Nachher

Wir standen in der Luft, ein Vergnügen, dessen man nicht satt wird, am Anfang. Es war einsam um uns, einmal hastete ein Geist an uns vorüber, im Frack; vielleicht war er zu einer spiritistischen Sitzung geladen.

»Haben Sie das auch bemerkt«, sagte er, »das mit den sieben Jahren –?«

»Ja«, sagte ich. »Sie meinen, daß es alle sieben Jahre wiederkam, alles miteinander –?«

»Ja«, sagte er. »Alle sieben Jahre. Bei mir war es ziemlich regelmäßig. Bei Ihnen auch? Sie waren länger am Leben als ich. Zweiundsiebzig Jahre . . . «

»Es war ziemlich lächerlich, auf die Dauer«, sagte ich. »Alle sieben Jahre. So um das sechste Jahr herum fing es immer an, sich zu rühren, ich wußte es schon, wenn es so weit war. Meine Verhältnisse besserten sich, ich bekam Geld in die Finger, im siebenten Jahr war der Höhepunkt. Dann kam langsam der Abstieg. Das Glück versandete, es ging einem so gut, daß es langweilig wurde. Gewöhnlich war es eine Art reibungslosen Dahinlebens, ein Glück, das nur im Negativen bestand: keine Nervenschmerzen, kein Schnupfen, keine Geldsorgen, keine Frauenzimmergeschichten. Ein Glück, das man erst[120] nachher voll erfaßte; erst nachher, wenn es vorbei war, begriff man, wie gut es einem gegangen war. Dann wurde der Horizont langsam dunkler, Wolken kamen, man zappelte sich ab, bis man eines Tages wieder drin war im schönsten Tohuwabohu. Und dann fing es wieder von vorne an. Alle sieben Jahre.«

»Ich habe Ihn so oft gefragt«, sagte er, »was denn nun das Ganze zu bedeuten hätte – das mit den ständigen Wiederholungen und den sieben Jahren . . . Er schweigt.«

Wir nannten nicht gern Seinen Namen. Wir liebten Ihn nicht.

»Und grade sieben . . . « fing er wieder an.

»Es soll so eine Art heilige Zahl sein«, sagte ich. »Genaues weiß man darüber nicht. Kannten Sie den Doktor Fließ –?«

»Nein«, sagte er.

»Er muß längst hier sein«, sagte ich. »Aber ich habe ihn noch nie getroffen. Wahrscheinlich rechnet er jetzt die himmlischen Gesetze aus. Aber es ist da etwas daran, mit Wachstum der Pflanze, einer Art männlicher Periode . . . etwas sehr Gelehrtes. Zehnmal habe ich das also mitgespielt – etwa neunmal weiß ich davon. Gut, daß die Menschen nicht noch älter werden. Haben Sie sich nie gelangweilt –?«

»Nein, Nie«, sagte er.

»Ich ziemlich«, sagte ich. »Aber wie haben Sie das gemacht? Womit haben Sie sich so intensiv beschäftigt, daß sie sich nicht langweilten –?«

»Mit dem Leben«, sagte er. »Ich hatte reichlich zu tun, zu leben. Die Frage ›Warum?‹ ist dem Ding angeklebt. So dürfen Sie nicht fragen.«

»Ich habe mich gelangweilt«, murmelte ich leise und sah einer dekolletierten Geisterdame nach, die sich besonders schön unheimlich geputzt hatte. »Ich fand es nicht so sehr vergnüglich. Zehn Mal sieben Jahre . . . Warum . . . ? Sagen Sie mir: warum –?«


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. Nachher (1925-1928). Wir standen in der Luft. Wir standen in der Luft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6405-0