[122] 5.

Kommt es nicht wie Träumen
Aus den grünen Räumen
Zu uns wallend nieder,
Wie Verstorbner Lieder?
Spricht Eckart zu den jungen Herrn,
Vernimmt den Zauberklang von fern.
Wie sich die Tön' herüberschwungen
Erwachet in den frommen Jungen
Ein seltsam böser Geist,
Der sie nach unbekannter Ferne reißt.
Wir wollen in die Berge, in die Felder,
Uns rufen die Quellen, es locken die Wälder,
Gar heimliche Stimmen entgegen singen,
In's irdische Paradies uns zu bringen!
[123]
Der Spielmann kommt in fremder Tracht
Den Söhnen Burgunds ins Gesicht,
Und höher schwillt der Töne Macht,
Und heller glänzt der Sonne Licht,
Die Blumen scheinen trunken,
Ein Abendroth nieder gesunken,
Und zwischen Korn und Gräsern schweifen
Sanft irrend blau und goldne Streifen.
Wie ein Schatten ist hinweg gehoben
Was sonst den Sinn zur Erden zieht,
Gestillt ist alles ird'sche Toben,
Die Welt zu einer Blum' erblüht,
Die Felsen schwanken lichterloh,
Die Triften jauchzen und sind froh,
Es wirrt und irrt alles in die Klänge hinein
Und will in der Freude heimisch sein,
Des Menschen Seele reißen die Funken,
Sie ist im holden Wahnsinn ganz versunken.
[124]
Es wurde Eckart rege
Und wundert sich dabei,
Er hört der Töne Schläge
Und fragt sich, was es sei.
Ihm dünkt die Welt erneuet,
In andern Farben blühn,
Er weiß nicht, was ihn freuet,
Fühlt sich in Wonne glühn.
Ha! bringen nicht die Töne,
So fragt er sich entzückt,
Mir Weib und liebe Söhne,
Und was mich sonst beglückt?
Doch faßt ein heimlich Grauen
Den Helden plötzlich an,
Er darf nur um sich schauen
Und fühlt sich bald ein Mann.
[125]
Da sieht er schon das Wüthen
Der ihm vertrauten Kind,
Die sich der Hölle bieten
Und unbezwinglich sind.
Sie werden fortgezogen
Und kennen ihn nicht mehr,
Sie toben wie die Wogen
Im wildempörten Meer.
Was soll er da beginnen?
Ihn ruft sein Wort und Pflicht,
Ihm wanken selbst die Sinnen,
Er kennt sich selber nicht.
Da kömmt die Todesstunde
Von seinem Freund zurück,
Er höret den Burgunde
Und sieht den letzten Blick.
[126]
So schirmt er sein Gemüthe
Und steht gewappnet da,
Indem kömmt im Gewüthe
Der Spielmann selbst ihm nah.
Er will den Degen schwingen
Und schlagen jenes Haupt:
Er hört die Pfeife klingen,
Die Kraft ist ihm geraubt.
Es stürzen aus den Bergen
Gestalten wunderlich,
Ein wüstes Heer von Zwergen,
Sie nahen grauerlich.
Die Söhne sind gefangen
Und toben in dem Schwarm,
Umsonst ist sein Verlangen,
Gelähmt sein tapfrer Arm.
[127]
Es stürmt der Zug an Besten,
An Schlössern wild vorbei,
Sie ziehn von Ost nach Westen
Mit jauchzendem Geschrei.
Eckart ist unter ihnen,
Es reißt die Macht ihn hin,
Er muß der Hölle dienen,
Bezwungen ist sein Sinn.
Da nahen sie dem Berge,
Aus dem Musik erschallt,
Und alsobald die Zwerge
Stillstehn und machen Halt.
Der Fels springt von einander,
Ein bunt Gewimmel drein,
Man sieht Gestalten wandern
Im wunderlichen Schein.
[128]
Da faßt er seinen Degen
Und spricht: ich bleibe treu!
Und haut mit Kraft verwegen
In alle Schaaren frei.
Die Kinder sind errungen,
Sie fliehen durch das Thal,
Der Feind noch unbezwungen
Mehrt sich zu Eckarts Quaal.
Die Zwerge sinken nieder,
Sie fassen neuen Muth,
Es kommen andre wieder,
Und jeder kämpft mit Muth.
Da sieht der Held schon ferne
Die Kind in Sicherheit,
Sprach: nun verlier ich gerne
Mein Leben hier im Streit.
[129]
Sein tapfres Schwerdt thut blinken
Im hellen Sonnenstrahl,
Die Zwerge niedersinken
Zu Haufen dort im Thal.
Die Kinder sind entschwunden
Im allerfernsten Feld,
Da fühlt er seine Wunden,
Da stirbt der tapfre Held.
So fand er seine Stunde
Wild kämpfend wie der Leu,
Und blieb noch dem Burgunde
Im Tode selber treu.
Als nun der Held erschlagen
Regiert der älteste Sohn,
Dankbar hört man ihn sagen:
Eckart hat meinen Thron
[130]
Erkämpft mit vielen Wunden
Und seinem besten Blut,
Und alle Lebensstunden
Verdank' ich seinem Muth.
Bald hört man Wundersagen
Im ganzen Land umgehn,
Daß, wer es wolle wagen
Der Venus Berg zu sehn,
Der werde dorten schauen
Des treuen Eckart Geist,
Der jeden mit Vertrauen
Zurück vom Felsen weist.
Wo er nach seinem Sterben
Noch Schutz und Wache hält.
Es preisen alle Erben
Eckart den treuen Held.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Zweiter Theil. Der getreue Eckart. 5. [Kommt es nicht wie Träumen]. 5. [Kommt es nicht wie Träumen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-532C-7