen; ich für meinen Theil halte mich beiseite. Ja, ich möchte, der Mann behielte sein Geheimniß. Ich weiß nicht, wie er behauptet, ob Millionen auch kein Glück sichern, ich weiß aber, daß das Nachlaufen nach denen des Aegypters mein Glück auf jeden Fall verzögert. Da nun Tyrcomel niemals zustimmen wird, seine Breite mit der Länge zu kreuzen, die wir uns mit so viel Mühe beschafft haben, so werden wir ruhig nach Frankreich zurückkehren können und...

»Wo Gott befiehlt, muß man gehorchen, sagte der Prediger in diesem Augenblicke.

– Das ist meine Ansicht auch, dachte Juhel, mein Onkel muß sich eben fügen.«

Die Predigt wollte kein Ende nehmen, und es ließ sich nicht absehen, ob sie nicht etwa in alle Ewigkeit dauerte. Meister Antifer und der Banquier [326] Zambuco ließen unzweifelhafte Zeichen der Ungeduld wahrnehmen. Saouk kaute an seinem Schnurrbarte.

Der Notar bekümmerte sich, wenn er nur nicht auf dem Deck eines Schiffes war, um gar nichts. Mit offnem Munde und gespitzten Ohren dasitzend, bemühte sich Gildas Tregomain, dann und wann ein Wort aufzufangen und es sich zu übersetzen. Gelegentlich aber richteten alle den Blick auf den jungen Kapitän, als ob sie fragen wollten:

»Was kann dieser Teufel von Mann doch nur in seinem Eifer alles sagen?«

Und wenn man schon glaubte, daß es zu Ende sei, da quoll der Redestrom von neuem hervor.

»Was, zum Kuckuck, wovon spricht er denn nur, Juhel? rief Meister Antifer mit einer Stimme, die die ganze Aufmerksamkeit aller Anwesenden erregte.

– Das werde ich Ihnen nachher sagen, lieber Onkel.

– Wenn er etwas von den Neuigkeiten ahnte, die ich ihm bringe, so könnte er seine Kanzel nur bald verlassen, um meinen Besuch zu empfangen.

– He! He!« rief Juhel in so eigenthümlichem Tone, daß sich die Stirn des Meister Antifer in verderbendrohender Weise runzelte.

Doch in der Welt findet ja alles sein Ende, selbst die Predigt eines Clergyman der »Freien Kirche von Schottland«. Man empfand, wie der Reverend Tyrcomel zum Schlusse seines Wortschwalls gelangte. Er keuchte nur noch, seine Bewegungen wurden mehr ungeordnet, seine Metaphern kühner, seine Beschwörungen bedrohlicher. Es folgte noch ein letzter Keulenschlag auf die Inhaber von irdischen Gütern, die Besitzer des elenden Metalls, mit dem Befehl, sie in den Hochofen dieser Welt zu werfen, wenn sie selbst dem der andern Welt entgehen wollten. Und zuletzt machte er noch eine oratorische Anstrengung, worin er auf den Namen der Kirche anspielte, die von seinen donnernden Perioden widerhallte:

»Und da an dieser Stelle früher eine öffentliche Wage stand, rief er, an die man die Ohren ungetreuer Advocaten und andrer Uebelthäter nagelte. so werdet Ihr auch auf der Wage des Jüngsten Gerichts ohne Gnade gewogen werden, und unter der Last Eures Goldes wird sich die Schale hinabsenken bis zur Hölle!«

Mit einem ergreifenderen Bilde konnte einer gar nicht schließen.

Der Reverend Tyrcomel machte zum Abschied eine Bewegung, die in einer katholischen Kirche als Segensspruch aufgefaßt worden wäre. Dann verschwand er plötzlich.

[327] Meister Antifer, Zambuco und Saouk wollten ihn an der Kirchenthür erwarten, ihn im Fluge haschen, ihn gleich hic et nunc interviewen. Bis zum nächsten Morgen konnten sie gar nicht warten, konnten ihre Frage nicht um sieben bis acht Stunden aufschieben. Wie hätten sie denn diese Nacht vor Aufregung hin bringen sollen! Nein, sie stürmten also nach der Mittelpforte und rannten an die Gläubigen, die sich eine solche, noch nie dagewesene Rohheit verbaten.


Er wurde wie ein Gepäckstück bewußtlos ans Land befördert. (S. 324.)

Gildas Tregomain, Juhel und der Notar folgten ihnen, doch in anständiger Weise. Leider sollten sich alle vergeblich bemüht haben. Um sich jeder [328] ihm zu gedachten Ovation zu entziehen – übrigens der einzigen Folge, die seine Predigt haben sollte – hatte Reverend Tyrcomel die Kirche durch eine Seitenthür verlassen.


Im Ganzen ein düsteres, unbequemes Haus. (S. 331.)

Vergeblich erwarteten ihn Pierre-Servan-Malo und seine Gefährten auf den Stufen des Säulenvorbaues, suchten nach ihm in der Menge der Andächtigen, fragten den Einen und den Andern... der Clergyman hatte auf seinem Wege durch die Menge nicht mehr Spuren hinterlassen, wie der Fisch im Wasser oder der Vogel in der Luft.

[329] Da starrten sich alle wüthend an, so als habe ihnen ein Uebelthäter eine gewisse Beute entrissen.

»Nun also, nach 17, North-Bridgestreet! rief Meister Antifer.

– Aber, lieber Onkel...

– Und ehe er sich niederlegt, setzte der Banquier hinzu, entreißen wir ihm noch...

– Aber, Herr Zambuco...

– Keine Einrede, Juhel!

– Doch... nur eine Bemerkung, lieber Onkel.

– Und die beträfe? fragte Meister Antifer, den schon der Zorn übermannte.

– Das, worüber jener Tyrcomel eben predigte...

– Hat das etwas mit uns zu thun?

– Sehr viel, bester Onkel.

– Du treibst wohl Deinen Spott mit uns, Juhel?

– Nein, mir ist's völlig ernst, und für Sie ist es geradezu ein Unglück!

– Für mich?

– Ja. Hören Sie nur!«

Juhel schilderte nun in wenigen Worten die Anschauungen des Reverend Tyrcomel, welches Thema er in seinen endlosen Reden behandelt hätte, und wie seiner Ansicht nach alle Millionen in die Tiefe des Oceans versenkt werden sollten.

Der Banquier schien verstimmt – Saouk ebenfalls, obwohl er sich stellte, als ob er nichts verstände. Gildas Tergomain machte ein enttäuschtes Gesicht. Offenbar fiel allen aus großer Höhe ein Dachziegel auf den Kopf!

Meister Antifer antwortete seinem Neffen doch keineswegs so, als ob er betroffen wäre, sondern sagte ironisch:

»Schwachkopf!... Schwachkopf!... Schwachkopf!... Solche Sachen predigt man doch nur, wenn man keinen Sou in der Tasche hat! Laß nur die dreißig Millionen vorfahren, die ihm zukommen sollen, und Du wirst sehen, daß Dein Tyrcomel sofort bereit sein wird, sie uns aus dem Wasser zu angeln!«

Diese Antwort zeigt unbedingt eine tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens. Jedenfalls verzichtete man aber für heute Abend darauf, den Reverend in seiner Wohnung in der North-Bridgestreet aufzusuchen, und unsre kleine Gesellschaft begab sich nach Gibb's Royal-Hôtel zurück.

[330]
12. Capitel
Zwölftes Capitel.
Worin man sieht, daß es nicht leicht ist, einen Clergyman zu bewegen, daß er das sagt, was er zu verschweigen beschlossen hat.

Das Haus des Reverend Tyrcomel lag im Quartier der Canonstraße der Alten Stadt, der »Alten Eingerauchten«, wie sie in Schriftstücken aus früherer Zeit genannt wird. Es grenzte an das Haus John Knox', dessen Fenster sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts so oft öffneten, um den berühmten schottischen Reformator eine Rede an die Volksmenge halten zu lassen. Diese Nähe oder diese Nachbarschaft konnte dem Reverend Tyrcomel nur gefallen. Auch er strebte danach, Reformen selbst durchzusetzen, wenn er diese auch nicht von seinem Fenster aus predigte.

Das Fenster des Zimmers, das er in diesem Hause bewohnte, lag übrigens gar nicht nach der Straße zu, sondern nach dem nördlichen »Hohlwege« hinaus, einem Platze, der jetzt einen von der Eisenbahn durchschnittenen öffentlichen Garten bildet. Befand sich das Fenster an der einen Seite im dritten Stockwerk, so lag es nach der des »Hohlweges« im achten, so bedeutend war der Höhenunterschied auf eine ganz kurze Strecke.

Im Ganzen ein düstres, unbequemes Haus, gehörte es zu denen, die sich in den unsaubern und ungesunden, »Closes« genannten Gäßchen der Gegend zusammendrängen. Viele solche münden auf die historische Canongate aus, die unter verschiedenen Bezeichnungen vom Schlosse Holyrood bis zum Schlosse Edinburg heranreicht, letzteres eins der vier Festungswerke Schottlands, die nach dem Unionsvertrage stets in vollem Vertheidigungszustande gehalten werden müssen.

Vor der Thür des genannten Hauses standen nun am Morgen des 26. Juni Meister Antifer und der Banquier Zambuco in Begleitung Juhels, als es an der nahen Kirche gerade acht Uhr schlug. Ben Omar war, da man ihn bei diesem ersten Zusammentreffen nicht brauchte, gar nicht zum Mitgehen aufgefordert worden. So befand sich also, zu seinem Verdrusse, auch Saouk nicht mit hier, und wenn der Clergyman sein Geheimniß der Breite offenbarte, konnte [331] er davon nicht Kenntniß nehmen, was ihm wiederum die Möglichkeit raubte, dem Malouin in der Aufsuchung des dritten Eilands zuvorzukommen.

Der Frachtschiffer war in Gibb's Royal-Hôtel zurückgeblieben und unterhielt sich in Erwartung der Rückkehr der übrigen mit Betrachtung der Wunder der Princesstreet und der Schönheiten des Denkmals Walter Scott's. Juhel hatte es nicht abschlagen können, seinen Onkel zu begleiten, weil er vielleicht als Dolmetscher dienen mußte. Auch ihm lag ja sehr viel daran, zu erfahren, wo das neue Eiland zu suchen sei, und ob die Launen Kamylk-Paschas sie vielleicht gar noch bis zur Neuen Welt hinaustrieben.

Da Saouk sich also ausgeschlossen sah, gerieth er natürlich in die gewohnte Wuth, die er wieder wie gewöhnlich an Ben Omar ausließ, den er mit Schimpfworten und Beschuldigungen geradezu überschüttete.

»Ja, Dein Fehler ist es, rief Saouk, im Zimmer alles durcheinanderwerfend, und ich habe große Lust, Dich dafür mit dem Rohrstocke zu bezahlen!

– Excellenz, ich habe gethan, was mir möglich war...

– Nein, das hast Du nicht gethan! Du mußtest Dich an den elenden Matrosen anklammern, ihm erklären, daß Deine Anwesenheit nothwendig sei, dann wärest Du wenigstens dabei gewesen und hättest erfahren und mir überbracht, was das neue Eiland angeht, dann wär's mir vielleicht möglich gewesen, den andern zuvorzukommen! Daß Mahomed Dich erwürge! Meinen Plan einmal in Mascat, dann in Ma-Yumba und hier wohl zum dritten Male scheitern zu sehen! Und das nur, weil Du auf der Stelle festgenagelt bleibst, wie ein altes Ibisbild aus Stein!

– Ich bitte Sie, Excellenz...

– Und ich, ich schwöre Dir, wenn ich nicht zum Ziel komme, bezahlst Du mir mit Deiner Haut dafür!«

In dieser Weise ging es weiter und der Auftritt wurde so laut, daß es auch der Frachtschiffer hörte. Er ging bis zur Thür des betreffenden Zimmers, und es war ein Glück für Saouk, daß er sich der ägyptischen Sprache bediente. Hätte er auf Ben Omar französisch losgewettert, so erhielt Gildas Tregomain ja Kenntniß von seinem abscheulichen Vorhaben und es wäre an den Tag gekommen, wer unter dem angeblichen Schreiber eigentlich verborgen war. Natürlich wäre er dann behandelt worden, wie es der Schurke verdiente.

Wenn der Frachtschiffer also auch nicht alles durchschaute, so erstaunte er doch nicht wenig über die Art und Weise, wie der Schreiber den Notar [332] behandelte, und das schien ihm den Verdacht des jungen Kapitäns in hohem Maße zu rechtfertigen.

Ins Haus des Clergyman eingetreten, erstiegen Meister Antifer, Zambuco und Juhel die hölzerne Treppe, wobei sie sich an einem längs der Treppe verlaufenden Seile anhielten. Der Frachtschiffer hätte, obwohl er einen Theil seiner Wohlbeleibtheit eingebüßt hatte, diesen schmalen und halbfinstern Weg niemals emporsteigen können.

Die Fremden gelangten nach dem Vorsaale des dritten Stockwerks, des letzten an dieser Seite des Gebäudes. Hier fanden sie eine Bogenthür mit dem Namen: Reverend Tyrcomel.

Meister Antifer athmete tief auf und klopfte dann kräftig an.

Die Antwort ließ auf sich warten. Sollte der Clergyman nicht zu Hause sein? Wie durfte er das wagen, jetzt, wo ihm Millionen ins Haus fliegen sollten?

Zweites Klopfen – noch etwas stärker.

Jetzt entstand im Zimmer ein schwaches Geräusch, und wenn nicht die Thür, so öffnete sich doch ein kleines Schiebfensterchen unter dem Namen des Reverend Tyrcomel.

Durch diese Oeffnung erschien ein Kopf, der des Clergymans, den man unter dem hohen Hute, welcher diesen bedeckte, leicht erkannte.

»Was wünschen Sie? fragte Tyrcomel, wobei der Ton seiner Stimme erkennen ließ. daß er sich nicht gern gestört sah.

– Wir möchten einige Worte mit Ihnen sprechen, antwortete Juhel rasch.

– Und worüber?

– Es handelt sich um ein wichtiges Geschäft...

– Ich habe keine Geschäfte... weder wichtige, noch andere.

– Sapperment, wird er denn aufmachen, dieser Reverend!« rief Meister Antifer, der sich über die vielen Umstände ärgerte.

Sofort antwortete ihm der Clergyman in seiner eignen Sprache, die er wie seine Muttersprache beherrschte:

»Sie sind Franzosen?

– Ja, mein Herr,« antwortete Juhel.

Und in der Meinung, daß es ihre Einführung bei dem Geistlichen nur erleichtern könne, setzte er hinzu:

»Franzosen, die gestern Abend Ihrer Predigt in der Tron Church beiwohnten...

[333] – Und die sich entschlossen haben, meine Lehren anzunehmen? fiel der Clergyman lebhaft ein.

– Vielleicht, Herr Reverend...

– Ich dächte gar, knurrte Meister Antifer, er wird sich im Gegentheil zu den unsrigen bekennen lernen.«

Die Thür ging auf und die vermuthlichen Neubekehrten standen dem Reverend Tyrcomel gegenüber.

Ein einziges Zimmer, das sein Licht von dem nach dem »Hohlwege« hinaus liegenden Fenster erhielt, in einer Ecke ein eisernes Bettgestell mit einer Strohmatratze und einer Decke, in einer andern ein Tisch mit wenigen Toilettegegenständen. Als Sitz ein Schemel. Als Möbel ein geschlossener Schrank, der jedenfalls Kleidungsstücke enthielt. Auf einem Bücherbrett mehrere Bücher, darunter die Bibel in einem vom vielen Gebrauch abgenutzten Einband, und verschiedene Schreibgeräthe. Vorhänge am Fenster fehlten. Auf dem Nachttische eine Lampe mit tief herabreichendem Lichtschirm. Alles zusammen bildete also gleichzeitig Schlaf- und Arbeitszimmer mit der nothdürftigsten Ausstattung. Seine Mahlzeiten nahm der Clergyman in einem benachbarten Restaurant ein, und das war gewiß auch nicht das modernste und eleganteste Local dieser Art.

Der Reverend Tyrcomel in langem schwarzen Rocke, aus dem nur oben die weiße Cravatte hervorschimmerte, nahm beim Eintritt der Fremden den Hut ab, und wenn er sie nicht zum Niedersetzen einlud, geschah das, weil er ihnen eben keinen Stuhl anzubieten vermochte.

Wahrlich, wenn Millionen jemals gelegen kamen, so war es in dieser Klosterzelle, wo einer kaum dreißig Schillinge gefunden hätte.

Meister Antifer und der Banquier Zambuco sahen einander an. Wie sollten sie das Feuer eröffnen? Da ihr Gegenüber französisch sprach, war Juhel nicht mehr nothwendig, und dieser gab also nur einen Zuschauer bei der Sache ab. Er zog diese Stellung übrigens vor und mit einem gewissen Gefühl von Neugier sah er der sich entwickelnden Schlacht entgegen, von der niemand den Sieg im voraus bestimmen konnte. Auf seinen Onkel Antifer hätte er aber nicht wetten mögen.

Zuerst fühlte sich dieser verlegener, als er das je geglaubt hätte. Nach dem, was er von dem unversöhnlichen Geistlichen, von dessen Ansichten über die Güter dieser Erde wußte, hielt er es für geboten, recht geschickt vorzugehen, das Terrain zu sondieren und den Reverend Tyrcomel ganz allmählich dahin zu lenken, daß er von dem Briefe Kamylk-Paschas, der ja in seinem Besitz sein [334] mußte, zu reden anfing, von dem Briefe, der ja die neuen, hoffentlich die letzten Angaben wegen einer Breitenlage enthielt.

Dahin ging wenigstens der Rath Zambuco's, der seinem Schwager diese Vorsicht dringend anempfohlen hatte. Ob der hitzige Malouin das aber einhalten würde, war eine ganz andre Frage.

Jedenfalls ergriff dieser nicht zuerst das Wort. Während die drei Besucher eine geschlossene Gruppe bildeten, stellte sich der Reverend Tyrcomel wie ein Prediger vor sie hin. Ueberzeugt, daß diese Leute aus freiem Antriebe kamen, um sich seinen Lehren zu unterwerfen, dachte er nur daran, ihnen seine Grundsätze noch einmal zu entwickeln.

»Liebe Brüder, begann er, die Hände aus Dankbarkeit gegen sie faltend, ich danke dem Schöpfer für die mir verliehene Gabe der Rede, die mir gestattet hat, bis in die Tiefen Eurer Herzen zu dringen und Euch von der Werthlosigkeit aller irdischen Reichthümer zu überzeugen...«

Da hätte man die Gesichter der beiden Erben sehen sollen!

»Liebe Brüder, fuhr der Clergyman fort, indem Ihr die Schätze, die Ihr etwa besitzt, vernichtet...

– Die wir noch nicht besitzen! fühlte sich Juhels Onkel zu rufen versucht.

–... werdet Ihr ein bewunderungswerthes Beispiel geben, dem bald Alle folgen, die sich über die materiellen Dinge dieser Welt zu erheben vermögen.«

Mit einer heftigen Bewegung der Kinnladen schob Meister Antifer seinen Kiesel von einer Wange nach der andern, während Zambuco ihm zuzuflüstern schien:

»Wollen Sie denn diesem Schwätzer den Grund unsres Besuchs gar nicht mittheilen?«

Ein bejahendes Zeichen war die Antwort des Malouin, der sich selbst sagte:

»Nein, ich werde einem solchen Schwärmer nicht gestatten, seine gestrige Predigt zu wiederholen!«

Der Reverend Tyrcomel breitete schon die Arme aus, als wolle er reuige Sünder in dieselben schließen, und begann mit salbungsvoller Stimme:

»Ihre Namen, liebe Brüder, damit ich...

– Unsre Namen und unsre Berufe, Herr Tyrcomel, unterbrach ihn Meister Antifer, sind:

Ich, Meister Antifer, Pierre-Servan-Malo, Kapitän der Küstenfahrt in Ruhestand. – Juhel Antifer, mein Neffe, Kapitän der langen Fahrt, – Herr Zambuco, Banquier aus Tunis.«

[335] Der Clergyman trat an den Tisch, um die Namen aufzuschreiben, indem er sagte:


Da hätte man die Gesichter der beiden Erben sehen sollen (S. 335.)

Da hätte man die Gesichter der beiden Erben sehen sollen (S. 335.)


»Sie bringen mir ohne Zweifel, um sich derselben zu entledigen, Ihre irdischen Güter... vielleicht Millionen...

– In der That, Herr Tyrcomel, es handelt sich um Millionen und wenn Sie davon Ihren Antheil erhalten haben werden. steht es Ihnen frei, alles zu vernichten; was aber uns betrifft, so liegt die Sache etwas anders...«


»Ich werde Dir diesen Brief zu entreißen wissen« (S. 341.)

O, da segelte Meister Antifer aber falschen Cours. Juhel und Zambuco erkannten es an dem plötzlich veränderten Gesichtsausdruck des Clergyman. Seine Stirne furchte sich, seine Augen wandten sich halb ab [336] und die vorher weit offnen Arme schlossen sich über der Brust, wie die Thüren eines Geldschrankes.

»Um was handelt es sich, meine Herren? fragte er, einen Schritt zurücktretend.

– Um was es sich handelt? antwortete Meister Antifer. He, Juhel, setze Du ihm die Geschichte auseinander, denn ich wäre nicht im Stande, meine Worte ordentlich zu beherrschen!«

[337] Juhel that, wie er wünschte. Er erzählte alles, was er von Kamylk-Pascha wußte, die diesem von seinem Großvater geleisteten Dienste, erwähnte die Verpflichtungen, die jener gegen den Banquier Zambuco gehabt hatte, den Besuch des Testamentvollstreckers Ben Omar, Notars in Alexandria, in Saint-Malo, die Reise nach dem Golf von Oman, wo das Eiland Nummer Eins lag, danach die bis zur Ma-Yumbabai mit dem Eiland Nummer Zwei, die Auffindung des zweiten Documentes, das die beiden Erben an einen dritten Miterben verwies, der kein andrer wäre als der Reverend Tyrcomel, Esquire, von Edinburg u.s.w.

Während Juhel sprach, hörte der Clergyman zu, ohne sich zu rühren, ohne eine Miene zu verziehen und einen Muskel zucken zu lassen. Eine Statue aus Marmor oder Bronze hätte nicht regungsloser dastehen können. Und als der junge Kapitän seinen Bericht beendet hatte und den Reverend Tyrcomel fragte, ob er jemals zu Kamylk-Pascha in irgendwelcher Beziehung gestanden habe, antwortete dieser:

»Nein!

– Doch Ihr Vater?

– Vielleicht.

– Vielleicht, ist keine Antwort, bemerkte Juhel, seinen Onkel beruhigend, der sich schon um und um drehte, als ob er von einer Tarantel gestochen worden wäre.

– Es ist aber die einzige, die mir zu geben beliebt... erwiderte der Clergyman trocken.

– Dringen Sie in ihn, Juhel, lassen Sie nicht locker... sagte der Banquier.

– In jeder nur möglichen Weise, Herr Zambuco,« versicherte Juhel.

Er wendete sich wieder an den Reverend, dessen Haltung erkennen ließ, daß er die äußerste Reserve zu bewahren gedachte.

»Darf ich noch eine Frage, eine einzige, an Sie richten?

– Gewiß, wenn es mir gestattet ist, nicht darauf zu antworten.

– Ist Ihnen bekannt, daß Ihr Vater jemals in Aegypten gewesen wäre?

– Nein.

– Doch wenn nicht in Aegypten, so vielleicht in Syrien oder noch richtiger in Aleppo?«

Wir erinnern daran, daß Kamylk-Pascha vor seiner Rückkehr nach Aegypten in dieser Stadt mehrere Jahre gewohnt hatte.

[338] Nach kurzer Ueberlegung gab der Reverend Tyrcomel zu, daß sein Vater allerdings in Aleppo gewohnt und dort mit Kamylk-Pascha in Beziehung gestanden habe. Kein Zweifel also, daß diese Beziehungen letzterem in ähnlicher Weise gegen genannten Tyrcomel Verpflichtungen erzeugt hatten, wie gegen Thomas Antifer und den Banquier Zambuco.

»Dann muß ich auch fragen, fuhr Juhel fort, ob Ihr Vater einmal einen Brief von Kamylk-Pascha erhalten hat...

– Ja.

– Einen Brief, worin von der Lage eines gewissen Eilands die Rede war, das einen Schatz enthalte?...

– Ja.

– Und war in diesem Briefe nicht die Breite jenes Eilands angegeben?

– Ja.

– Sagte er ferner nicht, daß sich eines Tages ein gewisser Antifer und ein gewisser Zambuco bei Ihnen einstellen würden?...

– Ja.«

Diese »Ja« des Clergyman ertönten wie Hammerschläge von kräftiger Hand.

»Nun also, nahm Juhel wieder das Wort, Meister Antifer und der Banquier Zambuco stehen hier vor Ihnen, und wenn Sie ihnen den Inhalt vom Briefe des Paschas mittheilen wollen, so werden diese nichts anderes zu thun haben, als sich auf den Weg zu machen, um den Willen des Testators zu erfüllen, dessen drei Erben die beiden Genannten und Sie selbst sind.«

Als Juhel sprach, gab sich Meister Antifer die größte Mühe, an einer Stelle zu bleiben, und wurde einmal dunkelroth, wenn ihm das Blut zu Kopfe stieg, und dann wieder leichenblaß, wenn es nach dem Herzen zurückwich.

Der Clergyman ließ auf seine Antwort etwas warten und sagte endlich mit zusammengekniffenen Lippen:

»Und was beabsichtigen Sie, wenn Sie sich nach der Stelle begeben haben, wo jener Schatz liegt?

– Ihn auszugraben, Sapperment! rief Meister Antifer.

– Und wenn das geschehen ist?

– Ihn in drei Theile zu theilen!

– Und welchen Gebrauch würden Sie von Ihrem Theil machen?

– Den, der uns beliebt, Herr Reverend!«

[339] Das war noch eine weitere beklagenswerthe Erwiderung des Malouin, die den Clergyman auf sein Steckenpferd brachte.

»Darum aber handelt es sich gerade, meine Herren, versetzte dieser, während seine Augen aufflammten. Sie gedenken diese Reichthümer zu benützen, um Ihren Trieben, Ihrem Verlangen, Ihren Leidenschaften zu fröhnen, das heißt mit andern Worten, um die Uebel dieser Erde noch zu vermehren!

– Erlauben Sie... unterbrach ihn Zambuco.

– Nein... ich erlaube nichts, wünsche aber Antwort auf eine Frage: Verpflichten Sie sich, jenen Schatz zu zerstören, wenn er Ihnen in die Hände fällt?

– Jeder wird mit seinem Legat anfangen, was ihm beliebt,« entgegnete der Banquier ausweichend.

Jetzt fuhr Pierre-Servan-Malo auf.

»Darum handelt es sich nicht im geringsten, rief er. Sie, Herr Reverend, zweifeln wohl an dem Werthe des Schatzes?

– Der ist mir ganz gleichgiltig.

– Er beträgt hundert Millionen Francs.... hundert Millionen... wovon der dritte Theil, das heißt dreiunddreißig Millionen, Ihnen zukommt... –

Der Clergyman zuckte die Schultern.

»Wissen Sie wohl auch, Herr Reverend, fuhr Meister Antifer fort, daß Sie uns die Mittheilung, die vom Testator Ihnen anvertraut ist, gar nicht vorenthalten dürfen?

– Wirklich?

– Wissen Sie, daß man ebensowenig das Recht hat, hundert Millionen ungenutzt liegen zu lassen, wie das, sie zu stehlen?...

– Das ist meine Ansicht nicht.

– Wissen Sie, daß wir, im Falle Sie auf Ihrer Weigerung beharren, heulte Meister Antifer in höchstem Zorn, daß wir nicht zögern werden, Sie vor Gericht zu ziehen, Sie als unverständigen Erben, als Verbrecher zu denuncieren?...

– Als Verbrecher! wiederholte der Clergyman, der möglichst kalt blieb – wahrhaftig, meine Herren, Ihre Kühnheit wird nur von Ihrer Beschränktheit übertroffen! Sie können glauben, ich würde mich dazu hergeben, jene hundert Millionen auf der Erde zu verbreiten, den Sterblichen Mittel zu bieten, um hundert Millionen weitere Sünden zu begehen, Sie glauben, ich könnte allen meinen Lehren ins Gesicht schlagen und den Gläubigen der Freien Kirche von [340] Schottland, die ebenso puritanisch wie streng ist, das Recht geben, mir jene Millionen ins Gesicht zu werfen?«

Ja, der Reverend Tyrcomel war prächtig anzuschauen bei diesem Ausbruche von Beredtsamkeit! Juhel konnte nicht umhin, den Eiferer zu bewundern, während sein Onkel eher bereit war, über ihn herzufallen.

»Ja oder nein, rief dieser mit geballten Fäusten vortretend, ja oder nein, wollen Sie uns den Brief des Paschas mittheilen?

– Nein.«

Meister Antifer kochte.

»Nein?... wiederholte er.

– Nein.

– Ah, Spitzbube!... Ich werde Dir diesen Brief zu entreißen wissen!«

Juhel mußte dazwischen treten, um seinen Onkel von Thätlichkeiten zurückzuhalten. Dieser stieß ihn heftig zurück... Er wollte den Clergyman, der ebenso entschlossen wie unerbittlich dastand, auf der Stelle erwürgen, wollte das Zimmer, den Schrank, seine Papiere durchsuchen... Da wurde er jedoch durch eine sehr einfache, aber bestimmte Antwort des Clergyman von jedem unüberlegten Schritt abgehalten.

»Es ist ganz unnütz, jenen Brief zu suchen, begann der Geistliche...

– Und warum? fragte der Banquier Zambuco.

– Weil ich ihn gar nicht mehr besitze.

– Und was haben Sie damit gemacht?

– Ich... ich habe ihn verbrannt.

– Ins Feuer... ins Feuer hat er den Brief geworfen! fuhr Meister Antifer auf. Der Elende! Einen Brief mit einem Geheimniß von hundert Millionen... mit einem Geheimnisse, das nun für immer unenthüllt bleiben wird!«

Die Sache verhielt sich wirklich so. Gewiß um die Versuchung abzuwenden, von diesem Briefe Gebrauch zu machen – einen Gebrauch, der allen seinen ethischen Grundsätzen zuwiderlief – hatte der Reverend Tyrcomel das wichtige Schriftstück schon vor mehreren Jahren verbrannt.

»Und nun, bitte... verlassen Sie mich!« sagte er zu den Besuchern, ihnen die Thüre zeigend.

Meister Antifer war wie vom Donner gerührt. Das Document zerstört... Die Unmöglichkeit, die Lage des Eilandes jemals festzustellen! Dem Banquier [341] Zambuco ging es ähnlich, doch dieser weinte wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat.

Juhel mußte die beiden Erben erst nach der Treppe, und dann nach der Straße hinausschieben, dann schlugen alle Drei die Richtung nach Gibb's Royal-Hôtel ein.

Als sie weg waren, erhob der Reverend Tyrcomel die Hände gen Himmel und dankte diesem, daß er ihn ausersehen hätte, diese Ueberschwemmung von Sünden. womit die Erde bedroht war, glücklich abzulenken.

13. Capitel
Dreizehntes Capitel.
Worin man die dritte Rolle oder den »Verräther« dieser tragikomischen Geschichte verschwinden sehen wird.

So viel Erregung, Angst und Qual, Wechsel zwischen Furcht und Hoffnung, war entschieden mehr, als Meister Antifer aushalten konnte. Körperliche und seelische Kräfte, sogar die eines Kapitäns der Küstenfahrt, haben schließlich eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Der zu hart geprüfte Onkel Juhels mußte das Bett hüten, als man ihn ins Hôtel zurückgeführt hatte. Er verfiel in ein Fieber mit Irrereden, das recht ernste Folgen haben konnte. Die schrecklichsten Bilder erfüllten sein Gehirn, jetzt, wo seine Fahrt nach dem Glück statt zu endigen, nur unterbrochen worden war, die Nutzlosigkeit weiterer Nachsuchungen, der ungeheure Schatz, dessen Versteck niemals bekannt werden sollte, jenes dritte, in unbekannter Gegend verlorene Eiland, das einzige Schriftstück, das dessen genaue Lage enthüllen konnte, zerstört, vernichtet, verbrannt von diesem entsetzlichen Clergyman, jene Breite, die selbst die Tortur ihm nicht entreißen würde, weil er sie freiwillig, verbrecherischer Weise vergessen hatte!... Ja, es war zu befürchten, daß der erschütterte Verstand des Malouin diesem letzten Schlage nicht widerstehen würde, und auch der eiligst herbeigezogene Arzt hielt es nicht für unmöglich, daß er bald einer Geistesstörung verfallen könne.

[342] Jedenfalls sollte es ihm an keiner Pflege mangeln. Sein Freund Gildas Tregomain und sein Neffe Juhel verließen ihn keinen Augenblick, und wenn er sich wieder erholte, hatten sie gewiß auf seine Dankbarkeit Anspruch.

Nach der Rückkehr ins Hôtel hatte Juhel den Notar sofort benachrichtigt, und von diesem erfuhr wieder Saouk von der Weigerung des Reverend Tyrcomel. Die Wuth des falschen Nazim kann man sich da wohl vorstellen. Diesmal kam es aber zu keinem äußern Ausbruche – jenen gewaltthätigen Handlungen, die immer auf den unglücklichen Notar zurückfielen. Alles concentrierte sich auf ihn selbst, und vielleicht bildete er sich ein, daß es ihm besser als dem Meister Antifer gelingen werde, hinter das Geheimniß zu kommen und dieses dann zum eignen Vortheile auszunützen. Dahin ging also sein ganzes Streben, und man konnte beobachten, daß er sich weder diesen Tag noch an den folgenden im Hôtel wieder blicken ließ.

Der Frachtschiffer hatte nach Anhörung des Juhel'schen Berichts über den Besuch bei dem Clergyman einfach gesagt:

»Ich glaube wohl, daß die Geschichte nun so gut wie begraben ist... Ist das nicht auch Deine Ansicht, mein Junge?

– Ja freilich, Herr Tregomain, es erscheint mir ganz unmöglich, einen solchen Starrkopf zum Reden zu bewegen...

– Ein schnurriger Kauz ist er doch, dieser Tyrcomel, dem man Millionen ins Haus bringt... und er schlägt sie ab!

– Millionen bringt?... erwiderte der junge Kapitän, den Kopf schüttelnd.

– Du glaubst nicht daran, Juhel?... O, Du hast doch wohl Unrecht!

– Wie haben Sie sich verändert, Herr Tregomain!

– Sapperment, seit Auffindung der Diamanten, ja! Ich sage natürlich nicht, daß sich deshalb Millionen auf dem dritten Eiland befinden, und doch, sie könnten ja da liegen. Da der Clergyman sich aber zu nichts verstehen will, wird die Lage desselben ja niemals bekannt werden!...

– Und ich sage Ihnen, Herr Tregomain, trotz der beiden Diamanten von Ma-Yumba wird mir nichts die Ueberzeugung rauben, daß der Pascha uns ungeheuer an der Nase herumführt...

– Jedenfalls droht das Deinem armen Onkel theuer zu stehen zu kommen, Juhel. Jetzt gilt es vor allem, ihn abzulenken, wenn er immer noch bei der Sache beharrt. Wir wollen ihn pflegen wie barmherzige Schwestern und wenn wir ihn wieder auf den Füßen und genügend bei Kräften haben, um reisen zu [343] können, so denk' ich, wird er zustimmen, nach Frankreich heimzukehren, um dort das alte ruhige Leben wieder zu beginnen...


Als sie weg waren, erhob der Reverend Tyrcomel die Hände gen Himmel. (S. 342.)

– Ach, Herr Tregomain, warum befindet er sich nicht in dem Hause der Rue des Hautes-Salles?

– Und Du bei unsrer kleinen Enogate, mein Junge! Doch, wirst Du ihr nicht schreiben?

– Noch heute, Herr Tregomain, und diesmal glaub' ich ihr unsre bestimmte Rückkehr ankündigen zu können!«


Die Canongate und das Schloß Edinburg. (S. 348.)

[344] [347]Einige Tage verstrichen. Der Zustand des Kranken hatte sich nicht verschlimmert... Das Fieber nahm langsam ab. Der Arzt zeigte sich aber ziemlich beunruhigt wegen des Verstandes des Patienten. Sein Kopf war noch immer nicht ganz klar. Er erkannte jedoch seinen Freund Tregomain, seinen Neffen Juhel und seinen zukünftigen Schwager... Schwager?... Unter uns, wenn eine Vertreterin des schönen Geschlechts Gefahr lief, für immer alte Jungfer zu bleiben, war das nicht das an den Grenzen der Fünfzig stehende Fräulein Talisma Zambuco, die in ihrem Jungfernstübchen in Malta das Erscheinen des versprochenen Gatten nicht ohne Ungeduld erwartete? Denn, kein Schatz – kein Ehemann, weil das eine nur das andere vervollständigte.

Weder der Frachtschiffer noch Juhel konnten, da der Kranke ihrer Gegenwart bedurfte, das Hôtel unter diesen Verhältnissen verlassen. Jener verlangte, daß sie Tag und Nacht in seinem Zimmer blieben und seine Klagen, seine Vorwürfe und vorzüglich seine Drohungen gegen den schrecklichen Clergyman anhörten. Er sprach von nichts andrem, als diesen gerichtlich verfolgen zu lassen, ihn vor den Friedensrichter oder die Sherifs, ja bis vor den hochnothpeinlichen Criminalgerichtshof, den Justitiary Court von Edinburg zu schleppen. Die Richter würden ihn dann zum Reden bringen – es war gesetzlich nicht erlaubt zu schweigen, wenn man durch ein einziges Wort dem Geldverkehr des Landes eine Summe von hundert Millionen zuführen kann... Für ein solches Verbrechen muß es Strafen, schwere, schreckliche Strafen geben, und wenn für solche Verbrecher nicht die hanfene Halskrause oder etwas ähnliches vorgesehen ist, wer verdient dann überhaupt noch gehenkt zu werden?

Vom Morgen bis zum Abend fand Meister Antifer kein Ende. Gildas Tregomain und Juhel wachten abwechselnd bei ihm, wenn sie wegen einer Krisis nicht beide an seiner Seite bleiben mußten. Der Kranke wollte dann aus dem Bett springen, aus dem Zimmer und zum Reverend Tyrcomel laufen, ihm mit dem Revolver den Schädel zertrümmern – so daß der Frachtschiffer alle Gewalt anwenden mußte, um ihn zurückzuhalten.

Trotz seines lebhaften Wunsches, die schöne Stadt Edinburg, die aus Steinen und Marmor erbaut ist, zu besichtigen, mußte Gildas Tregomain auf dieses Vergnügen vorläufig verzichten. Später, wenn sein Freund der Genesung entgegenging, oder wenn er wenigstens erst wieder ruhig geworden wäre, wollte er sich dafür schadlos halten... Dann gedachte er den Holyrood-Palast, die alte Residenz der schottischen Herrscher, zu besuchen, die Königszimmer, [347] das Schlafgemach der Maria Stuart, im gleichen Zustande, wie es zur Zeit der unglücklichen Königin aussah. Er wollte die Canongate bis zu dem, so stolz auf seinem Basaltfelsen liegenden Schlosse hinaufwandern, wo das Zimmer noch gezeigt wird, in dem das Kind zur Welt kam, das einst Jacob VI. von Schottland und Jacob I. von England werden sollte. Er nahm sich vor, den »Arthur seat« zu besteigen, der, von Westen aus gesehen, einem ruhenden Löwen gleicht, und von dem aus man in der Höhe von zweihundertsiebenundvierzig Metern über dem Meere die ganze Stadt übersehen kann, die Stadt mit den vielen Hügeln, wie die der Cäsaren an der Tiber, und weiterhin bis nach Leith, dem eigentlichen Hafen Edinburgs an der Bai des Forth, bis zur Küste des Ben Lomond, des Ben Ledi, des Lammermoor – bis hinaus nach dem grenzenlosen Meere...

Wie viele natürliche Schönheiten und solche, die des Menschen Hand geschaffen, gab es da, die der Frachtschiffer, trotz seines Kummers über den durch die Hartnäckigkeit des Clergymans verlornen Schatz. so gern bewundert hätte und an deren Besuch er nun gehindert war, durch die traurige Pflicht, die ihn ans Krankenlager des befehlerischen Kranken fesselte!

So sah sich der vortreffliche Mann darauf beschränkt, durch das Hôtelfenster zu schauen, wobei er das berühmte Monument Walter Scott's erblickte, dessen höchste Pinacelu sich fast zweihundert Fuß hoch erhoben, in Erwartung, daß sich alle seine Nischen mit den sechsundfünfzig Helden, die die Phantasie des großen schottischen Romanciers erschuf, besetzen würden.

Ließ Gildas Tregomain den Blick dann die lange Perspective der Princes-Street nach dem Calton-Hill hinunterschweifen, so erkannte er die große, vergoldete, an einem Maste auf der Sternwarte aufgezogene Kugel, deren Herabsinken genau den Moment anzeigt, wenn die Sonne durch den Meridian der Landeshauptstadt geht.

Ja, das blieb aber immer ein und dasselbe.

Inzwischen hatte sich ein Gerücht verbreitet – erst in der Canongate und allmählich in der ganzen Stadt – das recht dazu geeignet war, die Popularität des Reverend Tyrcomel nur noch zu steigern. Man erzählte sich, daß der berühmte Kanzelredner, als ein Mann, der seine Handlungen und seine Reden in Uebereinstimmung hielt, eine Erbschaft von ungeheurem Werthe abgeschlagen habe. Erst sprach man von mehreren Millionen, dann gleich von mehreren hundert Millionen, die er der menschlichen Habgier entziehen wolle. Vielleicht half der [348] Clergyman zur Verbreitung dieser ihm dienlichen Gerüchte selbst mit, indem er nicht darauf ausging, dieses Geheimniß zu bewahren. Jetzt bemächtigten sich die Journale der Angelegenheit, setzten sie des weitern auseinander, und bald war nur noch von dem Schatze Kamylk-Paschas die Rede, der unter dem Felsen eines unbekannten Eilands verscharrt lag. Was die Bezeichnung der Lage desselben betraf, so hing das, wenn man den öffentlichen Blättern, die der Reverend Tyrcomel nicht dementierte, glauben durfte, nur von ihm ab, obwohl in Wirklichkeit auch die beiden andern Erben dazu unumgänglich nöthig waren. Uebrigens kannte man die Einzelheiten der Geschichte keineswegs, und selbst der Name des Meister Antifer wurde dabei gar nicht genannt. Selbstverständlich billigten einige Zeitungen das würdige Auftreten eines der Doctoren der Freien Kirche von Schottland, während andre ihn wieder tadelten, denn eigentlich hätten ja diese Millionen, wenn sie Edinburg zu gute kamen, das Loos der vielen, vielen Armen der Stadt erleichtern können, statt daß sie nun, ohne jemand zu nützen, in ihrem Loche schlummern sollten. Der Reverend Tyrcomel freilich kümmerte sich weder um Lob noch um Tadel, und blieb entschlossen, sich dadurch zu nichts bestimmen zu lassen.

Man kann sich vorstellen, welchen Erfolg seine erste Predigt in der Tron Church nach dem Bekanntwerden dieser Vorgänge hatte. Am Abend des 30. Juni strömten die Gläubigen in hellen Haufen nach dieser Kirche. Im Innern derselben drückte man sich halb todt, und nicht weniger auf den Straßen, die vor ihrer Façade mündeten.

Als der Prediger auf der Kanzel erschien, erscholl ein donnernder Applaus. Man hätte sich im Theater zu befinden geglaubt, wenn hier gerade der Vorhang aufgeht und ein berühmter Künstler von dem begeisterten Hurrah der Zuschauer empfangen wird. Hundert Millionen, zweihundert Millionen, dreihundert Millionen – schließlich ging's bis an die Milliarde – stellte dieser wunderbare Tyrcomel vor, und der blies sie von sich wie ein Federflöckchen! Dann fing er sein gewöhnliches Thema an, wobei man eine Bemerkung hörte, die eine außerordentliche Wirkung hatte:

»Einen Mann giebt es, der aus den Eingeweiden des Bodens mit einem einzigen Worte die Millionen hundertfach hervorlocken könnte; dieses einzige Wort spricht er aber nicht aus!«

Diesmal befanden sich Meister Antifer und seine Gefährten aus wichtigen Gründen nicht unter den Zuhörern. Hinter einem Pfeiler des Schiffes hätte [349] man aber einen Zuhörer von fremdländischem Aussehen wahrnehmen können, den niemand kannte, einen Mann von fünfunddreißig Jahren, mit schwarzem Haar und Bart, harten Zügen und wenig beruhigendem Aussehen. Daß er von der Rede des Reverend Tyrcomel etwas verstand, möchten wir nicht behaupten. Jedenfalls starrte er von seinem Standpunkt im Halbschatten aber den Prediger unausgesetzt an. Seine flammensprühenden Augen wandten sich niemals von ihm ab.

Dieser Mann blieb bis zum Schluß der Predigt unbeweglich stehen, als aber deren letzten Worte unter dem Beifallsrufe der Zuhörer verklungen waren, drängte er sich durch die Menge, um sich dem Clergyman zu nähern. Wollte er ihn aufhalten, ihn aus der Kirche mit hinaus und bis nach seinem Haus in der Canongate begleiten? Das schien beinahe so, denn er arbeitete rücksichtslos mit den Armen, um den Prediger zu erreichen.

An diesem Abend sollte der Reverend Tyrcomel nicht allein nach seinem Hause zurückkommen. Gegen tausend Personen gaben ihm das Geleite und hätten ihn am liebsten auf den Schultern weggetragen. Die genannte Persönlichkeit hielt sich dicht hinter ihm, ohne jedoch in die Rufe der andern einzustimmen.

Vor seinem Hause angelangt, erstieg der populäre Kanzelredner die Stufen vor demselben und richtete an die Gläubigen noch einige Worte, die eine Salve von Hurrahs und Hipps hervorriefen. Dann verschwand er in der dunkeln Hausflur, ohne zu bemerken, daß ein anderer ihm nachfolgte.

Die Menge zerstreute sich nur langsam und weithin dröhnten ihre Rufe durch die Straße.

Während der Reverend Tyrcomel die schmale Treppe hinausging, die zum dritten Stockwerk führte, erstieg sie auch der Unbekannte mit so unhörbaren Schritten, als wenn nur eine Katze über die Stufen geschlüpft wäre.

Auf seinem Vorsaal angelangt, begab sich der Clergyman in sein Zimmer, dessen Thür er zumachte.

Der andre blieb auf dem Vorraume in einer dunkeln Ecke stehen und wartete.

Was mochte er vorhaben?

Am nächsten Morgen waren die andern Bewohner des Hauses nicht wenig verwundert, den Clergyman nicht zu gewohnter Stunde ausgehen zu sehen. Sogar den ganzen Vormittag blieb er unsichtbar. Mehrere Leute, die zu ihm eilten, klopften vergeblich an seine Thür.

[350] Das erschien verdächtig, und am Nachmittage begab sich einer der Wohnungsnachbarn zur Polizei. Mehrere Constabler erschienen im Hause des Clergyman, klopften ebenfalls an dessen Thür, und da sie keine Antwort erhielten, drückten sie diese mit den Schultern in der Weise ein, die für die Organe der öffentlichen Gewalt specifisch zu sein scheint.

Welch ein Anblick! Hier hatte jemand die Thür mit einem Dietrich geöffnet... war in das Zimmer gedrungen und hatte dieses von oben nach unten durchwühlt. Der Schrank war aufgerissen, daraus fehlten verschiedene Kleidungsstücke, die auf der Erde verstreut umherlagen, der Tisch war umgeworfen... die Lampe lag zertrümmert in einer Ecke... Bücher und Papiere bedeckten den Fußboden, und dort... neben dem Bette, dessen Decke weggerissen war, lag festgebunden und mit verstopftem Munde... der Reverend Tyrcomel.

Man beeilte sich, ihm zu helfen. Kaum athmete der arme Mann noch; das Bewußtsein hatte er gänzlich verloren.... Seit wie langer Zeit? Das konnte er nur allein sagen, wenn er überhaupt wieder zu sich kam....

Man mußte ihn tüchtig frottieren, ohne daß es nöthig gewesen wäre, ihn erst zu entkleiden, denn er war halb nackt, das Hemd aufgerissen, und Brust und Schultern zeigten sich völlig entblößt.

Eben als die Constabler anfangen wollten, ihn nach den Regeln der Kunst abzureiben, konnte einer derselben einen Ruf der Verwunderung nicht unterdrücken. Der Mann hatte auf der linken Schulter des Reverend Tyrcomel einzelne Ziffern bemerkt.

In der That zeigte sich, in ihrer braunen Farbe von der weißen Haut des Clergyman scharf abstechend, eine leicht erkennbare Tätowierung.... Sie bestand aus folgendem:

77°19' Nord

Der Leser weiß schon, daß das die so ersehnte Breite bezeichnete. Ohne Zweifel hatte sie der Vater des Clergyman, um sicher zu sein, daß sie nicht verloren ginge, auf der Schulter seines damals noch jungen Sohnes angebracht. Ein Stück Papier kann ja verloren gehen, eine Schulter niemals!

So besaß denn der Reverend Tyrcomel, der den Brief Kamylk-Paschas an seinen Vater wirklich verbrannt hatte, diese eigenthümlich angebrachte Inschrift, die er übrigens, was ja mit Hilfe eines Spiegels leicht genug gewesen wäre, noch niemals gelesen hatte.

[351] Sicherlich hatte sie aber der Uebelthäter gelesen, der, während der Clergyman schlief, in dessen Zimmer eingedrungen war. Letzterer mochte den Elenden, als er seinen Schrank durchwühlte, seine Papiere überflog, überrascht und vergeblich mit dem Schurken gekämpft haben, der ihn schließlich knebelte und, ihn halb erstickt zurücklassend, die Flucht ergriff.

Das war es, was man aus des Reverends Munde vernahm, als diesen durch die Hilfe eines schnell gerufenen Arztes die Erinnerung an das Vergangene wieder kam. Seiner Ansicht nach war dieser Ueberfall nur erfolgt, um ihm das Geheimniß bezüglich der Insel mit den Millionen, das er nicht verrathen wollte, mit Gewalt zu entreißen.

Den Verbrecher hatte er, während beide miteinander rangen, wenigstens soweit sehen können, daß er ein recht genaues Signalement zu liefern vermochte. Dabei erwähnte er auch den Besuch, den er von den zwei Franzosen und einem Malteser erhalten hatte, die eigens nach Edinburg gekommen waren, um ihn bezüglich des Vermächtnisses Kamylk-Paschas zu befragen.

Das war ein Fingerzeig für den Beamten, der sofort die Nachforschungen begann. Zwei Stunden später hatte die Polizei es ausgekundschaftet, daß die betreffenden Fremden vor einigen Tagen in Gibb's Royal-Hôtel abgestiegen waren.

Ein Glück für Meister Antifer, den Banquier Zambuco, Gildas Tregomain, Juhel und Ben Omar, daß sie ein unanfechtbares Alibi beibringen konnten. Der Malouin hatte sein Bett nicht verlassen, der junge Kapitän und der Frachtschiffer waren nicht aus ihrem Zimmer gekommen, der Banquier Zambuco und der Notar hatten keinen Schritt aus dem Hôtel gethan. Uebrigens entsprach auch keiner von ihnen dem vom Clergyman gegebenen Signalement.

Unsre Schatzgräber blieben denn auch unbehelligt, und es ist ja bekannt, daß die Gefängnisse des Vereinigten Königreichs die nicht gern wieder loslassen, denen sie Wohnung und Nahrung unentgeltlich gewähren.

Nun war ja noch Saouk....

Gewiß war dieser der Urheber des Ueberfalls. Er hatte den Streich geführt, um dem Reverend Tyrcomel sein Geheimniß zu stehlen, und jetzt war er, Dank den Ziffern, die er auf der Schulter des Geistlichen lesen konnte, völlig Herr der Lage. Da er andrerseits schon die auf dem Document von dem Eiland der Ma-Yumbabai angegebene Länge kannte, besaß er die nöthigen Elemente, um die Lage des dritten Eilands bestimmen zu können.


In der That zeigte sich eine leicht erkennbare Tätowierung. (S. 351.)

Unglücklicher Antifer, das fehlte noch, um Dir den [352] Verstand vollends zu rauben!

Nachdem jenes Signalement in den Zeitungen erschienen war, konnten Meister Antifer und seine Begleiter nicht mehr in Zweifel sein, daß es Nazim, der Schreiber Ben Omar's, gewesen war, mit dem der Reverend Tyrcomel zu thun gehabt hatte. Und als sie gar von seinem Verschwinden hörten, da hielten sie für ausgemacht: Erstens, daß er von den Ziffern der Tätowierung Kenntniß genommen hatte, und zweitens, daß er nach dem neuen Eiland zu entflohen sei, um den ungeheuern Schatz zu heben.

[353] Am wenigsten erstaunt zeigte sich Juhel, dessen Verdacht gegen Nazim der Leser kennt, und nach ihm Gildas Tregomain, dem dieser Verdacht vom jungen Kapitän übertragen worden war. Die Wuth Meister Antifer's und Zambuco's, die jetzt den schlimmsten Grad erreichte, fand noch zum Glück einen Ableiter in der Person des Notars.

Selbstverständlich war Ben Omar mehr als jeder andre von der Schuld Saouk's überzeugt. Wie hätte dies auch ein. andrer sein können, da er dessen Pläne und ihn selbst als einen Mann kannte, der gewiß vor keiner Schandthat zurückschreckte?

Das gab aber einen Auftritt für den armen Notar! Auf Befehl des Meister Antifer mußte Juhel ihn aufsuchen und in das Zimmer des Kranken führen. Krank! Ist man das jemals... kann man es bleiben angesichts einer solchen Lage? Und da der Meister Antifer nach Aussage des Arztes an einem Gallenfieber litt, ei, da bot sich ja die schönste Gelegenheit, sich seiner überflüssigen Galle zu entledigen und dadurch wohl gar gesund zu werden.

Wie es dem unglücklichen Ben Omar erging, darüber wollen wir lieber schweigen. Er mußte zunächst bekennen, daß das Attentat auf den Geistlichen, der Diebstahl... ja, elender Omar! der Diebstahl... das Werk Nazim's sei!... Also solche Leute erwählte sich der Actenwurm für seine Schreibstube!... Das war der Mann, den er sich zur Unterstützung bei seiner Thätigkeit als Testamentsvollstrecker mitgebracht hatte! Den Spitzbuben, den Schurken, den Wicht... den wagte er dem Meister Antifer und seinen Begleitern als Gesellschaft aufzuzwingen?... Und jetzt war diese Canaille... ja, diese Canaille gar entflohen, der Mensch kannte die Lage des Eilandes Nummer Drei und würde sich der Millionen Kamylk-Paschas bemächtigen, ohne daß es möglich wäre, ihn dabei zu hindern! Mag einer nur einem solchen ägyptischen Banditen nachlaufen, der dann solche unsinnige Summen zur Verfügung hat, um sich in Sicherheit zu bringen und seine Straflosigkeit zu garantieren.

»Ach... Saouk!... Saouk!«

Dieser Name entfloh jetzt dem niedergeschmetterten Notar. Der Verdacht Juhels war also begründet... Nazim war gar nicht Nazim.... Es war Saouk, der Sohn Murad's, den Kamylk-Pascha zu Gunsten der beiden Legatare enterbt hatte.

»Wie... das war Saouk?« rief Juhel.

Ben Omar wollte dem ihm entfallnen Namen eine andre Bedeutung geben.... Seine Verlegenheit, seine Hilflosigkeit, sein Schreck zeigten aber nur zu deutlich, daß Juhel sich nicht täuschte.

[354] »Saouk!« wiederholte auch Meister Antifer, der mit einem Sprunge aus dem Bette war.

Und bei der heftigen Bewegung der Kinnladen, als er den verhaßten Namen aussprach, flog sein Kiesel dem Notar wie eine Flintenkugel gegen die Brust.

Und wenn auch dieses Projectil ihn nicht zu Boden warf, so erzielte das wenigstens ein kräftiger Fußtritt... ein Fußtritt, wie ihn ein ägyptischer Notar wohl noch nie in die Gegend dicht unter den Nieren bekommen hatte. Da lag nun Ben Omar so glatt auf dem Boden, wie das nur ohne gänzliche Zermalmung möglich war.

Nazim war also jener Saouk, der geschworen hatte, sich des Schatzes auf jede denkbare Weise zu bemächtigen, derselbe, dessen verbrecherisches Eingreifen Meister Antifer hatte fürchten sollen!

Doch nach Entladung aller der Seemannsflüche, die das Repertoire eines Kapitäns der Küstenfahrt nur enthält, fühlte Meister Antifer eine wahre Erleichterung, und als Ben Omar vor Beschämung geduckt aus dem Zimmer schlich, um sich in das seinige einzuschließen, da war ihm schon merklich besser. Vollends auf die Beine brachten ihn aber die Mittheilungen, die sich in den nächsten Tagen in den Blättern der Stadt fanden.

Den spürnasigen Reportern und Interviewern ist bekanntlich alles möglich. Jener Zeit begannen sie gerade, sich mit einem Eifer, einem Scharfsinn und einer Kühnheit in öffentliche und private Angelegenheiten einzumischen, die aus ihnen eine neue öffentliche Gewalt gemacht haben.

Einem von ihnen gelang es, die Tätowierung, mit der der Vater des Reverend Tyrcomel diesen gezeichnet hatte, in Augenschein zu nehmen. Er ließ davon ein Facsimile anfertigen und dieses erschien in einem Tageblatt, dessen Absatz für die betreffende Nummer von zehntausend auf hunderttausend Exemplare stieg.

Damit erhielt Schottland, später Großbritannien, das ganze Vereinigte Königreich, ganz Europa, ja schließlich die ganze Welt Kenntniß von der Breitenlage des dritten Eilandes: 77°19' nördlicher Breite.

Damit kamen die Neugierigen auch nicht viel weiter, und niemand wäre im Stande gewesen, das zu lösen, was man bereits das »Problem des Schatzes« nannte weil ihnen von den beiden nothwendigen Elementen eines... die Länge fehlte. Er besaß sie aber diese Länge, er, Meister Antifer, – übrigens ganz so wie Saouk – und als ihm Juhel das genannte Journal brachte, als [355] er das Facsimile erblickte, da warf er die Decke weg und sprang aus dem Bette. Er war geheilt!.... Geheilt, wie niemals ein Kranker durch die Aerzte des College Royal oder durch die Doctoren der Universität von Edinburg geheilt war.

Der Banquier Zambuco, Gildas Tregomain und der junge Kapitän hatten vergeblich ihre Kräfte vereinigt, den Meister Antifer im Bette zurückzuhalten. Man sagt ja, daß ein tiefinniger, religiöser Glaube das häufiger bewirken könne... weshalb sollte der Glaube an den Gott des Goldes nicht ähnliche Wunder bewirken können?

»Juhel, hast Du wieder einen Atlas gekauft?«

– Ja, lieber Onkel.

– Die Länge des dritten, auf dem Document von der Ma-Yumbabai bezeichneten Eilands betrug doch fünfzehn Grad elf Minuten östlich von Paris.

– Gewiß, lieber Onkel.

– Schön; nun suche nach, wo das Eiland Nummer Drei liegt!«

Juhel holte den Atlas, schlug die Karte des nördlichen Europa auf, bestimmte mit dem Zirkel genau den Kreuzpunkt der beiden Linien und sagte:

»Spitzbergen, südlich von der großen Insel.«

Spitzbergen?... Wie... in der Nachbarschaft dieses hyperboräischen Landes hatte Kamylk-Pascha das Eiland gewählt, wo seine Diamanten, seine Edelsteine, sein Gold ruhten... wenn das überhaupt das letzte war....

»Vorwärts, rief Meister Antifer, und wenn wir ein abfahrendes Schiff treffen, gleich heute!

– Liebster Onkel... begann Juhel bittend.

– Wir dürfen dem elenden Saouk nicht Zeit lassen, uns zuvorzukommen!

– Du hast recht, alter Freund! sagte der Frachtschiffer.

– Vorwärts!« wiederholte Pierre-Servan-Malo in befehlerischem Tone.

Dann setzte er hinzu:

»Melde es jemand dem Schwachkopf von Notar, da es Kamylk-Pascha einmal gewollt hat, daß er der Hebung des Schatzes beiwohne!«

Dem Willen Meister Antifer's, den Zambuco getreulich unterstützte, mußte man sich wohl oder übel fügen.

»Es ist ein wahres Glück, bemerkte der junge Kapitän, daß dieser Possenreißer von Pascha uns nicht gleich nach den Antipoden schickt!«

[356]
14. Capitel
Vierzehntes Capitel.
Worin Meister Antifer ein neues, mit dem Monogramm Kamylk-Paschas bezeichnetes Document auffindet.

Meister Antifer nebst seinen vier Begleitern – Ben Omar eingerechnet – hatte nun nichts andres zu thun, als sich nach Bergen, einem der wichtigsten Häfen des westlichen Norwegens, einzuschiffen.

Der gefaßte Beschluß wurde auch sofort ausgeführt. Da Nazim – mit anderm Namen Saouk – einen Vorsprung von vier bis fünf Tagen hatte, galt es, keine Stunde zu verlieren. Noch war der Zeitball auf der Sternwarte nicht heruntergefallen, als die Tramway unsre Bekannten in Leith absetzte, wo sie einen bald abgehenden Dampfer zu finden hofften, da Bergen die erste Etappe auf dem nächsten Wege nach Spitzbergen ist.

Von Edinburg bis zu jenem Hafen rechnete man nur etwa vierhundert Meilen. Von hier mußte es leicht sein, den nördlichsten Hafen Norwegens, Hammerfest, zu erreichen, wenn man den Steamer benutzte, der in der schönen Jahreszeit dem Touristenverkehr nach dem Nordcap dient.

Von Bergen nach Hammerfest sind es auch nicht mehr als achthundert Meilen, und ungefähr sechshundert von hier bis zur Südspitze Spitzbergens, nach der ja die Inschrift auf der Schulter des Referend Tyrcomel hinwies. Zur Ueberwindung der letzten Strecke mußte freilich ein seetüchtiges Schiff gemiethet werden. Jetzt befand man sich indeß in der Zeit des Jahres, wo das schlechte Wetter die Gewässer des arktischen Oceans noch nicht aufrührt.

Nun blieb nur die Geldfrage übrig. Diese dritte Reise wurde gewiß ziemlich kostspielig, vorzüglich die Ueberfahrt von Hammerfest nach Spitzbergen in eigens gechartertem Schiffe, und der Beutel Gildas Tregomain's fing an, sich bedenklich zu leeren. Zum Glück war die Unterschrift des Banquiers so gut wie baares Geld. Es giebt ja vom Glück so begünstigte Leute, die ihre Hand in jede beliebige Casse Europas stecken können. Zambuco gehörte zu diesen. Er stellte dem Miterben seinen Credit zur Verfügung; die beiden Schwäger wollten dann später abrechnen. Der Schatz, und wenn nicht dieser, so doch der Diamant[357] des einen mußte ja ausreichen, einen etwaigen Vorschuß des andern auszugleichen.

Vor dem Weggange von Edinburg hatte der Banquier also einen sehr einträglichen Besuch bei der Bank von Schottland abgemacht, wo er den besten Empfang fand. Auf diese Weise frisch beladen, konnten unsre Reisenden bis ans Ende der Welt gehen, und wer weiß, ob das nicht noch geschehen sollte, wenn die ganze Geschichte sich in gleichem weiter entwickelte.

In Leith, das einundeinehalbe Meile entfernt im Golfe des Forth liegt, fanden sich stets zahlreiche Schiffe, und diesmal begünstigte das Glück Pierre-Servan-Malo auch insofern, als er günstige Fahrgelegenheit antraf.

Das betreffende Schiff sollte zwar nicht heute, aber am nächsten Tage abgehen. Es war ein einfaches Frachtschiff, der Dampfer »Viken«, der die Passagiere für angemessene Bezahlung nach Bergen mitnehmen sollte. So mußten sie also sechsunddreißig Stunden warten, während der Onkel Juhels an seinem Gebiß nagte, daß er sich fast die Zähne zerbrach. Er erlaubte Gildas Tregomain und Juhel nicht einmal, sich in Edinburg ein wenig umzusehen, was unsern Frachtschiffer, trotz des in ihm erwachten Appetits nach den Millionen des Paschas, nicht wenig ärgerte.

Endlich am Morgen des 7. Juli stieß der »Viken« vom Lande und nahm den Meister Antifer nebst seinen Gefährten mit, von denen der eine – welcher, ist ja leicht zu errathen – gleich beim ersten Rollen der Seekrankheit erlag, als das Fahrzeug kaum über den fast eine Meile hinausreichenden Pier des Hafens gekommen war.

Zwei Tage darauf und nach recht guter Ueberfahrt, bekam der Dampfer das hohe Ufer Norwegens in Sicht und gegen drei Uhr nachmittags lief er in den Hafen von Bergen ein.

Natürlich hatte sich Juhel in Edinburg auch wieder einen Sextanten, einen Chronometer und eine Zeitvergleichungstabelle besorgt, um die mit der »Portalegre« verlorenen Instrumente zu ersetzen.

Hätte man nun gleich in Bergen ein Fahrzeug nach Spitzbergen austreiben können, so wäre das eine Zeitersparniß gewesen; leider sollte das aber nicht gelingen.

Uebrigens wurde die Geduld des Meister Antifer, den das Bild Saouk's gar nicht mehr verließ, hier auf keine zu harte Probe gestellt. Das Dampfschiff, das den Verkehr nach dem Nordcap unterhielt, wurde übermorgen erwartet.

[358] Immerhin erschienen ihm diese sechsunddreißig Stunden zum Sterben lang, und dem Banquier Zambuco nicht minder. Weder der eine, noch der andre war zu bewegen, sein Zimmer im Hôtel Scandinavie nur eine Minute zu verlassen. Es regnete übrigens auch, denn, wie es scheint, fällt hier in Bergen in drei Tagen stets zweiundsiebzig Stunden lang Regen; die Einwohner sind das jedoch von kleinauf gewöhnt.

Das hinderte auch den Frachtschiffer und Juhel nicht, in der Stadt umherzuschweifen. Der von seinem Fieber genesene Meister Antifer hatte nicht von ihnen verlangt, in seiner Nähe zu bleiben. Wozu auch? Für das Concert von Verwünschungen, das sie über den elenden Saouk anstimmten, genügten sich die beiden Erben vollständig.

Freilich, das prächtige Edinburg nicht gesehen zu haben, wurde durch einen Spaziergang in den Straßen von Bergen, früher einer der bedeutendsten Hansestädte, nicht wett gemacht. Es ist eigentlich nicht interessanter, als etwa jeder größere Fischmarkt.

Gildas Tregomain hatte jedoch noch niemals eine größere Menge von Häringstonnen, solche Unmassen bei den Lofoten gefangener Dorsche, solche Vorräthe von Lachsen gesehen, wie sie hier in Norwegen in den Verkehr kommen und selbst vertilgt werden. Das verbreitete auch einen ganz charakteristischen Geruch, nicht allein in der Umgebung der Quais, an denen Hunderte von Boote liegen, nicht allein in der Nähe der hohen Häuser, um die glänzende Fischschuppen umherliegen und wo die nicht sehr angenehme Zurichtung des Fanges erfolgt, sondern auch in den reichen Läden mit alten Schmuckgegenständen, mit antiken Stickereien, mit Pelzwerk von weißen und schwarzen Bären, ja sogar bis ins Innere der Museen, bis nach den an den zwei Armen des Fjord gelegenen Villen, wo eine schmale Landzunge den Fjord von einem schönen Süßwassersee scheidet.

Kurz, Gildas Tregomain und Juhel hatten sich genügend in der Stadt und Umgegend umgesehen, als am 11. Juli morgens der erwartete Dampfer Bergen anlief. Um zehn Uhr fuhr er mit seiner Ladung von Touristen, die die Mitternachtssonne am Nordcap bewundern wollten, weiter.

Das war freilich eine Naturerscheinung, die den Meister Antifer, auch den Banquier Zambuco gar nicht, und den Notar Ben Omar deswegen nicht interessierte, weil dieser, wie ein ausgenommener Dorsch, auf dem Polster seiner Cabine lag.

[359] Eine herrliche Fahrt war es hier längs der norwegischen Küste mit ihren tiefen Fjorden, ihren schimmernden Gletschern, die zuweilen bis aufs Meer herunterreichen, und mit den entfernten Bergeshäuptern, die in seinem Nebeldufte verschwimmen.

Am meisten wetterte der ungeduldige Malouin über die Aufenthalte des Dampfers, die zur Befriedigung der Wißbegier der Touristen an den Punkten dienen, welche von den Reisehandbüchern als besonders interessant hervorgehoben sind. Der Gedanke, daß ihn Saouk um etwa fünf Tage voraus war, hielt ihn immer in einer, für alle, die sich ihm näherten, recht unangenehmen Aufregung. Alles Zureden Gildas Tregomain's und Juhels nützte hier nichts, und wenn der Malouin mit seinen Verwünschungen endlich aufhörte, geschah das nur, weil der Kapitän des Dampfers gedroht hatte, ihn sofort ans Land zu setzen, wenn er die Ruhe an Bord noch weiter störte.

Wider Willen mußte Meister Antifer auch in Drontheim Halt machen, in der alten Stadt des heiligen Olaf, die zwar nicht so bedeutend, doch vielleicht interessanter als Bergen ist.

Meister Antifer und Zambuco weigerten sich natürlich, ans Land zu gehen. Gildas Tregomain und Juhel benützten dagegen die unfreiwillige Muße, die Stadt eingehend zu besichtigen.

Wenn die Augen der Touristen in Drontheim eine gewisse Befriedigung finden, so gilt dasselbe für ihre Füße jedenfalls nicht. Man möchte glauben, die Straßen hier wären mit Glasscherben gepflastert, so viele spitzige Steine ragen aus der Erde hervor.

»Na, hierzulande müssen die Schuster aber bald reiche Leute werden!« bemerkte pfiffig der Frachtschiffer, der sich vergeblich bemühte, seine Schuhsohlen nicht zu verletzen.

Einen bequemeren Fußboden fanden die beiden Freunde nur unter dem Gewölbe der alten Domkirche, worin die Herrscher des Landes, nach der Krönung als Könige von Schweden in Stockholm, noch als Könige von Norwegen gekrönt werden. Juhel erkannte, daß dieses Denkmal romanisch-gothischer Baukunst, wenn es auch eingreifender Reparaturen bedarf, doch hohen historischen Werth hat.


Eine herrliche Fahrt war es... (S. 360.)

Nach genauer Besichtigung der Domkirche und des sie umgebenden Friedhofs, nachdem sie am Ufer des breiten Nid hingewandelt waren, dessen Wasserstand von Ebbe und Fluth beeinflußt wird und der die Stadt an den als [360] Quais dienenden Verpfählungen bespült, nachdem sie, wie hier ganz am Orte, die ultrasalzigen Ausdünstungen des Fischmarktes, welche Drontheim getrost gegen die in Bergen vertauschen könnte, gekostet und den Gemüsemarkt überschritten hatten, der fast ausschließlich von England versorgt wird, und nachdem sie schließlich auf der andern Seite des Nid bis zu der, von der Citadelle überragten Vorstadt hinausgewandert waren, kehrten Gildas Tregomain und Juhel ziemlich erschöpft an Bord zurück. Noch an demselben Abend wurde auch ein Brief an Enogate, mit einer freundlichen Nachschrift von der großen Hand und in der [361] großen Schrift des Frachtschiffers, nach Saint-Malo zur Post befördert. Am frühen Morgen des nächsten Tages ging der Dampfer, nach Aufnahme einiger neuer Passagiere, wieder weiter und schlug den Cours nach den hohen Breiten ein. Immer Aufenthalte, immer Landungen, worüber Meister Antifer tüchtig brummte. Beim Ueberschreiten des Polarkreises, der durch eine quer über Deck gespannte Schnur versinnbildlicht wurde, weigerte er sich auch, darüber zu springen, während sich Gildas Tregomain und Juhel dem lustigen Gebrauche fügten. Weiter nach Norden hinauf vermied der Dampfer den berühmten Maëlstrom, dessen gurgelndes Wasser sich in gigantischen Wirbeln dreht. Dann erschienen die Lofoten, die von den norwegischen Schiffern so viel besuchte Inselgruppe, im Westen, und am 17. ging der Dampfer im Hafen von Tromsö vor Anker.

Wenn man sagt, daß es bei dieser Fahrt sechzehn Stunden von je vierundzwanzig geregnet hatte, so ist das nur bezüglich der Zahlen richtig. Das Zeitwort »regnen« ist aber ganz unzureichend, um eine Vorstellung von den hier herabstürzenden Wassermengen zu geben, worüber sich unsre Reisenden übrigens nicht zu beklagen hatten. Es war das der Beweis, daß die Temperatur sich verhältnißmäßig hoch hielt. Leute, die bis zum fünfundsiebzigsten Breitengrade hinauf wollten, hatten ja weit mehr den plötzlichen Eintritt arktischer Kälte zu fürchten, die jede Annäherung an Spitzbergen sehr erschweren, wenn nicht gar verhindern mußte. Im Juli ist es schon etwas spät, eine Fahrt dorthin anzutreten. Das Meer kann hier durch ein Umspringen des Windes sehr schnell zum Stehen kommen, und wenn Meister Antifer in Hammerfest etwa zurückgehalten wurde, bis schon die ersten Eisschollen nach Süden trieben, dann wäre es unklug gewesen, sich vielleicht auf einem Fischerkutter in jene Gegenden zu wagen.

Diese Möglichkeit machte auch Juhel ernstliche Sorge.

»Und wenn nun das Meer dann zufröre? fragte ihn einmal Gildas Tregomain.

– O, wenn es dazu käme, da wäre mein Onkel es imstande, am Nordcap zu überwintern und da die warme Jahreszeit abzuwarten.

– Ja, mein Junge, man kann doch Millionen nicht im Stiche lassen!« erwiderte der Frachtschiffer.

Entschieden... der alte Schiffer von der Rance ließ sie nicht aus den Zähnen, ihm wollten die Diamanten von der Ma-Yumbabai nicht mehr aus dem Kopfe.

[362] Und doch, erst von der Sonne Loangos gebraten worden zu sein, und nun auf den Gletschern des nördlichen Norwegens halb erfrieren zu sollen?... Verwünschter Teufels-Pascha! Mußte er seine Reichthümer denn in so entsetzlicher Gegend verscharren!

Der Dampfer hielt sich nur einige Stunden in Tromsö auf, wo die Passagiere zum ersten Male mit Eingebornen von Lappland in Berührung kamen. Am Morgen des 21. Juli lief er dann in den schmalen Fjord von Hammerfest ein.

Hier kamen Meister Antifer und Banquier Zambuco, Gildas Tregomain und Juhel, und auch Ben Omar, letzter freilich wie ein getrockneter Fisch eingepackt, endlich aus Land. Der Dampfer sollte die Touristen am nächsten Tage nach dem Nordcap, der äußersten nördlichen Spitze Norwegens, weiter befördern. Was kümmerte sich Pierre-Servan-Malo aber um das Nordcap! Dieser geographisch berühmte Kiesel konnte sich für ihn doch nicht mit dem spitzbergischen Eiland Nummer Drei vergleichen!

Wie sich's gebührt, fand man ein »Nordpole Hôtel« in Hammerfest, und nahm der Malouin mit Gefolge darin Wohnung.

Nun waren sie also in der Stadt, die an der Grenze des noch bewohnbaren Landes liegt. Etwa zweitausend Menschen bewohnen hier die Holzgebäude, darunter gegen dreißig Katholiken, die übrigen Protestanten. Die Norweger sind ein schöner Menschenschlag, vorzüglich die Seeleute und Fischer, leider aber huldigen sie dem Trunke. Die Lappen sind klein, woraus man ihnen ja keinen Vorwurf machen kann, dazu aber auch von Gesicht (mit dem ungeheuern Munde, der Kalmückennase und dem gelblichen Teint) recht häßlich, wenn man auch anerkennen muß, daß sie arbeitssam und gewerbsthätig sind.

Gleich nachdem sie im Nordpole Hôtel Zimmer belegt hatten, gingen Meister Antifer und die Seinigen, um ja keine Stunde zu verlieren, sofort auf die Suche nach einem Fahrzeuge, das sie nach Spitzbergen bringen könnte. So kamen sie zu dem. von dem klaren Wasser eines hübschen Flusses gespeisten Hafen, an dem Holzpfähle eingerammt sind und Wohn- und Lagerhäuser – alle vom Geruche der benachbarten Trockenanstalten verpestet – sich erheben.

Hammerfest ist vor allem andern die Stadt der Fische und aller Erzeugnisse, die man aus dem Meere gewinnen kann. Die Hunde nähren sich davon, die Rinder, die Schafe nähren sich davon, und hunderte in diesen merkwürdigen Gewässern thätige Boote schaffen davon mehr herzu als verbraucht werden kann.

[363] Im ganzen eine merkwürdige Stadt, dieses Hammerfest, regnerisch in hohem Grade, hell in den langen Sommertagen, finster in den langen Winternächten, die hier häufig durch ein glänzendes Nordlicht gemildert werden.

Vor dem Hafeneingange machten unsre Reisenden Halt vor einer Granitsäule mit bronzenem Kapitale, das das norwegische Wappen zeigte und eine Erdkugel trug. Diese unter der Regierung Oskars I. errichtete Säule erinnert an die frühere Meridianmessung zwischen den Donaumündungen und Hammerfest. Von hier aus begaben sich unsre Reisenden nach den Bohlenwänden, an denen Fahrzeuge jeder Art und Größe, die alle dem Fischfange nahe der Küste oder auf hohem Meere obliegen, vertäut sind.

Norwegisch verstand zwar keiner von unsrer Gesellschaft, Juhel half aber mit der ihm geläufigen englischen Sprache, die ja so kosmopolitischer Natur ist, um auch in den skandinavischen Ländern verstanden zu werden.

Der Tag war noch nicht vergangen, da hatte man schon um ziemlich hohen Preis – was kam's jetzt darauf an? – einen Fischerkulter von hundert Tonnen, den »Kroon«, unter dem Befehl des Schiffers Olaf, gemiethet, der elf Mann Besatzung hatte. Dieser sollte seine Passagiere nach Spitzbergen bringen, sie dort erwarten, dann alles laden, was sie an Bord bringen würden, und endlich sollte er sie nach Hammerfest zurückführen.

Noch ein Glücksumstand für Meister Antifer, dessen Spiele die Trümpfe jetzt zuzufliegen schienen. Juhel hatte sich unter anderm erkundigt, ob im Laufe der letzten Tage ein Fremder hier gewesen und nach Spitzbergen weiter gereist wäre – man antwortete ihm verneinend. Es schien also nicht so, als ob Saouk – o, der erbärmliche Ben Omar! – die beiden Erben Kamylk-Paschas überholt hätte, wenn er sich nicht auf anderm Weg nach dem Eiland Nummer Drei begeben hatte. Das war jedoch kaum anzunehmen, da die Linie über Hammerfest die nächste war.

Der Tag verging unter einigen Spaziergängen. Meister Antifer und Zambuco hegten jetzt die Ueberzeugung, daß sie sich ihrem letzten Ziele näherten.

Als sich alle gegen elf Uhr niederlegten, war es noch hell, und die Dämmerung sollte auch nur erlöschen, um sich an den Strahlen des Morgenroths wieder zu entzünden. Mit günstiger Südostbrise verließ der »Kroon« um acht Uhr morgens den Hafen und steuerte nach Norden zu.

Gegen sechshundert Meilen zu durchmessen, das verlangte höchstens fünf Tage, wenn das Wetter einigermaßen günstig blieb. Jetzt war kein Zusammentreffen [364] mit nach Süden treibendem Eise und auch nicht zu fürchten, daß Spitzbergen von solchem blockiert wäre. Die Temperatur hielt sich auf normalem Mittel und der herrschende Wind machte einen plötzlichen Frost unwahrscheinlich. Der mit Wolken bedeckte Himmel, Wolken, die sich in Regen und nicht in Schnee auflösten, bot keinen beunruhigenden Anblick. Manchmal drangen sogar noch Sonnenstrahlen durch einzelne Lichtungen. Juhel durfte also hoffen, daß die Sonne sichtbar sein werde, wenn er mit dem Sextanten vor dem Auge die Lagebestimmung des Eilands vornahm.

Entschieden lächelte ihnen jetzt das Glück und nichts ließ den Gedanken aufkommen, daß Kamylk-Pascha seine Erben, nachdem er sie bis zur äußersten Grenze Europas geführt hatte, noch ein viertes Mal vielleicht Tausende von Lieues von Spitzbergen hinweg verjagen würde.

Mit vollem Winde in den Segeln war der »Kroon« rasch vorwärts gekommen. Der Schiffer Olaf entsann sich kaum einer so günstigen Reise. Um vier Uhr früh am 26. Juli wurden schon nach Norden zu und bei völlig eisfreiem Meere hohe Berggipfel in Sicht gemeldet.

Das waren die ersten Theile von Spitzbergen, die Olaf von seinen häufigen Fischzügen in dieser Gegend her gut genug erkannte.

Spitzbergen bildet einen, vor zwanzig Jahren noch sehr wenig bekannten Winkel der Erde, dem sich der Touristenverkehr jetzt aber mehr und mehr zuwendet. Gewiß ist die Zeit nicht mehr fern, wo nach diesem norwegischen Gebiete – so wie schon jetzt nach dem Nordcap – Rückfahrkarten, wenn nicht gar solche bis zum Pole, zur Ausgabe gelangen.

Man wußte aber auch damals schon, daß Spitzbergen eine bis fast zum einundachtzigsten Breitengrade hinaufreichende Inselgruppe bildet. Es besteht aus dem eigentlichen Spitzbergen, der Südost- und der Nordostinsel. Ob es zu Europa oder Amerika gehört, ist eine rein wissenschastliche Frage, die sich hier der Erörterung entzieht. Gewiß ist dagegen, daß vorzüglich englische, dänische und russische Schiffe zum Walfischfang und zum Robbenschlag hierher kommen.

Die Erben Kamylk-Paschas kümmerte die Nationalität dieses Archipels nicht weiter, wenn er ihnen nur die, durch ihre Zähigkeit und Ausdauer gewiß verdienten Millionen auslieferte.

Der Name Spitzbergen rührt von dessen schwer zugänglichen Höhen her. Von dem Engländer Willoughby 1553 entdeckt, gaben ihm später die Holländer[365] Barnetz und Cornelius seinen Namen. Der Archipel enthält außer den drei Hauptinseln auch noch einen Kranz kleiner Eilande.

Nachdem er auf der Karte 15°11' östl. Länge und 77°19' nördl. Breite abgestochen hatte, bestimmte Juhel den Schiffer Olaf, die Südostinsel, die südlichste der Gruppe, anzulaufen.

Der »Kroon« segelte mit gutem Rückenwind schnell darauf zu. Die fünf oder sechs Meilen bis zur Insel wurden in einer Stunde zurückgelegt.

Der »Kroon« ankerte zwei Kabellängen vor einem Eilande, das ein am Vorsprunge der Hauptinsel schroff aufsteigendes Vorgebirge überragte.

Es war zwölfeinviertel Uhr. Die ganze Gesellschaft stieg in die Schaluppe des »Kroon« und begab sich nach dem Eilande.

Große Völker von Möven, Taucherenten und dergleichen flatterten unter lautem Geschrei empor. Eine Heerde Robben wälzte sich ins Wasser und machte den Eindringlingen nicht ohne klägliches Gröhlen Platz.

Der Schatz war offenbar gut bewahrt!

Kaum auf dem von Kamylk-Pascha erwählten Eiland, nahm Meister Antifer wegen Mangels an Flaggen und Kanonen mit einem kräftigen Fußtritt von dem Millionen-Boden Besitz.

Welch' unerwartetes Glück nach so vielen Fehlschlägen! Man brauchte nicht einmal unter dem Felsengewirr zu suchen! Gleich zu Anfang waren unsre Reisenden an der Stelle ans Land gekommen, wo der Aegypter seine Schätze vergraben hatte.

Das Eiland war verlassen. Kein menschliches Wesen befand sich darauf, nicht einmal einer jener Eskimos, die das hiesige strenge Klima bequem vertragen. Nach der Seeseite kein Schiff in Sicht. Nichts... nichts als das unendliche Polarmeer!

Meister Antifer und der Banquier Zambuco vermochten sich kaum noch zu halten. Sogar in den Dörrfischaugen des Notars leuchtete eine kleine Flamme auf. Gildas Tregomain, der jetzt aufgeregter war als je seit der ersten Abreise und der mit gekrümmtem Rücken und gespreizten Beinen dastand, war gar nicht mehr zu erkennen. Doch, warum sollte er sich nicht freuen über das Glück des Freundes?

Noch versprechender war auch der Umstand, daß der Erdboden hier keine Fußspuren zeigte. Neuerdings war hier entschieden niemand ans Land gekommen. Die vom Regen erweichte Erde hätte die Fußstapfen gewiß bewahrt. Bezüglich [366] des schurkischen Saouk konnte man sich also jeder Besorgniß entschlagen. Der schreckliche Sohn Murad's hatte den legitimen Erben des Schatzes nicht zuvorkommen können, oder er war unterwegs aufgehalten worden, so daß, wenn er erst nach Meister Antifer kam, seine Nachsuchungen nutzlos wurden.

Wie das erste Document für das erste Eiland, so gab auch das zweite an, daß die Nachsuchungen sich auf eine der südlichen Spitzen richten sollten. Die Gesellschaft begab sich also nach der, die hier ins Meer hinausragte. Ihre scharfen Kanten waren weder von Tang überlagert, noch von Schnee bedeckt, was die Nachsuchungen wesentlich erleichterte.

Faßt einen das Glück erst an der Hand, so braucht man sich nur führen zu lassen, und so wurde auch Pierre-Servan-Malo nach einem Felsen geführt, der jenen Monolithen gleich emporragte, welche die frühere Anwesenheit von Polarforschern an der betreffenden Stelle bezeichnen.

»Hier!... Hier!« rief er mit vor Erregung erstickter Stimme.

Alle liefen herbei... sahen nach der angedeuteten Richtung hin...

An der Vorderseite jenes Monolithen zeigte sich das Monogramm Kamylk-Paschas, das Doppel-K so tief eingemeißelt, daß auch das Polarklima dessen Linien nicht hatte verwischen können.

Schweigend standen alle davor, und alle entblößten das Haupt, wie angesichts des Grabes eines Helden. Wenn sich's hier auch nur um ein einfaches Loch handelte, so barg dieses Loch ja hundert Millionen! Doch – zur Ehre der menschlichen Natur! – verfolgen wir diesen Gedankengang nicht weiter.

Schnell ging's ans Werk. Jetzt beseitigten Spitzhaue und Schaufel ziemlich leicht die Felsstücken am Fuße des Monolithen. Jeden Augenblick erwartete man, daß der Stahl auf den Eisenreif eines Fasses treffen oder dessen Dauben zerschmettern sollte.

Plötzlich verursachte die Spitzhaue, die Meister Antifer schwang, ein seltsames Knirschen.

»Endlich!« stieß er hervor, indem er eine rohe Felsenplatte emporhob, die die Oeffnung zur Schatzkammer bedeckte.


Das Eiland war verlassen. (S. 366.)

Dem Freudengeschrei folgte aber sofort ein Ausruf der Enttäuschung, ein so lauter Ruf, daß man ihn einen Kilometer weit hätte hören können.

Die Hauptperson unsrer Erzählung hatte ihn, das Werkzeug fallen lassend, ausgestoßen.


In der Aushöhlung befand sich ein Kästchen. (S. 368.)

In der Aushöhlung befand sich ein Kästchen – ein metallenes Kästchen mit dem Doppel-K darauf – ein Kästchen, ganz ähnlich denen, die im Golfe von [367] Oman und in der Ma-Yumbabai gefunden worden waren.

»Noch einmal!« seufzte der Frachtschiffer, der die Arme zum Himmel emporhob.

Ja, das war bezeichnend für die Lage... ja, noch einmal!... Noch einmal würde es jedenfalls nothwendig werden, ein weiteres – viertes! – Eiland zu suchen...

[368] In aufbrausender Wuth faßte Meister Antifer seine Spitzhaue und mit wuchtigem Schlage zertrümmerte er das Kästchen...

Diesem entfiel ein vergilbtes Pergament, das durch eingedrungenes Wasser theilweise übel zugerichtet war.

Für den Reverend Tyrcomel, der ja keine solchen Auslagen, wie seine Miterben gehabt hatte, fand sich diesmal kein Diamant vor. Ein wahres Glück! Der Eiferer hätte ihn doch nur in Rauch aufgehen lassen. Doch kehren wir zu dem Pergament zurück. Sich seiner zu bemächtigen, es vorsichtig, da [369] es zu zerreißen drohte, zu entfalten, das war für Juhel, der allein seine Ruhe bewahrt hatte, das Werk eines Augenblicks.

Meister Antifer, mit der Faust gen Himmel drohend, Zambuco mit gesenktem Kopfe, Ben Omar ganz zerschmettert und Gildas Tregomain ganz Auge und Ohr – alle bewahrten das tiefste Schweigen.

Das Schriftstück bestand aus einem einzigen Blatte, dessen oberer Theil von der Feuchtigkeit nicht gelitten hatte. Darauf befanden sich einige Zeilen, wie bei den früheren Documenten in französischer Sprache.

Juhel konnte diese ohne zu stocken vorlesen, und sie lauteten:

»Drei Männer giebt es, gegen die ich Verpflichtungen habe und denen ich ein Zeichen meiner Dankbarkeit hinterlassen möchte. Wenn ich drei Documente auf drei verschiedenen Eilanden niederlegte, so geschah es darum, daß sich um diese drei Männer, die bei ihren nothwendigen Fahrten nach einander in nähere Beziehungen treten mußten, ein unlösliches Freundschaftsband schlingen sollte...«

Nun ja, das hatte er erreicht, der vortreffliche Pascha!

»Wenn es ihnen Mühe und Beschwerden kostet, sich in Besitz dieses Vermögens zu setzen, so mögen sie nicht vergessen, daß es mir nicht leichter geworden ist, es ihnen zu erhalten!

Diese drei Männer sind: Der Franzose Antifer, der Malteser Zambuco und der Schotte Tyrcomel. Sollte einer von ihnen inzwischen durch den Tod abgerufen worden sein, so geht der Anspruch auf diese Erbschaft auf ihre Rechtsnachfolger über. Nachdem nun vorliegendes Kästchen in Gegenwart des von mir zum Testamentsvollstrecker bestimmten Notars Ben Omar geöffnet worden ist und die Erben von dem Document, das das letzte ist, Kenntniß genommen haben, mögen sie sich nach dem vierten Eilande begeben, wo die Fässer mit Gold, Diamanten und Edelsteinen von meiner Hand vergraben liegen.«

Trotz der Unannehmlichkeit, noch ein viertes Eiland aufsuchen zu müssen, gaben Meister Antifer und die andern hierbei doch einen Seufzer der Erleichterung von sich.

»Zur Auffindung dieses vierten Eilands, fuhr Juhel fort, genügt die Weiterführung...«

Leider war der untere Theil des Pergaments halb zerstört. Die Sätze waren unlesbar... die meisten Wörter fehlten...

Vergebens bemühte sich der junge Kapitän, den Rest zu entziffern.

»Eiland... gelegen... geometr... Gesetz...

[370] – Nun weiter, weiter!« drängte Meister Antifer.

Juhel konnte aber nicht weiter lesen. Der untere Theil des Schriftstücks ließ nur noch einzelne Wörter erkennen, die er vergebens verständlich zu verbinden suchte. Von den Ziffern der Länge und der Breite fand sich keine Spur vor....

Juhel wiederholte den angefangenen Satz.

»Gelegen... geometr... Gesetz...«

Endlich gelang es ihm, noch ein letztes Wort, das Wort »Pole« zu entziffern.

»Pole?... rief er. Sollte hier vom Nordpole die Rede sein?

– Wenn nicht gar vom Südpole!« murmelte der Frachtschiffer.

Da hatte man ja klar und deutlich die schon vermuthete Mystification! Der Pol, nun gar der Pol! War es denn je einem Menschen gelungen, den Fuß auf den Pol zu setzen?

Meister Antifer sprang auf seinen Neffen zu, entriß ihm das Document, versuchte es zu enträthseln... stammelte aber auch nur die einzelnen halbverwischten Worte hervor.

Nichts... nichts, was gestattet hätte, die Coordinaten des vierten Eilands zu bestimmen. Man mußte darauf verzichten, es jemals zu entdecken!...

Und als es Meister Antifer klar wurde, daß das Spiel gänzlich verloren war, da stürzte er, wie vom Blitze getroffen, starr und steif zur Erde.

15. Capitel
Fünfzehntes Capitel.
Worin man den Finger Enogates einen Kreis beschreiben sehen wird, und welche Folgen diese unschuldige Spielerei haben sollte.

Am 12. August herrschte in dem Hause der Rue des Hautes-Salles in Saint-Malo helle Freude. Inmitten eines zahlreichen Geleites von Freunden und Bekannten hatte am Morgen gegen zehn Uhr ein Brautpaar dasselbe in vollem Hochzeitsstaat verlassen.

[371] Erst hatte die Mairie und dann die Kirche die ganze Gesellschaft bestens aufgenommen. In der Mairie wurde vom Standesbeamten eine hübsche Anrede gehalten, in der Kirche eine ergreifende Predigt über das interessante Thema, das für den Reverend Tyrcomel niemals Bedeutung gewinnen konnte. Dann hatten alle das Brautpaar, das eben durch standesamtliche und kirchliche Trauung zu einem Ehepaare geworden war, nach der Wohnung zurückbegleitet.

Um in Anbetracht der unglaublichen Schwierigkeiten, die sich dieser Eheschließung entgegengestellt hatten, jedem Irrthume vorzubeugen, erklären wir hiermit, daß die beiden Gatten Enogate und Juhel waren.

Juhel hatte also weder eine Prinzessin, noch eine Herzogin oder eine Baronesse, und Enogate ebenso keinen Prinzen, keinen Herzog und auch keinen Baron geheiratet. Wegen Mangels der nöthigen Zahl von Millionen hatten sich die Wünsche ihres Onkels nicht verkörpert Hoffentlich fühlten sie sich darum nicht weniger glücklich.

Außer den beiden meist interessierten Personen strahlten auch noch zwei andre vor Freude: einerseits Nanon, die nun das Glück ihrer Tochter gesichert wußte, andrerseits Gildas Tregomain, dessen hübscher Rock, blaue Beinkleider, Seidenhut und weiße Handschuhe verriethen, daß er seinem jungen Freunde Juhel als Trauzeuge gedient hatte.

Nun wohl... doch warum geschieht des Pierre-Servan-Malo hierbei gar keine Erwähnung?

So wollen wir von ihm und von denen reden, die bei dem anstrengenden, gefährlichen Zuge nach einem unerreichbaren Schatze betheiligt waren.

Eine Stunde nach der Auffindung der letzten Notiz auf dem Eilande Nummer Drei, die mit einer ungeheuern Enttäuschung und mit schier grenzenloser Verzweiflung endigte, waren die Passagiere des »Kroon« wieder an Bord zurückgekehrt. Meister Antifer wurde dabei auf den Armen der zu diesem Zwecke herbeigerufenen Matrosen davongetragen.

Ließ nicht alles befürchten, daß er unter dieser letzten Katastrophe den Verstand eingebüßt habe?... Ja, und doch entging er diesem Unglück, obwohl es für ihn vielleicht besser gewesen wäre, wenn er sich der Dinge der Welt niemals wieder bewußt wurde! Seine Niedergeschlagenheit war so groß, seine Trauer so tief, daß weder Juhel noch Tregomain ihm ein Wort zu entlocken vermochte.

Die Rückreise ging nun zu Wasser und zu Land so schnell wie möglich vor sich. Der »Kroon« brachte seine Passagiere nach Hammerfest, der Dampfer vom[372] Nordcap landete sie in Bergen. Da die Eisenbahn von hier nach Christiania noch nicht im Gange war, mußten sie sich nach der norwegischen Hauptstadt mittelst Wagens begeben. Ein Dampfer führte sie dann nach Kopenhagen, und die Eisenbahnen Dänemarks, Deutschlands, Hollands, Belgiens und Frankreichs brachten sie erst nach Paris und dann nach Saint-Malo.

In Paris nahmen Meister Antifer und der Banquier Zambuco, sehr unzufrieden mit einander, Abschied. Fräulein Talisma Zambuco blieb voraussichtlich ihr Leben lang unvermählt. Jedenfalls stand es nicht in den Sternen geschrieben, daß es Pierre-Servan-Malo wäre, der sie aus dieser peinlichen Lage erlöste, gegen die sie seit so vielen Jahren ankämpfte.

Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß der auf den Meister Antifer entfallende Antheil an den von Zambuco vorschußweise bestrittenen Reisekosten, und der war nicht gerade gering, vollständig ge deckt wurde. Der Verkauf des Diamanten ließ aber doch noch eine ansehnliche Summe für die Tasche des Malouins übrig. Nach dieser Seite hin hatte er also wenigstens über keine Verluste zu klagen.

Der Notar Ben Omar verlangte, was ihm zukam, gar nicht.

»Und nun scheert Euch zum Teufel! rief ihm Meister Antifer als Lebewohl zu.

– Und sucht gut mit ihm auszukommen!« glaubte der Frachtschiffer, wie zum Troste, hinzusetzen zu müssen.

Ben Omar eilte auf kürzestem Wege nach Alexandria und schwor sich, daß ihn niemand wieder bewegen sollte, einem Schatze nachzulaufen.

Am nächsten Tage waren Meister Antifer, Gildas Tregomain und Juhel wieder in Saint-Malo zurück. Und welchen Empfang fanden sie hier bei ihren Landsleuten!... Er gestaltete sich höchst sympathisch, obwohl gewisse Spottvögel sich nicht enthalten konnten, die Reisenden, die ganz oder beinahe Dickhänse geblieben waren wie vorher, weidlich aufzuziehen.

Nanon und Enogate hatten nur säße Trostesworte für ihren Bruder Onkel Neffen und Freund. Alle umarmten sich, daß sie beinahe erstickten, und im Hause begann nun das altgewohnte Leben aufs neue.

Jetzt verweigerte auch Meister Antifer, außer Stande, seinen Neffen und seine Nichte mit der geträumten Millionenmitgift auszustatten, seine Zustimmung zu deren Heirat nicht mehr, ertheilte sie aber doch nur mit den liebenswürdigen Worten:

[373] »So mögen sie in Gottes Namen thun, was sie nicht lassen können; mich laßt aber bei der ganzen Geschichte in Ruhe!«

Damit mußte man sich zufrieden geben, und nun ging's an die Vorbereitungen zur Hochzeit. Meister Antifer betheiligte sich nicht dabei. Er verließ kaum noch sein Zimmer, wo er Tag und Nacht unzählige Kiesel zermalmte, immer eine Beute dumpfen Zornes, der bei der ersten Gelegenheit auszubrechen drohte.

Auch die Eheschließung fand statt, ohne daß er sich bestimmen ließ, ihr selbst beizuwohnen. Gildas Tregomain's Zureden blieb fruchtlos; dieser genierte sich sogar nicht im mindesten, zu Antifer zu sagen:

»Du thust unrecht, lieber Freund!

– Möglich.

– Du machst den Kindern nur Kummer... ich erwarte von Dir...

– Und ich bitte Dich, mich ungeschoren zu lassen, Frachtschiffer!«

Endlich wurden Enogate und Juhel getraut, und statt zweier Zimmer im Hause der Rue des Hautes-Salles hatten sie nun darin nur noch ein einziges inne. Wenn sie es verließen, geschah es nur, um mit Nanon beim besten der Menschen, ihrem Freunde Tregomain, ein Stündchen zu verplaudern. Hier sprachen sie häufig von Meister Antifer und beklagten es, ihn immer in so erregtem und traurigem Zustande zu sehen. Er ging nicht mehr aus, vertrug sich mit keinem Menschen mehr.

Jetzt war es vorbei mit den Spaziergängen, die er sonst, das Pfeifchen im Munde, alltäglich auf den Wällen oder den Hafenquais unternahm. Es sah aus, als schämte er sich vor den Leuten.

»Ich fürchte, seine Gesundheit wird darunter leiden, sagte Enogate, deren schöne Augen sich verschleierten, wenn sie von ihrem Onkel sprach.

– Ich auch, mein liebes Kind, antwortete Nanon, und jeden Tag bitte ich Gott, daß er meinem armen Bruder wieder etwas Ruhe schenken möge.

– Abscheulicher Pascha! rief Juhel. Er hatte es wohl so nöthig, uns seine Millionen in den Weg zu werfen.

– Und noch dazu Millionen, die wir nicht einmal gefunden haben, antwortete Gildas Tregomain. Und doch... sie sind vorhanden... irgendwo, und wenn wir die letzten Angaben vollständig hätten lesen können....«

Eines Tages sagte der Frachtschiffer zu Juhel:

»Weißt Du, was ich denke, mein Junge?

[374] – Nun, was denken Sie, Herr Tregomain?

– Daß Dein Onkel weniger aus Rand und Band wäre, wenn er den Ort, wo der Schatz liegt, erfahren hätte, selbst wenn er ihn nicht in die Hände bekam.

– Vielleicht haben Sie recht, Herr Tregomain. Was ihn bedrückt, ist, daß er das Schriftstück mit der Angabe der Lage des vierten Eilands in der Hand hatte, ohne dessen letzte Zeilen enträthseln zu können.

– Und das wäre nun die letzte Anstrengung gewesen! antwortete der Frachtschiffer. Das Document ließ darüber keinen Zweifel übrig....

– Mein Onkel hat es auch aufbewahrt, und läßt es kaum aus den Augen Immer und immer wieder bemüht er sich, es zu lesen...

– Verlorne Liebesmüh', mein Junge, leider müssen wir uns damit bescheiden! Der Schatz Kamylk-Paschas wird nie... niemals gefunden werden!«

Das war wohl höchst wahrscheinlich.

Wir fügen hier ein, daß einige Tage nach der Hochzeit Nachricht eintraf, was aus dem elenden Saouk geworden war. Wenn der Schurke dem Meister Antifer und den andern in Spitzbergen nicht zuvorkommen konnte, lag das daran, daß er sich in Glasgow hatte erwischen lassen, und zwar gerade, als er nach den arktischen Gegenden absegeln wollte. Daß die Tyrcomel'sche Angelegenheit, der Ueberfall, von dem sich der Geistliche nur langsam erholte, vielen Staub aufgewirbelt hatte, ist ja erklärlich, ebenso wie die Verhältnisse, unter denen die berühmte Breite von seinen Schultern abgelesen wurde. Das setzte natürlich die Polizei von Edinburg in ungewöhnliche Bewegung und es wurden alle Maßregeln getroffen, den Verbrecher zu entdecken, von dem der Clergyman ja eine ganz genaue Personalbeschreibung geliefert hatte.

Am Morgen des Ueberfalls hatte sich Saouk, ohne erst nach Gibb's Royal Hotel zurückzukehren, in den Zug nach Glasgow geworfen. Hier hoffte er ein Schiff nach Bergen oder nach Drontheim zu finden. Statt sich an der Ostküste von Schottland einzuschiffen, wie es Meister Antifer gethan hatte, wollte er von der Westküste aus abdampfen. Die Weglänge war dabei ziemlich die gleiche und er rechnete darauf, das Ziel vor den rechtmäßigen Erben Kamylk-Paschas zu erreichen.

Zu seinem Unglück mußte er in Glasgow eine ganze Woche warten, ehe sich ihm eine passende Fahrgelegenheit bot, und zum Glück für die Gerechtigkeit auf Erden wurde er noch angehalten, als er endlich an Bord gehen wollte.

[375] Auf der Stelle verhaftet, verurtheilte man ihn zu mehrjährigem Gefängnisse – was ihm eine Reise nach Spitzbergen ersparte, eine Reise übrigens, die ihm auch keinen Nutzen gebracht hätte.

Von den ersten Nachforschungen im Golfe von Oman bis zu den letzten im Polarmeere, alles zusammengenommen, ergab sich also, daß der Schatz unwiderruflich da vergraben blieb, wo ihn sein verfolgter Eigenthümer in den Eingeweiden einer kleinen Insel verborgen hatte, und folglich gab es nur einen Menschen, einen einzigen, der sich nicht zu beklagen brauchte, im Gegentheil, dem Himmel danken konnte: das war der Reverend Tyrcomel. Nur zu einem Franc das Stück gerechnet, wie viele Millionen Sünden hätten in dieser Welt begangen werden können, wenn sich die Millionen des Paschas über die gebrechliche Menschheit verbreiteten!

Inzwischen verging die Zeit. Juhel und Enogate hätten sich eines ungetrübten Glücks zu erfreuen gehabt, wenn der beklagenswerthe Zustand ihres Onkels nicht gewesen wäre. Andrerseits sah der junge Kapitän nicht ohne Bangen die Stunde herannahen, wo er seine geliebte Frau, seine Familie, seine Freunde würde verlassen müssen. Der Bau des Dreimasters für das Haus Le Baillif schritt immer weiter vor, und bekanntlich war Juhel zum Obersteuermann auf demselben ausersehen. Für sein Alter eine recht hübsche Stellung. Noch sechs Monate, und dann sollte er draußen auf dem weiten Meere nach Indien schwimmen.

Juhel unterhielt sich hierüber öfters mit Enogate. Die junge Frau wurde ganz traurig bei dem Gedanken, sich von ihrem Manne trennen zu sollen. In den Seehäfen ist man so etwas indeß schon mehr gewöhnt. Enogate gab ihren Besorgnissen auch weniger in Bezug auf ihre Person, als auf den Onkel Antifer Ausdruck. Für seinen Neffen mußte es ja ebenfalls ein nicht geringer Kummer sein, ihn in diesem Zustand zu verlassen, und wer weiß, ob er ihn noch wieder sehen sollte....

Dann und wann kam Juhel auch auf das unvollständige Schriftstück, auf die letzten nicht leserlichen Zeilen des Documents zurück. Diese Zeilen enthielten ja den Anfang eines Satzes, an den er bis zum Besessensein denken mußte.

Der Satz begann: »Es genügt die Weiterführung.«...

Und dann die Worte: »Eiland... gelegen... geometr... Gesetz... Pole....«

Um welches geometrische Gesetz handelte es sich da? Verband es etwa die verschiedenen Eilande miteinder? Sollte der Pascha sie nicht ganz willkürlich[376] gewählt haben? War es nicht nur eine reine Laune, daß er sie nach einander in den Golf von Oman, nach der Ma-Yumbabai und nach Spitzbergen geführt hatte? Wollte der reiche Aegypter, der sich gern mit Mathematik beschäftigte. dabei vielleicht gleichzeitig ein zu lösendes Problem aufstellen? Konnte man was das Wort »Pol« betraf, wohl daran denken, daß damit das Ende der Erdachse gemeint sei? Nein, hundertmal nein! Doch welchen Sinn hatte es dann?


Endlich wurden Juhel und Enogate getraut. (S. 374.)

Juhel zermarterte sich den Kopf, zu einer Lösung zu kommen, die ihm niemals gelingen wollte.

[377] »Pol... Pol... hierin liegt vielleicht der Knoten!« wiederholte er öfters.

Häufig sprach er auch mit dem Frachtschiffer darüber, und Gildas Tregomain redete Juhel eher zu, über die Sache weiter nachzudenken, da er an dem Vorhandensein der Millionen ganz und gar nicht mehr zweifelte.

»Na, krank zu machen brauchst Du Dich aber nicht, mein Junge, um diesen Rebus zu lösen...

– O, Herr Tregomain, es geschieht ja nicht für mich, das versichere ich Ihnen! Mir ist der ganze Schatz keinen Deut werth! Es geschieht um meines Onkels willen...

– Ja, ja, Deines Onkels, Juhel!... Die Sache ist ja hart für ihn! Das Document so... unter den Augen... gehabt zu haben und... es... nicht haben lesen können! Du hast also noch keine Spur entdeckt?

– Nein, Herr Tregomain, es findet sich jedoch das Wort »geometr« in dem Satze, und wahrscheinlich verweist das Document auf eine gewisse geometrische Beziehung. Und dann: »Es genügt die Weiterführung...«

Wessen?...

»Da steckt's!... Ja, wessen? wiederholte der Frachtschiffer.

– Und vorzüglich das Wort »Pol«, dessen Sinn ich hier gar nicht verstehen kann!

– Wie schade, mein Junge, daß ich von so etwas rein gar nichts verstehe!... Da könnte ich Dir sonst zu steuern helfen!«

Zwei Monate verstrichen. Im geistigen Zustande des Meister Antifer und bezüglich der Lösung des Problems hatte sich nicht das geringste verändert.

Am 15. October befanden sich Enogate und Juhel vor dem Frühstück in ihrem Zimmer. Es war etwas kalt. Im Kamin loderte ein lustiges Feuer.

Die junge Frau, deren Hände in denen Juhels lagen, sah ihren Gatten schweigend an. Als sie seine gedrückte Stimmung bemerkte, sagte sie, um ihn auf andre Gedanken zu bringen:

»Lieber Juhel, begann sie, Du hast mir ja während Eurer unglücklichen Reise oft geschrieben. Ich habe Deine Briefe aufgehoben und lese sie immer und immer wieder.

– Sie erwecken in uns nur traurige Erinnerungen, mein Herz...

– Ja wohl... und doch achtete ich darauf, sie aufzubewahren... und das wird auch stets der Fall sein. Diese Briefe haben mir aber nicht alles [378] sagen können, was Euch begegnete, und die Reise selbst hast Du mir niemals ins einzelne eingehend geschildert. Willst Du mir heute davon erzählen?

– Was könnte das nützen?

– Es wird mir Vergnügen bereiten! Ich denke mir da, ich wäre mit Dir zu Schiffe... in der Eisenbahn... unter der Karawane...

– Ja, mein Herzblättchen, da brauchten wir aber eine Karte, um Dir unsre Kreuz- und Querzüge Punkt für Punkt zeigen zu können?

– Nun, da steht ja eine Erdkugel... Genügt sie nicht dazu?

– Vollkommen.«

Enogate holte von Juhels Schreibtisch eine mit Metallfuß versehene Erdkugel und stellte sie auf den Tisch vor dem Kamin.

Da Juhel sah, daß es Enogate Vergnügen bereiten würde, setzte er sich neben sie, drehte ihr und sich an dem Globus die Seite mit Europa zu und sagte, indem er den Finger über Saint-Malo aufsetzte:

»Nun denn, vorwärts!«

Die beiden einander genäherten Köpfe berührten sich, und es ist wohl nicht zu verwundern, wenn zwischen den verschiedenen Punkten dieser Reiseroute dann und wann ein Kuß ausgetauscht wurde.

Mit dem ersten Satze sprang Juhel von Frankreich nach Aegypten, wo Meister Antifer und seine Begleiter nach Suez gekommen waren, dann glitt sein Finger über das Rothe Meer und den Indischen Ocean und hielt im Staate des Imans von Mascat an.

»Ah, Mascat!... Das liegt also hier, sagte Enogate, und das Eiland Nummer Eins wohl nahe dabei?

– Ja, natürlich ein Stück draußen im Golfe!«

Durch eine Drehung des Globus gelangte Juhel dann nach Tunis, wo sie den Banquier Zambuco abgeholt hatten. Er überschritt das ganze Mittelmeer, verweilte ein wenig in Dakar, durchschnitt den Aequator, ging an der Küste Afrikas herunter und hielt wieder über der Ma-Yumbabai an.

»Hier liegt wohl das Eiland Nummer Zwei? fragte Enogate.

– Ganz recht, mein Frauchen.«

Nun mußte er wieder längs Afrikas hinauf, ganz Europa übergleiten und über Edinburg stehen bleiben, wo sie mit dem Reverend Tyrcomel in Berührung gekommen waren. Sich endlich nach Norden wendend, ruhte der Finger der beiden Gatten auf den verlassenen Felsen von Spitzbergen.

[379] »Hier ist also das Eiland Nummer Drei! rief Enogate.

– Ja, meine Liebe, das Eiland Nummer Drei, wo uns von dieser großen dummen Reise die ärgste Enttäuschung erwartete!«

Die Erdkugel betrachtend, saß Enogate ganz still und stumm da.

»Wie ist Euer Pascha aber darauf gekommen, sagte sie, diese drei Eilande eins nach dem andern zu wählen?

– Das wissen wir eben nicht und werden es ohne Zweifel niemals wissen!

– Niemals?...

– Und doch müssen jene drei Eilande, wenn dem letzten Document zu glauben ist, durch irgend ein geometrisches Gesetz mit einander verbunden sein... Da ist auch das Wort »Pol«, das mir Kopfschmerzen macht...«

Während er so sprach und sich sozusagen auf Fragen, die er schon oft aufgeworfen, selbst antwortete, versank Juhel in eine Art Träumerei. In diesem Augenblick schien es, als ob er mit allen Kräften seines Geistes arbeitete, um das dunkle Geheimniß zu enthüllen.

Während er darüber nachsann, hatte sich Enogate dem Globus genähert und ergötzte sich daran, mit dem Finger der ganzen Linie, die ihr Juhel bezeichnet hatte, nachzugleiten. Ihr Zeigefinger ruhte dabei zuerst auf Mascat, dann war er, einen Bogen beschreibend, nach Ma-Yumba gekommen, nachher, unter Verlängerung desselben Bogens, hinauf nach Spitzbergen, und wenn sie den gleichen Bogen noch weiter folgte, führte er sie nach dem Punkte der Abreise zurück.

»Ei sieh, rief sie lächelnd, das giebt ja einen Kreis... Ihr seid rundherum gefahren...

– Rund herum?...

– Ja... bester Freund... Einen vollen Kreisbogen... eine Rundreise..

– Rundreise!« rief Juhel.

Er hatte sich erhoben, that im Zimmer einige Schritte auf und ab, und wiederholte:

»Einen Kreisbogen... einen Kreisbogen!...«

Darauf kommt er an den Tisch zurück... er ergreift die Erdkugel... Jetzt beschreibt sein Finger noch einmal die Kreislinie auf dieser und er stößt einen Schrei aus...

Erschreckt starrt ihn Enogate an. War er toll geworden... er auch... wie sein Onkel?... Sie sieht ihn zitternd an... Thränen füllen ihre Augen...

Da stößt Juhel einen zweiten Aufschrei aus.

[380] »Gefunden... gefunden!...

– Was denn?

– Das Eiland Nummer Vier!«

Der junge Kapitän ist wohl nicht mehr recht bei Verstand... Das Eiland Nummer Vier? Unmöglich?

»Herr Tregomain, Herr Tregomain!« ruft Juhel, der das Fenster öffnet und dem Nachbar zuwinkt.

Dann tritt er noch einmal an den Globus, er fragt ihn... man möchte sagen, er unterhält sich mit der Pappkugel...

Eine Minute später ist der Frachtschiffer im Zimmer, und der junge Kapitän schreit ihm ins Gesicht:

»Gesunden!...

– Ja, was hast Du denn gefunden, mein Junge?

– Ich habe herausgefunden, wie die drei Eilande geometrisch zusammenhängen, und welche Stelle das Eiland Nummer Vier einnehmen muß...

– Ist das menschenmöglich!« erwidert Gildas Tregomain.

Und wenn er sich jetzt Juhel ansieht, kommt es ihm wie Enogate vor, als ob der junge Kapitän übergeschnappt wäre.

»Nein, nein, ruft Juhel, der ihn verstanden hat, nein... ich habe meinen Verstand richtig beisammen!... Hört nur zu...

– Ich höre!

– Die drei Eilande liegen im Umfange eines und desselben Kreises. Schön! Nun denken wir uns diese in einer Ebene gelegen und verbinden je zwei mit einer geraden Linie, der Linie, »deren Weiterführung genügt«, wie das Document sagt, und errichten wir einen Perpendikel in der Mitte dieser beiden Linien... die beiden Perpendikel schneiden sich dann im Mittelpunkte des Kreises, und in diesem Mittelpunkte – diesem »Pol«, da es sich um eine Kugelschaale handelt – liegt das gesuchte Eiland Nummer vier!«

Man erkennt, es war eine sehr einfache geometrische Aufgabe, eine einfache Laune Kamylk-Paschas, die er im Einverständniß mit dem Kapitän Zô ins Praktische übersetzt haben wollte! Und wenn Juhel die Lösung nicht eher gefunden hatte, so lag es nur daran, daß er nicht bemerkt hatte, daß die drei Eilande drei Punkte auf dem nämlichen Kreise einnahmen.

Der hübsche Finger Enogates war es gewesen, der diesen dreimal gebenedeiten Kreisumfang beschrieben und dadurch die Lösung des Räthsels ermöglicht hatte!

[381] »Sollte man's für möglich halten! rief der Frachtschiffer immer wieder.

– Es ist aber doch so, Herr Tregomain, sehen Sie nur ordentlich hin, so müssen Sie sich davon auch überzeugen!«

Den Frachtschiffer vor den Globus drängend, bezeichnete er darauf die Linie, in der die drei Eilande lagen, wobei er über folgende Punkte kam, die Kamylk-Pascha hätte ebensogut wählen können: Mascat, Bab-el-Mandeb-Straße, Aequator, Ma-Yumba, Inseln des Grünen Vorgebirges, Wendekreis des Krebses, Cap Farewell auf Grönland, Südostinsel von Spitzbergen, Admiralitätsinseln, Karisches Meer, Tobolsk in Sirien, Herat in Persien. Hatte Juhel also recht, so mußte das Eiland Nummer Vier den Mittelpunkt dieses Kreises einnehmen, und wenn das für einen Kreis in der Ebene richtig ist, so gilt das in diesem Falle auch für eine Kugelschaale, deren Pol den Mittelpunkt bildet.

Gildas Tregomain wußte nicht, woran er war, der junge Kapitän lief hin und her, umarmte den Globus, küßte aber auch die beiden Wangen Enogates, die jedenfalls verlockender waren, als die bedruckte Pappkugel.

»Sie ist es, die das gefunden hat, Herr Tregomain... und ohne sie... wär' ich niemals auf diesen Gedanken gekommen!...«

Und während er sich ganz seiner Freude überließ, fühlte sich Gildas Tregomain ebenfalls von einem»Delirium jubilans« befallen. Seine Beine schlenkerten nach der Seite, sein Rumpf wiegte sich hin und her, seine Arme bildeten einen Bogen mit der Grazie einer zweihundert Kilo schweren Sylphide, er rollt von Backbord zu Steuerbord, mehr als jemals die »Charmante Amélie« zwischen den Ufern der Rance, oder die »Portalegre« mit ihrer Elephantenladung, und singt mit entsetzlicher Stimme das Jubellied Pierre-Servan-Malos:


Ich habe seinen Me...
Mo me!
Ich habe seinen ri...
Ro ri!
Ich habe seinen ri... ich habe seinen Meridian!

Hienieden hat jedoch alles ein Ende.

»Wir müssen meinem Onkel Mittheilung machen, sagte Enogate.

– Ihm?... erwiderte Gildas Tregomain. Ist es rathsam, daß er etwas davon erfährt?

– Ja, das verdient überlegt zu werden!« erklärte Juhel.

[382] Man rief Nanon herbei. Die alte Bretagnerin wurde mit einigen Worten über die Sachlage unterrichtet, und als Juhel sie fragte, wie sie sich ihrem Bruder gegenüber verhalten sollten, antwortete sie:

»Wir dürfen ihm nichts verhehlen.

– Wenn ihm aber doch nur eine Enttäuschung bevorstände, warf Enogate ein würde mein armer Onkel diese ertragen können?

– Eine Enttäuschung?... rief der Frachtschiffer. Nein, diesmal nicht!...

– Das letzte Document weist ausdrücklich darauf hin, setzte Juhel hinzu, daß der Schatz auf dem Eiland Nummer Vier vergraben liegt, und dieses Eiland befindet sich im Mittelpunkte des Kreises, längs welchen wir gereist sind. Auch ich behaupte, daß diesmal...

– Ich werde meinen Bruder holen,« unterbrach ihn Nanon.

Einen Augenblick darauf trat Meister Antifer in Juhels Zimmer ein. Immer derselbe: unsteten Blickes, düstern, sorgenvollen Gesichtes.

»Was giebt es?«

Er fragte das in jenem dumpf grollenden Tone, in dem man einen Funken fortwährenden Ingrimms glühen fühlte.

Juhel berichtete ihm, was vorgegangen, wie das geometrische Bindeglied der drei Eilande gefunden worden war, und aus welchen Gründen das Eiland Nummer Vier nothwendiger Weise den Mittelpunkt jenes Kreises einnehmen müsse.

Zum größten Erstaunen Aller gerieth Meister Antifer hierdurch ganz und gar nicht in seine gewöhnliche nervöse Erregung. Er zuckte nicht mit dem Munde. Man hätte sagen mögen, er erwartete diese Mittheilung, sie hätte früher oder später kommen müssen und sie wäre nur ganz natürlich.

»Wo liegt dieser Mittelpunkt, Juhel?« begnügte er sich zu fragen.

Das war in der That jetzt das interessanteste.

Juhel stellte den Globus mitten auf den Tisch. Ein biegsames Lineal und eine Reißfeder in der Hand, verband er, als operirte er auf ebener Fläche. durch eine Linie Mascat mit Ma-Yumba und durch eine zweite Ma-Yumba mit Spitzbergen. Auf der Mitte dieser beiden Linien errichtete er dann zwei Perpendikel, deren Kreuzungspunkt genau in der Mitte des Kreises lag.

Dieser Punkt fiel in das Mittelmeer zwischen Sicilien und dem Cap Bon, ganz in die Nähe der Insel Pantellaria.

[383] »Hier, lieber Onkel, hier!« erklärte Juhel.

Und nachdem er sorgfältig die Parallele und den Meridian des Punktes abgelesen, sagte er mit sichrer Stimme:

»Siebenunddreißig Grad sechsundzwanzig Minuten nördlicher Breite und zehn Grad dreiunddreißig Minuten östlicher Länge von Paris.

– Giebt es denn da aber auch ein Eiland? fragte Gildas Tregomain.


Juhel sah, daß es Enogate ein Vergnügen bereiten würde... (S. 379.)

– Es muß eins daselbst vorhanden sein, versicherte Juhel.


[384]
Küßte aber auch die beiden Wangen Enogates. (S. 382.)

– Ob eins dort liegt... das will ich glauben, Frachtschiffer, ließ sich Meister Antifer vernehmen,... ob eins dort liegt! Ah, tausend Millionen Milliarden Billionen Wetter, das fehlte gerade noch!«

Und nach diesem Schwure, den er so furchtbar laut hervortrompetete, daß die Fensterscheiben erzitterten, verließ er Enogates Zimmer, schloß sich in das seinige ein und wurde den ganzen Tag über nicht wieder gesehen.

[385]
16. Capitel
Sechzehntes Capitel.
Ein Capitän, das nur von unsern, nach einigen hundert Jahren lebenden Kindeskindern zu lesen ist.

Wenn der Exkapitän von der Küstenfahrt nicht ein vollkommener Narr war, was bedeutete dann sein Benehmen, als er die unzweifelhafte Lage des Eilands, das den Schatz Kamylk-Paschas barg, endlich erfuhr?

In den folgenden Tagen – ein plötzlicher, unbegreiflicher Rückfall – hatte Pierre-Servan-Malo seine alten Gewohnheiten wieder aufgenommen und lustwandelte, die Pfeife zwischen den Lippen und den Kiesel im Munde, auf den Wällen und am Hafen umher. Er war aber nicht mehr er selbst. Ein sardonisches Lächeln umspielte seine Lippen. Er erwähnte des Schatzes nicht mehr, sprach nicht von den früheren Reisen und auch nicht von einer zu unternehmenden letzten, die es ihm ermöglicht hätte, die so viel gesuchten Millionen heimzuholen.

Gildas Tregomain, Nanon, Enogate und Juhel wußten nicht, woran sie waren. Jeden Augenblick erwarteten sie, daß Meister Antifer ein »Nun vorwärts« rufen sollte, er rief es aber nicht.

»Was hat er nur? fragte Nanon.

– Den hat man uns vertauscht! meinte Juhel.

– Es ist vielleicht die Furcht, Fräulein Talisma Zambuco heiraten zu müssen! bemerkte der Frachtschiffer. Doch gleichviel... wir dürfen nicht zugeben, daß er so viele Millionen im Stiche läßt!«

Kurz, unser Malouin war jetzt ein ganz andrer und Gildas Tregomain der, der »den Antifer spielte«. Jetzt nagte der Durst nach Gold an ihm! Das war ja nur logisch. Erst, wo man nicht wußte, ob sich ein Eiland finden würde, zog man zu dessen Entdeckung aus, und jetzt, wo dessen Lage bekannt war, schwieg Alles davon, dorthin aufzubrechen?

Der Frachtschiffer sprach hierüber des öfteren mit Juhel.

»Was kann's nützen?« erwiderte der junge Kapitän.

Er sprach darüber mit Nanon.

[386] »Ach, lassen wir den Schatz liegen, wo er liegt!«

Er sprach davon mit Enogate.

»Na, wie wär's, Kleine, dreiunddreißig Millionen in Deine Tasche?

– Hier, Herr Tregomain, haben Sie dreiunddreißig Küsse! Die sind mehr werth!«

Endlich entschloß er sich, Meister Antifer selbst zur Rede zu stellen, und vierzehn Tage nach dem letzten Vorkommnisse sagte er zu ihm:

»Nun... alter Freund... das Eiland?...

– Welches Eiland, Frachtschiffer?

– O, das Eiland im Mittelmeer!... Das existiert da, glaub' ich bestimmt.

– Ob es existiert, Frachtschiffer!... Ich sage Dir, ich glaube an seine Existenz fester, als an Deine und meine!

– Warum gehen wir dann nicht dahin?

– Dahin gehen, Süßwasser-Seemann?... Da wollen wir doch warten, bis uns Kiemen gewachsen sind!«

Gildas Tregomain zerbrach sich den Kopf, was diese Antwort bedeuten sollte. Er ließ den Muth aber nicht sinken. Freilich, die dreiunddreißig Millionen kamen ja weniger ihm, als den Kindern zu gute. Verliebte denken nicht an die Zukunft. Man mußte für sie daran denken.

Kurz, er verharrte bei dieser Angelegenheit so zähe, daß Meister Antifer ihm eines Tages erwiderte:

»Drängst Du denn so darauf, abzureisen?

– Jawohl, ich, alter Freund.

– Du meinst, daß wir das thun sollten?

– Ganz gewiß... lieber heute als morgen!

– Nun gut... reisen wir ab!«

Doch mit welchem Tone brachte der Malouin die letzten Worte heraus!

Vor der Abreise galt es aber, sich wegen des Banquiers Zambuco und des Notars Ben Omar klar zu werden. Ihr Verhältniß als Miterbe und Testamentsvollstrecker bedingte: Erstens, daß sie von der Entdeckung des Eilands Nummer Vier Kenntniß erhielten und zweitens, daß sie sich an noch zu bestimmendem Tage auf genanntem Eiland einfanden, um der eine seinen Antheil, der andre seine Provision in Empfang zu nehmen.

Meister Antifer hielt vielleicht noch mehr als der Frachtschiffer darauf, daß alles vorschriftsmäßig zuging. So wurden also zwei Depeschen nach Tunis [387] und nach Alexandria entsendet, die ein Zusammentreffen mit den beiden Interessenten für den 23. October in Girgenti, der der Lage des letzten Eilandes am nächsten kommenden Stadt, bestimmten, um von dem Schatze Besitz zu nehmen.

Was den Reverend Tyrcomel anging, sollte diesem sein Antheil zu gelegener Zeit zugesendet und ihm freigestellt werden, seine Millionen in den Forth zu werfen, wenn er sich daran die Finger zu verbrennen fürchtete.

Um Saouk brauchte man sich nicht zu kümmern. Ihm kam ja nichts zu, und er verdiente es, seine Strafjahre in finsterm Loche des Edinburger »Jarl« abzusitzen.

Nachdem die Reise festgesetzt war, wird es niemand wundern, daß sich diesmal Gildas Tregomain drängte, von der Partie zu sein. Erstaunlicher möchte es sein, wenn Enogate sich nicht ebenfalls anschloß. Es wäre kaum zwei Monate nach ihrer Hochzeit gewesen, daß Juhel zugestimmt hätte, sich von seiner Gattin zu trennen, und Enogate gezögert hätte, ihm zu folgen.

Der neue Zug sollte ja bestimmt gar nicht lange währen; man dachte nur hin und zurück zu reisen. Von der etwaigen Aufsuchung eines fünften Eilands sollte in jedem Falle abgesehen werden. Gewiß hatte Kamylk-Pascha seiner schon zu langen Inselkette kein weiteres Glied angeschlossen.

Nein, die Angabe lautete zu bestimmt: Der Schatz lag unter einem der Felsen des Eilands Nummer Vier und dieses Eiland nahm mit mathematischer Sicherheit eine Stelle zwischen der Küste Siciliens und der Insel Pantellaria ein.

»Doch muß es eine geringe Ausdehnung haben, bemerkte Juhel, da es nicht einmal auf den Seekarten angegeben ist.

– Wahrscheinlich!« erwiderte Meister Antifer mit mephistophelischem Lächeln.

Das war rein unbegreiflich!

Man beschloß zunächst, die schnellsten Beförderungsmittel zu wählen, also so viel wie möglich die Eisenbahnen. Schon gab es einen ununterbrochenen Schienenweg durch Frankreich und Italien, von Saint-Malo bis Neapel. Auf die Kosten kam es nicht an, da man ja jetzt einige dreißig Millionen einheimsen sollte.

Am 16. October des Morgens nahmen die Reisen den von Nanon Abschied und benützten den ersten Bahnzug. In Paris, wo sie sich nicht aufhielten, bestiegen sie den Schnellzug nach Lyon, überschritten die französisch-italienische Grenze, sahen nichts von Mailand, von Florenz oder Rom und langten am 20. October in Neapel an. Gildas Tregomain fühlte sich bezüglich des Erfolgs [388] dieses letzten Auszugs ebenso sicher, wie von dem hundertstündigen Schütteln der Bahnzüge abgemattet.

Am nächsten Morgen schon brachen sie zeitig aus dem »Hôtel Victoria« auf, und Meister Antifer, Gildas Tregomain, Juhel und Enogate belegten sich Plätze auf dem Dampfboote, das zwischen hier und Palermo verkehrt, und kamen nach schöner, eintägiger Fahrt in der Hauptstadt Siciliens an.

Natürlich war nicht davon die Rede, deren Wunder in Augenschein zu nehmen. Diesmal dachte selbst Gildas Tregomain nicht daran, auch nur eine flüchtige Erinnerung an die letzte Reise mitzunehmen, noch voller Andacht den berühmten sicilianischen Vespern, von denen er gehört hatte, beizuwohnen. Nein, für ihn war Palermo nicht die berühmte Stadt, der sich nacheinander Normannen, Franzosen, Spanier und Engländer bemächtigten, es war weiter nichts als der Abgangspunkt der öffentlichen Fuhrwerke, der gewöhnlichen und der Eilposten, die zweimal wöchentlich in neun Stunden nach Corbeone und ebenfalls zweimal wöchentlich in zwölf Stunden von Corbeone nach Girgenti verkehren.

Nach Girgenti mußten sich unsre Reisenden aber begeben, denn für hier, im alten Agrigentum an der Südküste der Insel, war das Stelldichein mit dem Banquier Zambuco und dem Notar Ben Omar verabredet.

Diese Art der Fortbewegung droht freilich zuweilen mit unangenehmen Zwischenfällen. Die Poststraßen sind hier nicht besonders sicher. In Sicilien giebt es noch Räuberhorden und wird es solche stets geben. Sie gedeihen da, wie die Oelbäume und Aloës.

Die Eilpost ging schon am nächsten Tag ab und die Fahrt verlief ohne Störung. Man erreichte Girgenti am Abend des 23. October, und wenn noch nicht am Ziele, so war man jetzt doch ganz nahe daran....

Der Banquier und der Notar waren richtig eingetroffen, der eine von Alexandria, der andere von Tunis. O, du unersättlicher Durst nach Gold, was bringst du alles zuwege!

Beim ersten Zusammentreffen wechselten die beiden Erben keine andern Worte als:

»Des Eilands sicher, diesmal?

– Ganz sicher.«

Doch in wie sarkastischem Tone hatte Meister Antifer geantwortet, und welch' ironische Flamme leuchtete aus seiner Pupille!

[389] In Girgenti irgend ein passendes Fahrzeug zu finden, das konnte weder schwierig noch zeitraubend sein. Im Hafen hier fehlt es weder an Fischerbooten, noch an Küstenfahrzeugen – an Balancellen, Tartanen, Feluken, Speronaren oder an sonst einer Art mittelländischer Seefahrzeuge.

Es handelte sich ja auch nur um einen kurzen Ausflug aufs Meer hinaus, um etwas wie eine Promenade von vierzig Seemeilen nach Westen von der Küste. Bei gutem Winde und wenn man noch am Abend absegelte, mußte man auf dem gesuchten Punkte zeitig genug anlangen, um noch am Vormittage ein Besteck machen zu können.

Das Schiff wurde gemiethet. Es hieß die »Providenza« und war eine Feluke von dreißig Tonnen, geführt von einem alten Seebär – Lupus maritimus – der diese Gegend seit fünfzig Jahren befuhr. Der kannte hier das Wasser! Um zwischen Sicilien bis Malta, oder zwischen Malta und der tunesischen Küste zu segeln, hätte er die Augen zumachen können!

»Es ist ganz unnütz, ihn hören zu lassen, was wir hier vorhaben, Juhel!«

Diese Empfehlung des Frachtschiffers erschien Juhel sehr klug und weise.

Der Führer der Feluke nannte sich Jacobo Grappa. Da den Erben Kamylk-Paschas das Glück einmal lächelte, hätte dieser Jacobo, der zwar nicht französisch sprach, doch hinreichend verstanden, wovon zwischen ihnen etwa die Rede war.

Und dann, ein weiteres Glück, ein – wie man so sagt – unverschämtes Glück! Jetzt, im October, ganz nahe der schlechten Jahreszeit, war schon zehn gegen eins zu wetten, daß das Wetter ungünstig, das Meer stark bewegt und der Himmel bedeckt wäre. Doch nein! Bei mäßiger Frische und trockner Luft wehte der Wind vom Lande her, und als die »Providenza-unter vollen Segeln abfuhr, lag ein herrlicher Mondschein auf den Berghöhen Siciliens.

Jacobo Grappa hatte nur fünf Mann bei sich, diese genügten schon für alle Segelmanöver der Feluke. Das leichte Fahrzeug glitt auf die hohe See hinaus bei so ruhigem Wasser, daß selbst Ben Omar nicht einmal von einem Anfalle der Seekrankheit heimgesucht wurde. Noch nie war er bei einer Fahrt so außerordentlich begünstigt gewesen.

Die Nacht verging ohne Zwischenfall und das Morgenroth verkündigte einen wunderschönen Tag.

Pierre-Servan-Malo benahm sich aber wirklich erstaunlich. Die Hände in den Taschen, die Pfeife im Munde und scheinbar ganz gleichgiltig, wanderte [390] er auf dem Verdeck hin und her. Wenn Gildas Tregomain – er eine Beute höchster Erregung – ihn so sah, wollte er gar nicht seinen Augen trauen. Er hatte sich auf dem Vorderdeck niedergesetzt. Enogate und Juhel standen bei einander. Die junge Frau war entzückt über die herrliche Fahrt und träumte davon, ihren Gatten auch bei allen seinen Reisen nach fernen Erdtheilen begleiten zu dürfen.

Von Zeit zu Zeit trat Juhel an den Steuermann heran und gab diesem den richtigen Cours, wenn die »Providenza« zu gerade nach Westen hinaus segelte.

Unter Berücksichtigung ihrer Schnelligkeit rechnete er darauf, daß die Feluke gegen elf Uhr den so ersehnten Punkt erreicht haben müsse. Dann begab er sich wieder zu Enogate, was ihm freilich von Gildas Tregomain mehr als einmal die Ermahnung zuzog:

»Beschäftige Dich nicht so viel mit Deinem Weibchen, Juhel, und denke hübsch an das, was jetzt unsre Hauptsache ist!«

Jetzt sagte er »unsre Hauptsache«, der Frachtschiffer. O, welche Wandlung! Und doch war sie nur im Interesse der jungen Leute erfolgt.

Um zehn Uhr noch kein Stück Land in Sicht. In dem Theile des Mittelmeers zwischen Sicilien und dem Cap Bon trifft man in der Richtung nach Welten außer Pantellaria auch keine bedeutendere Insel. Um eine solche handelte es sich aber auch gar nicht, sondern nur um ein Eiland, ein einfaches Eiland, und nicht weit draußen im Meere.

Wenn der Banquier und der Notar den Blick auf Meister Antifer richteten, da konnten sie sein blitzendes Auge, seinen sich bis an die Ohren verlängernden Mund durch die bläulichen Tabakswolken, die er aus der Pfeife blies, kaum erkennen.


»Beschäftige Dich nicht so viel mit deinem Weibchen.« (S. 391.)

Jacobo Grappa begriff nichts von der Richtung, die man hier seiner Feluke gab und ob die Passagiere etwa die tunesische Küste anlaufen wollten. Doch das galt ihm schließlich gleich. Er wurde recht gut dafür bezahlt, nach Westen hinaus zu segeln, und das wollte er so lange thun, bis man von ihm verlangte, wieder umzukehren.

»Donque, sagte er zu Juhel, sollen wir immer noch weiter nach Sonnenuntergang zu steuern?

– Ja.

– Va bene!«

Und er steuerte bene.

[391] Um zehneinviertel Uhr begann Juhel, den Sextanten in der Hand, seine erste Beobachtung, die ihm ergab, daß sich die Feluke unter 37°30' nördlicher Breite und 10°33' östlicher Länge befand.

Während er das ausführte, sah ihm Meister Antifer, mit den Augen zwinkernd, von der Seite zu.

»Nun, Juhel?...

– Wir befinden uns in der richtigen Länge, lieber Onkel, und brauchen nur wenige Meilen nach Süden zu segeln.

[392] – Na, so segeln wir hinunter, lieber Neffe, immer zu! Ich glaube immer, wir können gar nicht weit genug nach Süden hinunter kommen!«

Da soll einer von diesem außerordentlichsten aller Malouins der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ein Wort verstehen! Die Feluke fiel nach Backbord ab, um sich Pantellaria zu nähern. Das Auge halb geschlossen und die Lippen zusammengekniffen, überließ sich der alte Schiffer allerhand Muthmaßungen.


Ueber die Strickleiter an Backbord kletterte Juhel zur Höhe des Mastes hinaus. (S. 394.)

Als Gildas Tregoman einmal ganz in seiner Nähe stand, konnte er sich aber nicht überwinden, zu fragen, was die Fremden denn eigentlich hier suchten.

[393] »Unser Taschentuch, das wir früher in dieser Gegend verloren haben! antwortete der Frachtschiffer, den trotz seines gutmüthigen Charakters nun doch die üble Laune übermannte.

Va bene, Signor!«

Um zwölfeinviertel Uhr war auch noch kein Felsenhaufen in Sicht, und doch mußte die »Providenza« jetzt an der Stelle des Eilands Nummer Vier schwimmen.

Doch nichts... nichts, so weit das Auge reichte!

Ueber die Strickleiter an Backbord kletterte Juhel zur Höhe des Mastes hinaus. Von hier aus überblickte er das Meer in zwölf- bis sünszehnmeiligem Umkreise.

Nichts... immer nichts!

Als er wieder nach dem Deck herunter kam, trat Zambuco mit dem Notar an der Seite zu ihm und fragte besorgt:

»Nun, Kapitän, das Eiland Nummer Vier?...

– Ist nicht in Sicht.

– Bist Du Dir wegen Deiner Berechnung sicher? setzte Meister Antifer mit halb spöttischer Stimme hinzu.

– Ganz sicher, lieber Onkel.

– Nun, Herr Neffe, dann muß man annehmen, daß Du noch keine ordentliche Beobachtung auszuführen verstehst....«

Der junge Kapitän fühlte sich tief verletzt, und da sich seine Stirn schon röthete, suchte ihn Enogate durch einen bittenden Wink zu besänftigen.

Gildas Tregomain glaubte dazwischentreten zu müssen und richtete das Wort an den alten Felukenführer.

»Grappa?... begann er.

– Zu Ihrem Befehl.

– Wir suchen hier nämlich ein Eiland....

– Si, Signor.

– Liegt denn kein Eiland in dieser Gegend des Meeres?...

– Ein Eiland?...

– Ja.

– Ein Eiland, wie Sie es nennen?

– Ja doch, ein Eiland... er fragt Dich nach einem Eiland! wiederholte Meister Antifer mit den Achseln zuckend. Verstehst Du, so ein hübsches, [394] kleines Eiland... ein Info... Insa... ein Inselchen!.... Verstehst Du mich denn nun endlich?

– Entschuldigen Sie, Excellenz!... Eine kleine Insel ist es, die Sie suchen?

– Ja wohl... rief Gildas Tregomain. Gibt es hier eine solche?

– Nein, Signor.

– Nein?...

– Nein.... Doch es gab einmal eine... ich habe sie selbst gesehen und bin sogar daran ans Land gegangen!

– Da ans Land gegangen?... wiederholte der Frachtchiffer.

– Die ist aber verschwunden....

– Verschwunden?... schrie Juhel auf.

– Si, Signor... seit einunddreißig Jahren... bei der heiligen Lucia!...

– Und welches Eiland war das? fragte Gildas Tregomain die Hände ringend.

– Tausend Kutter und Schuten, Frachtfuhrmann, rief Meister Antifer, das war das Eiland oder vielmehr die Insel Julia!«

Die Insel Julia!... Da dämmerte Juhel plötzlich ein Licht auf.

In der That, die Insel Julia oder Ferdinandea oder Hothan oder Graham oder Nerita – nenne man sie nun, mit welchem Namen es beliebt – diese Insel war an der vorliegenden Stelle am 28. Juni 1831 aufgestiegen. An ihrem damaligen Vorhandensein war gar kein Zweifel zulässig. Der neapolitanische Kapitän Carrao hatte sich in der Nähe befunden, als der unterseeische Ausbruch, der sie erzeugte, stattfand. Der Fürst Pignatelli hatte die Feuersäule beobachtet, die aus der Mitte der neugebornen Insel wie ein Stück Kunstfeuerwerk als leuchtende Garbe emporschoß. Der Kapitän Irton und der Doctor John Davy waren Zeugen dieser merkwürdigen Erscheinung gewesen. Zwei Monate lang konnte man die mit Schlacken und warmem Sande bedeckte Insel betreten. Der Meeresgrund war es, den hier plutonische Kräfte bis über die Wasseroberfläche hinauf gedrängt hatten.

Im December 1831 hatte sich das Felsengewirr wieder gesenkt; die Insel war verschwunden und auf dem Meere ringsum keine Spur davon weiter zu entdecken.

In dieser so kurzen Spanne Zeit hatte ein unglücklicher Zufall Kamylk-Pascha und den Kapitän Zô nach diesem Theile des Mittelländischen Meeres [395] geführt. Sie suchten ein unbekanntes Eiland und, wahrhaftig! ein solches war das hier, das im Juni jenes Jahres aufgetaucht und im December wieder versanken war. Jetzt lag der kostbare Schatz gegen hundert Meter tief unter dem Wasser!... Jene Millionen, die der Reverend Tyrcomel hatte ersäufen wollen... hier hatte die Natur das Moral verbessernde Werk vollbracht und es war nicht mehr zu fürchten, daß sie sich zum Nachtheil der Welt auf dieser verbreiteten!...

Hier müssen wir aber mittheilen, daß der Meister Antifer die Sachlage schon vorher kannte. Als ihm Juhel vor drei Wochen die Lage des Eilands zwischen Sicilien und der Insel Pantellaria mittheilte, wußte er gleich, daß es sich um die Insel Julia handelte. Als junger Seefahrer war er häufig genug in die hiesige Gegend gekommen, und wußte von dem zweifachen Vorgange im Jahre 1831, bei dem ein ephemeres Eiland emporgestiegen war, das jetzt längst wieder dreihundert Fuß tief unten lag. Einmal sich darüber richtig klar, hatte er, nach einem Wuthanfalle ohne gleichen, endgiltig darauf verzichtet, den Schatz Kamylk-Paschas zu heben. Aus diesem Grunde hatte er auch nie von einer letzten Fahrt zu dessen Aufsuchung gesprochen. Und wenn er Gildas Tregomain's Drängen nachgab und sich in die Unkosten für eine neue – nutzlose! – Reise stürzte, so geschah das aus Eigenliebe, geschah es deshalb, weil er nicht der am schlimmsten Betrogene bei der ganzen Geschichte sein wollte.... Und wenn er den Banquier Zambuco und den Notar Ben Omar zu einem Zusammentreffen nach Girgenti bestellte, so sollten sie damit die Strafe für ihre Doppelzüngigkeit gegen ihn erhalten...

Indem er sich also an den maltesischen Banquier und den ägyptischen Notar wendete, sagte er:

»Ja, ja! Da liegen die Millionen... unter unsern Füßen, und wenn Ihr Euern Theil davon haben wollt... ei, da braucht Ihr ja nur hinab zu tauchen! Nun vorwärts, ins Wasser, Zambuco!... Ins Wasser, Ben Omar!«

Wenn es die beiden Leute jemals beklagten, der nasführenden Einladung des Meister Antifer gefolgt zu sein, so war es in diesem Augenblicke, wo der unlenksame Malouin sie mit seinen Sarkasmen überschüttete – während er freilich ganz vergaß, daß er früher ebenso beutegierig wie sie bei dieser Jagd nach dem Schatze gewesen war.

»Jetzt den Bug nach Osten, rief Pierre-Servan-Malo, nach dem Lande!

– Wo wir so glücklich leben werden... sagte Juhel.

[396] – Auch ohne die Millionen des Paschas! erklärte Enogate.

– Sapperment... wenn man sie denn einmal nicht haben kann!« setzte Gildas Tregomain im Tone komischer Ironie hinzu.

Nur aus Neugier wollte Juhel jedoch vorher an Ort und Stelle eine Sondierung vornehmen lassen...

Jacobo Grappa kam seinem Wunsche kopfschüttelnd nach, und als die Schnur dreihundert bis dreihundertfünfzig Fuß abgerollt war, stieß das Bleigewicht auf eine harte Masse...

Das war die Insel Julia... das in dieser Tiefe verlorene Eiland Nummer Vier!

Auf Anordnung Juhels drehte die Feluke nun um. Da sie damit Gegenwind bekam, mußte sie bis zum Hafen die ganze Nacht über aufkreuzen, was dem unglücklichen Ben Omar die letzten achtzehn Stunden Seekrankheit einbrachte.

Der Morgen war schon etwas vorgeschritten, als die »Providenza« nach dieser fruchtlosen Expedition am Hafenquai von Girgenti anlegte.

Als die Passagiere aber sich eben von dem alten Schiffer verabschieden wollten, trat dieser auf den Meister Antifer zu und sagte:

»Excellenz?

– Nun, was willst Du?

– Ich möchte Ihnen noch eines sagen...

– So sprich... Freundchen... sprich!

– Eh, Signor, alle Hoffnung ist doch noch nicht aufzugeben!...«

Pierre-Servan-Malo richtete sich in die Höhe; es war als ob ein Blitz wieder erwachter Habgier in seinem Auge aufleuchtete.

»Nicht alle Hoffnung?... erwiderte er.

– Nein... Excellenz!... Die Insel Julia ist seit Ende des Jahres achtzehnhunderteinunddreißig versanken, doch...

– Doch...

– Seit dem Jahre achtzehnhundertfünfzig hebt sie sich wieder...

– Wie mein Barometer, wenn gut Wetter wird! rief Meister Antifer aus vollem Halse auflachend. Leider, wenn die Insel Julia mit ihren Millionen... unsern Millionen!... wieder erscheint, sind wir nicht mehr da... auch Du nicht, Frachtschiffer, denn dann dürftest Du erst als Mehrhundertjähriger sterben!...

[397] – Was doch nicht sehr wahrscheinlich ist,« meinte der Exkapitän der »Charmante Amélie.«

Was der alte Seemann gesagt hatte, scheint sich thatsächlich zu bewahrheiten. Die Insel Julia steigt allmählich wieder zur Oberfläche des Mittelmeeres empor...

Nach einigen hundert Jahren könnten die wunderbaren Abenteuer des Meister Antifer vielleicht eine ganz andre Lösung finden!


Ende.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Meister Antifer's wunderbare Abenteuer. Meister Antifer's wunderbare Abenteuer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-75B6-A