[135] Wald, Garten und Berg

Der Wald

Der frische Morgenwind
Durch unsre Zweige geht,
Rührt jedes Blatt geschwind,
Wenn er so wohlgemuth durch alle Aeste weht.
Rühr' dich, o Menschenkind,
Was soll die Bangigkeit!
Wirf ab dein kleines Leid,
Komm, komm in unsern Schatten grün,
Wirf alle Sorgen hin,
Erschließ dein Herz der Freudigkeit.
Wir rühren mit Zweigen
In den Himmel hinein,
Und spüren so eigen
Den glänzenden Schein:
[136]
Mit Fingern, mit Zweigen, mit Aesten,
Durchrauscht von spielenden Westen,
Durchsungen von Vögelein,
Freun wir uns frisch bis in die Wurzeln hinein.
Wir rauschen, wir flüstern, wir wogen,
Geschirmt vom blauen Himmelsbogen,
Von freundlichen Lüften durchzogen.
Frühlingsglanz!
Frühlingsglanz!
Sey gegrüßt, sey gegrüßt von Abend zu Morgen,
Von Morgen zu Abend:
Komm, Mensch, sei frei von Sorgen
In unserm Schatten, der brüderlich labend. –
Jeder sein eigen,
Birken, Tannen, Eichen,
Stehn wir durchsammen verwirrt,
Doch keiner den andern irrt;
Der streckt die Zweig' in die Weite,
[137]
Rührt schirmend das Gras mit der Hand,
Der steht zum Himmel gewandt,
Führt jeder ein Rauschen, sein eigen,
Und schüttelt sich frisch in den Zweigen;
Doch fließt der mannigfalt'ge Klang
In Einen brüderlichen Chorgesang.
So auch die Menschen mitsammen
Die verschieden von Einem nur stammen,
Jeder rührt sich in seinen Zweigen,
Doch alle streben zum Licht zu steigen,
Wenn sich auch viele gegen die Erde neigen,
Sie alle Brüder sein,
Verschiedenheit ist nur Schein,
Sie rauschen verworren durch einander hinein,
Wird dem Klugen ein einziger Chorgesang sein.

Rosen

Bist du kommen, um zu lieben,
So nimm unsre Blühte wahr,
Wir sind röthend stehn geblieben,
Prangen in dem Frühlingsjahr.
[138]
Als ein Zeichen find die Büsche
Mit den Rosen überstreut,
Daß die Liebe sich erfrische,
Ewig jung sich stets erneut.
Wir sind Lippen, rothe Küsse,
Rother Wangen sanfte Gluth,
Wir bedeuten Liebesmuth,
Wir bezeichnen, wie so süsse
Herz und Herz zusammenneigt,
Liebesgunst aus Lippen steigt.
Küsse sind verschönte Rosen
Der Geliebten Blüthezeit,
Und ihr süßes süßes Kosen
Ist der Wünsche schön Geleit,
Wie die Rose Kuß bedeut't,
So bedeut't der edle Kuß
Selbst der Liebe herrlichsten Genuß.
[139]
Liebe ist es, die die Röthe
Allewege angefacht,
Liebend kommt die Morgenröthe
Roth steigt nieder jede Nacht:
Rosen sind verschämte Röthe,
Sind die Ahndung, sind der Kuß:
In Granaten flammt die Röthe
Brennt in Purpurs voller Pracht,
Deuten uns den innigsten Genuß.

Lilien

Wende dich zu unsern weißen Sternen,
Mondschein sind sie in der Sonne,
Ahndung unbekannter Wonne,
Freud' und Leid, doch in der Ferne,
Nur Erinn'rung, man hegt sie gerne.
Unser Lieben, unser Dichten,
Liebe, dichte Dämmrung nur,
Ernst und freundlich zeigen wir die Spur,
[140]
Blumenandacht,
Stille Nacht,
Wen'ge Herzen, die sich zu uns richten.
Blumenandacht,
Heitre Nacht,
Unschuld und Pracht;
Wir stehn so hoch als stille Warten,
Auf denen Sinn und Geist wohl ruht:
Geht er vorüber Rosengluth,
Ist ohne Wunsch und Glanz der fromme Muth,
Dann mag die stille Sehnsucht seiner warten.

Die Gebüsche

Komm! Komm!
Das Blättergeräusch,
Es lockt dich,
Unser Glanz,
Unser frisches Grün;
[141]
Wir lieben dich,
Trag' uns dein Herz entgegen,
Was verschmähst du uns?
Alles kann nicht Wald sein,
Alles kann nicht Blume sein,
Muß auch Kinder geben.

Der Wald

Wandl' im Grünen,
Willst du die Blumen verstehn,
Mußt du erst den Wald durchgehn.
Ist dir erschienen
Der Sinn des Grünen
Dann magst du die Blumen verstehn.
Grün ist das erste Geheimniß,
In das die Natur dich weiht,
Grün schmückt rings die Welt,
[142]
Ein lebendiger Odem,
Ein lieblich Element,
Das alles froh umgießt.
Grüne bedeutet Lebensmuth,
Den Muth der frohen Unschuld,
Den Muth zur Poesie.
Grün sind alle Blumenknospen
Und die Blätter um die Blumen,
Dann entspringt der Farbenglanz
Aus dem mütterlichen Grün.

Die Tulipanen

Wer mag von Farben sprechen,
Wann wir zugegen sind?
Keine andere Blum' gewinnt,
Beginnen wir zu sprechen.
Was soll Blumenandacht,
Was der Kuß bedeuten?
Wir prangen in der kühnsten Pracht,
[143]
Kein andrer wag's mit uns zu streiten,
Wir glänzen daher in vollster Macht,
Brauchen nichts anders zu bedeuten
Als daß in uns der Schein von tausend brennenden Farben lacht.
Stehn wir in Beeten zusammen,
Und geht der Wind durch uns Blumen hin,
So wanken und zucken unzählige Flammen
Und blenden, verwirren den fröhlichen Sinn.
Kühn die Blätter sich formiren,
Gold und Roth und Blau sie zieren,
Glanz-Pokal, aus dessen Blinken
Sonne, Licht und Bienen trinken.
Noch im Verblühen mit Farben wir prangen,
Daß in voller Majestät
Die Tulpe mit ausgespreiteten Flügeln steht:
Wozu die Sehnsucht, wozu Verlangen?

[144] Veilchen

In der Stille
Von Blättern, den grünen,
In ferner Hülle
Wir Blumen dienen.
Wagen's nicht uns aufrecht zu stellen,
Fürchten die Sonnenblicke, die hellen.
Gras unsre Geschwister,
Ueber uns Buschgeflüster:
Im einsamen Thal
Gedeihn wir zumahl.

Vergißmeinnicht

Wir Blümlein
Am Bach,
Mit blauem Schein
Müssen gar kleine sein,
Locken die Augen doch nach.
Wir sehen
[145]
Uns helle
In der Welle
An Seen;
Unschuldige Kindlein
Mit süßem blauen Schein;
Möchten wir größer sein!

Feldblumen

Du gehst vorüber,
O Lieber!
Und siehst nicht,
Fühlst nicht,
Wie schön das grüne Gras,
Wie erfrischend und kühl und naß,
Und dazwischen die goldnen Sterne;
Mußt du denn stets nach der Ferne?

Vogelgesang

Wir lustigen Bürger in grüner Stadt
Rauschen und schwärmen,
[146]
Singen und lärmen
Vom Morgen zum Abend, und stets sind wir satt.
Die Bäume mit Schatten
Zur Wohnung bestellt,
Zur Nahrung die Matten,
Die freie, weite Welt, –
Wie uns das gefällt!
Gefällt!
O herrliche Welt!

Das Himmelblau

Sie alle umschließ' ich mit Armen linde,
Sie alle tränk' ich an meinen Brüsten
Mit Lüsten,
Ich sende die kühlenden Winde,
Ich schaue tief auf sie hinunter,
Sie alle schauen hoch zu mir daher,
Alle macht mein klarer Anblick munter,
Die herrliche Bläue im unergründlichen Meer.
[147]
Wolken kommen, Wolken ziehn,
Wolken fliehn,
Treiben in meinem Gebiete hin und her;
Sind dem größeren Blick des Waldes Blätter,
Der Blumen Putz überfliegt der Glanz
Des Abend- und des Morgenroth's heraufgezogen,
Der kühn gespannte Regenbogen,
Im goldnen Abendmeer die tausend Flammen wogen,
Im furchtbaren Wetter,
Der Wolken Tanz,
Der Blitze zückender Glanz. –

Die Blumen

Der Abend sinkt hernieder,
Die Nachtviolen wachen auf,
Und gießen in die Lüfte
Die süßen Düfte.
Wir singen leise Lieder,
[148]
Die Nachtviolen wachen auf,
Und strömen süße Düfte
Durch die Lüfte.

Die Quellen

Wandle, wandle frohen Muthes,
Zu dem Gipfel steigt die Quelle,
Sinkt hinab und bleibet helle,
Tränkt mit jeder kleinen Welle
Wies' und Thal, die froh des Gutes.
Geister aus dem innern Kerne
Tiefer Erdenschlüfte, heben
Wir uns kräftiglich und weben
Irdisch in dem klaren Leben,
Ziehn uns an die goldnen Sterne.
Alles, alles ist verbunden,
Ein Herz nur das alles reget
In den fernsten Pulsen schläget,
Jede Kreatur beweget,
Kühn beherrschend alle Stunden.

[149] Bergstrom

Stürz, stürz hinab,
Woge hinab mit Eile zum Thal;
Findest die ruhigen Quellen zumahl
Und nimmst sie reißend mit in das Grab.
Keine Ruh, keine Ruh nicht einen Augenblick,
Unaufhaltsam reißen die Wogen,
Reißen die Zeiten Unglück und Glück,
Werden große Thaten fortgezogen,
Sieht Vergangenheit nie zurück.
Nirgend Stillestand, nirgend Stillestand,
Alles durch einander sich schwingt,
Die Kraft mit fremden Kräften ringt,
Eins in das andre feindlich dringt,
Strebt zu durchbrechen das fesselnde Band!

[150] Der Sturm

Mein belebender Othem geht durch die Natur,
Besuche die grünen Wälder, die Gebüsche,
Die hohen Berge, die niedre Flur,
Mit mir geht Kraft und Lebensfrische.
Mit Wolken ist in Lüften mein Spielen,
Auf Erden find' ich Gras und Laub,
Doch oft, wenn mir die Blüthen gefielen
Sind sie auch meines Zornes Raub.
Doch bring' ich den Regen zur Nahrung der Wiesen,
Ich jage die Nebel in's Saatfeld hinein,
Ich lasse die Ströme durch Walddunkel fließen,
Muß Wechsel und Kampf allgegenwärtig seyn.

Die Berggeister

Wir sind dir, Sterblicher, verwandt,
Und innerlich von dir gekannt,
Von deinem Geiste dir genannt,
[151]
Dein Herz dich hoch entgegen treibt,
Zurück mit ird'scher Kraft dich hält
Dein todter Sinn, die Lust zur Welt,
Und in der Furcht die Seele bleibt.
Wirf kühn dich in den Strom der Lust,
Laß Raum der überird'schen Brust,
Du findest Freuden, die du nie gewußt.
Natur giebt sich mit Geistern dir zu eigen,
Wird dienen deinem Menschensinn,
Ziehst du sie mächtig zu dir hin
Und willst die Kraft von deinem Geiste zeigen.

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TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Wald, Garten und Berg. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-54B2-D