[251] Umgänlichkeit

Durch den Himmel zieht der Vögel Zug,
Sie sind auf Wanderschaft begriffen,
Da hort man gezwitschert und gepfiffen
Von Groß und Klein der Melodien genug.
Der Kleine singt mit feiner Stimm',
Der Große krächzt gleich wie im Grimm,
Und ein'ge stottern, andre schnarren,
Und Drossel, Gimpel, Schwalbe, Starren,
Sie wissen alle nicht, was sie meinen,
Sie wissen's wohl und sagen's nicht,
Und wenn sie auch zu reden scheinen,
Ist ihr Gerede nicht von Gewicht.
[252]
– »Holla! warum seid ihr auf der Reise?« –
Das ist nun einmal unsre Weise.
– »Warum bleibt ihr nicht zu jeglicher Stund?« –
Die Erd' ist allenthalben rund.
Auf die armen Lerchen wird Jagd gemacht,
Die Schnepfen gar in Dohnen gefangen,
Dort sind die Vöglein aufgehangen,
An keine Rückfahrt mehr gedacht.
– Ist das die Art mit uns zu sprechen?
Ans armen Vögeln den Hals zu brechen?
– »Verständlich ist doch diese Sprache,
So ruft der Mensch, sie dient zur Sache,
In aller Natur die Sprache regiert,
Daß eins mit dem andern Kriege führt,
Man dann am besten raisonnirt und beweis't,
Wenn eins vom andern wird aufgespeis't:
Die Ströme sind im Meere verschlungen,
[253]
Vom Schicksal wird der Mensch bezwungen,
Den tapfersten Magen hat die Zeit,
Ihr nimmermehr ein Essen gereut,
Doch wie von der Zeit eine alte Fabel besagt
Macht auf sie das jüngste Gericht einst Jagd.
Ein' andre Speise giebt's nachher nicht,
Heißt wohl mit Recht das letzte Gericht.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Zweiter Theil. Umgänlichkeit. Umgänlichkeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-54F6-8