[33] II.
Die Zauberin.

Auf! wo hast du den Trank? wo, Thestylis, hast du die Lorbeern?
Komm', und wind' um den Becher die purpurne Blume des Schafes!
Daß ich den Liebsten beschwöre, den Grausamen, der mich zu todt quält.
Ach! zwölf Tage schon sind's, seitdem mir der Bösewicht ausbleibt!
Seit er fürwahr nicht weiß, ob am Leben wir oder gestorben!
Nie an der Thür' mehr lärmt mir der Unhold! Sicherlich lockte
Anderswohin den flatternden Sinn ihm Eros und Kypris.
Morgenden Tags will ich zu Timagetos' Palästra,
Daß ich ihn seh', und was er mir anthut Alles ihm sage.
Jetzo mit Zauber beschwör' ich ihn denn. – O leuchte, Selene,
Hold! Ich rufe zu dir in leisen Gesängen, o Göttin!
Rufe zur stygischen Hekate auch, dem Schrecken der Hunde,
Wann durch Grüfte der Todten und dunkeles Blut sie einhergeht.
Hekate! Heil! du Schreckliche! komm' und hilf mir vollbringen!
Laß unkräftiger nicht mein Werk sein, als wie der Kirke
Ihres, Medeia's auch, und als Perimede's, der blonden.
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Mehl muß erst in der Flamme verzehrt sein! Thestylis, hurtig,
Streue mir doch! wo ist dein Verstand, du Thörin, geblieben?
Bin ich, Verwünschte, vielleicht auch dir zum Spotte geworden?
Streu', und sage dazu: Hier streu' ich Delphi's Gebeine!
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Mich hat Delphis gequält, so verbrenn' ich auf Delphis den Lorbeer.
Wie sich jetzo das Reis mit lautem Geknatter entzündet,
[34] Plötzlich sodann aufflammt und selbst nicht Asche zurückläßt,
Also müsse das Fleisch in der Lohe verstäuben dem Delphis.
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Wie ich schmelze dieß wächserne Bild mit Hilfe der Gottheit,
Also schmelze vor Liebe sogleich der Myndier Delphis;
Und wie die eherne Rolle sich umdreht durch Aphrodita,
Also drehe sich Jener herum nach unserer Pforte.
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Jetzt mit der Kleie gedampft! – Du, Artemis, zwängest ja selber
Drunten im Aïs den eisernen Gott und starrende Felsen.
– Thestylis, horch, in der Stadt, wie heulen die Hunde! Im Dreiweg
Wandelt die Göttin! Geschwind laß tönen das eherne Becken!
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
– Siehe! wie still! Nun schweiget das Meer und es schweigen die Winde!
Aber es schweigt mir nicht im innersten Busen der Jammer.
Glühend vergeh' ich für den, der, statt zur Gattin, mich Arme
Ha! zur Buhlerin macht', und der mir die Blume gebrochen.
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Dreimal spreng' ich den Trank, und dreimal, Herrliche, ruf' ich.
Mag ein Mädchen ihm jetzt, ein Jüngling ihm liegen zur Seite,
Plötzlich ergreife Vergessenheit ihn: wie sie sagen, daß Theseus
Einst in Dia vergaß Ariadne, die reizendgelockte!
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Roßwuth ist ein Gewächs in Arkadien, wenn es die Füllen
Kosten, die flüchtigen Stuten, so rasen sie wild im Gebirge:
Also möcht' ich den Delphis hieher zu dem Hause sich stürzen
Sehen, dem Rasenden gleich, aus dem schimmernden Hof der Palästra!
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Dieses Stückchen vom Saum hat Delphis am Kleide verloren:
Schau, ich zerpflück's und werf' es hinein in die gierige Flamme.
– Weh! unseliger Eros, warum wie ein Egel des Sumpfes
Hängst du an mir und saugest mir all' mein purpurnes Blut aus!
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Einen Molch zerstampf' ich und bringe dir morgen den Gifttrank.
Thestylis, nimm dieß tückische Kraut und bestreiche die Schwelle
Jenes Verräthers damit! (Ach fest an diese geheftet
[35] Ist noch immer mein Herz, doch er hat meiner vergessen!)
Geh', sag' spuckend darauf: Hier streich' ich Delphis' Gebeine!
Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!
Jetzo bin ich allein. – Wie soll ich die Liebe beweinen?
Was bejammr' ich zuerst? Woher kommt alle mein Elend?
– Als Korbträgerin gieng Eubulos' Tochter, Anaxo,
Hin in Artemis' Hain; dort wurden im festlichen Umzug
Viele der Thiere geführt, auch eine Löwin darunter.
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Und die thrakische Amme Theumarida (ruhe sie selig!)
Unsere Nachbarin nächst am Haus, sie bat und beschwor mich,
Mit zu sehen den Zug, und ich unglückliches Mädchen
Gieng, ein herrliches Byssosgewand nachschleppend am Boden,
Auch gar schön Klearista's Mäntelchen übergeworfen.
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Schon beinah' um die Mitte des Wegs, an dem Hause des Lykon,
Sah ich Delphis zugleich mit Eudamippos einhergeh'n;
Jugendlich blond um das Kinn, wie die goldene Blum' Helichrysos;
Beiden auch glänzte die Brust weit herrlicher als du, Selene,
Wie sie vom Ringkampf eben zurück, vom rühmlichen, kehrten.
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Weh! und im Hinschau'n gleich, wie durchzückt' es mich! jählings erkrankte
Tief im Grunde mein Herz; auch verfiel mir die Schöne mit Einmal.
Nimmer gedacht' ich des Fests, und wie ich nach Hause gekommen,
Weiß ich nicht; so verstörte den Sinn ein brennendes Fieber.
Und ich lag zehn Tage zu Bett, zehn Nächte verseufzt' ich.
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Schon, ach! war mir die Farbe so gelb wie Thapsos geworden,
Und mir schwanden die Haare vom Haupt; die ganze Gestalt nur
Haut noch und Bein! Wen frug ich um Hilfe nicht? oder wo hauset
Irgend ein zauberkundiges Mütterchen, das ich vergessen?
Linderung ward mir nicht, und es gieng nur die eilende Zeit hin.
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Meiner Sklavin gestand ich die Wahrheit endlich und sagte:
»Thestylis, schaffe mir Rath für dieß unerträgliche Leiden!
Völlig besitzt mich Arme der Myndier. Geh' doch und suche,
[36] Daß du mir ihn ausspähst bei Timagetos' Palästra;
Dorthin wandelt er oft, dort pflegt er gern zu verweilen.«
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
»Und sobald du ihn irgend allein triffst, winke verstohlen,
Sag' ihm dann: Simätha begehrt dich zu sprechen! – und bring ihn.«
Also sprach ich, sie gieng, und brachte den glänzenden Jüngling
Mir in das Haus, den Delphis. So wie ich ihn aber mit Augen
Sah, wie er leichten Fußes herein sich schwang zu der Thüre –
(Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!)
Ganz kalt ward ich zumal, wie der Schnee, und herab von der Stirne
Rann mir in Tropfen der Schweiß, wie rieselnder Thau in der Frühe;
Kein Wort bracht ich hervor, auch nicht so viel wie im Schlafe
Wimmert ein Kindchen und lallt, nach der lieben Mutter verlangend
Und ganz wurde der blühende Leib mir starr wie ein Wachsbild.
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Als der Verräther mich sah, da schlug er die Augen zu Boden,
Setzte sich hin auf das Lager und redete sitzend die Worte:
»Wenn du zu dir mich geladen in's Haus, noch eh' ich von selber
Kam, nun wahrlich, so bist du zuvor mir gekommen, Simätha,
Eben wie neulich im Lauf ich dem schönen Philinos zuvor kam.«
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
»Ja bei'm lieblichen Eros, ich wär', ich wäre erschienen!
Mit zwei Freunden bis drei, in der Dämmerung, liebenden Herzens,
Tragend die goldenen Aepfel des Dionysos im Busen,
Und um die Schläfe den Zweig von Herakles' heiliger Pappel,
Rings durchflochten das Laub mit purpurfarbigen Bändern.«
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
»Ward ich dann freundlich empfangen, o Seligkeit! Wisse, bei unsern
Jünglingen allen da heiß' ich der Schöne, ich heiße der Leichte:
Doch mir hätte genügt, dir den reizenden Mund nur zu küssen.
Wieset ihr aber mich ab und verschloss't mit dem Riegel die Pforte,
Sicherlich kamen dann Aexte zu euch und brennende Fackeln.«
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
»Jetzo gebühret zuerst mein Dank der erhabenen Kypris;
Nächst der Himmlischen hast du mich dem Feuer, o süßes
Mädchen entrissen: hierher in dein Kämmerchen riefest du Delphis,
[37] Halb schon verbrannt. Denn Eros, fürwahr viel wildere Gluthen
Schüret er oft, als selbst in Lipara's Esse Hephästos.«
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
»Jungfrau'n treibt sein wüthender Brand aus einsamer Kammer,
Frauen empor aus dem Bett, das vom Schlummer des Gatten noch warm ist!«
Also sagte der Jüngling, und ich, zu schnelle vertrauend
Faßt' ihm leise die Hand und sank auf das schwellende Polster.
Bald war Leib an Leib wie in Wonne gelös't, und das Antlitz
Glühte mehr denn zuvor und wir flüsterten hold mit einander.
Daß ich nicht zu lange dir plaudere, liebe Selene:
Siehe, gescheh'n war die That, und wir stilleten Beide die Sehnsucht.
Ach, kein Vorwurf hat mich von ihm, bis gestern, betrübet,
Ihn auch keiner von mir. Nun kam zu Besuch mir die Mutter
Meiner Philista, der Flötenspielerin, und der Melixo,
Heute, wie eben am Himmel herauf sich schwangen die Rosse,
Aus dem Okeanos führend die rosenarmige Eos;
Und sie erzählte mir Vieles, auch daß mein Delphis verliebt sei.
Ob ein Mädchen ihn aber, ein Jüngling jetzt ihn gefesselt,
Wußte sie nicht; nur, daß er mit lauterem Wein sich den Becher
Immer für Eros gefüllt, daß er endlich in Eile gegangen,
Auch noch gesagt, er wolle das Haus dort schmücken mit Kränzen.
Dieses hat mir die Freundin erzählt und sie redet die Wahrheit.
Dreimal kam er vordem und viermal, mich zu besuchen,
Setzte, wie oft! bei mir das dorische Fläschchen mit Oel hin:
Und zwölf Tage nun sind's, seitdem ich ihn nimmer gesehen.
Hat er nicht anderswo Süßes entdeckt und meiner vergessen?
Jetzo mit Liebeszauber beschwör' ich ihn; aber wofern er
Länger mich kränkt – bei den Mören! an Aïdes' Thor soll erklopfen!
Solch' ein tödtliches Gift ihm bewahr' ich hier in dem Kästchen;
Ein assyrischer Gast, o Königin, lehrt' es mich mischen.
Lebe nun wohl, und hinab zum Okeanos lenke die Rosse,
Himmlische! Meinen Kummer, den werd' ich fürder noch tragen.
Schimmernde Göttin, gehabe dich wohl! Fahrt wohl auch ihr andern
Sterne, so viele der ruhigen Nacht den Wagen begleiten.

M.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Theokrit. Lyrik. Idyllen. 2. Die Zauberin. 2. Die Zauberin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4FBB-2