Jules Verne
Zehn Stunden auf der Jagd
Nur eine Plauderei.

1. Capitel

[195] Es gibt Leute, welche die Jäger nicht lieben, und vielleicht haben sie damit nicht völlig Unrecht.



Sollte es daher kommen, daß diese Herren keinen Abscheu davor empfinden, das Wild eigenhändig zu tödten, bevor sie es verzehren?

Oder rührt es nicht vielmehr daher, daß die genannten Jäger gar zu gern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ihre erstaunlichen Heldenthaten zu erzählen lieben?

Ich neige mehr zu letzterer Ansicht.

Vor nun fünfundzwanzig Jahren hab' ich mich freilich der ersten jener Missethaten selbst schuldig gemacht. Ich bin zur Jagd gewesen! Ja, ich habe gejagt!... Um mich dafür zu strafen, stehe ich hier im Begriffe, auch die zweite auf mich zu laden, indem ich haarklein alle Abenteuer jener Jagd berichte.

Möge diese aufrichtige und wahrheitsgetreue Schilderung meinen Mitmenschen – der nicht so blutgierigen Sorte – für immer die Lust benehmen, der Spur eines Hundes nachächzend, die Jagdtasche auf dem Rücken, die Patronentasche am Gurt und die Flinte im Arme über die Felder zu streifen.

Doch ich gesteh' es, ich rechne darauf blutwenig, fange indeß auf jede Gefahr hin hiermit an.

[195]

2. Capitel

II.

Ein phantasiebegabter Philosoph hat einmal irgendwo den Ausspruch gethan: »Wünscht Euch niemals den Besitz eines Landhauses, eines Wagens oder



feuriger Pferde oder auch – eines Jagdgrundes! Immer finden sich dann gute Freunde, die das Eurige für sich zu benützen verstehen!«

Gemäß der Anwendung dieses Axioms wurde auch ich eingeladen, meine ersten Waffenthaten auf reservirten Terrains des Departements der Somme – also ohne Eigenthümer derselben zu sein – zu verüben.

Es war gegen Ende August 1859, wenn ich nicht irre. Eine amtliche Bekanntmachung hatte für den nächsten Tag den Aufgang der Jagd festgesetzt.



In unserer guten Stadt Amiens, wo es keinen kleinen Krämer, keinen Gewerbtreibenden irgend einer Art gibt, der nicht eine alte Flinte besäße, mit der er die Landstraßen unsicher macht, wurde dieses



feierliche Datum wenigstens schon seit sechs Wochen mit Ungeduld erwartet.



Die Sportsmen von Profession, welche glauben, daß das Wild von Gott nur für sie herumläuft, ganz wie die Schützen dritter und vierter Classe, die Geschickten ebenso, welche treffen fast ohne zu zielen, wie die ungeschickten, welche sehr sorgsam zielen ohne zu treffen, endlich die Stümperpar par excellence, Alle trafen gleich eifrig ihre



Vorbereitungen für diesen großen Tag, equipirten, verproviantirten und übten [196] sich, dachten nichts mehr als »Wachtel«, sprachen nichts mehr als »Hase« und träumten von nichts mehr als von »Rebhühnern«. Weib, Kinder, Familie, Freunde – Alles war vergessen! Politik, Kunst, Literatur, Ackerbau und Handel – Alles verschwand gegenüber den Vorbereitungen zu dem hochwichtigen Morgen, an dem diese Fanatiker sich Dem hinzugeben trachteten, was der unsterbliche Josef Proudhomme ein »barbarisches Vergnügen« nennen zu müssen glaubte. Nun



begab es sich, daß sich unter den wenigen meiner Freunde in Amiens ein leidenschaftlicher Jäger vor dem Herrn befand, zwar ein Beamter, aber ein ganz liebenswürdiger Junge. Obwohl er behauptete, etwas an Rheuma zu laboriren, wenn er nach dem Bureau gehen sollte, so war er doch allemal prächtig auf den Füßen, wenn ein achttägiger Urlaub ihm gestattete, an der Eröffnung der Jagd theilzunehmen.

Dieser gute Freund hieß Brétignot.



Einige Tage vor dem großen Datum suchte Brétignot mich, der nichts Uebles ahnte, einmal auf.

»Sie waren noch niemals zur Jagd? sagte er mit einem gewissen Ausdruck von Ueberlegenheit, welche zwei Zehntel Wohlwollen auf acht Zehntel Verachtung enthält.



– Niemals, Brétignot, versicherte ich, es ist mir auch noch nie eingefallen, zu...

– Nun, so kommen Sie mit mir zur bevorstehenden Eröffnung, fiel mir Brétignot in's Wort. Wir haben in der Gemeinde Hérissart zweihundert Hektare reservirter Grunde, wo es von Wild geradezu wimmelt. Ich habe das Recht, einen Gast einzuführen.

Ich lade Sie also hiermit ein und werde Sie einführen.

– Ja, aber... versetzte ich zögernd.

– Sie haben kein Gewehr?

– Nein, Brétignot, und habe auch niemals eines besessen.



– Das lassen Sie sich nicht kümmern! Ich werde Ihnen eine Doppelflinte leihen; freilich noch ein Percussionsgewehr, aber es schießt doch einen Hasen auf achtzig Schritte todt.

[197] – Vorausgesetzt, daß man den Burschen trifft, erwiderte ich.

– Natürlich, das wird immer gut sein.

– Zu gut, Brétignot!

– Nun fehlt Ihnen zwar ein Hund.

– Unnöthig, wenn ich nur einen Hahn 1 an der Flinte habe, der wird dann doppelte Dienste thun.«

Freund Brétignot sah mich mit halb lächelndem und halb grimmigem Gesichte an. Dieser Mann liebt es nicht, über Dinge, welche die Jägerei angehen, scherzen zu hören. Diese sind ihm geheiligt!

Indeß legte sich sein Stirnrunzeln wieder.

»Nun, werden Sie sich einstellen? fragte er.



– Wenn Sie darauf bestehen!... antwortete ich ohne sonderliche Begeisterung.

– Ja, ja, natürlich!... Man muß so etwas, wenigstens einmal in seinem Leben, mit angesehen haben. Wir fahren Sonnabend Abends ab. Ich rechne auf Sie!«

So wurde ich denn zu diesem Abenteuer gepreßt, dessen trauriges Ende mich noch heute verfolgt.

Ich gestehe gern, daß mir die nöthigen Vorbereitungen nicht die geringsten Kopfschmerzen verursachten.

Ich verlor deshalb keine Stunde Schlaf. Und doch plagte mich, wenn ich ganz offen sein soll, ein wenig der Dämon der Neugier. Ist denn der Aufgang der Jagd gar so interessant? Jedenfalls gelobte ich mir, wenn nicht handelnd einzutreten, so doch als Neugieriger die Jäger zu beobachten, so gut wie die Jagd selbst. Wenn ich zustimmte, mich mit einer Schießwaffe zu belasten, so geschah es nur, um inmitten dieser Nimrods, deren Heldenthaten zu bewundern Brétignot mich eingeladen hatte, keine gar zu traurige Figur zu spielen.

Ich muß hier bemerken, daß, wenn Brétignot mir auch eine Doppelflinte, Pulverhorn und Schrotbeutel lieh, doch von einer Jagdtasche keine Rede war. Ich mußte mir also selbst dieses Ausrüstungsstück beschaffen, welches die meisten Jäger so bequem entbehren könnten. Ich sachte eine solche Tasche gelegentlich zu erlangen. Ja, jetzt herrschte darin eine Hausse. Alles vergriffen. Wohl oder übel mußte ich eine neue kaufen, behielt mir aber ausdrücklich vor, dieselbe mit fünfzig [198] Percent Verlust zurückzugeben, wenn ich sie nicht zu ihrem eigentlichen Zwecke gebraucht hätte.

Der Händler betrachtete mich vom Kopf bis zu den Füßen, lächelte und ging auf diese Bedingung ein.

Dieses Lächeln schien mir nicht von besonders guter Vorbedeutung.

»Immerhin, dacht' ich,... wer weiß?«

O Eitelkeit!

3. Capitel

III.

Am bestimmten Tage, dem Vorabend des Aufgangs, fand ich mich zu dem von Brétignot bezeichneten Stelldichein auf dem Périgordplatze ein. Dort stieg ich als der Achte – die Hunde ungerechnet – in den Fond der Diligence ein.

Brétignot und seine Jagdgenossen – ich wagte noch nicht, mich zu ihnen zu zählen – sahen in ihrem traditionellen Costüm vortrefflich aus. Tadellose Exemplare und merkwürdig anzuschauen; die Einen ernsthaft in Erwartung des kommenden Tages; die Andern lustig und schwatzhaft, wobei sie mit dem Munde schon den ganzen Wildstand von Hériffart vernichteten.

Da gab es ein halbes Dutzend der berühmtesten Donnerbüchsen aus der Hauptstadt der Picardie. Ich kannte die Besitzer kaum. Brétignot mußte mich mit aller Förmlichkeit vorstellen.

Da war zunächst Maximon, ein langer, trockener Kerl, der sanfteste Mensch unter gewöhnlichen Lebensverhältnissen, ein Tiger aber, wenn er die Flinte unterm Arme hatte – einer jener Jäger, von denen man sagt, sie würden eher ihren Nebenmann über den Haufen schießen, denn als »Schneider« nach Hause zu kommen. Er, Maximon, sprach nicht; er war in wichtige Gedanken versunken.

[199] Neben dieser bedeutenden Persönlichkeit saß ein gewisser Duvauchelle. Welcher Contrast! Duvauchelle war dick, klein, zwischen fünfundfünfzig und



sechzig Jahre alt, so taub, daß er kaum den Knall seiner Flinte hörte, während er doch starrköpfig alle zweifelhaften Schüsse für sich in Anspruch nahm. So hatte man ihn schon wiederholt einen todten Hasen mit blindgeladener Flinte schießen lassen – einer der Jagdscherze, welche Monate lang in allen Gesellschaften und bei jeder Table d'hôte belacht wurden.

Ich mußte auch den Schraubstockhändedruck Matifat's aushalten, eines großen Erzählers cygenetischer Großthaten. Er sprach nie von etwas Anderem, und mit welchen Ausrufen,



mit welchen Verzierungen! Den Schrei des Rebhuhns, das Bellen des Hundes, das Krachen der Flinte – Alles brachte er an. »Pang! Pang! Pang!« –

Drei »Pang« für eine Flinte mit zwei Läufen! – Und dann die Gesten! Eine Hand, welche hin und her fährt, um den Zickzacklauf des Wildes anzudeuten;



die Beine, die sich zusammenbiegen, während der Rücken sich krümmt, um sicherer zu zielen, der linke Arm, der sich vorstreckt, während der rechte sich an die Brust heranzieht, um die Lage der Waffe zu versinnlichen! Hei, da purzelte Haar- und Federwild nur so! Wie viele



Hasen hat er im Laufen erlegt! Er fehlte keinen! – Ich wäre in meiner Ecke bald durch eine solche drastische Darstellung hingewürgt worden.

Nun mußte man erst Matifat mit seinem Freunde Pontcloué reden hören! Zwei Finger von einer Hand! Doch das verhinderte sie nicht, sich die unliebenswürdigsten Redensarten an den Kopf zu werfen, so bald Einer dem Andern ins Gehege kam.

»Was ich für Hasen zur Strecke gebracht habe im letzten Jahre, sagte Matifat, während der wackliche Wagen die Straße nach Hérissart hinrollte, ja, was ich für Hasen erlegt habe, das ließe sich gar nicht mit Zahlen ausdrücken.

[200] – Ja wohl, ganz mein Fall, dachte ich bei mir.

– Und ich, Matifat! antwortete Pontcloué. Erinnerst Du Dich, wie wir zum letzten Male in Aryveuves die Treibjagd hatten? Hei, da gab's aber Rebhühner!

– Ich sehe noch immer das Erste, welches die Ehre hatte, mir vor die Flinte zu kommen.



– Und ich das Zweite, dem ich die Federn so gründlich vom Leibe blies, daß ihm nur noch die Haut über den Knochen blieb.

– Und jenes, das mein Hund partout nicht in der Furche finden konnte, in die es doch rettungslos gefallen war!

– Und das, welches ich das Glück hatte, auf hundert Schritt zu schießen, und doch ohne Zweifel getroffen habe!



– Und das andere, das ich mit meinen zwei Schüssen in die Luzerne habe fallen machen, das mein Hund aber unglücklicherweise auffraß!

– Und das Volk, welches gerade aufflog, als ich die Flinte wieder lud! – Brr! Brr! O, das war eine Jagd, meine Herren, das war eine Jagd!«

Was ich heraushörte, war eigentlich, daß von allen Rebhühnern Pontcloué's und Matifat's kein einziges in deren Jagdtaschen gewandert zu sein schien. Ich wagte aber nichts zu sagen, weil ich von Natur furchtsam bin gegenüber Leuten, welche von einer Sache mehr verstehen als ich. Und doch, wenn es sich nur darum handelte, ein Wild nicht zu treffen, wahrlich, da hätt' ich doch ebensoviel geleistet.

Die Namen der andern Jäger sind mir entfallen; wenn ich nicht irre, war der Eine bekannt unter dem Spitznamen Baccara, weil er auf der Jagd »immer schoß und nimmer traf«.

Nun, wer weiß, ob ich mir nicht auch diesen Beinamen erwerben sollte? Nein doch! Der Ehrgeiz stachelte mich an. Ich hatte es eilig mit dem folgenden Tage.

[201]

4. Capitel

IV.

Er kam endlich, der große Morgen. Aber das war eine Nacht in dem Gasthofe von Hérissart! Ein einziges Zimmer für acht Mann! Und dieses erbärmliche Lager, wo man hätte erfolgreichere Jagden anstellen können, als auf den reservirten Terrains der Gemeinde. Da wimmelte es von abscheulichen Parasiten, von denen die Hunde, welche neben den sogenannten Betten lagen, auch ihren reichlichen Antheil erhielten, so daß sie sich die ganze Nacht mit den Pfoten kratzten, daß der Fußboden zitterte.



Und ich Ahnungsloser hatte unsere Wirthin, eine alte Picarde mit widerspenstiger Perrücke, noch gefragt, ob es in ihrem Schlafraume wohl Flöhe gebe!

»Ach nein, antwortete sie unbefangen, die würden von den Wanzen aufgefressen werden!«

Darauf hatte ich mich entschlossen, völlig angekleidet auf dem krummbeinigen Stuhle zu schlummern, der bei jeder Bewegung ächzte und wimmerte. Aber ich kam mir auch wie zermahlen vor, als es endlich Tag wurde.




Natürlich war ich der Erste auf den Füßen. Brétignot, Matifat, Pontcloué, Duvauchelle und ihre Gefährten schnarchten noch. Mich drängte es in's Freie zu kommen, wie alle unerfahrenen Jäger, welche schon mit der Morgenröthe, selbst ohne gefrühstückt zu haben, in's Zeug gehen wollen. Die Meister in der Kunst dagegen – welche ich respectvoll Einen nach dem Andern weckte – legten brummend meiner Neophyten-Ungeduld Zaum und Zügel an. Sie wußten es, die Spitzbuben, daß man dem Rebhuhn bei erst anbrechendem Tage, wo dessen Flügel noch thaufeucht sind, schwer ankommen kann, und daß es, wenn es dann einmal davonflattert, wenig Neigung spürt, nach dem Revier zurückzukehren.

Es galt also zu warten, bis die Sonne alle Thränen des Morgenrothes hinweggeküßt hatte.

[202] Endlich, nach ziemlich summarischem Frühstück, dem der unausbleibliche »Morgenpfiff« die nöthige Würze verlieh, verließ die Gesellschaft, sich überall noch nachträglich kratzend, den Gasthof und begab sich nach der Feldmark, wo die reservirten Jagdgründe anfingen.

Eben als wir deren Grenze erreichten, zog mich Brétignot zur Seite und sagte:

»Halten Sie Ihre Flinte schräg, die Mündung nach der Erde gerichtet, und sehen Sie




Sie sich vor, Niemand todt zu schießen.

– Ich werde mein Bestes thun, anwortete ich, ohne gerade Garantie geben zu wollen, doch wenn erst Einer mich schösse, dann könnt' ich wohl...«

Brétignot zuckte verächtlich die Achseln, und nun ging's an die Jagd – Jeder nach seinem Gutdünken.

Es ist ein abscheuliches Stückchen Land, dieses Hérissart, das bezüglich des allgemeinen Charakters seinem Namen wenig Ehre macht. Doch scheint es, daß, wenn es auch nicht Wildreichthum bietet, wie Mont-sous-Vaudrey, doch die Dickichte gut bevölkert sind; daß es hier Hasen gab, versicherte Matifat, und daß man sie hier »mehr als Zwölf auf's Dutzend« habe umherspringen sehen, setzte Pontcloué hinzu.

Mit der Aussicht auf so reiche Beute waren die wackeren Leute vorläufig alle in bester Laune.

Es ging also vorwärts. Die Witterung – herrlich. Schon blitzten einzelne Sonnenstrahlen durch die Morgennebel, die sich am entfernten Horizonte zusammenballten. Ueberall Schreien, Piepen, Glucksen! Da flatterten verschiedene Vögel aus den Furchen auf und stiegen gerade zum Himmel empor, wie Helicopteren, deren Feder plötzlich losschnellte.

Kaum im Stande mich zu bemeistern, legte ich wiederholt die Flinte an.

»Schießen Sie nicht, schießen Sie nicht! rief Freund Brétignot, der mich unbemerkt im Auge behielt, mir zu.



[203] – Warum? Sind das keine Wachteln?

– Nein, Lerchen! Schießen Sie nicht!«

Es versteht sich von selbst, daß Maximon, Duvauchelle, Pontcloué, Matifat und die beiden Anderen mich mit so manchem malitiösen Seitenblick beehrten.



Dann schlugen sie sich klüglich seitwärts mit ihren Hunden, welche, die Nase nach unten gerichtet, die Luzerne, Esparsette und den Klee absuchten, und deren erhobene Schwänze wackelten wie ebenso viele Fragezeichen, welche ich nicht zu beantworten gewußt hätte.

Ich gewann die Vorstellung, daß jene Herren eben nicht darauf versessen waren, in der gefahrdrohenden Zone eines Novizen zu verweilen, dessen Flinte ihnen einige Angst wegen ihrer Schienbeine einflößen mochte.

»Donnerwetter, so halten Sie doch Ihren Schießprügel wie's sich gehört! wiederholte noch Brétignot, ehe auch er sich davonmachte.

– Nun, ich halte die Flinte nicht schlechter als ein Anderer!« erwiderte ich etwas verletzt über diesen Luxus von Rathschlägen.

Noch einmal zuckte Brétignot die Achseln und wandte sich dann nach links. Da es mir nicht paßte, ganz allein zurückzubleiben, beschleunigte auch ich meine Schritte.

5. Capitel

V.

Ich hatte meine Jagdkameraden eingeholt; um sie jedoch nicht weiter in Alarm zu bringen, trug ich das Gewehr auf der Schulter, den Kolben nach aufwärts.

Wie prächtig waren sie anzuschauen, die Jäger von Profession, in ihrem Jagdhabit, der weißen Weste, den weiten Sammethosen, den großen nägelbeschlagenen Schuhen, deren Sohlen das Oberleder überragten, mit leinenen Gamaschen über den wollenen Strümpfen, welche vor denen aus Zwirn oder Baumwolle den Vorzug verdienen, weil diese zu leicht Schrunden erzeugen, wie ich gar zu bald wahrnehmen sollte. Ich befand mich überhaupt bei Weitem nicht so wohl unter meinem Gelegenheitsharnisch; doch man kann von einem Debütanten nicht verlangen, daß er die Garderobe eines alten Komödianten besitze.

[204] Von Wild sah ich indessen nichts. Daß es in diesem Revier große Mengen von Wachteln und Wachtelkönigen, von Rebhühnern, Januarhasen gäbe, welche meine Gefährten als »Dreiviertelthiere« bezeichneten und von denen sie den Mund sehr voll nahmen, dazu junge Häschen und endlich wirklich »Lampes«, das mußte ich wohl glauben, da sie es versicherten.

»Thun Sie mir nur den Gefallen, ermahnte mich Freund Brétignot, keine tragende Häsin zu schießen. Das ist eines Jägers unwürdig!«

Tragend oder nicht, sapperment, wenn ich davon etwas gewußt hätte, ich, der ich ein Kaninchen nicht von einer Feldkatze – kaum in fricassirtem Zustande – zu unterscheiden verstand.

Endlich hatte Brétignot, dem es sehr am Herzen zu liegen schien, daß ich ihm Ehre machte, hinzugefügt:



»Noch ein letzter Rathschlag, der von Bedeutung sein kann, im Falle Sie auf einen Hasen schießen.

– Das heißt, wenn einer vorüberkommt, bemerkte ich etwas spöttelnd.

– Das wird nicht ausbleiben, antwortete Brétignot kühl. Nun also, erinnern Sie sich in diesem Falle, daß der Hase in Folge seiner Bauart schneller bergauf- als bergabwärts läuft. Man muß das wegen der Richtung des Schusses in Rechnung ziehen.

– Wie hübsch von Ihnen, mich darauf aufmerksam gemacht zu haben, Brétignot, erwiderte ich. Dieser gute Rath soll nicht in den Wind gesprochen sein und ich werde mir denselben bestens zu Nutze zu machen wissen!«

Eigentlich dachte ich dabei freilich, daß ein Hase wahrscheinlich allemal viel zu schnell liefe, als daß mein tödtliches Blei ihn dabei erreichen könnte.

»Zur Jagd! Zur Jagd! rief da Maximon, wir sind nicht hier, um Debütanten vom Kinderstühlchen zu erziehen!«



Ein schrecklicher Mensch; aber ich wagte nichts zu erwidern.

Vor uns dehnte sich jetzt über Sehweite hinaus zur Rechten und zur Linken eine weite, weite Ebene aus.

Die Hunde waren schon ein Stück voraus. Ihre Herren hatten sich zerstreut. Ich machte die erdenklichsten Anstrengungen, sie nicht aus dem Auge zu[205] verlieren. Es marterte mich einmal ein Gedanke, und zwar der, daß meine Jagdkameraden natürlich Faxenmacher wie Alle, vielleicht Luft verspürten, mir einen Streich zu spielen, zu dem sie meine Unerfahrenheit im edlen Waidwerk verleiten



konnte. Ich erinnerte mich dabei unwillkürlich der ergötzlichen Geschichte eines Novizen, den seine Freunde dazu brachten, auf ein Kaninchen aus Papiermaché Feuer zu geben, das unter einem Busche Männchen machte und ganz friedlich auf eine kleine Trommel loshämmerte. Ich wäre als Opfer einer solchen Mystification vor Scham gestorben!

Inzwischen irrte Alles auf gut Glück umher, längs der Furchen des Feldes, der Fährte der Hunde nach, um eine kleine Anhöhe zu erreichen, die sich zwei bis drei Kilometer weiter draußen erhob und deren Scheitel von niedrigen Bäumen gekrönt war.

Was ich mich auch abmühte, kamen doch die Uebrigen, welche mehr an unwegsamen Boden und Sturzacker gewöhnt schienen, schneller vorwärts als ich, so daß ich bald ziemlich weit zurückblieb. Selbst Brétignot, der zuerst seine Schritte verlangsamte, um mich nicht ganz meinem traurigen Schicksale zu überlassen, hatte sich jetzt davon gemacht, um die ersten Flintenschüsse nicht zu versäumen. Ich zürne Dir deshalb nicht, Freund Brétignot! Dein Instinct, der Deine Freundschaft überwog, zog Dich unwiderstehlich mit fort!... Und bald sah ich von meinen Genossen nichts weiter mehr, als die Köpfe, welche wie ebenso viele Pique-Aß über die Büsche hervorguckten.

Jedenfalls hatte ich bis jetzt, zwei Stunden nach dem Aufbruche aus Hérissart, noch keinen Knall gehört – nein, nicht einen einzigen! Das mußte eine schöne üble Laune, manches Donnerrollen und manch' schweres Unwetter geben, wenn die Jagdtaschen bei der Rückkehr noch ebenso mager waren wie beim Auszuge!

Nun – wird mir's Jemand glauben? – ich selbst war es, der dazu kam, den ersten Schuß abzugeben. Unter welchen Umständen – hab' ich die Schande hier mitzutheilen.

Soll' ich's denn gestehen? Mein Gewehr war noch nicht geladen. Aus Unachtsamkeit des Novizen? – Nein, es war eine Frage der Eigenliebe. Da ich befürchtete, mich bei dieser Operation sehr ungeschickt zu erweisen, wollte ich damit warten, bis ich allein wäre.

[206] In Abwesenheit von Zeugen öffnete ich also mein Pulverhorn und schüttete in den linken Lauf eine Ladung ein, über welche ein einfacher Papierpfropf zu sitzen kam; darüber eine hübsche Menge Schrot, eher ein Paar Körnchen zu viel als zu wenig. Wer weiß... ein Körnchen mehr rettete mich vielleicht vor dem Schneiderwerden! Das Ganze stopfte ich fest, stopfte, daß ich beinahe die Schwanzschraube des Gewehrs sprengte, und endlich – o Unklugheit! – versah ich den Piston des geladenen Laufs auch noch mit dem nothwendigen Zündhütchen.

Nach vollbrachtem Werke gings nun an den rechten Lauf, aber während ich dessen Ladung fest schlug – welcher Krach! Ein Schuß ging los... die ganze erste Ladung blitzte mir an der zweiten Ladung vorbei!... Ich hatte vergessen den Hahn des linken Laufes auf das Zündhütchen herabzulassen, und eine Erschütterung hatte hingereicht, ihn auszulösen!



Das mögen sich Neulinge hinter die Ohren schreiben! Beinahe hätte ich die Eröffnung der Jagd im Departement der Somme mit einem beklagenswerthen Unfall begangen. Da hätten die Localblätter einen fetten Stoff für ihre Rubrik »Verschiedenes« gehabt!

Und doch, wenn in dem Augenblick, wo der Schuß hinausdonnerte... wenn – ja, dieser Gedanke kam mir wirklich – nun in der Richtung, welche die Schrotladung nahm, gerade ein Stück Wild vorübergeflogen wäre, hätte ich's ja unzweifelhaft erlegt!... Das war vielleicht eine Gelegenheit, die mir nicht wiederkehrte.

6. Capitel

VI.

Inzwischen hatten Brétignot und seine Gefährten die kleine Anhöhe erreicht. Hier angekommen, beriethen sie über Mittel und Wege, ihr Mißgeschick zu beschwören. Ich schloß mich ihnen wieder an, nachdem ich diesmal mein Gewehr mit größter Vorsicht wieder geladen hatte.

Da redete mich Maximon an, d. h. in einem Tone, wie er einem Meister zukam.

»Sie haben geschossen? sagte er.

[207] – Ja!... das heißt... ja!... ich habe geschossen...

– Ein Rebhuhn?

– Gewiß ein Rebhuhn!«

Um Alles in der Welt hätt' ich meine Ungeschicklichkeit vor diesem Areopag nicht eingestanden.

»Und wo ist dieses Rebhuhn? fragte Maximon, meine leere Jagdtasche mit dem Ende seines Gewehres berührend.

– Verloren! versicherte ich mit frecher Stirn. Was meinen Sie? Ich hatte ja keinen Hund. Ja, wenn ich einen Hund gehabt hätte!«

Nun, bei so vielversprechendem Anfange kann's Einem doch nicht fehlen, ein richtiger Jäger zu werden.



Da rettete mich glücklich eine unerwartete Unterbrechung. Pontcloué's Hund hatte in der Entfernung von kaum zehn Schritten eine Wachtel aufgejagt. Unwillkürlich, wenn man will, aus reinem Instinct legte ich an und... Pang! – wie Matifat sagte...

Da kriegte ich aber eine Ohrfeige zur Strafe für meine fehlerhafte Gewehrhaltung, ja eine Ohrfeige, für die man nur Niemand Anderen mit Recht verantwortlich machen kann. Dem Krachen meines Gewehres folgte sofort das eines anderen, nämlich der Flinte Pontcloué's.

Durchlöchert wie ein Sieb fiel die Wachtel zur Erde, und der Hund überbrachte sie seinem Herrn, der sie ganz gemüthsruhig in die Jagdtasche versenkte.

Man that mir nicht einmal die Ehre an, zu vermuthen, daß ich doch auch Theil an diesem Morde haben könne. Doch ich sagte nichts, ich wagte nichts zu sagen. Es ist bekannt, daß ich von Natur furchtsam bin gegenüber Leuten, welche von einer Sache mehr verstehen als ich.

Meiner Treu, dieser erste Erfolg hatte den anderen wüthenden Wildverwüstern ordentlich Appetit gemacht. Man denke nur! Nach dreistündigem Jagen eine Wachtel auf sieben Jäger! Nein, es war unmöglich, daß dieser reiche Jagdgrund von Hérissart nicht noch eine andere enthalten hätte, und wenn es gelang, diese zu erlegen, so kam schon fast eine drittel Wachtel auf jeden Combattanten.

[208] Nach Uebersteigung der Höhe gelangte die Gesellschaft wieder auf frisch bearbeitetes Land. Mir sagten diese Furchen, welche Einen zu unförmlichen Schritten zwingen, die Erdschollen, die sich an die Füße kleben, nicht im Geringsten zu; ich ziehe ihnen den Asphalt der Boulevards denn doch bei weitem vor.

So wanderte unsere Gesellschaft mit ihrer Meute zwei volle Stunden, ohne etwas zu sehen. Schon runzelten sich die Augenbrauen. Eine Art wilde Reizbarkeit machte sich über Alles und über Nichts bemerkbar, ob ein Jäger nun mit dem Fuße gegen einen Klotz stieß oder ein Hand den anderen überholte. Kurz, es wurden allerhand Zeichen schlechter Laune sichtbar.

Endlich fliegen, vierzig Schritte von uns entfernt, Rebhühner auf. Ich wage nicht zu sagen »ein Volk«, denn das wäre mindestens ein bis zum Exceß vermindertes Volk gewesen.



Es bestand nämlich aus nicht mehr als zwei Rebhühnern.

Thut nichts! Ich schoß »in den Haufen« hinein, und auch diesesmal folgten dem Knall meines Gewehres gleich zwei andere Schüsse. Pontcloué und Matifat hatten gleichzeitig ihr Pulver reden lassen.

Eines der armen Thiere sank herab. Das Andere flog lustig davon und ließ sich in der Entfernung von einem Kilometer hinter einer Landwelle nieder.

Du beklagenswerthes Rebhuhn, welche Streitigkeiten hast du veranlaßt! Welche Auseinandersetzungen zwischen Matifat und



Pontcloué! Jeder behauptete der Urheber des Mordes zu sein. Da gab's ein Hin- und Herreden, verletzende Bemerkungen, bedauerliche Anspielungen! Und welche Ausdrücke!... »Wucherer!«... »Er nimmt Alles für sich in Anspruch!«... »Zum Teufel mit den Leuten, welche keine Scham im Leibe haben!«... »Das wäre gewiß das letzte Mal, daß man mit einander jagte!«... Und dazu noch andere liebenswürdige Reden und Gegenreden, welche meine Feder sich wiederzugeben sträubt.

In Wahrheit krachten die Schüsse der beiden Herren ganz zur nämlichen Zeit.

Ein Dritter war denselben zwar noch vorhergegangen. Aber darüber war ja kein Wort zu verlieren – wäre es denkbar gewesen, daß ich jenes Rebhuhn gefällt hätte? Urtheilen Sie nur selbst... ein Schüler!...

[209] In den Streit zwischen Matifat und Pontcloué glaubte ich mich nicht mischen zu sollen, nicht einmal mit der edelmüthigen Absicht, zu vermitteln! Wenn ich nicht selbst reclamirte, so kam das daher, daß ich von Natur furchtsam bin... nun, Sie kennen ja den Rest der Phrase.

7. Capitel

VII.

Endlich war zur größten Befriedigung unserer Magen die Mittagszeit herangekommen. Wir rasteten am Fuße eines Hügels, im Schatten einer großen Ulme. Die Gewehre und die – leider noch leeren – Jagdtaschen wurden bei Seite gelegt. Dann frühstückten wir, um einigermaßen die, seit unserem Aufbruch so nutzlos verschwendeten Kräfte zu ersetzen.



Eine traurige Mahlzeit! Da gab's ebensoviele Vorwürfe, wie Bissen! Schreckliches Land!... Eine hübsch gepflegte Jagd! Die Wilddiebe richten dieselbe zu Grunde!... Man sollte die Kerle, jeden an einen Baum aufhängen und ihnen einen Anschlag auf die Brust kleben, der ihre Schande bekannt machte... Die Jagd wurde zur Unmöglichkeit!... Nach zwei Jahren würde es hier kein Stück Wild mehr geben... Sollte man nicht das Jagen einmal ganz verbieten? Ja!... Nein!... Und so kam die ganze Litanei von Jägern, welche nichts erlegt haben, zum Vorschein.

Da begann wieder der Streit zwischen Pontcloué und Matifat, wegen des halben Rebhuhns, welches Jeder ganz beanspruchte. Die Anderen mischten sich ein... ich fürchtete, es würde noch zum Handgemenge kommen.

Eine Stunde später setzten wir uns noch einmal in Bewegung – wohl »geazt und angefeuchtet«, wie man hier sagt. Vielleicht waren wir vor dem eigentlichen Mittagessen glücklicher! Welcher wahrhaftige Jäger vor dem Herrn [210] bewahrt nicht immer noch ein wenig Hoffnung bis zum Ende, wo er den »Appell« der Rebhühner hört, welche sich zusammen rufen, um die Nacht en famille zu verbringen.

Wir waren also wieder auf dem Marsche. Die Hunde, in fast ebenso mürrischer Laune wie wir, trotteten voran. Ihre Herren schimpften hinter ihnen her mit schrecklichen Lauten, welche dem Commando in der englischen Marine glichen.

Ich folgte unsicheren Schrittes. Ich fing an, kreuzlahm zu werden. So leer meine Jagdtasche auch war, drückte sie mich auf die Nieren. Mein Gewehr von ganz unglaublichem Gewicht ließ mich mit Bedauern an meinen Spazierstock zurückdenken. Das Pulverhorn, der Schrotbeutel, alle diese belastenden Gegen stände hätt' ich am liebsten einem der kleinen Bäuerlein übergeben, die mir mit spöttischer Miene nachliefen und fragten, wie viel »Hühnervieh ich schon abgewürgt hätte«. Ich wagte es nur nicht aus Eigenliebe.



So schlichen zwei tödtliche Stunden dahin. Wir hatten unsere guten fünfzehn Kilometer in den Beinen. Eines wurde mir immer klarer: daß ich von diesem vermaledeiten Ausflug viel eher eine Verkrümmung als ein Dutzend Wachteln heimbringen werde.

Da, was gibt's da für ein Geräusch, das mich wieder erweckt? Diesesmal ist's wirklich ein ganzes Volk Rebhühner, das aus einem Gebüsch aufflattert. Allgemeine Füsilade! Feuer nach Belieben! Wenigstens fünfzehn Flintenschüsse, krachen, den meinigen eingerechnet.

Da tönt ein Schrei durch den Pulverdampf! Ich blicke dahin. In diesem Moment erscheint ein Gesicht über dem Busche. – Es war ein Bauer mit einer so aufgetriebenen rechten Wange, als hätte er eine Wallnuß im Munde.

»Schön! Ein Unfall! rief Brétignot.



– Das fehlte mir gerade noch!« bemerkte Duvauchelle.

Das war Alles, was dieses Verbrechen, betreffend »Schläge und Verwundungen, ohne die Absicht zu tödten«, wie es im Codex heißt, in ihnen hervorrief.[211] Und diese Leute, die kein Herz im Leibe hatten, liefen ihren Hunden entgegen, welche zwei, nur verwundete Rebhühner apportirten, und gaben dem unglücklichen Geflügel mit dem Schuhabsatze vollends den Rest! Ich wünsche ihnen ebensoviele Fußtritte, wenn sie's einmal nöthig haben sollten!

Währenddem stand der Eingeborne immer noch da mit seiner dick aufgelaufenen Backe, ohne reden zu können.

Da kehrten eben Brétignot und die Anderen zurück.

»Na, was hat denn der brave Mann? fragte Maximon mit dem Tone eines Beschützers.

– Zum Teufel, er hat ein Schrotkorn in der Wange, antwortete ich.

– Bah, das ist nichts! meinte Duvauchelle, das hat nichts zu bedeuten.

– Doch... doch... stotterte der Bauer, der seiner Verletzung durch eine schreckliche Grimasse mehr Wichtigkeit beizulegen versuchte.

– Wer ist denn ungeschickt genug gewesen, diesen armen Teufel anzuschießen? fragte Brétignot, dessen forschender Blick zuletzt auf mir haften blieb.

– Haben Sie nicht geschossen? wandte sich Maximon an mich.

– Ja, ich habe geschossen, ganz wie alle Anderen.

– Nun, da ist ja die Frage gelöst! erklärte Duvauchelle.

– Sie sind ein ebenso ungeschickter Jäger, wie Napoleon I., versetzte Pontcloué, der das Kaiserthum haßte.

– Ich... ich...? rief ich.

– Da kann's niemand Anderes gewesen sein, als Sie, sagte Brétignot streng.

– Entschieden! Dieser Herr ist ein sehr gefährlicher Mensch! ließ sich Matifat vernehmen.

– Und wenn man ein solcher Neuling ist, fügte Pontcloué hinzu, lehnt



man jede Einladung, sie komme, woher es sei, einfach ab!« Damit gingen alle Drei weiter. Ich verstand... Man ließ mir den Verwundeten auf meine Rechnung und Gefahr.

Ich machte der Sache ein Ende, zog die Börse und bot dem braven Bauer zehn Francs, wobei seine rechte Wange sofort abschwoll. Jedenfalls hatte er seine Nuß verschluckt.

»Es geht wohl besser? fragte ich theilnehmend.

[212] – O ja... bischen... jetzt fängt's hier wieder an! antwortete er und blies nun die linke Wange auf.

– Ah nein, sagte ich, nein, für dieses Mal ist's mit einer Backe genug!« Und damit ging auch ich meines Weges.

8. Capitel

VIII.

Während ich so mit diesem spitzbübischen Picarden verhandelte, hatten die Anderen einen ziemlichen Vorsprung gewonnen. Uebrigens hatten sie mir nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß man in der Nachbarschaft eines Tölpels, wie ich, nicht eben in Sicherheit sei, und daß die gewöhnliche Klugheit fordere, sich von einem solchen fern zu halten.

Selbst der gestrenge, aber ungerechte Brétignot ließ mich im Stiche, als wäre ich ein Auswürfling mit dem bösen Blicke.

Alle verschwanden bald in einem kleinen Gehölz zur Linken. Offen gestanden, war ich über diese Wendung der Dinge nicht besonders böse. Mindestens trug ich jetzt nur die Verantwortlichkeit meiner eigenen Thaten.

Ich war also allein, allein in dieser weiten Ebene, welche gar kein Ende nahm. Was hätte ich hier überhaupt angeben sollen; großer Gott, mit dieser ganzen Ausrüstung auf den Schultern! Kein Rebhuhn entlockte meiner Flinte einen Laut! Nicht ein »Hiase«, wie die Bauern der Picardie sagen, nicht ein Hase, dem ich hätte nachlaufen können! Wie gemüthlich hätte sich's da in meinem Zimmer gesessen, wo ich ruhig schreiben, lesen oder auch gar nichts machen konnte!




Ich ging ziellos weiter, wählte aber mehr die Raine, statt der ungepflügten Felder. Zehn Minuten lang setzte ich mich still hin, dann ging ich wieder zwan zig. Auf dem Umkreis von fünf Kilometern war kein Hase zu sehen, kein [213] Kirchthurm ragte am Horizont empor! Die reine Wüste! Da und dort verbot ein Pfahl mit der räthselhaften Inschrift: »Reservirte Jagdgründe« den Eintritt.



Reservirt? Für Wild gewiß nicht, denn davon gab's hier keines.

So wandelte ich träumend, philosophirend, die Flinte am Bande tragend und mich mühsam fortschleppend weiter. Meiner Meinung nach sank die Sonne heute erstaunlich langsam hernieder. Hatte sie etwa ein neuer Josua unter Aufhebung der Weltgesetze zu größerem Vergnügen meiner enragirten Kameraden in ihrem täglichen Laufe aufgehalten? Sollte denn keine Nacht mehr diesem erbärmlichen Tage des Jagdaufgangs folgen?

9. Capitel

IX.

Doch, es hat ja Alles seine Grenzen – selbst ein reservirtes Terrain. Schon wurde ein Wald sichtbar, welcher die Ebene abschloß. Noch einen Kilometer, und ich mußte ihn erreicht haben.

So wanderte ich weiter, ohne mich besonders zu beeilen. Der Kilometer war zurückgelegt; ich befand mich am Saume des Holzes.

Fern, ganz fern, hörte man es krachen, wie das Raketenbouquet eines Feuerwerks am 14. Juli.

»Die mögen schön morden! dachte ich. Für nächstes Jahr lassen sie gewiß nichts übrig!«

Da kam mir – doch das ganz unter uns – die Idee, ich könnte ja im Walde vielleicht glücklicher sein, als im freien Felde. In den Baumkronen hüpften doch gewiß unschuldige Sperlinge umher, welche die besten Restaurants, coquett hergerichtet, als Feldlerchen vorsetzen.

So folgte ich einer der Schneusen, welche an der Landstraße ausmünden.

Wahrhaftig, der Dämon der Jagd hatte Ihren ergebenen Diener gepackt! Ja, jetzt trug ich nicht ferner die Flinte auf der Schulter, ich hatte sie wieder geladen, hielt sie schußgerecht... meine Blicke schweiften forschend nach links und nach rechts.

[214] Nichts! Die Spatzen mochten offenbar von den Pariser Restaurants nicht viel wissen und hielten sich weislich verborgen. Ein- oder zweimal legte ich an... es waren nur Blätter, die sich an den Bäumen bewegten, und ich konnte mich doch nicht so weit erniedrigen, auf bloße Blätter Feuer zu geben!



Es war nun fünf Uhr. Binnen vierzig Minuten mußte ich laut Verabredung im Gasthof zurück sein, wo wir speisen wollten, ehe der Wagen bestiegen wurde, der uns, Thiere und Menschen, Todte und Lebendige, nach Amiens zurückbefördern sollte.

Ich folgte also, immer gespannt umherblickend, dem Hauptdurchlaß des Waldes, der in schräger Richtung nach Hérissart zu führte.

Plötzlich stand ich wie angenagelt... das Herz klopfte mir lauter!

Unter einem Busche, fünfzig Schritt von mir, befand sich zwischen Brombeeren und anderem Gesträuche offenbar irgend etwas...

Es sah schwarz aus, hatte einen silberartigen Rand und eine lebhafte rothe Spitze, wie ein glühender Augapfel, der mir zugewandt war!

Ohne Zweifel hatte sich hier ein Stück Haar- oder Federwild – ich hätte nicht sagen können, welches – ein Versteck gesucht. Ich schwankte zwischen einem Hasen, mindestens einem »Dreiviertel-Thiere«, und einer Fasanenhenne. Ei, warum nicht? Es würde mich in den Augen meiner Gefährten gewaltig rehabilitiren, wenn ich mit einem Fasan in der Jagdtasche zurückkam.

Ich schlich mich vorsichtig, das Gewehr zum Feuern fertig, heran. Ich hielt den Athem an. Ich war erregt wie Duvauchelle, Maximon und Brétignot zusammen.

Endlich, in bequemer Schußweite auf etwa zwanzig Schritte, ließ ich mich auf die Knie nieder, um sicheren Anschlag zu haben, sperrte das rechte Auge weit auf



und machte das linke felsenfest zu, brachte Korn und Visir in gebührende Uebereinstimmung – und gab Feuer.

»Getroffen! schrie ich außer mir. Diesmal wird mir Niemand meinen Schuß abstreiten!«

[215] Mit eigenen Augen hatte ich Federn auffliegen sehen, wenn's nicht etwa Haare waren.

Wegen Mangels an einem Hund lief ich selbst auf den Busch zu, stürzte mich auf das regungslose Wild, das kein Zeichen von Leben mehr gab! Ich hob es auf...



Es war ein Gendarmenhut mit Silberbordure und einer Cocarde, deren Roth mich wie ein Auge anzusehen schien. Zum Glück hatte er sich im Moment, wo ich schoß, nicht auf dem Kopf seines Eigenthümers befunden!

10. Capitel

X.

In diesem Augenblicke erhob sich eine lange Gestalt, die vorher im Grase gelegen hatte. Mit Schreck erkannte ich die blauen Beinkleider mit schwarzen Seitenstreifen, den dunklen Waffenrock mit silbernen Knöpfen, den gelben Gürtel und das gelbe Bandelier des Pandorus, welchen mein unglücklicher Flintenschuß erweckt hatte.

»Wer zum Teufel heißt Sie auf Gendarmenhüte schießen? fragte er mich in einem Tone, aus dem der Staatsbeamte sprach.

– Gendarm... ich glaubte... es wäre ein Hase!... Eine Augentäuschung! Uebrigens bin ich gern zu Schadenersatz bereit.

– Wirklich! Nun, ein Gendarmenhut ist ziemlich theuer... vorzüglich wenn man ihn ohne Jagdschein erlegt!«

Ich wurde blaß. Alles Blut drängte sich mir zum Herzen. Das war der kitzlichste Punkt.

»Sie sind doch im Besitz eines Jagdscheines? fragte mich der Pandorus.

– Eines Jagdscheines?...

– Ja, eines Jagdscheins. Sie wissen doch hoffentlich, was ein Jagdschein ist?«

Leider hatte ich keinen Schein. Für einen einzigen Jagdtag glaubte ich davon absehen zu dürfen, einen solchen zu lösen. Aber ich glaubte dem Manne [216] des Gesetzes versichern zu müssen, was man bei derartiger Gelegenheit stets versichert, daß ich meinen Jagdschein nur vergessen habe.



Ein Lächeln überlegener Ungläubigkeit verbreitete sich auf dem Gesicht des Gendarmen.

»So bin ich eben genöthigt, ein Protokoll aufzunehmen, sagte er zu mir in dem sanfteren Tone eines Mannes, der schon eine Prämie für sich winken sieht.

– Warum? Morgen werde ich Ihnen denselben schicken, den Jagdschein, mein wackerer Gendarm, und...

– Ja, ja, weiß schon, erwiderte Pandorus, aber ein Protokoll ist nicht zu umgehen.



– Nun gut, so protokolliren Sie, wenn Sie denn einmal gegen die Bitte eines Debütanten unempfindlich sind.«

Ein Gendarm, der dafür empfindlich wäre, wäre ja kein Gendarm mehr. Der meinige zog denn ein in gelbliches Pergament gebundenes Notizbuch aus der Tasche.

»Wie heißen Sie?« begann er.

Ah, ich wußte, daß es Gebrauch ist, in solch' schwerer Verlegenheit der Behörde den Namen eines Freundes zu nennen. Wenn ich jetzt gerade Mitglied der Akademie von Amiens gewesen wäre, wahrlich, ich hätte nicht gezögert, den Namen eines gelehrten Collegen anzugeben. Ich begnügte mich jedoch damit, den eines alten Kameraden, eines bekannten Pariser Pianisten, zu nennen. Der brave Junge saß



augenblicklich gewiß zu Hause und übte den vierten Finger, ohne eine Ahnung, daß man ihn wegen eines Jagdvergehens in ein Protokoll aufnahm.

Pandorus verzeichnete ernsthaft den Namen seines Opfers, dessen Beruf, Alter und Adresse. Dann bat er mich ganz höflich, ihm meine Flinte auszuantworten – [217] wozu ich eiligst bereit war. Ich hatte ja weniger zu tragen; ich bat ihn auch, mir die Jagdtasche, den Schrotbeutel und das Pulverhorn gleichzeitig



mit abzunehmen. Das lehnte er aber mit einer für mich beklagenswerthen Uninteressirtheit ab.

Nun war noch die Frage wegen des Hutes zu ordnen. Diese fand zur Zufriedenheit beider Theile durch die Aushändigung eines Goldstückes die gewünschte Lösung.

»Es ist sehr schade, meinte ich, der Hut war so vor trefflich erhalten.

– 's war noch ein fast



neuer Hut, entgegnete Pandorus, ich hab' ihn erst vor sechs Jahren von einem Brigadier gekauft, der in den Ruhestand trat.«

Nachdem er das Möbel wieder reglementmäßig auf den Kopf gestülpt hatte, ging der Gendarm, sich in den Hüften wiegend, nach seiner, ich aber nach meiner Seite davon.

Eine Stunde später hatte ich den Gasthof erreicht, verheimlichte so gut wie möglich das Verschwinden der Flinte und erwähnte von meinem Abenteuer kein Sterbenswörtchen.



Es soll aber nicht verschwiegen bleiben, daß meine Jagdgenossen als ganze Beute eine Wachtel und zwei Rebhühner für sieben Mann heimbrachten. Wegen eines Hasens, der noch jetzt fröhlich draußen umherlief, war es zwischen Maximon und Duvauchelle sogar zu Thätlichkeiten gekommen, und Pontcloué und Matifat hatten sich auf den Tod verfeindet.

[218]

11. Capitel

XI.

Das ist die Reihe der Aufregungen, welche ich an jenem denkwürdigen Tage durchkosten mußte! Ich hatte vielleicht eine Wachtel getödtet, vielleicht ein Rebhuhn erlegt, vielleicht einen Bauer verwundet, aber ganz sicherlich hatte ich einen Gendarmenhut durchlöchert!

Ohne Jagdschein ertappt, war über mich unter fremdem Namen ein Protokoll aufgesetzt worden. Ich hatte die Behörde hintergangen! O, kann ein Neuling von Jäger beim



Anfang seiner Laufbahn eines Anderson und Pertuiset noch mehr erleben?

Es versteht sich von selbst, daß mein Freund, der Pianist, unangenehm überrascht war, als er eine Vorladung erhielt, vor dem Corrections-Tribunal von Doullens zu erscheinen. Ich habe seitdem auch erfahren, daß es ihm nicht gelungen war, sein Alibi nachzuweisen. In Folge dessen wurde er zu sechzehn Francs Strafe und in die Kosten verurtheilt, welche sich auf dieselbe Summe beliefen.

Ich beeile mich hinzuzufügen, daß er kurz darauf eine Postanweisung unter der Bezeichnung »Schadenersatz« mit zweiunddreißig Francs empfing, die ihm die ganzen Kosten deckte. Freilich hat er niemals erfahren, woher das kam, aber



der Flecken, verurtheilt worden zu sein, blieb doch auf ihm sitzen, und er ist bei der Behörde als Uebelthäter vorgemerkt.

12. Capitel

XII.

Ich liebe die Jäger nicht, wie ich schon Eingangs sagte, vorzüglich weil sie gar so gern ihre Abenteuer erzählen. Nun, eben habe ich die meinigen geschildert. Verzeihen Sie mir das; es soll nie wieder geschehen.

Dieser Ausflug ist der erste und letzte des Verfassers gewesen, aber er hat davon eine Erinnerung zurückbehalten, welche an Bosheit grenzt. Allemal, wenn er einem Jäger mit dem Hunde hinter sich und mit der Flinte auf dem Arm begegnet, wünscht er ihm: »Viel Glück zur Jagd!«... und man sagt ja, daß ihm das »sicher Unglück bringt«!

[219][221]

Fußnoten

1 Unübersetzbares Wortspiel, da »chien« im Französischen die Bedeutung von »Hund« und von »Gewehrhahn« hat.

Anm. des Uebers.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Erzählungen. Zehn Stunden auf der Jagd. Zehn Stunden auf der Jagd. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-75A8-A